Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall
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Zeitschrift der Bundespolizei 02|2019 46. Jahrgang ISSN 2190-6718 Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall Wenn die Gondel stecken bleibt Vom Albtraum vieler Bergtouristen eiskalt erwischt 30 Einstellungsoffensive beginnt sich auszuzahlen Bundespolizei wächst und wächst 36 Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaft 2019 Bundespolizisten feiern historische Siege 45
Inhalt 36 26 06 30 Inhalt 02|2019 Editorial Redakteur in Gefahr 30 Wenn die Gondel stecken bleibt Titelthema Vom Albtraum vieler Bergtouristen eiskalt erwischt 06 Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall Personal & Haushalt 25 Kolumne Korpsgeist versus SharePoint 34 Unsere Kollegen 36 Einstellungsoffensive In- & Ausland beginnt sich auszuzahlen Bundespolizei wächst und wächst 26 Anti-Terror-Übung „TRITON“ auf hoher See 40 Die Neuen sind angekommen ATLAS Common Challenge 2018 Entlastung in Sicht 02 Bundespolizei kompakt 02|2019
Inhalt 42 40 45 48 Portrait Technik & Logistik 42 Kann ein Kartenspiel 48 Allet Jut(e) Spitzensport sein? Baumwolltaschen statt „Ein bisschen mehr als Plastikbeutel Stammtisch-Skat“ Leserbriefe Sport & Gesundheit 45 Bob- und Skeleton- Zu guter Letzt Weltmeisterschaft 2019 Bundespolizisten feiern 51 Er ist wieder da historische Siege Das Comeback des Alarmknopfs Recht & Wissen Impressum 46 Wer im Recht nicht sattelfest ist ... Polizeilicher Schusswaffengebrauch in besonderen Lagen Bundespolizei kompakt 02|2019 03
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, kennen Sie das? Es gibt Situationen, in denen man Allerdings waren die Leserbriefe zu diesem Thema sich wünscht, alles möge nur ein böser Traum sein. eher kritisch. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Wir freuen uns über jede Zuschrift. Denn Ihre Anmer- So oder ähnlich empfanden es vermutlich viele der kungen sehen wir als Hinweise, um die kompakt noch mehr als 1 400 Teilnehmer, die bei bisher acht Übun- interessanter, ausgewogener und lesenswerter zu gen aus Anlass Lebensbedrohlicher Einsatzlagen gestalten. dabei waren. Das Training, in dem Terroristen einen Hauptbahnhof oder Flughafen stürmen, ist absolut Und noch etwas: Nicht alle Briefe finden Sie im Heft realitätsnah konzipiert. Am Anfang sei es noch wie ein wieder. Denn nicht jeder Einsender ist mit einer Ver- aufregendes Abenteuerspiel, sagen Beteiligte. Doch im öffentlichung einverstanden. Das erfragen wir stets weiteren Verlauf der Übung verschwimme die Grenze nach dem Erhalt beim Absender. Dann werten wir die zwischen Realität und Fiktion. Manchen packt fast die Anregung oder Kritik nur intern mit dem betreffenden Panik. Am Ende sind sich alle einig: Niemand möchte Autor und im Redaktionsteam aus. solche Situationen real erleben. Lesen Sie in unserem Titelthema „Training für den Ernstfall – Lebensbedroh- Besonders gefreut haben wir uns über die kreativen liche Einsatzlagen“ ab Seite 6 die Erfahrungsberichte Fotos, die uns nach der Ankunft der neuen Kollegen der Sanitäter, Übungsleiter, Schiedsrichter oder der in den Direktionen erreicht haben. Unser Layout-Team „Panikmasse“. Teilen Sie uns gern auch Ihre eigenen in Sankt Augustin hat daraus eine schöne Fotocollage Erlebnisse hierzu mit. gefertigt (Seite 44/45). Schon das Titelthema der zurückliegenden Ausgabe Viel Freude mit der zweiten Ausgabe 2019 und eine hat viele bewegt. Uns erreichten etliche Leserbriefe. schöne Frühlingszeit wünscht Ihnen Sie erinnern sich? Es ging um den „Ganzkörperfahr- schein“. So bezeichnete scherzhaft ein Abteilungsleiter Ihre Helvi Abs mir gegenüber das Fahren in Uniform ohne Ticket in Redaktion Bundespolizei kompakt öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich musste schmunzeln. 04 Bundespolizei kompakt 02|2019
Titelthema Training für den Ernstfall Lebensbedrohliche Einsatzlagen Auf einem Bahnhof in Deutschland. Ein lauter Knall. Mehrere Angreifer schießen wahllos in die Menge. Es bricht Panik aus. Menschen laufen um ihr Leben. Am Boden liegen scheinbar Tote und Verletzte. Überall sind Schreie zu hören. Polizisten bewegen sich, schwer bewaffnet, in Richtung der Feuergewalt. Vor dem Bahnhof hört man Feuerwehrsirenen. Und immer wieder Schüsse und Schreie. Szenen wie aus einem Actionfilm. Die Detonationen, die Schüsse, die schreienden Menschen, die Verletzungen – sie sind nicht real. Sie bilden die Kulisse für die seit 2017 bundesweit stattfindenden Übungen aus Anlass von Lebensbedrohlichen Einsatzlagen (LebEL). Bundespolizei kompakt 02|2019 07
Titelthema Die Gefährdungslage in Deutschland und Europa aller Beteiligten. Vor diesem Hintergrund müs- Ein Terroristen- gilt aufgrund möglicher terroristisch motivierter sen die notwendigen Grundlagen und Maßnah- darsteller in Hannover Anschläge anhaltend als abstrakt hoch. Polizei- men zur Bewältigung dieser Lagen zwischen der beamte werden täglich mit vielfältigen und Bundespolizei und den Polizeien der Länder, risikobehafteten Einsatzsituationen konfrontiert. den Behörden und den Organisationen der Die Schiedsrichter Zu den denkbar gefährlichsten zählen Lebens- Nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr (Feuerwehr überwachen die bedrohliche Einsatzlagen im Zusammenhang und Rettungsdienst), der Zollverwaltung für den Einhaltung der Sicherheits- mit bewaffneten Gewalttätern. Die Entwicklung Bereich der Flughafendienststellen sowie mit und Ordnungs- der zurückliegenden Jahre macht uns bewusst, Eisenbahnverkehrsunternehmen, regionalen bestimmungen, betreuen dass wir zu jeder Zeit und an jedem Ort damit Flughafenbetreibern und anderen verantwort- die Übungskräfte und rechnen müssen, mit einer derartigen Lage lichen Stellen umfangreich abgestimmt werden. dokumentieren, ob die konfrontiert zu werden – einer Extremsituation erwarteten Maßnahmen und Übungsziele erreicht für die Einsatzkräfte, für deren Anfangsphase Neben der konzeptionellen Vorbereitung der wurden. ein erhebliches Informationsdefizit bei gleich- Bundespolizeidienststellen stellt die Steige- zeitigem maximalen Handlungsdruck charak- rung der taktischen Handlungskompetenz der teristisch ist. Um eine Schadensvertiefung zu Polizeivollzugsbeamten für die Bewältigung Einsatzkräfte gehen aktiv verhindern, müssen erste polizeiliche Maßnah- dieser Extremlagen einen Schwerpunkt in der in Richtung Täter vor. men, auch unter hoher Eigengefährdung, sofort dienststelleninternen und zentralen Aus- und eingeleitet werden. Das Eintreffen von Spezial- Fortbildung der Bundespolizei dar. kräften kann oft nicht abgewartet werden. Basis der heute in allen Bundespolizeidienst- LebEL sind taktische Gemeinschaftslagen. Sie stellen stattfindenden LebEL-Trainings sind erfordern ein reibungsloses Zusammenspiel die fundierten Kenntnisse und Vorgaben der 08 Bundespolizei kompakt 02|2019
Titelthema Ein Sanitäter der GSG 9 bei der Verletztenver- sorgung Im Regieraum der GSG 9 der Bundespolizei, insbesondere in der Übungsleitung laufen Anwendung von Einsatztaktiken beim Vorgehen die Fäden zusammen. gegen bewaffnete Straftäter in einer urbanen Von hier wird die Umgebung. Übung geleitet. Nach den ersten und notwendigen Anpassun- gen, insbesondere in der Aus- und Fortbildung, Vor der Übung – folgte Anfang 2017 der nächste wesentliche Soldaten der Bundes- Schritt. Die vermittelten Trainingsinhalte und die wehr schminken den in der Bundespolizei abgestimmten Einsatzver- Statisten täuschend fahren und -taktiken sollten anhand realitätsnaher echte Wunden. Sie simulieren Szenarien an realen Einsatzorten auf ihre Wirk- sowie die Notintervention der Einsatzkräfte am Verletzungsbilder, von samkeit hin überprüft werden. Seitdem fanden Ereignisort in der Sofortphase einer Lebens- leicht über schwer bis bislang acht LebEL-Übungen an den Bahnhöfen bedrohlichen Einsatzlage. Neben den Kontroll- hin zu tödlich. Leipzig, Berlin-Lichtenberg, Frankfurt am Main, und Streifenbeamten der Dienststellen sind Lübeck, Hannover, Stuttgart und an den Flug- regelmäßig auch Einsatzeinheiten der Mobilen häfen Köln/Bonn und Frankfurt am Main statt. Kontroll- und Überwachungseinheiten, der Bundesbereitschaftspolizei sowie der GSG 9 Bei den Übungen handelt es sich um soge- kompakt der Bundespolizei gefordert. war bei nannte „Rahmenübungen mit Vollübungsantei- den Übungen vor Ort und hat mit verschiedenen len“. Der Vollübungsanteil umfasst die operative Übungsteilnehmern gesprochen. Führungsarbeit der Ebene Dienstgruppen- leiter mit ihrem Führungsorgan, der Leitstelle, Manina Puck Bundespolizei kompakt 02|2019 09
Titelthema Interview mit Sven Jahn Übungen nach Drehbuch Sven Jahn, Fachkoordinator Einsatzführung an der Bundespolizeiakademie (BPOLAK), ist Mitglied des Fach- gremiums Lebensbedrohliche Einsatzlagen (LebEL) der Bundespolizeibehörden1 und des Netzwerkes LebEL der BPOLAK, zu dem auch das Fortbildungsinstitut der Polizei Bayern, die Polizeiakademie Niedersachsen und die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) gehört. Der 48-jährige Lübecker hat seit 2017 bundesweit 29 Planbesprechungen zu LebEL durchgeführt und ist mittlerweile das „Gesicht“ der Übungen. Die erste „Rahmenübung mit Voll- der speziellen Methodik/Didaktik Was sind für Sie die größten übungsanteilen“ zum Thema LebEL „updaten“. Wir wollten einen professi- Herausforderungen in der fand 2017 am Hauptbahnhof Leip- onellen Soll-Ist-Abgleich durchführen. Vorbereitung? zig unter Ihrer Leitung statt. Was Auf keinen Fall wollten wir unsere Die Bildung des Kernteams ist war der Anlass oder Auslöser für Mitarbeiter vorführen. tatsächlich eine der schwierigsten die Planung dieser Übung? Aufgaben. Die Arbeitsmenge ist Die Bundespolizei hatte bereits das Zunächst hieß es, ein fachübergrei- hoch und die Belastung aufgrund Anti-AMOK-Training für alle Mitarbeiter fendes Kernteam der Übungsleitung der weiterbestehenden anderen der Einsatzorganisation zum Training zu bilden. Männer und Frauen des Funktion oft immens. Die Kollegen „Komplexe lebensbedrohliche Ein- Lehrbereiches Aus- und Fortbildung müssen eine hohe Eigenmotivation satzlagen“ (KLE) weiterentwickelt. der BPOLAK, des Bundespolizeiaus- und Stressresistenz mitbringen. Wenn Dazu qualifizierte die BPOLAK und -fortbildungszentrums Neustrelitz das Kernteam steht, sind ein verbind- bundesweit rund 400 Polizeitrainer. und der Bundespolizeidirektion Pirna licher Maßnahmenplan mit festen Darauf aufbauend mussten auch die mit der Bundespolizeiinspektion Meilensteinen und die konsequente taktischen Führungskräfte und das Leipzig gehörten dazu. Wir mussten Abarbeitung trotz vieler externer Personal der Führungsorgane (Lage- uns um die umfangreichen recht- Einflussfaktoren die größte Herausfor- und Einsatzzentralen, Leitstellen) fort- lichen, taktischen, logistischen und derung. Hier müssen mein Vertreter gebildet werden. Zudem benötigten psychologischen Aspekte der Übung und ich konsequent und zielgerichtet die Bundespolizeidirektionen und das kümmern. kontrollieren. Bundespolizeipräsidium für weitere grundlegende Entscheidungen – zum Die Vorbereitungen sind sehr auf- Die mittlerweile achte Übung fand Beispiel Beschaffung weiterer Füh- wendig und nehmen sicher viel Zeit Ende Februar 2019 am Flughafen rungs- und Einsatzmittel – möglichst in Anspruch. Wann starten Sie für Frankfurt am Main statt. Hat sich realistisch gewonnene Erkenntnisse gewöhnlich damit? bei Ihnen schon eine gewisse Rou- zu Lebensbedrohlichen Einsatzlagen Die sechs bis acht Mitarbeiter meines tine eingestellt? in kritischer Infrastruktur. Im Januar Kernteams beginnen spätestens drei Für bestimmte Bereiche kann ich das 2017 beschlossen die Behördenleiter Monate vor der Übung mit der Vorbe- sicher bejahen. Das Übungskonzept formal die Durchführung einer großen reitung. Dabei ist zu berücksichtigen, als grundlegendes Format haben wir Übung. Die fachliche Verantwortung dass die Kollegen dies zusätzlich zu seit der ersten Übung in Leipzig wei- trug die Bundespolizeiakademie. ihrer eigentlichen Aufgabe wahr- terentwickelt. Es ist inzwischen aus- nehmen. Erst vier Wochen vor dem gereift. Der vertragliche, logistische Womit mussten Sie sich bei der Termin beginnt die „heiße Phase“ der und haushalterische Rahmen ist im Vorbereitung auf diese erste Übungsvorbereitung. Ab diesem Zeit- Grundsatz geregelt. Die Sicherheits- Übung auseinandersetzen? punkt sind drei Mitarbeiter in Vollzeit konzepte wurden mit jeder Übung neu Die Übung wurde im Januar beschlos- erforderlich. Seit Juni 2018 arbeiten überprüft und haben sich insgesamt sen und sollte bereits im Mai 2017 wir noch intensiver mit den übenden bewährt. Über die Schiedsrichter stattfinden. Somit war die Vorberei- Direktionen in den Bereichen Logis- tungszeit relativ kurz. Die Akademie tik, Vertragswesen und Öffentlich- hatte über einen längeren Zeitraum keitsarbeit zusammen. Aufgrund der 1 as Fachgremium LebEL setzt sich aus D keine vergleichbar große Übung mehr Herausforderungen der Einstellungs- Vertretern der Bundespolizeiakademie, aller angelegt und durchgeführt. Daher offensive mussten Stabseinheiten der Bundespolizeidirektionen sowie den Referaten nutzten wir die Erfahrungen benach- BPOLAK aus den Übungsvorhaben 21, 61 und 75 des Bundespolizeipräsidiums barter Behörden und ließen uns in entbunden werden. zusammen. 10 Bundespolizei kompakt 02|2019
Titelthema Aus KLE wird LebEL Lebensbedrohliche Einsatzlagen (LebEL) sind die gefährlichsten polizei- lichen Lagen. Die Einsatzkräfte werden erheblichen Gefahren ausge- Sven Jahn – setzt und müssen gegebenenfalls tödlich wirkende Mittel einsetzen. Die das „Gesicht“ Bundespolizei hatte schon 2013 damit begonnen, sich dieser Thematik zu der Übungen nähern. In der Anlage 5 zum Rahmenkonzept für Einsatz und Fortbildung für Einsatzhundertschaften hat die Bundesbereitschaftspolizei dazu erste Überlegungen und Einsatzverfahren beschrieben. Daraus entstanden die lich. Die gewonnenen Erkenntnisse ersten Übungen KLE (Komplexe lebensbedrohliche Einsatzlagen). bilden die Basis für eine sinnvolle und fachlich fundierte Weiterentwicklung Nach den Anschlägen in Europa haben die polizeilichen Gremien der von abgestimmten Einsatzkonzepten Länder und des Bundes diese ausgewertet und 2016 „Eckpunkte für die und den einsatzbezogenen Inhalten Erstintervention bei lebensbedrohlichen Einsatzlagen im Zusammenhang der dienststelleninternen Fortbildung mit bewaffneten Gewalttätern“ erstellt. In diesem Zusammenhang wurde im Bereich LebEL. der Begriff „Lebensbedrohliche Einsätze und Lagen“, später dann „Lebensbedrohliche Einsatzlagen“ gebildet. Was passiert jetzt mit den Erkennt- nissen aus den Übungen? Wie Mit Beschluss in den Gremien haben die Länder und der Bund diesen geht es für die Bundespolizei in gemeinsamen Begriff abgestimmt und vereinbart. diesem Bereich weiter? Die BPOLAK und die Direktion 11 haben die immer wiederkehrenden und die Leitungsgruppe konnte In den Übungsunterlagen stößt großen Handlungsfelder und „Aha-Er- der Soll-Ist-Abgleich standardisiert man neben Ihrem Kernteam immer lebnisse“ analysiert und im Dezember werden. Auch das Konzept für die wieder auf dieselben Namen. Wie 2018 erstmals mit den Einsatzbehör- übungsbegleitende Presse- und wichtig ist diese Konstante in den der Bundespolizei besprochen. Öffentlichkeitsarbeit hat sich etabliert. Ihrem Übungsgeschäft? Die bestehenden Einsatzkonzepte wer- Es gibt aber auch Faktoren, die einer Sehr wichtig, da nur so bei gleichen den überarbeitet, die Ergebnisse über Routine entgegenwirken, die für jede Zeitansätzen Qualitätsstandards die vorhandenen Trainer-Netzwerke Übung einzeln zu betrachten sind. Die gehalten und gegebenenfalls erhöht in die dienststelleninterne Fortbildung Kooperationspartner unterscheiden werden können. Seit fünf Übungsvor- eingepflegt und in der Ausbildung des sich beispielsweise je nach Durchfüh- haben ergänzen wir das Kernteam mittleren und gehobenen Polizeivoll- rungsort. Die Übungsräume variieren durch Mitarbeiter aus den „Förder- zugsdienstes umgesetzt. in der Größe, der Charakteristika pools höherer Dienst“ der Bundes- im Gelände sowie der taktischen polizei, sodass – auch durch diesen Zudem werden die technisch-tak- Bewertung. Hinzu kommt, dass die Personalmix – bestehende Festle- tischen Weiterentwicklungen ein- Übungsziele durch die eigenen Direk- gungen und Arbeitsabläufe ständig schließlich konkreter Beschaffun- tionen und die Landespolizeibehörden hinterfragt und so weiter optimiert gen angegangen. In diesem Jahr bei jeder Übung auf Grundlage der werden können. finden drei weitere Übungen in den eigenen Konzepte auch separat Hauptbahnhöfen Erfurt, Bremen definiert werden. Diese gilt es dann Steht der investierte Aufwand und Nürnberg statt. Die Ergebnisse im „gedachten Verlauf“ der Übung, in personeller, logistischer und dieser Übungen fließen in die oben unserem „Drehbuch“, überprüfbar zu finanzieller Sicht Ihrer Meinung genannte konzeptionelle Arbeit in den machen. Abschließend müssen wir in nach eigentlich in einem gesunden Bereichen Aus- und Fortbildung, Ein- der Logistik und Beschaffung andere Verhältnis zum erzielten Nutzen? satzmanagement und Polizeitechnik/ regionale Voraussetzungen berück- Ja, auf jeden Fall. Nur durch Szena- Materialmanagement ein. sichtigen. rien in realen Einsatzräumen ist ein zielführender Soll-Ist-Abgleich mög- Das Interview führte Manina Puck. Bundespolizei kompakt 02|2019 11
Titelthema Ein nahezu unmögliches Unterfangen Schilderungen eines Gruppenleiters Ajo Bieler ist Gruppenleiter im Bundespolizeirevier Lübeck der Bundespolizeiinspektion Kiel. In der Nacht vom 24. zum 25. April 2018 hatte der Polizeioberkommissar gleich zwei Mal die Möglichkeit, die simulierte Lebens- bedrohliche Einsatzlage (LebEL) im Hauptbahnhof Lübeck in dieser Funktion zu bewältigen. Auch wenn dies ursprünglich nicht so geplant war. „Die Übung war so angelegt, dass jeder von uns Unterfangen“, so Ajo Bieler. Im Realfall würde Ajo Bieler vor dem zwei Übungsdurchgänge durchlaufen konnte. die Sorge um seine Kollegen hinzukommen. Hauptbahnhof Lübeck. Zusammen mit meiner Kollegin Juliane Wolf Rückblickend war für den Gruppenleiter die Hier hat im April 2018 befand ich mich im ersten Durchgang als Regel- Kommunikation eine der größten Herausforde- die LebEL-Übung statt- dienststreife von Anfang an im Übungsraum“, rungen. „Unser Funkkanal war gerade in den gefunden, an der er als erinnert sich der 51-Jährige. Die Funktion des ersten Minuten der Übung durch das Ausgeben Gruppenleiter teilnahm. Gruppenleiters wurde in diesem Durchgang der umfangreichen Befehlslage durch den durch einen anderen Kollegen wahrgenommen. Dienstgruppenleiter belegt. Für die Kommuni- Nachdem dieser, wenige Minuten nach Übungs- kation der Kräfte vor Ort konnte der Funkkanal beginn, bereits „erschossen“ wurde, übernahm in dieser Zeit nicht genutzt werden“, führt Ajo Ajo Bieler die Führung vor Ort. Der Durchgang Bieler beispielhaft an. war schnell vorbei, auch wenn es sich für ihn nicht so anfühlte. Nach einer kurzen Auswer- „Darüber hinaus gestaltete sich die erste Kon- tung durch die Schiedsrichter und der erneuten taktaufnahme mit der Landespolizei am Ereig- Aufrüstung mit Übungsmunition in der mobilen nisort als sehr schwierig. Die Kräfte erkannten Waffenkammer hieß es für den Gruppenleiter mich nicht als Führer vor Ort. Wir haben erst und seine Kollegin wieder „Übungsbereitschaft sehr spät zusammengefunden, um weitere herstellen“. Der zweite Durchlauf begann. Maßnahmen abzustimmen und Zonen festzu- Dieses Mal startete er gleich in der Funktion des legen – vielleicht sogar zu spät. Die Nutzung Gruppenleiters, einer Schlüsselfunktion in der unterschiedlicher Funkkanäle und das späte Sofortphase. Umschalten auf gemeinsame Funkkanäle war ebenfalls nicht optimal“, so Bieler. Kommunikation war die größte Herausforderung Ajo Bieler erzählt, dass die Übung mit den „Wir befanden uns mitten im Geschehen. Ich optisch und akustisch sehr real wirkenden versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren. Der Szenarien seine Kollegen und ihn noch lange Informationsbedarf der vorgesetzten Stellen war Zeit beschäftigt hat. „Dank der durchgeführten hoch. Die Lage vor Ort war unklar, gesicherte LebEL-Trainings war das taktische Vorgehen bei Informationen lagen nur in Teilen bis gar nicht meiner Gruppe aber noch präsent. Wir waren vor. Neben dem Meldewesen musste ich den gut vorbereitet und konnten es sofort abrufen“, Überblick über die Kräftelage behalten, die Täter fasst er zusammen. aktiv bekämpfen und zeitgleich die eigenen Streifen führen. Hinzu kam die Abstimmung mit Gerhard Stelke, Manina Puck den eintreffenden Kräften der Landespolizei. Daneben immer wieder die Schreie und Hilfe- rufe der Reisenden. Ein nahezu unmögliches 12 Bundespolizei kompakt 02|2019
Titelthema Alice Kempkens bei der LebEL-Übung am Flughafen Köln/Bonn „Der Täter bewegte sich zügig auf uns zu“ Regelmäßiges Training ist das A und O Alice Kempkens ist seit drei Jahren Mir blieb wenig Zeit, um über das, Übungsdurchgang endete für sie Mitarbeiterin der Bundespolizei- was mich erwartete, viel nachzu- jedoch abrupt. „Der Schiedsrichter inspektion Flughafen Köln/Bonn. denken.“ Die 25-Jährige konnte mit erklärte meinen Streifenpartner und Die erhöhte Gefahr terroristischer dieser Anspannung aber gut umge- mich sowie den Täter für tot. Wir Anschläge in Deutschland ist bei hen, spiegelt sich der Stressfaktor wurden aus dem Spiel genommen.“ ihr stetig präsent. Sie versucht, Zeit doch häufig in ihrem dienstlichen Die Anspannung fiel von ihr ab. Alice dass die Gedanken daran jedoch Alltag wieder. Kempkens fing sofort an, die Situation nicht ihren dienstlichen Alltag zu reflektieren. Die Nachbereitung bestimmen. Überall panische Schreie der Übung war das Wichtigste für sie und Hilferufe und ihre Kollegen. Die Kontroll- und Streifenbeamtin fühlte Der Startschuss für ihren Übungs- sich gut auf die Übung – Lebensbe- durchgang fiel kurz nach 23 Uhr. Übung ermöglicht eine bessere drohliche Einsatzlagen (LebEL) – am Alice Kempkens war gemeinsam mit Vorbereitung auf LebEL Flughafen Köln/Bonn im November ihrem Kollegen als Streife eingesetzt. „In der Dienstgruppe sprachen wir 2018 vorbereitet. „Ich nahm bereits Sie waren schnell am Ort des Ge- offen über die Ergebnisse, analysier- im März 2017 an der dreitägigen schehens. „Über Funk erhielten wir ten unser taktisches Vorgehen, die KLE-Schulung teil. Seitdem wurden die Information, dass der Täter sich in Zusammenarbeit mit der Landes- die Inhalte in der dienststelleninternen unsere Richtung bewegt. Ab diesem polizei sowie die Kommunikations- Fortbildung immer wieder aufgegrif- Moment erhöhte sich mein Stress- strukturen. Die Erkenntnisse müssen fen. Erst im Oktober frischten wir die level enorm. Es fühlte sich ernst an.“ jetzt in die Fortbildung einfließen“, taktischen Vorgehensweisen in der Der Übungscharakter war verflogen. so Alice Kempkens. Für sie ergibt Dienstgruppe anhand verschiedener Die Schussgeräusche hörten nicht sich vor allem das Erfordernis, das intensiver Situationstrainings auf.“ mehr auf. Überall waren panische Vorgehen in diesen extremen Stress- Das regelmäßige Trainieren dieser Schreie und Hilferufe der gespielten situationen künftig regelmäßiger zu speziellen Lagen haben ihr Sicherheit Reisenden und Opfer zu hören. Das trainieren. Lange nach der Übung und Selbstbewusstsein gegeben. Am musste Alice Kempkens jedoch alles denkt Alice Kempkens noch über Tag der Übung wurden die abstrakten ausblenden. „Der Täter bewegte sich die simulierte Lage und ihr eigenes Vorstellungen für sie schnell zur Reali- zügig auf uns zu. Wir hatten direkten Handeln nach. Es war eine wertvolle tät. „Ich ging schon mit einer gewis- Sichtkontakt und fanden uns schnell Erfahrung. Die Übung gab ihr und sen Anspannung in meinen Übungs- im Feuerkampf wieder. Wir mussten ihren Kollegen die Möglichkeit, sich durchgang. Er war der erste in dieser uns eine gute Deckung suchen und noch besser auf Lebensbedrohliche Nacht. Der Zeitplan war eng und ich zeitgleich den Täter bekämpfen. Zu Einsatzlagen vorzubereiten. hatte bereits an der vorgeschalteten diesem Zeitpunkt war mein Stress- Medienvorführung teilgenommen. level am höchsten“, sagt sie. Der Manina Puck Bundespolizei kompakt 02|2019 13
Titelthema Hohe Erwartungen an eine realitätsnahe Lagesimulation Blick in die Arbeit des Einsatzabschnitts Störer Die möglichst realitätsnahe Simulation eines terroristischen Anschlagszenarios bildet die Grundlage für einen erfolgreichen Verlauf der bundesweit durchgeführten Übungen zum Thema Lebensbedrohliche Einsatzlagen (LebEL) und das Erreichen der Übungsziele. Der Einsatzabschnitt (EA) Störer leistet hier eine der Schwerpunktauf- gaben, die Inszenierung einer wirklichkeitsnahen Lage. Die Erwartungen aller Beteiligten sind entsprechend groß. Mit durchschnittlich 300 Dar- sogenannte Störeranweisung. des EA Störer kommt es darauf stellern ist der EA Störer mit Neben aussagekräftigen Bildern an, das erwartete Rollenverhal- Abstand der personalstärkste vom Übungsraum und einer Viel- ten der Auszubildenden im Blick der Besonderen Aufbauorga- zahl organisatorischer Hinweise zu behalten und gegebenenfalls nisation (BAO) Übungsleitung. geht es vor allem darum, das regelnd einzugreifen. Nach etwa Er umfasst die sogenannte übungsgerechte Rollenverhalten 30 bis 45 Minuten endet der Panikmasse aus Reisenden und zu definieren. Dabei werden zu Durchgang. An eine Pause ist Opfern, die „Täter“ sowie eine erwartende Verhaltensweisen in jedoch nicht zu denken. Es folgt Sanitätseinheit der Bundeswehr diesen Extremsituationen, wie eine Nachbesprechung der Füh- für das professionelle Präparie- hysterische Schreie, panik- rungskräfte, die Verletzten müs- ren von Opferverletzungen. Die artiges Fluchtverhalten und sen nachgeschminkt werden, „Panikmasse“ wird durch Anwär- hilfesuchendes Zulaufen auf die vorgesehene Aufstellung ter der Bundespolizeiaus- und Einsatzkräfte, beschrieben. Die für den nächsten Durchgang Fortbildungszentren sowie der Anwärter, die als „Panikmasse“ muss eingenommen werden. jeweiligen Landespolizeischulen fungieren, sollen so bereits in Der Zeitfaktor ist die große gestellt. Die Terroristendarsteller ihren Heimatstandorten recht- Herausforderung. Während die sind zumeist erfahrene LebEL- zeitig auf die Übung vorbereitet Übungsleitung möglichst schnell Trainer der Bundespolizei- werden können. mit den nächsten Durchgängen akademie. beginnen möchte, muss der Der Zeitfaktor ist die größte Leiter des EA Störer eine ange- Vorbereitungen dauern Herausforderung messene Vorbereitungs- und Joachim Haack ist seit Wochen Am Übungstag bewältigt die Pausenzeit im Blick behalten elf Jahren Fachlehrer Die EA-bezogenen Vorbereitun- EA-Leitung mit den nachgeord- und diese auch einfordern. für Luftsicherheit an der gen beginnen bereits Wochen neten Führungskräften eine Viel- Bundespolizeiakademie vor der eigentlichen Übung. zahl von Aufgaben. Es gilt, vor „Störer-Personal“ ist über in Lübeck. Anlässlich Ein wesentlicher Faktor ist die allem die Zeitvorgaben im Blick den gesamten Zeitraum der LebEL-Übungen Aufklärung des Übungsraumes zu behalten. Nach der Einwei- gefordert war er mehrfach als am jeweiligen Bahnhof oder sung der Kräfte in den Übungs- Im Gegensatz zu den üben- Leiter des EA Störer eingesetzt. Flughafen. Ziel ist es, einen raum geht es bereits um die den Kräften, die nach den Eindruck von den Übungsmög- konkrete Rollenverteilung. Die Durchgängen wechseln, bleibt lichkeiten und den realisierba- rund 50 Darsteller von Verletzten das Personal des EA Störer ren Handlungen zu gewinnen. müssen zeitnah zur sogenann- die ganze Nacht hindurch bis Dabei stehen folgende Fragen ten Schminkstation. Denn das zum Übungsende gefordert. im Fokus: Wie lässt sich die erschreckend realitätsgetreue Die Verletztendarsteller sind „Panikmasse“ sinnvoll aufteilen? Präparieren der Verletzungen dabei besonderen physischen Welche Fluchtrichtungen sind dauert bis zu einer Stunde. und psychischen Belastungen möglich? Auf welche Weise Dann wird es ernst. Alle nehmen unterworfen. Es ist bemerkens- lassen sich die Vorgaben des ihre vorgesehenen Ausgangs- wert, mit welchem Rollenver- Übungsverlaufes von den punkte ein. Nach Freigabe des ständnis und Engagement „Tätern“ umsetzen? Wie werden Übungsbeginns durch die Regie gerade die Anwärter in den die Übungskräfte voraussichtlich startet der erste Durchgang mit Übungen agieren. Sie haben vorgehen? Diese Fragen gilt es, dem Gewehrfeuer der Täter einen großen Anteil an der vorab zu klären. Die Antworten sowie simulierten Detonationen. Realitätsnähe der Übungen bilden die Grundlage für das Die Lage wird jetzt nicht nur für und damit am Erfolg! Kernstück der Übungsvorbe- die übenden Kräfte unübersicht- reitung des EA Störer – die lich. Auch für alle Führungskräfte Joachim Haack 14 Bundespolizei kompakt 02|2019
Titelthema Die Panik wich der Neugier Terroristen schossen wahllos in die Menge Als die Übung zu den Lebensbedrohlichen Einsatzlagen (LebEL) am Flughafen Köln/Bonn im November 2018 stattfand, waren Isabel Gaiser und Luca Schöning erst seit drei Monaten bei der Bundespolizei. Die Polizeikommissaranwärter hatten ihre Ausbildung im September im Bundespolizeiaus- und Fortbildungszentrum Swisttal begonnen. Der Weg zum Flughafen war nicht weit – die Aufregung während der Anreise bei den Berufsanfängern hingegen groß. Sie sollten mit etwa 300 Kollegen Reisende und Opfer für das Übungsszenario möglichst Eine Sanitätssoldatin der realitätsnah darstellen. Bundeswehr präpariert Isabel Gaisers Bein für Für Isabel Gaiser stand schon als Kind fest, Schussverletzung im Realfall wohl überlebt ihren Einsatz als Schwer- sie wird Polizistin. Bei ihrer Bewerbung war ihr hätte. Wäre ich rechtzeitig gerettet worden?“ verletzte. bewusst: „Terroristische Anschläge in Deutsch- Überlegungen, mit denen sie nicht allein war. land sind in den nächsten Jahren sicher nicht „In den Wochen nach der Übung sprachen wir auszuschließen.“ In ihrer Familie wird darüber oft darüber“, sagt sie. Mit zeitlichem Abstand ist Luca Schöning vor offen gesprochen. Die größte Sorge ihrer Eltern ihr aber klar geworden: „Das Stoppen der Täter Übungsbeginn in der ist, „dass sich ihr Kind einer Situation stellen ist die wichtigste Aufgabe. Hätten sich die Ein- Schminkstation muss, in der der natürliche Instinkt ‚wegrennen‘ satzkräfte gleich um die ‚Verletzten‘ gekümmert, schreit“, so die 25-Jährige. Isabel Gaiser hofft, wären es sicher mehr ‚Opfer‘ gewesen.“ dass es nie wieder zu einer Anschlagslage kom- men wird. Sollte dieser Fall jedoch eintreten, Die richtige Berufswahl getroffen möchte sie gut vorbereitet sein. „So früh nach Luca Schöning resümiert: „Durch die Übung Beginn unserer Ausbildung Einblicke in das ist uns noch einmal bewusst geworden, wie Vorgehen der Einsatzkräfte zu bekommen, war gefährlich dieser Beruf sein kann. Man kann sich ein Privileg“, sagt sie. von jetzt auf gleich in einer Lebensbedrohlichen Einsatzlage befinden und muss sofort richtig Täterbekämpfung vor Rettung reagieren. Das eigene Leben riskieren, um das Zusammen mit Luca Schöning stellte sie wäh- Leben und die Gesundheit vieler anderer zu rend der Übung zwei der vielen Schwerverletz- schützen.“ Der Einblick in die Arbeit der Bundes- ten dar. Dafür schminkten sie die Sanitätssolda- polizei in dieser Ausnahmesituation hat die ten der Bundeswehr erschreckend realitätsnah. beiden Anwärter aber weiter darin bestärkt, den „Als die ersten Schüsse fielen und ein lauter richtigen Berufsweg gewählt zu haben. Knall zu hören war, stieg die Panik in mir hoch. Zwei Terroristen rannten auf eine Gruppe Zivi- Manina Puck listen zu und schossen wahllos in die Menge. Ich wusste, dass es sich nur um Platzpatronen handelt, ließ mich aber instinktiv auf den Boden fallen. Als die Schüsse weniger wurden, wich die Panik der Neugier. Wir beobachteten das Vorgehen der Einsatzkräfte“, so Luca Schöning. Der Einsatz der GSG 9 war für den 18-Jährigen ein Erlebnis: „Die Professionalität erzeugte ein Gefühl von Sicherheit.“ Isabel Gaiser ergänzt: „Mich hat die Ernsthaftigkeit der Einsatzkräfte beeindruckt. Sie konzentrierten sich darauf, die Täter zu bekämpfen und sich gegenseitig zu sichern. Die Verletzten wurden trotz der vielen Hilferufe dabei lange Zeit ignoriert. Das war für mich als ‚Schwerverletzte‘ nicht einfach. Wie vie- le meiner Kollegen lag auch ich am Boden und schrie um Hilfe. Das war kein gutes Gefühl. Erst nachdem die Täter ausgeschaltet waren, wurde mit dem Retten begonnen. Auf der Rückfahrt nach Swisttal gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Ich fragte mich, ob ich die fiktive Bundespolizei kompakt 02|2019 15
Titelthema „Das Feld der Übung war schnell verlassen“ Gedanken zu Training und Wirklichkeit Roland Weckenmann ist seit sieben Jahren Landespolizei. Sein Gruppenleiter führte die Roland Weckenmann Dienstgruppenleiter in der Bundespolizei- Interventionsteams. „Das Feld der Übung war nahm im vergangenen inspektion Stuttgart. Im Einsatzfall hat er die schnell verlassen“, erinnert er sich. „Mit einem Jahr an der Großübung Verantwortung, Anschlagslagen und Amok- Mal wirkte alles wie die Realität.“ Das ersehnte im Stuttgarter Haupt- taten mit seinen Streifen zu beenden. Das klare Lagebild stellte sich bis zum Schluss der bahnhof teil. bedeutet jedoch auch, die eigenen Kollegen Übung nicht ein. in den Gefahrenbereich zu schicken. Er selbst beschloss, seine Einsatzkräfte von der Aufgeregt sei er nicht gewesen, erinnert sich Leitstelle aus zu führen. Nur so könne er den Roland Weckenmann. Vielmehr hätte er eine Gesamtüberblick behalten und schnell reagieren, gewisse Anspannung verspürt, die ihn wach war er sich sicher. Ob er im Ernstfall nicht aber und aufmerksam gehalten hat. Das war auch doch vor Ort führen würde, weiß Roland nötig, denn sein Übungsdurchgang fand erst in Weckenmann nicht: „Die Entscheidung wird den frühen Morgenstunden des 12. September immer erst spontan fallen können.“ 2018 statt. Es war der letzte der Großübung im Stuttgarter Hauptbahnhof. Wäre die Übung ein realer Einsatz gewesen, so hätten in seinem Durchgang alle Polizisten das Als es losging, fühlte sich der erfahrene Dienst- Szenario überlebt. Ein ungutes Gefühl bleibt für gruppenleiter gut vorbereitet. Schon länger Roland Weckenmann dennoch. Im Ernstfall trägt wurden er und seine Kollegen für derartige er nicht nur die Verantwortung für die Einsatz- Einsatzlagen fortgebildet. Zudem wusste der lage, sondern auch für seine Mitarbeiter. Dieses 47-Jährige, dass er sich auf jeden seiner Mit- Spannungsfeld beschäftigt ihn nicht erst seit der arbeiter verlassen kann. Dabei ist die Gefahr Übung. Bereits bei echten Amokalarmen musste von Anschlägen für ihn und seine Dienstgruppe er seine Kollegen in die Gefahrenzone schicken. ständig präsent: „Bei Streifengängen und Und das, obwohl sich seine Dienstgruppe auch Gesprächen werden oft mögliche Szenarien irgendwie als eine Art Familie versteht. Man durchgegangen“, sagt er. „Man entwickelt ein verbringt so viel Zeit miteinander, dass man sensibles Gespür und versucht, sich in die Rolle auch eine Menge persönliche Dinge über die des Attentäters zu versetzen.“ Kollegen weiß. Auflösen lässt sich dieses Dilemma für Roland Weckenmann nicht. Bei der Übung ging dann alles sehr schnell. „Nach dem Start überwogen zunächst die Der ehemalige Diensthundeführer weiß noch Übungskünstlichkeiten. Ich hatte mich gedank- gut, wie es ist, in vorderster Reihe zu stehen. lich lange auf die Übung vorbereitet. Deshalb Es war ihm daher wichtig, die Übung mit war das Szenario, das mich und meine Mitarbei- seinen Kollegen nachzubereiten. Vor allem der ter erwartete, an sich nicht überraschend. Die Austausch mit dem Gruppenleiter bedeutete unklare Lage war eine große Herausforderung“, ihm viel. Dieser trug seiner Meinung nach die erzählt Roland Weckenmann. Er musste über- Hauptlast der Übung. sichtliche Strukturen schaffen und gesicherte Informationen erhalten. Deshalb entsandte Benjamin Fritsche er seinen Vertreter in den Führungsstab der 16 Bundespolizei kompakt 02|2019
Titelthema „Für uns war es ein realer Betreuungseinsatz“ Übungskräfte und „Panikmasse“ in professionellen Händen Die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) dient dem Erhalt der psychischen Stabilität von Beschäftigten, die mit besonders belastenden Ereignissen konfrontiert wurden. Dazu gehören Unfälle mit Schwerverletzten oder Toten, Einsätze mit Schusswaffengebrauch oder Einsätze bei denen man Angst hat, selbst verletzt oder getötet zu werden. Diese Ereignisse übersteigen den Alltagsstress deutlich und können die Betroffenen bei deren Bewältigung überfordern. Unterstützungsangebote und eine qualifizierte Nachbereitung sind besonders wichtig. Psychische Probleme können so gemildert und die Wahrscheinlichkeit von post- traumatischem Stress kann gesenkt werden. Dr. Andreas Bräuner ist Diplom-Psychologe und An den LebEL-Übungen in Lübeck und Han- glücklicherweise bei beiden Übungen nicht Leiter des Sozialwissen- nover nahm ich als Leiter des Unterabschnitts erforderlich. Von den Beteiligten hörten wir aber schaftlichen Dienstes PSNV im Einsatzabschnitt Polizeiärztlicher mehrfach die Aussage: „Es ist gut, dass Sie da Nord. Der 54-Jährige ist seit September 2000 Dienst teil. Dabei stand ich mit meinem Team für sind.“ Die Gespräche waren wichtig. bei der Bundespolizei. die Beratung und Betreuung der übenden Kräfte Zuvor war er mehrere sowie der sogenannten Panikmasse bereit. Für Vorbereitung auf den Ernstfall? Jahre als Gefängnispsy- uns war es daher kein Übungs-, sondern ein Was die Handlungsabläufe und Koordination chologe tätig. Anlässlich realer Betreuungseinsatz, bei dem eine enge der übenden Einheiten aus Bund und Ländern der LebEL-Übungen Abstimmung mit Betreuungskräften der betei- angeht, sind die Übungen in jedem Fall hilfreich. stand er den Kräften als ligten Länder und der Bundespolizeiseelsorge Sie bereiten mental auf derartige Lagen vor. wichtiger Ansprech- stattgefunden hat. Während der Übungsvorbe- Außerdem zählen die hier geübten Szenarien partner zur Seite. reitung lag einer unserer Schwerpunkte in der bislang nicht zum Einsatzrepertoire der meisten Primärprävention auf der mentalen Vorbereitung Mitarbeiter in der Bundespolizei. Auch wenn es der in der „Panikmasse“ eingesetzten Anwärter. sich die Beteiligten in der dynamischen Übungs- situation nicht bewusst gemacht haben, so ist Die Übungen waren „beeindruckend“ allen Mitwirkenden letztlich klar, dass es sich Im Hinblick auf die erzeugte Geräuschkulisse nicht um eine Realsituation handelte. Ein Trai- (Schüsse aus vollautomatischen Waffen, ning für eine erhöhte psychische Traumaresis- Sprengstoffexplosionen, Schreie der „Panik- tenz können die Übungen daher kaum leisten. masse“) und die Darstellung der Verletzten und Im Realfall wäre daher die PSNV gefragt. Es Toten waren die Übungen für alle Beteiligten im war aber, nicht zuletzt wegen der realistischen Wortsinn beeindruckend. In den Auswertungs- Übungsdarstellung, richtig und wichtig, dass phasen zwischen den Übungsdurchgängen wir mit unserem Betreuungsangebot präsent haben wir uns „unters Volk“ gemischt, nahmen gewesen sind. Stimmungen auf und standen als Ansprech- partner zur Verfügung. Eine Akutbetreuung war Dr. Andreas Bräuner Der Sozialwissenschaftliche Dienst Bundesweit gibt es fünf regionale Sozialwissenschaftliche Dienste (SWD). Das Bundespolizeipräsidium koordiniert die Teams der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) mit jeweils rund 40 Mitwirkenden. In der Bundespolizei stehen etwa 200 qualifizierte Ansprechpersonen zur Verfügung. Ein Regionalteam besteht aus Peers (Polizeibeamte mit entsprechender Qualifikation) und psychosozialen Fachkräften (Ärzte, Psychologen, Sozialwissenschaftler und Seelsorger). Bundespolizei kompakt 02|2019 17
Titelthema Mit Überzeugungskraft und Fingerspitzengefühl Schiedsrichter bei den bundesweiten LebEL-Übungen „Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift.“ So oder so ähnlich lauten viele Weisheiten, die wir aus der Welt des Sports kennen, wenn es um den Mann oder die Frau mit der Trillerpfeife geht. Schiedsrichter sollen im- mer auf der Höhe des Geschehens sein, das Spiel laufen lassen, solange keine Gefahren entstehen, und bei Regelverstößen angemessen einschreiten. In gewisser Weise entspricht dies auch der Rolle und den Aufga- ben eines Schiedsrichters bei polizeilichen Großübungen. Anders als im Sport leiten und disziplinieren wir nicht, sondern lenken und bewerten, wobei das Regelwerk der Polizei überwiegend die Handlungsoptionen der Einsatzkräfte und weniger die unerlaubten Handlungen der Akteure auf den Spielfeldern beschreibt. Anlässlich der Übungen zu Lebensbedrohlichen Die Aufgaben der Männer und Frauen mit der Marco Kaisen (links) Einsatzlagen (LebEL) kommen abhängig von weißen Weste sind vielschichtig. Ganz oben ist Leiter der Mobilen der Anzahl der übenden Kräfte zum Teil mehr auf unserer Liste steht die Gewährleistung des Kontroll- und Über- als 30 Schiedsrichter pro Übungsdurchgang sicheren Ablaufs. Vor jeder Übung werden wachungseinheit der zum Einsatz. Im Wissen, dass die Akzeptanz Sicherheitsvorschriften festgelegt, in denen Bundespolizeidirektion von Bewertungen maßgeblich von der Funktion unter anderem der Umgang mit den Übungs- Koblenz. In bislang und dem Erfahrungswissen des Schiedsrich- waffen und Sprengmitteln klar geregelt ist. Die sieben LeBEL- ters abhängt, setzen wir nur Kollegen ein, die Schiedsrichter überwachen die Einhaltung Übungen war er Leiter des Schiedsrichter- entweder erfahrene Polizeitrainer sind und/oder dieser Vorgaben. Durch lückenlose Kontrollen dienstes. über umfangreiche Erfahrungen in der übenden stellen wir sicher, dass keine „scharfen“ Waffen Funktionsgruppe (Kontroll- und Streifenbeamter, in den Übungsraum gelangen und alle Personen Gruppenleiter, Dienstgruppenleiter, Leitstelle, die vorgeschriebene Schutzausstattung tragen. geschlossene Einsatzeinheiten der Bundes- Bei bis zu 1 200 Übungsteilnehmern (Übende, polizei, Spezialkräfte) verfügen. Störer, „Panikmasse“, Beobachter und Presse- vertreter) bedarf dies einer klug gewählten 18 Bundespolizei kompakt 02|2019
Titelthema Struktur und höchster Aufmerksamkeit aller sogenannten Feedback-Runden, bei denen die Schiedsrichter. Die kleinste Unachtsamkeit kann einzelnen Teams unmittelbar nach der Übung verheerende Auswirkungen haben. Daher lautet eine Rückkopplung erhalten, bewusst sein. unser Leitsatz: „Genauigkeit und Sicherheit geht Hier ist Überzeugungskraft, vor allem aber viel vor Schnelligkeit.“ Fingerspitzengefühl gefordert. Neben der Herstellung und Überwachung der Unsere schwierigste Aufgabe besteht aber Sicherheit ist eine unserer Kernaufgaben ein darin zu entscheiden, wann und wo Übungsteil- Soll-Ist-Abgleich. Das Soll ergibt sich hierbei nehmer aufgrund von Täterbeschuss verletzt aus dem gedachten Verlauf der Übung. Dieses oder möglicherweise sogar tödlich getroffen „Drehbuch“ definiert die auf Grundlage beste- wurden. Da bisher noch keine Übungssysteme hender Konzeptionen und Dienstanweisungen mit Trefferanzeige genutzt werden, müssen wir zu erwartenden Maßnahmen. Wir bewerten und dies ohne Hilfsmittel beurteilen und dabei die dokumentieren die Umsetzung dieser Maßnah- Feuerkraft der Täter und das Deckungsverhalten men für die jeweilige Zielgruppe, das Ist. der Übungskräfte richtig einschätzen. Manche Kollegen sind in dieser Schocksekunde spürbar Beim Übungsthema LebEL müssen die Einsatz- ernüchtert und zuweilen auch enttäuscht. Ins- kräfte in der Sofortphase mit anfangs schwa- besondere in diesen Fällen kommt der Feed- chen Kräften eine extreme Bedrohungslage back-Runde eine besondere Bedeutung zu. unter hoher Eigengefährdung bewältigen. Die bisherigen Erfahrungen haben uns gezeigt, Erkenntnisse aus den Übungen dass selbst bei intensiver konzeptioneller und In der Gesamtbetrachtung der bisherigen Übun- praktischer Vorbereitung die Übungsszenarien gen konnten wir feststellen, dass bei nahezu alle Beteiligten in Grenzbereiche bringen und allen Beamten das einsatztaktische Grundver- manchmal auch darüber hinaus. ständnis vorhanden ist. Das bedeutet allerdings nicht, die Hände in den Schoß zu legen. Getreu Knackpunkte sind bekannt dem Motto „wo Licht ist, da ist auch Schatten“ Auf Grundlage der strukturierten Auswertungen gilt es, die Trainingsintensität in allen Dienst- im Nachgang sämtlicher Übungen kennen bereichen weiter hoch zu halten und, soweit wir die Knackpunkte und wissen daher auch, möglich, noch zu steigern. In puncto Führungs- worauf wir als Schiedsrichter unser Augen- und Kommunikationsstrukturen konnten wir merk legen müssen. Der Anspruch an uns als Optimierungsmöglichkeiten definieren, die sich Schiedsrichter ist hoch. Wir müssen die konzep- in allen Übungen als erfolgskritische Faktoren tionellen Grundlagen und die einsatztaktischen der gesamten Lagebewältigung herausgestellt Zusammenhänge kennen, bei hoher Dynamik haben. In den erforderlichen Führungsstruk- den Überblick behalten, die Gefahren des turen ist in der Folge ein gesonderter Bedarf Übungsraums (Bahnbetriebsgefahren) immer im entstanden. Für diese in der Lagebewältigung Blick haben und die Erkenntnisse adressaten- elementar wichtigen Funktionen sollen künftig gerecht an die Übenden weitergeben. spezielle Fortbildungslehrgänge konzipiert und bereitgestellt werden. Darüber hinaus haben die Damit jedes Streifenteam und nachrückende beteiligten Stellen die vielschichtigen Probleme Kräfte betreut und bewertet werden können, mit dem Digitalfunk erkannt. Neben den be- bedarf es der hohen Anzahl an Schiedsrichtern kannten Schwierigkeiten der schlechten Objekt- im Übungsraum sowie bei den Führungskräften versorgung in den Bahnhöfen ist vor allem die und Führungsorganen. Trennung der Funkgruppen von Bundes- und Landespolizei bereits im Vorfeld einer gemein- Unterschiede in Selbst- und Fremd- samen Lagebewältigung zu lösen. wahrnehmung berücksichtigen Wir müssen immer beachten, dass die üben- Mit den durchgeführten Rahmenübungen mit den Einsatzkräfte während ihres Durchgangs Vollübungsanteilen verfügen wir als Bundes- einer hohen Stressbelastung ausgesetzt sind. polizei über ein einzigartiges Format, dass Dies führt in unterschiedlicher Ausprägung zu selbst im benachbarten Ausland Interesse Selbstschutzhandlungen und Wahrnehmungs- geweckt hat. Das behördenübergreifende Üben einschränkungen wie dem oft genannten in großen Bahnhöfen und Flughäfen mit bis zu Tunnelblick. Da wir die Situation als Schieds- 500 Statisten ermöglicht es, realitätsnahe richter aus einer Art Beobachterperspektive Szenarien abzubilden. Wir erhalten hierdurch heraus erleben, sind wir mit deutlich weniger die Möglichkeit, elementare Erkenntnisse für den Stress belastet. Wir nehmen das Handeln der hoffentlich nie eintretenden Ernstfall zu sammeln. Übenden dementsprechend anders wahr. Die- ser Umstand muss den Schiedsrichtern in den Marco Kaisen Bundespolizei kompakt 02|2019 19
Titelthema Interview mit Olaf Petersen „Diese Einsatzlage wird im Kopf gewonnen.“ Olaf Petersen ist stellvertretender Leiter der Bundespolizeiinspektion (BPOLI) Bremen. Der Lüneburger war bis Oktober 2018 in gleicher Funktion bei der BPOLI Hannover eingesetzt. Der dortige Hauptbahnhof war im Juni 2018 Schauplatz einer der Übungen zum Thema Lebensbedrohliche Einsatzlagen (LebEL). Der kompakt hat er erzählt, wie er sich mit seinen Mitarbeitern auf die Extremsituation vorbereitet hat und welche Erfahrungen er aus der Übung mitnehmen konnte. Herr Petersen, die Gefährdung durch den islamisti- Auseinandersetzung mit dieser zunächst schier unlösbar schen Terrorismus wird für Deutschland anhaltend wirkenden Aufgabe gemeinsam mit meinen Mitarbeitern hoch bewertet. Als besonders gefährdet gilt die anzugehen. Wir mussten uns der zu erwartenden Reali- kritische Infrastruktur, zu der auch der Hauptbahnhof tät in einer Lebensbedrohlichen Einsatzlage gedanklich Hannover gehört. Wie haben Sie sich mit Ihren Mitar- stellen. Nur so konnten wir die Grundlagen für die profes- beitern auf die dortige LebEL-Übung vorbereitet? sionelle Herangehensweise an die Bewältigung bilden. Unser größtes Gut, davon bin ich überzeugt, sind unsere Für uns war von Anfang an klar, dass diese Einsatzlage im Mitarbeiter. Deshalb war es mir besonders wichtig, die Kopf gewonnen wird. Die Einsatzlage wird im Kopf gewonnen. Was verstehen Sie darunter? Es bedeutet, dass wir neben der praktischen Fortbildung aller operativen Einsatzkräfte, ein klares und emotions- reduziertes Rollenverständnis der Führungskräfte schaffen mussten. Dabei durften wir nicht vernachlässigen, dass die individuelle Berufsmotivation unserer Mitarbeiter in Anbetracht einer tatsächlich erkennbaren Lebensbedroh- lichen Einsatzlage auf eine harte Probe gestellt wird! Welche Maßnahmen waren für Sie in der Vorberei- tung auf derartige Lagen wesentlich? Wir konzentrierten die dienststelleninterne Fortbildung wiederholt auf das Polizeitraining zur Bewältigung Lebensbedrohlicher Einsatzlagen. Soweit möglich, passten wir die Führungs- und Einsatzmittel den Erfordernissen an und stimmten mit den örtlichen Sicherheitspartnern Plan- entscheidungen und Einsatztaktiken ab. Zusätzlich koordinierten wir mit Unter- stützung der Bundespolizeidirektion Olaf Petersen ist stellvertretender Leiter der Bundespolizeiinspektion Bremen. 20
Titelthema Hannover und der Bundespolizeiakademie eine rechtliche Möglichkeit des realitätsnahen Übens konnten wir für uns Führungskräftefortbildung und Planbesprechung zum aber auch noch einige Optimierungs- und Anpassungs- Thema. Parallel dazu schrieben wir unsere Planunterlagen bedarfe definieren, die in die Planentscheidungen und und Konzeptionen fort. In dieser Phase erhielten wir den Einsatzkonzeptionen zur Stärkung der Krisenfestigkeit in Hinweis auf die Übung in Hannover im Sommer 2018. der BPOLI Hannover einfließen werden. Die Übungsziele und -inhalte waren lange bekannt. Wenn Sie die fachliche Seite mal außer Acht lassen, Was war die größte Herausforderung im Zusammen- was konnten Sie bei Ihren Mitarbeitern beobachten? hang mit der Übung? Wie erwartet, konnte ich deutlich beobachten, dass das Es ist der Übungsleitung mit viel Aufwand sehr gut gelun- Übungsthema die Menschen hinter den Polizisten, meine gen, ein realitätsnahes Szenario darzustellen. Der Haupt- Mitarbeiter, alles andere als kalt gelassen hat. In den bahnhof Hannover ist ein Drehkreuzbahnhof. Es war nicht vielen persönlichen Gesprächen nach der Übung waren einfach, einen Übungsraum zu definieren, der mit dem offene Diskussionen zu den unangenehmen, sensiblen Zugbetrieb rund um die Uhr vereinbar war. Der letztlich Themen unseres Daseins wie Leben und Tod, Ethik und gewählte Übungsraum war ein Kompromiss und aufgrund Moral allgegenwärtig. Die Konfrontation dieser Faktoren der Schwierigkeiten im Gelände, eine der größten Heraus- mit dem Berufsbild und der Berufsmotivation drängten sich forderungen für die in fünf Durchgängen übenden Kräfte. auf. Die Mitarbeiter benannten vielfach eigene Verhaltens- Dies mussten wir in der Nachbereitung berücksichtigen. anpassungen, zum Beispiel im Umgang mit Führungs- und Einsatzmitteln oder auch in Bezug auf psychische und Wie haben Sie die Übungsnachbereitung gestaltet? physische Notwendigkeiten. Die Ansprechbarkeit der Sie war vielschichtig und hat in mehreren Phasen über Seelsorge und des Sozialwissenschaftlichen Dienstes vor, drei Monate stattgefunden. Eine erste Rückmeldung während und nach der Übung wurde sehr positiv aufge- zum jeweiligen Vorgehen der einzelnen Teams gaben die nommen. Schiedsrichter unmittelbar nach den Durchgängen ab. Er- gänzend war die Sichtung der Aufzeichnungen der Video- Neben Hannover wurden 2017 und 2018 sechs anlage am Hauptbahnhof Hannover im Nachgang für uns weitere vergleichbare Übungen durchgeführt. Wie wesentlich. So konnten wir die Einsatzfestigkeit der üben- sollte die Bundespolizei Ihrer Meinung nach mit den den Kräfte detailliert analysieren und die Erkenntnisse der gewonnenen Erkenntnissen umgehen? Schiedsrichter untermauern. Im Anschluss nutzten unsere Für die Bundespolizei wünsche ich mir eine abgestimmte, Dienstgruppenleitungen die Aus- und Fortbildungstage, bundesweite Koordinierung der Ergebnisse zur Einsatz- um gemeinsam mit den Polizeitrainern die Einsatztaktik, taktik, zur Führung, zu Führungs- und Einsatzmitteln, zur die Zusammenarbeit mit benachbarten Behörden und die Kommunikation und zu Aspekten der Zusammenarbeit. Kommunikation in der Übung auszuwerten. Die Nachbe- Darüber hinaus sind aber auch maßgebliche Hinweise zur reitung für die Führungskräfte der Bundespolizeiinspektion Öffentlichkeitsarbeit, zum Dienstrecht, zur Beweis- Hannover erfolgte durch uns noch einmal gesondert für sicherung und Dokumentation erforderlich. die Gruppenleiter, die Dienstgruppenleiter und abschlie- ßend durch die Zusammenziehung der Führungskräfte Sie sind seit November 2018 stellvertretender Leiter aller Ebenen. Als besonders gewinnbringend empfand der BPOLI Bremen. Dort soll im Herbst ebenfalls eine ich die finale Nachbereitung mit allen Übungsbeteiligten, LebEL-Übung stattfinden. Inwieweit sind Ihre Erfah- wie den Sicherheitspartnern, der Feuerwehr und den rungen aus Hannover hierbei hilfreich? Rettungsdiensten. Im Ergebnis wollen wir die Zusammen- Die Erfahrungen aus der Übung in Hannover lassen mich arbeit weiter vertiefen und uns gegenseitig in der Fortbil- sicherlich mit einem geschärften Blick auf die geplante dung unterstützen. Fortbildungsmaßnahme in Bremen schauen. Ich hoffe, dass ich die gesammelten Erkenntnisse hier zielgerichtet Welche Erkenntnisse konnten Sie aus der Übungs- in die Übungsvorbereitung einbringen kann. nachbereitung mitnehmen? Als Erstes hat es mich sehr beeindruckt, wie offen, Das Interview führte Manina Puck. professionell, ausgewogen und dabei immer nach vorne gewandt meine Mitarbeiter ihr eigenes Handeln in der Nachbereitung betrachtet haben. In der fachlichen Bewer- tung der Übungsergebnisse konnte ich insgesamt fest- stellen, dass die in der Fortbildung vermittelten Elemente zur Bewältigung Lebensbedrohlicher Einsatzlagen durch meine Mitarbeiter sehr gut umgesetzt wurden. Durch die Bundespolizei kompakt 02|2019 21
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