Im Job Das Stadtmagazin der Hochschule Ansbach - Wo Absolventen arbeiten

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Das Stadtmagazin der Hochschule Ansbach

Im Job
Wo Absolventen arbeiten

Unterwelt
Ansbachs Kanalisation

Abwehr
Selbstverteidigung Krav Maga

Teufelskreis                             Nr. 13
Beratung bei sexuellem Missbrauch   SOMMER 2016
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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,
                                                                             Tobias Ott und Elisabeth Ries, Chefredaktion
                                              die Arbeit an den KASPAR-Ausgaben          Ronja Straub blieb für ihre Recherche in
              Besuchen Sie uns unter:         verläuft Semester für Semester ähnlich.    der Region. Sie nahm den Ansbach-Pakt
              www.facebook.com/               Texter, Layouter und Fotografen arbeiten   für die Integration von Flüchtlingen
              kaspar.magazin                  Hand in Hand, um am Ende ein gelun-        unter die Lupe. In verschiedenen
                                              genes Magazin präsentieren zu können.      Ausbildungsbetrieben sprach sie mit
                                              Bisher blieben sie dafür immer im          Geflüchteten und Arbeitgebern.
Titel:
                                              Raum Ansbach. Bei dieser Ausgabe war
Ex-Student mit eigener Firma: Daniel Krauss
                                              das anders: Anlässlich des 20-jährigen     Mit dem Thema sexueller Missbrauch
Foto:                                                                                    setzte sich Annalena Sippl auseinander.
                                              Jubiläums der Hochschule blickte die
Isabella Fischer                                                                         Sie meldete sich versuchsweise in einem
                                              KASPAR-Redaktion über den Ansbacher
                                              Tellerrand hinaus und besuchte bundes-     Chatroom an. In ihrer Reportage schildert
Foto Chefredaktion:
                                              weit Absolventen in ihrem Berufsleben.     sie die schockierende Erfahrung und
Veronika Runt
                                                                                         stellt die Beratungsstelle Rauhreif vor.
                                              In welchem Job sind sie gelandet? Wie      Die Mitarbeiter sind eine erste Anlauf-
Foto 20 Jahre Hochschule Ansbach:
                                              hilfreich war das Studium für ihre         stelle für Opfer, die aus ihrem Teufels-
Martin Reiter
                                              Karriere? Mit diesen Fragen im Gepäck      kreis ausbrechen wollen.
                                              recherchierten die Reporter zum ersten
                                              Mal in ganz Deutschland. Anja Riske        Johannes Hirschlach folgte Abwasser-
                                              reiste zu FlixBus-Gründer Daniel Krauss    technikern in den Ansbacher Unter-
                                              nach München. Carolin Hoffmann             grund. Er erkundete die Kanalisation
                                              interviewte stern.de-Redakteurin Ilona     und fand allerhand Unrat. Ein Roboter,
Der Markgraf (Theaterschauspieler             Kriesl am Hamburger Hafen. Jonathan        der Ratten in den kleineren Rohren
Thorsten Siebenhaar) begrüßt Hoch-            Lyne verschlug es sogar ins Ausland.       aufscheucht, liefert in einer Bilderserie
schulpräsidentin Ute Ambrosius bei            Er traf Daniel Pfänder von Google in       genauere Einblicke.
der Jubiläumsfeier                            Zürich.
                                                                                         Seit genau 150 Jahren steht die Justiz-
                                                                                         vollzugsanstalt mitten in Ansbach. Luise
                                                                                         Frosch begleitete einen Gefängniswärter
                                                                                         bei seinem Rundgang. Welche Kuriosi-
                                                                                         täten er in seiner 30-jährigen Laufbahn
                                                                                         erlebt hat, können Sie selbst lesen.

                                                                                         Wir wünschen Ihnen viel Freude mit
                                                                                         der 13. Ausgabe des KASPAR!

                                                                                                                                3
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Inhalt

                                                                                                             40                          Volles Rohr

Endlich anpacken                       28                         Auf die Nüsse                 60
Blickpunkt                                                        Ticker
Im Job
Wo Hochschul-Absolventen arbeiten .........................   6   Praxissemester in Asien
                                                                  Jasmin Nerdenyan in Taiwan ..................................          24
                                                                  Chinesisch-TOEFL
                                                                  Sprachtest an der Hochschule ................................          24
                                                                  Studenten im Blick
                                                                  Prof mit Staatspreis ausgezeichnet ........................            25
                                                                  Starfotografin in Ansbach
                                                                  Herlinde Koelbl hält Vortrag .......................................   25

    Lärm lass nach
                                                26
4                                                     KASPAR Sommer 2016
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Inhalt

Wo Absolventen arbeiten                                     6
Stadtkern                                                                  Freizeit
Lärm lass nach
Belastung durch Güterzüge ......................................      26   Geduld am Gewehr
                                                                           Jägerin auf der Pirsch ................................................   54
Endlich anpacken
Ausbildung für Flüchtlinge ........................................   28   10 Jahre Kaspar-Hauser-
                                                                           Festspiele
                                                                           Interview mit Intendant Eckart Böhmer ...............                     58
Sexueller Missbrauch
Beratungsstelle Rauhreif im Portrait .....................            36   Auf die Nüsse
                                                                           Verteidigungssport Krav Maga ................................             60
Volles Rohr
Blick in die Ansbacher Kanalisation .......................           40
Schlüsselerlebnisse
150 Jahre JVA Ansbach ............................................    46
Leute
Stilles Interview
Mit Gerhard Jacobs und Sylvia Bogenreuther ...                        50   Mitarbeiter und Impressum ........................................        66
                                                                                                                                                          5
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Michael Krämer vor der Kamera in
einer sogenannten Greenbox des ZDF

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BLICKPUNKT

Im grünen Bereich
Seit 20 Jahren studieren junge Leute an der Hochschule Ansbach.
Was machen die Ehemaligen heute und wie erfolgreich sind sie im
      Beruf? KASPAR-Reporter haben Absolventen an ihren
                     Arbeitsplätzen besucht

                                              TEXTE
                                         Jonathan Lyne,
                                        Carolin Hoffmann,
                                           Anja Riske
                                             LAYOUT
                                          Julia Märtens

      Bei den Mainzelmännchen
        Was Michael Krämer schneidet und          Sport­redaktion. Nebenberuflich ist der
        übersetzt, sehen später Menschen in       gebürtige Baden-Württemberger beim
        ganz Europa. Der 24-Jährige machte        Radiosender SWR Info als fester Freier
        im vergangenen Jahr seinen Bachelor       sowie als freier Mitarbeiter in seiner
        im Fach Ressortjournalismus und           Heimat bei MittelbadischePresse.tv
        arbeitet nun als sogenannter „fester      und bei Hitradio Ohr engagiert. Auf
        freier Mitarbeiter“ beim ZDF. Die         diese Weise beschäftigt er sich nicht
        dafür notwendigen Kontakte knüpfte        nur mit den Fußballvereinen auf
        er während des Praxissemesters. Am        internationaler Ebene, sondern auch
        Mainzer Lerchenberg sitzt er unter        mit lokalen Clubs. Das eine schließt
        anderem in der Hauptredaktion             das andere freilich nicht aus.
        Aktuelles. Die ist für den Austausch      Zur Europameisterschaft ging für
        von Videomaterial unter den öffentlich-   den ehemaligen Journalismusstudenten
        rechtlichen Sendern in und um Europa      aus dem Sport-Schwerpunkt ein
        zuständig, von Algerien über Öster-       Traum in Erfüllung: Das ZDF
                                                                                                     FOTO
        reich bis Russland. Michael Krämer        schickte ihn nach Paris, um von
                                                                                            Marie Wetzel
        arbeitet beim ZDF außerdem in der         dort zu berichten.

                                                                                                 7
Im Job Das Stadtmagazin der Hochschule Ansbach - Wo Absolventen arbeiten
Die Chemie
  stimmt
Zu den Absolventen der ersten Stunde des
Studiengangs Industrielle Biotechnologie
gehört Daniel Christofori. Die Vorstellung
beim Tag der offenen Tür 2009 konnte
ihn vom Konzept des neuen Bachelors
überzeugen. Heute arbeitet der 27-Jährige
im oberbayerischen Penzberg bei Roche
Diagnostics im Pharma-Bereich. Vor der
Anstellung hatte Daniel Christofori
bei seinem späteren Arbeitgeber das
Praxis­
      semester absolviert. Auch im
Master­studium von Bio­technologie und
Bioingenieurwesen kooperierte er mit
Roche. „Nach meinem Praktikum sind
die mich nicht mehr losgeworden“,
sagt er lachend. Gemeinsam mit seinen
Kollegen entwickelt der Absolvent
Anti­körper gegen verschiedene Krebs­
erkrankungen. Seine Arbeit bildet die
Grundlage für die Herstellung späterer
Medikamente. Der gebürtige Franke
schätzt die Vielseitigkeit und die damit
verbundenen Freiheiten seines Jobs.
„Das macht den Reiz des wissenschaft­
lichen Arbeitens aus.“ Vor allem der
Praxis­
      bezug im Studium habe Dani-
el Christofori auf seinem Weg gehol-
fen. Laut eigener Rechnung fertigte
er in praktischen Kursen mehr als 40
Protokolle zu verschiedensten Versuchen
an. „Dadurch war ich kein totaler
Anfänger, den der Betrieb komplett neu
einlernen muss.“

       8                                     KASPAR Sommer 2016
Im Job Das Stadtmagazin der Hochschule Ansbach - Wo Absolventen arbeiten
Daniel Christofori
bei der Laborarbeit
 in der Penzberger
Niederlassung von
Roche Diagnostics

                  FOTO
         Martin Reiter

              9
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Ilona Kriesl vor dem Hamburger
Verlagsgebäude Gruner + Jahr
mit der Elbphilharmonie im
Hintergrund

                                              Stern im Norden
                       Schon als Grundschülerin brachte Ilona     von Studien über den Zusammenhang
                       Kriesl gerne kleine Erzählungen            zwischen Intelligenz und Schokoladen­
                       zu Papier. Ihr Ressortjournalismus-        konsum bis zur Landung des Mars
                       Studium in Ansbach begann 2010.            Rovers auf dem roten Planeten:
                       „Ich wollte unbedingt in diesen Beruf.     „Eigentlich schreibe ich über alles.“
                       Das Studium hat mir gezeigt, in            Die im Studium gelernten journalis-
                       welche Richtung es gehen soll.“            tischen Grundlagen muss die ehema-
                       Ab dem dritten Semester schrieb die        lige KASPAR-Mitarbeiterin bei ihrer
                       25-Jährige als freie Mitarbeiterin für     Arbeit täglich anwenden. Ihre Recher-
                       die Nürnberger Nachrichten. Ihr            chen führen Ilona Kriesl mit Informan-
                       Praxissemester absolvierte sie beim        ten aus ganz Deutschland zusammen:
                       Stern, dem Flaggschiff des Hamburger       „Ich arbeite mit vielen Experten, zum
                       Verlags Gruner + Jahr. Heute arbeitet      Beispiel vom Universitätsklinikum
                       die ehemalige Studentin aus dem            München oder der Charité in Berlin.“
                       Medizin-Schwerpunkt als Online-            In Hamburg hat die gebürtige Fürthe-
                       Redakteurin im Ressort Gesundheit          rin eine zweite Heimat gefunden:
                       und Wissenschaft bei stern.de. Ihre        „Ich bin froh, dass ich in dieser
                       Themenpalette ist vielfältig: Sie reicht   schönen Stadt arbeiten darf.“

  10                                            KASPAR Sommer 2016
FOTO   Elisabeth Ries

              11
Daniel Krauss im neu bezogenen
Quartier von FlixBus in München

12                                KASPAR Sommer 2016
Top, die Wette gilt
      Sie befördern täglich eine Vielzahl von
      Menschen: Fernbusse. Daniel Krauss,
      Wirtschaftsinformatik-Absolvent          der
      Hoch­ schule Ansbach, ist Mitbegründer
      des Marktführers MeinFernbus FlixBus.
      Als einer der letzten Diplomanden seines
      Studiengangs arbeitete der 32-Jährige ab
      2008 in Detroit bei einem Automobil­
      zulieferer, später bei Microsoft in München.
      Im Jahr 2011 folgte die Gründung von
      FlixBus. „Das war eine Wette“, berichtet
      der Geschäftsführer. Es ging darum,
      ob die schwarz-gelbe Regierung den
      Fernbusmarkt liberalisieren würde, wie im
      Koalitionsvertrag versprochen. Das tat
      sie. Besonders die erste Zeit nach der
      Gründung beschreibt der Geschäftsmann
      als Leben im Dienst der Firma: „Am
      Anfang gab es FlixBus und Schlafen.
      Sonst nichts.“ Mit wachsender Größe des
      Unternehmens werde die Arbeit kaum
      weniger, obwohl die Wochenenden wieder
      ihm gehören. Größter Wettbewerber sei-
      nes Unternehmens ist die Deutsche Bahn,
      weniger andere Fernbusse. Konkurrenz
      belebt das Geschäft: MeinFernbus FlixBus
      will der beliebteste Fernverkehrsanbieter
      Europas werden. Daniel Krauss rät
      jetzigen Studenten, sich etwas zu trauen:
      „Wer eine coole Idee hat, sollte sie aus-
      probieren. Es gibt nichts zu verlieren.“

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                                   Isabella Fischer

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Multitalent
Ani Mirzojan arbeitet als Marketing-
Managerin bei Tradebyte. Das Ansbacher
Unternehmen entwickelt mit rund 60
Mitarbeitern Programme für Anbieter,
die ihre Produkte online verkaufen
wollen. Die Aufgaben der ehemali-
gen Betriebswirtschafts-Studentin sind
vielseitig. Sie wirkt bei der Gestaltung
von Internetseiten mit, schreibt Presse­
mitteilungen und produziert eigene
Videobeiträge. „Da wir eine eher kleine
Firma sind, machen wir alles selbst.“
Schon als Studentin interessierte sich die
24-Jährige für Grafikdesign. Nach dem
Studium absolvierte sie ein Praktikum
beim Condé Nast Verlag in München,
der viele Modemagazine herausgibt.
Dort war sie für die Werbung zu-
ständig. Der Job gefiel ihr, dennoch
entschied sie sich am Ende dagegen:
„Ich bin kein Großstadtkind und die
Arbeit in einem riesigen Unternehmen
konnte ich mir auf Dauer nicht vorstellen.“
Ihre Hochschulzeit nutzte die Feucht-
wangerin für viele Aktivitäten. Unter
anderem arbeitete sie im International
Office mit. „Während des Studiums
entwickelt sich die Persönlichkeit eines
Menschen unheimlich weiter“, sagt Ani
Mirzojan. Sie rät allen Studenten, sich so
viel wie möglich einzubringen: „Sich an
der Hochschule zu engagieren und viele
Kontakte zu knüpfen, ist das Wichtigste.“

      14                                      KASPAR Sommer 2016
Ani Mirzojan in den Geschäftsräumen des
  Ansbacher IT-Unternehmens Tradebyte

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                               Marie Wetzel

                                   15
Daniel Pfänder vor dem Eingang
zum Google-Komplex in Zürich

       Grüezi, Google
         „Die Arbeit hier ist wie im Studium“,
         sagt Daniel Pfänder, „nur bekomme ich
         Geld dafür.“ Der ehemalige Student von
         Multimedia und Kommunikation arbeitet
         bei Google in Zürich. Fitnessstudio,
         Massagen, Spieleräume – „man denkt erst,
         man ist im Schlaraffenland angekommen.
         Die meiste Zeit sitze ich aber an meinem
         Rechner.“ Als Webmaster programmierte
         der 41-Jährige zunächst einige Jahre
         Websites für unterschiedliche Produkte
         von Google, etwa Maps oder AdWords.
         Heute arbeitet er als sogenannter
         „UX Engineer“ im Bereich YouTube. Er
         bastelt „Annotations“ und „Infocards“,
         mit denen Videos interaktiv gestaltet
         werden können. „Ich arbeite an Sachen
         mit, die von Millionen Menschen täglich
         benutzt werden“, sagt er. „Das ist ein
         schönes Gefühl.“ An seinem Studium
         genoss er vor allem die „breite und bunte
         Ausbildung“. Während dieser Zeit
         war er als Webmaster für die
         Hochschul-­Homepage verantwortlich.
         „Es war eine schöne Spielwiese.“ In
         Zürich fühlt er sich sehr wohl, auch wenn
         er sich an die hohen Preise dort erst
         gewöhnen musste. Irgendwann will der
         gebürtige Mittelfranke seinen Rechner
         ausschalten. „Ich habe ein gewisses
         Maß an digitaler Sättigung erreicht.“
         Er träumt davon, eine Strandbar in
         Griechenland aufzumachen.

  16                                             KASPAR Sommer 2016
FOTO
Martin Reiter

    17
Tiffany Haas lädt die
Batterie des Elektroautos
der Hochschule auf

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Wissenschaft
      tanken
Im Februar kehrte Tiffany Haas als
wissenschaftliche Mitarbeiterin an die
Hochschule zurück. Sie ist für das
Elektroauto zuständig und betreut
Projektarbeiten im Masterstudiengang
Energiemanagement und Energietechnik.
Bis 2009 studierte die 33-Jährige Energie-
und Umweltsystemtechnik in Ansbach.
„Technik hat mich schon immer
fasziniert, deshalb lag der Studiengang
nahe. Nur an das Mensaessen erinnere
ich mich nicht gerne.“ Die Arbeit mit
erneuerbaren Energien fand Haas eben-
falls spannend. Damals war sie eine von
rund 1500 Studenten in Ansbach. Der enge
Kontakt mit ihren Kommilitonen
gefiel ihr. Nach dem Studium verschlug
es sie nach Nürnberg. Dort arbeitete
Tiffany Haas zunächst als System­
technikerin für Kraftwerke, dann als
Verfahrenstechnikerin in einer Firma,
die Dampfturbinen herstellt. Vor allem
die Arbeit mit den Studenten macht ihr
Spaß: „Ich bin ein sehr kommunikativer
Mensch.“ Ab Oktober wechselt Tiffany
Haas wieder die Seiten. Dann beginnt
ihr Masterstudium in angewandter
Forschung und Entwicklung. Arbeit,
Familie und Studium unter einen Hut
zu bekommen sieht die Mutter einer
dreijährigen Tochter als Herausforderung,         FOTO

auf die sie sich freut. „Momentan bin ich    Isabella
                                              Fischer
rundum zufrieden.“

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Matthias Kucharska auf
     Geschäftsreise am
     Münchner Flughafen

  Vielflieger
Matthias Kucharska ist als Software-­       ist er demnächst für rund 15 Mitar-
Berater viel unterwegs. Der ehemalige       beiter verantwortlich. „Das ist sehr
Wirtschaftsinformatik-Student        war    spannend, ich kann noch viel
schon in Kolumbien, Südafrika und           mehr gestalten.“ Die Studienjahre
den USA. Vor Ort erklärt der 34-Jährige     bezeichnet er als „die beste Zeit,
den Kunden, wie sie eine bestimmte          die ich hatte.“ Vor allem die familiäre
Software am besten in ihre Geschäfts-       Atmosphäre an der Hochschule
prozesse integrieren können. „Ich muss      gefiel ihm: „Es gab ein Netzwerk, in
alle Fragen beantworten können“,            dem man sich gegenseitig unterstützen
sagt er, „das ist die Herausforderung.“     und austauschen konnte.“ Auch wenn
Egal,     ob    er    Fluggesellschaften,   das viele Reisen manchmal anstrengend
Banken oder Versicherungen berät.           ist, findet er es spannend, neue Länder
Nach dem Studium arbeitete der              und Kulturen kennenzulernen. In Süd-
gebürtige Fürther zunächst für den          afrika begann er sogar neben seinem Job
Software-­Entwickler SAP. Vor einigen       einen Flugschein, den er bei nächster
Jahren wechselte er als Geschäfts­          Gelegenheit zu Ende machen will.
führer in Europa zu dessen Partner          „Fliegen ist genial“, strahlt er, „man
MOURI Tech in Mannheim. Dort                kriegt den Kopf komplett frei.“

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FOTO   Martin Reiter

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Stephan Münchmeyer im
    Headquarter von Adidas in
    Herzogenaurach

  Karriere 2.0
Der Sport ist Stephan Münchmeyer
ein treuer Begleiter. Bevor er 2006 sein
Studium Internationales Management
begann, war der deutsche Vizemeister
jahrelang als Nordischer Kombinierer
erfolgreich. Doch der 36-Jährige wollte
„raus aus meiner alten Welt“ und beendete
seine Karriere. „Nicht mehr diesen im-
mensen Druck als Leistungssportler zu
haben, das war neu gewonnene Lebens-
qualität.“ Während seines Studiums
schätzte er vor allem „die individuelle
Betreuung und den persönlichen Kontakt
mit den Dozenten“ an der Hochschule.
Bereits zu dieser Zeit arbeitete er ne-
benher für Adidas. Es folgte eine Festan-
stellung. Als Produktmanager leitet der
gebürtige Thüringer Kollektionen für
Männer-Sportbekleidung. Er koordiniert
die Arbeit zwischen Designern, Entwick-
lern und Filialen. „Für mich ist das der
Traumjob.“, sagt er. „Die persönlichen
Interessen mit dem Beruf verbinden zu
können, ist Gold wert.“ Parallel arbeitet
er als Dozent für seinen früheren Studi-
engang und gibt seine Erfahrung weiter.
Auch heute treibt er noch viel Sport, geht
regelmäßig Joggen und ins Fitnessstudio.
Hier kann er gut abschalten – jetzt ganz
ohne Leistungsdruck.

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FOTO
  Christine
Schnappauf

   23
Ticker

Ticker                          Nachrichten aus der Hochschule

Praxissemester in Asien
Nach Chinesisch-Sprachkurs zum Studium nach Taiwan
Jasmin Nerdenyan verbringt ein
Semester in Taiwan. Die 23-Jährige                                                                   Jasmin Nerdenyan
studiert in Ansbach Betriebswirtschaft.                                                                 studiert derzeit
Im Mail-Interview berichtet sie über                                                                          in Taiwan
ihre Zeit an der Dayeh Universität und
das dafür notwendige Hanyu Shuiping
Kaoshi–Zertifikat (siehe unten).

Was machst du in Taiwan?
Ich arbeite an der Dayeh Universität in
Changhua in der Abteilung International
Business Management. Dort helfe ich
den Professoren in der Vorlesung und
halte Vorträge über das Business in Eu-
ropa. Außerdem plane und organisiere
ich Events mit anderen Hochschulen.

Was ist besonders schwierig an der
Sprache?
Für mich die verschiedenen Töne, ich
kann sie mir schwer merken. Ich übe lie-
ber die Schriftzeichen. Zum Vergleich:     Haben sich deine Erwartungen erfüllt?     Zertifikat ergänzt meinen Lebenslauf.
Nach einem Semester Spanisch konnte        Ich wollte mich vernünftig unterhalten,   Vor allem im chinesischen Raum ver-
ich genauso viel wie nach drei Jahren      schreiben und lesen können. Inzwischen    langen Arbeitgeber einen solchen
intensiven Chinesischlernens.              kann ich mich verständigen. Das           Sprachnachweis.       TEXT Luise Frosch

Chinesisch-TOEFL
Ansbacher Studenten erwerben offizielles Zertifikat vom chinesischen Bildungsministerium

Für Englisch, Spanisch und Italienisch     in China (siehe Interview oben).
ist es eine Selbstverständlichkeit.        Anwärter können sich in sechs
Seit Kurzem können Studierende             Schwierigkeits­
                                                         stufen in Hörverste-
der Hochschule Ansbach auch in             hen, Lesen und Schreiben testen
Chinesich ein qualifiziertes Sprach-       lassen. Die erreichte Punktzahl be-
zertifikat erwerben: das Hanyu             schreibt den Umfang der Chine-
Shuiping Kaoshi (HSK). Der Test            sischkenntnisse. „Es bringt auf dem
findet in Kooperation mit dem Kon-         Arbeitsmarkt einen deutlichen Vorteil“,
fuzius-Institut   Nürnberg-Erlangen        erklärt Dr. Christian Gebhard vom
statt. Der Sprachnachweis eröffnet         Sprachenzentrum der Hochschule,
Studierenden unter anderem die             „und im Lebenslauf ist es ein Allein-           Die Schriftzeichen bedeuten:
Möglichkeit eines Auslands­semesters       stellungsmerkmal.“ TEXT Luise Frosch                    chinesisch–deutsch

24                                               KASPAR Sommer 2016
Ticker

                                                                                       FOTOS   Martin Reiter   LAYOUT   Julia Märtens

Studenten im Blick
Journalismus-Prof Markus Paul mit Bayerischem Staatspreis für herausragende Lehre ausgezeichnet
Er führt mit Hilfe eines digitalen Kom-
munikationssystems      Umfragen     via                                                                        Markus Paul
Smartphone durch, die zu intensiven                                                                         schöpft in seiner
Diskussionen über den Lehrstoff                                                                            Vorlesung digitale
führen. Das ist nur ein Beispiel für die                                                                       Methoden aus
innovativen Lehrmethoden, die Prof. Dr.
Markus Paul in seinen Veranstaltungen
anwendet. Kürzlich gewann er dafür
den Bayerischen Staatspreis für heraus­
ragende Lehre. Die Jury bescheinigte
dem Crossmedia-Professor aus dem
Studien­
       gang Ressortjournalismus eine
„sehr motivierende Art“ und belohnte
ihn mit einer Urkunde und 5000 Euro
für Lehrzwecke. Nominiert wurde er von
der Fachschaft der Hochschule, die ihn
nach einer internen Wahl als Kandidat      schulsportbeauftragte als Erfolgsrezept:    tiere er selbst von den Vorlesungen, da
vorgeschlagen hatte. Begeisterung und      „Jeden Tag gehe ich in den Hörsaal und      „manche Studenten über ein immenses
Spaß an den Inhalten nennt der Hoch-       freue mich darauf.“ Zusätzlich profi-       Wissen verfügen.“ TEXT Johannes Nusko

Star-Fotografin in Ansbach
International renommierte Künstlerin Herlinde Koelbl hielt Vortrag an der Hochschule
                                                                                       In den Langzeitstudien portraitierte sie
  Die Fotografin                                                                       Menschen aller Gesellschaftsschichten.
  Herlinde Koelbl                                                                      Im Laufe ihrer Karriere bereiste sie
                                                                                       dafür die ganze Welt und machte
                                                                                       sich international einen Namen als
                                                                                       Fotografin. „Ohne Disziplin ist
                                                                                       die Leidenschaft eines Fotografen
                                                                                       nur      wenig     wert“,     berichtete
                                                                                       Koelbl      und      erklärte    weiter:
                                                                                       „Wer über viele Jahre durchhalten
                                                                                       will, braucht Hartnäckigkeit.“ In ih-
                                                                                       rem Vortrag stellte die Münchnerin
                                                                                       einige ihrer Arbeiten vor und
                                                                                       beschrieb, wie sie die gewünschten
                                                                                       Ergebnisse erzielte. Für ihren Kurzfilm
                                                                                       „Targets“ etwa wartete sie bis zu vier
                                                                                       Jahre auf Dreh­   ge­nehmigungen für
 FOTO Herlinde   Koelbl
                                                                                       Truppenübungsplätze. Aktuell foto-
„Ich komponiere im Kopf und lasse          Hoch­ schule die Herangehensweise an        grafiert sie Flüchtlings­unterkünfte in
meine Gedanken anschließend Realität       ihre Projekte. Die 76-Jährige ist bekannt   Griechenland, Italien und Deutsch-
werden“, beschrieb Herlinde Koelbl         für Bildbände wie „Spuren der Macht“        land im Auftrag des Europäischen
im   Hans-Maurer-Auditorium     der        oder „Das Deutsche Wohnzimmer“.             Parlaments.         TEXT Johannes Nusko

                                                                                                                                  25
Stadtkern

Lärm lass nach
Ansbach ist laut. Vor allem die Bahn sorgt für
einen hohen Geräuschpegel. Die Bundesregierung
und die Europäische Union wollen die Belastung
durch den Zugverkehr reduzieren.
KASPAR klärt auf
                                                                                    TEXT       ILLUSTRATION          LAYOUT
                                                                           Felix Futschik   Annalena Sippl    Fabian Tremel

Z
         wischen der Bahnstrecke 5902        ministerium für Verkehr und digitale
         und dem Haus von Manfred            Infrastruktur (BMVI) so und hat des-
         Borndörfer in der Schalk-           halb im März dieses Jahres die Strategie
         häuser Straße liegen etwa 60        „Leise Schiene“ vorgestellt. Eine der
         Meter. Der 80-Jährige steht         Hauptaufgaben: Bis 2020 will die
auf dem Balkon, als ein Güterzug             Bundes­ regierung die Lärmbelastung
vorbeifährt. Es rattert. „Das ist ein        durch Güterzüge um die Hälfte
alter Zug“, sagt Borndörfer. „Die neuen      reduzieren. Bis dahin soll es ein Gesetz
erkenne ich sofort, die sind viel leiser.“   geben, das nur umgerüstete oder neue

                                                                                        „Die neuen
Auf dem Schienenabschnitt verkehren          Schienenfahrzeuge erlaubt. Das Ziel laut
die Züge zwischen Ansbach und                Verkehrsminister Alexander Dobrindt:
Würzburg. Er geht vom Balkon ins             „Mehr Mobilität und weniger Lärm“,
Esszimmer und schließt die Tür.
Augenblicklich ist es nahezu still.
                                             um so „die Akzeptanz für Züge und
                                             Schienenwege zu sichern.“ Damit
                                                                                        Züge erkenne
                                                                                        ich sofort,
„Wenn das Radio oder der Fernseher           knüpft das Ministerium an das seit 1999
laufen, höre ich überhaupt nichts mehr       lau­
                                                fende freiwillige Lärmsanierungs­
vom Zug“, sagt Borndörfer und verweist       programm des Bundes an. Bisher hat der
auf seine Schallschutzfenster. Der Bund
hat den Einbau finanziell unterstützt.
                                             Fiskus mehr als 1,1 Milliarden Euro in
                                             das Programm investiert.
                                                                                        die sind viel
Durch Ansbach fahren jedes Jahr unge-
fähr 50.000 Züge: Fernverkehr, Güter­züge
                                             Auf deutschen Schienen verkehren etwa
                                             180.000 Güterzüge. Davon gehören
                                                                                        leiser.“
und Regionalbahnen. Eine Umstruktu-          60.000 der Deutschen Bahn. Bis Ende
rierung des Güterbahnhofs, wie sie in        dieses Jahres soll die Hälfte der Flotte
Ansbach derzeit diskutiert wird, hätte       modernisiert sein. Die anderen fahren
darauf keinen Einfluss. Ein Großteil der     für private Unternehmen und ausländi-
Züge fährt durch. Die Lärmbelastung          sche Halter. Auch diese rüsten um und
durch den Zugverkehr ist entsprechend        investieren. „Die Güterzüge verfügen
hoch. Das sieht auch das Bundes­             über eine veraltete Bremstechnik“, sagt

26                                                 KASPAR Sommer 2016
Stadtkern

Hans-Georg Zimmermann von der               Die     Ansbacherin       betreibt     eine   Ein weiterer Bestandteil des Lärm­
Deutschen Bahn. Das sei wie bei einem       Musikschule. „Die Fenster sind wäh-           aktions­plans war eine Bürgerbe-
Fahrrad: Die Eisenbremsklötze rauen         rend des Unterrichts meistens geschlos-       teiligung im vergangenen Jahr. Die
das Fahrwerk auf. So entsteht das laute     sen“, sagt Rauscher. Sie habe auch            Öffentlichkeit sollte an der Aus­
Fahrgeräusch. Die neuen sogenannten         Schallschutzfenster eingebaut, aber           arbeitung teilnehmen, indem sie einen
Flüsterbremsen schleifen die Räder nicht    „an heißen Tagen hält man es bei              Fragenkatalog     zur    Lärm­belastung
ab und fahren deshalb leiser.               geschlossenem Fenster nicht aus.“             beantwortet. Dr. Bernhard Schmid,
                                            Gerade der Verkehr in der Nacht sei           Sprecher von Die Grünen Ansbach,
Auch durch Maßnahmen im Umfeld              besonders schlimm. Sie findet es gut,         findet eine solche Beteiligung sinnvoll:
der Schienen will das Ministerium den       dass der Lärm weniger werden soll.            „Man muss mit den Bürgern über
Lärmpegel senken. Das Streckennetz in       „Die modernen Züge helfen da schon“,          einzelne Maßnahmen diskutieren.“
Deutschland umfasst 33.000 Kilometer.       sagt Rauscher, „wenn ich im Garten            Die Stadt Ansbach hat den Aufruf
Knapp 3.700 davon fallen unter das          arbeite, fällt mir das besonders auf.“        zur Bürgerbeteiligung auf der Homepage
Lärmsanierungsprogramm, für das der                                                       veröffentlicht, darüber hinaus jedoch
Bund jährlich 150 Millionen Euro zur        Das Eisenbahnbundesamt (EBA) macht            keinen     weiteren   Handlungsbedarf
Verfügung stellt. Bis heute hat die Bun-    ebenfalls mobil. Bis 2018 muss die Be­        gesehen. Dr. Christian Schoen, stell-
desregierung 1.600 Kilometer etwa durch     hörde einen Lärmaktionsplan erstellen.        vertretender Bürgermeister, reicht das
den Einbau von Schallschutzwänden           Die Europäische Union hat ihre                nicht: „Ich muss dafür sorgen, dass
und -fenstern modernisiert.                 Mitgliedstaaten     dazu   aufgefordert,      die Leute aktiv werden, wenn etwas
                                            die Belastung durch Umgebungslärm             passieren soll. Man hätte auf
Auch Juliane Rauscher wohnt in der          zu verhindern. Das EBA hat deshalb            Vereine und Verbände zugehen sollen.“
Schalkhäuser Straße. Die 50-Jährige sitzt   dieses Jahr einen Pilotversuch gestartet      Das Ergebnis der Bürgerbeteiligung
auf einem Holzstuhl, auf dem eigentlich     - als erste Bestandsaufnahme. Eine soge-      wäre womöglich anderes ausgefallen:
ihre Schüler Platz nehmen. In dem Raum      nannte Lärmkartierung soll die lautesten      Von knapp 9500 Betroffenen haben
stehen Notenständer und Glockenspiele.      Streckenabschnitte aufzeigen.                 16 Bewohner mitgemacht.

                                                                                                                               27
Muktar Ahmed, 19, vor Garnrollen der
Textilfirma TVU in Leutershausen

Endlich
anpacken
Eine Arbeitsstelle oder Ausbildung ist ein wichtiger Schritt
für die Integration von Flüchtlingen. Der Ansbach-Pakt stellt erste
Weichen für Unternehmen und angehende Lehrlinge: Er bietet
Sicherheit und Zuversicht
TEXT            LAYOUT
Ronja Straub    Melissa Fortin
Stadtkern

                 FOTO
Valentina Leokumovich
Stadtkern                           FOTO   Valentina Leokumovich

                                       Moein Moghaddams
                                    Traumberuf ist Friseur.
                                     Im September beginnt
                                       der Praktikant seine
30          KASPAR Sommer 2016   Ausbildung in Pappenheim
Stadtkern

M
              uktar Ahmed steht vor        Zustimmung zur Ausbildung. Das              Die Zahnärztin Ingrid Keller war
              einem dampfenden Kessel,     Dokument ist bis zum Ende der Lehrzeit      sofort bereit: Als das Kolping-
              in dem gerade Garn grün      und zwei weitere Jahre gültig. Solange      Bildungszentrum bei ihr wegen
              gefärbt    wird.   Neben     darf der Geflüchtete in Deutschland         eines Praktikums für die junge
              ihm lagern Spulen, auf       bleiben - egal, ob der Asylantrag negativ   Libyerin Safaa Alastal anfragte,
denen Schnüre gewickelt sind. Es           oder positiv entschieden wird.              sagte Keller spontan zu. Mittler­
                                                                                                                       weile
riecht nach Chemikalien. Der Junge                                                     macht die 22-Jährige ein Einstiegs­
mit dunkler Haut und braunen                                                           qualifikationsjahr, das wie ein Lang-
Locken wendet sich einer der Über-                                                     zeitpraktikum aufgebaut ist. Im
wachungsmaschinen zu und prüft die                                                     September beginnt Safaa Alastal mit
Regler. „Ich bin nicht nach Deutschland                                                der Ausbildung zur zahnmedizinischen
gekommen, um zu essen und zu schlafen“,    „Ich liebe diese                            Hilfskraft.
sagt er. „Ich möchte arbeiten.“
                                           Arbeit. Davon werde                         An diesem Montagmorgen bereitet

                                           ich niemals müde.“
Muktar Ahmed ist als 17-Jähriger                                                       die junge Frau wie jeden Tag den Behand-
alleine    aus    seinem     Heimatland                                                lungsraum für den nächsten Patienten
Eritrea über den Sudan, Libyen und                                                     vor: Sie steckt die Düse auf den Absau-
Italien nach Deutschland geflüchtet.                                                   ger, lässt Wasser in den Plastikbecher
                                           Moein Moghaddam, 26 Jahre
Angekommen ist er ohne einen Schul-                                                    fließen und packt Instrumente aus der
abschluss, dafür mit der Hoffnung                                                      Folie. Ihre Arbeitskleidung besteht aus
auf ein freies Leben. Heute ist er                                                     einer weißen Hose und einem blauen
19 Jahre alt und macht seit März                                                       T-Shirt. Um den Kopf trägt sie ein weißes
ein Praktikum bei der Firma TVU                                                        Tuch. „Safaa ist eine von uns und wir
Textilveredlungsunion      in   Leuters­   Die 3+2-Jahre-Formel ist ein Baustein       sind froh, sie hier zu haben“, sagt die
hausen. Muktar Ahmed möchte noch in        des     Ansbach-Pakts     und    zeigt:     Ärztin. Sie und ihr Mann unterstützen
diesem Jahr seine Aus­bildung zum Pro-     Ausbildung schützt vor Abschiebung.         die junge Frau auch außerhalb des
duktveredler im Textilbereich beginnen.    Stadtverwaltung, Hand­werks­­kammer,        Praktikums und geben ihr Deutsch­
In ein paar Tagen muss er eine Hürde auf   Agentur für Arbeit und Jobcenter            unterricht.
diesem Weg nehmen. Er ist zur Anhö-        unter­zeichneten die Vereinbarung. Die
rung beim Bundesamt für Migration          Erklärung hat zum Ziel, „Betrieben          Die Sprache ist für die Betriebe
und Flüchtlinge nach München gela-         die Angst zu nehmen und ihnen die           eine wichtige Grundvoraussetzung,
den. Das Amt wird über seinen Auf-         Sicher­heit zu geben, dass Flüchtlinge      um       Flüchtlinge      aufzunehmen.
enthaltsstatus entscheiden. Da Muktar      während der Ausbildung nicht ab-            Mohammad Al Zoabi lernt Deutsch
Ahmed aus einem Land kommt, in dem         geschoben werden“, sagt Christina           in der Schule. Es ist sein Lieblings-
seit vielen Jahren ein Bürgerkrieg tobt,   Kohschmieder von der Handwerks-             fach. „Wenn man gut lernt, klappt es
hofft er auf die Anerkennung.              kammer Mittelfranken.                       auch“, sagt der 18-jährige Syrer, der vor
                                                                                       einem Jahr nach Deutschland kam. Er
„Wir spüren Muktars Kraft und              Muktar      Ahmed      arbeitet     zwei    macht ein Praktikum in der Abteilung
wollen ihn bei der Integration             Tage pro Woche bei der TVU.                 Werkzeugbau bei der Oechsler AG.
unter­
     stützen“, sagt Gerhard Haus-          An den anderen Tagen geht er                Mit sicheren Handgriffen baut er die
ner. Wie der TVU-Geschäftsführer           in die elfte Klasse im Staatlichen          einzelnen Teile auseinander und reinigt
bemerken auch viele Ausbilder bei          Beruflichen Schulzentrum in Ansbach.        sie. Er wirkt ehrgeizig, so, als wolle er
Lehrlingen aus anderen Ländern             Er strebt den Mittelschulabschluss          keinen einzigen Fehler machen. Sein
eine    große     Bereitschaft     und     an, vergleichbar mit dem Haupt-             Hobby in Ansbach ist das Theaterspielen.
Motivation. Sie ist oft stärker als bei    schulabschluss. Theresia Hitz ist           „Dort habe ich russische und arabische
deutschen Auszubildenden.                  dort seine Lehrerin. Die 34-Jährige         Freunde. Wir unterhalten uns auf
                                           arbeitet für das Kolping-Bildungs­          Deutsch“, sagt Mohammad Al Zoabi
In Ansbach leben aktuell rund 650          zentrum, einen Kooperationspartner          lachend. Neben dem Theaterspielen ist
Geflüchtete. In 25 Unternehmen             der      Berufsschule.     Zu      ihren    ihm die Arbeit sehr wichtig. „Ich möchte
aus der Umgebung sind bislang              Aufgaben      gehört   es,    für    die    unbedingt einen Beruf haben.“
Mi­granten untergekommen, meldet           Flüchtlinge eine passende Firma
die Handwerkskammer Mittelfranken.         zu finden. „Durch eine Ausbildung           Das Programm „Bayern Turbo“
Wenn ein Flüchtling zu Beginn              passiert Integration ganz beiläufig“,       vermittelte ihn und seinen Freund
der Ausbildung unter 21 Jahren             sagt Theresia Hitz. Jedoch sei              Amir Karimi zur Oechsler AG in
ist und aus einem nicht sicheren           nicht jede Firma so aufge­schlossen, wie    Ansbach. Das Projekt dauert von März
Herkunftsland kommt, erteilt das           die TVU. „Oft müssen wir Überzeu-           bis August und wird vom Verband
Landratsamt in der Regel eine              gungsarbeit leisten.“                       der Bayerischen Wirtschaft getragen.

                                                                                                                             31
32   KASPAR Sommer 2016
FOTO   Valentina Leokumovich

    Für Amir Karimi (links) und Mohammad Al Zoabi ist
die Ausbildung bei der Oechsler AG eine große Chance:
           Sie können erst mal in Deutschland bleiben

                                                     33
Stadtkern

     Safaa Alastal hat in Libyen zwei
     Jahre Zahnmedizin studiert.
     Jetzt macht sie ein Praktikum
     in einer Wolframs-Eschenbacher
     Zahnarztpraxis

     FOTO
     Sebastian Schülein

„In dieser Zeit bereiten wir die           bei Oechsler zum ersten September         diese Arbeit“, betont er. „Davon
Geflüchteten     auf   ein    Einstiegs­   beginnen können, ist noch unklar.         werde ich niemals müde.“ Im Iran
qualifikationsjahr oder eine Ausbildung    „Wir müssen sehen, wie sie sich sprach-   durfte er nur Männern die Haare
vor“, sagt Bernhard Meyer, Leiter des      lich entwickeln“, sagt Florian Döbler,    schneiden. „Die Frauenhaarschnitte
Bayern Turbo Ansbach. Das Programm         stellvertretender Personalleiter der      lernt er jetzt hier bei uns“, sagt der
hilft Geflüchteten im Alter von 16 bis     Kunststoffverarbeitungsfirma Oechsler.    54-jährige    Friseurmeister    Dieter
25 Jahren, die eine hohe Bleibewahr­       Schließlich müssen die angehen-           Knoll und lacht. Als der junge
scheinlichkeit haben. Neben dem            den Lehrlinge Betriebsanleitungen         Iraner vor einigen Wochen in den
Praktikum      bei   Oechsler     gehen    lesen können, um Funktionen und           Salon kam, „war er mir sofort
Amir Karimi und Mohammad Al                Gefahren      zu  verstehen.    Florian   sympathisch.“ Noch in diesem Jahr
Zoabi zum Berufsfort­bildungszentrum       Döbler schaut zuversichtlich auf die      beginnt Moein Moghaddam seine
(BFZ) Ansbach, wo die Kurse des            Integration junger Leute: „Ich sehe in    Ausbildung. Danach würde Dieter
Bayern Turbo stattfinden.                  der Ausbildung eine große Chance.“        Knoll ihn gerne übernehmen.

Amir Karimi arbeitete als Schneider        Moein Moghaddam will Friseur              Der Textilpraktikant Muktar Ahmed
in seiner Heimat, dem Iran. Während        werden.    „Freiheit   bedeutet    für    aus Leutershausen war mittlerweile
der Flucht verdiente er mit dem Nähen      mich, wenn ich selbst über mein           bei seiner Anhörung in München:
Geld für den nächsten Schlepper. Jetzt     Leben und meine Arbeit entscheiden        Er hat ein gutes Gefühl. Auf das
möchte er Elektriker werden. „Ich muss     kann“, sagt der 26-Jährige. Der junge     Ergebnis muss er allerdings noch
Geduld haben - das weiß ich. Es            Mann steht in Jeans und mit gestylten     warten. Sollte es zu Beginn seiner
kann nicht alles sofort klappen“,          Haaren in einem Salon in Pappenheim.      Ausbildung noch ausstehen, hilft
sagt der junge Mann mit dem                In der Hand hält er Schere und Kamm.      ihm der Ansbach-Pakt mit der
schwarzen T-Shirt. Ob er und               Der Iraner hatte in seiner Heimat         3+2-Jahre-For­
                                                                                                  mel: Ausbildung statt
Mohammad Al Zoabi die Aus­bildung          einen eigenen Friseurladen. „Ich liebe    Abschiebung.

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Am Boden
                                     Der Trainer, der Onkel oder gar der
                                     eigene Vater – sexuelle Gewalt hat
                                          viele grausame Gesichter.
                                       In Ans­bach kämpfen erfahrene
                                      Helfer gegen das stille Leiden der
                                       Opfer. Es ist eine Arbeit, die an
                                      menschliche Abgründe führt und
                                             doch Hoffnung gibt

                              TEXT                   FOTOS                  LAYOUT
                         Annalena Sippl   Ronja Straub, Felix Futschik   Melissa Fortin

Im Jahr 2015 gab es deutschlandweit knapp 14.000 Fälle
von sexuellem Missbrauch gegenüber Kindern und Jugendlichen
Stadtkern

F
         reitagnachmittag in einem         Mädchen und bis zu jeder zwölfte          Für Helga Taeger von Rauhreif ist das
         kostenfreien Chatroom im          Junge Opfer sexuellen Missbrauchs.        ein typisches Phänomen. „Das muss
         Internet. Die Anmeldung ist       Im Durchschnitt waren 2015 laut der       unser kleines Geheimnis bleiben, du
         kinderleicht, die erfundene       polizeilichen Kriminalstatistik täglich   bist doch mein Zuckerpüppchen“,
         E-Mail-Adresse kein Hindernis.    38 Kinder betroffen. Nach Untersu-        schmeicheln die Täter und setzen die
Die KASPAR-Redakteurin schreibt            chungen des Bundesfamilienministe-        Kinder unter Druck: „Wenn du das
unter Pseudonym, ihr Alter ist             riums hat deutschlandweit fast jede       jemandem erzählst, passiert etwas
angeblich 14 Jahre. Sekunden später        siebte Frau sexuelle Gewalt erfahren.     Schlimmes.“ Der Täter überträgt damit
blinkt der Bildschirm ihres Laptops,       Die Dunkelziffern sind weitaus höher,     die ganze Verantwortung auf sein
zahlreiche Nachrichten anderer User        vermuten die Mitarbeiter von Rauhreif.    Opfer. Ein emotionaler Teufelskreis.
ploppen auf. Loewe Jürgen, 42 Jahre
alt, schreibt, er sei „was älter“ und      In den meisten Fällen gehen die Über-
kommt dann gleich zur Sache.               griffe aber nicht „vom großen bösen           Um den Vater
„Wenn du wirklich vögeln willst,           Unbekannten“ aus, wie Taeger ihn
dann gerne.“ Nordfriese 38 schlägt         nennt. Mädchen werden öfter im               abzuschrecken,
vor, ihn auf einer anderen Seite mal
„ganz“ zu sehen. Der Testperson
                                           familiären Umfeld missbraucht. Die
                                           Täter, die sich an Jungen vergehen,         zerschnitt sie sich
läuft ein Schauer über den Rücken.
Angewidert klappt sie den Laptop zu.
                                           stammen überwiegend aus dem
                                           sozialen Milieu. Das kann der Stief-
                                                                                     Brüste und Gesicht mit
Selbstversuche dieser Art führen die
                                           vater ebenso sein wie der Onkel oder
                                           der Fußballtrainer. Sexuelle Gewalt
                                                                                      einem Herdschaber
Mitarbeiter des Ansbacher Vereins          zieht sich durch alle Gesellschafts-
Rauhreif in der Präventionsarbeit mit      schichten. Für den Ansbacher Verein       Als eine Wohnung im Haus der Eltern
Eltern durch, um sie für das Thema         steht neben der Aufklärungsarbeit die     frei wurde, zog Monica Bielers Klientin
sexuelle Gewalt zu sensibilisieren. Seit   Beratung der Missbrauchsopfer im          zum Vater, ihrem Peiniger, zurück.
der Gründung 1993 ist der Verein ein       Fokus. Der erste Kontakt findet meist     Dort ging die Tortur weiter. Fortan
Zufluchts- und Schutzraum für Opfer.       telefonisch statt. Besorgte Eltern und    versuchte die Pädagogin, mit kleinen
„Das Internet ist eine große Gefahr“,      Jugendliche, aber vor allem Frauen,       Schritten zu helfen. „Nachts die
bestätigt Helga Taeger, die langjährige    die in ihrer Vergangenheit sexuelle       eigene Türe zusperren, um sich der
Vorstandsvorsitzende und Seele des         Gewalt erlebt haben, rufen an.            Gewalt zu entziehen“, lautete eine
Vereins. Sie will den Betroffenen eine                                               ihrer Aufgaben. Der Preis, den die
Stimme geben und das schwierige            Die Sozialpädagogin Monica Bieler         Klientin für dieses winzige Stück
Thema in die Öffentlichkeit rücken.        führt mit den Betroffenen die             Selbstbestimmung zahlte, war der
Studienbasierten Schätzungen zufolge       Beratungs­gespräche.       Einfühlsam     Zorn des Vaters. Bei einem Gespräch
wird in Deutschland bis zu jedes fünfte    schildert    sie   den    Fall   einer    zeigte die 36-Jährige der Beraterin
                                           36-Jährigen, der ihr besonders            ihren verwundeten Rücken. Mit dem
                                           im Gedächtnis geblieben ist: „Die         Fuß habe der Vater sie in eine öffent-
                                           Annäherung war etwas schwierig.           liche Toilette getreten. Um den Mann
                                           Sie schnitt sich selbst in die Haut,      abzuschrecken, zerschnitt sie sich
                                           konnte aber nicht formulieren,            voller Verzweiflung Brüste und
                                           warum sie das tat.“ Nach einigen          Gesicht mit einem Herdschaber.
                                           Treffen fasste die Frau Vertrauen         Selbst die eigene Mutter ist der Toch-
                                           und offenbarte ihre Geschichte.           ter keine Hilfe. Vermutlich weiß sie
                                           Seit ihrem 13. Lebensjahr miss-           von den Vergewaltigungen im eigenen
                                           braucht der Vater sie, bis heute habe     Haus, doch akzeptiert sie schweigend.
                                           sich daran nichts geändert. Mal
                                           lobt der Mann seine Tochter, gibt         Der Ansbacher Verein bietet Opfern
                                           ihr das Gefühl, ihm eine bessere          sexueller Gewalt eine Möglichkeit,
                                           Frau zu sein als die Mutter, dann         ihre seelische Last zu teilen.
                                           wiederum droht er und macht               Auf Wunsch begleiten Mitarbeiter
                                           ihr Angst. Die Beraterin hält den         Betroffene zur Polizei oder zum
                                           Kontakt­  abbruch zum Vater für           Gericht. Dort beginnt ein weiterer
                                           sinn­voll. Für die Klientin, die es       nervenaufreibender Kampf. „So einen
                                           zwischen­zeitlich immerhin geschafft      Prozess muss man erst mal durch-
                  Sozialpädagogin          hatte, von zuhause auszuziehen, ist       stehen, das ist richtig gruselig“,
                    Monica Bieler          das ein unvorstellbarer Schritt. „Sie     beschreibt Helga Taeger. Das bundes­
                                           ist abhängig von ihm“, vermutet Bieler.   deutsche Rechtssystem, das ebenso

38                                               KASPAR Sommer 2016
Stadtkern

   fang an dich zu beschreiben

                        naja ich bin halt nicht so gross
                        und hab lange braune haare.
                        sonst gibts nix

   gibt genug
                                                                                         Verführung online
   welche cup grösse                                                                     Online-Plattformen bieten den
                                                                                         Nutzern die Möglichkeit, anonym
                                                                                         Kontakte zu knüpfen. In einigen
                                                 keine ahnung                            der Foren treiben sich User mit
                                                                                         zweifelhaften Absichten herum.
                                                                                         KASPAR-Autorin Annalena Sippl
                                                                                         meldete sich zu Recherche­zwecken
   trägste schon bh?                                                                     bei einem Chat unter Pseudonym
                                                                                         an. Innerhalb kürzester Zeit
                                                                                         erhielt sie zahlreiche eindeutige
                                                                 ne                      Nachrichten.

   aber brustansatz zu sehen?

                               warum fragst du sowas?

   leichte wölbungen

    haste an der mumu schon haare?

Falschbeschuldigungen aufdecken muss,     sprach den Mann frei. Auf dem              hat sich über die Jahre hinweg
machen      sich   Täter    in   vielen   Video sei kein Abwehrverhalten des         von der „Schmuddelecke“, wie sie
Fällen für eine milde Strafe oder einen   Mädchens zu erkennen. Zudem war            sagt, hin zu einer akzeptierten und
Freispruch zu eigen. Für einen            die Betroffene zum Zeitpunkt der           geschätzten Einrichtung gewandelt.
Straftatbestand muss das Opfer bei        Anzeigenerstattung bereits 14 Jahre alt.   Der Erfolg stecke zudem in den kleinen
dem Übergriff Gegenwehr gezeigt           Damit gilt eine andere Rechtspre-          Dingen: Eine Klientin, die das erste
haben oder körperliche Verletzungen       chung als bei Kindern. Der triumphie-      Mal den Augenkontakt sucht oder
nachweisen können.                        rende Stiefvater wollte im Gerichts­saal   eine Anruferin die sich nach dem
                                          seinen Anwalt umarmen. Dieser              Telefonat leichter fühlt. Wie zur
Monica Bieler erinnert sich an den        blockte ab, erinnert sich die Pädagogin.   Bestätigung erhält Monica Bieler eine
Fall einer 13-Jährigen. Der Stiefvater                                               SMS von der 36-jährigen Klientin.
hatte das Mädchen missbraucht und         Erfolge sind in der Beratungsarbeit oft    Die Zimmertür sperre sie nun nachts
die Tat gefilmt. Bei der Urteilsverkün-   schwer zu benennen. Für Helga Tae-         zu, auch wenn es schwer fällt, schreibt
dung folgte der Schock: Das Gericht       ger ist es das große Ganze: Rauhreif       die Frau. Ein kleiner Erfolg.

                                                                                                                             39
Stadtkern

     Volles Rohr
     Fett, Folien, Feuchttücher – viele Haushaltsabfälle wandern dorthin, wo sie nichts zu
     suchen haben: in die Toilette. Das lockt Ratten an. Für die Ansbacher Abwassertechniker
     ist das nicht die einzige unangenehme Überraschung

     TEXT                  FOTOS UND LAYOUT
     Johannes Hirschlach   Christine Schnappauf

40                                            KASPAR Sommer 2016
Stadtkern

     Auf Inspektion: Jörg Meyer
      im größten unterirdischen
Regenrückhaltebecken Ansbachs

                                  41
Stadtkern

K
          leine Schneeflocken tanzen       Rinne über, es kommt alles runter in      blockieren Fremdkörper innerhalb kur-
          in der Sonne. Von Westen         dieses Becken“, erklärt der Techniker,    zer Zeit den Kanal. Eine Verstopfung
          schiebt sich eine dunkle Wol-    während er mit energischem Schritt in     am Tag ist in Ansbachs nasskalter
          kenfront über Ansbach. Jörg      die Dunkelheit marschiert. Vom steten     Unterwelt normal.
          Meyer hat gerade keinen          Piepsen des Gasmessers begleitet,
Blick für die Wetterkapriolen des          macht sich Meyer an die Arbeit:           Neben dem Zahn der Zeit verursachen
späten Winters. Seine Aufmerksamkeit       die Sichtkontrolle der 620.000 Liter      jedoch auch die kräftigen Kauwerkzeuge
gilt ganz dem dunklen Loch zu seinen       fassenden Betonhalle.                     der Kanalratten große Schäden. Jörg
Füßen: Am Rand der Hofwiese liegt das                                                Meyer ist bei seinem Rundgang durch
größte geschlossene Regenrückhaltebe-      Die möglichen Schäden sind zahlreich:     das düstere Rückhaltebecken auf Spu-
cken der Rezatstadt. Als Mitarbeiter der   Neben Schmutzwasser und Fäkalien          rensuche: „Unsere kleinen Knabber-
Abwasserentsorgung Ansbach (awean)         gelangen immer wieder Fremdkörper         spezialisten sind hier immer wieder am
muss Meyer die dunklen Hallen unter        in die trübe Brühe. Verursacher sind      Werk“, sagt er. Aufmerksam leuchtet
der Stadt monatlich inspizieren und        neben Regenschwemmen meist die            der Abwassertechniker die dreckver-
deren Pumpanlagen vor Verstopfung          Verbraucher. Verpackungen, Textili-       krusteten Kabelstränge der im Becken
sichern. Ein muffiger Geruch nach kal-     en, Essensreste und Speisefette fließen   eingebauten Pumpen ab. Das Licht der
tem Schlamm drückt aus dem Schacht         über die Hausanschlüsse ins Kanal-        Lampe erhellt die Betonwand. Dort kle-
empor. Der 46-Jährige hängt sich ein       system und lagern sich ab. „Man fragt     ben ein Gummiring, eine Damenbinde
orangefarbenes Gasmessgerät um den         sich schon, wie auf einmal eine große     und eine Schokoriegelverpackung. Alle
Hals. Eine Sonde prüft die Kanalluft       Metallstange im Rohr liegen kann“,        Abfälle sind einheitlich von gräuli-
auf eventuelle Schwefel- und Methan-       bemerkt Meyer und verzieht das            chem Schlamm überzogen. Die ständige
gase. Ein schrilles Piepsen gibt dem       Gesicht. Besonders Feuchttücher stel-     Kontrolle auf Rattenbefall sei unerläss-
Mann mit den kurzen blonden Haaren         len den Techniker seit geraumer Zeit      lich, erläutert Meyer. Sein Vorgesetzter,
Entwarnung. „Alles gut“, wendet er         vor Herausforderungen. Gerade älte-       Abwassermeister Jörg Wittig, rechnet
sich an seinen Kollegen neben ihm.         re Pumpen sind häufig durch dieses        die Nagerpopulation der Markgra-
Meyer rückt seine dunkelblaue Schirm-      Gewebe verstopft, das nicht wie           fenstadt mit einer Faustformel hoch:
mütze zurecht und schwingt sich auf        Toilettenpapier im Wasser zerfällt.       „In gut situierten Vierteln kommen ein
die metallenen Trittstufen, die den Weg    Das macht eine wöchentliche Reinigung     bis zwei Ratten auf einen Einwohner.“
hinunter führen. Den Gasmesser behält      der Maschinen nötig.                      In Stadtteilen, in denen die Bewohner
er um, „für alle Fälle“. Im Regenrück-                                               weniger umsichtig sind, seien es drei bis
haltebecken angekommen, tritt er aus       Auch Werner Kaufmann teilt die            fünf Nager pro Kopf. „Es könnten also
dem schmalen Lichtspalt, der von oben      Sorgen des Pumpenspezialisten. Der        40 000 bis 200 000 Ratten in Ansbach
herabfällt. „Es dauert ein bisschen,       gelernte Maurer ist Vorarbeiter der       leben“, schlussfolgert Wittig.
                                                        Kanalgruppe im Ansba-
                                                        cher Betriebsamt. Wäh-       Mit ihrer umfangreichen Buddelei sind
                                                        rend Meyer und seine         die Nager auch für Werner Kaufmann
„Unsere kleinen Knabber­                                Kollegen der awean für
                                                        die Maschinen- und
                                                                                     ein Ärgernis. Wer Lebensmittel in der
                                                                                     Toilette entsorgt, trägt zur Rattenplage
spezialisten sind hier immer                            Kläranlagentechnik zu-
                                                        ständig sind, kümmern
                                                                                     bei. „Das ist ja für die wie All You
                                                                                     Can Eat!“, sagt der Betriebsämtler,
wieder am Werk.“                                        sich die Arbeiter des        „dabei unterhöhlen die den Boden im
                                                        Betriebsamtes um die         Kanal und der senkt sich ab.“ Die Folge
                                                        täglichen Reinigungen        sind Bauschäden und daraus resultie-
                                                        des Untergrunds.             rende Verstopfungen. Im Privatkanal
bis sich die Augen an die Dunkelheit                                                 der Ansbacher Weinbergschule kam es
gewöhnt haben“, murmelt er und schal-      Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat      kürzlich sogar zu einer unangenehmen
tet seine Taschenlampe an. Das laute       Ansbach eine zentrale Abwasserent­        Überraschung: Dort waren bei Bauun-
Echo seiner Schritte lässt auf die Größe   sorgung. 338 Kilometer lang ist das       tersuchungen Ratten aus dem Kanal
der rund 25 Meter langen, unterirdi-       aktuelle Kanalgeflecht, durch das der     gekrochen. Die Knabberwut der
schen Halle schließen: In der Finsternis   Dreck der Stadt fließt. Mit einem Wert    Nagetiere versucht die Stadt mit
lösen sich die Konturen einer Säulen­      von 75 Millionen Euro ist es neben dem    Gift einzudämmen. 150 Portionen
galerie auf. Die umgebenden Wände          Straßennetz die größte und teuerste       Köder verteilen die Mitarbeiter des
sind im spärlichen Licht der Taschen-      Infrastruktur der Stadt. „Material­       Betriebsamtes pro Jahr im städti-
lampe nur zu erahnen. Rechts über          ermüdung und Wurzeln, die in Rohre        schen Kanalnetz. Die Erfolgskontrolle
Meyers Kopf rauschen die Abwässer          eindringen“, nennt der 48-jährige         gestaltet sich schwierig. „Die Ratten
tausender Ansbacher in einem Kanal-        Kaufmann als häufigsten Einsatz-          sieht ja sonst keiner“, meint Kaufmann
bett vorbei. „Bei Starkregen läuft die     grund seines Teams. An solchen Stellen    schulterzuckend.

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Stadtkern

Kräftig am Pumpen:
Jörg Meyer überprüft
am Regenrückhalte-
becken die Anlagen

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Stadtkern

Verstopfung vorprogrammiert                                                              Kanal-Shooting
Diese Dinge gehören auf keinen Fall in den Abfluss:                                      Ein Inspektionsroboter erkundet
                                                                                         regelmäßig das Ansbacher Kanali­
                                                                                         sationssystem. Die Bilder (rechts)

     Verpackungen
                                       Vliesstoffe                                       seiner Erkundungs­touren liefern
                                                                                         Einblicke in die Unterwelt:

Feuchttücher                                                  Kondome                        1

                                                                                             2
                                                                                                  Wurzeleinwuchs im Kanal

                                                                                                  Pflanzengeflecht
          Damenbinden                                     Speiseöl                           3    Nagetier

     Katzenstreu
                            Essensreste                                                      4

                                                                                             5
                                                                                                  Ablagerungen

                                                                                                  Wurzel mit Ablagerung
Tampons                                        Medikamente                                   6    Ratte
                   Windeln                                                                   7    Kanaleinsturz
                                                         Putzlappen
                                                                                             8    Kräftige Wurzeln im Rohr
                                                                                          Quelle: awean

Unter der Hofwiese ist Jörg Meyer          Erleichterung“, ergänzt er, „weil wir        oder ausgetauscht“, erklärt er und reckt
nach einem prüfenden Blick auf die         damit schnell reagieren können.“ Jörg        den rechten Daumen in die Luft: „Die
verlegten Leitungen zufrieden: „Keine      Wittig setzt als Betriebsleiter der          haben jetzt einen ‚Reißfinger‘, der das
Bissspuren!“ Einen schwarzen Hand-         Ansbacher Kläranlage ebenfalls auf           Zeug zerfetzt.“ Er wirft einen Blick
schuh an seinen Dreitagebart gelegt,       moderne Technik. Zehn Millionen              in die dunkle Halle und anschließend
ruft er nach oben: „Michael, kannst du     Liter Abwasser kommen hier an                durch den Schacht nach oben, wo noch
mal die Pumpe einschalten?“ Sein Kol-      trockenen Tagen aus dem Stadtgebiet          immer Schneeflocken am Himmel
lege legt am überirdischen Steuerungs-     an. Faustgroße Steine, Unterwäsche           wehen. „Eigentlich ist das ein Vorteil,
kasten einen Schalter um. Ein Röhren       und selbst Schlachtabfälle hatten das        wenn es in der Kanalisation wärmer als
dröhnt aus der Ecke des Regenrück-         alte Rechensystem am Anlagenzufluss          draußen ist!“, raunt der Techniker leise,
haltebeckens. In einem kleinen, mit        malträtiert. Seit 2006 läuft ein neuer,      als solle ihn keiner hören. Er lacht und
Schmutzwasser gefüllten Bassin beginnt     robuster Rechen. Der filtert ange-           klettert die Edelstahlleiter in Richtung
die angeforderte Maschine zu arbeiten.     schwemmte Feststoffe sofort heraus           Oberfläche empor.
Von einem tiefen Schlürfen begleitet,      und presst sie zusammen. „Die Fremd-
durchbrechen die einzelnen Bauteile        körper im Zulauf machen uns also kei-        Fünf Millionen Euro hat die awean
die Wasseroberfläche und bringen Tex-      ne Probleme mehr“, freut sich Wittig.        zuletzt jährlich in die städtische
tilien, Fett oder Plastik zum Vorschein.                                                Abwasserentsorgung investiert. „Wir
                                           Auch Jörg Meyer muss sich heute              führen hier einen ständigen Kampf“,
Im Falle einer Verstopfung rückt Werner    nicht mit verklebten Abfällen herum-         stellt Kläranlagenleiter Wittig fest.
Kaufmann mit seinem Team und einem         schlagen. Zwar dümpelt eine blaue            Die Branche könne sich nur auf
Spülwagen an. Der orangefarbene Lkw        Plastiktüte im trüben Wasser und ein         Angewohnheiten der Bevölkerung
ähnelt einem Tanklaster. Er spritzt und    vertrocknetes Kondom liegt über den          einstellen. Die Kosten für neue Pumpen,
saugt mit zwei Schläuchen verpfropfte      Anschlusskabeln, auf die neue Pumpe          Klärtechnik, Reinigungsfahrzeuge und
Kanäle und Pumpen sauber. So viel wie      ist jedoch Verlass. „Die ist nicht so        den größeren Arbeitsaufwand tragen
ein Ferrari koste ein solches Fahrzeug,    schnell defekt“, freut sich der Techniker.   am Ende die Verbraucher über die
sagt Kaufmann. Eine lohnende Inves-        Ein kleiner Sprung und er steht wieder       Abwassergebühren. Dabei sei eigentlich
tition: „Für Anwohner und Arbeiter         auf dem Betonboden. „Wir haben viele         alles klar, meint Wittig: „Die Toilette
schaffen die Maschinen eine große          Geräte in den letzten Jahren aufgerüstet     ist kein Abfallbehälter!“

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