Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht - Deutsche Kinderkrebsstiftung
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13 5 7 5 3.21 Einzelpreis 2,15 Euro Die Zeitschrift der Deutschen K inderkrebsstiftung und der Deutschen Leukämie-Forschungshilfe e.V. DLFH - Dachverband · Adenauerallee 134 · 53113 Bonn · Postvertriebsstück · Deutsche Post AG · 13575 · Entgelt bezahlt Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht
3.2021 Die Zeitschrift der Deutschen Kinderkrebsstiftung und In eigener Sache der Deutschen Leukämie-Forschungshilfe e.V. „Der Garten ist die deutlichste Allegorie für die menschliche Seele. Es ist die tröstlichste Metapher für das menschliche Werden, Wachsen und Vergehen.“ Inhalt Mit diesem Satz führt der Künstler Yadegar Asis in seine Ausstellung „Carolas Garten – Eine Rückkehr ins Paradies“ in Leipzig ein. Mit dem 32 Meter hohen 360 THEMA Grad-Panorama hat er seiner geschätzten Mitarbeite- rin Carola ein Denkmal gesetzt. Wenn eine Familie trauert 2 Nach ihrem Tod betrat der Künstler zum ersten Mal ihren Garten und AKTUELLES fand nicht nur ein einmaliges Refugium, sondern auch einen Mikrokosmos, den er genau betrachtete und untersuchte, um ihn dann auf die Leinwand Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung 10 zu bringen. Zum einen versinkt nun der Betrachter in die scheinbar bekann- te Welt, zum anderen bekommt er Einblicke in die Struktur der Natur, die Familienseminar im Waldpiraten-Camp wieder live 12 ansonsten für menschliche Augen verborgen bleibt. Für Asis ist es sicher- lich sein persönlichstes Werk – in dem Trauer, Schmerz, Erinnerungen und Gefühle ihn ganz einnehmen. Wie wertvoll ist es dann, wenn Mitmenschen Zu Gast beim Göttinger Elternverein 14 einfach nur nah sind, wie weniger Worte es dann bedarf! Mit Power zurück in den Alltag: Studie zur Sporttherapie 16 In diesem Heft haben wir dem Verlust und dem Abschied viel Raum ge- geben. Gerade, wenn ein junger Mensch gehen muss, ist der Schock groß. Spenden und Aktionen 17 Zwei Psychologinnen beschreiben in ihrem Beitrag, welche Situationen und Belastungen die trauernden Eltern, Geschwister und Großeltern erfahren, RTL fördert Geschwisterprojekt der SyltKlinik 18 welche psychosoziale Begleitung helfen kann, um den Verlust in das eigene Leben zu integrieren. Personalie: Monika Joseph übergibt Orga-Fäden 19 Sehr einfühlsam und engagiert sind auch die Angebote vieler örtlicher Der Kinderonkologe, der Cello spielt 20 Elternvereine: So begleitet in Brandenburg ein Kriminalbeamter ehrenamt- lich eine Gruppe trauernder Männer. Und fast wie ein Garten mutet der Krankenhaus ganz neu gedacht 21 Erinnerungswald in Koblenz an – unter anderem unter Kirschbäumen auf einer Picknickdecke sitzend, können die Familien ihrem verstorbenen Kind nah sein. KLINIK UND FORSCHUNG Impfen gegen Krebs 24 Jens Kort Projekt vernetzt Ärzte in Grenzregion 27 Elterngruppen 28 Bücher 44 Termine 46 Adressen der Elterngruppen 48 Impressum , Die Zeitschrift der Deutschen Kinderkrebsstiftung und der Deutschen Leukämie- Forschungshilfe e.V. Herausgeber: Deutsche Leukämie-Forschungshilfe – Aktion für krebskranke Kinder e.V. – D achverband • Redaktion: Ulrike Seidenstücker (Chefredakteurin, V.i.S.d.P.), Katrin Claus, Jens Kort, Dr. Ria Kortum, Sabine Sharma • Redaktionsadresse: Adenauerallee 134, 53113 Bonn, Tel.: 0 228/688460, Fax: 0228/68846-44, redaktion@kinderkrebsstiftung.de • Spendenkonto DLFH: Sparkasse KölnBonn, IBAN: DE52370501980023002447 • BIC: COLSDE33XXX • Gesamtherstellung: bremm computergrafik, Königswinter, Tel.: 02244/8712564, Info@cg-bremm.de • Fotos: Wenn nicht anders gekennzeichnet, WIR-Redaktion ©2021 • Erscheinungsweise: vierteljährlich Abdruck – auch auszugsweise – aus diesem Heft nur nach Rücksprache mit der Redaktion. Leserzuschriften stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion dar. Aus Platzgründen behalten wir uns vor, Kürzungen, die nicht den Inhalt entstellen, vorzunehmen. Um Meinungsvielfalt sind wir bemüht. DLFH © 2021 Dachverband und die Deutsche Kinderkrebsstiftung führen das Spenden-Siegel des DZI (Dt. Zentralinstitut für soziale Fragen). Bezugspreis: 2,15 Euro im Einzelabonnement – Druck auf chlorfreiem Papier – www.kinderkrebsstiftung.de
THEMA We n n e i n e Fa Situation und Belastungen von Eltern, Großeltern Wenn ein Kind verstirbt, wird für die Familien das ■ dem Vorhandensein eines sozialen Netzes und wahr, was sie seit der Diagnosestellung, mehr tragfähigen Beziehungen oder weniger vordergründig, als existentielle ■ der individuellen Beziehung zum verstorbenen Angst über die gesamte Behandlungszeit beglei- Kind bzw. Geschwister oder Enkel tet hat. Jede Familie durchlebt bis zum Zeitpunkt ■ dem Eingebunden gewesen sein in die alltägli- des Versterbens des Kindes ihren individuellen che Versorgung und Pflege Behandlungsverlauf, mit krankheitsbedingten ■ dem subjektiv erlebten onkologischen Krank- Höhen und Tiefen – begleitet immer wieder von heitsverlauf der Hoffnung auf Heilung. ■ der eventuell schon in dieser Zeit erfolgten Mit dem Tod des Kindes stürzt die Familie in der Auseinandersetzung mit dem potentiell mögli- Regel in eine Art Schockzustand und eine Phase chen Versterben des Kindes und dem erlebten der Krise, die es „irgendwie zu überleben gilt“. Ablauf des Versterbens Sie muss nicht nur den Tod realisieren, sondern ■ eventuell auftretenden psychosomatischen parallel viele Dinge rund um die Beerdigung Beschwerden organisieren und Formalitäten bewältigen. In ■ der Möglichkeit, andere Familienmitglieder dieser und der sich unmittelbar an die Beerdigung ebenfalls als trauernd (ggf. in anderer Form) anschließenden Zeit findet die Familie üblicher- wahrzunehmen weise Unterstützung. Da stehen unter anderem Die zurückbleibenden Angehörigen stehen vor Angehörige, Freunde und Bekannte, Mitarbeiter der großen Herausforderung, langfristig den der Klinik, in der das Kind behandelt wurde, das Verlust des Kindes, Geschwisters, Enkels in die Bestattungsunternehmen und kirchliche Seelsor- eigene Biografie und Familienbiografie zu integ- ger an ihrer Seite. rieren. Generell lässt sich sagen, dass alles, was an gewohnter Struktur weiterbesteht oder sich neu Struktur kann Halt geben entwickelt, anfänglich Halt und Sicherheit in die- Nach der Phase des akuten Handelns ist die Fa- ser unüberschaubaren Situation geben kann. Das milie mit der eigentlichen Aufgabe der Trauerbe- kann beispielsweise die vorgegebene Tagesstruk- wältigung konfrontiert. Im sozialen Umfeld läuft tur durch den Kindergarten- oder Schulbesuch das bisherige Leben zum Großteil wie bislang des Geschwisterkindes sein. weiter. Dahingegen erlebt die trauernde Familie ihre Realität zumeist als eine Phase der Orien- Trauernde Geschwister tierungs- und Hilflosigkeit, in der sie sich an den Innerhalb des Familiensystems sind trauernde veränderten Familien- und Lebensalltag und die Geschwister in einer besonders vulnerablen Situ- neue Familienstruktur anpassen muss. So kann ation. Die Eltern sind in ihrer erlebten akuten Kri- aus der Ein-Kind-Familie ein Paar ohne Kinder, aus sensituation oftmals emotional nicht in der Lage, dem Geschwister- ein Einzelkind geworden sein, sich adäquat auf die Bedürfnisse der gleichfalls und es müssen möglicherweise Lebenspläne neu betroffenen Geschwisterkinder einzustellen. Letz- gestaltet werden. tere werden, abhängig vom Entwicklungsalter, Wie die Trauer und die Neuorientierung bewäl- verschiedene Vorstellungen von der Bedeutung tigt wird, gestaltet sich für jede Familie und jedes von Sterben und Tod haben. Familienmitglied unterschiedlich, z. B. in Abhän- gigkeit von: Als Fazit lässt sich ziehen, dass Trauer und Trau- ■ den jeweiligen familiären Belastungen und erbewältigung individuelle Prozesse sind. Dem- Krankheitsvorerfahrungen entsprechend verändern sich auch die jeweiligen ■ den individuellen Ressourcen und Resilienzfak- Bedürfnisse und Ausdrucksformen, die über die toren sowie der persönlichen Belastbarkeit Zeitspanne der akuten Krise hin zu mehr Integra- 2 3/21 DLFH
milie trauert und Geschwistern, die ein Kind verloren haben tion in die eigene (Familien-)Biografie führen. Die Trauerbegleitung wird an den individuellen Pro- zess der Hinterbliebenen angepasst. Anfänglich braucht es oft stützende niederschwellige Ange- bote: Telefonate und Besuche bei der betroffenen Familie, wenn gewünscht Hilfen bei der Anbah- nung von wohnortnahen Trauerbegleitungsange- boten, Aushändigen einer Krisentelefonnummer. Im weiteren Verlauf sind Angebote sinnvoll, die wieder mehr Eigenaktivität der Familie erfordern und den Prozess der Verarbeitung durch ein gut dosiertes Ausmaß von aktivem Einlassen in den Trauerprozess unterstützen. Dazu können eine Rehabilitationsmaßnahme für trauernde Familien oder die Familienseminare im Waldpiraten-Camp beitragen. Für die Arbeit als Trauerbegleiter bzw. Unter- stützer sind neben einer grundlegenden Kenntnis der örtlichen Netzwerkstrukturen und Angebote ein qualifiziertes fachliches Wissen über Trauer- symptome und -prozesse, resultierende Belastun- gen, Familiendynamiken etc. unabdingbar. n Dipl.-Psych. Eva Manteufel, Psychotherapeutin, Pädiatrische Psychoonkologin (PSAPOH), Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Gießen Dipl.-Psych. Nicole Salzmann, Psychotherapeutin, Pädiatrische Psychoonkologin (PSAPOH), Universitätsklinikum Münster Innerhalb der PSAPOH hat sich 2016 die Fachgruppe „Nachsorge“ mit dem Ziel gegründet, eine Hand- lungsempfehlung für die Psychosoziale Nachsorge pädiatrisch-onkologischer Patienten und ihrer Familien zu erstellen und diese Empfehlung langfris- tig in die bestehende S3-Leitlinie einzugliedern. Im Rahmen dieser Fachgruppenarbeit ist auch der oben stehende Text zu trauernden Familien (hier eine gekürzte Fassung) entstanden. Eine strukturierte Form der psychosozialen Beglei- tung von Patienten in der Nachsorge ist – neben der Finanzierung dieser Stellen über die Krankenkassen (und nicht durch Spendengelder wie bislang in der Regel üblich) – unabdingbar, um Patienten nicht nur medizinisch, sondern auch psychosozial in der weiteren Nachsorge adäquat versorgen zu können. Foto: r.bremm2021 3/21 DL FH 3
THEMA Fotos: Wilfried Dold, dold.media Am DenkMal der Nachsorgeklinik Tannheim: Das Steigenlassen von Luftballons ist bei Beerdigungen und Jahrestagen weit verbreitet. „Die Reha war ein Geschenk“ Nachsorgeklinik Tannheim bietet professionelle Begleitung für verwaiste Familien „Wir haben eben in diesen vier Wochen nicht nur viel zusammen geweint, son- dern auch viel miteinander gelacht und so auch Spuren von neuer Lebensfreude miteinander entdeckt – ohne die Trauer um unsere Kinder auszuklammern.“ So oder ähnlich äußern sich immer wieder Teilnehmer der Verwaisten-Rehabilita- tionsmaßnahme in der Nachsorgeklinik Tannheim. Alle vier Wochen reisen acht Familien an, die ein Kind aufgrund einer Erkran- kung oder eines Unfalls verloren haben. Und so fremd sich die Familien zu Beginn noch sind, so beeindruckend ist es immer wieder, wie schnell sie über die intensi- ven therapeutischen Gruppengespräche zusammenwachsen. Und für viele Reha- bilitationsteilnehmer ist dieses Erleben, Selina bei der Arbeit im Stall. einmal nicht am Rande der Gesellschaft zu stehen, Die gesamte Familie stärken sondern Mitbetroffene kennen zu lernen und das 1997 öffnete die Nachsorgeklinik Tannheim ihre Gefühl zu haben, wirklich „verstanden“ zu werden, Türen für Familien mit herzkranken, krebskranken eine ganz existentielle und entlastende Erfahrung. oder an Mukoviszidose erkrankten Kindern. Sie 4 3/21 DLFH
bietet seitdem vierwöchige familienorientierte Rehabilitationsmaßnahmen an, bei denen nicht nur das erkrankte Kind, sondern alle Familienmitglieder medizinisch wie psychosozial begleitet werden. Die Anwendungen richten sich vor allem am formulier- ten und eingeschätzten Bedarf aller Familienmitglie- der, sodass der tägliche Therapieplan sehr unter- schiedlich aussehen kann. Die Kinder werden unter der Woche in altersent- sprechenden Kindergruppen betreut, besuchen die Klinikschule und können außerhalb der Gruppen- zeiten Aktivitäten mit ihren Eltern in entspannter Atmosphäre unternehmen. Ziel ist es, die gesamte Familie im Umgang mit der chronischen Erkrankung zu stärken, sodass das erkrankte Kind eine bestmög- liche Unterstützung bekommt, mit der Erkrankung leben zu lernen. Auf dem Trauerweg begleiten Ein Engel für Lola: Das ist das Motiv für die gemeinsame Kerze in der Verwaisten-Reha Auf Basis dieses Konzeptes wurde dann im Jahre 2001 die sogenannte „Verwaisten-Rehabilitation“ Betroffene konstruktiv begleitet werden, und es entwickelt. Dabei wurden viele Grundgedanken aus beginnen nicht selten beeindruckende psychi- der Rehabilitation für Familien mit chronisch kranken sche Prozesse, die sicherlich nicht in vier Wochen Kindern übernommen: abgeschlossen werden können. ■ Es ist wichtig, dass jedes einzelne Familienmit- Über die Jahre hat sich das Konzept der Verwais- glied mit seinen Problemen, aber auch mit seinen ten-Rehabilitation fortentwickelt, hauptsächlich Ressourcen genau in den Blick genommen wird. durch die Berücksichtigung der Rückmeldungen Genauso wichtig ist es aber auch, einen therapeu- ehemaliger Rehabilitationsteilnehmer. tisch fundierten Blick auf das System „Familie“ zu richten, denn die Trauergestaltung des Einzelnen Einen Brocken Last zurücklassen hat ja teilweise auch sehr bedeutende Auswirkun- Heute reisen bei zehn von zwölf Rehabilitations- gen auf die anderen Familienmitglieder. durchgängen im Jahr acht betroffene Familien an, ■ Der intensive Kontakt und Austausch mit ähnlich um sich in einem sicheren Umfeld mit der eige- Betroffenen kann den Familien auf ihrem Trau- nen Trauer zu beschäftigen. Leider übersteigt die erweg sehr hilfreich sein. Nicht selten entstehen Nachfrage bei weitem das Angebot, sodass nicht durch die Intensität des Settings auch Freund- alle Familien, die diesen Weg gehen möchten, auch schaften, die noch lange nach dem Rehabilitati- einen Platz bekommen können. Dies ist vor allem onsaufenthalt sehr wichtig sein können. auf dem Hintergrund der erlebten und auch in einer ■ Trauer ist nicht nur ein psychisch-seelischer Pro- ersten wissenschaftlichen Studie nachgewiesenen zess, sondern manifestiert sich auch in körperli- positiven Veränderungen schwer auszuhalten. chen Beschwerden. Umso wichtiger ist es, dass Wie hilfreich eine betroffene Mutter die Rehabili- den Teilnehmern der Verwaisten-Rehabilitation tation empfunden hat, schildert sie in einem Brief an auch die Angebote der medizinischen, physio- „ihre Gruppe und Therapeuten“: „Für uns waren es vier und sporttherapeutischen Abteilung des Hauses sehr emotionale, erholsame und sehr bedeutende zur Verfügung stehen. Das zugrundeliegende Wochen mit Euch! Ein riesengroßes Danke an Euch, Bio-Psycho-Soziale Modell findet sich in der dass Ihr mit uns Euer Schicksal, Eure Ängste, Sorgen interdisziplinären Zusammenarbeit aller thera- und Leid geteilt habt. Es tut gut zu merken, dass man peutischer Abteilungen wieder und ist eine ganz nicht alleine ist. (…) Diese Reha war ein Geschenk, ein wichtige Basis für eine gelungene Trauerbeglei- Goldstück, das einen festen Platz in unserem Herzen tung. einnimmt. Wir lassen einen ■ Für die betroffenen Familien ist es auch wichtig, Brocken Last hier und nehmen dass sie in ihrer psychosozialen Begleitung auf viel Zuversicht, Freude und Therapeuten treffen, die sich mit den Besonder- neues Glück mit!“ n heiten des Themas „Trauer“ auskennen. In der Trauerbegleitung wird eine ganz andere thera- peutische Haltung benötigt, die weniger in Rich- Jochen Künzel tung „Problemlösung“ arbeitet, als vielmehr mit Leiter der psychosozialen-pädago- den Begriffen des „Begleitens“ und „Aushaltens“ gischen Abteilung, Nachsorgeklinik assoziiert ist. Nur auf Basis dieser Haltung können Tannheim 3/21 DL FH 5
THEMA Die Trauer um einen geliebten Menschen kann sich wie eine Fahrt auf einem Meer anfühlen. Ein Leuchtturm im Trauermeer Roland Lange begleitet in Potsdam eine Gruppe trauernder Männer Ein Trauerbegleiter ist wie ein Leuchtturm. Er gibt Sicherheit, und trugen das Knäuel kreuz und quer von einem zum anderen. dient als Orientierung und hilft eine eigene Struktur im Meer Anschließend nahm Roland Lange ein Foto mit seiner Drohne der Traurigkeit zu finden, er ist aber nicht das Ziel. Ein Bild, das auf, es entstand ein Symbolbild: „Jeder ist mit jedem vernetzt, Roland Lange bei den Treffen der Trauergruppe für Männer je- er kann den Austausch suchen, sich aber auch herausnehmen“, des Mal Wirklichkeit werden lässt: Ein blaues Tuch, ein beleuch- erklärt der 54-Jährige. teter Keramik-Leuchtturm und Muscheln. Seit anderthalb Jahren ist der Teltower als Trauerbegleiter bei der Kinderhilfe Berlin Ein Weg wie ein Marathon ehrenamtlich tätig. Das Stereotyp, dass Männer anders trauern, kann er nicht Einmal im Monat verbringt die Gruppe mindestens anderthalb hundertprozentig bestätigen. Oft sei es so, dass Männer trotz Stunden miteinander. „Mir ist es wichtig, so viel Zeit und Raum zu ihrer eigenen Traurigkeit stark sein möchten, um der Partnerin geben wie gebraucht wird“, sagt Roland Lange. Er lasse niemand zur Seite stehen zu können. Sie bräuchten längere Zeit, um zur gehen, der so bewegt ist, dass er nicht zur Ruhe kommen kann Gruppe und dem Trauerbegleiter Vertrauen zu fassen, um dann und dann allein sei. Bei den Treffen geht es um die Themen, die die Trauer annehmen zu können und sich und die Masken fallen Männer an diesem Tag mitbringen – das kann Wut sein oder zu lassen. Er hat allerdings beobachtet, dass sie sich anders aus- Überlegungen zur Neuorientierung, Fragen aus dem persönli- drücken, häufig „härtere“ Worte sprechen als es Frauen täten. chen Umfeld wie „Wann bist Du wieder normal?“ oder Zweifel Roland Lange nimmt die Trauernden in ihrer Unterschied- wie „Wie geht Trauer?“, „Ich habe keine Zeit zu trauern, bin ich lichkeit wahr, schaut dabei, wie er die Trauernden unterstützen, normal?“ Grundsätzlich habe er Themen vorbereitet, aber Vorrang spiegeln und wie er ihnen den Weg ebnen kann. „Denn Trauer habe das, was die Männer mitbringen. ist ein Prozess, den ich gemeinsam mit ihnen gehen möchte, Dabei sitzen sie nicht nur in den Räumen der Kinderhilfe, eine Strecke durch das Tal der Tränen, der einem Marathon sondern gehen auch Eis essen, arbeiten kreativ oder gehen gleicht“, sagt er. Im Austausch versucht er mit den Betroffenen spazieren. „Es kann auch ein Spaziergang sein, bei dem man Parallelen zu anderen, früheren Erlebnissen des Lebens zu schweigt. Das muss man aushalten, und es tut gut“, sagt er ziehen, die sie bewältigt haben. Er hat gelernt, dass absolute mit seiner ruhigen, sonoren Stimme. Die Vorschläge zu den Präsenz und bedingungslose Annahme unerlässlich sind, um in Unternehmungen kommen aus der Runde. Einmal spielte ein Kontakt zu kommen. Wichtig für seine Tätigkeit sind ihm, sich für blau-weißes Wollknäuel eine Rolle, aus dem ein Trauernetz den Gesprächspartner zu interessieren, seine Wünsche, Bedürf- gesponnen wurde. Die Teilnehmer trafen sich auf einem Platz nisse zu erkennen und selbst offen und empathisch zu sein. 6 3/21 DLFH
Gut für sich und andere sorgen Mitmenschen erst allein, Eine Annonce in der Zeitung war es, die ihn vor 18 Jahren zum wenn klar ist, dass er für Kinder- und Jugendtelefon führte, an dem er nach einer Ausbil- sich selbst sorgen kann. dung als Seelsorger ehrenamtlich tätig war, wie ein paar Jahre Wer andere in schweren später als Telefonseelsorger für Erwachsene. Nach den eigenen Krisen begleitet und un- Verlusten, die er in der Familie erlebt hat, fragte er sich: Wie terstützt, braucht Auszei- geht es mir mit meinen Gefühlen? Schließlich hatte er gelernt, ten und Kraftquellen: „Als dass es nicht auf das Zu- , sondern auf das Hinhören ankommt. gebürtiger Greifswalder Sein bester Freund habe ihm beigestanden und ihn getragen. ist das natürlich für mich Bei einer Ausbildung zum Berater für Notfallseelsorge und das Meer. Schon auf der psychische Notfallversorgung erkannte er: Mit Angehörigen Autofahrt, sage ich dann kann er gut umgehen und für sich und andere sorgen. Auf die zu meiner Frau, dass ich Ausbildung zum Trauerbegleiter bei der Deutschen Sozialaka- das Meer rieche, was aber demie machte ihn sein bester Freund aufmerksam. Währende eigentlich noch viel zu der zweijährigen Ausbildung reifte der Gedanke: Er möchte weit weg ist“, meint er. eine Trauergruppe für Männer anbieten, ein Angebot, das es Und dann: Am Strand mit in seiner Region nicht gab. Sein Konzept, das niederschwellig, nackten Füßen durch den kostenfrei und konfessionslos ist, überzeugte die Kinderhilfe. Sand laufen, den Blick Der Kripo-Beamte Roland Lange begleitet ehren- Bei Roland Lange spielen ehrenamtliches und berufliches Tun bis zum Horizont, die amtlich Männer in der Trauerzeit.. ineinander. Er arbeitet als Beamter bei der Kriminalpolizei in Partnerin an seiner Seite. Potsdam. Nach tragischen Vorfällen muss er den Angehörigen Überhaupt ist es die Natur, die ihm die Kraft und Ruhe zurückgibt. die traurige Botschaft überbringen. Mit seinen Erfahrungen Gemeinsam mit seinem Freund lässt er gern seine Mini-Drohne weiß er, wie wichtig es ist, ein Gespräch anzubieten, den Ablauf aufsteigen. „Dieser Blick von oben, ist erstaunlich. Dabei stellt man erklären und Hilfe zu holen – und nachzufragen: Was brau- fest, wie klein wir sind und nur ein Teil der Welt“, schwärmt er. n chen Sie? Wie in seiner Tätigkeit als Trauerbegleiter lässt er den Ulrike Seidenstücker Jeder Baum ein unvergessenes Leben Im Stadtwald Koblenz wächst seit 2013 ein Ort der Erinnerung, der Trauer und der Begegnung Der Erinnerungswald ist ein besonderer Schiefertafel befestigt, die die Eltern oder Ort. Er ist ruhig, etwas abseits gelegen, Geschwister während der Pflanzaktion man spürt die Ruhe, die die Bäume und gestalten können. das satte Grün des Geländes drumherum ausstrahlen. Jeder Baum erzählt seine ei- Farbenfrohe Wildblumenwiese gene Geschichte – das Schicksal eines viel Die Elterninitiative organisiert zweimal zu früh verstorbenen Menschenkindes. jährlich Treffen für die verwaisten Familien Etwas abseits steht ein ganz besonderer auf dem großzügigen Waldgelände. Fotos: Elterninitiative krebskranker Kinder Koblenz Baum: Er erinnert an den onkologischen Ansonsten können die Familien jederzeit Oberarzt der Kinderklinik, der leider 2020 „ihren“ Baum besuchen, denn der Erinne- selbst an Krebs verstarb. Seiner Familie rungswald, der in der Nähe des bekann- und der Elterninitiative krebskranker Kin- ten „Rittersturzes“ liegt, ist jederzeit frei der Koblenz war es ein großes Anliegen, zugänglich. So können die Angehörigen dass er, der fast alle verstorbenen Kinder zum Beispiel bei einem Picknick am Fuß von 1989 an kannte, ebenso einen Platz des Baums ihr verstorbenes Kind symbo- der Erinnerung bei den Kindern erhält. lisch mit in ihre Mitte nehmen. Einige Fa- Neben jedem Erinnerungsbaum wird eine Schiefertafel milien, die Wildkirschen gepflanzt haben, 51 Erinnerungsbäume gepflanzt befestigt, die die Eltern oder Geschwister während der können mittlerweile die Kirschen ernten In Kooperation mit der Stadt und dem Pflanzaktion gestalten können. und daraus Marmelade kochen. So ist ein Forstamt Koblenz gelang es der Elterninitiative 2013, eine Erin- Ort des Gedenkens, ein lebendiger Erinnerungsplatz entstan- nerungsstätte für die an Krebs verstorbenen Kinder der Klinik den, der hilft, Trauer und Verzweiflung zu ertragen. für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie des Kemperhofs 2021 wurde eine große Wildblumenwiese angelegt, die bald Koblenz, zu errichten. Mittlerweile wurden auf einer Fläche mit ihren bunten Blüten viele Insekten anlocken wird. Auch von 1,5 Hektar bereits 51 Erinnerungsbäume von verwaisten dieses Saatgut wurde dem Elternverein gespendet und durch Familien gepflanzt. Die Pflanzung findet jedes Jahr im Herbst die Vorstandsmitglieder des Vereins ausgesät. Eine wunderschö- unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Familien können ne Wiese wird entstehen und gleichzeitig kann der Verein damit zwischen verschiedenen Baumarten wählen und sich für eine einen kleinen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt leisten. Den Linde, Eiche, Hainbuche, Wildkirsche oder einen Ahorn ent- Eltern entstehen keinerlei Kosten. Die 25-jährige Pacht für das scheiden. Die jungen Bäume werden durch Spenden finanziert. Gelände stammt aus einer an den Elternverein gespendeten Zu jedem Baum wird auf einem separaten Holzstamm eine Erbschaft. n Claudia Schmidt 3/21 DL FH 7
THEMA Trauer ist harte Arbeit für Körper und Seele Ein Rückblick auf 15 Jahre Begleitung durch Zeiten von Abschied und Trauer Wie alles begann Der Tod eines Kindes zählt zu den schlimmsten Im Jahr 2005 war es, als die damalige Leitung des Krisen im Leben eines Menschen. Oftmals benötigen Waldpiraten-Camps, Gabriele Geib, auf Helga Betroffene Begleitung bei der Bewältigung ihrer Franz-Flößer und Dieter Steuer mit der Frage zukam, Trauer. Helga Franz-Flößer und Dieter Steuer, selbst ob die beiden sich vorstellen könnten, im Camp betroffene Eltern und Gründungsmitglieder des Fortbildungsseminare zur Trauerbegleitung und -be- Bundesverbandes Trauerbegleitung (BVT e.V.) enga- ratung anzubieten. Sie konnten. Und so fiel bereits gieren sich seit Jahrzehnten in der Trauerbegleitung im darauffolgenden Jahr der Startschuss. Insgesamt und Trauerbegleitungsfortbildung. vier Kurse jeweils an fünf Wochenenden im zeitli- Nach 15 Jahren Fortbildungsarbeit im Waldpi- chen Abstand von zwei bis drei Monaten wurden in raten-Camp beenden die beiden in diesem Jahr den Jahren 2006 bis 2015 abgehalten. Und von den ihr Angebot. WIR möchte(n) Danke sagen für ihre Teilnehmern begeistert angenommen. Jeder Kurs großartige Arbeit – und dafür, dass sie nach wie vor erstreckte sich über einen Zeitraum von einem bis dazu beitragen, das Schweigen um die Themen Tod eineinviertel Jahren. und Trauer zu brechen. Zunächst boten Franz-Flößer und Steuer in diesen Kursen die sogenannte „Kleine Basisqualifikation“ Trauerbegleitung an, die die Teilnehmer berechtigt, Trauergruppen anzuleiten. Immer mehr Absolventen der Kurse wünschten sich jedoch ergänzende The- menmodule, die spezielle Situationen und Frage- stellungen in der Trauerbegleitung berücksichtigen. Einige Teilnehmer wollten sich nach Abschluss des ersten Kurses umfangreicher weiterbilden und das Zertifikat „Große Basisqualifikation“ erwerben, um auch Trauerbegleitung für Einzelpersonen anbieten zu können. Die Wünsche der ehemaligen Teilnehmer fanden Gehör, und so organisierten Franz-Flößer und Steuer 2008 erstmals mehrtägige Supervisionen und Seminare, die Themen aufgriffen wie „Schuld und Schuldgefühle“, „Psychohygiene“, „Geschwistertrauer“ oder „der Körper trauert mit!“. Im Jahr 2016 folgte dann der erste „Upgrade-Kurs“ zur „Großen Basisqualifikation“, der die bereits erwor- benen Kenntnisse und Qualifikationen der Absol- Helga Franz-Flößer ist verheiratet und Mutter venten der „Kleinen Basisqualifikation“ im Sinne des dreier Kinder. Sie ist diplomierte Sozialarbeite- Curriculum des Bundesverbandes Trauerbegleitung rin/Sozialpädagogin, mit den Zusatzqualifika- fachlich und methodisch ergänzte. Mit dem letzten tionen Gestalttherapie, systemische Beratung, Kurs, der in den Jahren 2018 bis 2021 in Heidelberg Biographie, Trauerbegleitung und verfügt über stattfand, konnten Teilnehmer sich dann erstmals in langjährige Erfahrung in der Einzel-, Paar- und einer einzigen Kurseinheit – coronabedingt teils in Familienberatung, der Gruppen- und Seminar- Präsenzveranstaltungen, teils virtuell – zum zertifi- leitung mit Trauernden, sowie der Leitung von zierten Trauerbegleiter ausbilden lassen. Fortbildungsseminaren in Trauerbegleitung Dieter Steuer ist verheiratet und Vater zweier Die „Große Basisqualifikation“ des BVT Kinder, ehemaliger Kriminalbeamter, Heilprak- Menschen auf professionelle Weise in Zeiten der tiker für Psychotherapie und Trauerbegleiter Trauer zu unterstützen und zu begleiten, ist eine sehr und verfügt über Ausbildungen in pädagogi- anspruchsvolle Aufgabe, für die es nicht ausreicht, scher und therapeutischer Psychosynthese, „einfach nur“ ein empathischer Mensch zu sein, so Traumatherapie und Somatic Experiencing (SE) Franz-Flößer im Gespräch. Trauerbegleitung erfor- und blickt ebenfalls auf eine langjährige Erfah- rung in Einzel-, Paar- und Familienberatung, dert nicht nur eine hohe persönliche und soziale sowie in der Gruppen- und Seminarleitung mit Kompetenz, sondern auch Fachwissen und prak- trauernden Eltern und Geschwistern zurück. tische Fähigkeiten. Die sogenannte „Große Basis- 8 3/21 DLFH
qualifikation“ Trauerbegleitung des BVT, vermittelt Helga Franz-Flößer den Tod eines Kindes sehr ehrlich diese Lehrinhalte nach den Standards und Qualitäts- bezeichnet, herrscht häufig Sprachlosigkeit. Und kriterien des Bundesverbandes. Zu den Lernzielen wenn ein Kind verstorben ist erst recht. Selbst auf des umfangreichen Curriculum zählen neben dem den kinderonkologischen Stationen gibt es eine für Erwerb psychologischen Fachwissens, das Erlernen beide Seiten spürbare Trennung zwischen denen, die von Strategien zur Selbstfürsorge und Selbstre- hoffen, und denen die trauern. Als wären Tod und flexion und auch das Einüben von Techniken der Trauer infektiös. Als könne man sich Unheil vom Leib Gesprächsführung und der Krisenintervention. Auch halten, wenn man seine Existenz negiert. Selbsterfahrungsübungen sowie das Unterrichten verschiedenster kreativer Ausdrucksmöglichkeiten Was jeder tun kann sind Bestandteil der Weiterbildung. Die Teilnehmer Wenn ein nahestehender Mensch stirbt, besonders sind nach Abschluss des Kurses qualifiziert, freiberuf- aber nach dem Sterben eines Kindes, brauchen die lich, ehrenamtlich oder hauptamtlich sowohl in der Hinterbliebenen Menschen, die ihnen beistehen. Einzelbegleitung als auch in der Gruppenbegleitung Freunde, Familie, das gesamte soziale Umfeld sollte Trauernder tätig zu sein. auf die Betroffenen zugehen und nicht erwarten, dass aktiv um Hilfe gebeten wird. Niemand, der Hohe Qualitätsstandards in der Weiterbildung Unterstützung anbietet, muss das Gefühl haben, sich Eine standardisierte Ausbildung der Trauerbeglei- aufzudrängen. ter soll nicht nur den Menschen, die in ihrer Trauer „Aber ich habe Angst, etwas Falsches zu tun, begleitet werden eine qualitativ hochwertige und oder zu sagen“ hört man dennoch häufig aus dem fachlich fundierte Unterstützung garantieren, verunsicherten Umfeld. Dabei ist Reden gar nicht sondern auch dem Trauerbegleiter selbst fachliche unbedingt erforderlich: Einfach „nur“ körperlich an- und persönliche Sicherheit geben. Der regelmäßige wesend sein und das Unerträgliche „mit aushalten“, Austausch mit anderen Teilnehmern, Supervisi- zuhören, schweigen, Gesagtes nicht werten und den onen und die Reflexion dessen, was Trauerarbeit Impuls unterdrücken, Ratschläge zu geben, ist schon eben auch mit den Helfenden macht, gewährleisten eine hohe Qualität der Arbeit. Das Erlernte soll schließlich nicht nur den Betroffenen zugutekom- men, sondern auch den Helfenden be- fähigen, gut für sich selbst zu sorgen. Eine wichtige Voraussetzung für die Teilnahme am Kurs ist die Bereitschaft zur Reflexion von Abschieden und Verlusterfahrungen in der eigenen Biografie. Auch dies berücksichtigen die Lerninhalte der Fortbildungen. Sie bieten damit nicht nur die Möglichkeit, Fachkompetenz und Methodenkom- petenz zu erlangen, sondern stärken auch Selbstkompetenz, soziale Kom- petenzen und fördern das persönliche Wachstum der Kursteilnehmer. Präsentation der Abschlussarbeiten im Kreise der Teilnehmer Trauer beginnt nicht immer erst mit dem Tod Geht dem Tod eines Kindes eine schwere Erkrankung eine große Hilfe für viele Betroffene. Die Betreuung voraus, so beginnt die Trauer manchmal schon mit von Geschwisterkindern, das Übernehmen von Be- der Diagnosestellung, sagt Dieter Steuer. Doch laut sorgungen oder alltäglichen Verrichtungen entlastet auszusprechen, dass man als Elternteil Angst hat, Familien nicht nur in der Zeit der Erkrankung des Kin- dass die vielen anstrengenden Therapien doch nicht des, auch nach einem Todesfall pausiert der Alltag zur Heilung führen, trauen sich Betroffene oftmals für die Betroffenen nicht und Unterstützung bleibt nicht: Niemand möchte schließlich den Misserfolg weiter willkommen. einer Therapie beschreien. Die Angst vor einem Es hat sich bereits viel getan in den Jahren, in möglichen schlechten Ausgang ist aber menschlich denen Helga Franz-Flößer und Dieter Steuer in der und keinesfalls Zeichen von kampfloser Aufgabe. Er Trauerbegleitung aktiv sind – da sind sie sich einig. ist ein natürlicher Teil der Auseinandersetzung mit Das Thema Tod und Trauer findet mehr Beachtung, einer extremen Ausnahmesituation: der lebensbe- und es gibt deutlich mehr Angebote und Hilfestel- drohlichen Erkrankung des eigenen Kindes. Auch lungen für Betroffene, als dies noch vor zwanzig das Umfeld reagiert manchmal entsprechend: oder dreißig Jahren der Fall war. Dennoch bleibt viel „Daran darfst Du gar nicht denken! Hab Hoffnung! zu tun. Doch jetzt müssen andere den Staffelstab Es wird schon alles gut!“ Schon vor dem Eintritt des übernehmen. n „persönlichen Supergaus für jedes Elternteil“ wie Katrin Claus 3/21 DL FH 9
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Drei Survivor berichten über die virtuelle Konferenz von CCI-Europe und SIOP-Europe Wie so vieles in diesem Jahr fand das zweite Wie im “Europe‘s beating cancer plan” , geht CCI-Europe ist eine Zweignieder- Jahrestreffen der Europäischen Gesellschaft es auch darum, den Einsatz von gezielten lassung von Childhood Cancer International (CCI), der weltweit für pädiatrische Onkologie in Partnerschaft Anti-Krebsmedikamenten für junge Patienten anerkannten als Dachorganisation mit dem europäischen Dachverband der El- zu fördern. nationaler Eltern- und Survivor terngruppen und Survivors Childhood Cancer Organisationen in der Kinderon- International Europe(CCI Europe) online statt. Right to be forgotten kologie. Sie vertritt Krebspatien- Ursprünglich war die Konferenz, in der sich Im Rahmen einer Survivor-Session mit dem ten im Kindes- und Jugendalter sowohl medizinisches Fachpersonal als auch vielversprechenden Titel „Nothing about us und deren Familien. Seit 2020 ist Elternverein-Vertreter und ehemals Betroffene without us“ wurde die Initiative „Recht auf CCI Europe offiziell in Österreich austauschen können, letztes Jahr in Valencia Vergessen“ vorgestellt. Sicherlich ist das nicht registriert. 66 Vereine in 33 euro- geplant. Damals hoffte man noch, dass in das erste Thema, über das man sich im Rah- päischen Ländern sind Mitglied. einem Jahr alles anders sein würde. men einer Krebsdiagnose Gedanken macht. Die Vision der CCI-Europe ist es, Rund 1 500 Teilnehmer waren in diesem Dennoch sind Schwierigkeiten bei Versiche- krebskranke Kinder und Jugend- Jahr online mit dabei und konnten eine rungsabschlüssen oder auch finanzielle Dis- liche zu heilen, ohne oder mit so Vielzahl teils parallel stattfindender Vorträge kriminierung für viele Survivors ein wichtiges wenigen langfristigen Gesund- besuchen. Auch Marie Barth, Jette Lüdersen Thema in ihrem weiteren Werdegang. heitsproblemen und Spätfolgen wie möglich. Um dies zu errei- und Eva Maria Hümmer, alle drei Survivors, Ziel der Bemühungen ist es, europaweit chen, arbeitet die CCI-Europe eng nahmen an der Konferenz teil und fanden gesetzlich zu verankern, dass eine Krebsdiag- mit medizinischen und psychoso- einige Themen besonders erwähnenswert: nose vor Vollendung des 18. Lebensjahres ab zialen Fachleuten, Akademikern, fünf Jahren nach abgeschlossener Therapie Wissenschaftlern, der Zivilgesell- Europe’s beating cancer plan in sämtlichen Zusammenhängen nicht mehr schaft und privaten Organisatio- Der „Beating Cancer Plan“ ist ein politisches angegeben werden muss. Damit soll der nen in Europa zusammen. Bekenntnis, den Kampf gegen den Krebs auf Benachteiligung von Survivorn im weiteren CCI Europe hat es sich zur Aufga- EU-Ebene nochmal intensiver aufzunehmen Lebenslauf entgegengewirkt werden. Bisher be gemacht, Eltern, Patienten und (vgl. WIR 2/2020). Um die Themen- und Aufga- setzen Frankreich, Belgien, Luxemburg und Überlebende zu vereinen und sich benfelder möglichst genau zu erfassen, wurde die Niederlande dies um. In Deutschland gilt für ihre Rechte einzusetzen. Ihre eine öffentlichen Konsultation durchgeführt. ein solches Gesetz bisher noch nicht. Stattdes- Ziele sind: An dieser konnte sich die gesamte Gesell- sen sind viele junge, ehemalige Patienten auf ■ Die Verbesserung der medizini- schaft beteiligen. Allerdings fand bei der sich alleine gestellt, ihre Rechte und Möglich- schen und psychosozialen Ver- Befragung keine Differenzierung zwischen keiten in Bezug auf Versicherungen nachzu- sorgung krebskranker Kinder Kindern und Erwachsenen, deren Bedürfnis- vollziehen. Nicht selten erhalten sie Ableh- und Jugendlicher in Europa sen, Behandlungsweisen und Lebenswegen nungen oder überteuerte Angebote, wenn sie ■ Einen Europäischen Pflege- statt. sich um Absicherungen bemühen. standard einzuführen, um noch Es ist ein großer Erfolg, der sicherlich auch bestehende Ungleichheiten zu dem kontinuierlichen Nachdruck zur Betei- Präsentation der Regenbogenfahrt beseitigen ligung durch CCI-Europe und SIOP-Europe Neben den vielen interessanten Beiträgen, ■ Die Qualität der Überlebenszeit zu verdanken ist, dass nach dem Ende der denen die drei Survivor aufmerksam folgten, in ganz Europa zu verbessern Befragung der Bereich „Krebs bei Kindern und wurden sie auch selbst aktiv. In der Session zu Jugendlichen“ ein eigenes Kapitel innerhalb Angeboten in Zeiten von Corona stellten Eva des Planes erhält. und Marie die pandemiekonforme Variante SIOP-Europe (Internationale Ge- der Regenbogenfahrt 2020 vor. Sie beein- sellschaft pädiatrischer Onkologie Europa) wurde 1998 als Tochter- Cancer Horizon Europe Mission druckten das internationale Publikum sehr Auch im Zwischenbericht des Mission Board mit dem besonderen Engagement der großen organisation von SIOP gegründet. Sie ist die einzige Organisation, für Krebs der Europäischen Kommission hat Gruppe ehemals Betroffener, die im vergan- die alle Fachkräfte, die in dem der Bereich der Kinderonkologie eine beson- genen Jahr in Kleingruppen sogar nochmal Gebiet der Kinderonkologie tätig dere Aufmerksamkeit erhalten. Darin heißt es: mehr Kliniken auf dem Rad angefahren sind, vertritt. Mit mehr als 1 850 „Empfehlung 11: Krebs bei Kindern, Jugend- haben als sonst. Indem Survivor von Klinik zu Mitgliedern aus 35 Europäischen lichen und jungen Erwachsenen – mehr und Klinik radeln und das Armbändchen mit dem Ländern ist SIOPE führend in der besser heilen.” Innerhalb dieser Mission soll Spruch „Eins werd ich nie tun – aufgeben!“ Sicherstellung der bestmöglichen erforscht werden, wie in dieser jungen Alters- verteilen, passten sie gut zu dem Motto der Versorgung und von optimalen gruppe Krebs entsteht und sich entwickelt. Konferenz „Zusammen sind wir stark“. n Ergebnissen für alle krebskran- ken Kinder und Jugendlichen in Europa. 10 3/21 DLFH
Kurz gefragt Marie Barth (27) und Jette Lüdersen (23) haben bei der Konferenz von CCI-Europe und SIOP-Europe teilgenommen. Gemeinsam mit Eva Maria Hümmer schrieben sie den nebenstehenden Beitrag. Seit wann engagieren Sie sich auf internationaler Ebene? Jette Lüdersen: Ich bin seit 2021, also noch ganz neu, dabei. Marie Barth: Ich engagiere mich seit 2017. Was veranlasst Sie, sich auf internationaler Ebene zu beteiligen? Marie Barth: Ich wünsche mir für zukünftige Patienten sowie Survivor einschließlich mir selbst eine optimale Therapie und Nachsorge. Insbesondere auf europäischer Ebene Marie Barth kann man zusammen mit viel Engagement und Ausdauer die Zukunft gestalten. Es bereitet mir Freude, mich daran zu beteiligen. Jette Lüdersen: Mich motiviert die Neugier, wie dem Thema „Kinderkrebs“ in anderen Ländern begegnet wird und der Gedanke, dass man für alle noch mehr erreichen kann, wenn man sich zusammentut und sich gemeinsam international organisiert. Welche Begegnung und Erfahrungen während der Konferenzen haben Sie besonders beeindruckt? Jette Lüdersen: Da es meine erste Konferenz war, war es für mich sehr spannend, die ver- schiedenen Organisationsformen und laufenden Projekte kennenzulernen. Das Engage- ment einiger einzelner Personen zu speziellen Themen hat mich besonders beeindruckt. Außerdem wurden mir die Augen dafür geöffnet, dass die Standards in der Versorgung schon innerhalb Europas sehr unterschiedlich sein können. Marie Barth: Besonders beeindruckt hat mich die Kreativität vieler Elternvereine. So hat beispielsweise einer die Herstellung von individuellen Kinderperücken ins Leben gerufen. Jette Lüdersen S y l t K l i n i k gGmbH der Deutschen Kinderkrebsstiftung w w w.sy l tk l in ik .d e Die SyltKlinik der Deutschen Kinder- krebsstiftung ist ein modernes Reha-Zen- trum im Herzen der Insel Sylt für Familien mit einem krebskranken Kind. Ein Team aus Ärzten, Psychologen, Therapeu- ten, Pädagogen und Mitarbeitern des SyltKlinik gGmbH Servicebereiches hilft den Familienmit- Osetal 7, 25996 Wenningstedt-Braderup gliedern durch eine ganzheitliche, indi- viduelle Behandlungsphilo- Tel.: 04651949 - 0, info@syltklinik.de sophie, sich zu erholen und Spendenkonto: Nord-Ostsee-Sparkasse gestärkt zurück ins Leben zu IBAN: DE32 2175 0000 0030 0141 61 gehen. 3/21 DL FH 11
Wenn eine Gemeinschaft entsteht Waldpiraten bieten das erste Familienseminar 2021 wieder in Präsenz an Das Waldpiraten-Camp hat endlich wieder seine Tore für arbeiten und Taschen und T-Shirts im Siebdruck herstellen, Gäste geöffnet: Zum Auftakt konnten fünf Familien an einen Becher töpfern und an der Staffelei malen. Das ruhige einem Wochenende zum Familienseminar nach Heidelberg Programm hilft, sich beim Tun mit anderen auszutauschen. kommen. „Es war aufregend und wunderschön, ein Moti- Besonders beliebt war bei den Jüngeren die Igelreise, die vationskick für das Team“, strahlt Mitarbeiterin Julie Greiner. Chris Maier vorlas. Parallel zur Geschichte bekamen die Kinder Auch für sie war dieses Seminar eine Premiere: Zum ersten eine Massage. Wie es ist, wenn viele an einem Bild mit dem Titel Mal hatte sie dafür die pädagogische Leitung übernommen. „Zufriedenheit“ malen, konnte bei der Jahrespraktikantin Lina Als sie dann die Familien am Tor begrüßten, spürte sie Grenzicher ausprobiert werden. Das Thema wurde dann auch in ein schönes, tiefes Gefühl. Das i-Tüpfelchen: Anstelle der einer Philosophie-Runde wieder aufgenommen: Kann man im- üblichen drei Tage, gab es für die neun Erwachse- mer zufrieden sein? Wenn ja: Kann man es erlernen? Was kann nen und zwölf Kinder und Jugendlichen zwischen man aus der Unzufriedenheit lernen? sechs und 18 Jahren vier Tage Programm unter dem Motto „Sport und Bewegung als Ressource“. Sport mit Gummihühnern Damit war mehr Zeit, um sich kennenzulernen Einen sportlichen Part übernahmen die Gummihühner Berta und miteinander zu spielen. „Es war spannend und Klaus, die die Kinder beim gleichnamigen Golf anstelle von zu beobachten, wie die Teilnehmer so nach und Bällen nutzten. Bevor eine Meisterschaft ausgetragen werden nach auftauten“, sagt sie. konnte, bauten die Teilnehmer den phantasievollen Parcour auf und trainierten. Auf in den Wald Es sei schön gewesen zu sehen, wie die Kinder und Jugendli- Zwei Programme – eines für die Eltern, das chen „ihren“ Part gefunden hätten, schwärmt Julie Greiner: Ein andere für die Kinder – hatten die Waldpiraten Mädchen sei beim Theaterspiel „aufgeblüht“, ein anderes konnte vorbereitet und dazwischen auch gemeinsame bei einer Radtour -Pause das Liegerad testen, das vielleicht auch Aktivitäten geplant. Während Chris Maier und Son- eine Option für ihren Alltag und somit für mehr Selbstständig- ja Müller mit den Erwachsenen arbeiteten, beglei- keit ist. Am Lagerfeuer, an dem alle Familien saßen, entstanden teten Julie Greiner, Ariana Dietze, Lina Grenzicher sich tiefe Gespräche, für manche waren die Yoga-Einheiten eine und Heiko Wabnitz das Jugendprogramm. Heike Neuentdeckung, und das Großgruppenspiel zum Abschluss Kopp unterstützte das Team ehrenamtlich. „Beide stärkte noch einmal das entstandene Gemeinschaftsgefühl. Gruppen starteten im umliegenden Wald, für die „Beim Familienseminar können nicht nur Informationen wei- Eltern die erste Möglichkeit, sich kennenzulernen tergegeben werden, sondern es bringt auch Dinge in Bewegung und sich auszutauschen. Für die Kinder war es das und gibt Kraft. Aber hier kann sich auch jeder zwischendurch erste Gruppenerlebnis, bei dem sie sich von den einmal zurückzuziehen, wenn er eine Auszeit benötigt“, sagt Ju- Eltern gelöst haben“, so Julie Greiner. lie Greiner. In diesem geschützten Rahmen wissen die Eltern, wo In den kommenden Tagen wurden mehrere ihre Kinder sind und können loslassen. Die Kinder wiederrum Workshops angeboten. Die jungen Teilnehmer schnuppern erstmals Camp-Luft – vielleicht auf ein baldiges konnten kreativ in verschiedenen Werkstätten Wiedersehen. n (us) Alle zusammen, aber mit Raum für sich Familie Tirjan war zum ersten Mal beim DLFH-Familienseminar dabei Christiane Tirjan liebt es, im Wald unterwegs zu sein. Was für eine schöne Gelegenheit, auch beim Fami- lienseminar gemeinsam mit den anderen erwach- senen Teilnehmern durch den Wald rund um das Waldpiraten-Camp streifen zu können. Für die Frankfurterin hielt die Natur dabei eine besondere Begegnung bereit: „Ich trat ganz allein auf eine Lichtung, und da sprang auf einmal, knapp zwei Meter entfernt von mir, ein Rehbock vorbei. Ich habe diese Kraft des Tieres gespürt“, erzählt sie immer noch bewegt. Als später im Seminar ein Elfchen (ein kurzes Gedicht in einer vorgegebenen Form) ge- schrieben wurde, endet sie deshalb mit den Zeilen: „Wald öffnet sich/Kraft“. Maxine (m) hat sich beim Familienseminar mit den Schwestern Mara und Hannah angefreundet. 12 3/21 DLFH
Einmal Zirkus bitte: Die Kinder, die zum Familienseminar kamen, entdeckten die Bühne der Waldpiraten. Angebote bewusst wahrnehmen Dass sie gemeinsam mit ihrem Mann Volker und kennengelernt, inzwischen haben die beiden schon beiden Töchtern Isabelle und Maxine beim DLFH-Fa- miteinander telefoniert und denken über einen milienseminar dabei sein konnte, hatte sich relativ Camp-Aufenthalt nach. Es sei so schön zu sehen, wie kurzfristig ergeben. Es begann mit einem Anruf die beiden Töchter nach all den Therapien und Ope- von Camp-Leiterin Sonja Müller. Daraufhin musste rationen von Maxine, die Zeit jetzt genossen haben. rasch mit der Schule geklärt werden, ob die beiden Die Gruppe der Erwachsenen erlebte Christia- Mädchen an dem Brückentag frei haben und wer die ne Tirjan alle als engagiert und interessiert. In der beiden Hasen der Familie betreuen könnte. Abschlussrunde sei von anderen Teilnehmer sogar Das Familienseminar ist nicht das erste Angebot die Idee geäußert worden, dass künftig eine Eltern- der DLFH/DKS, dass die Tirjans nutzen. Bereits von woche oder ein Familiencamp angeboten werden ihrem Aufenthalt in der SyltKlinik waren sie gestärkt könnte. Aus dem Programm gefielen ihr das Impro- zurückgekehrt. Danach war klar: „Wir wollen die visationstheater und der Part „In Bewegung sein“. Angebote ganz bewusst wahrnehmen, um gemein- Hier konnten Spiele ausprobiert werden, und es galt, sam Kraft zu tanken und Gleichgesinnte zu treffen. verschiedene Stationen zu bewältigen. Witzig fand Eine Erfahrung, die sie auch bei den Tagungen des sie das Lachseminar, das zwei Klinikclowns anboten. HIT-Netzwerkes machen konnten. Maxine und ihr Vater waren sehr begeistert vom Yoga, das hoch oben im Piratennest angeboten wur- Einfach mal lachen de. Als Camp-Mitarbeiterin Ariana Dietze kurzfristig Es sind sehr intensive Tage, die hinter der Familie weitere Yogastunden im Freien anbot, waren Vater liegen. Sehr froh sei sie, dass aus den üblichen drei und Töchter bereits morgens auf der Matte. Tagen dank eines Feiertags vier geworden sind. Der „Wir waren dort gemeinsam als Familie, und doch 14-jährigen Isabelle haben vor allem die künstleri- konnte auch jeder für sich sein passendes Angebot schen Angebote gefallen. Die jüngere Maxine (12) wahrnehmen“, blickt Christiane Tirjan zurück. Wenn sei aktiver gewesen, sagt ihre Mutter. Sie hat Mara wir dürfen, kommen wir gern wieder.“ n (us) 3/21 DL FH 13
Ein psychosoziales Netz spannen Zu Gast in Göttingen: Welche Aufgaben hat das psychosoziale Team im Elternhaus? „Die Krebsdiagnose wirbelt die ganze Familie Dabei ist es ist ihnen wichtig, die gesamte Familie durcheinander – und genau in dieser Zeit sind wir, mit ihrem sozialen Gefüge und ihrer Geschichte zu das psychosoziale Team, für sie da“, sagt Julia Dolle. betrachten. „Gleichzeitig ist unser Blick vor allem auf Gemeinsam begleitet die Sozialpädagogin mit em die Ressourcen, also auf das Positive und Mögli- Psychologen Moritz Brummer und der Erzieherin che, gerichtet“, erläutert Sandra Faust. Gemeinsam und systemischen Familientherapeutin Sandra Faust suchen sie nach vorhandenen Ressourcen und er- Eltern und Kinder im Göttinger Elternhaus. innern auch an Stärken, Perspektiven und Sichtwei- Eine Aufgabe, so erzählen die beiden hauptamt- sen. Diese seien schon einmal da gewesen, können lichen Mitarbeiterinnen im Online-Gespräch, die aber in der Ausnahmesituation nur schwer genutzt ihnen den Raum gibt, frei von festen Strukturen werden. und mit viel Zeit für die Familien da sein zu kön- nen. „Da kann ich zum Beispiel ein Gespräch in Vieles unter einem Dach der ruhigen Atmosphäre des Gartens führen“, sagt Einige Familien wohnen nur wenige Tage unter dem Sandra Faust. „Wir haben offene Bürozeiten, bei uns Dach des Elternhauses, für andere wird die Einrich- kann man immer klopfen und sich mit uns austau- tung zum Zuhause auf Zeit und wieder andere waren schen“, ergänzt Julia Dolle. Die Betroffenen können bereits zu Gast und kehren zurück, um verschiede- beispielsweise über ihre belastende Situation reden, ne Nachsorge-Angebote wahrzunehmen. Neben Halt in der Krise finden oder über Perspektiven nach Einzel-, Paar- und Familienberatungen lädt das Elternhaus zu Veranstaltungen wie Sommerfesten, Freizeiten oder Weihnachtsfeiern ein. Regelmäßig treffen sich Gruppen für verwaiste Familien, ehemals Erkrankte oder Geschwister. Erst vor kurzem hat sich die Elternhilfe Göttingen dem Netzwerk für die Versorgung schwerkranker Kinder und Jugendlicher in Niedersachsen ange- schlossen. Dort arbeiten sie aktiv im Trauernetzwerk mit, das eine Anschubfinanzierung über zwei Jahre erhalten hat. Wunsch nach Angeboten „In der Zusammenarbeit mit der Kinderklinik versu- Foto: Lenja Kempf chen wir, ein psychosoziales Netz zu spannen, das den Familien Unterstützung in jeder Lebenslage anbietet“, beschreibt Julia Dolle ihre Aufgabe. Die Das psychosoziale Team des Elternvereins Göttingen: Sandra Faust, Julia Dolle und Partner tauschen sich regelmäßig aus und koope- Moritz Brummer (v.l.). rieren: Die Klinikmitarbeiter fragen beispielsweise der Entlassung aus der Klinik nachdenken. Die drei für Eltern eines neu aufgenommenen Patienten im Ansprechpartner unterstützen beim Ausfüllen von Elternhaus an, ob ein Zimmer angeboten werden Anträgen, beraten rund um die Erziehung, begleiten könne, oder der Elternverein lädt in der Klinik zum auf Wunsch Eltern zu einem Arztgespräch, spielen Pizzaabend ein. eine Runde Billard oder backen mit einer Mutter „Leider konnten wir das Angebot aus Sicherheits- einen Kuchen. gründen in Corona-Zeiten nicht aufrecht erhalten“, bedauert Dagmar Hildebrandt-Linne, Geschäftsfüh- Nachsorge ist wichtig rerin des Elternvereins. „Damit ist es für uns auch Nach der stationären Behandlung kehrt das Kind schwieriger geworden, die Eltern kennenzulernen nach Hause und allmählich in den Alltag zurück. Für und sie über unsere Angebote zu informieren.“ diesen Schritt stehen Sandra Faust, Julia Dolle und Generell wünscht sich das Elternhaus-Team, noch Moritz Brummer als psychosoziales Nachsorgeteam mehr die Chance zu haben, mit den Familien auf der den Familien zur Seite. Und das ganz praktisch: Sie Station in persönlichen Kontakt treten zu können: besuchen das häusliche Umfeld, schauen gemein- Vielleicht könne neben dem gemeinsamen Pizzaes- sam mit den Familien, wie sich die Situation verän- sen künftig auch eine Sprechstunde oder ein Kaffee- dert hat, gehen mit in Kita oder Schule oder beglei- trinken durch den Elternverein angeboten werden, ten Geschwister. Das stützende Angebot ist zeitlich überlegt Dagmar Hildebrandt-Linne. Ein Wunsch, unbegrenzt und richtet sich nach den Bedürfnissen den auch Julia Dolle und Sandra Faust teilen. „Jede der Familie. Familie soll von uns wissen und eine Chance bekom- men, uns und unsere Begleitangebote kennenzu lernen.“ n (us) 14 3/21 DLFH
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