HEISS ARCHITEKTUR UND - Bund Deutscher Architekten
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HEISS ARCHITEKTUR UND VERBRECHEN
HEISS 4 Ein Wort voraus 22 Über heiße Häuser Monica Hoffmann Andreas Grabow 6 Fieber 23 Heiße Luft, Rausch – Erwien Wachter Ein Haschen nach Nichts Michael Gebhard 9 Denn sie müssen tun, was sie wissen 26 Zu viel der Brandsätze Roberto Gonzalo Monica Hoffmann 14 Cool 29 In eigener Sache Cornelius Tafel 30 Brisant 15 Heiße Gedanken 35 Vom Bauen Hans Schuller 38 Sieben Fragen an 16 Glut Stephan Rauch 57 Lesen – Lust und Frust Hans Schuller 40 BDA 59 Randbemerkt 18 Heißluft – Learning from Singapore 52 Persönliches 62 Impressum Irene Meissner
EIN WORT VORAUS Heiß. Ein cooles Thema hätte man in den 1990er-Jahren gesagt. Heiß und kalt. Hitze und Kälte. Schöne Gegensätze. Aber heiß und Eis? Klar, da ergänzt sich was: wenn es heiß ist, essen wir gerne ein Eis. Aber jetzt mal ernsthaft. Der Begriff „Heißzeit“ ist doch tatsächlich zum Wort des Jahres 2018 gekürt worden. Noch nie gehört, aber die Gesell- schaft für deutsche Sprache findet den Begriff gut, weil er nicht nur den extrem heißen Sommer umschreibe und sich auf den Klima- wandel beziehe, sondern auch eine interes- sante Wortbildung sei aufgrund der lautlichen Ähnlichkeit zu „Eiszeit“. Na ja, ich weiß nicht so recht, was die Jury sich dabei gedacht hat. Solche merkwürdigen Sprachspielchen werden der Klimakrise wohl 4
nicht gerecht. Außerdem gibt es genügend Mitbürger, die sich auf Wahrnehmung von Welt. Und deswegen die Heißzeit im nächsten Sommer freuen. denken und handeln wir vielleicht auch weiter wie bisher: unseren Egoismen frönen anstatt In einer Welt fiebriger Erscheinungen versucht Erwien Wachter die uns in der Welt als Ganzes zu verankern. Eine Einflussgrößen und die Ursachen von Veränderungen zu erfassen Hoffnung habe ich aber: die jetzige Jugend, (Seite 6). Damit hält sich Roberto Gonzalo nicht auf, sondern führt die ihr Leben auf unserem Planeten noch vor dem Leser schonungslos die Notwendigkeit vor Augen, unsere sich hat. Denkweisen zu ändern (Seite 9). Damit es nicht zu heiß wird, interpretiert Cornelius Tafel den Begriff der Coolness im Sinne po- Monica Hoffmann litischen Engagements (Seite 14). Hans Schuller wiederum liebt die Hitze der Gedanken beim Entwerfen (Seite 15), leidet aber genauso am maßlosen Konsum unserer Gesellschaft, wobei er das heutige Bauen davon nicht ausnimmt (Seite 16). Den immensen Anteil der Bauwirtschaft am Klimawandel, aber auch aktuelle bauliche Maßnahmen, die zum Klimaschutz beitragen können, stellt Irene Meissner vor (Seite 18). Und Andreas Grabow würde lieber heiße Häuser bauen, als sich am überregulierten Baualltag die Finger zu verbrennen (Seite 22). Am Beispiel unserer omnipräsenten Mobili- tät weist Michael Gebhard auf die gefährliche Überhitzung unserer Sucht nach Neuem hin (Seite 23). Mehr positive Nachrichten und Zuversicht in Sachen Klimaschutz wünscht sich schließlich Monica Hoffmann (Seite 26). Es ist schwierig, die drohende Klimakatastrophe mit aufrüttelnden Begriffen zu benennen. Erderwärmung zu harmlos, Erderhitzung schon besser, Klimawandel – was wandelt sich nicht. Das hört sich an, als wenn sich die Erde selbst erwärmen, erhitzen oder wandeln würde. Außen vor bleibt, dass wir Menschen daran den größten Anteil haben. Ich fürchte, für diese Herausforderung haben wir noch keine angemessene Sprache gefunden. Das begrenzt unsere 5
FIEBER im Menschen das hypothalamische Wärme- Erwien Wachter regulationszentrum an, sondern bringt auch Erscheinungen hervor, die vergleichbar Struk- „Der wird besser, der aus Wassermangel in der Wüste vertrocknet turveränderungen und Denkprozesse in Natur und dabei von einem Brunnen träumt, den er kennt und von dem und Gesellschaft „erhitzen“. Fieber oder er in seinen Fieberträumen das Knarren der Zugwinde und das „febris“, wie wir im Lateinischen finden, steht Knirschen des Seiles hört, als der andere, der keinen Durst verspürt für Hitze oder stärker noch im Griechischen und daher gar nicht weiß, daß es zärtliche Brunnen gibt, zu denen als für „pyretós“, für brennende Hitze. Als die Sterne hinführen.“ Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in Ausdruck eines unerlässlichen Regulierungs- der Wüste mechanismus, für den der menschliche Körper in aller Regel Hitzeschock-Antworten bereit Fühlen wir uns noch wohl oder eher müde und schwach? Gar hat, stellt auf anderen Ebenen Regulierungslö- durstig? Verspüren wir ein Frösteln oder schon Schüttelfrost mit sungen vor weitreichende Aufgaben. Glieder-, Muskel-, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und Herzrasen? Erwachen wir aus unseren Träumen schweißgebadet? Waren es etwa Alpträume voll Angst und Panik? Eine erste selbsterstellte Aufstieg und Niedergang Diagnose konstatiert ein warnendes Symptom: Fieber also. Was einem Kampf unseres Körpers gegen eine bedrohende Krankheit Was muss geschehen, wenn unsere Bedürf- zugeschrieben wird, kann als Metapher auch Organismen, Struk- nisse exzessiv sich zu Gewohnheiten wandeln, turen oder gar unseren Lebensraum meinen. Al Gore, der 2007 wenn ihre von partikularen Interessen inten- den Friedensnobelpreis für seine Bemühungen um eine Bewusst- dierte Prägung jegliche soziale Verantwortung machung der Klimakrise und ihrer globalen Gefahren erhielt, sagte missen lässt und wenn unsere individuellen dazu in einer Rede: „Die Erde hat Fieber – und das Fieber steigt“. Ansprüche die Natur in allen Belangen als Seine Rede vom Fieber ist die Rede von einer Herausforderung unerschöpflichen Quell ausbeuten? Der zur Aufrüstung von Abwehrkräften gegen eine Vergiftung durch Werkzeugkasten der Argumentation wird zerstörerische Einwirkungen, die, wenn die Alarmstufe „Rot“ immer reicher gefüllt, um unser Handeln vor aufblinkt, akute Gefahr oder auch Lebensgefahr signalisiert. Diese uns selbst zu rechtfertigen. Denken wir daran, mit komplexen physiologischen Reaktionen vergleichbare Erschei- wie wir etwa der schon gebuchten Reise in nung, zu der eine pyrogenvermittelte, vom Organismus aktiv den wohlverdienten Urlaub entgegenfiebern, herbeigeführte Erhöhung der Temperatur gehört, regt nicht nur vom weißen Sandstrand auf den Malediven 6
träumen und uns dort zwischen Palmen unter strahlend blauem spürbare innere Erhitzung verschafft. Sicher, Himmel wellnessentspannt in beneideter Schönheit einer makel- Glücksspiel ist eine Option. Mehr aber auch losen Bräunung sehen? An den kerosinangetriebenen Superjet nicht. Und dann noch die geradezu fiebrige auf dem Weg zum Grandhotel eher kaum. Oder daran, wie uns Präsenz autobiographischer Ergüsse aus einer das Reisefieber packt nach der Buchung einer opulenten Suite auf unheiligen Welt persönlicher Selbsterfahrung, einem Luxusliner zum Nordkap zur Eisbärengala oder in die Südsee die jeweils als hoch gepriesener literarischer an die Hulahulabar? Und treibt es uns nicht den Schweiß auf die Seelenstriptease die Augen der Stadtflaneure Stirn bei dem Gedanken, dass unsere medialen Kommunikations- in die damit gefüllten Schaufenster bannen. mittel durch die Ferne zur Zivilisation in den Weiten des Ozeans Ist das alles zum Besten und zu regeln? Aber abgeschnitten sind und so unser Personal Branding im Präsenzfie- welche Option bietet all das, was unseren ber zerstören? Oder wie steht es um die Aufregung, die uns unser Fieberstatus zu Grenzwerten treibt, wie eine Börsenfieber verursacht, wenn atmosphärische Störungen in er- Welt von Startups, Stylings, Events oder das schütterndem Zickzack einen Bären auf den Schirm kritzeln? Oder Regulierungsfieber, das der Trugvorstellung der Fortschrittswahn das Fieber der Digitalisierung uns jeglicher entspringt, alles, aber auch wirklich alles medialen Innovation entgegentreibt, um ja von den Pfründen der kontrollierbar zu machen. Regelung ist ein Grenzenlosigkeit von Möglichkeiten profitieren zu können? Wenn Vorgang in Systemen, in denen Wechselwir- zudem ein heftiges Verlangen den Hypothalamus zu Höchstlei- kungen der Natur, der Technik und der Gesell- stungen antreibt, um den gerätegestählten Körper mit sportlichen schaften stattfinden, und in denen prinzipiell Rekordergebnissen zu belohnen? jede veränderliche Größe möglichst konstant gehalten werden soll. Kybernetik lautet das in Und wenn das Baufieber mit ungebremster Triebkraft unsere öko- diesem System herrschende Zauberwort, des- logischen Fußabdrücke hemmungslos auf die Spitze treibt, indem sen wesentliche Eigenschaft darin besteht, ei- private Paläste mit 360° Rundumblick in immer dünner werdende nen Wert konstant zu halten und die Größen Wolkenkratzer gestapelt werden, um schließlich als Raketen zum als Istwert von der Abweichung des gewollten nächsten bewohnbaren Planeten gestartet werden zu können. Und Sollwerts so zu verändern, dass er sich diesem der Hypothalamus unser Lampenfieber bei jedem unserer Bühnen- wieder nähert. Vielleicht regelt sich ja alles auftritte in einem Stück „ich bin präsent, also bin ich“ mit seinem von selbst, sollte das Fieber mit den verfüg- Wärmeregulierungsmechanismus kollabieren lässt. Denken wir baren Mitteln wieder einmal gesenkt werden auch an das Lotto-Fieber, das am Wochenende mit sechs Millio- können. nen oder mehr im Jackpot uns die Vorstellung, diesen zu knacken, 7
Selbstverständnis versus Selbstversicherung Erbe und Verantwortung Und die Wissenschaft? Wie beantwortet sie die Frage nach den Ur- In Hesiods Theogonie ist Gaia, die Urmutter sachen all dieser genannten Erscheinungen? Wo bleibt die Stimme der Erde, eine der ersten Gottheiten, die aus der Vernunft gegenüber den oft apokalyptischen Prophezeiungen? dem Chaos ans Licht trat. Sie gebiert von Wissenschaft gedeiht am besten fernab von Zwang und Macht, Uranos die Titanen, die einäugigen Kyklopen aber die Politik fordert Beweise und Konsens, nicht Fragezeichen und schließlich die Hekatoncheiren – hun- und Widerspruch. Die wissenschaftliche Wahrheit von heute wird dertarmige Wesen. Diese zahlreiche Nach- so ganz schnell zum Irrtum von gestern. Wie unsere Fernrohre für kommenschaft birgt im narrativen Sinne den den Blick in die Vergangenheit zeigen, dass in den letzten 500 Mil- Stoff für die Vielzahl der Erscheinungs- und lionen Jahren sich immer wieder ein wesentliches Mehr an Schad- Gestaltungsformen menschlicher Präsenz und stoffen in unserer Lufthülle nachweisen lassen, eine dramatische ihrer Verhaltensstrukturen. Der Mensch hat Aufheizung des Klimas war dennoch nicht erkennbar. So mag es Gaia schlecht behandelt und tut es weiterhin sein, dass die Menschen heute an einer solchen nicht unschuldig in ungestörter Ignoranz. Nach Jahrhunderten sind. Aber es geht nicht nur um das Klima. Es geht um das Selbst- der Ausbeutung leidet sie an Fieber, und wir, verständnis bei der großen Frage, wie wollen und wie können ihre Nachkommen, wir zögern damit, unser wir auf unserem Planeten leben? Gelingt es der Gesellschaft, ihr Wissen über Heilmittel zu ihrer Genesung Denken und Verhalten an sich stetig verändernde Lebensbedin- einzusetzen. Dagegen vergeuden wir wei- gungen anzupassen, lässt sich an den aufgezählten Beispielen der terhin unbekümmert die Ressourcen un- Erhitzung und an der argumentativen Korrumpierung zum Erhalt seres Planeten und verbrennen das kostbare des Status quo etwas ändern? Ja – die Evolution hat gezeigt, dass Erbe Lebensraum, als gäbe es kein morgen. Natur, Lebens- und Denkwelt und ihre Strukturen und Organismen Geboten wäre zu hinterfragen, woraus alles über Fähigkeiten verfügen, auf fieberartige Reaktionen Immu- in allem der unergründliche Fieberanstieg nantworten erfolgreich zu entwickeln, um ein Gleichgewicht aller resultiert und wie ein stabiles Gleichgewicht zusammenwirkenden Kräfte innerhalb des Lebensraumes Erde wiederherzustellen ist. Fieber ist die Folge aufrechtzuerhalten. einer intakten Abstimmung von Systemen des Weltorganismus. Um es zu senken, braucht es mehr als Kassandrarufe, es braucht einen entschiedenen Sinneswandel. Die Mensch- heit muss zur Kenntnis nehmen, dass ohne 8
diesen die „bequeme“ Welt, die wir kennen, DENN SIE MÜSSEN TUN, WAS SIE WISSEN in rasendem Tempo sich verflüchtigt. Zudem Roberto Gonzalo bleibt die Frage offen, „ob das friedliche, sich selbst bescheidende Leben von Nationen und Diese Abhandlung ist der vierte Teil einer ursprünglichen Trilogie, Individuen nicht wichtiger ist als die Dynamik, die in Heft 1.11 mit „Denn sie tun nicht, was sie wissen“ angefan- die eine Nation gegen die andere zum Wett- gen hat und danach in 1.15 mit „Denn sie müssen nicht, was sie kampf und schließlich zum Krieg treibt, und tun“ und in 2.17 mit „Denn sie wissen, was sie tun“ fortgesetzt ob bei dem hundertprozentigen Herausholen wurde. In den vorherigen Artikeln wurden Zusammenhänge erklärt, aller seiner dynamischen Kräfte noch etwas der Vorrang von Suffizienz vor Effizienz und Konsistenz begründet im seelischen Erdreich des Menschen durch und Motivationsgründe für ein Voranschreiten zur Tat angeboten. dieses ständige doping, diese fiebrige Überhit- Was jetzt kommt, ist die Mahnung zur sofortigen Erfüllung unserer zung eintrocknet und verdorrt.“ Diese letzte nicht mehr aufzuschiebenden Pflichten. Frage notierte Stefan Zweig vor einem halben Jahrhundert in Brasilien. Wie aktuell! „Früher war selbst die Zukunft besser“, sagt uns Karl Valentin, was aus der Perspektive des Kampfes gegen die Klimaänderung be- trachtet durchaus stimmt. Während noch vor ein paar Jahrzenten, als die Situation und die nötigen Maßnahmen zur Dekarbonisie- rung bereits bekannt waren, die Durchführung noch sanft und all- mählich zu gestalten war, wird diese mit dem weiteren Fortschrei- ten der Zeit immer schneller und radikaler geschehen müssen. Die Kapazität der Atmosphäre ist begrenzt. Die Deadline lässt sich nicht verschieben. Es wird heiß. Politik, Wirtschaft und wir selbst wollen die errungenen Standards nicht verlieren und beharren auf der Erhaltung des Ist-Zustandes, nur mit anderen Mitteln (z.B. alternativen Energien, Elektromo- bilität). Das wird uns nicht gelingen, selbst dann nicht, wenn wir die Effizienz der Systeme noch so sehr verbessern könnten. Wir müssen unser Verbrauchsverhalten ändern und damit stehen wir zwangsläufig vor einer neuen Gestaltung von Lebensgewohn- 9
heiten, der sozialen Organisation und des menden Jahrzehnte zu erreichen, werden umso höhere Anstren- Wirtschaftssystems. Wie und wie stark diese gungen nötig sein. Das 1,5 Grad-Ziel wurde schon fast aufgegeben Änderungen eintreten werden, wird sich aus und zur 2 Grad-Grenze werden Zweifel geäußert, ob diese noch der Notwendigkeit ergeben und diese werden zu erreichen sei. Was soll man dann über Ziele denken, die nicht sich immer extremer gestalten, je mehr Zeit einzuhalten sind und noch dazu nicht ausreichend sind? Juristisch wir für die Umsetzung der nötigen Schritte gesehen haben wir jetzt mit unserem Lebensstil die Grenze der verstreichen lassen. Fahrlässigkeit zum Vorsatz überschritten; der kantische katego- rische Imperativ wird tunlichst ignoriert. So wie die Flower-Power- Wie es weitergeht, liegt vorrangig in unserer Generation gegen ihre Eltern aufgestanden ist, haben auch unsere Macht und ist unsere Verantwortung. Jetzt ist Kinder das Recht, uns zu verklagen. Das ist vorhersehbar und schon nicht mehr die Rede von der Zukunft unserer jetzt sichtbar bei den Schülern der „Fridays for Future“ Protesten. Kinder und Enkelkinder, sondern von unserer eigenen unmittelbaren Zukunft. Wir sind am Die Reichweite der ethischen und religiösen Grundlagen unseres Ende einer Entwicklung angelangt, die nicht Verhaltens gegenüber der Umwelt reflektiert die Enzyklika Laudatio mal 150 Jahre alt ist, ihren Ursprung im Kolo- Si‘ von Papst Franziskus „… was das Gebot ‚du sollst nicht töten‘ nialismus hat und sich durch eine ausgeprägte bedeutet, wenn zwanzig Prozent der Weltbevölkerung Ressour- Ungleichheit charakterisiert. Ein kleiner Teil cen in solchem Maß verbrauchen, dass sie den armen Nationen der Welt entscheidet und verfügt über die ge- und den kommenden Generationen das rauben, was diese zum samten Güter und Ressourcen und hat durch Überleben brauchen.“ (1) Unser Konsummuster wächst im Gleich- Externalisierung von negativen Folgen für sich schritt mit der Vernichtung der Umwelt und die Folgen treffen die einen Wohlstand im Überfluss entwickelt. Das Ärmsten dieser Welt. Gleich danach schlagen jedoch diese Folgen System hat aber seine Grenzen erreicht, es auf uns über in Form von Kriegen, Migrationen, Flüchtlingen usw. sei denn, man unternimmt eine neokolonia- Außerdem macht uns die Empfindlichkeit unseres technologisch, listische Strategie, indem man die Emissions- sozial und wirtschaftlich hochentwickelten Systems auch augen- rechte anderer Länder (und Völker) weiterhin blicklich verletzbar bei den vorhersehbaren Folgen der Klima- in Anspruch nimmt, was wiederum auch nicht änderung. ewig währen kann. Es wird heiß. Die Temperaturen und der Meeresspiegel steigen: +5 bis +6 Grad Deutschland wird seine CO2-Minderungsziele sind vor Ende dieses Jahrhunderts nicht nur möglich, sondern für 2020 verfehlen; um die Ziele für die kom- wahrscheinlich, wenn es so weitergeht. Eine solche Situation kennt 10
unsere Erde schon. Vor etwa 55,5 Millionen Jahren im Paläozän/ weitere Möglichkeiten, wie „intelligente“ Eozän-Temperaturmaximum (PETM) ist die globale Temperatur in Gebäude zu konzipieren, von den Bauherren einem kurzen Zeitraum um durchschnittlich 6 Grad angestiegen. ein paar Euro für nachhaltige Materialien und Von Europa ist damals nicht viel über dem Wasser geblieben. Wenn Bauweisen rauszuquetschen oder hier und da wir nicht anders agieren, wird es heiß. Die Hemmungsschwellen, einen qm zu sparen. Unsere Konsumgesell- um unsere aktuelle Untätigkeit zu überwinden, liegen in der mono- schaft hat Wohnfläche zum Maß der Lebens- kausalen Erklärung und Verdrängung der Realität, im Festhalten an qualität gemacht. Wachstum ist die Grund- bekannten Konzepten, in der Illusion alles unter Kontrolle zu haben lage unserer kapitalistischen Gesellschaft mit und vor allem in einer meistens manipulierten Werteverschiebung, Akkumulation als System. Wir akkumulieren so dass wir nicht mehr unterscheiden können, was wir tatsächlich qm, um die Erzeugnisse der ständig mehr brauchen bzw. was uns wichtig und wertvoll ist. produzierenden Wirtschaft unterzubringen; Sachen, die wir kaufen, jedoch weder brau- Das Problem ist nicht technischer Art. Technik haben wir genug; chen noch benutzen. Der Weg zurück ist nicht mehr, als womit wir etwas anfangen können. Die Situation hat sich einfach. Qualität braucht Zeit für die Reifung umgekehrt: Heute müssen wir die Fragen finden für die Antwor- und das sichert ihre Dauerhaftigkeit. Dauer- ten, die wir bereits kennen. Die Situation ist klar, unsere Denkweise hafte Qualität stiftet Identität und erzeugt ein leider nicht. Auf pauschale Lösungen oder Versuche, die jetzige neues Verhältnis zur Architektur, von Individu- Entwicklung nur zu verlangsamen, sollten wir besser verzichten alität zu Pluralität, von vergänglich zu zeitlos, und eher den Mut aufbringen, Wege zu Neuem zu entwerfen. vom Besitzen zum Nutzen, von Materie zum Ganz nach Buckminster Fuller: “You never change things by Geist. Verantwortung für unser Tun bedeu- fighting against the existing reality. To change something, build a tet, die dabei entstehenden Aufgaben ehrlich new model that makes the old model obsolete.” Dafür müssen wir zu begehen, das heißt mit Fair-Antwortung unsere Wahrnehmung, Empfindsamkeit und Empathie für unsere auf die ethischen Fragen unserer Tätigkeit zu Umwelt schärfen, um die Krise nicht nur objektiv, sondern auch reagieren; sonst wird es heiß. sinnlich zu erfassen. „Das Überwältigende an der Klimakrise ist Jeder von uns kann selbstverständlich seinen Beitrag leisten: Auto/ nämlich, dass zu ihrer Überwindung sehr Flugzeug Nein – Fahrrad/Laufen Ja, Rindfleisch Nein – Biogemüse viele Regeln gleichzeitig gebrochen werden Ja, usw. Die Möglichkeiten kennen wir, und dass es damit allei- müssen. Wie also verändert man eine Welt- ne nicht reicht, wissen wir auch. Als Architekten haben wir noch sicht, eine unhinterfragte Ideologie? Wichtig 11
ist dabei die Entscheidung, welche politischen nicht erst von einer Komfortzone reden; wir müssen eben aktiv Kämpfe wir zuerst führen wollen – wegwei- werden, um diese erst zu schaffen. sende Schlachten, die nicht nur darauf abzie- len, Gesetze zu novellieren, sondern Denkmu- In welcher Lage wir uns befinden, ist schon bekannt und selbst auf ster zu verändern.“ (2) höchster politischer Ebene nach Paris 2015 anerkannt. Auch das Ausmaß der nötigen Maßnahmen ist bekannt. Stellt sich daher die Unsere Baukultur muss sich eben einer kri- Frage: Wann fangen wir an etwas zu tun? Es wird heiß! tischen Reflexion unterwerfen. Effizienz wird als eine steigende Komplexität und Technifi- (1) Papst Franziskus, Enzyklika LAUDATI SI´ über die Sorge für das gemein- zierung des Bauens interpretiert. Vielseitige, same Haus. Libreria Editrice Vaticana, 2015 flexible, veränderbare Raumgefüge mit einer (2) Klein, Naomi: Die Entscheidung Kapitalismus vs. Klima; S. Fischer Ver- mit menschlichem Maßstab und auf die realen lag, Frankfurt am Main 2015 Bedürfnisse angepassten Technik erfordern eigentlich das Gegenteil, nämlich eine radi- kale Vereinfachung unserer planerischen und konstruktiven Denkweise. Die Revolution des Bauens beginnt im Konzept und nicht mit der Implementierung. Der Mut zum Wechsel erfordert eine Über- windung, zu der kaum jemand bereit ist. Lieber die Augen schließen oder auf palliativ beruhigende Maßnahmen zurückgreifen, wie CO2-Kompensationen für Urlaubsflüge. Man braucht Motivationen, die vom Wollen zum Tun hinführen. Wir sollten unsere Komfortzo- ne verlassen und aktiv werden, heißt es. Aber wenn unsere ethischen Wahrnehmungen ein unwohles Gefühl hinterlassen, können wir gar 12
TranslaTUM, München Architekten: doranth post architekten, München Fotos: Stefan Müller-Naumann MOEDING KERAMIKFASSADEN Das Fassadensystem der Zukunft. vorgehängt, hinterlüftet, wärmegedämmt www.moeding.de
COOL die andere Richtung aus und schwingt seither Cornelius Tafel wieder zurück; gefühlt sind wir heute alle cool. Nach so viel Hitze jetzt etwas Abkühlung. Wollte man das aktuell für unsere Gesellschaft gültige Ideal einer zeitgemäßen Haltung in Coolness kann ein wunderbarer Filter und einem Wort zusammenfassen, so müsste es dieses sein: Coolness. Schutz sein vor der Vereinnahmung durch Wer cool ist, ist lässig, entspannt, lässt sich nicht leicht beein- ideologische Rattenfänger, die unkritische drucken, regt sich nicht auf, wird nicht grundsätzlich oder ideo- Gefolgschaft fordern im Namen einer über- logisch, schon gar nicht leidenschaftlich, kurz: er/sie behält einen geordneten Idee und einer darum gescharten kühlen Kopf. Gemeinschaft. Ihr wohnt aber auch – buch- stäblich – die Gefahr der Teilnahmslosigkeit In dieser umfassenden Bedeutung mag der Begriff relativ neu sein, inne. (An-)teilnahme gilt vielfach als Stecken- die damit angesprochene Haltung und Gemütslage ist es nicht. pferd lächerlicher, jedenfalls uncooler Gut- Im Lauf der Kulturgeschichte, nicht nur der westlichen, scheint es menschen. Gerade nach den vielen verschlis- einen ständigen Pendelschlag zu geben zwischen subjektiv-emoti- senen Ideologien des 20. und frühen 21. onalen und (zumindest scheinbar) objektiv-rationalen Geisteshal- Jahrhunderts kann der vollständige Rückzug tungen. Auf den als gemütsarm empfundenen Rationalismus und aus dem gesellschaftlichen Engagement die Esprit der Aufklärung folgten Sturm und Drang und das Zeitalter scheinbar zwangsläufige Konsequenz sein. der Empfindsamkeit. Hundert Jahre später wiederum wurde die Auch diese Haltung hat ihre Vorläufer: in pathetisch-überhitzte Phase des Expressionismus abgelöst von der sogenannten Ohne-mich-Generation der der Neuen Sachlichkeit. Der kühl-distanzierte Blick eines Christian Nachkriegszeit. Wie der Beitrag von Roberto Schad findet späte Nachfolge im Cool Painting eines Axel Katz, Gonzalo zeigt: für solche politisch abstinente dem in München gerade eine große Ausstellung gewidmet wird. Coolness haben wir keine Zeit. Wir brau- Nach dem Zweiten Weltkrieg legte die von seinen Exzessen trau- chen Teilnahme und Engagement: jetzt. Und matisierte Generation eine an Zynismus grenzende Ablehnung wer sich cool fühlt, trotz und gerade wegen traditioneller, aber durch Missbrauch desavouierter Wertvorstel- politischer Indifferenz, sei daran erinnert, dass lungen an den Tag, eine Haltung, die unter anderem im Film noir auch ein Humphrey Bogart in der McCarthy- künstlerischen Ausdruck fand: Humphrey Bogart war avant la lettre Ära dezidiert und mutig Stellung genommen Inbegriff der Coolness und ist es bis heute. In der Zeit der 1968er- und Partei ergriffen hat. Und wenn Barack Bewegung und der Flower-Power-Bewegung schlug das Pendel in Obama auch vieles, das er sich vorgenommen 14
hat, nicht erreicht hat, eine Erkenntnis bleibt: Politisches Engage- HEISSE GEDANKEN ment kann ziemlich cool sein. Sonst wird es – wie uns Roberto Hans Schuller Gonzalo zeigt – ziemlich heiß. Entwerfen und Erotik sind beides Kopfsachen: ohne Reizung der Großhirnrinde und des Hy- pothalamus tut sich da nix. Da mögen noch so viele Rezeptoren stimuliert werden, wenn das Hirn nicht bereit ist, stellen sich nicht einmal die Nackenhaare auf. Phantasie bewegt mehr als das Auge, denn das Auge sieht nur, was physisch vor ihm ist und nicht mehr. Die Phantasie sieht da deut- lich mehr und macht aus einzelnen Bildse- quenzen gleich eine ganze Story mit Drama- tik, Spannung und Gefühl. Kopfkino spricht plötzlich alle Sinne an – und alle machen mit: die Konzentrationsfähigkeit nimmt Dank des Adrenalins zu, und der Puls geht schneller. Die Suche nach Möglichkeiten, die Aufmerksam- keit seines Gegenübers stärker zu gewinnen, entwickelt sich zu einem Pas de deux der Gefühle und Träume. Skizze sprich zu mir, flüstre mir leise ins Ohr, was dir gefallen könnte: weniger Hybris oder mehr Direktheit? Erzähl mir von deinem Werden, von deinem woher, und ich verrate dir, was ich gerade denke und wer ich bin. Albern sein ist dabei nicht nur auf dem Papier 15
möglich und tut so gut wie ein Stellungswechsel. Wer zwischendrin GLUT den Lageplan auf den Kopf stellt, sieht die Dinge plötzlich in einem Hans Schuller neuen Licht, und der neue Blickwinkel lässt plötzlich Beine bis in den Himmel erkennen. Einheizen, erhitzen, zur Weißglut bringen, und die Schmelze zum rechten Zeitpunkt Ein Glas Alkohol weitet die Gefäße, ein kleiner Espresso beschleu- abstechen, während schon wieder die neuen nigt die Gedanken, die Worte sprudeln leichter, der Mut nimmt Zuschläge oben in den Ofen gefüllt werden. zu, und die Hände sind unversehens an Stellen des Vis-à-vis, wo Der Ofen stöhnt und lärmt ohrenbetäubend, man sich vor einer Stunde noch gar nicht hingetraut hätte. Die die Flammen züngeln und lechzen nach mehr, abgefingerten Schichten des letzten Skizzenpapiers fallen von der ohne Unterbrechung, als wäre er die Hölle Tischkante, wie ehedem die letzten Schleier der Salome, ein Ziel ist und Luzifer sein eigentlicher Herr. Erlischt in Sicht. die Glut, ist der Ofen perdu, und im Himmel muss man sich Gedanken machen, wohin mit Die Erregung ob des einen verzückenden Bildes versetzt einen in den herren- und hafenlosen Zubringerboo- Schwingung, das Glück ist so nahe: eins werden mit seinem Glück, ten zur Unterwelt. Also weiter Brennstoff, ganz tief eindringen in diesen Wahn und dann mit den Händen Rohstoff, Schweiß einfüllen in den Ofen und einfach nur noch festhalten. Durch die völlige Ermattung hindurch die Glut unserer Zivilisation, ganz wie in Fritz spürt man den Rausch der Glückshormone, die den Körper durch- Langs Filmklassiker „Metropolis“. Stehen die strömen und meint zu fliegen… Räder still, versinkt die Stadt; Menschenopfer werden billigend in Kauf genommen für den Einmal diesen Taumel gekostet, wird man nie mehr darauf verzich- Wohlstand und die Bequemlichkeit derer, die ten wollen, will Ewigkeit, will diesen Kitzel wieder und wieder aufs oben am Licht wohnen. Neue genießen. Es wird Zeit für den weltweiten Tag der Einheit von Eingebung und Erotik. Die Glut hat sich in die Köpfe der Leute eingefressen, Menschenopfer und Umwelt- vernichtung werden akzeptiert, da es dem gesellschaftlichen Mainstream geschuldet wird. Kompromissfähigkeit wird als Grundzug von Zivilisation definiert. Unsere Politik hat sich auf diese Linie eingeschworen, und der 16
Mehrheit im Lande ist es recht. Die Früchte Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und in weiteren 20 Eigenschaften des Humanismus, der Aufklärung, unserer des zeit- und gendergerechten Bauens. Schlagworte, die uns der gesellschaftlichen Revolutionen und Entwick- Zeitgeist und die Politik im Namen der Baustoff-/Elementlobby lungen, nämlich Demokratie, Traditionen und abverlangen. Das „smart home“ wird Inbegriff der baulichen Erotik Wertschätzung werden im Ofen des Konsums des 21. Jahrhunderts. bedenkenlos eingeschürt – Konsum, das Feuer des modernen Menschen. Brauchen wir das alles? Müssen wir nicht langsam über die ei- gentlichen Werte, über örtliche Traditionen und ein gut Stück Prometheus wurde von Hephaistos und seinen Bescheidenheit nachdenken, wenn wir mit unserem Schaffen einer Schergen Kratos (Macht) und Bia (Gewalt) an freiheitlichen und gerechten Zivilisation entgegenkommen wollen? die Felsen des Kaukasus geschmiedet, dafür, Liebe zu gut gemachter Arbeit ist nicht nur das Erfolgsrezept im dass er den Menschen die heilige Flamme des Handwerk und der Gastronomie. Geistes brachte. Wer schmiedet endlich den unbändigen Konsum mit Macht und Gewalt an die höchste Spitze des Himalayas und gibt uns Menschen wieder den Sinn für Werte und Maßstäblichkeit zurück? Was hat dieser Weltschmerz mit Architektur zu tun? ALLES! Architektur bedarf eines ungeheuren Ener- gieaufwands (von dem geistigen einmal ganz zu schweigen): Grundstücke erschließen, Baumaterial herstellen, verbauen, schützen, dutzende von Auflagen erfüllen, Bauherrenan- sprüchen gerecht werden und alle Funktionen erfüllen. Ja, und wo steckt da der „Kon- sum“? Nun, in unserem Anspruch an eine zeitgemäße Architektur: Form, Ausstattung, 17
HEISSZEIT – LEARNING FROM lern wie beispielsweise Ólafur Elíassons „Ice Watch“ oder auch die SINGAPORE jüngste Aktion von Greenpeace-Aktivisten mit einem brennenden Irene Meissner Thermometer vor dem Braunkohle-Kraftwerk Niederaußem (NRW), dringen kaum ins Bewusstsein, nichts ändert sich. „Meine Welt, die Erde, ist eine Ruine. Wir haben uns vermehrt, haben geprasst und gekämpft, bis nichts mehr übriggeblieben Erderwärmung war, und dann sind wir gestorben. Wir haben weder unserem Appetit noch unserer Gewalt- Seit Mitte der 1950er-Jahre hat sich der globale CO2-Anstieg ver- tätigkeit Zügel angelegt; wir haben uns nicht dreifacht. Dadurch kann immer weniger von der Erde abgestrahlte angepaßt. Wir haben uns selbst vernichtet. Wärme ins Weltall entweichen. Die Folgen sind Erwärmung und Aber zuerst haben wir unsere Welt zerstört. Überhitzung. Der bislang höchste Wert wurde 2016 mit 1,3°C Auf der Erde gibt es keine Wälder mehr. Die Erderwärmung gemessen (Angabe: Erdbeobachtungsprogramm Luft ist grau, der Himmel ist grau, es ist im- Copernicus). Führt man sich ein Grad Temperaturerhöhung bei mer heiß.“ einem Menschen vor Augen, hat er Fieber, ein Grad weniger erzeugt Schüttelfrost, eine Körpertemperatur ab 40°C kann zum In ihrem Roman „Planet der Habenichtse“ Tode führen. Genauso sensibel regiert das ökologische Gleich- (1974) entwirft Ursula K. Le Guin dieses uto- gewicht auf Temperaturveränderungen. Die Folgen 2018 waren: pische Szenario am Beispiel des von skrupel- brennende Wälder, extreme Trockenheit von Afrika bis nach losen Kapitalisten regierten und zerstörten Deutschland, Wirbelstürme, schmelzendes Polareis, ein steigender Planeten Urras und des von Anarchisten be- Meeresspiegel: der Planet Erde befindet sich bereits für jedermann völkerten kargen Mond Anarres, auf dem eine wahrnehmbar vor dem Kollaps. vom Besitzdenken befreite Gesellschaft lebt, die dann aber an ihrer Bürokratie scheitert. Dieses Szenario hat hinsichtlich der Auswir- „Die große Landzerstörung“ kungen des vom Menschen verursachten Kli- mawandels nichts an Aktualität verloren. Trotz Als einer der Ersten machte der Deutsche Werkbund bereits 1957 Mahnungen, Klimagipfeln, wissenschaftlichen im Rahmen der Interbau in Berlin auf die verheerenden Auswir- Studien und Forschungsprojekten, geschieht kungen von ungebremstem Wirtschaftswachstum und gedanken- nichts. Medienwirksame Aktionen von Künst- losen Ressourcenverschleiß für die Umwelt aufmerksam. Auf der 18
Werkbundtagung über „Die große Landzerstörung“ 1959 in Marl lein die Zementindustrie verursacht zwischen wurden dann in aller Deutlichkeit die Probleme der Industriege- 5 und 8% der weltweiten CO2-Emissionen, sellschaft und die ökologischen Folgen des rein profitorientierten mehr als dreimal so viel wie der gesamte Wachstums angesprochen. Der damalige Werkbundvorsitzende Flugverkehr weltweit und heizt damit gewaltig Hans Schwippert erklärte, man habe es in 50 Jahren zwar zu guten das Klima auf. Trotzdem wird die Branche von Trinkgläsern gebracht, aber was nutze das, wenn das Wasser in- der EU mit kostenlosen Emissionszertifikaten zwischen eine „denaturierte Brühe“ sei. Es ist die Tragik des Werk- unterstützt. Recyclingbeton, aufbereitet aus bunds, dass er – 13 Jahre vor den Warnungen des Club of Rome zuvor abgebrochenen Gebäuden, gewinnt („Grenzen des Wachstums“, 1972), vor der Gründung „grüner“ zwar zunehmend an Bedeutung, doch als Parteien und lange vor der Ökologiebewegung – zwar die entschei- Bindemittel wird weiterhin Zement benötigt. denden Probleme der Zukunft erkannt und benannt hat, aber sich Am Karlsruher Institut für Technologie wird dann an der Größe dieser bis heute ungelösten Aufgabe zerstritt. deswegen seit geraumer Zeit erfolgreich nach einem Zementersatz geforscht, aber bis notwendige Zulassungen erteilt werden, Heißzeit können noch einige Jahre vergehen. Ande- re Forschungen, beispielsweise an der TU Aufgrund der sich seitdem immer weiter dramatisch zuspitzenden Dresden beschäftigen sich damit, die Struktur Situation warnten internationale Klimaforscher im Sommer letz- von Beton zu verändern, indem Stahl durch ten Jahres vor einer „Heißzeit“. Selbst wenn das Ziel des Pariser nicht rostendes Carbon ersetzt wird. Dadurch Klimaabkommens (vom Dezember 2015) mit „deutlich unter 2°C“ können an der Betonüberdeckung eingespart Erderwärmung eingehalten werden würde, könnte sich die Erde und 50% der Zementemissionen reduziert um 4–5°C im Vergleich zu vorindustriellen Werten durch Selbstver- werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass das stärkungseffekte erhitzen. Die Architektur, respektive die Bauwirt- Bauen dadurch „leichter“ wird. In Anbetracht schaft, hat als einer der größten Verbraucher unserer Ressourcen der Bevölkerungsexplosion und dem damit auf der Erde einen entscheidenden Anteil am Klimawandel. verbundenen globalen Bauboom stellt sich schon allein wegen der zur Neige gehender Gebäude verursachen 50% des globalen Energieverbrauchs, Rohstoffe, wie Sand, Zinn, Zink oder Kupfer, 40 % der Treibhausgasemissionen, sie benötigen 40% der globa- die Frage, wie man in Zukunft mit weniger len Ressourcen und verbrauchen 25% des Wassers (Angabe: Eidge- und anderen Materialien für mehr Menschen nössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, Schweiz). Al- bauen kann. Dem Holzbau kommt hier eine 19
entscheidende Rolle zu, erinnert sei in diesem und statt Energiesparverordnungen das Gesetz: „Ab 2025 ist der Zusammenhang an die wegweisende Aus- Verbrauch von fossil basierter Energie im Bauwesen verboten.“ Da- stellung 2011/12 des Architekturmuseums durch würden nach seiner Auffassung, ein Innovationsprogramm der TUM und dem Fachgebiet Holzbau (Prof. gezündet und Erfindungen generiert werden, die dann weltweit Hermann Kaufmann) „Bauen mit Holz – Wege verkauft werden könnten. in die Zukunft“ mit der das Potential des öko- logischen Baustoffs anschaulich einer breiten Öffentlichkeit vermittelt wurde. Learning from Singapore Die Forschung richtet inzwischen den Blick auch auf die Über- Mehr Innovationen hitzung von Ballungsräumen, die aufgrund versiegelter Flächen, durch die Abwärme von Klimaanlagen und die Wärmezufuhr durch Zur Erforschung innovativer neuer Bautech- Autoabgase sowie durch wärmespeichernde Gebäudefassaden und niken dient die in Fachkreisen jüngst vielbe- nicht windoptimierte Ensembles eine bis zu 7°C höhere Temperatur achtete modulare Demonstrationsplattform als das Umland haben. Den Teufelskreis der sich selbst erhitzenden „NEST – Gemeinsam an der Zukunft bauen“ Metropolen will das Projekt „Cooling Singapore“ der ETH Zürich in Dübendorf in der Schweiz. Eine mehrge- am Beispiel der hitzegeplagten Millionenstadt mit der höchsten schossige Plattform – ähnlich den Berliner Konzentration von städtischen Hitzeinseln (Urban Heat Island – UHI Ökohäusern Frei Ottos – dessen Etagen mit – Effect) durchbrechen. Einer der Partner ist die Technische Univer- unterschiedlichen thematischen Einheiten sität München (TUM Create). Das Projekt zielt darauf, die Wärme materialsparend, recyclinggerecht, ultraleicht aus dem städtischen System abzuziehen. Ein Maßnahmenkatalog, oder mit adaptiven Solarfassaden gefüllt sind, der u.a. eine intensive Begrünung und eine drastische Beschrän- soll dazu beitragen, dass neuartige Bau- und kung des Autoverkehrs vorsieht, wurde erarbeitet (abrufbar unter: Energietechnologien schneller auf den Markt https://www.coolingsingapore.sg/resources/). Diese Tools lassen kommen. Werner Sobek beispielweise schuf sich auch auf deutsche Ballungsräume mit vergleichbaren Hitzein- zusammen mit Dirk Hebel für das NEST ein sel-Effekten, wie es sie in NRW gibt, anwenden. Wohnmodul, das sortenrein aus wiederver- wendbaren, wiederverwertbaren oder kom- postierbaren Materialien konstruiert ist. Sobek fordert eine verbindliche Recyclingquote 20
#FridaysForFuture Die Heißzeit 2018 könnte eine Wende für ein größeres Bewusstsein für den Klimawandel herbeiführen. Einen Anteil daran hätte dann sicherlich auch die 16-jährige schwedische Schülerin Greta Thunberg, die durch ihren „Schulstreik fürs Klima“ und mit dem Hash- tag #FridaysForFuture eine riesige Welle von Schülerprotesten gegen die von der Politik zu wenig beachteten Verursacher der Erder- wärmung auslöste. Ihre Ansprachen kurz vor Weihnachten auf der Klimakonferenz in Katowice mit ihrem Aufruf „Klimawandel braucht Politikwandel“ und ihre Rede auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos erregten weltweit Aufmerksamkeit. Mit einer Hommage erweisen wir Ludwig Mies van der Rohe pas- send zum Bauhaus-Jubiläum unsere Reverenz: FSB 1267 ist Es ist nur zu hoffen, dass ziviler Ungehorsam dabei nicht einfach ein Replikat eines originalen Türdrückers von in Form einer sich zunehmend mobilisierenden Mies van der Rohe aus dem Haus Lemke in Berlin. Vielmehr folgt Bürgerbewegung ausreicht, um den massiven unsere Interpretation den formalen Intentionen seiner Urahnen wirtschaftlichen Interessen entgegenzuwirken und verknüpft sie mit den Anforderungen der zeitgenössischen und um den baldigen Ausstieg fossil basierter Architektur. Entstanden ist eine Türdrückerfamilie von besonderer Eleganz und hoher Ausdruckskraft. Energie nicht nur im Bauwesen zu bewirken, damit das im „Planet der Habenichtse“ be- schriebene Szenario eine Utopie bleibt. Es gilt zu retten, was noch zu retten ist. www.fsb.de/1267 fsb_anz_1267_101,6x125,5_fuer-rechte-seite.indd 1 15.02.19 17:52
ÜBER HEISSE HÄUSER das Quartier und die Stimmung nicht noch Andreas Grabow mehr aufheizen. Gleichzeitig tönen heiße Rhythmen aus dem Radio, und die Politik Wenn Häuser heiß oder zu heiß sind, liegt es zumeist am heißen verspricht den Neubau von mehreren 10.000 Sommer, am Klimawandel, am defekten Sonnenschutz oder der neuen Wohnungen. nicht einregulierten Lüftungsanlage. Oder vielleicht auch an der Fehlbedienung durch die Nutzer. Ich aber denke dabei gleich an Ich würde gerne heiße Häuser bauen; heiß den Vorwurf eines Planungsfehlers, den wir als Architekten aktuell im Sinne von „packend“* und „spannend“* für fast alles bekommen. oder vielleicht auch „geil und sexy“*. Wir Architekten können das, man muss uns nur Denn wir hätten den Extremsommer natürlich voraussehen müs- lassen. Und ich wünsche mir dafür (nicht nur sen, ebenso sind wir verantwortlich für den Fehler des Sonnen- im Sommer) erträgliche und faire Arbeitsbe- schutzbauers und natürlich auch, wenn die Berechnungen eines dingungen, in denen Architekten nicht mehr TGA-Planers nicht korrekt waren und für die mangelnde Fähigkeit für die Fehler der anderen haften, sondern nur von Nutzern, den Sonnenschutz zu bedienen. Wir sind leider mitt- die Verantwortung für ihr eigenes Tun tragen lerweile so weit, dass selbst ein Bauamt des Freistaats Bayern dem müssen. Das wäre die eigentliche Arbeit der Architekten das Honorar kürzt, weil eine Firma auf die Anzeige Politik, ebenso wie eine Reformierung des eines Mangels nicht reagiert. Begründung: „Sie haften gesamt- öffentlichen Vergabewesens, unter dem schuldnerisch, Sie können das Geld ja bei der Firma einklagen.“ jetzt alle Beteiligten (Ämter, Planer, Firmen) Heiße Nummer, geehrtes Bauamt – oder besser Skandal! Insbeson- leiden. So würden wir wieder Qualität auf dere, wenn man als Auftraggeber im Rahmen der Verwaltungs- die Baustellen bekommen und sinnhafte und vereinfachung darauf verzichtet, Gewährleistungssicherheiten zu heiße Projekte realisieren können. Ansonsten vereinbaren. verbrennen wir uns bald und zwar nicht nur unsere Finger. Heiß wird es auch, wenn wir in Gemeinden gezwungen werden, statt Grün lieber Stellplätze zu bauen, die weit über den tatsäch- *Synonyme für „heiß“: lichen Bedarf hinausgehen und selbst „die Grünen“ für Auto und https://de.wiktionary.org Versiegelung stimmen, dafür aber Mobilitätskonzepte ablehnen, anstatt die in die Jahre gekommenen Stellplatzsatzungen zu novel- lieren. Da hilft nur noch, weißen Asphalt zu planen, damit sich 22
HEISSE LUFT, RAUSCH – EIN HASCHEN So oder so ähnlich könnte sie aussehen und NACH NICHTS sich anfühlen, die schöne neue Welt der so Michael Gebhard begeistert herbeigeschriebenen Flugtaxis, Überschallflieger, sprich der neuen Hypermo- Langsam hebt sich die Kabine vom Boden. Sie sitzen zu acht in bilität. Immer schneller, immer noch schneller ihren Ledersesseln, angeschnallt und gespannt. Von draußen ist ein von Ort zu Ort. Die Distanzen schrumpfen, Rauschen zu hören. Der Blick richtet sich nach unten auf die immer die Welt wird klein. Der Raum zwischen den kleiner werdenden Häuser, die Straßen, die Bäume. Sie gewinnen Orten, wo einstmals die Reise, der Weg zum an Fahrt, die Geschwindigkeit nimmt zu, das Rauschen auch. Es ist Ziel stattfand, ist nahezu aus dem Bewusst- bequem hier in der Kabine, hell, freundliches Ambiente, wohltem- sein verschwunden. Jetzt sind das nur noch periert mit unterschwelliger, leiser Musik. Die meisten der Passa- Räume, die schnellstens zu überwinden sind, giere fliegen zum ersten Mal – mit dem Taxi. Geiles Gefühl. In 15 die erfüllt sind vom Mobilitätsrauschen, den Minuten sind sie am Flughafen, wo sie ein Jet in die Welt bringt. Side Effects des Blitzreisens. In diesen Zwi- Noch sind sie gespannt und betrachten sehr aufmerksam die Welt schenräumen siedeln dann nur noch diejeni- unter sich. Beim zehnten Mal wird das wohl nicht mehr so sein. Es gen, die es sich anders nicht leisten können. wird selbstverständlich sein. Man wird sich wieder mehr auf sich Eine Art Mobilitätsproletariat aus Arbeitslosen, selbst und seine Geschäfte konzentrieren. jetzt Grundeinkommensbeziehern, Rentnern, Arbeitsunwilligen und wahrscheinlich Mi- Am Boden, in einem Garten, sitzt eine Familie, klassische Kon- granten. stellation, Mutter, Vater und Kinder. Großes Frühstück ist ange- sagt. Eines der älteren Kinder hat Geburtstag. Sie singen „Happy Woher, fragen wir uns, kommt sie nur diese Birthday“. Ein leises Rauschen nähert sich, schleicht sich allmählich Sucht, von Ort zu Ort zu ziehen, ruhelos in ihre Gehörgänge, wird lauter, schwillt an, soweit, bis das Lied Schönheit und Ruhe zu suchen und dabei unterbrochen werden muss, für ein, zwei Minuten, dann ist das Lärm und Unruhe im Übermaß zu erzeugen Flugtaxi vorbei und Ruhe kehrt wieder ein. Ruhiger Tag heute, sagt und zu verbreiten. Es ist wohl ein Getrieben- der Vater. War ja erst das zehnte dieser Dinger. Ein ruhiger Tag – in sein von immer neuen Ansprüchen, die medial der Zeit der Hypermobilität. Wir sehen, die Vorstellung von Ruhe ist verbreitet werden, von einer Anspruchsgier, relativ. Ruhe, wie wir sie verstehen, war gestern. Heute zählt Mobi- die geil macht auf immer „Neues“. Eine lität. Wer Ruhe will ist ein Loser. Einer, der sich keine Hypermobili- unglaubliche Konditionierung von Massen, tät oder einen ruhigen Wohnort leisten kann. wie sie sich mancher Diktator sehnlichst 23
gewünscht hätte. Und da dieses „Neue“ auch nicht mit Ruhe und diese Geräte legt nahe, dass zu Fuß gehen Gründlichkeit betrachtetet werden kann, wird die Verweildauer wohl krank macht oder stigmatisiert. Nur was am Sehnsuchtsort immer kürzer. Selfie hier Selfie dort, und schon fährt und rollt und Räder hat und in Zukunft geht es weiter. Irgendwo auf der Welt wartet schon wieder ein vielleicht auch noch schwebt, scheint der neues Ziel, ein weiteres „must see“. Der kürzlich bekannt gewor- Beachtung wert zu sein. Der Rest wieder für dene Fall des kleinen Gasthauses in den Schweizer Bergen, das die Loser. aufgrund medialer Präsenz von Touristen so überrannt wurde, dass der Wirt beschloss aufzuhören, spricht Bände, ebenso wie der jetzt Nun ist es nicht so, dass diejenigen, die sich beschlossene Eintritt für Venedig oder die Überflutung von Hall- diesem Rausch hingeben, nur sich selbst ge- statt in Oberösterreich, ein Ort mit 770 Einwohnern und derzeit genüber verantwortlich sind, nach dem Motto ca. 900.000 Besuchern pro Jahr, Amsterdam, Barcelona und viele mein Rausch gehört mir. Nein, so ist es nicht, andere nicht zu vergessen. denn sie verändern das Klima, das Ambien- te in der Stadt. Wenn in einem begrenzten Was in der Luft gilt, macht vor dem Boden nicht halt. Wie die einen Raum die Mehrheit fährt und rollt und das mit durch die Welt ziehen, so ziehen die anderen durch die Stadt. Auch höheren Geschwindigkeiten als die Minder- hier macht sich langsam ein Mobilitätsüberangebot breit. Wa- heit, sprich die Fußgänger, dann führt das für ren es vor ein paar Jahren noch Segways, denen man eine große letztere zu einer deutlichen Einschränkung. Zukunft voraussagte, die sich Gott sei dank nicht eingestellt hat, Dann werden sie, aufgrund ihrer geringeren oder Leihräder der Firma o-bike, die Gott sei dank Pleite gegangen Geschwindigkeit, zu Hindernissen für die Mo- ist und mit deren Hinterlassenschaften die Städte gerungen haben bilen. Klingel hier, Quietschhupe da, besten- und teilweise noch heute ringen, so sind es aktuell gerade die E- falls noch eine Entschuldigung, bei Hinweisen Scooter genannten Elektroroller oder Hoverboards. Heißumkämpft den richtigen Fahrbereich zu benutzen, dann dabei der große deutsche Markt. Um die Genehmigung beim noch ein kräftiges du Arschloch, da freut man Kraftfahrtbundesamt wird gerade gekämpft. sich auf jede Begegnungszone. So ist das we- der ein erstrebenswerter noch ein erfreulicher Ein wahres Wundermittel sollen dieses Rollerchen und Boards Zustand: Spielball zwischen Autos, E-Bikes sein, sollen zu mehr Akzeptanz von öffentlichen Verkehrsmitteln und E-Skouter, Hoverboards und was den beitragen, weil man damit die letzten Meter, die scheinbar beson- Mobilitätsgenies sonst noch alles im Lauf der ders wichtig sind, fahrend überwinden kann. Wir hören es, doch Zeit einfallen mag. Die, die diese Geräte in die es fällt uns schwer, das zu glauben. Schon die Argumentation für Welt setzen, und gerne gesellschaftsfreund- 24
liche Argumente ihren Produkten andichten, Wo es darum ginge, vom Besitz gewisser Konsumgüter abzuraten, denen geht es nicht um einen Fortschritt für da denkt er nicht im Traum daran etwas zu tun. Lieber lässt er sich die Menschheit, denen geht es ums Geld. Wir, von den Unternehmen und den einfach zu weckenden Begehrlich- die wir nur deren Goldesel sind, wir müssten keiten seiner Bürger diktieren, was angeblich Fortschritt sein soll. uns besinnen auf das, was wir wirklich So wird man zum Getriebenen, zum Spielball von Kräften, die nur brauchen und das, was wirklich sinnvoll ist ihr eigenes Wohlergehen im Sinn haben und denen die Gesell- für uns und die Welt, in der wir leben. Das ist schaft komplett gleichgültig ist. natürlich ein schwieriger Prozess. Verzicht, ja Verzicht, das Unwort des 20. und 21. Jahr- Da sollten wir uns kurz in Erinnerung rufen, dass wir Angehö- hunderts steht hier auf der Agenda. rige einer, wie Yuaval Noahl Harari es kürzlich in seiner kurzen Geschichte der Menschheit (1) so deutlich ausgesprochen hat, „Wir denken selten an das, was wir haben, aggressiven und zerstörerischen Spezies sind. Einer Spezies, die aber immer an das, was uns fehlt.“ Dieses Verwüstung und Untergang über den Planeten gebracht hat und Zitat des Philosophen Arthur Schopenhauer bringt, wo immer sie auch auftaucht. Dem ist wenig entgegenzu- zeigt deutlich das Dilemma der menschlichen setzen. Leider. Umso mehr könnte es doch einfach Ansporn sein, Befindlichkeit. „Reich wird man erst durch mehr darüber nachzudenken, was man tut, also wem man als Dinge, die man nicht begehrt“, sagt Mahatma Konsument sein Geld gibt und was man damit bewirkt. Der Effekt Gandhi. Wie recht er hat, und wie weit sind mag zunächst klein sein. wir davon entfernt. Dem Reichtum des Ha- bens und Habenmüssens ist ein kurzes Glück Doch Vorbild verändert die Welt – im Guten wie im Schlechten. beschieden, auf den Moment des mittelbaren Besitzergreifens beschränkt. Die Leere da- (1) Yuaval Noahl Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit. Pantheon nach lässt sich nur durch die Sehnsucht nach Verlag, München 2013 Neuem füllen. Das ist nichts anderes als der Teufelskreis der Sucht. Dem Süchtigen aber muss geholfen werden, denn er ist krank, obwohl er es meistens nicht zugeben kann. Wäre hier nicht die Fürsorgepflicht des Staates gefragt? Mischt er sich doch sonst bei viel Unwichtigerem bereits in unser Leben ein. 25
ZU VIEL DER BRANDSÄTZE Eben: gar nicht gut. Blöd ist es ja nicht: Soll ich mich etwa als Monica Hoffmann kleiner Einzelner ins Zeug legen, wenn Politik und Wirtschaft im Großen mehr als zögerlich bzw. gar nicht handeln? Gleich vorweggenommen: Die menschen- gemachte Erderhitzung lässt mich nicht kalt, und ich leugne den Klimawandel auch nicht, Paradoxes Verhalten sondern tue einiges bzw. einiges nicht, um meinen Beitrag zu leisten, dass es nicht noch Deswegen spricht mir Matthias Horx – man mag ihn mögen oder schlimmer wird. nicht – aus der Seele, wenn er in einem Interview im Deutschland- funkt über die Gefahr der Hypermedialisierung des Themas spricht. Trotzdem kann ich die Klimahysterie, die Medien versuchten sich gegenseitig mit ihren apokalyptischen täglichen Warnungen vor dem Klimawandel Tönen zu übertrumpfen. Dieser Lärm um den Klimawandel führe und seinen bedrohlichen Folgen kaum noch dazu, dass die Menschen überfüttert seien, es gar nicht mehr aus- ertragen. Seit Mitte der 1980er-Jahre beschäf- hielten und mitunter ins Gegenteil, der Leugnung des Klimawan- tigt mich das Thema, erst beruflich und dann dels kippten. Da hat er Recht: das ist schlecht, denn die Zeit rennt privat. Doch grundlegend geändert hat sich in uns nun wirklich davon. den vergangenen 30 Jahren nicht wirklich et- was. Nur eines: Ich glaube, es traut sich kaum Matthias Horx sagt aber noch etwas Interessantes: Seine Studi- noch jemand von fünf vor Zwölf zu sprechen. en hätten ergeben, dass sich Menschen am intensivsten für die Es mag laut neurokognitver Forschung richtig Zukunft zwischen neun Monaten und zwei Jahren interessierten. sein, dass drohende Klimaschäden auf der Was also geht es uns an, wie es auf der Erde 2050 oder gar 2500 Erde immer wieder vermittelt werden müssen, aussehen wird und dazu noch in ganz anderen Erdteilen? Dass damit sie sich in unserem Gehirn festsetzen. alles mit allem zusammenhängt, haben wir ja inzwischen irgendwie Ändert das allein aber unser Verhalten? Zumal kapiert, aber diese allumfassende Dimension bleibt dann im Alltag fatal ist, dass auch die immer wieder sich doch ziemlich abstrakt. Auch deswegen wird im täglichen Leben gleichenden Betroffenheitsgesten und Ab- schlichtweg ignoriert, was wir wissen, zumal es uns natürlich auch sichtserklärungen in unserem Gehirn veran- noch kompromittiert. Die Gefahren sind uns bekannt, und wir tun kert werden, ohne dass Maßnahmen für den doch nichts. Da wird beispielsweise von den Enkeln schwadroniert, Klimaschutz spürbar in Schwung kommen. die doch auch noch ein gutes Leben auf der Erde haben sollten Wie soll unser Gehirn damit zurechtkommen? und chauffiert sie im SUV in die Schule. Verrückter geht es doch 26
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