Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall

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Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall
Zeitschrift der Bundespolizei 02|2019

46. Jahrgang ISSN 2190-6718

  Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall
  Wenn die Gondel stecken bleibt Vom Albtraum vieler Bergtouristen eiskalt erwischt 30
  Einstellungsoffensive beginnt sich auszuzahlen Bundespolizei wächst und wächst 36
  Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaft 2019 Bundespolizisten feiern historische Siege 45
Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall
Inhalt

                                                                              36
                                                                26

                                   06                           30
          Inhalt 02|2019
          „„ Editorial                           „„ Redakteur in Gefahr

                                                   30	Wenn die Gondel stecken bleibt
          „„ Titelthema                                Vom Albtraum vieler Bergtouristen
                                                       eiskalt erwischt
            06	Lebensbedrohliche Einsatzlagen
                Training für den Ernstfall
                                                 „„ Personal & Haushalt
            25	Kolumne
                Korpsgeist versus SharePoint       34 Unsere Kollegen

                                                   36	Einstellungsoffensive
          „„ In- & Ausland                             beginnt sich auszuzahlen
                                                       Bundespolizei wächst und wächst
            26	Anti-Terror-Übung „TRITON“
                auf hoher See                      40	Die Neuen sind angekommen
                ATLAS Common Challenge 2018            Entlastung in Sicht

02                                                           Bundespolizei kompakt 02|2019
Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall
Inhalt

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      40

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„„ Portrait                                   „„ Technik & Logistik

  42	Kann ein Kartenspiel                      48	Allet Jut(e)
      Spitzensport sein?                            Baumwolltaschen statt
      „Ein bisschen mehr als                        Plastikbeutel
      Stammtisch-Skat“

                                              „„ Leserbriefe
„„ Sport & Gesundheit

  45	Bob- und Skeleton-                      „„ Zu guter Letzt
      Weltmeisterschaft 2019
      Bundespolizisten feiern                   51	Er ist wieder da
      historische Siege                             Das Comeback des Alarmknopfs

„„ Recht & Wissen                             „„ Impressum

  46	Wer im Recht nicht sattelfest ist ...
      Polizeilicher Schusswaffengebrauch
      in besonderen Lagen

Bundespolizei kompakt 02|2019                                                           03
Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall
Editorial

 Liebe Leserinnen
 und Leser,
 kennen Sie das? Es gibt Situationen, in denen man         Allerdings waren die Leserbriefe zu diesem Thema
 sich wünscht, alles möge nur ein böser Traum sein.        eher kritisch. Damit Sie mich nicht falsch verstehen:
                                                           Wir freuen uns über jede Zuschrift. Denn Ihre Anmer-
 So oder ähnlich empfanden es vermutlich viele der         kungen sehen wir als Hinweise, um die  kompakt     noch
 mehr als 1 400 Teilnehmer, die bei bisher acht Übun-      interessanter, ausgewogener und lesenswerter zu
 gen aus Anlass Lebensbedrohlicher Einsatzlagen            gestalten.
 dabei waren. Das Training, in dem Terroristen einen
 Hauptbahnhof oder Flughafen stürmen, ist absolut          Und noch etwas: Nicht alle Briefe finden Sie im Heft
 realitätsnah konzipiert. Am Anfang sei es noch wie ein    wieder. Denn nicht jeder Einsender ist mit einer Ver-
 aufregendes Abenteuerspiel, sagen Beteiligte. Doch im     öffentlichung einverstanden. Das erfragen wir stets
 weiteren Verlauf der Übung verschwimme die Grenze         nach dem Erhalt beim Absender. Dann werten wir die
 zwischen Realität und Fiktion. Manchen packt fast die     Anregung oder Kritik nur intern mit dem betreffenden
 Panik. Am Ende sind sich alle einig: Niemand möchte       Autor und im Redaktionsteam aus.
 solche Situationen real erleben. Lesen Sie in unserem
 Titelthema „Training für den Ernstfall – Lebensbedroh-    Besonders gefreut haben wir uns über die kreativen
 liche Einsatzlagen“ ab Seite 6 die Erfahrungsberichte     Fotos, die uns nach der Ankunft der neuen Kollegen
 der Sanitäter, Übungsleiter, Schiedsrichter oder der      in den Direktionen erreicht haben. Unser Layout-Team
 „Panikmasse“. Teilen Sie uns gern auch Ihre eigenen       in Sankt Augustin hat daraus eine schöne Fotocollage
 Erlebnisse hierzu mit.                                    gefertigt (Seite 44/45).

 Schon das Titelthema der zurückliegenden Ausgabe          Viel Freude mit der zweiten Ausgabe 2019 und eine
 hat viele bewegt. Uns erreichten etliche Leserbriefe.     schöne Frühlingszeit wünscht Ihnen
 Sie erinnern sich? Es ging um den „Ganzkörperfahr-
 schein“. So bezeichnete scherzhaft ein Abteilungsleiter   Ihre Helvi Abs
 mir gegenüber das Fahren in Uniform ohne Ticket in        Redaktion Bundespolizei   kompakt
 öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich musste schmunzeln.

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Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall
Editorial

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Titelthema

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Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall
Titelthema

      Training für den Ernstfall
     Lebensbedrohliche Einsatzlagen
      Auf einem Bahnhof in Deutschland. Ein lauter Knall. Mehrere Angreifer schießen wahllos in die Menge.
      Es bricht Panik aus. Menschen laufen um ihr Leben. Am Boden liegen scheinbar Tote und Verletzte.
      Überall sind Schreie zu hören. Polizisten bewegen sich, schwer bewaffnet, in Richtung der Feuergewalt.
      Vor dem Bahnhof hört man Feuerwehrsirenen. Und immer wieder Schüsse und Schreie. Szenen wie aus
      einem Actionfilm. Die Detonationen, die Schüsse, die schreienden Menschen, die Verletzungen – sie
      sind nicht real. Sie bilden die Kulisse für die seit 2017 bundesweit stattfindenden Übungen aus Anlass
      von Lebensbedrohlichen Einsatzlagen (LebEL).

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Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall
Titelthema

                                Die Gefährdungslage in Deutschland und Europa       aller Beteiligten. Vor diesem Hintergrund müs-
             Ein Terroristen-   gilt aufgrund möglicher terroristisch motivierter   sen die notwendigen Grundlagen und Maßnah-
     darsteller in Hannover     Anschläge anhaltend als abstrakt hoch. Polizei-     men zur Bewältigung dieser Lagen zwischen der
                                beamte werden täglich mit vielfältigen und          Bundespolizei und den Polizeien der Länder,
                                risikobehafteten Einsatzsituationen konfrontiert.   den Behörden und den Organisationen der
        Die Schiedsrichter      Zu den denkbar gefährlichsten zählen Lebens-        Nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr (Feuerwehr
          überwachen die        bedrohliche Einsatzlagen im Zusammenhang            und Rettungsdienst), der Zollverwaltung für den
Einhaltung der Sicherheits-     mit bewaffneten Gewalttätern. Die Entwicklung       Bereich der Flughafendienststellen sowie mit
            und Ordnungs-       der zurückliegenden Jahre macht uns bewusst,        Eisenbahnverkehrsunternehmen, regionalen
  bestimmungen, betreuen        dass wir zu jeder Zeit und an jedem Ort damit       Flughafenbetreibern und anderen verantwort-
     die Übungskräfte und
                                rechnen müssen, mit einer derartigen Lage           lichen Stellen umfangreich abgestimmt werden.
    dokumentieren, ob die
                                konfrontiert zu werden – einer Extremsituation
   erwarteten Maßnahmen
  und Übungsziele erreicht
                                für die Einsatzkräfte, für deren Anfangsphase       Neben der konzeptionellen Vorbereitung der
                  wurden.       ein erhebliches Informationsdefizit bei gleich-     Bundespolizeidienststellen stellt die Steige-
                                zeitigem maximalen Handlungsdruck charak-           rung der taktischen Handlungskompetenz der
                                teristisch ist. Um eine Schadensvertiefung zu       Polizeivollzugsbeamten für die Bewältigung
 Einsatzkräfte gehen aktiv      verhindern, müssen erste polizeiliche Maßnah-       dieser Extremlagen einen Schwerpunkt in der
     in Richtung Täter vor.     men, auch unter hoher Eigengefährdung, sofort       dienststelleninternen und zentralen Aus- und
                                eingeleitet werden. Das Eintreffen von Spezial-     Fortbildung der Bundespolizei dar.
                                kräften kann oft nicht abgewartet werden.
                                                                                    Basis der heute in allen Bundespolizeidienst-
                                LebEL sind taktische Gemeinschaftslagen. Sie        stellen stattfindenden LebEL-Trainings sind
                                erfordern ein reibungsloses Zusammenspiel           die fundierten Kenntnisse und Vorgaben der

    08                                                                                           Bundespolizei kompakt 02|2019
Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall
Titelthema

                                                                                                      Ein Sanitäter der GSG 9
                                                                                                      bei der Verletztenver-
                                                                                                      sorgung

                                                                                                      Im Regieraum der
GSG 9 der Bundespolizei, insbesondere in der                                                          Übungsleitung laufen
Anwendung von Einsatztaktiken beim Vorgehen                                                           die Fäden zusammen.
gegen bewaffnete Straftäter in einer urbanen                                                          Von hier wird die
Umgebung.                                                                                             Übung geleitet.

Nach den ersten und notwendigen Anpassun-
gen, insbesondere in der Aus- und Fortbildung,                                                        Vor der Übung –
folgte Anfang 2017 der nächste wesentliche                                                            Soldaten der Bundes-
Schritt. Die vermittelten Trainingsinhalte und die                                                    wehr schminken den
in der Bundespolizei abgestimmten Einsatzver-                                                         Statisten täuschend
fahren und -taktiken sollten anhand realitätsnaher                                                    echte Wunden.
                                                                                                      Sie simulieren
Szenarien an realen Einsatzorten auf ihre Wirk-      sowie die Notintervention der Einsatzkräfte am
                                                                                                      Verletzungsbilder, von
samkeit hin überprüft werden. Seitdem fanden         Ereignisort in der Sofortphase einer Lebens-
                                                                                                      leicht über schwer bis
bislang acht LebEL-Übungen an den Bahnhöfen          bedrohlichen Einsatzlage. Neben den Kontroll-    hin zu tödlich.
Leipzig, Berlin-Lichtenberg, Frankfurt am Main,      und Streifenbeamten der Dienststellen sind
Lübeck, Hannover, Stuttgart und an den Flug-         regelmäßig auch Einsatzeinheiten der Mobilen
häfen Köln/Bonn und Frankfurt am Main statt.         Kontroll- und Überwachungseinheiten, der
                                                     Bundesbereitschaftspolizei sowie der GSG 9
Bei den Übungen handelt es sich um soge-                                        kompakt
                                                     der Bundespolizei gefordert.           war bei
nannte „Rahmenübungen mit Vollübungsantei-           den Übungen vor Ort und hat mit verschiedenen
len“. Der Vollübungsanteil umfasst die operative     Übungsteilnehmern gesprochen.
Führungsarbeit der Ebene Dienstgruppen-
leiter mit ihrem Führungsorgan, der Leitstelle,                                      Manina Puck

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Lebensbedrohliche Einsatzlagen Training für den Ernstfall
Titelthema

Interview mit Sven Jahn
Übungen nach Drehbuch
Sven Jahn, Fachkoordinator Einsatzführung an der Bundespolizeiakademie (BPOLAK), ist Mitglied des Fach-
gremiums Lebensbedrohliche Einsatzlagen (LebEL) der Bundespolizeibehörden1 und des Netzwerkes LebEL
der BPOLAK, zu dem auch das Fortbildungsinstitut der Polizei Bayern, die Polizeiakademie Niedersachsen und
die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) gehört. Der 48-jährige Lübecker hat seit 2017 bundesweit
29 Planbesprechungen zu LebEL durchgeführt und ist mittlerweile das „Gesicht“ der Übungen.

Die erste „Rahmenübung mit Voll-           der speziellen Methodik/Didaktik          Was sind für Sie die größten
übungsanteilen“ zum Thema LebEL            „updaten“. Wir wollten einen professi-    Herausforderungen in der
fand 2017 am Hauptbahnhof Leip-            onellen Soll-Ist-Abgleich durchführen.    Vorbereitung?
zig unter Ihrer Leitung statt. Was         Auf keinen Fall wollten wir unsere        Die Bildung des Kernteams ist
war der Anlass oder Auslöser für           Mitarbeiter vorführen.                    tatsächlich eine der schwierigsten
die Planung dieser Übung?                                                            Aufgaben. Die Arbeitsmenge ist
Die Bundespolizei hatte bereits das        Zunächst hieß es, ein fachübergrei-       hoch und die Belastung aufgrund
Anti-AMOK-Training für alle Mitarbeiter    fendes Kernteam der Übungsleitung         der weiterbestehenden anderen
der Einsatzorganisation zum Training       zu bilden. Männer und Frauen des          Funktion oft immens. Die Kollegen
„Komplexe lebensbedrohliche Ein-           Lehrbereiches Aus- und Fortbildung        müssen eine hohe Eigenmotivation
satzlagen“ (KLE) weiterentwickelt.         der BPOLAK, des Bundespolizeiaus-         und Stressresistenz mitbringen. Wenn
Dazu qualifizierte die BPOLAK              und -fortbildungszentrums Neustrelitz     das Kernteam steht, sind ein verbind-
bundesweit rund 400 Polizeitrainer.        und der Bundespolizeidirektion Pirna      licher Maßnahmenplan mit festen
Darauf aufbauend mussten auch die          mit der Bundespolizeiinspektion           Meilensteinen und die konsequente
taktischen Führungskräfte und das          Leipzig gehörten dazu. Wir mussten        Abarbeitung trotz vieler externer
Personal der Führungsorgane (Lage-         uns um die umfangreichen recht-           Einflussfaktoren die größte Herausfor-
und Einsatzzentralen, Leitstellen) fort-   lichen, taktischen, logistischen und      derung. Hier müssen mein Vertreter
gebildet werden. Zudem benötigten          psychologischen Aspekte der Übung         und ich konsequent und zielgerichtet
die Bundespolizeidirektionen und das       kümmern.                                  kontrollieren.
Bundespolizeipräsidium für weitere
grundlegende Entscheidungen – zum          Die Vorbereitungen sind sehr auf-         Die mittlerweile achte Übung fand
Beispiel Beschaffung weiterer Füh-         wendig und nehmen sicher viel Zeit        Ende Februar 2019 am Flughafen
rungs- und Einsatzmittel – möglichst       in Anspruch. Wann starten Sie für         Frankfurt am Main statt. Hat sich
realistisch gewonnene Erkenntnisse         gewöhnlich damit?                         bei Ihnen schon eine gewisse Rou-
zu Lebensbedrohlichen Einsatzlagen         Die sechs bis acht Mitarbeiter meines     tine eingestellt?
in kritischer Infrastruktur. Im Januar     Kernteams beginnen spätestens drei        Für bestimmte Bereiche kann ich das
2017 beschlossen die Behördenleiter        Monate vor der Übung mit der Vorbe-       sicher bejahen. Das Übungskonzept
formal die Durchführung einer großen       reitung. Dabei ist zu berücksichtigen,    als grundlegendes Format haben wir
Übung. Die fachliche Verantwortung         dass die Kollegen dies zusätzlich zu      seit der ersten Übung in Leipzig wei-
trug die Bundespolizeiakademie.            ihrer eigentlichen Aufgabe wahr-          terentwickelt. Es ist inzwischen aus-
                                           nehmen. Erst vier Wochen vor dem          gereift. Der vertragliche, logistische
Womit mussten Sie sich bei der             Termin beginnt die „heiße Phase“ der      und haushalterische Rahmen ist im
Vorbereitung auf diese erste               Übungsvorbereitung. Ab diesem Zeit-       Grundsatz geregelt. Die Sicherheits-
Übung auseinandersetzen?                   punkt sind drei Mitarbeiter in Vollzeit   konzepte wurden mit jeder Übung neu
Die Übung wurde im Januar beschlos-        erforderlich. Seit Juni 2018 arbeiten     überprüft und haben sich insgesamt
sen und sollte bereits im Mai 2017         wir noch intensiver mit den übenden       bewährt. Über die Schiedsrichter
stattfinden. Somit war die Vorberei-       Direktionen in den Bereichen Logis-
tungszeit relativ kurz. Die Akademie       tik, Vertragswesen und Öffentlich-
hatte über einen längeren Zeitraum         keitsarbeit zusammen. Aufgrund der        1
                                                                                          as Fachgremium LebEL setzt sich aus
                                                                                         D
keine vergleichbar große Übung mehr        Herausforderungen der Einstellungs-           Vertretern der Bundespolizeiakademie, aller
angelegt und durchgeführt. Daher           offensive mussten Stabseinheiten der          Bundespolizeidirektionen sowie den Referaten
nutzten wir die Erfahrungen benach-        BPOLAK aus den Übungsvorhaben                 21, 61 und 75 des Bundespolizeipräsidiums
barter Behörden und ließen uns in          entbunden werden.                             zusammen.

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Titelthema

  Aus KLE wird LebEL
  Lebensbedrohliche Einsatzlagen (LebEL) sind die gefährlichsten polizei-
  lichen Lagen. Die Einsatzkräfte werden erheblichen Gefahren ausge-                                    Sven Jahn –
  setzt und müssen gegebenenfalls tödlich wirkende Mittel einsetzen. Die                                das „Gesicht“
  Bundespolizei hatte schon 2013 damit begonnen, sich dieser Thematik zu                                der Übungen
  nähern. In der Anlage 5 zum Rahmenkonzept für Einsatz und Fortbildung
  für Einsatzhundertschaften hat die Bundesbereitschaftspolizei dazu erste
  Überlegungen und Einsatzverfahren beschrieben. Daraus entstanden die             lich. Die gewonnenen Erkenntnisse
  ersten Übungen KLE (Komplexe lebensbedrohliche Einsatzlagen).                    bilden die Basis für eine sinnvolle und
                                                                                   fachlich fundierte Weiterentwicklung
  Nach den Anschlägen in Europa haben die polizeilichen Gremien der                von abgestimmten Einsatzkonzepten
  Länder und des Bundes diese ausgewertet und 2016 „Eckpunkte für die              und den einsatzbezogenen Inhalten
  Erstintervention bei lebensbedrohlichen Einsatzlagen im Zusammenhang             der dienststelleninternen Fortbildung
  mit bewaffneten Gewalttätern“ erstellt. In diesem Zusammenhang wurde             im Bereich LebEL.
  der Begriff „Lebensbedrohliche Einsätze und Lagen“, später dann
  „Lebensbedrohliche Einsatzlagen“ gebildet.                                       Was passiert jetzt mit den Erkennt-
                                                                                   nissen aus den Übungen? Wie
  Mit Beschluss in den Gremien haben die Länder und der Bund diesen                geht es für die Bundespolizei in
  gemeinsamen Begriff abgestimmt und vereinbart.                                   diesem Bereich weiter?
                                                                                   Die BPOLAK und die Direktion 11
                                                                                   haben die immer wiederkehrenden
und die Leitungsgruppe konnte               In den Übungsunterlagen stößt          großen Handlungsfelder und „Aha-Er-
der Soll-Ist-Abgleich standardisiert        man neben Ihrem Kernteam immer         lebnisse“ analysiert und im Dezember
werden. Auch das Konzept für die            wieder auf dieselben Namen. Wie        2018 erstmals mit den Einsatzbehör-
übungsbegleitende Presse- und               wichtig ist diese Konstante in         den der Bundespolizei besprochen.
Öffentlichkeitsarbeit hat sich etabliert.   Ihrem Übungsgeschäft?                  Die bestehenden Einsatzkonzepte wer-
Es gibt aber auch Faktoren, die einer       Sehr wichtig, da nur so bei gleichen   den überarbeitet, die Ergebnisse über
Routine entgegenwirken, die für jede        Zeitansätzen Qualitätsstandards        die vorhandenen Trainer-Netzwerke
Übung einzeln zu betrachten sind. Die       gehalten und gegebenenfalls erhöht     in die dienststelleninterne Fortbildung
Kooperationspartner unterscheiden           werden können. Seit fünf Übungsvor-    eingepflegt und in der Ausbildung des
sich beispielsweise je nach Durchfüh-       haben ergänzen wir das Kernteam        mittleren und gehobenen Polizeivoll-
rungsort. Die Übungsräume variieren         durch Mitarbeiter aus den „Förder-     zugsdienstes umgesetzt.
in der Größe, der Charakteristika           pools höherer Dienst“ der Bundes-
im Gelände sowie der taktischen             polizei, sodass – auch durch diesen    Zudem werden die technisch-tak-
Bewertung. Hinzu kommt, dass die            Personalmix – bestehende Festle-       tischen Weiterentwicklungen ein-
Übungsziele durch die eigenen Direk-        gungen und Arbeitsabläufe ständig      schließlich konkreter Beschaffun-
tionen und die Landespolizeibehörden        hinterfragt und so weiter optimiert    gen angegangen. In diesem Jahr
bei jeder Übung auf Grundlage der           werden können.                         finden drei weitere Übungen in den
eigenen Konzepte auch separat                                                      Hauptbahnhöfen Erfurt, Bremen
definiert werden. Diese gilt es dann        Steht der investierte Aufwand          und Nürnberg statt. Die Ergebnisse
im „gedachten Verlauf“ der Übung,           in personeller, logistischer und       dieser Übungen fließen in die oben
unserem „Drehbuch“, überprüfbar zu          finanzieller Sicht Ihrer Meinung       genannte konzeptionelle Arbeit in den
machen. Abschließend müssen wir in          nach eigentlich in einem gesunden      Bereichen Aus- und Fortbildung, Ein-
der Logistik und Beschaffung andere         Verhältnis zum erzielten Nutzen?       satzmanagement und Polizeitechnik/
regionale Voraussetzungen berück-           Ja, auf jeden Fall. Nur durch Szena-   Materialmanagement ein.
sichtigen.                                  rien in realen Einsatzräumen ist ein
                                            zielführender Soll-Ist-Abgleich mög-   Das Interview führte Manina Puck.

Bundespolizei kompakt 02|2019                                                                                           11
Titelthema

                                                                              Ein nahezu
                                                                              unmögliches
                                                                              Unterfangen
                                                                              Schilderungen eines
                                                                              Gruppenleiters
Ajo Bieler ist Gruppenleiter im Bundespolizeirevier Lübeck der Bundespolizeiinspektion Kiel. In der Nacht vom
24. zum 25. April 2018 hatte der Polizeioberkommissar gleich zwei Mal die Möglichkeit, die simulierte Lebens-
bedrohliche Einsatzlage (LebEL) im Hauptbahnhof Lübeck in dieser Funktion zu bewältigen. Auch wenn dies
ursprünglich nicht so geplant war.

                          „Die Übung war so angelegt, dass jeder von uns      Unterfangen“, so Ajo Bieler. Im Realfall würde
     Ajo Bieler vor dem   zwei Übungsdurchgänge durchlaufen konnte.           die Sorge um seine Kollegen hinzukommen.
Hauptbahnhof Lübeck.      Zusammen mit meiner Kollegin Juliane Wolf           Rückblickend war für den Gruppenleiter die
 Hier hat im April 2018   befand ich mich im ersten Durchgang als Regel-      Kommunikation eine der größten Herausforde-
 die LebEL-Übung statt-   dienststreife von Anfang an im Übungsraum“,         rungen. „Unser Funkkanal war gerade in den
gefunden, an der er als   erinnert sich der 51-Jährige. Die Funktion des      ersten Minuten der Übung durch das Ausgeben
Gruppenleiter teilnahm.
                          Gruppenleiters wurde in diesem Durchgang            der umfangreichen Befehlslage durch den
                          durch einen anderen Kollegen wahrgenommen.          Dienstgruppenleiter belegt. Für die Kommuni-
                          Nachdem dieser, wenige Minuten nach Übungs-         kation der Kräfte vor Ort konnte der Funkkanal
                          beginn, bereits „erschossen“ wurde, übernahm        in dieser Zeit nicht genutzt werden“, führt Ajo
                          Ajo Bieler die Führung vor Ort. Der Durchgang       Bieler beispielhaft an.
                          war schnell vorbei, auch wenn es sich für ihn
                          nicht so anfühlte. Nach einer kurzen Auswer-        „Darüber hinaus gestaltete sich die erste Kon-
                          tung durch die Schiedsrichter und der erneuten      taktaufnahme mit der Landespolizei am Ereig-
                          Aufrüstung mit Übungsmunition in der mobilen        nisort als sehr schwierig. Die Kräfte erkannten
                          Waffenkammer hieß es für den Gruppenleiter          mich nicht als Führer vor Ort. Wir haben erst
                          und seine Kollegin wieder „Übungsbereitschaft       sehr spät zusammengefunden, um weitere
                          herstellen“. Der zweite Durchlauf begann.           Maßnahmen abzustimmen und Zonen festzu-
                          Dieses Mal startete er gleich in der Funktion des   legen – vielleicht sogar zu spät. Die Nutzung
                          Gruppenleiters, einer Schlüsselfunktion in der      unterschiedlicher Funkkanäle und das späte
                          Sofortphase.                                        Umschalten auf gemeinsame Funkkanäle war
                                                                              ebenfalls nicht optimal“, so Bieler.
                          Kommunikation war die größte
                          Herausforderung                                     Ajo Bieler erzählt, dass die Übung mit den
                          „Wir befanden uns mitten im Geschehen. Ich          optisch und akustisch sehr real wirkenden
                          versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren. Der       Szenarien seine Kollegen und ihn noch lange
                          Informationsbedarf der vorgesetzten Stellen war     Zeit beschäftigt hat. „Dank der durchgeführten
                          hoch. Die Lage vor Ort war unklar, gesicherte       LebEL-Trainings war das taktische Vorgehen bei
                          Informationen lagen nur in Teilen bis gar nicht     meiner Gruppe aber noch präsent. Wir waren
                          vor. Neben dem Meldewesen musste ich den            gut vorbereitet und konnten es sofort abrufen“,
                          Überblick über die Kräftelage behalten, die Täter   fasst er zusammen.
                          aktiv bekämpfen und zeitgleich die eigenen
                          Streifen führen. Hinzu kam die Abstimmung mit                      Gerhard Stelke, Manina Puck
                          den eintreffenden Kräften der Landespolizei.
                          Daneben immer wieder die Schreie und Hilfe-
                          rufe der Reisenden. Ein nahezu unmögliches

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                                                                                                          Alice Kempkens bei
                                                                                                          der LebEL-Übung am
                                                                                                          Flughafen Köln/Bonn

„Der Täter bewegte sich zügig auf uns zu“
 Regelmäßiges Training ist das A und O
 Alice Kempkens ist seit drei Jahren        Mir blieb wenig Zeit, um über das,        Übungsdurchgang endete für sie
 Mitarbeiterin der Bundespolizei-           was mich erwartete, viel nachzu-          jedoch abrupt. „Der Schiedsrichter
 inspektion Flughafen Köln/Bonn.            denken.“ Die 25-Jährige konnte mit        erklärte meinen Streifenpartner und
 Die erhöhte Gefahr terroristischer         dieser Anspannung aber gut umge-          mich sowie den Täter für tot. Wir
 Anschläge in Deutschland ist bei           hen, spiegelt sich der Stressfaktor       wurden aus dem Spiel genommen.“
 ihr stetig präsent. Sie versucht,          Zeit doch häufig in ihrem dienstlichen    Die Anspannung fiel von ihr ab. Alice
 dass die Gedanken daran jedoch             Alltag wieder.                            Kempkens fing sofort an, die Situation
 nicht ihren dienstlichen Alltag                                                      zu reflektieren. Die Nachbereitung
 bestimmen.                                 Überall panische Schreie                  der Übung war das Wichtigste für sie
                                            und Hilferufe                             und ihre Kollegen.
 Die Kontroll- und Streifenbeamtin fühlte   Der Startschuss für ihren Übungs-
 sich gut auf die Übung – Lebensbe-         durchgang fiel kurz nach 23 Uhr.          Übung ermöglicht eine bessere
 drohliche Einsatzlagen (LebEL) – am        Alice Kempkens war gemeinsam mit          Vorbereitung auf LebEL
 Flughafen Köln/Bonn im November            ihrem Kollegen als Streife eingesetzt.    „In der Dienstgruppe sprachen wir
 2018 vorbereitet. „Ich nahm bereits        Sie waren schnell am Ort des Ge-          offen über die Ergebnisse, analysier-
 im März 2017 an der dreitägigen            schehens. „Über Funk erhielten wir        ten unser taktisches Vorgehen, die
 KLE-Schulung teil. Seitdem wurden          die Information, dass der Täter sich in   Zusammenarbeit mit der Landes-
 die Inhalte in der dienststelleninternen   unsere Richtung bewegt. Ab diesem         polizei sowie die Kommunikations-
 Fortbildung immer wieder aufgegrif-        Moment erhöhte sich mein Stress-          strukturen. Die Erkenntnisse müssen
 fen. Erst im Oktober frischten wir die     level enorm. Es fühlte sich ernst an.“    jetzt in die Fortbildung einfließen“,
 taktischen Vorgehensweisen in der          Der Übungscharakter war verflogen.        so Alice Kempkens. Für sie ergibt
 Dienstgruppe anhand verschiedener          Die Schussgeräusche hörten nicht          sich vor allem das Erfordernis, das
 intensiver Situationstrainings auf.“       mehr auf. Überall waren panische          Vorgehen in diesen extremen Stress-
 Das regelmäßige Trainieren dieser          Schreie und Hilferufe der gespielten      situationen künftig regelmäßiger zu
 speziellen Lagen haben ihr Sicherheit      Reisenden und Opfer zu hören. Das         trainieren. Lange nach der Übung
 und Selbstbewusstsein gegeben. Am          musste Alice Kempkens jedoch alles        denkt Alice Kempkens noch über
 Tag der Übung wurden die abstrakten        ausblenden. „Der Täter bewegte sich       die simulierte Lage und ihr eigenes
 Vorstellungen für sie schnell zur Reali-   zügig auf uns zu. Wir hatten direkten     Handeln nach. Es war eine wertvolle
 tät. „Ich ging schon mit einer gewis-      Sichtkontakt und fanden uns schnell       Erfahrung. Die Übung gab ihr und
 sen Anspannung in meinen Übungs-           im Feuerkampf wieder. Wir mussten         ihren Kollegen die Möglichkeit, sich
 durchgang. Er war der erste in dieser      uns eine gute Deckung suchen und          noch besser auf Lebensbedrohliche
 Nacht. Der Zeitplan war eng und ich        zeitgleich den Täter bekämpfen. Zu        Einsatzlagen vorzubereiten.
 hatte bereits an der vorgeschalteten       diesem Zeitpunkt war mein Stress-
 Medienvorführung teilgenommen.             level am höchsten“, sagt sie. Der                                Manina Puck

 Bundespolizei kompakt 02|2019                                                                                            13
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 Hohe Erwartungen an eine
 realitätsnahe Lagesimulation
 Blick in die Arbeit des Einsatzabschnitts Störer
 Die möglichst realitätsnahe Simulation eines terroristischen Anschlagszenarios bildet die Grundlage für einen
 erfolgreichen Verlauf der bundesweit durchgeführten Übungen zum Thema Lebensbedrohliche Einsatzlagen
 (LebEL) und das Erreichen der Übungsziele. Der Einsatzabschnitt (EA) Störer leistet hier eine der Schwerpunktauf-
 gaben, die Inszenierung einer wirklichkeitsnahen Lage. Die Erwartungen aller Beteiligten sind entsprechend groß.

                            Mit durchschnittlich 300 Dar-         sogenannte Störeranweisung.          des EA Störer kommt es darauf
                            stellern ist der EA Störer mit        Neben aussagekräftigen Bildern       an, das erwartete Rollenverhal-
                            Abstand der personalstärkste          vom Übungsraum und einer Viel-       ten der Auszubildenden im Blick
                            der Besonderen Aufbauorga-            zahl organisatorischer Hinweise      zu behalten und gegebenenfalls
                            nisation (BAO) Übungsleitung.         geht es vor allem darum, das         regelnd einzugreifen. Nach etwa
                            Er umfasst die sogenannte             übungsgerechte Rollenverhalten       30 bis 45 Minuten endet der
                            Panikmasse aus Reisenden und          zu definieren. Dabei werden zu       Durchgang. An eine Pause ist
                            Opfern, die „Täter“ sowie eine        erwartende Verhaltensweisen in       jedoch nicht zu denken. Es folgt
                            Sanitätseinheit der Bundeswehr        diesen Extremsituationen, wie        eine Nachbesprechung der Füh-
                            für das professionelle Präparie-      hysterische Schreie, panik-          rungskräfte, die Verletzten müs-
                            ren von Opferverletzungen. Die        artiges Fluchtverhalten und          sen nachgeschminkt werden,
                            „Panikmasse“ wird durch Anwär-        hilfesuchendes Zulaufen auf          die vorgesehene Aufstellung
                            ter der Bundespolizeiaus- und         Einsatzkräfte, beschrieben. Die      für den nächsten Durchgang
                            Fortbildungszentren sowie der         Anwärter, die als „Panikmasse“       muss eingenommen werden.
                            jeweiligen Landespolizeischulen       fungieren, sollen so bereits in      Der Zeitfaktor ist die große
                            gestellt. Die Terroristendarsteller   ihren Heimatstandorten recht-        Herausforderung. Während die
                            sind zumeist erfahrene LebEL-         zeitig auf die Übung vorbereitet     Übungsleitung möglichst schnell
                            Trainer der Bundespolizei-            werden können.                       mit den nächsten Durchgängen
                            akademie.                                                                  beginnen möchte, muss der
                                                                  Der Zeitfaktor ist die größte        Leiter des EA Störer eine ange-
                            Vorbereitungen dauern                 Herausforderung                      messene Vorbereitungs- und
  Joachim Haack ist seit    Wochen                                Am Übungstag bewältigt die           Pausenzeit im Blick behalten
    elf Jahren Fachlehrer   Die EA-bezogenen Vorbereitun-         EA-Leitung mit den nachgeord-        und diese auch einfordern.
für Luftsicherheit an der   gen beginnen bereits Wochen           neten Führungskräften eine Viel-
Bundespolizeiakademie       vor der eigentlichen Übung.           zahl von Aufgaben. Es gilt, vor      „Störer-Personal“ ist über
   in Lübeck. Anlässlich    Ein wesentlicher Faktor ist die       allem die Zeitvorgaben im Blick      den gesamten Zeitraum
     der LebEL-Übungen
                            Aufklärung des Übungsraumes           zu behalten. Nach der Einwei-        gefordert
     war er mehrfach als
                            am jeweiligen Bahnhof oder            sung der Kräfte in den Übungs-       Im Gegensatz zu den üben-
     Leiter des EA Störer
              eingesetzt.
                            Flughafen. Ziel ist es, einen         raum geht es bereits um die          den Kräften, die nach den
                            Eindruck von den Übungsmög-           konkrete Rollenverteilung. Die       Durchgängen wechseln, bleibt
                            lichkeiten und den realisierba-       rund 50 Darsteller von Verletzten    das Personal des EA Störer
                            ren Handlungen zu gewinnen.           müssen zeitnah zur sogenann-         die ganze Nacht hindurch bis
                            Dabei stehen folgende Fragen          ten Schminkstation. Denn das         zum Übungsende gefordert.
                            im Fokus: Wie lässt sich die          erschreckend realitätsgetreue        Die Verletztendarsteller sind
                            „Panikmasse“ sinnvoll aufteilen?      Präparieren der Verletzungen         dabei besonderen physischen
                            Welche Fluchtrichtungen sind          dauert bis zu einer Stunde.          und psychischen Belastungen
                            möglich? Auf welche Weise             Dann wird es ernst. Alle nehmen      unterworfen. Es ist bemerkens-
                            lassen sich die Vorgaben des          ihre vorgesehenen Ausgangs-          wert, mit welchem Rollenver-
                            Übungsverlaufes von den               punkte ein. Nach Freigabe des        ständnis und Engagement
                            „Tätern“ umsetzen? Wie werden         Übungsbeginns durch die Regie        gerade die Anwärter in den
                            die Übungskräfte voraussichtlich      startet der erste Durchgang mit      Übungen agieren. Sie haben
                            vorgehen? Diese Fragen gilt es,       dem Gewehrfeuer der Täter            einen großen Anteil an der
                            vorab zu klären. Die Antworten        sowie simulierten Detonationen.      Realitätsnähe der Übungen
                            bilden die Grundlage für das          Die Lage wird jetzt nicht nur für    und damit am Erfolg!
                            Kernstück der Übungsvorbe-            die übenden Kräfte unübersicht-
                            reitung des EA Störer – die           lich. Auch für alle Führungskräfte                 Joachim Haack

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Titelthema

Die Panik wich der Neugier
Terroristen schossen wahllos in die Menge
Als die Übung zu den Lebensbedrohlichen Einsatzlagen (LebEL) am Flughafen Köln/Bonn
im November 2018 stattfand, waren Isabel Gaiser und Luca Schöning erst seit drei Monaten
bei der Bundespolizei. Die Polizeikommissaranwärter hatten ihre Ausbildung im September
im Bundespolizeiaus- und Fortbildungszentrum Swisttal begonnen. Der Weg zum Flughafen
war nicht weit – die Aufregung während der Anreise bei den Berufsanfängern hingegen groß.
Sie sollten mit etwa 300 Kollegen Reisende und Opfer für das Übungsszenario möglichst                     Eine Sanitätssoldatin der
realitätsnah darstellen.                                                                                  Bundeswehr präpariert
                                                                                                          Isabel Gaisers Bein für
Für Isabel Gaiser stand schon als Kind fest,         Schussverletzung im Realfall wohl überlebt           ihren Einsatz als Schwer-
sie wird Polizistin. Bei ihrer Bewerbung war ihr     hätte. Wäre ich rechtzeitig gerettet worden?“        verletzte.
bewusst: „Terroristische Anschläge in Deutsch-       Überlegungen, mit denen sie nicht allein war.
land sind in den nächsten Jahren sicher nicht        „In den Wochen nach der Übung sprachen wir
auszuschließen.“ In ihrer Familie wird darüber       oft darüber“, sagt sie. Mit zeitlichem Abstand ist   Luca Schöning vor
offen gesprochen. Die größte Sorge ihrer Eltern      ihr aber klar geworden: „Das Stoppen der Täter       Übungsbeginn in der
ist, „dass sich ihr Kind einer Situation stellen     ist die wichtigste Aufgabe. Hätten sich die Ein-     Schminkstation
muss, in der der natürliche Instinkt ‚wegrennen‘     satzkräfte gleich um die ‚Verletzten‘ gekümmert,
schreit“, so die 25-Jährige. Isabel Gaiser hofft,    wären es sicher mehr ‚Opfer‘ gewesen.“
dass es nie wieder zu einer Anschlagslage kom-
men wird. Sollte dieser Fall jedoch eintreten,       Die richtige Berufswahl getroffen
möchte sie gut vorbereitet sein. „So früh nach       Luca Schöning resümiert: „Durch die Übung
Beginn unserer Ausbildung Einblicke in das           ist uns noch einmal bewusst geworden, wie
Vorgehen der Einsatzkräfte zu bekommen, war          gefährlich dieser Beruf sein kann. Man kann sich
ein Privileg“, sagt sie.                             von jetzt auf gleich in einer Lebensbedrohlichen
                                                     Einsatzlage befinden und muss sofort richtig
Täterbekämpfung vor Rettung                          reagieren. Das eigene Leben riskieren, um das
Zusammen mit Luca Schöning stellte sie wäh-          Leben und die Gesundheit vieler anderer zu
rend der Übung zwei der vielen Schwerverletz-        schützen.“ Der Einblick in die Arbeit der Bundes-
ten dar. Dafür schminkten sie die Sanitätssolda-     polizei in dieser Ausnahmesituation hat die
ten der Bundeswehr erschreckend realitätsnah.        beiden Anwärter aber weiter darin bestärkt, den
„Als die ersten Schüsse fielen und ein lauter        richtigen Berufsweg gewählt zu haben.
Knall zu hören war, stieg die Panik in mir hoch.
Zwei Terroristen rannten auf eine Gruppe Zivi-                                          Manina Puck
listen zu und schossen wahllos in die Menge.
Ich wusste, dass es sich nur um Platzpatronen
handelt, ließ mich aber instinktiv auf den Boden
fallen. Als die Schüsse weniger wurden, wich
die Panik der Neugier. Wir beobachteten das
Vorgehen der Einsatzkräfte“, so Luca Schöning.
Der Einsatz der GSG 9 war für den 18-Jährigen
ein Erlebnis: „Die Professionalität erzeugte ein
Gefühl von Sicherheit.“ Isabel Gaiser ergänzt:
„Mich hat die Ernsthaftigkeit der Einsatzkräfte
beeindruckt. Sie konzentrierten sich darauf, die
Täter zu bekämpfen und sich gegenseitig zu
sichern. Die Verletzten wurden trotz der vielen
Hilferufe dabei lange Zeit ignoriert. Das war für
mich als ‚Schwerverletzte‘ nicht einfach. Wie vie-
le meiner Kollegen lag auch ich am Boden und
schrie um Hilfe. Das war kein gutes Gefühl. Erst
nachdem die Täter ausgeschaltet waren, wurde
mit dem Retten begonnen. Auf der Rückfahrt
nach Swisttal gingen mir viele Gedanken durch
den Kopf. Ich fragte mich, ob ich die fiktive

Bundespolizei kompakt 02|2019                                                                                               15
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                                                                  „Das Feld der
                                                                   Übung war schnell
                                                                   verlassen“
                                                                       Gedanken zu Training
                                                                       und Wirklichkeit
                           Roland Weckenmann ist seit sieben Jahren            Landespolizei. Sein Gruppenleiter führte die
  Roland Weckenmann        Dienstgruppenleiter in der Bundespolizei-           Interventionsteams. „Das Feld der Übung war
 nahm im vergangenen       inspektion Stuttgart. Im Einsatzfall hat er die     schnell verlassen“, erinnert er sich. „Mit einem
Jahr an der Großübung      Verantwortung, Anschlagslagen und Amok-             Mal wirkte alles wie die Realität.“ Das ersehnte
  im Stuttgarter Haupt-    taten mit seinen Streifen zu beenden. Das           klare Lagebild stellte sich bis zum Schluss der
           bahnhof teil.   bedeutet jedoch auch, die eigenen Kollegen          Übung nicht ein.
                           in den Gefahrenbereich zu schicken.
                                                                               Er selbst beschloss, seine Einsatzkräfte von der
                           Aufgeregt sei er nicht gewesen, erinnert sich       Leitstelle aus zu führen. Nur so könne er den
                           Roland Weckenmann. Vielmehr hätte er eine           Gesamtüberblick behalten und schnell reagieren,
                           gewisse Anspannung verspürt, die ihn wach           war er sich sicher. Ob er im Ernstfall nicht aber
                           und aufmerksam gehalten hat. Das war auch           doch vor Ort führen würde, weiß Roland
                           nötig, denn sein Übungsdurchgang fand erst in       Weckenmann nicht: „Die Entscheidung wird
                           den frühen Morgenstunden des 12. September          immer erst spontan fallen können.“
                           2018 statt. Es war der letzte der Großübung im
                           Stuttgarter Hauptbahnhof.                           Wäre die Übung ein realer Einsatz gewesen, so
                                                                               hätten in seinem Durchgang alle Polizisten das
                           Als es losging, fühlte sich der erfahrene Dienst-   Szenario überlebt. Ein ungutes Gefühl bleibt für
                           gruppenleiter gut vorbereitet. Schon länger         Roland Weckenmann dennoch. Im Ernstfall trägt
                           wurden er und seine Kollegen für derartige          er nicht nur die Verantwortung für die Einsatz-
                           Einsatzlagen fortgebildet. Zudem wusste der         lage, sondern auch für seine Mitarbeiter. Dieses
                           47-Jährige, dass er sich auf jeden seiner Mit-      Spannungsfeld beschäftigt ihn nicht erst seit der
                           arbeiter verlassen kann. Dabei ist die Gefahr       Übung. Bereits bei echten Amokalarmen musste
                           von Anschlägen für ihn und seine Dienstgruppe       er seine Kollegen in die Gefahrenzone schicken.
                           ständig präsent: „Bei Streifengängen und            Und das, obwohl sich seine Dienstgruppe auch
                           Gesprächen werden oft mögliche Szenarien            irgendwie als eine Art Familie versteht. Man
                           durchgegangen“, sagt er. „Man entwickelt ein        verbringt so viel Zeit miteinander, dass man
                           sensibles Gespür und versucht, sich in die Rolle    auch eine Menge persönliche Dinge über die
                           des Attentäters zu versetzen.“                      Kollegen weiß. Auflösen lässt sich dieses
                                                                               Dilemma für Roland Weckenmann nicht.
                           Bei der Übung ging dann alles sehr schnell.
                           „Nach dem Start überwogen zunächst die              Der ehemalige Diensthundeführer weiß noch
                           Übungskünstlichkeiten. Ich hatte mich gedank-       gut, wie es ist, in vorderster Reihe zu stehen.
                           lich lange auf die Übung vorbereitet. Deshalb       Es war ihm daher wichtig, die Übung mit
                           war das Szenario, das mich und meine Mitarbei-      seinen Kollegen nachzubereiten. Vor allem der
                           ter erwartete, an sich nicht überraschend. Die      Austausch mit dem Gruppenleiter bedeutete
                           unklare Lage war eine große Herausforderung“,       ihm viel. Dieser trug seiner Meinung nach die
                           erzählt Roland Weckenmann. Er musste über-          Hauptlast der Übung.
                           sichtliche Strukturen schaffen und gesicherte
                           Informationen erhalten. Deshalb entsandte                                       Benjamin Fritsche
                           er seinen Vertreter in den Führungsstab der

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Titelthema

„Für uns war es ein
 realer Betreuungseinsatz“
 Übungskräfte und „Panikmasse“ in
 professionellen Händen
 Die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) dient dem Erhalt der psychischen Stabilität
 von Beschäftigten, die mit besonders belastenden Ereignissen konfrontiert wurden. Dazu
 gehören Unfälle mit Schwerverletzten oder Toten, Einsätze mit Schusswaffengebrauch oder
 Einsätze bei denen man Angst hat, selbst verletzt oder getötet zu werden. Diese Ereignisse
 übersteigen den Alltagsstress deutlich und können die Betroffenen bei deren Bewältigung
 überfordern. Unterstützungsangebote und eine qualifizierte Nachbereitung sind besonders
 wichtig. Psychische Probleme können so gemildert und die Wahrscheinlichkeit von post-
 traumatischem Stress kann gesenkt werden.                                                              Dr. Andreas Bräuner ist
                                                                                                        Diplom-Psychologe und
 An den LebEL-Übungen in Lübeck und Han-            glücklicherweise bei beiden Übungen nicht           Leiter des Sozialwissen-
 nover nahm ich als Leiter des Unterabschnitts      erforderlich. Von den Beteiligten hörten wir aber   schaftlichen Dienstes
 PSNV im Einsatzabschnitt Polizeiärztlicher         mehrfach die Aussage: „Es ist gut, dass Sie da      Nord. Der 54-Jährige ist
                                                                                                        seit September 2000
 Dienst teil. Dabei stand ich mit meinem Team für   sind.“ Die Gespräche waren wichtig.
                                                                                                        bei der Bundespolizei.
 die Beratung und Betreuung der übenden Kräfte
                                                                                                        Zuvor war er mehrere
 sowie der sogenannten Panikmasse bereit. Für       Vorbereitung auf den Ernstfall?                     Jahre als Gefängnispsy-
 uns war es daher kein Übungs-, sondern ein         Was die Handlungsabläufe und Koordination           chologe tätig. Anlässlich
 realer Betreuungseinsatz, bei dem eine enge        der übenden Einheiten aus Bund und Ländern          der LebEL-Übungen
 Abstimmung mit Betreuungskräften der betei-        angeht, sind die Übungen in jedem Fall hilfreich.   stand er den Kräften als
 ligten Länder und der Bundespolizeiseelsorge       Sie bereiten mental auf derartige Lagen vor.        wichtiger Ansprech-
 stattgefunden hat. Während der Übungsvorbe-        Außerdem zählen die hier geübten Szenarien          partner zur Seite.
 reitung lag einer unserer Schwerpunkte in der      bislang nicht zum Einsatzrepertoire der meisten
 Primärprävention auf der mentalen Vorbereitung     Mitarbeiter in der Bundespolizei. Auch wenn es
 der in der „Panikmasse“ eingesetzten Anwärter.     sich die Beteiligten in der dynamischen Übungs-
                                                    situation nicht bewusst gemacht haben, so ist
 Die Übungen waren „beeindruckend“                  allen Mitwirkenden letztlich klar, dass es sich
 Im Hinblick auf die erzeugte Geräuschkulisse       nicht um eine Realsituation handelte. Ein Trai-
 (Schüsse aus vollautomatischen Waffen,             ning für eine erhöhte psychische Traumaresis-
 Sprengstoffexplosionen, Schreie der „Panik-        tenz können die Übungen daher kaum leisten.
 masse“) und die Darstellung der Verletzten und     Im Realfall wäre daher die PSNV gefragt. Es
 Toten waren die Übungen für alle Beteiligten im    war aber, nicht zuletzt wegen der realistischen
 Wortsinn beeindruckend. In den Auswertungs-        Übungsdarstellung, richtig und wichtig, dass
 phasen zwischen den Übungsdurchgängen              wir mit unserem Betreuungsangebot präsent
 haben wir uns „unters Volk“ gemischt, nahmen       gewesen sind.
 Stimmungen auf und standen als Ansprech-
 partner zur Verfügung. Eine Akutbetreuung war                                Dr. Andreas Bräuner

   Der Sozialwissenschaftliche Dienst
   Bundesweit gibt es fünf regionale Sozialwissenschaftliche Dienste (SWD). Das Bundespolizeipräsidium koordiniert
   die Teams der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) mit jeweils rund 40 Mitwirkenden. In der Bundespolizei
   stehen etwa 200 qualifizierte Ansprechpersonen zur Verfügung. Ein Regionalteam besteht aus Peers (Polizeibeamte
   mit entsprechender Qualifikation) und psychosozialen Fachkräften (Ärzte, Psychologen, Sozialwissenschaftler und
   Seelsorger).

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Titelthema

Mit Überzeugungskraft
und Fingerspitzengefühl
Schiedsrichter bei den bundesweiten LebEL-Übungen
„Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift.“ So oder so ähnlich lauten viele Weisheiten, die wir aus der Welt
des Sports kennen, wenn es um den Mann oder die Frau mit der Trillerpfeife geht. Schiedsrichter sollen im-
mer auf der Höhe des Geschehens sein, das Spiel laufen lassen, solange keine Gefahren entstehen, und bei
Regelverstößen angemessen einschreiten. In gewisser Weise entspricht dies auch der Rolle und den Aufga-
ben eines Schiedsrichters bei polizeilichen Großübungen. Anders als im Sport leiten und disziplinieren wir
nicht, sondern lenken und bewerten, wobei das Regelwerk der Polizei überwiegend die Handlungsoptionen
der Einsatzkräfte und weniger die unerlaubten Handlungen der Akteure auf den Spielfeldern beschreibt.

                           Anlässlich der Übungen zu Lebensbedrohlichen      Die Aufgaben der Männer und Frauen mit der
  Marco Kaisen (links)     Einsatzlagen (LebEL) kommen abhängig von          weißen Weste sind vielschichtig. Ganz oben
 ist Leiter der Mobilen    der Anzahl der übenden Kräfte zum Teil mehr       auf unserer Liste steht die Gewährleistung des
    Kontroll- und Über-    als 30 Schiedsrichter pro Übungsdurchgang         sicheren Ablaufs. Vor jeder Übung werden
 wachungseinheit der       zum Einsatz. Im Wissen, dass die Akzeptanz        Sicherheitsvorschriften festgelegt, in denen
Bundespolizeidirektion     von Bewertungen maßgeblich von der Funktion       unter anderem der Umgang mit den Übungs-
    Koblenz. In bislang
                           und dem Erfahrungswissen des Schiedsrich-         waffen und Sprengmitteln klar geregelt ist. Die
         sieben LeBEL-
                           ters abhängt, setzen wir nur Kollegen ein, die    Schiedsrichter überwachen die Einhaltung
Übungen war er Leiter
   des Schiedsrichter-
                           entweder erfahrene Polizeitrainer sind und/oder   dieser Vorgaben. Durch lückenlose Kontrollen
               dienstes.   über umfangreiche Erfahrungen in der übenden      stellen wir sicher, dass keine „scharfen“ Waffen
                           Funktionsgruppe (Kontroll- und Streifenbeamter,   in den Übungsraum gelangen und alle Personen
                           Gruppenleiter, Dienstgruppenleiter, Leitstelle,   die vorgeschriebene Schutzausstattung tragen.
                           geschlossene Einsatzeinheiten der Bundes-         Bei bis zu 1 200 Übungsteilnehmern (Übende,
                           polizei, Spezialkräfte) verfügen.                 Störer, „Panikmasse“, Beobachter und Presse-
                                                                             vertreter) bedarf dies einer klug gewählten

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Titelthema

Struktur und höchster Aufmerksamkeit aller         sogenannten Feedback-Runden, bei denen die
Schiedsrichter. Die kleinste Unachtsamkeit kann    einzelnen Teams unmittelbar nach der Übung
verheerende Auswirkungen haben. Daher lautet       eine Rückkopplung erhalten, bewusst sein.
unser Leitsatz: „Genauigkeit und Sicherheit geht   Hier ist Überzeugungskraft, vor allem aber viel
vor Schnelligkeit.“                                Fingerspitzengefühl gefordert.

Neben der Herstellung und Überwachung der          Unsere schwierigste Aufgabe besteht aber
Sicherheit ist eine unserer Kernaufgaben ein       darin zu entscheiden, wann und wo Übungsteil-
Soll-Ist-Abgleich. Das Soll ergibt sich hierbei    nehmer aufgrund von Täterbeschuss verletzt
aus dem gedachten Verlauf der Übung. Dieses        oder möglicherweise sogar tödlich getroffen
„Drehbuch“ definiert die auf Grundlage beste-      wurden. Da bisher noch keine Übungssysteme
hender Konzeptionen und Dienstanweisungen          mit Trefferanzeige genutzt werden, müssen wir
zu erwartenden Maßnahmen. Wir bewerten und         dies ohne Hilfsmittel beurteilen und dabei die
dokumentieren die Umsetzung dieser Maßnah-         Feuerkraft der Täter und das Deckungsverhalten
men für die jeweilige Zielgruppe, das Ist.         der Übungskräfte richtig einschätzen. Manche
                                                   Kollegen sind in dieser Schocksekunde spürbar
Beim Übungsthema LebEL müssen die Einsatz-         ernüchtert und zuweilen auch enttäuscht. Ins-
kräfte in der Sofortphase mit anfangs schwa-       besondere in diesen Fällen kommt der Feed-
chen Kräften eine extreme Bedrohungslage           back-Runde eine besondere Bedeutung zu.
unter hoher Eigengefährdung bewältigen. Die
bisherigen Erfahrungen haben uns gezeigt,          Erkenntnisse aus den Übungen
dass selbst bei intensiver konzeptioneller und     In der Gesamtbetrachtung der bisherigen Übun-
praktischer Vorbereitung die Übungsszenarien       gen konnten wir feststellen, dass bei nahezu
alle Beteiligten in Grenzbereiche bringen und      allen Beamten das einsatztaktische Grundver-
manchmal auch darüber hinaus.                      ständnis vorhanden ist. Das bedeutet allerdings
                                                   nicht, die Hände in den Schoß zu legen. Getreu
Knackpunkte sind bekannt                           dem Motto „wo Licht ist, da ist auch Schatten“
Auf Grundlage der strukturierten Auswertungen      gilt es, die Trainingsintensität in allen Dienst-
im Nachgang sämtlicher Übungen kennen              bereichen weiter hoch zu halten und, soweit
wir die Knackpunkte und wissen daher auch,         möglich, noch zu steigern. In puncto Führungs-
worauf wir als Schiedsrichter unser Augen-         und Kommunikationsstrukturen konnten wir
merk legen müssen. Der Anspruch an uns als         Optimierungsmöglichkeiten definieren, die sich
Schiedsrichter ist hoch. Wir müssen die konzep-    in allen Übungen als erfolgskritische Faktoren
tionellen Grundlagen und die einsatztaktischen     der gesamten Lagebewältigung herausgestellt
Zusammenhänge kennen, bei hoher Dynamik            haben. In den erforderlichen Führungsstruk-
den Überblick behalten, die Gefahren des           turen ist in der Folge ein gesonderter Bedarf
Übungsraums (Bahnbetriebsgefahren) immer im        entstanden. Für diese in der Lagebewältigung
Blick haben und die Erkenntnisse adressaten-       elementar wichtigen Funktionen sollen künftig
gerecht an die Übenden weitergeben.                spezielle Fortbildungslehrgänge konzipiert und
                                                   bereitgestellt werden. Darüber hinaus haben die
Damit jedes Streifenteam und nachrückende          beteiligten Stellen die vielschichtigen Probleme
Kräfte betreut und bewertet werden können,         mit dem Digitalfunk erkannt. Neben den be-
bedarf es der hohen Anzahl an Schiedsrichtern      kannten Schwierigkeiten der schlechten Objekt-
im Übungsraum sowie bei den Führungskräften        versorgung in den Bahnhöfen ist vor allem die
und Führungsorganen.                               Trennung der Funkgruppen von Bundes- und
                                                   Landespolizei bereits im Vorfeld einer gemein-
Unterschiede in Selbst- und Fremd-                 samen Lagebewältigung zu lösen.
wahrnehmung berücksichtigen
Wir müssen immer beachten, dass die üben-          Mit den durchgeführten Rahmenübungen mit
den Einsatzkräfte während ihres Durchgangs         Vollübungsanteilen verfügen wir als Bundes-
einer hohen Stressbelastung ausgesetzt sind.       polizei über ein einzigartiges Format, dass
Dies führt in unterschiedlicher Ausprägung zu      selbst im benachbarten Ausland Interesse
Selbstschutzhandlungen und Wahrnehmungs-           geweckt hat. Das behördenübergreifende Üben
einschränkungen wie dem oft genannten              in großen Bahnhöfen und Flughäfen mit bis zu
Tunnelblick. Da wir die Situation als Schieds-     500 Statisten ermöglicht es, realitätsnahe
richter aus einer Art Beobachterperspektive        Szenarien abzubilden. Wir erhalten hierdurch
heraus erleben, sind wir mit deutlich weniger      die Möglichkeit, elementare Erkenntnisse für den
Stress belastet. Wir nehmen das Handeln der        hoffentlich nie eintretenden Ernstfall zu sammeln.
Übenden dementsprechend anders wahr. Die-
ser Umstand muss den Schiedsrichtern in den                                          Marco Kaisen

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Titelthema

 Interview mit Olaf Petersen

 „Diese Einsatzlage
  wird im Kopf gewonnen.“
Olaf Petersen ist stellvertretender Leiter der Bundespolizeiinspektion (BPOLI) Bremen. Der Lüneburger war bis
Oktober 2018 in gleicher Funktion bei der BPOLI Hannover eingesetzt. Der dortige Hauptbahnhof war im Juni
2018 Schauplatz einer der Übungen zum Thema Lebensbedrohliche Einsatzlagen (LebEL). Der               kompakt
                                                                                                          hat er
erzählt, wie er sich mit seinen Mitarbeitern auf die Extremsituation vorbereitet hat und welche Erfahrungen er
aus der Übung mitnehmen konnte.

Herr Petersen, die Gefährdung durch den islamisti-        Auseinandersetzung mit dieser zunächst schier unlösbar
schen Terrorismus wird für Deutschland anhaltend          wirkenden Aufgabe gemeinsam mit meinen Mitarbeitern
hoch bewertet. Als besonders gefährdet gilt die           anzugehen. Wir mussten uns der zu erwartenden Reali-
kritische Infrastruktur, zu der auch der Hauptbahnhof     tät in einer Lebensbedrohlichen Einsatzlage gedanklich
Hannover gehört. Wie haben Sie sich mit Ihren Mitar-      stellen. Nur so konnten wir die Grundlagen für die profes-
beitern auf die dortige LebEL-Übung vorbereitet?          sionelle Herangehensweise an die Bewältigung bilden.
Unser größtes Gut, davon bin ich überzeugt, sind unsere   Für uns war von Anfang an klar, dass diese Einsatzlage im
Mitarbeiter. Deshalb war es mir besonders wichtig, die    Kopf gewonnen wird.

                                                          Die Einsatzlage wird im Kopf gewonnen.
                                                          Was verstehen Sie darunter?
                                                          Es bedeutet, dass wir neben der praktischen Fortbildung
                                                          aller operativen Einsatzkräfte, ein klares und emotions-
                                                          reduziertes Rollenverständnis der Führungskräfte schaffen
                                                          mussten. Dabei durften wir nicht vernachlässigen, dass
                                                          die individuelle Berufsmotivation unserer Mitarbeiter in
                                                          Anbetracht einer tatsächlich erkennbaren Lebensbedroh-
                                                          lichen Einsatzlage auf eine harte Probe gestellt wird!

                                                          Welche Maßnahmen waren für Sie in der Vorberei-
                                                          tung auf derartige Lagen wesentlich?
                                                          Wir konzentrierten die dienststelleninterne Fortbildung
                                                          wiederholt auf das Polizeitraining zur Bewältigung
                                                               Lebensbedrohlicher Einsatzlagen. Soweit möglich,
                                                                    passten wir die Führungs- und Einsatzmittel
                                                                         den Erfordernissen an und stimmten mit
                                                                          den örtlichen Sicherheitspartnern Plan-
                                                                           entscheidungen und Einsatztaktiken ab.
                                                                            Zusätzlich koordinierten wir mit Unter-
                                                                              stützung der Bundespolizeidirektion

                                                                                         Olaf Petersen ist stellvertretender
                                                                                         Leiter der Bundespolizeiinspektion
                                                                                         Bremen.

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Titelthema

Hannover und der Bundespolizeiakademie eine rechtliche        Möglichkeit des realitätsnahen Übens konnten wir für uns
Führungskräftefortbildung und Planbesprechung zum             aber auch noch einige Optimierungs- und Anpassungs-
Thema. Parallel dazu schrieben wir unsere Planunterlagen      bedarfe definieren, die in die Planentscheidungen und
und Konzeptionen fort. In dieser Phase erhielten wir den      Einsatzkonzeptionen zur Stärkung der Krisenfestigkeit in
Hinweis auf die Übung in Hannover im Sommer 2018.             der BPOLI Hannover einfließen werden.

Die Übungsziele und -inhalte waren lange bekannt.             Wenn Sie die fachliche Seite mal außer Acht lassen,
Was war die größte Herausforderung im Zusammen-               was konnten Sie bei Ihren Mitarbeitern beobachten?
hang mit der Übung?                                           Wie erwartet, konnte ich deutlich beobachten, dass das
Es ist der Übungsleitung mit viel Aufwand sehr gut gelun-     Übungsthema die Menschen hinter den Polizisten, meine
gen, ein realitätsnahes Szenario darzustellen. Der Haupt-     Mitarbeiter, alles andere als kalt gelassen hat. In den
bahnhof Hannover ist ein Drehkreuzbahnhof. Es war nicht       vielen persönlichen Gesprächen nach der Übung waren
einfach, einen Übungsraum zu definieren, der mit dem          offene Diskussionen zu den unangenehmen, sensiblen
Zugbetrieb rund um die Uhr vereinbar war. Der letztlich       Themen unseres Daseins wie Leben und Tod, Ethik und
gewählte Übungsraum war ein Kompromiss und aufgrund           Moral allgegenwärtig. Die Konfrontation dieser Faktoren
der Schwierigkeiten im Gelände, eine der größten Heraus-      mit dem Berufsbild und der Berufsmotivation drängten sich
forderungen für die in fünf Durchgängen übenden Kräfte.       auf. Die Mitarbeiter benannten vielfach eigene Verhaltens-
Dies mussten wir in der Nachbereitung berücksichtigen.        anpassungen, zum Beispiel im Umgang mit Führungs- und
                                                              Einsatzmitteln oder auch in Bezug auf psychische und
Wie haben Sie die Übungsnachbereitung gestaltet?              physische Notwendigkeiten. Die Ansprechbarkeit der
Sie war vielschichtig und hat in mehreren Phasen über         Seelsorge und des Sozialwissenschaftlichen Dienstes vor,
drei Monate stattgefunden. Eine erste Rückmeldung             während und nach der Übung wurde sehr positiv aufge-
zum jeweiligen Vorgehen der einzelnen Teams gaben die         nommen.
Schiedsrichter unmittelbar nach den Durchgängen ab. Er-
gänzend war die Sichtung der Aufzeichnungen der Video-        Neben Hannover wurden 2017 und 2018 sechs
anlage am Hauptbahnhof Hannover im Nachgang für uns           weitere vergleichbare Übungen durchgeführt. Wie
wesentlich. So konnten wir die Einsatzfestigkeit der üben-    sollte die Bundespolizei Ihrer Meinung nach mit den
den Kräfte detailliert analysieren und die Erkenntnisse der   gewonnenen Erkenntnissen umgehen?
Schiedsrichter untermauern. Im Anschluss nutzten unsere       Für die Bundespolizei wünsche ich mir eine abgestimmte,
Dienstgruppenleitungen die Aus- und Fortbildungstage,         bundesweite Koordinierung der Ergebnisse zur Einsatz-
um gemeinsam mit den Polizeitrainern die Einsatztaktik,       taktik, zur Führung, zu Führungs- und Einsatzmitteln, zur
die Zusammenarbeit mit benachbarten Behörden und die          Kommunikation und zu Aspekten der Zusammenarbeit.
Kommunikation in der Übung auszuwerten. Die Nachbe-           Darüber hinaus sind aber auch maßgebliche Hinweise zur
reitung für die Führungskräfte der Bundespolizeiinspektion    Öffentlichkeitsarbeit, zum Dienstrecht, zur Beweis-
Hannover erfolgte durch uns noch einmal gesondert für         sicherung und Dokumentation erforderlich.
die Gruppenleiter, die Dienstgruppenleiter und abschlie-
ßend durch die Zusammenziehung der Führungskräfte             Sie sind seit November 2018 stellvertretender Leiter
aller Ebenen. Als besonders gewinnbringend empfand            der BPOLI Bremen. Dort soll im Herbst ebenfalls eine
ich die finale Nachbereitung mit allen Übungsbeteiligten,     LebEL-Übung stattfinden. Inwieweit sind Ihre Erfah-
wie den Sicherheitspartnern, der Feuerwehr und den            rungen aus Hannover hierbei hilfreich?
Rettungsdiensten. Im Ergebnis wollen wir die Zusammen-        Die Erfahrungen aus der Übung in Hannover lassen mich
arbeit weiter vertiefen und uns gegenseitig in der Fortbil-   sicherlich mit einem geschärften Blick auf die geplante
dung unterstützen.                                            Fortbildungsmaßnahme in Bremen schauen. Ich hoffe,
                                                              dass ich die gesammelten Erkenntnisse hier zielgerichtet
Welche Erkenntnisse konnten Sie aus der Übungs-               in die Übungsvorbereitung einbringen kann.
nachbereitung mitnehmen?
Als Erstes hat es mich sehr beeindruckt, wie offen,                              Das Interview führte Manina Puck.
professionell, ausgewogen und dabei immer nach vorne
gewandt meine Mitarbeiter ihr eigenes Handeln in der
Nachbereitung betrachtet haben. In der fachlichen Bewer-
tung der Übungsergebnisse konnte ich insgesamt fest-
stellen, dass die in der Fortbildung vermittelten Elemente
zur Bewältigung Lebensbedrohlicher Einsatzlagen durch
meine Mitarbeiter sehr gut umgesetzt wurden. Durch die

Bundespolizei kompakt 02|2019                                                                                        21
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