Im Blickpunkt 2 - Dekanat Büren-Delbrück
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Im Blickpunkt 2 Literaturhinweise 17 Berichte und Nachrichten 28 Termine 48 Orgeln 64 Anschriften 66
Im Blickpunkt Zeit, in der der Ausdruck subjektiver gelvirtuosen Bruckner und Labor liegt sei „in die deutsche Kirchenmusik Befindlichkeit ästhetische Priorität es sicher nicht, sondern vermuthlich [...] wie ein Meteor“3 eingeschlagen, besaß, in Wirklichkeit einen Bären- an einem Mangel in meiner musika- beredtes Zeugnis: Wiewohl für die Paul Thissen dienst, wie aus den Worten des lischen Natur, dass ich längeren So- Orgel geschrieben, wurde die Kompo- Im Blickpunkt Im Blickpunkt Musiktheoretikers Adolf Bernhard lovorträgen auf der Orgel nicht stand sition weder kirchlicherseits initiiert, Orgel und Theologie ersichtlich wird; er empfand „die zu halten vermag. Für mich bleibt noch möchte sie einen wie immer Orgel als untheilnehmend, fremd ge- die Orgel das musikalische Organ der gearteten religiös-christlichen In- Die Orgel – das Instrument der Kirche gen das eigentliche Gemüthsleben“ Kirche, des Gottesdienstes, und auch halt transponieren. Dennoch ist die und bezeichnet sie schlussendlich hier ein Instrument des Präludierens Gleichsetzung von „Orgel“ und „Kir- „Die Orgel ist die Königin der Instru- als „das dogmatische Instrument, und Begleitens, das als selbständig che“ offensichtlich selbst für einen re- mente.“ Dieses berühmte Diktum so fest und unabänderlich und rück- auftretendes Concert-Instrument nommierten Konzertorganisten und geht den Meisten leicht über die sichtslos, wie das Dogma; sie ist der mich bald verwirrt und betäubt […].“2 einen der bedeutendsten Interpreten Lippen und findet wahrscheinlich rechte Diener der Kirche […]“1 Die von Kaum ein zweites Instrument ist also avantgardistischer Musik nicht über- auch allgemeine Anerkennung, aber: Marx hier formulierte Tatsache, dass über Jahrhunderte mit so eindeuti- windbar. Bemerkenswert ist auch die Machen wir uns nichts vor – die Orgel die eigentliche Heimat der Orgel die gen Assoziationen, so exklusiv mit Verwunderung, der Daniela Philippi und die für sie komponierte Musik Kirche ist, begründet hinlänglich die der Vorstellung eines bestimmten angesichts der Tatsache, dass die haben es außerhalb, aber auch in- Distanz, mit der zahlreiche, nicht Raums, eines Handlungskontextes, Uraufführung von Mauricio Kagels nerhalb kirchlicher Kontexte oft nicht zugleich auch als Organisten tätige einer religiösen Haltung verbun- Improvisation ajoutée, György Ligetis leicht gehabt, und spätestens nach Komponisten seit der zweiten Hälfte den wie die Orgel. Bis in die letzten Volumina und Bengt Hambræus Con- dem Tod Johann Sebastian Bachs des 18. Jahrhunderts dem Instrument Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts stellationes 1962 in Bremen „in keiner drohte das „königliche“ Instrument begegnen, und im 19. Jahrhundert war die Vorstellung von „Orgel“ als Kirchenmusikzeitschrift Berücksich- sogar der Bedeutungslosigkeit an- schließlich wurde sie allen Bestrebun- instrumentale Repräsentanz von tigung fand“4, Ausdruck verleiht. Hier heim zu fallen. Diejenigen, die der gen zum Verhängnis, die die Orgel Kirche und Gottesdienst so selbstver- stellt sich die Frage: Warum sollte Orgel, nachdem sie ab der zweiten im Konzertsaal etablieren wollten. ständlich, dass selbst renommierte eine kirchenmusikalische Zeitschrift Hälfte des 18. Jahrhundert an die äu- Zeuge hierfür mag der Musikkritiker Organisten, wenn man es einmal darüber berichten? Weil es sich um ßere Peripherie des kompositorischen Eduard Hanslick sein, der einmal mit etwas provozierend formulieren Orgelkompositionen handelt? Weil Interesses und der musikalischen einem Schuss ironisierender Selbst- darf, in die Konnotationsfalle tap- sie in einer Kirche erklangen? Auch Entwicklung geriet, etwas Gutes tun kritik schrieb: „Auch die Orgel wird pen und „ihr“ Instrument reflexartig Philippi vermag im Fall von „Musik wollten, betonten ihre im Gegen- Mode in unseren Concerten. An den mit „Kirche“ oder „Kirchenmusik“ satz zur Subjektivität des Klaviers 3 Gerd Zacher, Meine Erfahrungen mit beiden rühmlichst anerkannten Or- in Verbindung bringen. Davon gibt der „Improvisation ajoutée“, in: Werner stehende Objektivität, das Über- Gerd Zachers Einlassung, Mauricio Klüppelholz (Hg.), Kagel..../1991, Köln 1991, S. Persönliche, das den individuellen 1 Marx, Adolf Bernhard: Die Lehre von der Kagels Stück Improvisation ajoutée 136-154, hier: S. 136. musikalischen Komposition, praktisch- Emotionen gegenüber gleichgültig theoretisch, zum Selbstunterricht oder 2 Eduard Hanslick, Virtuosen, in: ders., 4 Daniela Philippi, Neue Orgelmusik. Werke Erhabene des Orgelklangs, erwiesen als Leitfaden bei Privatunterweisung und Concerte, Komponisten und Virtuosen der und Kompositionstechniken von der dem Instrument damit aber in einer öffentlichen Vorträgen Bd. 4., Leipzig 1837, S. letzten fünfzehn Jahre. 1870-1855. Kritiken, Avantgarde bis zur pluralistischen Moderne, 22f. Berlin 1886, S. 352-357, hier S. 356. Kassel usw. 2002, S. 140. 2 3
für Orgel“ nicht der Assoziation „Kir- einem Punkt sublimiert“ worden, „an zierte teils heftige Gegenreaktionen. fähig sein sollte. che“ zu entkommen, obwohl die ent- dem sie begann, zur reinen Idee sich So schrieb der Literat und Orgelbauer Die Orgel – ein Instrument im Dienst sprechenden Werke dezidiert nicht zu transferieren“6). So hoffte Max Hans Henny Jahnn 1922: „Ich muss der Liturgie in kirchenmusikalischen Kontexten Reger – nachdem Franz Liszt das im mich auf die Meinung zurückziehen, Im Blickpunkt Im Blickpunkt stehen, ja sich eher davon distanzie- bürgerlichen Konzertwesen beheima- die ich von dem Instrument Orgel Nachdem in einem ersten Abschnitt ren wollen. Hier bestätigt sich die tete Virtuosentum mit einem Werk habe. Ich fasse sie auf als einen Or- die assoziative Verknüpfung von Richtigkeit der von Carl Dahlhaus in wie Ad nos ad salutarem undam auf ganismus zur Hervorbringung musi- „Orgel“ und „Kirche“ kursorisch der seinem Referat „Moderne Orgel- die Orgel übertragen, Charles Ma- kalischer Klänge, die als irdischer Leib betrachtet wurde, soll nun das musik und das 19. Jahrhundert“ sich rie Widor sie mit der eher säkulare die Seele ewiger Musiken aufnehmen innerkirchlich-theologische Verhältnis anschließenden Diskussion geäu- Kontexte assoziierenden Gattung sollen. Die Musik, der ich sie unterge- zu Orgel, Orgelmusik und Orgelspiel ßerten Ansicht, „daß eine Funktion „Symphonie“ bedacht und Anton ordnet fühle, ist kultisch, deshalb ist thematisiert werden. Dass dabei der der Orgel, die liturgische, zu einem Bruckner nicht nur über Themen aus der Platz der Orgel an einer Kultstätte Darstellung von Positionen innerhalb Charakterzug geworden ist, den man Wagner-Opern, sondern auch über zu denken. Ich habe mich für Cabe- der katholischen Kirche ein breiterer als geistlich bezeichnen kann, und patriotische Gesänge wie Die Wacht zon, für Merulo, für Scheidt und wie Raum zukommt, ist einzig der hier im daß es einer bewußten Anstrengung am Rhein improvisiert hatte –, wie sie alle heißen mögen, entschieden, Vergleich zur evangelischen Kirche bedarf, Orgelmusik als profane Musik er in einem Brief schreibt, zeigen zu und nicht für die gottlose Musik, die vorhandenen Überzahl kodifizierter, zu hören [...].“5 Die über Jahrhunderte können, „daß die Orgel nicht nur ein in dem Schaffen der vergangenen allgemeingültiger Bestimmungen hinweg geltende Bindung, ja Fesse- Kircheninstrument ist, sondern auch Jahrzehnte entstanden ist.“9 Und geschuldet. lung der Orgel an ganz bestimmte Konzertinstrument ersten Ranges“7. Hermann Keller suchte 1926 einen Funktionen innerhalb des Kultus der Eine solchermaßen vollzogene Pro- Kompromiss, indem er den unter- Zunächst ein kurzer Blick in die weiter christlichen Kirchen kann ihre Wirk- fanierung der Orgel wurde allerdings schiedlichen Sphären eigenständi- entfernte Vergangenheit: Die Orgel mächtigkeit bis auf den heutigen – keinesfalls nur in Kirchenkreisen gen Orgeltypen zuordnete, die er als ist es, die seit etwa tausend Jahren Tag entfalten, trotz verschiedener – „als Entfremdung der Orgel von „Kult-Orgel“ und „Konzert-Orgel“ be- das bevorzugte Instrument der Kirche Versuche der Grenzüberschreitung ihrem Wesen empfunden“8 und evo- zeichnete, wobei die Komposition für darstellt. Natürlich ist die Verbindung vor allem ab dem 19. Jahrhundert erstere sich „mit strengster Betonung von Orgel und Liturgie nicht, wie 6 Arnfried Edler, Gattungen der Musik für (zu denken wäre aber auch an Bachs des Überpersönlichen“ sich allen die Lektüre mancher kirchlicher Tasteninstrumente, Teil 1 (Handbuch der große Choralbearbeitungen der Cla- musikalischen Gattungen hg. von Siegried „Ausdrucks“ enthalten, letztere da- Verlautbarungen vermuten lässt, vierübung III., über die Arnfried Edler Mauser, Bd. 7,1), Laaber 1997, S. 97. gegen zu „rücksichtsloser, raffinierter etwas gleichsam Gottgegebenes, so treffend urteilte, „die Gattung 7 Max Reger, Brief an Gustav Beckmann Steigerung eben dieses Ausdrucks“10 vielmehr basiert sie auf einer zur Choralbearbeitung“ sei „hier bis zu vom 15. 1. 1900, in: Adalbert Lindner, Max Konvention verfestigten Tradition. Reger. Ein Bild seines Jugendlebens und 9 Hans Henny Jahnn, Die Orgel und die Die Geschichte der Orgel reicht bis Mixtur ihres Klanges, in: ders., Schriften zur 5 Orgel und Orgelmusik heute. Bericht über künstlerischen Werdens, Stuttgart 1923, S. in die griechische Antike zurück. 269. Kunst, Literatur und Politik, 2 Bde., Hamburg das Erste Colloquium der Walcker-Stiftung 1991, Bd. 1, S.437-470, hier: S. 437. Im weströmischen Reich geriet für orgelwissenschaftliche Forschung, 8 Carl Dahlhaus, Moderne Orgelmusik das Instrument im 5. Jahrhundert 25.-27. Januar 1968 auf dem Thurner im und das 19. Jahrhundert, in: Orgel und 10 Bericht über die Freiburger Tagung für Deutsche Orgelkunst vom 27. bis 30. Juli in Vergessenheit, wohingegen Schwarzwald, hg. von Hans Heinrich Orgelmusik heute (wie Anm. 5), S. 37-54, Eggebrecht, Stuttgart 1968, S. 61f. hier: S. 39. 1926, hg. von Willibald Gurlitt, Ausgburg es im oströmischen Reich als 1926 (ND Kassel 1970), S. 130. 4 5
Ausdruck besonderer Exklusivität Mensch in der Orgelallegorie12 in Von einer solchen durchaus „im Dienste [Hervorhebung orig.] des byzantinischen Kaiserhofes Athanasius Kirchers Musurgia veritablen Theologie der Orgel und der Liturgie steht, muß sie sich in hohen Ehren gehalten wurde. universalis sive Ars magna des Orgelspiels ist die katholische deren Anliegen zueigen machen.“18 Im weströmischen Reich fand die consoni et dissoni13 und anderen Kirche weit entfernt geblieben, was Unter dieser Prämisse kann das Im Blickpunkt Im Blickpunkt Orgel wieder Verbreitung, nachdem zeitgenössischen Texten14 erfährt, hat nicht zuletzt aus der grundsätzlichen Ziel allen künstlerischen Tuns König Pippin im 8. Jahrhundert vom im theologischen Diskurs zu keiner Einstellung zur Aufgabe der in liturgischen Kontexten einzig byzantinischen Kaiser eine Orgel Zeit manifest werden können. Gott Künste in der Liturgie resultiert. „die Verherrlichung Gottes und geschenkt bekam – ein Ereignis fungiert in Kirchers Schrift nicht nur Entscheidendes Kriterium für die die Heiligung des Menschen“19 übrigens, das Notker Balbulus als der Erbauer einer als Emblem der Werke der schönen Künste, die, „mit sein. Das ganze 20. Jahrhundert auf Karl den Großen verschob, göttlichen Schöpfung fungierenden gutem Recht unter die vornehmsten hindurch werden päpstliche um so den Zusammenhang von „Welt-Orgel“15, sondern zudem auch Betätigungen der schöpferischen und bischöfliche Dokumente zur Repräsentationsfunktion der Orgel als der Spieler dieses Instruments16. Anlage des Menschen gezählt Kirchenmusik nicht müde, immer und Kaisertum zu unterstreichen. werden“17, sind aus der Perspektive und immer wieder den solchermaßen Offenbar über den Musikunterricht 12 Wolfgang Ruf, Athanasius Kirchers der Theologie nicht ästhetische funktionalen Charakter der „Decachordon naturae“: Die Orgel als an den Klosterschulen fand sie oder stilistische Maßstäbe, Kirchenmusik – Kurzschenkel erhebt Symbol der Welt, in: Susanne Schaal,/ dann Eingang in die Liturgie der Thomas Seedorf / Gerhard Splitt (Hg.), vielmehr gehört zur grundlegenden ihn zum „oberste[n] Gesetz“20 – zu Kirche, war aber, wohl im Wissen Musikalisches Welttheater. FS Rolf Bestimmung kirchlicher Kunst ihre unterstreichen (was aber nicht um ihre Herkunft, durchaus nicht Damman, (= Freiburger Beiträge zur Dienstfunktion. „Da die Kunst“, so verhindern konnte, dass, worauf unumstritten. So hieß 1287 die Musikwissenschaft, hg. von Hermann Winfried Kurzschenkel, der Verfasser zuletzt Jan Assmann noch einmal Danuser, 3), Laaber 1995, S. [115]-135. Synode von Mailand die Orgel als der ersten und bis heute einzigen hingewiesen hat21, dass der Kult einziges Gottesdienstinstrument 13 Athanasii Kircheri [...] Musurgia Universalis grundlegenden Untersuchung zum keiner anderen Religion so unendlich gut, während das Generalkapitel zu sive Ars Magna consoni et dissoni in X libros Verhältnis von Musik und Theologie, zahlreiche Werke mit hochartifizieller digesta, Rom 1650 (ND Hildesheim/Ney York Ferrara 1290 das Orgelspiel verbot. Im 1970). die als katholisches Pendant zu Oskar Faktur generieren konnte wie der Laufe der Jahrhunderte erlangte die Söhngens Theologische Grundlagen christliche Gottesdienst). Im Motu 14 Moritz Kelber, Leviathan: Die Orgel als Orgel jedoch nicht nur einen festen Herrschaftsinstrument, in: Mth 34 (2019), S. der Kirchenmusik (1961) gelten darf, Proprio Tra le sollecitudine (22.11.1903) Platz als Kircheninstrument, vielmehr 83-94. z. B. schreibt Papst Pius X. (1903-1914): galt sie auch als „die fürnembste“11 15 „Gleich wie [...] ein Werckmeister, der eine Kircher, zitiert nach:Wolfgang Ruf, Kirchers unter den Instrumenten. Die Orgel zurüsten will [...] hat Gott diese „Decachordon“, S. 131. 18 Winfried Kurzschenkel, Die theologische Wertschätzung aber, die das grosse Welt-Orgel nach seiner Wunder- 17 II. Vatikanisches Konzil, Konstitution Bestimmung der Musik. Neuere Beiträge Instrument „Orgel“ gleichermaßen Weisheit, gleichsam als ein consono- über die heilige Liturgie „Sacrosanctum zur Deutung und Wertung des Musizierens dissonum zugerichtet [...].“ Athanasius Concilium“ vom 4.12.1964, Nr. 122, zitiert im christlichen Leben, Trier 1971, S. 212. wie der dieses Instrument spielende Kircher, zitiert nach: Wolfgang Ruf, Kirchers nach: Karl Rahner/Herbert Vorgrimler 19 Ebd., S. 210. „Decachordon“ (wie Anm. 12), S. 131. (Hg.), Kleines Konzilskompendium. 20 Ebd., S. 212. 11 Michael Praetorius, Syntagma musicum II. 16 „Wie Gott der allweise Schöpfer in den 6 Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums ND der Ausgabe Wolfenbüttel 1619, hg. und Tagwercken, mit den Creaturen, wie ein mit Einführungen und ausführlichem 21 Jan Assmann, Kult und Kunst. Beethovens mit einer Einführung versehen von Arno verständiger Organist, gantz wunder- Sachregister, Freiburg i. Br. 231991, S. 51-90, Missa solemnis als Gottesdienst, München Forchert, Kassel usw. 2001, S. 87. weislich gespielet hat.“ Athanasius hier: S. 87. 2020, S. 20. 6 7
„Überhaupt muss man es als sehr finden, erschwerend hinzu, dass sie ihr besitze „die Kirche ein eigenes in der gerade schon genannten schweren Missbrauch verurteilen, aufgrund der von der Kirche auch aus alter Zeit überkommenes Konstitution Divini cultus sanctitatem wenn bei den kirchlichen Feiern nach der Emanzipation der „reinen“ Instrument“26. Hierauf greift schreibt Pius XI: Sollte der Chor die Liturgie als zweitrangig und Instrumentalmusik rigoros aufrecht die Liturgiekonstitution des II. schweigen, könne die Orgel „nach Im Blickpunkt Im Blickpunkt gleichsam im Dienste der Musik erhaltenen Vorrangstellung einer Vaticanums zurück: „Die Pfeifenorgel den gegebenen Vorschriften stehend erscheint. Vielmehr ist die mit dem Wort verbundenen Musik soll in der lateinischen Kirche als anmutige Klänge [was auch immer Musik lediglich ein Teil der Liturgie als der Vokalmusik nachgeordnet, traditionelles Musikinstrument in das sei] ertönen lassen.“29 Die Orgel und deren schlichte Dienerin.“22 ja gleichsam als exterritoriale hohen Ehren gehalten werden; denn dient in der Liturgie der katholischen Die Konstitution über die heilige Gebilde angesehen werden. ihr Klang vermag den Glanz der Kirche also entweder lediglich der Liturgie Sacrosanctum Concilium Belegbar ist dies mit dem Kapitel kirchlichen Zeremonien wunderbar Begleitung des Gemeindegesangs vom 4.12.1963 knüpft hieran nahtlos „Orgel und Musikinstrumente“ aus zu steigern und die Herzen (in diesem Zusammenhang sei an, und noch die Instruktion Tra le sollecitudini, in welchem die mächtig zu Gott und zum Himmel daran erinnert, dass Helmut Liturgiam authenticam vom 28. Vokalmusik expressis verbis als emporzuheben.“27 Diese Aussage Bornefeld die Gemeindebegleitung März 2001 hebt ausdrücklich hervor, die „eigentliche Musik der Kirche“24 wird zwar immer wieder zitiert, als „kümmerliche Restfunktion“ der dass die Musik sich der Liturgie bezeichnet wird. Dem folgt auch besonders gerne in Festschriften zu Orgel verstand30) bzw. des Chors dienend unterzuordnen habe23. die Liturgiekonstitution des II. Orgelweihen, darf aber keinesfalls oder aber als bloßer Lückenfüller, In diesem Gesamtkontext kommt Vaticanums: „Die überlieferte darüber hinwegtäuschen, dass als probates Mittel gegen den für die Orgel und das Orgelspiel, Musik der Gesamtkirche stellt einen bereits Pius XI. im o. g. Motu akustischen horror vacui. Exempla sofern sie denn in den kirchlichen Reichtum von unschätzbarem Wert proprio der Orgel vornehmlich classica sind die auch in „Musicam Dokumenten überhaupt Erwähnung dar [...], weil sie als der mit dem eine Begleitfunktion zuspricht. sacram“ genannten Stellen31: der 22 Papst Pius X., Motu proprio über die Wort verbundene gottesdienstliche Die nachkonziliare Instruktion der Introitus, die Kommunionausteilung Erneuerung der Kirchenmusik „Tra le Gesang einen notwendigen und Ritenkongregation über die Musik in oder aber der große Auftritt post sollecitudini“ (22.11.1903), Nr. 23, zitiert integralen Bestandteil der feierlichen der Liturgie Musicam sacram (1967) festum, dann nämlich, wenn das nach: Hans Bernhard Meyer / Rudolf Liturgie ausmacht“.25 formuliert ganz ähnlich: „Sowohl „Ite, missa est“ gesprochen ist, die Pacik (Hg.), Dokumente zur Kirchenmusik. bei der Missa in cantu wie bei der Menschen also unter mehr oder Unter besonderer Berücksichtigung des In der Konstitution Divini cultus deutschen Sprachgebietes, Regensburg Missa lecta darf die Orgel [...] zur weniger lauter Unterhaltung den sanctitatem vom 20.12.1928 hebt Pius 1981, S. 23-34, hier: S. 33. Begleitung des Sängerchores und Musik in der heiligen Liturgie „Musicm XI. die Rolle der Orgel hervor; mit 23 Karl-Heinz Selge, Der Kirchenmusiker. des Volkes benutzt werden.“28 Und sacram“ vom 5.3.1967, VIII./65., zitiert nach: Amtsträger in der Kirche im spezifischen Hans Bernhard Meyer / Rudolf Pacik (Hg.), 26 Pius XI., Apostolische Konstitution „Divini 24 Pius X., „Tra le sollecitudini”, zitiert nach: Dokumente zur Kirchenmusik, S. 175. Dienst an der Verkündigung und Heiligung, cultus sanctitatem“ vom 20.12.1928, VIII., Hans Bernhard Meyer / Rudolf Pacik (Hg.), in: Rüdiger Althaus, Franz Kalde, Karl-Heinz zitiert nach: Hans Bernhard Meyer / Rudolf 29 Pius XI., „Divini cultus sanctitatem”, zitiert Dokumente zur Kirchenmusik (wie Anm. Selge (Hg.), Saluti hominum providendo. Pacik (Hg.), Dokumente zur Kirchenmusik, S. nach: ebd., S. 42. 22), S. 31. FS für Offizial und Dompropst Dr. Wilhelm 35-44, hier: S. 42. 30 Helmut Bornefeld, Mein Orgel-Credo, in: Hentze (= Beiheft 51 zum Münsterischen 25 „Sacrosanctum Concilium“ (wie Anm. 17), 27 „Sacrosanctum Concilium“, 120, zitiert Württembergische Blätter für Kirchenmusik Kommentar zum CODEX IURIS CANONICI 112, zitiert nach: Hans Bernhard Meyer nach: ebd., S. 140. 43 (1976), S. 221-241, hier: S. 241. herausgegeben von Klaus Lüdicke), Essen / Rudolf Pacik (Hg.), Dokumente zur 2008, S. [308]-340, hier: S. 320. Kirchenmusik, S. 138. 28 Ritenkongregation, Instruktion über die 31 S. Anm. 28. 8 9
Kirchenraum verlassen – für das vergangenen Jahrhunderten vor Im Vorfeld des II. Vaticanums hat ihres spekulativen Charakters an Jo- Würzburger Domkapitel übrigens allem komponierende Organisten Papst Johannes XXIII. einen Vortrag hannes Tinctorisʼ Complexus effectum Grund genug, die dortige Domorgel bereit waren, bei der Konzeption von zu Orgel und Orgelmusik in der Li- musices (um 1472-1475) erinnernden mit einer recht umfangreichen Orgelmusik für die Liturgie bis an den turgie gehalten, der einerseits auf Gedanken, kaum verschleiern, dass Im Blickpunkt Im Blickpunkt Trompeteria aufzurüsten, biete diese Rand der Selbstaufgabe zu gehen Augustinus abhebt, der aufgrund ih- der Orgel keine Aufgabe zugeordnet doch, so ist in einer einschlägigen – was z. B. aus den einschlägigen res Aufbaus die Orgel als Bild für der ist, die mit dem Rang des Chorge- Publikation zu lesen, die Gewähr, dass Werken Frescobaldis erhellen mag, Einheit in der Vielheit und damit als sangs oder gar des Gregorianischen auch bei einem „starke[n] Anwachsen der die Begrenzung durch liturgische Symbol der Kirche und der örtlichen Chorals vergleichbar wäre. Schlus- des Geräuschpegels [...] besonders Zwänge einkalkulierte und deshalb Gemeinde deutete, andererseits die sendlich bleibt zu konstatieren, dass beim Verlassen des Domes“ der im Vorwort zu den Orgelmusik Wirkung der Orgel auf die versam- es in der katholischen Theologie keine „imperiale[n] Glanz einer Domorgel“32 für die Messe enthaltenden Fiori melte Gemeinde thematisiert: „Beim Definition zur liturgischen Funkti- gesichert bleibt. Der französische musicali (Venedig 1635) festhielt, die Vollzug der heiligen Handlungen on der Orgel gibt; eine solche kann Organist und Musikwissenschaftler Organisten könnten „die Canzonen wird die Orgel zur Interpretin ge- auf der Basis der Beschreibung der Norbert Dufourcq konnte also bei den Cadenzen abschließen, die meinsamer Empfindungen, bringt Aufgaben der Orgel im Gottesdienst mit gutem Grund schreiben, in Ricercare auch, wenn sie ihnen zu sie die hehren und heiligen ínneren allenfalls umrissen werden. Dem der nachkonziliaren Liturgie habe lang vorkommen“34 –, dürfte die von Bewegungen zum Ausdruck. Ver- korrespondiert, dass es sowohl vor als „die Orgel das Recht, Löcher zu Dufourcq beschriebene Situation, die mittels ihrer Harmonien dringen die auch nach dem II. Vaticanum ebenso stopfen: sie interludiert ein wenig man durchaus mit dem Schlagwort Anregungen, die von der heiligen wenig eine Theologie der Orgel gibt, beim Einzug, beim Offertorium von der Normativität des Faktischen Handlung ausgehen, geheimnisvoll sondern allenfalls wohlmeinende, und bei der Kommunion, soweit belegen darf, den bei einem Großteil in die Tiefen der Seele ein: Bewunde- letztlich aber eher blumig anmu- nicht auch diese Stellen mit Gesang der ab der zweiten Hälfte des rung für die Tugenden oder Verlangen tende Gedankenspiele wie die o. g. ausgefüllt werden. Erst wenn die 20. Jahrhunderts publizierenden danach, Sehnsucht nach Läuterung aus der Feder Johannes XXIII. Dass in Gläubigen die Kirche verlassen, wird „großen“ Komponisten ohnehin oder innerer Umkehr, Wunsch nach Kurzschenkels umfangreicher Unter- ihr die Freiheit gelassen, mit dem schon vorhandenen deutlichen innigerer Gemeinschaft mit Gott, suchung lediglich knapp zwei Seiten Stuhlgeklapper zu konkurrieren. Im Widerstand gegen eine Eifer im Kampf gegen das Böse, Vor- dem Orgelspiel gewidmet sind37 und Gotteshaus und bei der Liturgie ist nennenswerte Auseinandersetzung geschmack von himmlischer Seligkeit die Orgel einzig innerhalb der vier Sei- die Orgel also nur noch Requisit, mit der Orgel befördert haben.35 der Gnade.“36 Trotz der hier zumin- ten zur „Instrumentalmusik“ Erwäh- bestenfalls architektonisches (1973), S. 359-364, hier: S. 359. dest oberflächlich aufscheinenden nung findet38, ist mehr als symptoma- Schmuckstück.“33 Während in Wertschätzung können solche, ob tisch. So kann der spanische Priester 34 Girolamo Frescobaldi, Fiori musicali: Al 32 Paul Damjakob, Überlegungen zur lettore, in: ders. Orgel- und Clavierwerke, und Musikwissenschaftler Higino strikt verweigert, darf hier als die berühmte Disposition der Würzburger Domorgel, in: hg. von Christopher Stembridge, Bd. 4, Ausnahme gelten, die die Regel bestätigt. Anglès mit Fug und Recht konstatie- Die Würzburger Domorgeln. hg. von Hans Kassel usw. (Bärenreiter BA 8415), 2019, S. 1. ren, dass in katholischen Kontexten 36 Giovanni XXIII, Discorsi, Messaggi, Colloqui, Gerd Klais, Frankfurt a. M. 1970 S. [113]-114, 35 Olivier Messiaen, dessen komplexen Bd. IV, Vaticano 1963, S. 549, zitiert nach: die Orgel als bloßes Akzidens gesehen hier: S. 113. theologischen Inhalten verpflichtete Winfried Kurzschenkel, Die theologische 33 Norbert Dufourcq, Orgel und Orgelmusik hochbedeutsame Orgelschaffen sich 37 Ebd., S. 231-233. Bestimmung der Musik (wie Anm. 18), S. im heutigen Frankreich, in: Musica sacra 93 jeglicher Form von sog. Umgangsmusik 232. 38 Ebd., S. 560-564. 10 11
wird: „Bei uns Katholiken bildet die und ein gewisser sozialer Status des bracht werde“42 Dennoch ist nicht zu wirkt auch noch in der Allgemeinen Orgel und ihre Musik nie einen ei- Organisten einhergeht, wohingegen übersehen, dass auch in der evange- Dienstanweisung für Kirchenmusiker gentlichen liturgischen Akt, während Johannes Paul II. eine unmissver- lischen Kirche ein dezidiert funktio- in Bayern fort: „Das Orgelspiel des in der protestantischen und angli- ständliche, mit klarer Grenzsetzung nales Verständnis von Orgel und Or- Kirchenmusikers muss an der Liturgie Im Blickpunkt Im Blickpunkt kanischen Kirche die Orgel und ihre des künstlerischen Agierens ver- gelmusik lange dominierte. In seinem ausgerichtet sein. Für die Einleitung Kunst häufig einen liturgischen Akt bundene Einordnung des Kirchen- 1927 gehaltenen Grundsatzreferat des Gemeindegesangs verdient die darstellen. Daher kommt es, daß die musikers in das Hierarchiegefüge „Orgel und Liturgie“ billigte Christ- melodiegebundene Orgelmusik den Orgel innerhalb der protestantischen der katholischen Kirche vornahm: hardt Mahrenholz der Orgel zwar Vorzug. Freie Orgelmusik muss sich Liturgie immer eine viel größere Rolle „Der Dienst des Kirchenmusikers die „Ausführung selbständiger got- der jeweiligen Gestalt des Gottes- gespielt hat als im katholischen Got- ist kein autarkes, freischaffend- tesdienstlicher Aufgaben“43 zu, dies dienstes einfügen und darf in ihrer teshaus, in welchem die Orgel nur künstlerisches Wirken, sondern es ist aber nur unter der Voraussetzung der Ausführung den gottesdienstlichen eine begleitende Funktion inne hatte, eingefügt in die Liturgie, verantwort- Unterordnung unter das liturgische Rahmen nicht sprengen.“45 Seit etwa eben den Kult zu verschönern und die lich-weisungsbefugt geleitet vom Geschehen und vornehmlich choral- 30 Jahren ist in der Praktischen Theo- Liturgie feierlicher zu gestalten.“39 zelebrierenden Priester.“41 Um einmal gebundener Musik. Ganz ähnlich for- logie vor allem der Evangelischen Kir- Anders als in der katholischen Kir- ganz plastisch vor Augen zu führen, muliert es einige Jahre später Adolf che mit der sog. „ästhetischen Wen- che wird, wie Anglès andeutet, der was das bedeutet: Wenn der Zele- Strube: „Die gottesdienstliche Wirk- de“ der zur Funktionalität zwingende Orgel im Luthertum die „Entfaltung brant – wie im Erzbistum Paderborn samkeit der Orgel muß an der Liturgie Würgegriff gelockert worden, so dass zu einer autonomen Kunst im Sin- geschehen – anordnet, das „Gloria“ orientiert sein. Die Orgel hat keine ei- die Einsicht Raum gewinnen konn- ne des neuzeitlichen Kunstbegriffs sei im Tutti der Orgel zu begleiten, telselbstherrliche, sondern dem Gan- te, eine „zu starke ‚Verkirchlichung‛ ermöglicht“40, womit zugleich eine hat der Organist dies, wie unange- zen dienende Aufgabe, vornehmlich der Kirchenmusik“ schade sowohl fest umrissene liturgische Funktion messen es auch sei, auszuführen. die der Verbreitung und Begleitung der Musik, da sie „diese der ästheti- Demgegenüber wird in der evange- des Gemeindegesanges. Alle übrige schen Eigenständigkeit und Vielfalt“ 39 Das Alte und das Neue in der heutigen lischen Kirche gottesdienstliche Or- selbständige Orgelmusik muß sich beraube, „als auch der Kirche, weil Orgelmusik und die Vereinigung der gelmusik, so Christoph Albrecht, als ebenfalls dem Gottesdienst einfügen durch die Beschneidung der eigenen Christen, in: Kongreßbericht Bern 1961, Bern 1964, S. 9-14, hier: S. 12. „sacrificium laudis“ verstanden, „das in seiner jeweiligen Gestalt. Cantus- musikalischen Entfaltung besonders vom Organisten als dem Träger eines firmus gebundene Musik hat dabei Wege und Ziele der kirchenmusikalischen 40 Arnfried Edler, Die Stellung der Gemeindeamtes im Namen und im den Vorzug.“44 Diese Auffassung Arbeit, in: MuK 6 (1934), S. 10-15, hier S. 14. komponierten Orgelmusik zwischen liturgischer Funktionalität und ästhetischer Auftrag der Gemeinde vor Gott ge- 42 Christoph Albrecht, Der liturgische Ort des 45 Zitiert nach: Klaus Röhring, Die Funktion Autonomie, in: Die Orgel im Dienst der gottesdienstlichen Orgelnachspiels, in: MuK der Orgel im Gottesdienst: Zwischen Kirche. Gespräch aus ökumenischer Sicht. 41 Johannes Paul II., Chirograph zum 100. 34 (1964), S. 73-78, hier: S. 73, zitiert nach: Wirklichkeitsentsprechung und Bericht über das sechste Colloquium der Jahrestag der Veröffentlichung des Kurzschenkel, S. 563 Rezeptionsermöglichung, in: Orgel im Walcker-Stiftung für orgelwissenschaftliche Motu Proprio Tra le sollecitudine über Gottesdienst heute. Bericht über das 43 Christhardt Mahrenholz, Orgel und Liturgie, Forschung in Verbindung mit dem die Kirchenmusik vom 22.11.2003, in: dritte Colloquium der Walcker-Stiftung in: Bericht über die Dritte Tagung für Pontificio Instituto di Musica Sacra 8.-14. LʼOsservatore Romano (dt.) 34 (2004) Nr. 1 für orgelwissenschaftliche Forschung Deutsche Orgelkunst in Freiberg i. Sa., hg. Oktober 1984 in Rom, hg. von Hans Heinrich vom 2.1.2004, S. 8-9 Nr. 8, zitiert nach: Karl- 13.-15. Januar 1974, hg. von Hans Heinrich von dems., Kassel 1928, S. 58. Eggebrecht, Murrhardt 1985, S. 126-146, Heinz Selge, Der Kirchenmusiker (wie Anm. Eggebrecht, Stuttgart 1975, S. 40-51, hier: S. hier: S. 129. 23), S. 326. 44 Adolf Strube, Musik in der neuen Kirche – 42f. 12 13
die außerkirchliche Wahrnehmung Die im Anschluss an das II. Vatica- Orgel nahezu jedes auf den Markt mittlerweile eine immer stärkere der Kirchenmusik gebremst“45 werde. num sich entwickelnde Diskussi- geschmissene Produkt mit Musik Dominanz entwickeln. Die kürzlich In der katholischen Theologie konn- on zeigt im Vergleich zu früheren für den Gottesdienst, ob es sich um vorgenommene Etablierung des te ein solches Denken, wenn ich es theologisch-liturgischen Diskursen prä- und postludierende bzw. „me- „Popkantors“ auf evangelischer glei- Im Blickpunkt Im Blickpunkt richtig sehe, bisher nicht Fuß fassen, eine ganz neue Qualität, da nicht ditative“ Stücke, um Vorspiele zu chermaßen wie auf katholischer Seite ganz im Gegenteil. Kennzeichen des mehr die Frage nach der Faktur von Liedern des Gesangbuchs, um sog. spricht hier eine ebenso eindeutige neuen Konzepts von Kirchenmusik, Musik im Mittelpunkt steht, sondern Halleluja-Coden oder um was auch Sprache wie die These, für „die Zu- wie es in Kapitel VI der Liturgiekon- das Zwecklos-Schöne an sich aus der immer handelt: Gebrauchsmusik auf kunft der Orgel“ werde „es von ent- stitution des II. Vaticanums greifbar Liturgie verbannt werden soll. Im von Kunstgewerbeniveau. Ihre markante scheidender Bedeutung sein, ob sie wird, ist die volle Integration der Karl Rahner und Herbert Vorgrimler Dominanz dürfte Josef Ratzinger, den ihren Herrschaftscharakter verwan- Musik in das liturgische Handeln. verfassten Kurzkommentar zum Mu- späteren Papst Benedikt XVI., veran- deln kann in einen erhebenden, oder Bei nüchterner Betrachtungsweise sik-Kapitel der Liturgiekonstitution lasst haben zu warnen: „Eine Kirche, besser noch, in einen unterhaltenden kommt man allerdings nicht umhin kann man lesen, dass die „eigentliche die nur noch Gebrauchsmusik macht, Charakter“49. Unter den Auspizien festzustellen, dass dies der Musik nur Kirchenmusik“ nicht mehr in die Li- verfällt dem Unbrauchbaren und eines solchen theologischen Denkens auf den ersten Blick zum Vorteil ge- turgie gehöre, weil sie nicht mehr mit wird selbst unbrauchbar.“48 ist eine tatsächlich zeitgenössische reicht. Mit der vom Konzil vorgenom- ihr vereinbar sei, sondern nur noch Orgel-Musik an und für sich obsolet, menen theologischen Aufwertung die sog. „Gebrauchsmusik“: „Echte will sie doch kein umstandslos zu der Kirchenmusik über das bloße Kunst, wie sie in der Kirchenmusik Die Orgel – das Instrument der Kirche? rezipierender, ein Wohlgefühl erzeu- Decorum hinausweisender Wesens- vorliegt, ist“, so heißt es, „von ihrem gender Ohrenschmaus sein, sondern, ausdruck der Liturgie ist letztlich eine guten Sinn esoterischen Wesen her Nachdem Goethe noch die These ver- ganz im Gegenteil, die „neuen intel- Einschränkung verbunden, avancierte mit dem Wesen der Liturgie kaum trat, das Christentum sei die Mutter- lektuellen Schauer“ evozieren, von de- doch in den nachkonziliaren offizi- in Übereinstimmung zu bringen“47. sprache Europas, und im 18. gleicher- nen André Breton einmal gesprochen ellen kirchlichen Dokumenten zur Die logische Konsequenz präsen- maßen wie im 19. Jahrhundert vor hat50. Kirchenmusik die „Funktionsgerecht- tiert heute auch im Hinblick auf die allem die Kirchen- und Orgelmusik heit“ zum Schlagwort der Stunde, ja Theologie? Eine evangelische Perspektive, Johann Sebastian Bachs es war, die in 49 Joseph Ratzinger, Zur theologischen zum Primärkriterium im Hinblick auf Deutschland als ein zentrales Mittel Grundlegung der Kirchenmusik, in: in: Stefan Kopp, Marius Schwemmer, Franz Fleckenstein (Hg.), Gloria deo, pax die Bewertung des überkommenen Joachim Werz (Hg.), Mehr als nur eine kultureller Identifikation fungierte, hominibus. FS Zum 100jährigen Bestehen kirchenmusikalischen Repertoires: Dienerin der Liturgie. Zur Aufgabe der dürfte kaum zu übersehen sein, dass der Kirchenmusikschule Regensburg […] (= „Maßstab für die Eignung überlie- Kirchenmusik heute (= Kirche in Zeiten zum einen in der völlig disparaten Schriftenreihe des Allgemeinen Cäcilien- der Veränderung, hg. von Stefan Kopp, ferter Kompositionen zur Weiterver- 4), Freiburg i. Br. 2020, S. 18-32, hier: S. Kultur der Jetztzeit die christlichen Verbandes für die Länder deutscher Sprache wendung in der Liturgie ist neben der Kirchen massiv an gesellschaftlicher 9), Regensburg 1974, S. 39-62, hier: S. 41. 29. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass in Funktionsgerechtheit die Förderung dieser Publikation Orgel und Orgelspiel mit Relevanz verlieren und zum anderen 50 Harald Schroeter-Wittke, Die der tätigen Teilnahme der ganzen keinem Wort thematisiert werden. auch innerhalb der Kirchen die ver- Zukunft der Orgel angesichts der Vielfalt christlicher Gottesdienste. versammelten Gemeinde.“46 47 Heinrich Rennings, Das kirchenmusikalische schiedenen Spielarten des Populären Gemeindekulturpädagogische Erbe aus der Sicht des Liturgikers, in: 48 Karl Rahner/Herbert Vorgrimler, Kleines Betrachtungen, in: Die Orgel zwischen 46 Michael Meyer-Blanck, Musik – „Magd” der Musica sacra 100 (1980), S. 174. Konzilskompendium (wie Anm. 17), S. 213. gestern und morgen. Bericht über das 14 15
Es ist kaum zu übersehen, dass selbst gesehen – nicht unbedingt nur Gutes Literaturhinweise Schuhenn, Marius Schwemmer, Paul Thissen, Stephan Wahle, Godehard für kirchlich gebundene heranwach- erwarten. sende Generationen die gedankliche Weithoff, Joachim Werz, Alexander Verknüpfung von Kirche und Orgel Zerfaß. Im Blickpunkt immer weniger Selbstverständlich- Bücher Alles in allem ein sehr lesenswertes Literaturhinweise keit besitzt und die Orgel sowie die Buch im Hinblick auf eine aktuelle für sie komponierte Musik zum blo- Mehr als nur eine Dienerin der Standortbestimmung der Kirchen- ßen Anachronismus zu verkommen Liturgie musik. drohen. Umso begrüßenswerter sind Zur Aufgabe der Kirchenmusik heute Harald Gokus die 2011 im Rahmen des „Internatio- Herausgegeben von Stefan Kopp, Ma- nalen Symposions zur Bedeutung und rius Schwemmer und Joachim Werz Wort-Gottes-Feier Zukunft der Orgel“ in Zürich verfasste Verlag Herder GmbH, Freiburg im am Sonntag - für den Notfall Resolution, in deren Mittelpunkt der Breisgau, 1. Auflage 2020, Kartoniert, Handreichung für Leitung, Lektoren, Appell steht, die Orgelkultur Europas 280 Seiten Kantor, Organist, Küster. nicht der Vergessenheit anheimfallen ISBN: 978-3-451-38824-8, Bestellnum- VzF Deutsches Liturgisches Institut zu lassen, die 2017 vollzogene Aner- mer: P388249 Trier, 12 Seiten kennung von Orgelbau und Orgel- EUR 28,00 Artikelnummer 6149, EUR 1,80 musik als „Immaterielles Kulturerbe Bestellservice: Telefon: 0651 94808- der Menschheit“ durch die Unesco In diesem Buch geht es um die heuti- 50; Fax: 0651 94808-33 und nicht zuletzt die Tatsache, dass ge Bedeutung der Kirchenmusik der Deutsche Musikrat die Orgel als Was sind aktuell Aufgaben der Kir- Wenn die Gemeinde zur Sonntags- „Instrument des Jahres 2021“ ausge- chenmusik? Ist sie Dienerin der Li- messe versammelt ist und der Pries- rufen hat. Dass diese Initiativen zu- turgie oder im Museum des Kirchen- ter überraschend ausfällt, soll eine vorderst von säkularen Institutionen konzertes angekommen? Der Band Wort-Gottes-Feier stattfinden. Für ausgingen, spricht im Hinblick auf das widmet sich dem pluralen Aufgaben- einen solchen Fall ist diese Handrei- Verhältnis von Theologie bzw. Kirche feld der Kirchenmusik(er) und nimmt chung eine willkommene Hilfe für und Orgel eine eindeutige Sprache theologische Grundlagen, künstleri- Leiter, Lektor, Kantor, Organist und und lässt für die Zukunft der Orgel im sche Ansprüche, pastorale Wirklich- Küster. Raum der Kirchen – von deren mehr keiten und gesellschaftliche Bezüge Harald Gokus als ungewisser Entwicklung zumin- in den Blick. dest in Deutschland einmal ganz ab- Mit Beiträgen von Jürgen Bärsch, Tho- Christus-Rufe mas Halter, Winfried Haunerland, Jür- für die Sonn- und Festtage des zehnte Colloquium der Walcker-Stiftung gen Kampmann, Stefan Kopp, Marius Kirchenjahres für orgelwissenschaftliche Forschung 23.-25. September 2003 in Siegen, hg. von Linnenborn, Franz Karl Praßl, Gerhard VzF Deutsches Liturgisches Institut Hermann Joseph Buch und Roland Eberlein, Schneider, Markus Schneider, Reiner Trier, 19 x 28 cm. 56 Seiten. Köln 2011, S. 32-49, hier: S. 43. 16 17
Artikelnummer 6213, 12,80 EUR tischen Alltag. Mit der zunehmenden MARIANISCHE ORGELMUSIK (Meditation), Alle Tage sing und sa- Bestellservice: Telefon: 0651 94808- Professionalisierung des kirchlichen ge (neoklassizistisch), Christi Mutter 50; Fax: 0651 94808-33 Popularmusikbereiches geht gleich- Gereon Krahforst stand mit Schmerzen (Meditation), sam der Wunsch einher, auch die Or- 12 Choralvorspiele über Marienlieder Maria breit den Mantel aus (Trio mit Texte und Melodien zu den Kyrie- gel möglichst stiltypisch einzusetzen. Claribel-Verlag 014 (Eigenverlag) Ritornell und c.f. im Pedal), Meerstern Literaturhinweise Literaturhinweise Rufen der Gebet- und Gesangbücher Es gilt demzufolge, sich in der Vielfalt ich dich grüße (Meditation), Sagt an Gotteslob, Unterwegs und Katholi- der Musikrichtungen, die Rock-Pop- Die 12 Choralvorspiele von Gereon wer ist doch diese (romantische Cho- sches Gesangbuch der deutschspra- Jazz mit sich bringt, versiert und si- Krahforst entstanden aus liturgi- ralbearbeitung), Wunderschön präch- chigen Schweiz. – Die für diese Editi- cher zu bewegen. schen Improvisationen und lassen tige (Meditation), Lasst uns erfreuen on neu komponierten Melodien und sich stilistisch in drei Bereiche eintei- herzlich sehr (Sortie). Begleitsätze zu den Tropus-Texten Nicht genug, dass dabei die Orgel in len: barockisierte Formen, Romantik orientieren sich an den Melodien der gewisser Weise eine ganze Begleit- und gemäßigte Moderne. Vielfach Sebastian Freitag bekannten Kyrie- und Herr, erbarme band und deren rhythmusbetonte arbeitet Krahforst mit imitatorischen dich-Rufe; die neu verfassten Texte Spielweise ersetzen soll: Die Praxis Techniken, mit Ritornellen und ein- Franz Lehrndorfer sind inspiriert von den jeweiligen zeigt immer wieder, wie wichtig es gänglichen Formen, was sowohl dem 8 Variationen über Maria dich lieben Tageslesungen der Lesejahre A, B, C. ist, bei der Gemeindebegleitung auch Spieler (die Choralvorspiele liegen im Opus-Verlag 11002 Zusätzliche Beilage: Kyrie-Modelle a die Melodie erklingen zu lassen, ohne mittleren Schwierigkeitsgrad, lassen cappella (4 Seiten). dass jedoch hierzu ein separates Me- sich aber sehr gut studieren) als auch Die Variationsreihe komponierte lodieinstrument zur Verfügung steht. dem Hörer zugute kommt. der ehemalige Münchener Dom- Harald Gokus Der Umfang der Choralbearbeitun- organist zur Wiedereröffnung des Für diese Situation will die vorliegen- gen bewegt sich zwischen 3-6 Noten- Münchener Liebfrauendoms 1994. de Publikation umfassende Anleitung seiten. Ausgewogen ist der Anteil an Unverwechselbar ist die Tonsprache Noten und praktische Handreichung sein.“ Bearbeitungen, die sich entweder als von Lehrndorfer, in allen Variationen (aus dem Vorwort) Meditation oder als festliches Orgel- kommt regelrechte Freude zum Aus- Orgel stück zum Ausgang einsetzen lassen. druck. Überdies hinaus kombiniert Inhalt: Allgemeine Patterns; Patterns Zudem können die Choralvorspiele Lehrndorfer in einigen Variationen Peter Wagner aus Rock / Pop, Blues / Swing, Latin, in all ihrer Unterschiedlichkeit Kre- weitere marianische Themen wie z.B. Playing On Leadsheets – Stiltypische Folk / Classic; Akkorde; Reharmoni- ativität und Inspiration zur eigenen das „Salve Regina“ oder „Ave Regina Begleitung Neuer Geistlicher Lieder sation; Voicing; Line Cliché; Intros; Improvisation in unterschiedlichen coelorum“ mit dem Kirchenlied „Ma- Strube Verlag (VS 9192) Endings / Deceptive Resolutions; Mo- Formen und Stilen wecken. ria dich lieben“. dulation; Hinweise zur Registrierung; Inhalt: Maria, Mutter unsres Herrn Auch wenn manche Variationen sich „Längst gehört das Begleiten Neuer Glossar; Add On (Fuga), Maria Himmelskönigin (Trio), im mittelschweren Bereich bewegen, Geistlicher Lieder anhand von Akkord- Freu dich du Himmelskönigin (Vier- die Übearbeit wird sich lohnen! symbolen, also auf der Basis von so- Strube Verlag stimmig mit c.f. im Tenor), Gegrüßet genannten Leadsheets, zum organis- seist du Königin (Marsch im Stil der Sebastian Freitag englischen Romantik), Ave Maria zart 18 19
Ave Maria Peter Hurford Chor Verfügung. Neben einer Partitur (mit Marianische Orgelwerke der Roman- Five Verses on a melody from the Instrumentaleinzelstimmen) sind tik „Paderborn Gesangbuch (1765)“ Kinderchorbücher ein Liederheft mit den einstimmigen Butz-Verlag 2562 Oxford University Press Melodien und eine Chorpartitur er- Sternsingerlieder hältlich und stellen somit ein jeweils Literaturhinweise Literaturhinweise 19 Kompositionen beinhaltet dieser Unter der „Melody from the Pader- Carus-Verlag, Musizierband (Partitur), passendes Set dar für unterschiedli- Band, wobei Kompositionen mit Cho- born Gesangbuch“ verbirgt sich das CV 12.905/03, 40 Seiten, € 19,50 che Voraussetzungen und Bedürfnis- ralbezug und Transkriptionen nur den bekannte Marienlied „Maria dich lie- Chorpartitur CV 12.905/05, 12 Seiten, se; insgesamt eine neue Fundgrube kleinsten Teil ausmachen. Eine Kom- ben ist allzeit mein Sinn“. Diese Kom- € 3,90, ab 40 Expl. € 3,70, ab 60 Expl. des seltenen nachweihnachtlichen position bearbeitet das Lourdes-Lied position des britischen Organisten € 3,50, Liederheft (einstimmig) CV Repertoires. „Die Glocken verkünden“, zwei Kom- und Komponisten Peter Hurford soll 3012.905, 32 Seiten, € 5,30 positionen vertonen das gregoriani- an dieser Stelle Erwähnung finden, Begleit-CD CV 12.905/99, € 14,90 Johannes Krutmann sche „Ave Maria“. Das Gros der Werke weil sie auf 6 Notenseiten viele Facet- stellt romantische Charakterstücke ten der gemäßigt modernen Musik Wenn man wieder singen darf, dann der meditativen Art dar. Sieben der vereinigt: zwei Triobearbeitungen, ei- werden nicht nur Sternsingergruppen Freiburger Kinderchorbuch 2: Werke lassen sich manualiter aus- ne „Choral“-ähnliche Variation, sowie von diesem Buch profitieren. Es bietet Neue Lieder für Gott und die Welt führen und mit 2-4 Notenseiten sind zwei kürzere „Allegro“-Variationen. 25 Lieder, vom bewährten „Wir kom- Carus-Verlag, Hauptband (mit CD) CV sämtliche Werke des Bandes auch Vielleicht mag dieses Werk von Or- men daher aus dem Morgenland“ 12 .080/00 185 Seiten, € 34,95 hinsichtlich ihrer Länge überschau- ganisten wiederentdeckt werden? oder dem traditionellen „Es ist für uns Chorbuch (Kinderband) CV 12.080/05, bar. Alle Stücke sind leicht zu spielen, Für C-Kurs Absolventen könnte es ein eine Zeit angekommen“ über das neu- 176 Seiten, ab 10 Expl. € 11.95, ab 20 nur wenige erreichen den mittleren willkommenes, alternatives Litera- traditionelle „Stern über Bethlehem“ Expl. € 10,95, ab 40 Expl. € 9,95 Schwierigkeitsgrad. Mit Werken von turstück für den Bereich „moderne“ sowie einfache Segensrufe bis hin zu Abt, P.L.L. Benoît, Merritt, Brahms, Musik sein. Am Rande sei hier noch neuen NGL-Repertoire und zu guter 12 Jahre nach dem ersten Band er- Schubert, Bossi, Boellmann, Fleury, bemerkt, dass der damalige Pader- Letzt sogar einem Sternsinger-Rap. scheint mit dem Freiburger Kin- D.P. Benoît, Clark, Thayer, Guilmant, borner Domorganist Helmut Peters Somit ist es geeignet für alle Kinder- derchorbuch 2 die Folgesammlung von Henselt, Richmond, Liszt, Prestat, diese Komposition bei dem Weihe- und Jugendchöre, die einen Gottes- mit 140 Liedern für Kinderchöre mit Guiraud, Lubrich jun. und Reger verei- konzert der Domorgeln 1980, sowie dienst zum Epiphaniefest musikalisch Klavierbegleitung. Etwa 100 Lieder nigt die Sammlung beides: bekannte später auch auf einer Schallplatte an mitgestalten und die Tradition des sind dem liturgischen Repertoire zu- und unbekannte Komponisten. Kurz- der Domorgel einspielte…. Sternsingens mit älterem und neuem geordnet, 40 Lieder für die so genann- biographien aller Komponisten sind gesungenem Repertoire bereichern ten weltlichen Anlässe und Kontexte, beigefügt. Sebastian Freitag möchte. Zur unterschiedlichen und darunter Spiel- und Bewegungslie- reicheren musikalischen Gestaltung der, Geburtstags- oder Wortspiellie- Sebastian Freitag stehen Instrumentalstimmen und der und Kanons unterschiedlichen eine Tastenbegleitung bzw. Akkord- Schwierigkeitsgrads. Die Entwick- symbole zur Gitarrenbegleitung zur lungsmöglichkeiten zur Mehrstim- 20 21
migkeit bieten Kinderchören vom men, 2009 begonnen und nach zehn ren, John Eliott Gardiner o. a. gleich sondern nur anders interpretieren, Kindergarten bis etwa zum Ende der Jahren zum Abschluss gebracht. Es ist eine klare und deutliche interpreta- insofern ist ein Vergleich an sich ob- Grundschule dabei vielfältiges Mate- wahrscheinlich das erste Projekt, dass torische Kante, zu der man wie auch solet. Unabhängig davon verlieren sie rial in sinnvollen Tonhöhen und einer sich in dieser Fülle und Vollständig- immer Stellung beziehen kann, ist an Expressivität, Spontaneität und exemplarischen musikalischen und keit jener Aufgabe widmet und dabei das bei einigen von Rademanns Auf- typischer madrigalesker Italianità Literaturhinweise Literaturhinweise textlichen Qualität. sogar einige Ersteinspielungen vor- nahmen anders. Ohne Frage ist hier in einer - wenn auch noch so tech- weisen kann. alles exemplarisch in musikalischer nisch hochwertigen und gelungenen Johannes Krutmann und technischer Hinsicht, die Intona- - Interpretation durch einen Chor. In den instruktiven Texten der Beihef- tion ist makellos, die Sprachbehand- Unter diesem Eindruck und dieser Er- te erfährt man Wissenswertes, gut lung ist idealtypisch, federnd und kenntnis hört man die Motetten der CD‘s recherchierte Hintergründe, mitunter perfekt phrasiert, dennoch affektreich Geistlichen Chormusik von 1648 doch auch persönliche Zugänge; allerdings und bisweilen effektvoll. Aber ist der etwas reserviert und erinnert sich begegnet einem auch der unvermeid- Klang nicht eine Spur zu wenig farbig, bisweilen lieber an die ebenfalls etwa Heinrich Schütz: Die Gesamteinspie- liche Passus der historischen Infor- zu modern im Sinne einer makellosen 35 Jahre alte, viel kantigere Aufnah- lung miertheit und man wundert sich, Homogenität, zu skandinavisch, zu me des Knabenchores Hannover, die Dresdner Kammerchor, Leitung: dass Musikwissenschaftler nicht mit Sopran-orientiert, in der Summe eben dem Vorwort des Dresdner Meisters Hans-Christoph Rademann Befremden auf diese beliebige und ein perfekter moderner Konzertchor? gemäß die unterschiedlichsten Beset- Compact Disk, Carus Verlag, einzelne verwässernde Bezeichnung einer Dagegen ist nichts zu sagen, erst zungen entfaltet und immer wieder CD je € 19.90, Doppel CD € 29,90 akademischen Tätigkeit reagieren. recht nicht, wenn es auf diesem wun- neue, vokal-instrumentale Klangflä- Box I (CD 1 bis 11), CV 83.041/00: € Wie dem auch sei, Rademann bringt derbaren, exemplarischen und klang- chen eröffnet. Überhaupt ist in den 59,90 seine Interpretationsmaxime mit lich beglückenden Niveau geschieht. ausführlichen Vorworten, die Schütz Box II (CD 12 bis 19), CV 83.042/00: € „historisch informiert - heute inter- zu seinen Publikationen geschrieben 49,90 pretiert“ auf einen für ihn passenden Dennoch offenbart sich das beschrie- hat, so viel an aufführungsprakti- Box III (CD 20 bis 28), CV 83.043/00: Nenner. Und genau da liegt mögli- bene, zugegebenermaßen ausgewie- schen Möglichkeiten enthalten, dass € 49,90 cherweise das Problem, was weniger sene Luxusproblem idealtypisch im sich noch manche Werke dadurch als eine Frage der Befindlichkeit oder Opus 1, den Italienischen Madrigalen. interessanter und abwechslungsrei- Das Werk des wohl ersten Kompo- unterschiedlicher musikästhetischer Vielleicht reicht es hier nicht, sie als cher besetzen ließen (so z. B. die Mög- nisten, den man als Meister euro- Ansichten und Geschmäcker zu be- Chor perfekt zu singen - weil sie per lichkeit, mehrere Echo-Ensembles päischen Ranges bezeichnen kann, trachten ist als vielmehr mit der definitionem keine genuine Chor- im Schlusssatz der Musikalischen komplett (d. h. 500 Werke) aufzuneh- Umsetzung von Erkenntnissen und musik sind. Nach der wegweisen- Exequien im Raum zu verteilen oder men und editorisch aufzubereiten, Ergebnissen aufführungspraktischer den solistischen Referenzaufnahme der Hinweis, zu den Rezitativen ne- diese große Aufgabe hat sich Hans- Forschung diskutiert werden sollte. von „The Consort of Musicke“ unter ben einer großen Orgel einen Violone Christoph Rademann mit dem Dresd- Beispiel: Hat man bei Schütz-Produk- der Leitung von Anthony Rooley vor zu benutzen statt Kammerorgel und ner Kammerchor und zahlreichen tionen von Cantus Cölln, Paul Mc- etwa 35 Jahren kann man diese Ma- Violoncello oder Gambe, eine Beset- Solistinnen und Solisten sowie inst- Creesh, verschiedenen Knabenchö- drigale wahrscheinlich nicht besser, zungsanordnung, die m. W. nur Paul rumental Musizierenden vorgenom- 22 23
McCreesh bei der Weihnachtshisto- fast immer zügige Tripla. Nur selten sinnlichen und lebensbejahenden einer dem entsprechenden üppigen rie bislang umgesetzt hat). Was an vermutet man eine routinierte Auf- Menschen in der besten Schaffens- Raumsituation? Klangentfaltung selbst bei einfachen nahmesituation, wenn z. B. bei einem kraft zur Mitte seines Lebens abseits Sätzen möglich ist, lässt sich auch bei Track zwei unterschiedliche Ausspra- der melancholischen Distanz des Rademann setzt mit dieser Produk- Michael Prätorius nachlesen und z. B. chearten des lateinischen Textes erwähnten Bildnisses. Was für ein tion Maßstäbe, die dieser Aufnah- Literaturhinweise Literaturhinweise bei der Aufnahme der „Christmette“ gleichzeitig zu hören sind. Jammer, dass die erste deutsche Oper me über viele Jahre den Status einer mit dem Gabrieli Consort in der Dom- „Dafne“ aus der Feder von Heinrich Referenzeinspielung verleihen und kirche von Roskilde nachhören. Im Damit ist das Haar in der Suppe aber Schütz und sämtliche instrumentalen die einlädt, sich mit dem Werk des Becker-Psalter entfaltet die neue Auf- auch gefunden und ausgiebig behan- Werke von ihm verloren gegangen großen Meisters, dessen Todestag nahme mit Rademann unterschied- delt, denn der Rest ist ausschließlich sind und damit ein gesamter, höchst sich im kommenden Jahr 2022 zum liche Besetzungen, bleibt aber insge- des Lobes würdig. Die verzierungs- interessanter Teilaspekt seines Schaf- 350. Mal jährt, zu beschäftigen - um samt in der Fülle der Möglichkeiten freudigen Solisten und zuverlässi- fens im Dunkeln bleibt. damit, wie Rademann es treffend - vielleicht in bewusster Distinktion? - gen Instrumentalisten sind ohne ausdrückt, gewissermaßen zu lernen, ebenso kultiviert wie nobel-reserviert Abstriche ersten Ranges und man In drei CD Boxen darf man sich mit „mit den Ohren zu sehen“. zurück. hört ihnen die Prägung und das in- insgesamt 28 Silberlingen (die alle- terpretatorische Konzept Rademanns samt auch einzeln bzw. je nach Zyklus Johannes Krutmann Was ist nun das Neue an dieser Ge- deutlich an, was der Aufnahme ei- als Doppel-CD erhältlich sind) durch samteinspielung? Es ist neben der nen gemeinsamen Guss und eine das gesamte Werk hören, und man Vollständigkeit des Repertoires ge- überzeugende Handschrift verleiht. freut sich mit jeder Aufnahme mehr rade die große vokale Besetzung in Einen Evangelisten mit so natürlicher und mehr an Klängen, Stilen, Beset- Chorstärke, wo der „gantze Haufe“ Stimmgebung und schönem Timb- zungen, der unglaublichen Vielseitig- mit „starkem Gethön“ vielen Ritor- re wie Georg Poplutz hört man sich keit, der perfekten Konzeption dieser nellen und großen, teils mehrchöri- auch nach einer Passion und den His- Musik und ihrer Ausführenden. So gen Besetzungen dem musikalischen torien zur Weihnacht und Auferste- bleiben wenige Wünsche offen: viel- Ausdruck Pracht und Tiefenstaffelung hung nicht leid. leicht als Ergänzung nicht doch noch verleiht. Dass das nicht in einer Klan- eine Neuaufnahme der Italienischen gorgie wie beim erwähnten Gabrieli Entdeckungen bieten nicht nur die Madrigale in solistischer Besetzung Consort unter McCreesh exaltiert, ist unbekannteren Zyklen wie die Can- und eine noch abwechslungsreiche- nicht immer ein Manko, denn Rade- tiones sacrae, Hochzeitsmusiken re Ausführung des Becker-Psalters in mann besitzt ästhetisches Augen- und verschiedene Einzelwerke, die einer richtig großen Besetzung mit maß, Distinguiertheit und musikali- den Komponisten nicht in gewohn- unterschiedlichen Chorgruppen (gern schen Geschmack, dessen Resultat ter Weise als würdigen, alterswei- auch einmal mit Knabenstimmen), auch nach dem Hören von mehreren sen Kantor wie auf dem Gemälde an verschiedenen Aufstellungsorten, CDs nicht ermüdet. Seine Tempi sind in seinem 72. Lebensjahr zeigen, einer historischen Orgel mit Pedal in schnell bis sportlich, die Dreiertakte sondern vielmehr einen vielseitigen, 24 25
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