Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht - Deutsche Kinderkrebsstiftung

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Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht - Deutsche Kinderkrebsstiftung
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                                                                                                                        3.21
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                                                                                                                          Die Zeitschrift der Deutschen
                                                                                                                        ­­K inderkrebsstiftung und der ­
                                                                                                                          Deutschen Leukämie-­Forschungshilfe e.V.
DLFH - Dachverband · Adenauerallee 134 · 53113 Bonn · Postvertriebsstück · Deutsche Post AG · 13575 · Entgelt bezahlt

                                                                                                                                          Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung:
                                                                                                                                          Augenmerk auf junge Generation

                                                                                                                                          Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht - Deutsche Kinderkrebsstiftung
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht - Deutsche Kinderkrebsstiftung
3.2021
Die Zeitschrift der Deutschen Kinderkrebsstiftung und
                                                                                               In eigener Sache
der Deutschen Leukämie-­Forschungshilfe e.V.                                                    „Der Garten ist die deutlichste Allegorie für die
                                                                                             menschliche Seele. Es ist die tröstlichste Metapher für
                                                                                             das menschliche Werden, Wachsen und Vergehen.“
Inhalt                                                                                       Mit diesem Satz führt der Künstler Yadegar Asis in
                                                                                             seine Ausstellung „Carolas Garten – Eine Rückkehr ins
                                                                                             Paradies“ in Leipzig ein. Mit dem 32 Meter hohen 360
THEMA                                                                                        Grad-Panorama hat er seiner geschätzten Mitarbeite-
                                                                                             rin Carola ein Denkmal gesetzt.
Wenn eine Familie trauert                               2
                                                               Nach ihrem Tod betrat der Künstler zum ersten Mal ihren Garten und
AKTUELLES                                                   fand nicht nur ein einmaliges Refugium, sondern auch einen Mikrokosmos,
                                                            den er genau betrachtete und untersuchte, um ihn dann auf die Leinwand
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung               10      zu bringen. Zum einen versinkt nun der Betrachter in die scheinbar bekann-
                                                            te Welt, zum anderen bekommt er Einblicke in die Struktur der Natur, die
Familienseminar im Waldpiraten-Camp wieder live     12      ansonsten für menschliche Augen verborgen bleibt. Für Asis ist es sicher-
                                                            lich sein persönlichstes Werk – in dem Trauer, Schmerz, Erinnerungen und
                                                            Gefühle ihn ganz einnehmen. Wie wertvoll ist es dann, wenn Mitmenschen
Zu Gast beim Göttinger Elternverein                 14      einfach nur nah sind, wie weniger Worte es dann bedarf!
Mit Power zurück in den Alltag:
Studie zur Sporttherapie                            16        In diesem Heft haben wir dem Verlust und dem Abschied viel Raum ge-
                                                            geben. Gerade, wenn ein junger Mensch gehen muss, ist der Schock groß.
Spenden und Aktionen                                17      Zwei Psychologinnen beschreiben in ihrem Beitrag, welche Situationen und
                                                            Belastungen die trauernden Eltern, Geschwister und Großeltern erfahren,
RTL fördert Geschwisterprojekt der SyltKlinik       18      welche psychosoziale Begleitung helfen kann, um den Verlust in das eigene
                                                            Leben zu integrieren.
Personalie: Monika Joseph übergibt Orga-Fäden       19
                                                               Sehr einfühlsam und engagiert sind auch die Angebote vieler örtlicher
Der Kinderonkologe, der Cello spielt                20      Elternvereine: So begleitet in Brandenburg ein Kriminalbeamter ehrenamt-
                                                            lich eine Gruppe trauernder Männer. Und fast wie ein Garten mutet der
Krankenhaus ganz neu gedacht                        21      Erinnerungswald in Koblenz an – unter anderem unter Kirschbäumen auf
                                                            einer Picknickdecke sitzend, können die Familien ihrem verstorbenen Kind
                                                            nah sein.
KLINIK UND FORSCHUNG
Impfen gegen Krebs                                  24                                                                     Jens Kort

Projekt vernetzt Ärzte in Grenzregion               27
Elterngruppen                                       28
Bücher                                              44
Termine                                             46
Adressen der Elterngruppen                          48
                                                            Impressum
                                                                                     , Die Zeitschrift der Deutschen Kinderkrebsstiftung und der Deutschen ­Leukämie-­
                                                                               Forschungshilfe e.V.
                                                                               Herausgeber: Deutsche Leukämie-­Forschungshilfe – Aktion für krebskranke Kinder e.V. – D        ­ achverband
                                                                               • Redaktion: Ulrike Seidenstücker (Chefredakteurin, V.i.S.d.P.), Katrin Claus, Jens Kort, Dr. Ria Kortum,
                                                                               Sabine Sharma • Redaktionsadresse: Adenauerallee 134, 53113 Bonn, Tel.: 0­ 228/688460,
                                                                               Fax: 0228/68846-44, redaktion@kinderkrebsstiftung.de • Spendenkonto DLFH: Sparkasse KölnBonn,
                                                                               IBAN: DE52370501980023002447 • BIC: COLSDE33XXX • Gesamtherstellung: bremm computergrafik,
                                                                               Königswinter, Tel.: 02244/8712564, Info@cg-bremm.de • Fotos: Wenn nicht anders gekennzeichnet,
                                                                               WIR-Redaktion ©2021 • Erscheinungsweise: vierteljährlich
                                                                               Abdruck – auch auszugsweise – aus diesem Heft nur nach Rücksprache mit der Redaktion.
                                                            Leserzuschriften stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion dar. Aus Platzgründen behalten wir uns vor,
                                                            Kürzungen, die nicht den Inhalt entstellen, vorzunehmen. Um Meinungsvielfalt sind wir bemüht.
                                                            DLFH © 2021
                                                            Dachverband und die Deutsche Kinderkrebsstiftung führen das ­Spenden-Siegel des DZI
                                                            (Dt. Zentralinstitut für soziale Fragen).
                                                            Bezugspreis: 2,15 Euro im Einzelabonnement – Druck auf chlorfreiem Papier –

 www.kinderkrebsstiftung.de
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht - Deutsche Kinderkrebsstiftung
THEMA

                  We n n e i n e Fa
                  Situation und Belastungen von Eltern, Großeltern

                  Wenn ein Kind verstirbt, wird für die Familien das     ■ dem Vorhandensein eines sozialen Netzes und
                  wahr, was sie seit der Diagnosestellung, mehr             tragfähigen Beziehungen
                  oder weniger vordergründig, als existentielle          ■ der individuellen Beziehung zum verstorbenen
                  Angst über die gesamte Behandlungszeit beglei-            Kind bzw. Geschwister oder Enkel
                  tet hat. Jede Familie durchlebt bis zum Zeitpunkt      ■ dem Eingebunden gewesen sein in die alltägli-
                  des Versterbens des Kindes ihren individuellen            che Versorgung und Pflege
                  Behandlungsverlauf, mit krankheitsbedingten            ■ dem subjektiv erlebten onkologischen Krank-
                  Höhen und Tiefen – begleitet immer wieder von             heitsverlauf
                  der Hoffnung auf Heilung.                              ■ der eventuell schon in dieser Zeit erfolgten
                    Mit dem Tod des Kindes stürzt die Familie in der        Auseinandersetzung mit dem potentiell mögli-
                  Regel in eine Art Schockzustand und eine Phase            chen Versterben des Kindes und dem erlebten
                  der Krise, die es „irgendwie zu überleben gilt“.          Ablauf des Versterbens
                  Sie muss nicht nur den Tod realisieren, sondern        ■ eventuell auftretenden psychosomatischen
                  parallel viele Dinge rund um die Beerdigung               Beschwerden
                  organisieren und Formalitäten bewältigen. In           ■ der Möglichkeit, andere Familienmitglieder
                  dieser und der sich unmittelbar an die Beerdigung         ebenfalls als trauernd (ggf. in anderer Form)
                  anschließenden Zeit findet die Familie üblicher-          wahrzunehmen
                  weise Unterstützung. Da stehen unter anderem           Die zurückbleibenden Angehörigen stehen vor
                  Angehörige, Freunde und Bekannte, Mitarbeiter          der großen Herausforderung, langfristig den
                  der Klinik, in der das Kind behandelt wurde, das       Verlust des Kindes, Geschwisters, Enkels in die
                  Bestattungsunternehmen und kirchliche Seelsor-         eigene Biografie und Familienbiografie zu integ-
                  ger an ihrer Seite.                                    rieren. Generell lässt sich sagen, dass alles, was an
                                                                         gewohnter Struktur weiterbesteht oder sich neu
                  Struktur kann Halt geben                               entwickelt, anfänglich Halt und Sicherheit in die-
                  Nach der Phase des akuten Handelns ist die Fa-         ser unüberschaubaren Situation geben kann. Das
                  milie mit der eigentlichen Aufgabe der Trauerbe-       kann beispielsweise die vorgegebene Tagesstruk-
                  wältigung konfrontiert. Im sozialen Umfeld läuft       tur durch den Kindergarten- oder Schulbesuch
                  das bisherige Leben zum Großteil wie bislang           des Geschwisterkindes sein.
                  weiter. Dahingegen erlebt die trauernde Familie
                  ihre Realität zumeist als eine Phase der Orien-        Trauernde Geschwister
                  tierungs- und Hilflosigkeit, in der sie sich an den    Innerhalb des Familiensystems sind trauernde
                  veränderten Familien- und Lebensalltag und die         Geschwister in einer besonders vulnerablen Situ-
                  neue Familienstruktur anpassen muss. So kann           ation. Die Eltern sind in ihrer erlebten akuten Kri-
                  aus der Ein-Kind-Familie ein Paar ohne Kinder, aus     sensituation oftmals emotional nicht in der Lage,
                  dem Geschwister- ein Einzelkind geworden sein,         sich adäquat auf die Bedürfnisse der gleichfalls
                  und es müssen möglicherweise Lebenspläne neu           betroffenen Geschwisterkinder einzustellen. Letz-
                  gestaltet werden.                                      tere werden, abhängig vom Entwicklungsalter,
                     Wie die Trauer und die Neuorientierung bewäl-       verschiedene Vorstellungen von der Bedeutung
                  tigt wird, gestaltet sich für jede Familie und jedes   von Sterben und Tod haben.
                  Familienmitglied unterschiedlich, z. B. in Abhän-
                  gigkeit von:                                             Als Fazit lässt sich ziehen, dass Trauer und Trau-
                  ■ den jeweiligen familiären Belastungen und            erbewältigung individuelle Prozesse sind. Dem-
                     Krankheitsvorerfahrungen                            entsprechend verändern sich auch die jeweiligen
                  ■ den individuellen Ressourcen und Resilienzfak-       Bedürfnisse und Ausdrucksformen, die über die
                     toren sowie der persönlichen Belastbarkeit          Zeitspanne der akuten Krise hin zu mehr Integra-

2     3/21 DLFH
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milie trauert
und Geschwistern, die ein Kind verloren haben

tion in die eigene (Familien-)Biografie führen. Die
Trauerbegleitung wird an den individuellen Pro-
zess der Hinterbliebenen angepasst. Anfänglich
braucht es oft stützende niederschwellige Ange-
bote: Telefonate und Besuche bei der betroffenen
Familie, wenn gewünscht Hilfen bei der Anbah-
nung von wohnortnahen Trauerbegleitungsange-
boten, Aushändigen einer Krisentelefonnummer.
Im weiteren Verlauf sind Angebote sinnvoll, die
wieder mehr Eigenaktivität der Familie erfordern
und den Prozess der Verarbeitung durch ein gut
dosiertes Ausmaß von aktivem Einlassen in den
Trauerprozess unterstützen. Dazu können eine
Rehabilitationsmaßnahme für trauernde Familien
oder die Familienseminare im Waldpiraten-Camp
beitragen.
   Für die Arbeit als Trauerbegleiter bzw. Unter-
stützer sind neben einer grundlegenden Kenntnis
der örtlichen Netzwerkstrukturen und Angebote
ein qualifiziertes fachliches Wissen über Trauer-
symptome und -prozesse, resultierende Belastun-
gen, Familiendynamiken etc. unabdingbar.          n
             Dipl.-Psych. Eva Manteufel, Psychotherapeutin,
                   Pädiatrische Psychoonkologin (PSAPOH),
Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Gießen
          Dipl.-Psych. Nicole Salzmann, Psychotherapeutin,
                   Pädiatrische Psychoonkologin (PSAPOH),
                               Universitätsklinikum Münster

Innerhalb der PSAPOH hat sich 2016 die Fachgruppe
„Nachsorge“ mit dem Ziel gegründet, eine Hand-
lungsempfehlung für die Psychosoziale Nachsorge
pädiatrisch-onkologischer Patienten und ihrer
Familien zu erstellen und diese Empfehlung langfris-
tig in die bestehende S3-Leitlinie einzugliedern. Im
Rahmen dieser Fachgruppenarbeit ist auch der oben
stehende Text zu trauernden Familien (hier eine
gekürzte Fassung) entstanden.
Eine strukturierte Form der psychosozialen Beglei-
tung von Patienten in der Nachsorge ist – neben der
Finanzierung dieser Stellen über die Krankenkassen
(und nicht durch Spendengelder wie bislang in der
Regel üblich) – unabdingbar, um Patienten nicht
nur medizinisch, sondern auch psychosozial in der
weiteren Nachsorge adäquat versorgen zu können.

                                                              Foto: r.bremm2021

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Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht - Deutsche Kinderkrebsstiftung
THEMA
     Fotos: Wilfried Dold, dold.media

    Am DenkMal der Nachsorgeklinik Tannheim: Das Steigenlassen von Luftballons ist bei Beerdigungen und Jahrestagen weit verbreitet.

     „Die Reha war ein Geschenk“
                       Nachsorgeklinik Tannheim bietet professionelle Begleitung für verwaiste Familien

                       „Wir haben eben in diesen vier Wochen
                       nicht nur viel zusammen geweint, son-
                       dern auch viel miteinander gelacht und
                       so auch Spuren von neuer Lebensfreude
                       miteinander entdeckt – ohne die Trauer
                       um unsere Kinder auszuklammern.“ So
                       oder ähnlich äußern sich immer wieder
                       Teilnehmer der Verwaisten-Rehabilita-
                       tionsmaßnahme in der Nachsorgeklinik
                       Tannheim.
                          Alle vier Wochen reisen acht Familien
                       an, die ein Kind aufgrund einer Erkran-
                       kung oder eines Unfalls verloren haben.
                       Und so fremd sich die Familien zu Beginn
                       noch sind, so beeindruckend ist es immer
                       wieder, wie schnell sie über die intensi-
                       ven therapeutischen Gruppengespräche
                       zusammenwachsen. Und für viele Reha-
                       bilitationsteilnehmer ist dieses Erleben,    Selina bei der Arbeit im Stall.
                       einmal nicht am Rande der Gesellschaft zu stehen,            Die gesamte Familie stärken
                       sondern Mitbetroffene kennen zu lernen und das               1997 öffnete die Nachsorgeklinik Tannheim ihre
                       Gefühl zu haben, wirklich „verstanden“ zu werden,            Türen für Familien mit herzkranken, krebskranken
                       eine ganz existentielle und entlastende Erfahrung.           oder an Mukoviszidose erkrankten Kindern. Sie

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Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht - Deutsche Kinderkrebsstiftung
bietet seitdem vierwöchige familienorientierte
Rehabilitationsmaßnahmen an, bei denen nicht nur
das erkrankte Kind, sondern alle Familienmitglieder
medizinisch wie psychosozial begleitet werden. Die
Anwendungen richten sich vor allem am formulier-
ten und eingeschätzten Bedarf aller Familienmitglie-
der, sodass der tägliche Therapieplan sehr unter-
schiedlich aussehen kann.
   Die Kinder werden unter der Woche in altersent-
sprechenden Kindergruppen betreut, besuchen die
Klinikschule und können außerhalb der Gruppen-
zeiten Aktivitäten mit ihren Eltern in entspannter
Atmosphäre unternehmen. Ziel ist es, die gesamte
Familie im Umgang mit der chronischen Erkrankung
zu stärken, sodass das erkrankte Kind eine bestmög-
liche Unterstützung bekommt, mit der Erkrankung
leben zu lernen.

Auf dem Trauerweg begleiten                              Ein Engel für Lola: Das ist das Motiv für die gemeinsame Kerze in der Verwaisten-Reha
Auf Basis dieses Konzeptes wurde dann im Jahre
2001 die sogenannte „Verwaisten-Rehabilitation“             Betroffene konstruktiv begleitet werden, und es
entwickelt. Dabei wurden viele Grundgedanken aus            beginnen nicht selten beeindruckende psychi-
der Rehabilitation für Familien mit chronisch kranken       sche Prozesse, die sicherlich nicht in vier Wochen
Kindern übernommen:                                         abgeschlossen werden können.
■ Es ist wichtig, dass jedes einzelne Familienmit-       Über die Jahre hat sich das Konzept der Verwais-
   glied mit seinen Problemen, aber auch mit seinen      ten-Rehabilitation fortentwickelt, hauptsächlich
   Ressourcen genau in den Blick genommen wird.          durch die Berücksichtigung der Rückmeldungen
   Genauso wichtig ist es aber auch, einen therapeu-     ehemaliger Rehabilitationsteilnehmer.
   tisch fundierten Blick auf das System „Familie“ zu
   richten, denn die Trauergestaltung des Einzelnen      Einen Brocken Last zurücklassen
   hat ja teilweise auch sehr bedeutende Auswirkun-      Heute reisen bei zehn von zwölf Rehabilitations-
   gen auf die anderen Familienmitglieder.               durchgängen im Jahr acht betroffene Familien an,
■ Der intensive Kontakt und Austausch mit ähnlich        um sich in einem sicheren Umfeld mit der eige-
   Betroffenen kann den Familien auf ihrem Trau-         nen Trauer zu beschäftigen. Leider übersteigt die
   erweg sehr hilfreich sein. Nicht selten entstehen     Nachfrage bei weitem das Angebot, sodass nicht
   durch die Intensität des Settings auch Freund-        alle Familien, die diesen Weg gehen möchten, auch
   schaften, die noch lange nach dem Rehabilitati-       einen Platz bekommen können. Dies ist vor allem
   onsaufenthalt sehr wichtig sein können.               auf dem Hintergrund der erlebten und auch in einer
■ Trauer ist nicht nur ein psychisch-seelischer Pro-     ersten wissenschaftlichen Studie nachgewiesenen
   zess, sondern manifestiert sich auch in körperli-     positiven Veränderungen schwer auszuhalten.
   chen Beschwerden. Umso wichtiger ist es, dass            Wie hilfreich eine betroffene Mutter die Rehabili-
   den Teilnehmern der Verwaisten-Rehabilitation         tation empfunden hat, schildert sie in einem Brief an
   auch die Angebote der medizinischen, physio-          „ihre Gruppe und Therapeuten“: „Für uns waren es vier
   und sporttherapeutischen Abteilung des Hauses         sehr emotionale, erholsame und sehr bedeutende
   zur Verfügung stehen. Das zugrundeliegende            Wochen mit Euch! Ein riesengroßes Danke an Euch,
   Bio-Psycho-Soziale Modell findet sich in der          dass Ihr mit uns Euer Schicksal, Eure Ängste, Sorgen
   interdisziplinären Zusammenarbeit aller thera-        und Leid geteilt habt. Es tut gut zu merken, dass man
   peutischer Abteilungen wieder und ist eine ganz       nicht alleine ist. (…) Diese Reha war ein Geschenk, ein
   wichtige Basis für eine gelungene Trauerbeglei-       Goldstück, das einen festen Platz in unserem Herzen
   tung.                                                 einnimmt. Wir lassen einen
■ Für die betroffenen Familien ist es auch wichtig,      Brocken Last hier und nehmen
   dass sie in ihrer psychosozialen Begleitung auf       viel Zuversicht, Freude und
   Therapeuten treffen, die sich mit den Besonder-       neues Glück mit!“ n
   heiten des Themas „Trauer“ auskennen. In der
   Trauerbegleitung wird eine ganz andere thera-
   peutische Haltung benötigt, die weniger in Rich-
                                                                               Jochen Künzel
   tung „Problemlösung“ arbeitet, als vielmehr mit
                                                           Leiter der psychosozialen-pädago-
   den Begriffen des „Begleitens“ und „Aushaltens“        gischen Abteilung, Nachsorgeklinik
   assoziiert ist. Nur auf Basis dieser Haltung können                             Tannheim

                                                                                                                                                 3/21 DL FH   5
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht - Deutsche Kinderkrebsstiftung
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    Die Trauer um einen geliebten Menschen kann sich wie eine Fahrt auf einem Meer anfühlen.

    Ein Leuchtturm im Trauermeer
                  Roland Lange begleitet in Potsdam eine Gruppe trauernder Männer
    Ein Trauerbegleiter ist wie ein Leuchtturm. Er gibt Sicherheit,                        und trugen das Knäuel kreuz und quer von einem zum anderen.
    dient als Orientierung und hilft eine eigene Struktur im Meer                          Anschließend nahm Roland Lange ein Foto mit seiner Drohne
    der Traurigkeit zu finden, er ist aber nicht das Ziel. Ein Bild, das                   auf, es entstand ein Symbolbild: „Jeder ist mit jedem vernetzt,
    Roland Lange bei den Treffen der Trauergruppe für Männer je-                           er kann den Austausch suchen, sich aber auch herausnehmen“,
    des Mal Wirklichkeit werden lässt: Ein blaues Tuch, ein beleuch-                       erklärt der 54-Jährige.
    teter Keramik-Leuchtturm und Muscheln. Seit anderthalb Jahren
    ist der Teltower als Trauerbegleiter bei der Kinderhilfe Berlin                        Ein Weg wie ein Marathon
    ehrenamtlich tätig.                                                                    Das Stereotyp, dass Männer anders trauern, kann er nicht
       Einmal im Monat verbringt die Gruppe mindestens anderthalb                          hundertprozentig bestätigen. Oft sei es so, dass Männer trotz
    Stunden miteinander. „Mir ist es wichtig, so viel Zeit und Raum zu                     ihrer eigenen Traurigkeit stark sein möchten, um der Partnerin
    geben wie gebraucht wird“, sagt Roland Lange. Er lasse niemand                         zur Seite stehen zu können. Sie bräuchten längere Zeit, um zur
    gehen, der so bewegt ist, dass er nicht zur Ruhe kommen kann                           Gruppe und dem Trauerbegleiter Vertrauen zu fassen, um dann
    und dann allein sei. Bei den Treffen geht es um die Themen, die                        die Trauer annehmen zu können und sich und die Masken fallen
    Männer an diesem Tag mitbringen – das kann Wut sein oder                               zu lassen. Er hat allerdings beobachtet, dass sie sich anders aus-
    Überlegungen zur Neuorientierung, Fragen aus dem persönli-                             drücken, häufig „härtere“ Worte sprechen als es Frauen täten.
    chen Umfeld wie „Wann bist Du wieder normal?“ oder Zweifel                                Roland Lange nimmt die Trauernden in ihrer Unterschied-
    wie „Wie geht Trauer?“, „Ich habe keine Zeit zu trauern, bin ich                       lichkeit wahr, schaut dabei, wie er die Trauernden unterstützen,
    normal?“ Grundsätzlich habe er Themen vorbereitet, aber Vorrang                        spiegeln und wie er ihnen den Weg ebnen kann. „Denn Trauer
    habe das, was die Männer mitbringen.                                                   ist ein Prozess, den ich gemeinsam mit ihnen gehen möchte,
       Dabei sitzen sie nicht nur in den Räumen der Kinderhilfe,                           eine Strecke durch das Tal der Tränen, der einem Marathon
    sondern gehen auch Eis essen, arbeiten kreativ oder gehen                              gleicht“, sagt er. Im Austausch versucht er mit den Betroffenen
    spazieren. „Es kann auch ein Spaziergang sein, bei dem man                             Parallelen zu anderen, früheren Erlebnissen des Lebens zu
    schweigt. Das muss man aushalten, und es tut gut“, sagt er                             ziehen, die sie bewältigt haben. Er hat gelernt, dass absolute
    mit seiner ruhigen, sonoren Stimme. Die Vorschläge zu den                              Präsenz und bedingungslose Annahme unerlässlich sind, um in
    Unternehmungen kommen aus der Runde. Einmal spielte ein                                Kontakt zu kommen. Wichtig für seine Tätigkeit sind ihm, sich für
    blau-weißes Wollknäuel eine Rolle, aus dem ein Trauernetz                              den Gesprächspartner zu interessieren, seine Wünsche, Bedürf-
    gesponnen wurde. Die Teilnehmer trafen sich auf einem Platz                            nisse zu erkennen und selbst offen und empathisch zu sein.

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Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht - Deutsche Kinderkrebsstiftung
Gut für sich und andere sorgen                                               Mitmenschen erst allein,
Eine Annonce in der Zeitung war es, die ihn vor 18 Jahren zum                wenn klar ist, dass er für
Kinder- und Jugendtelefon führte, an dem er nach einer Ausbil-               sich selbst sorgen kann.
dung als Seelsorger ehrenamtlich tätig war, wie ein paar Jahre               Wer andere in schweren
später als Telefonseelsorger für Erwachsene. Nach den eigenen                Krisen begleitet und un-
Verlusten, die er in der Familie erlebt hat, fragte er sich: Wie             terstützt, braucht Auszei-
geht es mir mit meinen Gefühlen? Schließlich hatte er gelernt,               ten und Kraftquellen: „Als
dass es nicht auf das Zu- , sondern auf das Hinhören ankommt.                gebürtiger Greifswalder
Sein bester Freund habe ihm beigestanden und ihn getragen.                   ist das natürlich für mich
Bei einer Ausbildung zum Berater für Notfallseelsorge und                    das Meer. Schon auf der
psychische Notfallversorgung erkannte er: Mit Angehörigen                    Autofahrt, sage ich dann
kann er gut umgehen und für sich und andere sorgen. Auf die                  zu meiner Frau, dass ich
Ausbildung zum Trauerbegleiter bei der Deutschen Sozialaka-                  das Meer rieche, was aber
demie machte ihn sein bester Freund aufmerksam. Währende                     eigentlich noch viel zu
der zweijährigen Ausbildung reifte der Gedanke: Er möchte                    weit weg ist“, meint er.
eine Trauergruppe für Männer anbieten, ein Angebot, das es                   Und dann: Am Strand mit
in seiner Region nicht gab. Sein Konzept, das niederschwellig,               nackten Füßen durch den
kostenfrei und konfessionslos ist, überzeugte die Kinderhilfe.               Sand laufen, den Blick
                                                                                                           Der Kripo-Beamte Roland Lange begleitet ehren-
   Bei Roland Lange spielen ehrenamtliches und berufliches Tun               bis zum Horizont, die
                                                                                                           amtlich Männer in der Trauerzeit..
ineinander. Er arbeitet als Beamter bei der Kriminalpolizei in               Partnerin an seiner Seite.
Potsdam. Nach tragischen Vorfällen muss er den Angehörigen                   Überhaupt ist es die Natur, die ihm die Kraft und Ruhe zurückgibt.
die traurige Botschaft überbringen. Mit seinen Erfahrungen                   Gemeinsam mit seinem Freund lässt er gern seine Mini-Drohne
weiß er, wie wichtig es ist, ein Gespräch anzubieten, den Ablauf             aufsteigen. „Dieser Blick von oben, ist erstaunlich. Dabei stellt man
erklären und Hilfe zu holen – und nachzufragen: Was brau-                    fest, wie klein wir sind und nur ein Teil der Welt“, schwärmt er. n
chen Sie? Wie in seiner Tätigkeit als Trauerbegleiter lässt er den                                                                                                               Ulrike Seidenstücker

Jeder Baum ein unvergessenes Leben
Im Stadtwald Koblenz wächst seit 2013 ein Ort der Erinnerung, der Trauer und der Begegnung

Der Erinnerungswald ist ein besonderer                                                                                                                 Schiefertafel befestigt, die die Eltern oder
Ort. Er ist ruhig, etwas abseits gelegen,                                                                                                              Geschwister während der Pflanzaktion
man spürt die Ruhe, die die Bäume und                                                                                                                  gestalten können.
das satte Grün des Geländes drumherum
ausstrahlen. Jeder Baum erzählt seine ei-                                                                                                              Farbenfrohe Wildblumenwiese
gene Geschichte – das Schicksal eines viel                                                              Die Elterninitiative organisiert zweimal
zu früh verstorbenen Menschenkindes.                                                                    jährlich Treffen für die verwaisten Familien
  Etwas abseits steht ein ganz besonderer                                                               auf dem großzügigen Waldgelände.
                                                                                                 Fotos: Elterninitiative krebskranker Kinder Koblenz

Baum: Er erinnert an den onkologischen                                                                  Ansonsten können die Familien jederzeit
Oberarzt der Kinderklinik, der leider 2020                                                              „ihren“ Baum besuchen, denn der Erinne-
selbst an Krebs verstarb. Seiner Familie                                                                rungswald, der in der Nähe des bekann-
und der Elterninitiative krebskranker Kin-                                                              ten „Rittersturzes“ liegt, ist jederzeit frei
der Koblenz war es ein großes Anliegen,                                                                 zugänglich. So können die Angehörigen
dass er, der fast alle verstorbenen Kinder                                                              zum Beispiel bei einem Picknick am Fuß
von 1989 an kannte, ebenso einen Platz                                                                  des Baums ihr verstorbenes Kind symbo-
der Erinnerung bei den Kindern erhält.                                                                  lisch mit in ihre Mitte nehmen. Einige Fa-
                                                Neben jedem Erinnerungsbaum wird eine Schiefertafel     milien, die Wildkirschen gepflanzt haben,
51 Erinnerungsbäume gepflanzt                   befestigt, die die Eltern oder Geschwister während der  können mittlerweile die Kirschen ernten
In Kooperation mit der Stadt und dem            Pflanzaktion  gestalten  können.                        und daraus Marmelade kochen. So ist ein
Forstamt Koblenz gelang es der Elterninitiative 2013, eine Erin-                Ort des Gedenkens, ein lebendiger Erinnerungsplatz entstan-
nerungsstätte für die an Krebs verstorbenen Kinder der Klinik                   den, der hilft, Trauer und Verzweiflung zu ertragen.
für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie des Kemperhofs                          2021 wurde eine große Wildblumenwiese angelegt, die bald
Koblenz, zu errichten. Mittlerweile wurden auf einer Fläche                     mit ihren bunten Blüten viele Insekten anlocken wird. Auch
von 1,5 Hektar bereits 51 Erinnerungsbäume von verwaisten                       dieses Saatgut wurde dem Elternverein gespendet und durch
Familien gepflanzt. Die Pflanzung findet jedes Jahr im Herbst                   die Vorstandsmitglieder des Vereins ausgesät. Eine wunderschö-
unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Familien können                  ne Wiese wird entstehen und gleichzeitig kann der Verein damit
zwischen verschiedenen Baumarten wählen und sich für eine                       einen kleinen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt leisten. Den
Linde, Eiche, Hainbuche, Wildkirsche oder einen Ahorn ent-                      Eltern entstehen keinerlei Kosten. Die 25-jährige Pacht für das
scheiden. Die jungen Bäume werden durch Spenden finanziert.                     Gelände stammt aus einer an den Elternverein gespendeten
Zu jedem Baum wird auf einem separaten Holzstamm eine                           Erbschaft. n                                             Claudia Schmidt

                                                                                                                                                                                         3/21 DL FH     7
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: Augenmerk auf junge Generation Mainz: Krankenhaus ganz neu gedacht - Deutsche Kinderkrebsstiftung
THEMA

    Trauer ist harte Arbeit
                   für Körper und Seele
    Ein Rückblick auf 15 Jahre Begleitung durch Zeiten von Abschied und Trauer
                                                                    Wie alles begann
             Der Tod eines Kindes zählt zu den schlimmsten          Im Jahr 2005 war es, als die damalige Leitung des
             Krisen im Leben eines Menschen. Oftmals benötigen      Waldpiraten-Camps, Gabriele Geib, auf Helga
             Betroffene Begleitung bei der Bewältigung ihrer        Franz-Flößer und Dieter Steuer mit der Frage zukam,
             Trauer. Helga Franz-Flößer und Dieter Steuer, selbst   ob die beiden sich vorstellen könnten, im Camp
             betroffene Eltern und Gründungsmitglieder des          Fortbildungsseminare zur Trauerbegleitung und -be-
             Bundesverbandes Trauerbegleitung (BVT e.V.) enga-      ratung anzubieten. Sie konnten. Und so fiel bereits
             gieren sich seit Jahrzehnten in der Trauerbegleitung   im darauffolgenden Jahr der Startschuss. Insgesamt
             und Trauerbegleitungsfortbildung.                      vier Kurse jeweils an fünf Wochenenden im zeitli-
               Nach 15 Jahren Fortbildungsarbeit im Waldpi-         chen Abstand von zwei bis drei Monaten wurden in
             raten-Camp beenden die beiden in diesem Jahr           den Jahren 2006 bis 2015 abgehalten. Und von den
             ihr Angebot. WIR möchte(n) Danke sagen für ihre        Teilnehmern begeistert angenommen. Jeder Kurs
             großartige Arbeit – und dafür, dass sie nach wie vor   erstreckte sich über einen Zeitraum von einem bis
             dazu beitragen, das Schweigen um die Themen Tod        eineinviertel Jahren.
             und Trauer zu brechen.                                   Zunächst boten Franz-Flößer und Steuer in diesen
                                                                    Kursen die sogenannte „Kleine Basisqualifikation“
                                                                    Trauerbegleitung an, die die Teilnehmer berechtigt,
                                                                    Trauergruppen anzuleiten. Immer mehr Absolventen
                                                                    der Kurse wünschten sich jedoch ergänzende The-
                                                                    menmodule, die spezielle Situationen und Frage-
                                                                    stellungen in der Trauerbegleitung berücksichtigen.
                                                                    Einige Teilnehmer wollten sich nach Abschluss des
                                                                    ersten Kurses umfangreicher weiterbilden und das
                                                                    Zertifikat „Große Basisqualifikation“ erwerben, um
                                                                    auch Trauerbegleitung für Einzelpersonen anbieten
                                                                    zu können. Die Wünsche der ehemaligen Teilnehmer
                                                                    fanden Gehör, und so organisierten Franz-Flößer und
                                                                    Steuer 2008 erstmals mehrtägige Supervisionen und
                                                                    Seminare, die Themen aufgriffen wie „Schuld und
                                                                    Schuldgefühle“, „Psychohygiene“, „Geschwistertrauer“
                                                                    oder „der Körper trauert mit!“.
                                                                      Im Jahr 2016 folgte dann der erste „Upgrade-Kurs“
                                                                    zur „Großen Basisqualifikation“, der die bereits erwor-
                                                                    benen Kenntnisse und Qualifikationen der Absol-
               Helga Franz-Flößer ist verheiratet und Mutter        venten der „Kleinen Basisqualifikation“ im Sinne des
               dreier Kinder. Sie ist diplomierte Sozialarbeite-    Curriculum des Bundesverbandes Trauerbegleitung
               rin/Sozialpädagogin, mit den Zusatzqualifika-        fachlich und methodisch ergänzte. Mit dem letzten
               tionen Gestalttherapie, systemische Beratung,        Kurs, der in den Jahren 2018 bis 2021 in Heidelberg
               Biographie, Trauerbegleitung und verfügt über        stattfand, konnten Teilnehmer sich dann erstmals in
               langjährige Erfahrung in der Einzel-, Paar- und      einer einzigen Kurseinheit – coronabedingt teils in
               Familienberatung, der Gruppen- und Seminar-          Präsenzveranstaltungen, teils virtuell – zum zertifi-
               leitung mit Trauernden, sowie der Leitung von
                                                                    zierten Trauerbegleiter ausbilden lassen.
               Fortbildungsseminaren in Trauerbegleitung
               Dieter Steuer ist verheiratet und Vater zweier       Die „Große Basisqualifikation“ des BVT
               Kinder, ehemaliger Kriminalbeamter, Heilprak-        Menschen auf professionelle Weise in Zeiten der
               tiker für Psychotherapie und Trauerbegleiter         Trauer zu unterstützen und zu begleiten, ist eine sehr
               und verfügt über Ausbildungen in pädagogi-
                                                                    anspruchsvolle Aufgabe, für die es nicht ausreicht,
               scher und therapeutischer Psychosynthese,
                                                                    „einfach nur“ ein empathischer Mensch zu sein, so
               Traumatherapie und Somatic Experiencing (SE)
                                                                    Franz-Flößer im Gespräch. Trauerbegleitung erfor-
               und blickt ebenfalls auf eine langjährige Erfah-
               rung in Einzel-, Paar- und Familienberatung,         dert nicht nur eine hohe persönliche und soziale
               sowie in der Gruppen- und Seminarleitung mit         Kompetenz, sondern auch Fachwissen und prak-
               trauernden Eltern und Geschwistern zurück.           tische Fähigkeiten. Die sogenannte „Große Basis-

8       3/21 DLFH
qualifikation“ Trauerbegleitung des BVT, vermittelt       Helga Franz-Flößer den Tod eines Kindes sehr ehrlich
diese Lehrinhalte nach den Standards und Qualitäts-       bezeichnet, herrscht häufig Sprachlosigkeit. Und
kriterien des Bundesverbandes. Zu den Lernzielen          wenn ein Kind verstorben ist erst recht. Selbst auf
des umfangreichen Curriculum zählen neben dem             den kinderonkologischen Stationen gibt es eine für
Erwerb psychologischen Fachwissens, das Erlernen          beide Seiten spürbare Trennung zwischen denen, die
von Strategien zur Selbstfürsorge und Selbstre-           hoffen, und denen die trauern. Als wären Tod und
flexion und auch das Einüben von Techniken der            Trauer infektiös. Als könne man sich Unheil vom Leib
Gesprächsführung und der Krisenintervention. Auch         halten, wenn man seine Existenz negiert.
Selbsterfahrungsübungen sowie das Unterrichten
verschiedenster kreativer Ausdrucksmöglichkeiten          Was jeder tun kann
sind Bestandteil der Weiterbildung. Die Teilnehmer        Wenn ein nahestehender Mensch stirbt, besonders
sind nach Abschluss des Kurses qualifiziert, freiberuf-   aber nach dem Sterben eines Kindes, brauchen die
lich, ehrenamtlich oder hauptamtlich sowohl in der        Hinterbliebenen Menschen, die ihnen beistehen.
Einzelbegleitung als auch in der Gruppenbegleitung        Freunde, Familie, das gesamte soziale Umfeld sollte
Trauernder tätig zu sein.                                 auf die Betroffenen zugehen und nicht erwarten,
                                                          dass aktiv um Hilfe gebeten wird. Niemand, der
Hohe Qualitätsstandards in der Weiterbildung              Unterstützung anbietet, muss das Gefühl haben, sich
Eine standardisierte Ausbildung der Trauerbeglei-         aufzudrängen.
ter soll nicht nur den Menschen, die in ihrer Trauer        „Aber ich habe Angst, etwas Falsches zu tun,
begleitet werden eine qualitativ hochwertige und          oder zu sagen“ hört man dennoch häufig aus dem
fachlich fundierte Unterstützung garantieren,             verunsicherten Umfeld. Dabei ist Reden gar nicht
sondern auch dem Trauerbegleiter selbst fachliche         unbedingt erforderlich: Einfach „nur“ körperlich an-
und persönliche Sicherheit geben. Der regelmäßige         wesend sein und das Unerträgliche „mit aushalten“,
Austausch mit anderen Teilnehmern, Supervisi-             zuhören, schweigen, Gesagtes nicht werten und den
onen und die Reflexion dessen, was Trauerarbeit           Impuls unterdrücken, Ratschläge zu geben, ist schon
eben auch mit den Helfenden macht,
gewährleisten eine hohe Qualität der
Arbeit. Das Erlernte soll schließlich
nicht nur den Betroffenen zugutekom-
men, sondern auch den Helfenden be-
fähigen, gut für sich selbst zu sorgen.
Eine wichtige Voraussetzung für die
Teilnahme am Kurs ist die Bereitschaft
zur Reflexion von Abschieden und
Verlusterfahrungen in der eigenen
Biografie. Auch dies berücksichtigen
die Lerninhalte der Fortbildungen. Sie
bieten damit nicht nur die Möglichkeit,
Fachkompetenz und Methodenkom-
petenz zu erlangen, sondern stärken
auch Selbstkompetenz, soziale Kom-
petenzen und fördern das persönliche
Wachstum der Kursteilnehmer.
                                                          Präsentation der Abschlussarbeiten im Kreise der Teilnehmer
Trauer beginnt nicht immer erst mit dem Tod
Geht dem Tod eines Kindes eine schwere Erkrankung         eine große Hilfe für viele Betroffene. Die Betreuung
voraus, so beginnt die Trauer manchmal schon mit          von Geschwisterkindern, das Übernehmen von Be-
der Diagnosestellung, sagt Dieter Steuer. Doch laut       sorgungen oder alltäglichen Verrichtungen entlastet
auszusprechen, dass man als Elternteil Angst hat,         Familien nicht nur in der Zeit der Erkrankung des Kin-
dass die vielen anstrengenden Therapien doch nicht        des, auch nach einem Todesfall pausiert der Alltag
zur Heilung führen, trauen sich Betroffene oftmals        für die Betroffenen nicht und Unterstützung bleibt
nicht: Niemand möchte schließlich den Misserfolg          weiter willkommen.
einer Therapie beschreien. Die Angst vor einem              Es hat sich bereits viel getan in den Jahren, in
möglichen schlechten Ausgang ist aber menschlich          denen Helga Franz-Flößer und Dieter Steuer in der
und keinesfalls Zeichen von kampfloser Aufgabe. Er        Trauerbegleitung aktiv sind – da sind sie sich einig.
ist ein natürlicher Teil der Auseinandersetzung mit       Das Thema Tod und Trauer findet mehr Beachtung,
einer extremen Ausnahmesituation: der lebensbe-           und es gibt deutlich mehr Angebote und Hilfestel-
drohlichen Erkrankung des eigenen Kindes. Auch            lungen für Betroffene, als dies noch vor zwanzig
das Umfeld reagiert manchmal entsprechend:                oder dreißig Jahren der Fall war. Dennoch bleibt viel
„Daran darfst Du gar nicht denken! Hab Hoffnung!          zu tun. Doch jetzt müssen andere den Staffelstab
Es wird schon alles gut!“ Schon vor dem Eintritt des      übernehmen. n
„persönlichen Supergaus für jedes Elternteil“ wie                                                                  Katrin Claus

                                                                                                                                  3/21 DL FH   9
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung:
       Augenmerk auf junge Generation
       Drei Survivor berichten über die virtuelle Konferenz von CCI-Europe und SIOP-Europe

                                           Wie so vieles in diesem Jahr fand das zweite       Wie im “Europe‘s beating cancer plan” , geht
     CCI-Europe ist eine Zweignieder-
                                           Jahrestreffen der Europäischen Gesellschaft        es auch darum, den Einsatz von gezielten
     lassung von Childhood Cancer
     International (CCI), der weltweit     für pädiatrische Onkologie in Partnerschaft        Anti-Krebsmedikamenten für junge Patienten
     anerkannten als Dachorganisation      mit dem europäischen Dachverband der El-           zu fördern.
     nationaler Eltern- und Survivor       terngruppen und Survivors Childhood Cancer
     Organisationen in der Kinderon-       International Europe(CCI Europe) online statt.     Right to be forgotten
     kologie. Sie vertritt Krebspatien-    Ursprünglich war die Konferenz, in der sich        Im Rahmen einer Survivor-Session mit dem
     ten im Kindes- und Jugendalter        sowohl medizinisches Fachpersonal als auch         vielversprechenden Titel „Nothing about us
     und deren Familien. Seit 2020 ist     Elternverein-Vertreter und ehemals Betroffene      without us“ wurde die Initiative „Recht auf
     CCI Europe offiziell in Österreich    austauschen können, letztes Jahr in Valencia       Vergessen“ vorgestellt. Sicherlich ist das nicht
     registriert. 66 Vereine in 33 euro-   geplant. Damals hoffte man noch, dass in           das erste Thema, über das man sich im Rah-
     päischen Ländern sind Mitglied.       einem Jahr alles anders sein würde.                men einer Krebsdiagnose Gedanken macht.
     Die Vision der CCI-Europe ist es,        Rund 1 500 Teilnehmer waren in diesem           Dennoch sind Schwierigkeiten bei Versiche-
     krebskranke Kinder und Jugend-        Jahr online mit dabei und konnten eine             rungsabschlüssen oder auch finanzielle Dis-
     liche zu heilen, ohne oder mit so     Vielzahl teils parallel stattfindender Vorträge    kriminierung für viele Survivors ein wichtiges
     wenigen langfristigen Gesund-
                                           besuchen. Auch Marie Barth, Jette Lüdersen         Thema in ihrem weiteren Werdegang.
     heitsproblemen und Spätfolgen
     wie möglich. Um dies zu errei-        und Eva Maria Hümmer, alle drei Survivors,            Ziel der Bemühungen ist es, europaweit
     chen, arbeitet die CCI-Europe eng     nahmen an der Konferenz teil und fanden            gesetzlich zu verankern, dass eine Krebsdiag-
     mit medizinischen und psychoso-       einige Themen besonders erwähnenswert:             nose vor Vollendung des 18. Lebensjahres ab
     zialen Fachleuten, Akademikern,                                                          fünf Jahren nach abgeschlossener Therapie
     Wissenschaftlern, der Zivilgesell-    Europe’s beating cancer plan                       in sämtlichen Zusammenhängen nicht mehr
     schaft und privaten Organisatio-      Der „Beating Cancer Plan“ ist ein politisches      angegeben werden muss. Damit soll der
     nen in Europa zusammen.               Bekenntnis, den Kampf gegen den Krebs auf          Benachteiligung von Survivorn im weiteren
     CCI Europe hat es sich zur Aufga-     EU-Ebene nochmal intensiver aufzunehmen            Lebenslauf entgegengewirkt werden. Bisher
     be gemacht, Eltern, Patienten und     (vgl. WIR 2/2020). Um die Themen- und Aufga-       setzen Frankreich, Belgien, Luxemburg und
     Überlebende zu vereinen und sich      benfelder möglichst genau zu erfassen, wurde       die Niederlande dies um. In Deutschland gilt
     für ihre Rechte einzusetzen. Ihre     eine öffentlichen Konsultation durchgeführt.       ein solches Gesetz bisher noch nicht. Stattdes-
     Ziele sind:                           An dieser konnte sich die gesamte Gesell-          sen sind viele junge, ehemalige Patienten auf
     ■ Die Verbesserung der medizini-      schaft beteiligen. Allerdings fand bei der         sich alleine gestellt, ihre Rechte und Möglich-
        schen und psychosozialen Ver-      Befragung keine Differenzierung zwischen           keiten in Bezug auf Versicherungen nachzu-
        sorgung krebskranker Kinder        Kindern und Erwachsenen, deren Bedürfnis-          vollziehen. Nicht selten erhalten sie Ableh-
        und Jugendlicher in Europa         sen, Behandlungsweisen und Lebenswegen             nungen oder überteuerte Angebote, wenn sie
     ■ Einen Europäischen Pflege-          statt.                                             sich um Absicherungen bemühen.
        standard einzuführen, um noch         Es ist ein großer Erfolg, der sicherlich auch
        bestehende Ungleichheiten zu       dem kontinuierlichen Nachdruck zur Betei-          Präsentation der Regenbogenfahrt
        beseitigen
                                           ligung durch CCI-Europe und SIOP-Europe            Neben den vielen interessanten Beiträgen,
     ■ Die Qualität der Überlebenszeit     zu verdanken ist, dass nach dem Ende der           denen die drei Survivor aufmerksam folgten,
        in ganz Europa zu verbessern       Befragung der Bereich „Krebs bei Kindern und       wurden sie auch selbst aktiv. In der Session zu
                                           Jugendlichen“ ein eigenes Kapitel innerhalb        Angeboten in Zeiten von Corona stellten Eva
                                           des Planes erhält.                                 und Marie die pandemiekonforme Variante
     SIOP-Europe (Internationale Ge-                                                          der Regenbogenfahrt 2020 vor. Sie beein-
     sellschaft pädiatrischer Onkologie
     Europa) wurde 1998 als Tochter-
                                           Cancer Horizon Europe Mission                      druckten das internationale Publikum sehr
                                           Auch im Zwischenbericht des Mission Board          mit dem besonderen Engagement der großen
     organisation von SIOP gegründet.
     Sie ist die einzige Organisation,     für Krebs der Europäischen Kommission hat          Gruppe ehemals Betroffener, die im vergan-
     die alle Fachkräfte, die in dem       der Bereich der Kinderonkologie eine beson-        genen Jahr in Kleingruppen sogar nochmal
     Gebiet der Kinderonkologie tätig      dere Aufmerksamkeit erhalten. Darin heißt es:      mehr Kliniken auf dem Rad angefahren
     sind, vertritt. Mit mehr als 1 850    „Empfehlung 11: Krebs bei Kindern, Jugend-         haben als sonst. Indem Survivor von Klinik zu
     Mitgliedern aus 35 Europäischen       lichen und jungen Erwachsenen – mehr und           Klinik radeln und das Armbändchen mit dem
     Ländern ist SIOPE führend in der      besser heilen.” Innerhalb dieser Mission soll      Spruch „Eins werd ich nie tun – aufgeben!“
     Sicherstellung der bestmöglichen      erforscht werden, wie in dieser jungen Alters-     verteilen, passten sie gut zu dem Motto der
     Versorgung und von optimalen          gruppe Krebs entsteht und sich entwickelt.         Konferenz „Zusammen sind wir stark“. n
     Ergebnissen für alle krebskran-
     ken Kinder und Jugendlichen in
     Europa.

10           3/21 DLFH
Kurz gefragt
                                 Marie Barth (27) und Jette Lüdersen (23) haben bei der Konferenz von CCI-Europe und
                                 SIOP-Europe teilgenommen. Gemeinsam mit Eva Maria Hümmer schrieben sie den
                                 nebenstehenden Beitrag.
                                 Seit wann engagieren Sie sich auf internationaler Ebene?
                                 Jette Lüdersen: Ich bin seit 2021, also noch ganz neu, dabei.
                                 Marie Barth: Ich engagiere mich seit 2017.
                                 Was veranlasst Sie, sich auf internationaler Ebene zu beteiligen?
                                 Marie Barth: Ich wünsche mir für zukünftige Patienten sowie Survivor einschließlich mir
                                 selbst eine optimale Therapie und Nachsorge. Insbesondere auf europäischer Ebene
   Marie Barth                   kann man zusammen mit viel Engagement und Ausdauer die Zukunft gestalten. Es
                                 bereitet mir Freude, mich daran zu beteiligen.
                                 Jette Lüdersen: Mich motiviert die Neugier, wie dem Thema „Kinderkrebs“ in anderen
                                 Ländern begegnet wird und der Gedanke, dass man für alle noch mehr erreichen kann,
                                 wenn man sich zusammentut und sich gemeinsam international organisiert.
                                 Welche Begegnung und Erfahrungen während der Konferenzen haben Sie besonders
                                 beeindruckt?
                                 Jette Lüdersen: Da es meine erste Konferenz war, war es für mich sehr spannend, die ver-
                                 schiedenen Organisationsformen und laufenden Projekte kennenzulernen. Das Engage-
                                 ment einiger einzelner Personen zu speziellen Themen hat mich besonders beeindruckt.
                                 Außerdem wurden mir die Augen dafür geöffnet, dass die Standards in der Versorgung
                                 schon innerhalb Europas sehr unterschiedlich sein können.
                                 Marie Barth: Besonders beeindruckt hat mich die Kreativität vieler Elternvereine. So hat
                                 beispielsweise einer die Herstellung von individuellen Kinderperücken ins Leben gerufen.
   Jette Lüdersen

                 S y l t K l i n i k gGmbH
                 der Deutschen Kinderkrebsstiftung

                                                                              w w w.sy l tk l in ik .d e
                                                                               Die SyltKlinik der Deutschen Kinder-
                                                                               krebsstiftung ist ein modernes Reha-Zen-
                                                                               trum im Herzen der Insel Sylt für Familien
                                                                               mit einem krebskranken Kind. Ein Team
                                                                               aus Ärzten, Psychologen, Therapeu-
                                                                               ten, Pädagogen und Mitarbeitern des
SyltKlinik gGmbH                                                               Servicebereiches hilft den Familienmit-
Osetal 7, 25996 Wenningstedt-Braderup                                          gliedern durch eine ganzheitliche, indi-
                                                                               viduelle Behandlungsphilo-
Tel.: 04651949 - 0, info@syltklinik.de                                         sophie, sich zu erholen und
Spendenkonto: Nord-Ostsee-Sparkasse                                            gestärkt zurück ins ­Leben zu
IBAN: DE32 2175 0000 0030 0141 61                                              gehen.

                                                                                                                  3/21 DL FH   11
Wenn eine Gemeinschaft entsteht
            Waldpiraten bieten das erste Familienseminar 2021 wieder in Präsenz an
         Das Waldpiraten-Camp hat endlich wieder seine Tore für         arbeiten und Taschen und T-Shirts im Siebdruck herstellen,
         Gäste geöffnet: Zum Auftakt konnten fünf Familien an           einen Becher töpfern und an der Staffelei malen. Das ruhige
      einem Wochenende zum Familienseminar nach Heidelberg              Programm hilft, sich beim Tun mit anderen auszutauschen.
      kommen. „Es war aufregend und wunderschön, ein Moti-                Besonders beliebt war bei den Jüngeren die Igelreise, die
      vationskick für das Team“, strahlt Mitarbeiterin Julie Greiner.   Chris Maier vorlas. Parallel zur Geschichte bekamen die Kinder
      Auch für sie war dieses Seminar eine Premiere: Zum ersten         eine Massage. Wie es ist, wenn viele an einem Bild mit dem Titel
      Mal hatte sie dafür die pädagogische Leitung übernommen.          „Zufriedenheit“ malen, konnte bei der Jahrespraktikantin Lina
          Als sie dann die Familien am Tor begrüßten, spürte sie        Grenzicher ausprobiert werden. Das Thema wurde dann auch in
         ein schönes, tiefes Gefühl. Das i-Tüpfelchen: Anstelle der     einer Philosophie-Runde wieder aufgenommen: Kann man im-
               üblichen drei Tage, gab es für die neun Erwachse-        mer zufrieden sein? Wenn ja: Kann man es erlernen? Was kann
                 nen und zwölf Kinder und Jugendlichen zwischen         man aus der Unzufriedenheit lernen?
                  sechs und 18 Jahren vier Tage Programm unter
                   dem Motto „Sport und Bewegung als Ressource“.        Sport mit Gummihühnern
                   Damit war mehr Zeit, um sich kennenzulernen          Einen sportlichen Part übernahmen die Gummihühner Berta
                  und miteinander zu spielen. „Es war spannend          und Klaus, die die Kinder beim gleichnamigen Golf anstelle von
                   zu beobachten, wie die Teilnehmer so nach und        Bällen nutzten. Bevor eine Meisterschaft ausgetragen werden
                   nach auftauten“, sagt sie.                           konnte, bauten die Teilnehmer den phantasievollen Parcour auf
                                                                        und trainierten.
                 Auf in den Wald                                           Es sei schön gewesen zu sehen, wie die Kinder und Jugendli-
                 Zwei Programme – eines für die Eltern, das             chen „ihren“ Part gefunden hätten, schwärmt Julie Greiner: Ein
                 andere für die Kinder – hatten die Waldpiraten         Mädchen sei beim Theaterspiel „aufgeblüht“, ein anderes konnte
                vorbereitet und dazwischen auch gemeinsame              bei einer Radtour -Pause das Liegerad testen, das vielleicht auch
                Aktivitäten geplant. Während Chris Maier und Son-       eine Option für ihren Alltag und somit für mehr Selbstständig-
               ja Müller mit den Erwachsenen arbeiteten, beglei-        keit ist. Am Lagerfeuer, an dem alle Familien saßen, entstanden
               teten Julie Greiner, Ariana Dietze, Lina Grenzicher      sich tiefe Gespräche, für manche waren die Yoga-Einheiten eine
                und Heiko Wabnitz das Jugendprogramm. Heike             Neuentdeckung, und das Großgruppenspiel zum Abschluss
                Kopp unterstützte das Team ehrenamtlich. „Beide         stärkte noch einmal das entstandene Gemeinschaftsgefühl.
               Gruppen starteten im umliegenden Wald, für die              „Beim Familienseminar können nicht nur Informationen wei-
               Eltern die erste Möglichkeit, sich kennenzulernen        tergegeben werden, sondern es bringt auch Dinge in Bewegung
               und sich auszutauschen. Für die Kinder war es das        und gibt Kraft. Aber hier kann sich auch jeder zwischendurch
               erste Gruppenerlebnis, bei dem sie sich von den          einmal zurückzuziehen, wenn er eine Auszeit benötigt“, sagt Ju-
               Eltern gelöst haben“, so Julie Greiner.                  lie Greiner. In diesem geschützten Rahmen wissen die Eltern, wo
                  In den kommenden Tagen wurden mehrere                 ihre Kinder sind und können loslassen. Die Kinder wiederrum
               Workshops angeboten. Die jungen Teilnehmer               schnuppern erstmals Camp-Luft – vielleicht auf ein baldiges
                konnten kreativ in verschiedenen Werkstätten            Wiedersehen. n	                                                (us)

     Alle zusammen, aber mit Raum für sich
             Familie Tirjan war zum ersten Mal beim DLFH-Familienseminar dabei
             Christiane Tirjan liebt es, im Wald unterwegs zu sein.
             Was für eine schöne Gelegenheit, auch beim Fami-
             lienseminar gemeinsam mit den anderen erwach-
             senen Teilnehmern durch den Wald rund um das
             Waldpiraten-Camp streifen zu können.
                Für die Frankfurterin hielt die Natur dabei eine
             besondere Begegnung bereit: „Ich trat ganz allein auf
             eine Lichtung, und da sprang auf einmal, knapp zwei
             Meter entfernt von mir, ein Rehbock vorbei. Ich habe
             diese Kraft des Tieres gespürt“, erzählt sie immer
             noch bewegt. Als später im Seminar ein Elfchen (ein
             kurzes Gedicht in einer vorgegebenen Form) ge-
             schrieben wurde, endet sie deshalb mit den Zeilen:
             „Wald öffnet sich/Kraft“.                                  Maxine (m) hat sich beim Familienseminar mit den Schwestern Mara und Hannah
                                                                        angefreundet.

12      3/21 DLFH
Einmal Zirkus bitte: Die Kinder, die zum Familienseminar kamen, entdeckten die Bühne der Waldpiraten.

Angebote bewusst wahrnehmen
Dass sie gemeinsam mit ihrem Mann Volker und                            kennengelernt, inzwischen haben die beiden schon
beiden Töchtern Isabelle und Maxine beim DLFH-Fa-                       miteinander telefoniert und denken über einen
milienseminar dabei sein konnte, hatte sich relativ                     Camp-Aufenthalt nach. Es sei so schön zu sehen, wie
kurzfristig ergeben. Es begann mit einem Anruf                          die beiden Töchter nach all den Therapien und Ope-
von Camp-Leiterin Sonja Müller. Daraufhin musste                        rationen von Maxine, die Zeit jetzt genossen haben.
rasch mit der Schule geklärt werden, ob die beiden                         Die Gruppe der Erwachsenen erlebte Christia-
Mädchen an dem Brückentag frei haben und wer die                        ne Tirjan alle als engagiert und interessiert. In der
beiden Hasen der Familie betreuen könnte.                               Abschlussrunde sei von anderen Teilnehmer sogar
  Das Familienseminar ist nicht das erste Angebot                       die Idee geäußert worden, dass künftig eine Eltern-
der DLFH/DKS, dass die Tirjans nutzen. Bereits von                      woche oder ein Familiencamp angeboten werden
ihrem Aufenthalt in der SyltKlinik waren sie gestärkt                   könnte. Aus dem Programm gefielen ihr das Impro-
zurückgekehrt. Danach war klar: „Wir wollen die                         visationstheater und der Part „In Bewegung sein“.
Angebote ganz bewusst wahrnehmen, um gemein-                            Hier konnten Spiele ausprobiert werden, und es galt,
sam Kraft zu tanken und Gleichgesinnte zu treffen.                      verschiedene Stationen zu bewältigen. Witzig fand
Eine Erfahrung, die sie auch bei den Tagungen des                       sie das Lachseminar, das zwei Klinikclowns anboten.
HIT-Netzwerkes machen konnten.                                          Maxine und ihr Vater waren sehr begeistert vom
                                                                        Yoga, das hoch oben im Piratennest angeboten wur-
Einfach mal lachen                                                      de. Als Camp-Mitarbeiterin Ariana Dietze kurzfristig
Es sind sehr intensive Tage, die hinter der Familie                     weitere Yogastunden im Freien anbot, waren Vater
liegen. Sehr froh sei sie, dass aus den üblichen drei                   und Töchter bereits morgens auf der Matte.
Tagen dank eines Feiertags vier geworden sind. Der                         „Wir waren dort gemeinsam als Familie, und doch
14-jährigen Isabelle haben vor allem die künstleri-                     konnte auch jeder für sich sein passendes Angebot
schen Angebote gefallen. Die jüngere Maxine (12)                        wahrnehmen“, blickt Christiane Tirjan zurück. Wenn
sei aktiver gewesen, sagt ihre Mutter. Sie hat Mara                     wir dürfen, kommen wir gern wieder.“ n                (us)

                                                                                                                                     3/21 DL FH   13
Ein psychosoziales Netz spannen
     Zu Gast in Göttingen: Welche Aufgaben hat das psychosoziale Team im Elternhaus?
                              „Die Krebsdiagnose wirbelt die ganze Familie                 Dabei ist es ist ihnen wichtig, die gesamte Familie
                              durcheinander – und genau in dieser Zeit sind wir,         mit ihrem sozialen Gefüge und ihrer Geschichte zu
                              das psychosoziale Team, für sie da“, sagt Julia Dolle.     betrachten. „Gleichzeitig ist unser Blick vor allem auf
                              Gemeinsam begleitet die Sozialpädagogin mit em             die Ressourcen, also auf das Positive und Mögli-
                              Psychologen Moritz Brummer und der Erzieherin              che, gerichtet“, erläutert Sandra Faust. Gemeinsam
                              und systemischen Familientherapeutin Sandra Faust          suchen sie nach vorhandenen Ressourcen und er-
                              Eltern und Kinder im Göttinger Elternhaus.                 innern auch an Stärken, Perspektiven und Sichtwei-
                                 Eine Aufgabe, so erzählen die beiden hauptamt-          sen. Diese seien schon einmal da gewesen, können
                              lichen Mitarbeiterinnen im Online-Gespräch, die            aber in der Ausnahmesituation nur schwer genutzt
                              ihnen den Raum gibt, frei von festen Strukturen            werden.
                              und mit viel Zeit für die Familien da sein zu kön-
                              nen. „Da kann ich zum Beispiel ein Gespräch in             Vieles unter einem Dach
                              der ruhigen Atmosphäre des Gartens führen“, sagt           Einige Familien wohnen nur wenige Tage unter dem
                              Sandra Faust. „Wir haben offene Bürozeiten, bei uns        Dach des Elternhauses, für andere wird die Einrich-
                              kann man immer klopfen und sich mit uns austau-            tung zum Zuhause auf Zeit und wieder andere waren
                              schen“, ergänzt Julia Dolle. Die Betroffenen können        bereits zu Gast und kehren zurück, um verschiede-
                              beispielsweise über ihre belastende Situation reden,       ne Nachsorge-Angebote wahrzunehmen. Neben
                              Halt in der Krise finden oder über Perspektiven nach       Einzel-, Paar- und Familienberatungen lädt das
                                                                                         Elternhaus zu Veranstaltungen wie Sommerfesten,
                                                                                         Freizeiten oder Weihnachtsfeiern ein. Regelmäßig
                                                                                         treffen sich Gruppen für verwaiste Familien, ehemals
                                                                                         Erkrankte oder Geschwister.
                                                                                            Erst vor kurzem hat sich die Elternhilfe Göttingen
                                                                                         dem Netzwerk für die Versorgung schwerkranker
                                                                                         Kinder und Jugendlicher in Niedersachsen ange-
                                                                                         schlossen. Dort arbeiten sie aktiv im Trauernetzwerk
                                                                                         mit, das eine Anschubfinanzierung über zwei Jahre
                                                                                         erhalten hat.

                                                                                         Wunsch nach Angeboten
                                                                                         „In der Zusammenarbeit mit der Kinderklinik versu-
     Foto: Lenja Kempf

                                                                                         chen wir, ein psychosoziales Netz zu spannen, das
                                                                                         den Familien Unterstützung in jeder Lebenslage
                                                                                         anbietet“, beschreibt Julia Dolle ihre Aufgabe. Die
     Das psychosoziale Team des Elternvereins Göttingen: Sandra Faust, Julia Dolle und   Partner tauschen sich regelmäßig aus und koope-
     Moritz Brummer (v.l.).
                                                                                         rieren: Die Klinikmitarbeiter fragen beispielsweise
                              der Entlassung aus der Klinik nachdenken. Die drei         für Eltern eines neu aufgenommenen Patienten im
                              Ansprechpartner unterstützen beim Ausfüllen von            Elternhaus an, ob ein Zimmer angeboten werden
                              Anträgen, beraten rund um die Erziehung, begleiten         könne, oder der Elternverein lädt in der Klinik zum
                              auf Wunsch Eltern zu einem Arztgespräch, spielen           Pizzaabend ein.
                              eine Runde Billard oder backen mit einer Mutter               „Leider konnten wir das Angebot aus Sicherheits-
                              einen Kuchen.                                              gründen in Corona-Zeiten nicht aufrecht erhalten“,
                                                                                         bedauert Dagmar Hildebrandt-Linne, Geschäftsfüh-
                              Nachsorge ist wichtig                                      rerin des Elternvereins. „Damit ist es für uns auch
                              Nach der stationären Behandlung kehrt das Kind             schwieriger geworden, die Eltern kennenzulernen
                              nach Hause und allmählich in den Alltag zurück. Für        und sie über unsere Angebote zu informieren.“
                              diesen Schritt stehen Sandra Faust, Julia Dolle und        Generell wünscht sich das Elternhaus-Team, noch
                              Moritz Brummer als psychosoziales Nachsorgeteam            mehr die Chance zu haben, mit den Familien auf der
                              den Familien zur Seite. Und das ganz praktisch: Sie        Station in persönlichen Kontakt treten zu können:
                              besuchen das häusliche Umfeld, schauen gemein-             Vielleicht könne neben dem gemeinsamen Pizzaes-
                              sam mit den Familien, wie sich die Situation verän-        sen künftig auch eine Sprechstunde oder ein Kaffee-
                              dert hat, gehen mit in Kita oder Schule oder beglei-       trinken durch den Elternverein angeboten werden,
                              ten Geschwister. Das stützende Angebot ist zeitlich        überlegt Dagmar Hildebrandt-Linne. Ein Wunsch,
                              unbegrenzt und richtet sich nach den Bedürfnissen          den auch Julia Dolle und Sandra Faust teilen. „Jede
                              der Familie.                                               Familie soll von uns wissen und eine Chance bekom-
                                                                                         men, uns und unsere Begleitangebote kennenzu­
                                                                                         lernen.“ n	                                         (us)

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