Intermezzo Der Musikverein im Lockdown - FEBRUAR 2

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Intermezzo Der Musikverein im Lockdown - FEBRUAR 2
FEBRUAR

                                          2021

Intermezzo
Der Musikverein im Lockdown   GESELLSCHAFT
                              DER MUSIKFREUNDE
                              IN WIEN
Intermezzo Der Musikverein im Lockdown - FEBRUAR 2
Das Leben ist voller
Höhen und Tiefen.

                       Wir sind
                       für Sie da.
                       Finanzgeschäfte sind kompliziert
                       genug. Deshalb sprechen wir eine
                       einfache und verständliche Sprache.
                       Denn wir wissen: Nur wenn wir uns
                       verstehen, können wir auch die
                       richtige Lösung für Sie finden.
                       www.bankaustria.at

                       Willkommen bei der
Intermezzo Der Musikverein im Lockdown - FEBRUAR 2
Inhalt

               Editorial                                               4

               Stimmen aus dem Lockdown                                8
                   Wie erleben europäische Konzerthäuser die Krise?
               Träumen, atmen, tun                                    12
                   Friedrich Cerha
               Der Elefant im Goldenen Saal                           15
                   Fasching im Musikverein
               Offen hinter geschlossenen Türen                       18
                   Die Konzertkassa im Musikverein
               „Mehr für einen Caruso als für einen Paganini“         22
                   Erich Wolfgang Korngold und sein Violinkonzert
               The Maestro                                            26
                   Gustavo Dudamel
               Nur das halbe Vergnügen?                               30
                   Musik, reproduziert und reduziert

Standards   34 Chronik

                                                                           3
Intermezzo Der Musikverein im Lockdown - FEBRUAR 2
Liebe Musikfreundinnen
 und Musikfreunde,

                                                          oder einem Streichquartett live auf der Bühne
                                                          zuzuhören! Und zwar gemeinsam, als Publikum,
                                                          als gemeinsame musikalische Erfahrung, an der alle
                                                          teilhaben können. Musik und Kultur sind lebensnot-
                                                          wendig – das wird uns allen nun, da Kultur aufgrund
                                                          der Pandemie aktuell nicht live möglich ist, umso
 mit dieser Ausgabe unserer Zeitschrift senden wir        schmerzlicher bewusst.
 Ihnen herzliche Grüße aus dem Musikverein! Das ist
 uns umso mehr ein Anliegen, weil wir mit Ihnen in        Selbstverständlich verstehen wir, dass die Gesundheit
 Kontakt bleiben möchten – in dieser Zeit, in der         vorgeht! Und natürlich unterstützen wir die Maßnah-
 Live-Konzerte im Musikverein mit Publikum leider         men der Bundesregierung, um die Pandemie in den
 nicht möglich sind. Ich schreibe Ihnen diese Zeilen in   Griff zu bekommen. Aber zugleich brennen wir
 den letzten Jänner-Tagen, an denen noch keine            darauf, Musik wieder möglich zu machen und die
 terminliche Perspektive vorlag, wann Konzerte wieder     Konzertsäle im Musikverein wieder zu öffnen – für
 möglich sein werden. Daher enthält diese Ausgabe         Sie, für die Künstlerinnen und Künstler und für uns.
 unserer Zeitschrift auch zum ersten Mal kein             Und damit können wir nicht auf das Ende der
 Kalendarium, keine Vorschau auf Konzerte – eben          Pandemie warten, sondern wir müssen jetzt Schritte
 weil wir derzeit, Ende Jänner, noch nicht planen         setzen, damit Kultur in der Pandemie wieder möglich
 können.                                                  werden kann. Daher haben wir in der Kulturszene
                                                          überlegt, was wir aktiv, konstruktiv und entschieden
 Wir setzen uns mit allen Möglichkeiten, die wir haben,   dazu beitragen können, um die Wiedereröffnung der
 dafür ein, dass so schnell als möglich wieder Konzerte   Kultur so bald als möglich realisieren zu können.
 stattfinden können. Die Musik darf nicht verstummen!     Dazu haben sich führende Kulturinstitutionen zu
 Wir führen Gespräche in unterschiedlichsten              einer bundesweiten Plattform von Theatern, Opern-
 Konstellationen, wir sind im Dialog mit politischen      und Konzerthäusern zusammengeschlossen, um in
 Entscheidungsträgern, und wir sind vernetzt mit vielen   einem gemeinsamen Positionspapier zur Wiedereröff-
 anderen Häusern und Kulturinstitutionen, in              nung der Kultur Dialogbereitschaft zu signalisieren
 Österreich und Europa. Wir brennen darauf, den           und gemeinsam zu formulieren, was für die Wieder­
 Musikverein so bald es irgend möglich ist wieder zu      eröffnung der Kultur notwendig ist. Diese konkreten
 öffnen – die Säle sind zu still, wir vermissen die       Vorschläge und Forderungen der Kultur haben wir in
 Künstlerinnen und Künstler, und wir vermissen Sie,       einem gemeinsamen Brief an Herrn Vizekanzler
 unser Publikum. Die Musik, davon sind wir zutiefst       Werner Kogler und an Frau Kulturstaatssekretärin
 überzeugt, ist lebensnotwendig, sie bereichert jeden     Andrea Mayer zusammengefasst, mit denen zuvor ein
 von uns, sie bringt uns zusammen, sie ermöglicht         virtuelles Treffen mit einer Auswahl der großen
 Erfahrungen, die nicht zu ersetzen sind. Wie wertvoll,   Kulturveranstalter des Landes stattgefunden hatte.
 schön und bereichernd ist es, einem Orchester, einer
 Sängerin, einem Pianisten, einem Chor, einer Geigerin    Gerne möchte ich Ihnen einen Einblick geben in die
                                                          Inhalte dieses Schreibens und in die konkreten,
                                                          konstruktiven, praxisnahen, aus profunder Erfahrung
                                                          heraus geborenen Vorschläge, die wir der Politik
                                                          gemacht haben. Im Folgenden verwende ich Passagen
                                                          aus diesem Positionspapier.

                                                                                                                  Foto: Wolf-Dieter Grabner

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Intermezzo Der Musikverein im Lockdown - FEBRUAR 2
Editorial

                                                         Da niemand im Moment verlässlich vorhersagen
                                                         kann, wann die Kulturinstitutionen wieder öffnen
                                                         können, haben wir klar gemacht, dass es, um einen
Zuallererst möchten wir daran erinnern, dass wir im      möglichst raschen und geplanten schrittweisen
Musikverein (so wie alle Kulturinstitutionen) über ein   Neustart des kulturellen Lebens zu ermöglichen, einen
bewährtes Präventionskonzept verfügen, mit dem wir       mittelfristigen Stufenplan zur Wiedereröffnung der
im September und Oktober mehr als 25.000                 Kulturinstitutionen braucht, inklusive transparenter
Besucher*innen im Musikverein hatten – ohne eine         Voraussetzungen (Inzidenz etc.). Eine Institution wie
bekannte Corona-Infektion im Publikum. Die               der Wiener Musikverein ist ein komplexes Gefüge, ein
Kombination aus einem behördlich genehmigten             sehr großes Räderwerk, das sich nicht einfach von
Präventionskonzept, der Maskenpflicht für das            heute auf morgen wieder in Betrieb setzen lässt. Neue
Publikum und den besonders leistungsfähigen              Programme müssen erdacht, mit den Künstlerinnen
technischen Einrichtungen für eine erhöhte Frischluft-   und Künstlern abgestimmt, neue Konzertkarten
zufuhr schützen unsere Besucher*innen konsequent         angelegt, verkauft und alte storniert werden. Säle
und bestmöglich vor schädlichen gesundheitlichen         müssen gebucht und Proben disponiert werden.
Folgen. Daher haben wir im Dialog mit der Politik        Verträge werden neu verhandelt, Publikationen
gefordert, dass diese bewährten Präventionskonzepte      müssen neu konzipiert und die Kalendarien aktuali-
und die darin enthaltenen Sitzpläne, über die alle       siert werden … All dies ist die Voraussetzung, damit
großen Kulturveranstalter verfügen, weiterhin            Konzerte wieder stattfinden können – und das braucht
anerkannt werden.                                        einen zeitlichen Vorlauf. Daher unsere Forderung
                                                         nach einem mittelfristigen Stufenplan.
Die sehr positiven Erfahrungen aus dem letzten
Herbst werden nun ganz aktuell auch von einer            Wie Sie als unsere Besucherinnen und Besucher
wissenschaftlichen Studie des Fraunhofer Heinrich-       sicherlich im September und Oktober bereits erlebt
Hertz-Instituts bestätigt. Diese Studie zeigt am         haben, waren die maximalen Besucherzahlen in
Beispiel des Konzerthauses Dortmund, dass die            unseren Sälen gedeckelt (erst mit 1.500
Gefahr der Übertragung von Infektionen durch             Besucher*innen, dann mit 1.000 im Großen Saal). Für
Aerosolübertragung in Konzerthäusern unter den           die Zukunft haben wir eine Alternative vorgeschlagen:
vorab beschriebenen Bedingungen nahezu ausge-            Die maximalen Zuschauerzahlen sollen abhängig
schlossen werden kann.                                   von der Größe der Spielstätte definiert werden – und
                                                         zwar als Prozentsatz der verfügbaren Plätze, nicht in
Daher ist uns auch entscheidend wichtig zu fordern,      absoluten Zahlen. Denn: Jede zahlenmäßige
dass die Kultur nicht schlechter gestellt wird als die   Beschränkung des Publikums hat Auswirkungen auf
Gastronomie. Wir sind zudem davon überzeugt, dass        die Finanzierung der jeweiligen Produktion. Um die
das Tragen einer FFP2-Maske kombiniert mit               Wiederaufnahme des Spielbetriebs und die betriebs-
unseren starken Präventionskonzepten und den             wirtschaftliche Integrität der kulturellen Einrichtungen
besonderen Lüftungsanlagen eine echte Alternative        abzusichern, brauchen die kulturellen Einrichtungen
zum Testen darstellt.                                    klare Vorgaben über mögliche Beschränkungen der
                                                         Zuschauerzahlen, die immer in Bezug zur Größe und
                                                         Qualität der jeweiligen Spielstätte zu sehen sind.
                                                         Sämtliche Gebäude der großen Kulturveranstalter,
                                                         und so auch der Musikverein, sind mit technischen
                                                         Lüftungsanlagen ausgestattet, die die vorgeschriebene
                                                         Frischluftzufuhr (Kubikmeter Frischluft Volumen pro
                                                         Person/Stunde) deutlich übertreffen. In Spanien ist

                                                                                                                    5
Intermezzo Der Musikverein im Lockdown - FEBRUAR 2
Wien: 107,3           Im Internet
Graz: 94,2            via Livestream und
www.radioklassik.at   Radiothek
Intermezzo Der Musikverein im Lockdown - FEBRUAR 2
Editorial

man auf dieser Basis bereits den Weg gegangen: Dort        Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Zeilen einen
konnte der Spielbetrieb der Theater, Opern- und            Einblick geben in die Themen und Fragen, die uns im
Konzerthäuser vor Wochen mit einer prozentualen            Musikverein beschäftigen und für die wir – im Dialog
Beschränkung der Sitzplatzkapazität wieder aufge-          und Schulterschluss mit den Kolleginnen und
nommen werden.                                             Kollegen der anderen Häuser – Lösungen suchen.
                                                           Diese sachlichen Forderungen sind natürlich getragen
Eine Wiederaufnahme der Spielbetriebe setzt                vom Schmerz über die aktuelle Situation. Wir
vorangehende Proben voraus. Auch wenn der                  möchten unseren Musikverein wieder mit Leben
Probenbetrieb in Folge von Kurzarbeit teilweise            füllen! Musik hören! Künstlerinnen und Künstler bei
eingeschränkt funktioniert, ist die Weiterführung der      uns wieder willkommen heißen – und Sie, unser
Probenarbeit, auch bei geschlossenen Häusern,              Publikum. Es ist zu still geworden. Es muss wieder
notwendig und Voraussetzung für die Wiederaufnah-          Musik erklingen. So bald als möglich – in der
me. Wie oben bereits erwähnt, müssen viele organisa-       Pandemie, und unter den oben genannten
torische Hebel in Bewegung gesetzt werden, mit             Perspektiven.
großem zeitlichem Vorlauf, um Konzerte zu ermög­
lichen. Wesentlicher Bestandteil ist dabei die Disposi­    Wir halten Sie auf unserer Website ständig auf dem
tion der Proben – daher ist der mittelfristige zeitliche   Laufenden – auf www.musikverein.at sowie über
Planungshorizont von so großer Bedeutung.                  unsere sozialen Medien veröffentlichen wir laufend
                                                           alle Neuigkeiten. Sie können sich dort auch für
Die Corona-Pandemie hat nicht nur enorme                   unseren Newsletter registrieren – dann bekommen Sie
künstlerische Ausfälle mit sich gebracht, sondern in       sofort per E-Mail Nachricht, wenn es wieder Konzerte
den Kulturinstitutionen auch massiven finanziellen         im Musikverein gibt. Ich hoffe, es geht Ihnen gut und
Schaden hinterlassen. Daher haben wir gefordert, dass      Sie sind gesund. Gemeinsam mit dem ganzen Team
die Regierung vollen Kostenersatz leisten muss für die     im Musikverein hoffen wir, dass wir Sie bald wieder in
durch die Verordnung verursachten betriebswirt-            unseren Sälen begrüßen können.
schaftlichen negativen Folgen, da ansonsten alle
Kulturveranstalter in finanzielle Probleme geraten         Und bereits heute möchte ich Ihnen sagen, dass wir
werden, die auch mittelfristig nicht von den Veranstal-    bald schon unsere neue Saison 2021/22 veröffentlichen
tern selbst gelöst werden können.                          werden – voraussichtlich bereits im April. Es wird dies
                                                           mein erstes Programm, die erste von mir gemeinsam
All diese Aspekte können nur in bestmöglicher Weise        mit dem Team und den Künstler*innen gestaltete
realisiert werden, wenn man im Gespräch miteinander        Saison sein. Ich freue mich schon darauf, Ihnen die
bleibt. Daher haben wir abschließend einen regelmä-        Pläne für die kommende Saison vorstellen zu dürfen
ßigen direkten Austausch mit Vizekanzler Kogler            – auch dies als ein Zeichen der Zuversicht, dass Musik
und Staatssekretärin Mayer gefordert. Damit soll           und Kultur wieder möglich sein werden und wir die
gewährleistet werden, dass die die Kultur betreffenden     Pandemie hinter uns lassen.
Verordnungstexte durch Einbeziehung der fachlichen
Expertise dieser Gruppe praxistauglich sind. Nur so        Für heute wünsche ich Ihnen viel Freude mit dieser
ist es möglich, dass unter dem selbstverständlichen        Ausgabe der „Musikfreunde“, die unsere gemeinsame
Vorrang der Gesundheit künstlerisch sinnvolle              Verbundenheit mit der Musik auch in diesen stillen
Programme zu wirtschaftlich vertretbaren Konditio-         Zeiten vielfältig zum Ausdruck bringt.
nen realisiert werden können.
                                                           Herzlich
So weit eine Zusammenfassung der wichtigsten
Inhalte des Positionspapiers zur Wiedereröffnung des
Kulturbetriebs, das die großen Kulturveranstalter in
einer erstmalig bundesweiten Plattform gemeinschaft-       Intendant der Gesellschaft der Musikfreunde
lich veröffentlicht haben.                                 in Wien

                                                                                                                     7
Intermezzo Der Musikverein im Lockdown - FEBRUAR 2
Foto: unbezeichnet / Barbican Centre

 Sir Nicholas Kenyon,                                      Was erwarten oder erhoffen Sie von der Politik?
 Managing Director der Barbican Hall                         Idealerweise würden wir uns einen klaren
 London                                                      Zeitplan für die Wiedereröffnung wünschen, aber
                                                             wir wissen, dass es unmöglich ist, eine endgültige
 Wie ist die Situation der Barbican Hall derzeit – von       Aussage zu treffen. Die Botschaften der briti-
 den Fakten her betrachtet? Von der Stimmung?                schen Regierung waren widersprüchlich, einige
   Seit Jänner 2021 ist das Barbican Centre wie alle         ermutigten zu einer baldigen Öffnung, aber die
   Londoner Kulturstätten aufgrund der öffentli-             jüngste Empfehlung lautete, dass es besonders in
   chen Gesundheitssituation geschlossen. Wir                London zu gefährlich sei, Veranstaltungen zu
   hatten eine erfolgreiche Wiedereröffnung im               erlauben. Die jüngste unbeantwortete Frage ist,
   Herbst 2020, mit einer Reihe von Hybrid-Kon-              ob der breite Einsatz eines Impfstoffs das
   zerten unter dem Titel „Live from the Barbican“,          Vertrauen schaffen wird, die Beschränkungen zu
   also gestreamte Konzerte mit wenig Publikum im            lockern.
   Saal. Die Veranstaltungen wurden sehr kurzfris-
   tig programmiert, und wegen mangelnder                  Was und wie können Sie derzeit planen?
   Auftrittsmöglichkeiten für Künstler konnten wir           Wir entwickeln eine Planung auf der Basis von
   hervorragende klassische und nicht-klassische             drei Szenarien: einem Good Case, einem Base
   Musiker gewinnen. Die Konzerte liefen gut, weil           Case und einem Worst Case. Diese reichen von
   sich Publikum und Interpreten sicher fühlen               der Planung des Neustarts einiger Veranstaltun-
   konnten. Wir hatten eine weitere Konzertreihe für         gen von Ende März bis in den Sommer hinein.
   das neue Jahr geplant, die allerdings wegen der           Für das Barbican als Multi-Arts Centre, also ein
   aktuellen Situation verschoben werden musste:             Zentrum mit verschiedenen Kunstformen, sind
   Die Regierung rät derzeit, zu Hause zu bleiben            die Planungszyklen oft unterschiedlich, und die
   und nicht zu reisen, wenn es nicht notwendig ist.         Umstände bzw. Möglichkeiten der Wiedereröff-
                                                             nung z. B. eines Konzertsaals mit Social
    Wie reagiert Ihr Publikum auf die Situation, wie die     Distancing sind nicht die gleichen wie die einer
    Künstlerinnen und Künstler?                              Kunstgalerie. Das ergibt ein komplexes Bild von
      Wir halten den Kontakt mit unserem Publikum            Optionen und Zeitplänen.
      über digitale Inhalte in einem „Read, Watch,
      Listen“-Bereich auf unserer Website, und das         Wann rechnen Sie wieder mit einem Spielbetrieb
      wird gut angenommen. Die Künstler wollen             wie vor der Krise?
      natürlich auftreten, aber sie sind sich der Gefahr      Niemals. Wir sind uns darüber im Klaren, dass
      für ihre eigene Gesundheit wie auch für die             die Krise – insbesondere wenn wir noch die
      Gesundheit anderer bewusst, wenn sie unterwegs          Auswirkungen des Brexit, die Notwendigkeit
      sind. Und wir als Veranstalter wollen niemanden         einer stärkeren gesellschaftlichen Repräsentanz
      gefährden. Wir stellen einige frühere Konzerte          in unserem Programm und ganz allgemein die
      online. Wir binden unsere privaten Unterstützer         Klimakatastrophe mit bedenken – zu einer
      mit speziellen Veranstaltungen ein, und das läuft       radikalen Veränderung des Konzertbetriebs
      gut, weil sich Künstler, die bei uns engagiert          führen wird: Zum Beispiel werden internationale
      gewesen wären, zur Verfügung stellen. Zum               Tourneen von großen Ensembles fraglich, es
      Beispiel hat Gustavo Dudamel kürzlich einen             wird eine stärkere Betonung des Dienstes an
      Live-Chat mit unseren Förderern geführt.                lokalen Gemeinschaften geben. Darauf mit
                                                              neuen Modellen zu reagieren ist eine große
                                                              Herausforderung für die kommenden Wochen
                                                              und Monate.

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Intermezzo Der Musikverein im Lockdown - FEBRUAR 2
Stimmen
                                                               aus dem Lockdown
                                                               Wie erleben
                                                               europäische Konzerthäuser
                                                               die Krise?
                                                               Der Musikverein ist eng ver-
                                                               bunden mit Konzertveranstal-
                                                               tern auf internationaler
                                                               Ebene. Wir haben uns bei
                                                               Intendantinnen und Intendan-
Foto: Priska Ketterer
                                                               ten in Europa umgehört,
                                                               wie sie die aktuelle Situation
Ilona Schmiel,
Intendantin der Tonhalle-Gesellschaft                          erleben.
Zürich
Anruf in Zürich, bei der Intendantin der Tonhalle-     aufgebaut, „die uns erlaubt“, so Schmiel, „miteinan-
Gesellschaft Zürich. Ilona Schmiel bittet, zehn Mi-    der im Gespräch zu bleiben. Man muss vor Ort prä-
nuten nach der vereinbarten Zeit zurückrufen zu        sent sein, um weiter zu begeistern!“ Die enge Ver-
können: Noch ist sie in einer Besprechung mit Paa-     bindung zu Förderern und Gönnern ist da ein wich-
vo Järvi, dem Chefdirigenten des Tonhalle-Orches-      tiger Aspekt: Ohne sie könnten das Top-Orchester
ters Zürich. „Wir streamen heute Abend“, erzählt       der Schweiz und sein Haus nicht auf diesem Spit-
sie. Erstmals präsentiert sich das Orchester im Rah-   zenniveau existieren. Nur zu 50 Prozent ist die Ton-
men der Idagio Global Concert Hall. „Heute, da wir     halle subventioniert, der Rest muss eingespielt und
mitten in einer Produktion sind“, sagt sie, „bin ich   von privater Hand aufgebracht werden. Eine enor-
total begeistert, wie motivierend es ist, wieder auf   me Herausforderung, die auch in diesen schwieri-
der Bühne zu sein und dafür alles zu tun – zugleich    gen Zeiten gemeistert wird. Im September 2021
merken wir, wie schmerzlich wir das Publikum im        wird die renovierte Tonhalle im ebenfalls renovier-
Saal vermissen. Die letzten Wochen haben uns be-       ten Kongresshaus an den Ufern des Zürichsees wie-
sonders spüren lassen, warum wir das, wofür wir da     dereröffnet. Der Termin steht fest, Ilona Schmiel
sind, so gerne tun – und was dabei an Essenziellem     plant ein fulminantes Programm für die Eröffnung
fehlt.“ Konzerte ohne Publikum zu spielen ist die      und die erste Saison im erneuerten Haus. „Was es
jüngste in einer ganzen Reihe Corona-bedingter         genau sein wird, kann ich Ihnen jetzt noch nicht ver-
Varianten, mit denen man auch in Zürich auf die        raten, aber klar ist: Wir planen in zwei Varianten –
vielfach geänderten Bedingungen reagierte. Schach-     in der optimistischen, dass wir vor vollem Haus spie-
brett-Sitzplan, Maske im Saal – alles schon da gewe-   len können, und einer, die nur von einer halben
sen. Zuletzt, von August bis Oktober, konnte vor       Saalbelegung ausgeht.“ Wie es dann sein wird, wer
550 Menschen gespielt werden, knapp der Hälfte         kann es heute wissen? Eines freilich steht fest: Auch
der Saalkapazität. Nun wird aus dem publikumslee-      wenn der Saal nicht voll wäre, wird es künstlerisch
ren Saal gestreamt. Dass das auf allerhöchstem Ni-     keine halben Sachen geben.
veau passiert, ist für Ilona Schmiel und ihr Orches-
ter unabdingbar. „Wir wollen, dass das, was wir tun,
wertgeschätzt und auch bezahlt wird. Ich bin durch-
aus auch dafür, die Verwertungsketten beim Strea-
ming genau anzuschauen.“ Daneben wurde in Zü-
rich eine zweite Schiene digitaler Kommunikation

                                                                                                               9
Intermezzo Der Musikverein im Lockdown - FEBRUAR 2
Christoph Lieben-Seutter,
 Intendant der Elbphilharmonie                                                                                        Foto: Michael Zapf

 Hamburg
 Der Luxusliner liegt vor Anker. Die Elbphilharmo-
 nie, das 2017 eröffnete spektakuläre Konzerthaus in
 der HafenCity Hamburg, ist derzeit fürs Konzertpub-
 likum gesperrt. „Auch wenn wir uns unglaublich ge-         „nach Corona“ nicht mehr genau so sein wird wie die
 übt haben in Flexibilität und Erfindungsgabe“, sagt        Zeit „davor“, darauf stellt sich Lieben-Seutter kreativ
 Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seut-           ein. „Internationale Orchester werden nicht mehr un-
 ter, „zehrt die Situation an den Nerven. Sicher: Es gibt   unterbrochen auf ausgedehnten Tourneen rund um
 genug zu tun im Haus, es wird geprobt, aufgenom-           den Globus sein – dieser Orchester-Touren-Zirkus
 men, gestreamt, wir renovieren und ziehen Wartungs-        wird sich sicher reduzieren, das hat sich vor der Pan-
 arbeiten vor – aber so ein Konzerthaus ohne Publi-         demie schon aus Klimaschutz-Gründen abgezeich-
 kum bleibt einfach eine traurige Sache.“ Gleichwohl        net.“ Und dann – da geht er vollkommen d’accord mit
 möchte er nicht einstimmen in die Klage, dass die          Ilona Schmiel, die auch genau diese Trends nennt:
 Kultur speziell so stiefmütterlich behandelt werde.        „Die kürzeren Konzertformate, die wir nun prakti-
 Die Elbphilharmonie, räumt er ein, „ist da sicher auch     ziert haben, finden viel positive Resonanz. Ich kann
 in einer privilegierteren Situation. Wirtschaftlich ha-    mir vorstellen, dass das teilweise so bleibt. Außerdem
 ben wir keine allzu großen Sorgen, weil wir dem            hätte ich nichts dagegen, wenn die Planungsvorläufe       Foto: Mats Lundqvist

 Stadtstaat Hamburg gehören, der uns quasi alle un-         und die Vorverkaufszeiten etwas kürzer bleiben. Es
 mittelbaren, durch die Stilllegung des Konzertbe-          hat mich schon immer gestört, dass man sich drei Jah-
 triebs bedingten Einnahmenausfälle kompensiert.            re im Vorhinein festlegen muss, wenn man gute
 Dazu haben wir viel Unterstützung von privater Seite,      Künstlerinnen und Künstler engagieren will. Ich ge-
 von Förderern und Sponsoren, die uns gewogen blei-         nieße das jetzt gerade: dass man tolle Leute zu einem
 ben und auch Extra-Aktivitäten wie Streaming er-           Projekt engagieren kann, das nächste Woche stattfin-
 möglichen.“ Der Kontakt zum Publikum bleibt eng,           det. Das haucht der ganzen Sache frisches Leben ein.“
 nun gepflegt vor allem über die digitalen Medien,
 über Newsletter und Social Media, „aber es kommen          Stefan Forsberg,
 auch“, freut sich Lieben-Seutter, „ganz liebe Briefe       Intendant des Konserthuset
 von treuen Abonnenten, sogar die eine oder andere          Stockholm
 Bonbonniere“ – Dank und süße Ermutigung fürs               Der vieldiskutierte schwedische Sonderweg in der
 Durchhalten. Die Frage, wann und wie wieder geöff-         Corona-Krise – auch er führt nicht daran vorbei, dass
 net werden kann, sieht Lieben-Seutter im Kontext ei-       das Konserthuset Stockholm derzeit fürs Publikum
 ner großen Diskussion, die in der politischen Öffent-      geschlossen sein muss. Aber es bleiben Optionen of-
 lichkeit geführt werden müsse. „Dass wir etwa als In-      fen. „Die schwedische Regierung“, berichtet Stefan
 stitution am Eingang Tests machen, das ist weder lo-       Forsberg, Intendant des Konserthuset, „hat es den
 gistisch darzustellen noch steht es uns zu, darüber zu     CEOs überlassen, entsprechend den Empfehlungen
 befinden: Du darfst rein – und du nicht. Das muss ge-      und gesetzlichen Vorgaben zu entscheiden: Könnt ihr
 samtgesellschaftlich geklärt werden, und das betrifft      spielen, wollt ihr spielen?“ Seine Entscheidung war
 natürlich dann auch den Umgang mit den Geimpften.          klar: „Wir spielen!“ Wie in der Tonhalle Zürich ge-
 Da sehe ich noch eine große Debatte auf uns zukom-         hört auch im Konserthuset ein Orchester zum Haus:
 men.“ Künstlerisch wird selbstverständlich intensiv
 weitergeplant in der Elbphilharmonie. Dass die Zeit

10                                                                                                                    Foto: May Zircus
Joan Oller i Cuartero,
                                                          Intendant des Palau de la Música Catalana
                                                          Spanien ist die Ausnahme. Trotz gleichbleibend ho-
das Königliche Philharmonische Orchester. Forsberg,       her Infektionszahlen darf gespielt werden – unter
als Intendant für beide zuständig, beschloss, das Kon-    strengen Auflagen versteht sich, aber ein Haus wie
zerthaus zu einem großen „Green Room“ fürs Or-            der Palau de la Música Catalana Barcelona, als Archi-
chester umzubauen. Gleichsam jeder Quadratmeter           tekturjuwel weltberühmt und als Zentrum der Musik-
wurde Corona-konform für die Philharmoniker adap-         welt hochgeschätzt, darf geöffnet halten. Und diese
tiert. Und so meldet sich das Orchester jetzt per Live-   Möglichkeit wird mit Leidenschaft genützt, auch
Stream regelmäßig aus dem eigenen Haus. „Wir ha-          wenn, wie Joan Oller i Cuartero, Intendant des Hau-
ben zuvor schon viel aufgenommen“, erzählt Fors-          ses, erklärt, die ökonomische Situation prekär ist. Die
berg. „Aber in dieser Situation haben wir entschlos-      staatlichen Subventionen sind gering, sie liegen bei 13
sen einen großen weiteren Schritt gewagt und mit der      Prozent des Aufwands. Der Rest muss selbst finan-
bestmöglichen Technik, darunter einem 4K-Aufnah-          ziert werden. In besten Zeiten, die vor einem Jahr
mesystem, ein fantastisches Live-Studio eingerich-        noch normale Zeiten waren, tragen dazu Ströme mu-
tet.“ Neben den wöchentlichen Symphoniekonzerten          sikbegeisterter Touristen bei. Nicht weniger als 25
gibt es im Live-Stream des Konserthuset auch Kam-         Prozent kommen aus dem Ausland, und auch aus
mermusik und Jazz. „Wir gewinnen damit neues Pub-         Spanien reisen viele Kulturbegeisterte zum Jugend-
likum“, sagt Forsberg, bestätigt durch hohe Zugriffs-     stil-Musentempel in Barcelona. Sie fallen jetzt aus –
zahlen aus ganz Schweden, ja aus der ganzen Welt.         die geltenden Pandemie-Regeln Spaniens begrenzen
Der so geöffnete Weg wird auch in Zukunft wichtig         strikt auch die Mobilität im eigenen Land. Dazu
sein, daran lässt Forsberg keinen Zweifel. Aber ge-       kommt, dass nicht wenige jetzt aus Vorsicht auf einen
nauso unzweifelhaft steht fest: „Die Leute wollen         Konzertbesuch verzichten. Von Gesetzes wegen dürf-
kommen, sie wollen die Musik live hören.“                 te vor der Hälfte der vollen Besucherzahl gespielt
Das Konserthuset ermöglichte dieses Live-Erlebnis         werden – tatsächlich hält man, wie Joan Oller ein-
selbst dann, als die Corona-bedingten Restriktionen       räumt, derzeit bei einer Auslastung von 25 Prozent.
nur 50 Zuhörer im Saal zuließen. „Das Orchester           Aber die Zahlen sind das eine. Ein anderes ist, was
wollte auf diese Resonanz nicht verzichten und spür-      seelisch zählt: Musik zu machen, Musik erklingen zu
bar die Musik mit anderen teilen.“ Erst als die Regeln    lassen, auch in schwierigen Zeiten. „Der Enthusias-
nur noch acht Menschen im Auditorium erlaubten,           mus derer, die jetzt bei uns Musik erleben, ist über-
ging Forsberg nicht mehr mit. Derzeit erreicht er sein    wältigend“, sagt Oller. Und so wird, so lange es irgend
Publikum auch mit digitalen Medien und dem Kon-           tragbar ist, hier Musik live ermöglicht. Ausgewählte
serthuset-Magazin „Lyssna“. „Es ist eine historische      Konzerte werden auch gestreamt – ein Bach-Magnifi-
Epoche, die wir gerade erleben. Es ist wichtig festzu-    cat, im Dezember gesungen von einem Kammerchor
halten, was wir empfinden und wie wir mit den Her-        mit Masken, dokumentiert da beispielhaft die unge-
ausforderungen umgehen.“                                  bremste Musizierlust. „Auch die Sponsoren haben
Wann wird er wieder vor vollem Haus spielen kön-          uns bislang die Treue gehalten“ – ein weiteres Zei-
nen? Forsberg, so begeistert er auch von seinem Tun       chen, das Joan Oller optimistisch bleiben lässt. Frei-
spricht, bleibt vorsichtig. „Vielleicht können wir ab     lich: Auch er muss Realist genug sein, um sich auf eine
September wieder Konzerte vor 300, 400, 500 oder          herausfordernde Zukunft einzustellen. Was wird sich
600 Menschen geben – das hängt von der Impfung ab.        ändern nach der Krise? Bei der Konzertplanung,
Aber ein ganz ausverkauftes Haus, in dem sich jeder       schätzt Oller, werden Künstlerinnen und Künstler aus
sicher fühlt, werden wir wohl kaum vor 2022/23            der Region eine stärkere Rolle spielen, auch wenn die
haben.“                                                   internationale Strahlkraft nicht nachlassen soll. Bleibt
                                                          zu hoffen, dass in absehbarer Zeit auch wieder die
                                                          Musikbegeisterten aus aller Welt nach Barcelona
                                                          kommen.
                                                                                  Die Interviews führte Joachim Reiber.

                                                                                                                          11
Träumen, atmen, tun
 Friedrich Cerha

                                                          „Wie ich atme, so träume ich Musik.“ Dieser Satz,
                                                          geäußert vor vielen Jahren in einer Fernsehdoku-

     D     ie Stille in der weitläufigen Villa in Hiet-
           zing ist größer denn je. Besuche, die das
           Ehepaar Cerha stets gern empfangen hat,
                                                          mentation, charakterisiert seinen kreativen Prozess
                                                          des Komponierens wahrscheinlich am besten. Die
                                                          Fähigkeit, eine erste, noch ganz undeutliche Idee,
 haben sich wegen der Corona-Pandemie naturge-            wie sie als Rest eines Traumes ins Bewusstsein ge-
 mäß aufgehört, nur die beiden Töchter sind davon         langen mag, zu bewahren, sie reifen zu lassen, bis sie
 ausgenommen. „Unser einziger regelmäßiger Kon-           mit handwerklichen Mitteln fassbar wird, sie gleich-
 takt zur Außenwelt ist unsere Haushälterin Mira,         sam großzuziehen, ohne Ungeduld oder Schaffens-
 die jetzt täglich kommt, wobei man einander gar          druck oder verfrühte Kultivierungsmaßnahmen –
 nicht begegnen muss. Meine Tendenz zur Vorsicht          darauf gründet sich eines der großen Geheimnisse
 ist im Herbst stark gestiegen. Aber, Gott sei Dank,      von Friedrich Cerha.
 es geht uns wirklich gut“, versichert Traude Cerha
 bei unserem Telefongespräch Ende November.               Gelassenheit, gepaart mit Disziplin
 „Wir konnten im Juni in unser Haus in Maria Lang­        Zehn Jahre sind von der Konzeption seines monu-
 egg fahren und dort bis Ende Oktober bleiben, da-        mentalen „Spiegel“-Zyklus 1960/61 bis zur Fertig-
 mit war der Sommer gerettet.“ Den neuerlichen            stellung der ersten gültigen Partitur vergangen. Die-
 Lockdown hat man gelassen hingenommen. „Uns              ser lange Atem ist nicht denkbar ohne ein gewisser-
 stört das nicht. Wir sprechen auch nicht viel über       maßen buddhistisches Ausmaß von Gelassenheit,
 das Thema Corona. Mein Mann und ich sind so in-          gepaart mit Disziplin; sie muss auf einer gehörigen
 tensiv mit unseren eigenen Gedanken und Interes-         Portion Vertrauen in das eigene Gedächtnis beru-
 sen beschäftigt, dass uns nichts abgeht.“                hen und nicht zuletzt auf der Gabe, sich gegen die
                                                          Außenwelt abzugrenzen, Erwartungen zu ignorie-
 Keine Zeit zum Hadern                                    ren und zu enttäuschen, auch wirtschaftliche Not-
 Für Friedrich Cerha hat die Stille freilich noch eine    wendigkeiten auszuklammern, um konsequent der
 andere Dimension angenommen. Sein Gehör hat              eigenen Inspiration zu folgen. Dass ihm dies mög-
 sich extrem verschlechtert. Dem schöpferischen           lich war, verdankt Cerha zu einem wesentlichen Teil
 Kontinuum, in dem er seine Tage zubringt, ist das        seiner Frau, die als Mittelschullehrerin über 37 Jah-
 vermutlich sogar zuträglich; so bleibt seine innere      re für ein geregeltes Grundeinkommen sorgte und
 Musik von Störungen ganz unbehelligt. Deprimie-          ihn auch sonst von der störenden Außenwelt ab-
 rend wirkt hingegen, dass ihn seine Augen allmäh-        schirmte. Auftragswerke hat Cerha nicht geschrie-
 lich ganz im Stich lassen. Skizzen muss er sofort ins    ben, vielmehr hat er sich erst nachträglich um Auf-
 Reine schreiben, weil er sie später nicht mehr lesen     führungsmöglichkeiten bemüht und dabei oft Glück
 kann. Glück im Unglück: Was er im Kopf hat, be-          gehabt; ganz besonders mit seiner Oper „Baal“, die
 schäftigt ihn so sehr, dass er sich nicht die Zeit       von der Wiener Staatsoper und den Salzburger
 nimmt, mit dieser Einschränkung zu hadern. Die           Festspielen gleichzeitig angenommen und mit Theo
 Verzweiflung muss warten. Er hat zu tun …                Adam in der Titelrolle zu einem seiner nachhaltigs-
                                                          ten Erfolge wurde, ihn auch einem breiten Publi-
                                                          kum bekannt machte.

12
Am 17. Februar vollendet Friedrich
Cerha sein 95. Lebensjahr. Nach-
richten aus einem stillen Gebiet, wo
schier unerschöpflich neue Ideen
gedeihen und mit unveränderter
Disziplin in ihre adäquate Form
gefasst werden.

                                       13
Fotos: Mirjam Reither / picturedesk.com

                                                                                                          Universelles Œuvre
                                                                                                          Dort hat Friedrich Cerha letzten Sommer auch wie-
                                                                                                          der zu malen begonnen. Man darf ja nicht vergessen,
                                                                                                          dass er ein universelles Œuvre geschaffen hat, das sich
                                                                                                          nicht auf die Komposition mit Tönen beschränkt. Mit
                                                                                                          gleicher Originalität hat er sich bildnerischer Mittel
                                                                                                          bedient, sodass über die Jahrzehnte an die tausend
                                                                                                          Bilder und Objekte entstanden sind, meist komple-
                                               Vitales Bedürfnis nach Ausdruck                            mentär zu bestimmten Kompositionen, gleichsam als
                                               Ein Grundprinzip von Cerhas Schaffen beruht auf der        Blitzableiter für überbordendes Ausdrucksbedürfnis.
                                               Überzeugung, dass das jeweils vorgefundene Material        Die Materialbilder aus jener Periode, in der er den
                                               die Regeln für seine Verarbeitung bereits in sich trägt.   dritten Akt von Bergs „Lulu“ komplettierte, hinter-
                                               Diese Erkenntnis verdankt er dem Austausch mit sei-        lassen in ihrer Wucht und Direktheit einen unvergess-
                                               nem Bildhauerfreund Karl Prantl und seiner eigenen         lichen Eindruck. Nicht zuletzt ist Cerha, der einst ein
                                               praktischen Beschäftigung mit der Bildhauerei, die er      Doktorat der Germanistik erworben hat, seinem Be-
                                               unter Prantls Anleitung erlernt hat. Der Arbeitspro-       dürfnis nach künstlerischem Ausdruck auch im Um-
                                               zess unterliegt dabei nicht dem Willen, sondern folgt      gang mit dem Wort gerecht geworden; das dokumen-
                                               einem vitalen Bedürfnis nach Ausdruck.                     tieren die leidenschaftlichen Gedichte seiner frühen
                                               Dieses vitale Bedürfnis scheint trotz körperlicher Be-     Jahre ebenso wie die messerscharf ausformulierten
                                               einträchtigungen ungebrochen, auch wenn sich das           Texte, in denen er eigene Werke zu kommentieren
                                               Pensum altersbedingt deutlich reduziert hat. Nach ei-      pflegte, und nicht zuletzt all seine brillanten Reden,
                                               nem späten Frühstück, bei dem sich das Ehepaar min-        die in punkto Angriffslust und Ironie an den Jugend-
                                               destens eine Stunde Zeit für Gespräche nimmt, ruht         freund Thomas Bernhard gemahnen.
                                               er sich meist nochmals aus, ehe er sich an den Schreib-
                                               tisch begibt; den Mittagsschlaf, den sich der zwei Tage    Neues zum 95.
                                               jüngere Freund György Kurtág seit langem gönnt, hat        Die lebhaften geistigen Interessen hat sich das Ehe-
                                               Cerha nicht nötig. Er macht zwischendurch lieber ei-       paar in unveränderter Frische bewahrt. Traude Cerha
                                               nen Abstecher in den Garten, sucht sein Glashaus           ist nur zwei Jahre jünger als ihr Mann. „Ich habe gro-
                                               auf, wo er über Jahrzehnte Pflanzen aus aller Welt zu-     ßes Glück“, sagt sie. „Ich bin, was die körperliche
                                               sammengetragen, gepflegt und studiert hat; ein sach-       Konstitution betrifft, ihm gegenüber sehr privilegiert.
                                               kundiger Botaniker. Der Aufenthalt in der Natur hat        Aber wir haben gute Ärzte und eine gute Physiothe-
                                               ihm zeitlebens viel bedeutet; das entspringe vielleicht    rapie, wir versuchen die Übungen möglichst konse-
                                               seinem Bedürfnis, in einem „größeren Ganzen“ auf-          quent zu machen, das hat auch ihm viel geholfen. Es
                                               zugehen, hat er im Gespräch einmal formuliert – für        ist ja nicht nur seine Inspiration unerschöpflich. Auch
                                               den deklarierten Atheisten beinahe ein Glaubens­           die Fähigkeit, daraus dann wirklich etwas zu machen,
                                               bekenntnis. In der fantastischen Wildnis von Maria         sein Bedürfnis, sich nicht geschlagen zu geben, ist un-
                                               Langegg konnte er dem geheimen Leben von Pflan-            gebrochen.“
                                               zen und Tieren besonders nahe kommen, sein Stu­            Rund um seinen 95. Geburtstag hatten mehrere Ver-
                  Prof. Monika Mertl,          dium der Vogelrufe hat sich in seiner Musik hörbar         anstalter Konzerte zu seinen Ehren geplant. Und das
     Kulturpublizistin in Wien, ist            niedergeschlagen.                                          auch, wie nicht anders zu erwarten, mit Neuem aus
     Autorin der Biographien von                                                                          seiner Feder. Zur Uraufführungen stehen an: ein neu-
     Nikolaus Harnoncourt (Vom                                                                            es Orgelstück ebenso wie eine „Vocalise für Sopran
         Denken des Herzens) und                                                                          und drei Klarinetten“ und acht Stücke („8 foglie“) für
                 Michael Heltau (Auf                                                                      Soloposaune. Der Musikverein, der Friedrich Cerha
                                 Stichwort).                                                              am 17. Februar mit einem Konzert geehrte hätte,
                                                                                                          schickt seinem Ehrenmitglied jetzt auf diesem Weg
                                                                                                          die herzlichsten Glückwünsche.
                                                                                                                                                     Monika Mertl

14
Der Elefant im Goldenen Saal
Fasching im Musikverein

               Vom Babyelefanten sprach noch kein
               Mensch in Wien. Aber vom Elefanten im
               Musikverein war natürlich die Rede.
               Er hatte sich bei einer Faschingsveranstal-
               tung in den Goldenen Saal geschlichen –
               mit Abstand der Höhepunkt einer rau-
               schenden Redoute, bei der auch Masken
               nichts als Freude machten. Fasching im
               Musikverein: ein historisches Panoptikum,
               präsentiert von Archivdirektor
               Otto Biba.

                                                             15
Alles Walzer

     F     aschingsvergnügen war in Wien ursprüng-
           lich primär ein Ballvergnügen – erst im
           20. Jahrhundert, besonders gegen dessen
                                                          Ein kleiner Einblick in deren Namen? „Juristen-
                                                          Ball“, „Techniker-Ball“, „Ball der Land- und Forst-
                                                          wirte“, „Studenten-Ball“, „Ball des Gewerbe-
 Ende, hat sich da manches geändert. Bälle, Masken-       bunds“, „Wiener Bürgerball“, „Concordia-Ball“,
 bälle, Redouten gab es in den etablierten Tanzsälen,     „Ball des Jockey-Clubs“, „Ball des Künstlervereins
 in Sälen von großen Restaurants, in Mehrzwecksälen       ,Hesperus‘“, „Elite-Ball des Schiller-Vereins ,Die
 und seit der Eröffnung des neuen Musikvereins­           Glocke‘“, „Ball des Vereins der Österreichisch-
 gebäudes im Jahr 1870 auch hier. Bei der Planung des     Schlesier“, „Rumänen-Ball“, „Ball der Einjährig-
 Hauses wurde davon ausgegangen, dass darin auch          Freiwilligen“, „Ball zugunsten des Hernalser Offi-
 Bälle veranstaltet werden sollten. Das neue Musik-       zierstöchter-Instituts“, „Marienbader Militär-Cur-
 vereinsgebäude sollte ein Tempel der Musik und des       haus-Ball“, „Elite-Ball der Wiener Handelsakade-
 Tanzes werden – als elegante Ball-Lokalität wurde es     mie“, „Ball zum Besten der von der Überschwem-
 eine einschneidende Konkurrenz für bisherige Ball-       mung Betroffenen“, „Ball zum Besten der
 Veranstaltungsorte. Nicht zu vergessen: Die Vermie-      Versorgungsanstalt erwachsener Bilder“, „Redoute
 tungen für Bälle waren eine wichtige Einnahmequelle      zum Besten der Armen der Stadt Wien“, „Redoute
 der Gesellschaft.                                        zum Besten der Invalidenstiftung (mit der Kurzbe-
                                                          zeichnung ,Invaliden-Redoute‘)“ … Unvergleich-
 Der Opernball im Musikverein                             lich hoch war im letzten Viertel des 19. Jahrhun-
 Die Gesellschaft der Musikfreunde hat ihre 1830 bis      derts die Zahl der Maskenbälle bzw. -Redouten, die
 1847 regelmäßig (davor und danach unregelmäßig)          aufwendige Kostümbälle waren. Sie standen unter
 gegebenen Bälle 1870 im neuen Haus wieder als re-        einem Motto, der Saal war diesem entsprechend de-
 gelmäßige Veranstaltungen etabliert, zumindest bis       koriert, die Besucher konkurrierten in fantasievol-
 1883, dann fanden sie wieder unregelmäßig bis selten     len Kostümen, und auch die Elefanten, die man bei
 statt. 1949 gab es wieder einen Anlauf zum regelmäßi-    einem solchen Anlass im Saal sehen konnte, waren
 gen Ball der Gesellschaft der Musikfreunde, der 1953     nur Verkleidung für mehrere Ballbesucher. Die Be-
 zugunsten des 1924 hier eingeführten Philharmoni-        schreibung der Kostüme und der meist szenischen
 kerballs aufgegeben wurde. Die Bälle der Gesell-         Dekorationen füllte Spalten in den Zeitungsberich-
 schaft der Musikfreunde hießen ausdrücklich „Künst-      ten.
 lerball“. Man ging hierher aber auch auf Redouten,       Mit der Zunahme der Zahl von Musikveranstaltun-
 veranstaltet von den Mitgliedern des K. K. Hofopern-     gen war immer weniger Platz für Bälle im Musikver-
 theaters, oder auf den Ball des Pensions-Instituts der   ein, und um die Mitte der 1950er Jahre reduzierte
 Hofoper. Um bei der Musik zu bleiben: Im Musikver-       man die Ball-Vermietungen grundsätzlich. Man
 ein wurde anfangs auch der Opernball veranstaltet,       wollte sich in einer sogenannten Ballwoche auf den
 der erst 1877 erstmals in der Hofoper stattfand und      Philharmonikerball und den Techniker-Cercle kon-
 dort bescheiden „Hofopern-Soirée“ hieß. Es gab eine      zentrieren, die heute noch jeder Wiener Ballbesu-
 solche Vielzahl von Bällen, dass es sich wirklich loh-   cher mit dem Musikvereinsgebäude in Zusammen-
 nen würde, die Geschichte der Bälle im Musikverein       hang bringt. Der letzte Ball, der sich eine andere
 als sozial- und kulturgeschichtliches Phänomen zu        Lokalität suchen musste, war übrigens der traditio-
 schreiben. Das waren Bälle, die bestimmte Berufs-        nelle und bei weitem nicht nur von Bewohnern des
 gruppen ansprechen sollten, Vereinsbälle, Bälle von      dritten Bezirks besuchte Landstraßer Bürgerball,
 sogenannten Landsmannschaften in Wien, Militär-          der in das Konzerthaus übersiedelt ist.
 bälle und Wohltätigkeitsbälle.

                                                                                                                Abbildungen: Archiv · Bibliothek · Sammlungen der Gesellschaft
                                                                                                                der Musikfreunde in Wien

16
Erst Brahms,
        dann Tanz!                                        ihm komponierten bzw. arrangierten Werken wie
Eine besondere Veranstaltungsform, die die Gesell-        „Cactus tragicus“, „Die Schaffnerin aus Liebe“, „Eine
schaft der Musikfreunde für ihr 1870 neu errichtetes      nicht gerade kleine Nachtmusik“ und „Ankunftssym-
Gebäude gefunden hat, waren die sogenannten               phonie“. Ernstes und Heiteres mischten die Wiener
„Künstler-Abende“ im Großen Saal, die nicht speziell      Symphoniker bei ihrem letzten Faschingskonzert im
ein Faschingsvergnügen waren, aber im Fasching ih-        Musikverein 2012: Ingo Metzmacher dirigierte Werke
ren Höhepunkt fanden. Für jeden Abend wurde das           von Schönberg und Schostakowitsch, Lehár und
Vestibül um 20.30 Uhr geöffnet, um 21.00 Uhr war          Kálmán.
Einlass in den Saal, um 21.30 Uhr begann der Musik-
vortrag einer Regimentskapelle, danach war ein Kon-       Spaß mit Ernst
zert gemischten Programms mit namhaften Künstlern         Seit 1994 und dann in dichterer Folge zwischen 1998
(auch Brahms konnte man da am Flügel erleben) und         und 2017 veranstaltete die Gesellschaft der Musik-
bedeutenden alten oder neuen Werken vorgesehen;           freunde im Brahms-Saal eigene Faschingskonzerte:
da konnte man Beethovens Septett neben einem neu-         dies mit den philharmonischen Gruppierungen En-
en Walzer von Johann Strauß (Sohn) oder ein Vokal-        semble Wien und Wiener Virtuosen. Es waren
quartett von Mendelssohn neben einer Arie aus             Scherz- wie Frohsinns-Konzerte – bei den Wiener
„Aida“ hören. Dem folgte ein kurzer Sprechtheater-        Virtuosen konzipiert und oft auch moderiert von
Beitrag, wie etwa zwei Szenen aus Grillparzers „Sap-      Ernst Ottensamer, dem philharmonischen Solokla-
pho“. Nach einer halb- oder einstündigen Pause gab        rinettisten –, Konzerte mit vielen „lachhaften“ Ver-
es Tanz. Die Damen hatten in Soirée- oder Balltoilet-     fremdungen, manchmal aber auch nur Freude mit
te zu erscheinen, die Herren ausschließlich in Balltoi-   Musik vermittelnd, unterstützt mit dem einen oder
lette. Eigens für die Abonnenten der Künstlerabende       anderen passenden Arrangement von Dieter Flury
gab es im Fasching zwei Tanzkränzchen und ein Kos-        und anderen Kollegen. Werner Pirchner kompo-
tümfest. Diese Abende bestanden bis 1883, im Jahr         nierte für das Konzert im Jahr 2001 „Der Dunst des
1884 folgten gleich gestaltete „Künstlerabende der        Fusels. Ein musikalisches Bühnendrama mit szeni-
Wiener Kunstfreunde“, in der darauf folgenden Sai-        schen Bewegungs-Kreationen für Violine, Viola,
son „Wiener Gesellschafts-Abende“: verschiedene           Cello, Kontrabass, Klarinette, Fagott und vier ge-
Bezeichnungen für dieselbe Programmidee, die da-          stimmten Weinflaschen“. Zwei Jahre später bot die
nach nicht mehr vergleichbar verfolgt wurde.              zweite Programmhälfte ein von Ernst Ottensamer
                                                          höchst intelligent zusammengestelltes und die Lach-
„Eine nicht gerade kleine Nachtmusik“                     muskeln strapazierendes Potpourri unter dem eben-
Faschingskonzerte gab es erst relativ spät im Musik-      so vielversprechenden wie nichtssagenden Titel
verein. Das erste wurde 1948 vom Wiener Männerge-         „Ich lade gern mir Gäste ein … mit dem Circus
sang-Verein veranstaltet; die Chorvereinigung „Jung       Renz, Gartenschläuchen und anderen Kuriositä-
Wien“ folgte 1957 und gab bis 1981 sieben weitere         ten“. Und wenn 1999 „Sträusse, Blumen und Blü-
Faschingskonzerte im Musikverein. Spektakulär wa-         ten, überreicht von Ernst Ottensamer und den Wie-
ren die von den Wiener Symphonikern in den Jahren         ner Virtuosen“ angekündigt wurden, konnte man
1984 bis 1988 nach Ideen des Orchestermitglieds           sich nichts vorstellen, aber musikalischer Unterhal-
Peter Waite veranstalteten Faschings­  konzerte. Da       tung im besten Sinn mit tollen Spaßeffekten sicher
konnte man Magic Christian, Gottfried von Einem           sein. Mit dem plötzlichen Tod von Ernst Ottensa-         Prof. Dr. Dr. h. c. Otto Biba
oder Orchestermitglieder im ihnen fremden Metier          mer im Juli 2017 haben diese Konzerte keine Fort-        ist Direktor von Archiv ·
des Dirigenten erleben, Fritz Muliar oder Gerhard         setzung gefunden. Denn Faschingskonzerte lassen          Bibliothek · Sammlungen der
Bronner wirkten mit, es wurden originelle, wenn auch      sich nicht programmieren wie andere, man muss in         Gesellschaft der Musikfreunde
nicht unbedingt faschingsaffine Kompositionen auf-        und mit diesen Frohsinns- und Scherz-Facetten der        in Wien.
geführt, musiziert wurde auch auf dem einen oder          Musik leben, um sie vermitteln zu können.
anderen „Gerät“. 2005 leitete Peter Planyavsky ein
Faschingskonzert der Wiener Symphoniker mit von                                                        Otto Biba

                                                                                                                                                   17
Offen hinter geschlossenen Türen
 Die Konzertkassa im Musikverein

        Der Musikverein im Lock-
        down. Und eine Konzertkassa,
        die derzeit nichts verkaufen
        darf. Hinter geschlossenen
        Türen aber leistet sie enorm viel
        und Außergewöhnliches.

18
Balsam im Lockdown

  D       ieses „A“ bringt Musik ins Spiel. Dieses
          „A“ schwingt schon im Namen übers Ge-
          schäftliche hinaus. Dieses „A“, wie es nur
                                                        Lob als Balsam im Lockdown. „In diesen schwieri-
                                                        gen Zeiten“, wurde etwa an die Kassa gemailt, „war
                                                        die Kommunikation, die Transparenz, die Einfach-
das Österreichische kennt und wie es im Musikver-       heit der Abwicklung abgesagter Konzerte und über-
ein besonders gepflegt wird. „Kassa“ – um wie viel      haupt die gesamte Handhabung absolut fantastisch
schöner klingt das doch als das stumpfnormaldeut-       und vorbildlich! Nochmals Danke für ein nicht-
sche „Kasse“! Und die KONZERTKASSA, so                  selbstverständliches Service!“ – „Wunderbar! Sie
steht es in großen Lettern am Musikvereinsgebäu-        alle sind großartig!“ – „Thank you so much for this
de, um wie viel musikalischer ist sie doch als alle     extraordinary gesture in these very troubled times“
neudeutschen Ticketcenter und Box Offices. Mit          – „Auch wenn Sie es schon x-mal von anderen ge-
seinem schönen Austriazismus steht dieses „A“ im        hört haben werden: Ihr Handling der Abos im Zu-
Musikverein für Achtsamkeit. Klasse A! Sie zeigt        sammenhang mit Konzertausfällen und -verschie-
sich jetzt, in diesen herausfordernden Zeiten, auf      bungen ist einfach gut und großzügig und lässt nichts
besondere Weise.                                        zu wünschen übrig: mit Informationen einen am
                                                        Laufenden halten. Unkomplizierte Stornierungen
„… wirklich beeindruckend!!!“                           und Rücküberweisung der Beträge. Ankündigun-
„Wir machen nichts von dem, was wir um diese Zeit       gen halten … Neben der Professionalität ist die Ar-
vor einem Jahr gemacht haben“, erzählt Nuria Val-       beit offensichtlich auch von einem ,guten Geist‘ der
laster, stellvertretende Leiterin im Verkauf und so-    Mitarbeiter des Musikvereins getragen.“
zusagen am ersten Pult der Konzertkassa. „Wir kön-
nen jetzt, im dritten Lockdown und ohne mögliche        „A“ wie „Achtsamkeit“
Planung für die nächsten Wochen, keine Karten           Was diesen „guten Geist“ ausmacht, lässt sich nicht
verkaufen, wir können keine Vorbestellungen ent-        so einfach analysieren. Viele Komponenten kom-
gegennehmen. Und doch sind wir ganz intensiv be-        men da zusammen. Und ganz wichtig dabei: die Lie-
schäftigt.“ 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter         be zur Musik und zu denen, die diese Liebe teilen,
kümmern sich um die Anliegen der Abonnentinnen          eben den Mitgliedern der Gesellschaft der Musik-
und Kartenkäufer, darunter eine Agenda, für die         freunde in Wien, den Kundinnen und Kunden aus
ein weniger schönes Wort mit „A“ stehen könnte:         aller Welt. An der Kassa sitzen selbst oft Menschen,
„Abwicklung“. Gleich im ersten Lockdown, im             die Musik studiert haben, Absolventinnen der Mu-
Frühjahr 2020, mussten von jetzt auf nachher weit       sikwissenschaft und anderer musischer Fächer – und
mehr als 100.000 Konzertkarten storniert werden.        wie auch immer: Leute mit Gespür fürs Künstleri-
Hier galt es, so rasch und unbürokratisch wie nur       sche. Diese Affinität bringen sie ein in einen Beruf,
möglich zu agieren. „Ich bin sprachlos“, schrieb eine   der eben weit mehr meint als nur Verkauf und Bu-
Kundin, „wie schnell das ging – ganz großes Kom-        chung. Kundenbetreuung heißt hier, bleiben wir
pliment an Ihre Organisationslogistik und an alle,      nochmals beim Konzert-Kassa-„A“, größtmögliche
die daran mitarbeiten, das ist wirklich beeindru-       Achtsamkeit in allen Belangen.
ckend!!!“ Für die Konzertkassa sind solche Zeilen       Peter Hamm, Verkaufsleiter der Gesellschaft der
eine kostbare Bestätigungen ihrer Arbeit hinter ge-     Musikfreunde in Wien, erläutert, welchen Balance-
schlossenen Türen.                                      akt das in Zeiten wie diesen bedeutet: „Unser Ziel
                                                        ist generell, unsere Kunden immer so schnell wie

                                                                                                            19
möglich zu informieren. Gleichzeitig müssen wir da-     Foto: Wolf-Dieter Grabner

rauf bedacht sein, dass diese Informationen nicht
schon im nächsten Augenblick wieder überholt sein       wieder so voll wie nur möglich werden konnte. Be-
können oder Fragen auslösen, die wir noch nicht be-     sonders achtsam – im Musikverein ein A & O! –
antworten können. Wenn es beispielsweise in einer       ging man mit den Abonnentinnen und Abonnenten
Abonnementreihe Änderungen beim übernächsten            um, als die Saison im Herbst wieder beginnen konn-
Konzert gibt, sollten wir auch Klarheit darüber ha-     te. „Es war uns ganz wichtig“, erläutert Peter
ben, wie es mit dem nächsten Konzert aussieht. Es       Hamm, „Abonnementkonzerte nicht zu stornie-
gibt vieles, das man dabei bedenken muss – hier den     ren.“ Ein minuziös ausgetüftelter Plan machte es
Überblick zu bewahren und dann auch zu wissen,          möglich: Um die nun erforderlichen Corona-Sicher-
was man wem wann mitgeteilt hat, ist schon eine         heitsabstände zu wahren, wurden Abonnentinnen
große Herausforderung.“ Dass das bestmöglich ge-        und Abonnenten auf gleichwertige Plätze umge-
lingt, bestätigen die Kunden mit großer Empathie:       setzt oder in eigens veranstaltete Zusatzkonzerte
„Danke für die prompte Antwort und: gute Nerven         umgebucht. Und bei all dem blieb den Musikfreun-
für die vielen Umstellungen, Verständigungen und        den die Wahl: Das sonst so bewährte System der
sicher auch Kummerkasten-Funktion!“                     „Kommissionskarten“ wurde in diesen speziellen
                                                        Zeiten durch die Möglichkeit ersetzt, gebuchte Kar-
Digitale Wege                                           ten der Abonnements bis vierzehn Tage vor dem
Der persönliche Kontakt ist wichtig, auch und gera-     Konzert zurückzugeben. Nur sehr wenige Musik-
de in Zeiten der geschlossenen Kassa. Der Musik-        freunde machten davon Gebrauch. In der kurzen
verein – berühmt auch für legendäre Telefonaktio-       Zeit der Öffnung – Ende September bis zum zwei-
nen, mit denen er bei kurzfristigen Konzertabsagen      ten Lockdown Anfang November – kamen mehr als
das Publikum eines ausverkauften Goldenen Saals         25.000 Besucherinnen und Besucher ins Haus.
komplett an einem Tag „durchtelefoniert“ – setzt        „Möglich“, schrieb ein begeisterter Musikfreund an
jetzt so viel wie möglich auf Kommunikation per         die Kassa, „wird das Konzerterlebnis dank unserer
E-Mail: sicherlich der beste Weg, um einen direkten     besten Musiker, SängerInnen und Ihrer Dirigenten,
Draht zum Empfänger zu haben und den Fluss der          dem großartigen Musikvereinssaal und Ihnen, die
Informationen auch jederzeit nachvollziehen zu          sie dort arbeiten … Bleiben Sie gesund und bis hof-
können. „Viele, mit denen wir in den vergangenen        fentlich bald!“
Monaten telefoniert haben“, erzählt Nuria Vallas-
ter, „haben uns ihre E-Mail-Adresse gegeben.“           Was jetzt schon sicher ist
Die digitalen Wege sind derzeit einfach die effizien-   Dem Wunsch kann man sich einmal mehr nur mit
testen – wir alle lernen die Lektion im Lockdown:       Emphase anschließen. „Bleiben Sie gesund und bis
Wenn (fast) alles heruntergefahren wird, fahren wir     hoffentlich bald!“ Im Frühjahr startet der Abonne-
den Computer hoch, um zu wissen, was (allenfalls)       mentverkauf für die Saison 2021/22. Jede Menge
gespielt wird. Daneben ist auch der klassische Brief    exzellente Konzerte wurden dafür geplant: ein
nicht ausgestorben. Bei Kundinnen und Kunden,           Abonnementprogramm in einer Top-Qualität und
die keine E-Mail-Adresse hinterlegt haben, bemüht       Vielfalt, wie man sie von diesem Haus in seinen bes-
die Kassa schon auch einmal die gute alte Post.         ten Zeiten erwarten darf. Dass diese Zeiten wieder
                                                        kommen dürfen, dass die Türen dazu wieder aufge-         Dr. Joachim Reiber ist
Das A & O                                               hen, darauf hoffen wir zuversichtlich.                   Chefredakteur der Zeitschrift
So wird mit enormer Flexibilität auf die sich ändern-   Eines freilich ist jetzt schon sicher: Was auch immer    „Musikfreunde“ und
den Umstände reagiert. Als im Lockdown Numero           sein mag, was auch immer zu klären ist rund um           Programmheftredakteur der
eins erst alle Konzerte abgesagt und storniert wer-     ein gesuchtes, gebuchtes Musikvereinskonzert: Die        Gesellschaft der Musikfreunde
den mussten, dann aber plötzlich wieder Veranstal-      Kassa ist hundertprozentig für Sie da.                   in Wien.
tungen für 100 Personen zugelassen wurden, setzte
der Musikverein fast im Handumdrehen 40 Konzerte                                                Joachim Reiber
neu auf – und die Kassa sorgte dafür, dass das Haus

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