Magazin HealthCareAUSGABE WINTER 2020 - Gesundheits-standort Deutschland - EY
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xxxxx | xxxxx 83 Mio. 1.900 Bürgerinnen und Bürger Krankenhäuser Dass das deutsche Gesundheitssystem so stark ist, hat sich insbesondere in der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie gezeigt. Der Ausbruch des Coronavirus stellt weltweit Regierungen, Gesundheits- und Wirtschaftssysteme sowie Bevölkerungen vor ungekannte Herausforderungen. Mehr Infos: ab Seite 6 53%Unter 200 befragten Humanmedizinern gehen 53 Prozent davon aus, dass es immer weniger freiberuflich tätige Ärzte geben wird. Denn neben dem bürokratischen Aufwand, dem finanziellen Risiko und der unternehmerischen Verantwortung empfinden viele auch die Arbeitsbelastung als zu hoch. Mehr Infos: ab Seite 16 5.000 neue Stellen 5.000 neue Stellen sollen bis Ende 2022 geschaffen werden. Das ist gut gemeint. Allerdings fehlen diejenigen, die sie besetzen. Mehr Infos: ab Seite 38 2 HealthCare Magazin | Winter 2020
Liebe Leserinnen, liebe Leser, was man unter normalen Umständen als selbstverständlich hinnimmt, weiß man erst in Krisensituationen zu schätzen. Das gilt auch für unser Gesundheitssystem: Die Pandemie führt uns vor Augen, wie stark die medizinische Versorgung in Deutschland grundsätzlich aufgestellt ist. Dennoch ist die Pandemie auch für den Gesundheitsstandort Deutschland ein echter Belas- tungstest und bringt alle an ihre Grenzen: Mediziner, Pflegekräfte, Patienten, Angehörige, Krankenhäuser, Gesundheitsämter etc. Wie unter einem Brennglas werden dabei Schwach- stellen im Gesundheitssystem zutage gefördert. Dabei handelt es sich nicht nur um akute Schwächen, die die Pandemie direkt betreffen, wie z. B. die anfängliche Knappheit an Schutz- masken und -kleidung; vielmehr offenbaren sich ganz grundlegende, chronische Schwächen, die langfristig und nachhaltig angegangen werden müssen. Darauf möchten wir uns in diesem Heft fokussieren: den Gesundheitsstandort Deutschland unter die Lupe nehmen und aufzeigen, wie er sich stärken kann. Wir werfen zunächst einen Blick auf die europäischen Nachbarländer und schauen uns an, was wir von ihnen lernen können, um die drängendsten Herausforderungen zu meistern (Seite 6). Ein wichtiger Schwerpunkt ist in der aktuellen Ausgabe die Frage: Wie können Leistungserbringer mit dem steigenden wirtschaftlichen Druck umgehen? Antworten darauf geben unsere Beiträge zu strategischen Zusammenschlüssen von Krankenhäusern (Seite 12), zum Zukunftsmodell medizinisches Versorgungszentrum (Seite 16), zu Strategien gegen den Investitionsstau (Seite 20) und zu innovativen Modellen der Finan- zierung (Seite 24). Aus Sicht der Krankenkassen nehmen wir das strategische Immobilien- Portfoliomanagement in den Fokus und zeigen, wie sie das Potenzial ihres Anlagevermögens besser ausschöpfen können (Seite 44). Des Weiteren hat die Pandemie einen Schub für die Digitalisierung des Gesundheitssystems gebracht. Viele Entwicklungen, die normalerweise Jahre gebraucht hätten, vollziehen sich nun im Zeitraffer. Das eröffnet Chancen, zeigt aber auch die Hürden — regulatorische, finanzielle, technische und menschliche. Wir erläutern, was das für Krankenhäuser (Seite 26) und Krankenkassen bedeutet (Seite 40) und wie die Modernisierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes gestaltet werden kann (Seite 38). Wir blicken in die Zukunft auf die Revolution durch den Mobilfunkstandard 5G — ohne dabei die aktuelle Wirklichkeit aus den Augen zu verlieren (Seite 28). Und in regulatorischer Hinsicht erhalten Sie eine Über- sicht über alle wichtigen Gesetze und Regelungen zur Digitalisierung (Seite 32). Ich hoffe, die Lektüre bietet Ihnen Orientierung und stärkt Ihre Motivation zum Verän derungsimpuls. Wenn Sie Fragen haben, kontaktieren Sie gerne mich, die Autoren und unsere Ansprechpartner (Seite 46). Mit den besten Grüßen Christian Egle Leiter EY Gesundheitswirtschaft Deutschland, Österreich und Schweiz HealthCare Magazin | Winter 2020 3
HealthCare Magazin | Inhalt 16 Der ambulante Markt boomt. Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte und Investoren drängen in diesen Bereich. Doch in dem Spannungsfeld aus Herausforderungen, Chancen und Risiken wird eines immer relevanter: eine zielorientierte strategische Ausrichtung. 20 28 Im Notfall ist schnelles Handeln gefragt. Der Mobilfunkstandard 5G ermöglicht den Austausch enormer Datenmengen in Echtzeit — und bietet das Potenzial für eine Revolution. Doch diese Oftmals wird beim Bau von Krankenhäusern ist noch weit entfernt. Was jetzt zählt, sind inno- unnötig Geld verschenkt. Was dagegen hilft? vative Ideen und Pragmatismus. Eine vorausschauende Planung von Kapazi- täten und Ressourcen — nicht nur im eigenen Haus, sondern auch bei Bauunternehmen, Ämtern und Prüfstellen sowie Wissens- und Entscheidungsträgern. 4 HealthCare Magazin | Winter 2020
HealthCare Winter 2020 32 03 Vorwort Seit 2018, als Jens Spahn Bundes 46 Ansprechpartner minister für Gesundheit wurde, wird die 47 Impressum Digitalisierung des Gesundheitswesens mit Hochdruck vorangetrieben. Nun jagt ein Reformgesetz das nächste. Wir FOCUS geben eine Übersicht. 06 Gesundheitsstandort Deutschland Die drängendsten Herausforderungen und Best-Practice-Strategien europäischer Nachbarn PROVIDER 12 Gemeinsam zu neuer Stärke Wie strategische Zusammenschlüsse die deutsche Krankenhauslandschaft verbessern können 16 Zukunftsmodell MVZ Symbiose von Krankenhäusern, Einzelpraxen und privaten Investoren als neue Chance und Strategien der Zusammenarbeit 20 M ehr Geld allein reicht nicht Um den Investitionsstau aufzulösen, braucht es auch ein ganzheitliches Management der Bauprojekte 40 24 Innovative Modelle der Finanzierung So können Krankenhäuser Factoring, Fundraising Technologischer Fortschritt, regula und Crowdinvesting für Investitionen nutzen torische Reformen, veränderte Erwar- tungen der Versicherten — dadurch steigt der Druck auf Krankenkassen, DIGITAL HEALTH sich zu transformieren. 26 D ie Pandemie als Katalysator Chancen und Grenzen der Digitalisierung in Krankenhäusern 28 Science-Fiction trifft Realität Wie die 5G-Technologie die Notfallversorgung revolutionieren wird — und was bis dahin zu tun ist 32 R eformen zur Digitalisierung des Gesundheitswesens Ein Überblick über neue Gesetze, Regelungen und Fristen 38 Vernetzt, digital — und dennoch individuell und persönlich Warum Investitionen in die IT des öffentlichen Gesundheits dienstes allein nicht reichen PAYER 40 V om Payer zum Player — und irgendwann zum Pacemaker Wie die Digitalisierung im Gesundheitswesen die Rolle Fotos: GettyImages der gesetzlichen Krankenversicherungen verändert 44 Strategisches Portfoliomanagement Wie Krankenkassen das Potenzial ihrer Immobilien besser ausschöpfen HealthCare Magazin | Winter 2020 5
Focus | Gesundheitsstandort Deutschland Gesundheits- standort Deutschland Der Gesundheitsstandort Deutschland zeichnet sich vor allem durch eine hohe medizinische Behandlungsqualität und eine ausgeprägte Versorgungsdichte mit mehr als 1.900 Krankenhäusern aus.1 Hier- durch stellt das deutsche Gesundheitssystem eine funktionierende, umfassende medizinische Versorgung der ca. 83 Millionen Bürger- innen und Bürger sicher. Dass das deutsche Gesundheitssystem so stark ist, hat sich insbe- sondere in der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie gezeigt. Der Ausbruch des Coronavirus stellt weltweit Regierungen, Gesundheits- und Wirtschaftssysteme sowie Bevölkerungen vor ungekannte Herausforderungen. Dank eines stabilen, leistungsfähigen Gesund- heitssystems und der frühzeitigen Maßnahmen seitens der Regie- rung sind die medizinischen Auswirkungen in Deutschland im euro- päischen und internationalen Vergleich bisher moderat gewesen. Selbst Länder in direkter europäischer Nachbarschaft waren und sind mit wesentlich höheren Infektionszahlen, Todesfällen und pha- senweise mit stark überlasteten Versorgungskapazitäten konfron- tiert. Ein Blick auf Deutschland zeigt, dass es bisher ausreichend Intensivkapazitäten gab und medizinisch notwendige Behandlungen jederzeit durchgeführt werden konnten. Trotz stellenweiser Liefer- engpässe, insbesondere bei kritischen Arznei- und Hilfsmitteln, war die Gesundheitsversorgung in Deutschland sichergestellt. 1 Statistisches Bundesamt, „Grunddaten der Krankenhäuser“, 2020 6 HealthCare Magazin | Winter 2020
_Was sind die aktuellen und künftigen Herausforderungen? _Wie lassen sich diese meistern? _Und was können wir dabei von anderen Ländern lernen? Fotos: GettyImages HealthCare Magazin | Winter 2020 7
Focus | Gesundheitsstandort Deutschland Ineffizienzen gegensteuern Darüber hinaus führen ebenjene Maßnahmen Doch auch dieses anscheinend so belastbare zu einer Verstärkung der Grenzen zwischen System steht im Wandel und wird mit vielfälti- ambulanter und stationärer Versorgung. Neue gen Herausforderungen konfrontiert: Gesetze und der Personal- und Fachkräfteman- gel machen einen weiteren Wandel unumgäng- Hier spielen insbesondere gegenläufige Kosten- lich — von der Notwendigkeit der Digitalisierung und Erlösentwicklungen eine Rolle. Im interna- ganz zu schweigen. Und auch die ambulante tionalen Vergleich liegt die Krankenhausdichte Versorgung sieht sich mit zukünftigen Heraus- in Deutschland deutlich über dem Durchschnitt, forderungen konfrontiert — unbesetzte Arzt- sowohl im Bereich der Regel- und Schwerpunkt- sitze, lange Wartezeiten, hohe Investitionsvolu- versorger als auch — gebietsweise — der Maxi- mina für den medizinisch-technischen Fortschritt. malversorger. Dieses flächendeckende Angebot, Die Kostenträger stehen vor allem unter poli- das ein umfassendes Spektrum medizinischer tischem Druck, beispielsweise durch die Gesetz- Leistungen enthält, wird insbesondere in bevöl- gebung rund um die Telematikinfrastruktur kerungsärmeren Gebieten nicht vollumfänglich und durch die Verschiebungen von Heilung zu ausgeschöpft. Die vorgehaltenen Kapazitäten Prävention. und Ressourcen sind daher nur gering ausge- lastet und die Leistungserbringung ist ineffizient. Um das deutsche Gesundheitssystem nicht an Darunter leidet die finanzielle Stabilität. Dies die Grenzen seiner Strukturen zu bringen, ohne ist ein Grund dafür, dass 40 Prozent der Kran- Optimierungspotenziale nutzenstiftend heben kenhäuser Verluste verzeichnen und für rund zu können, bedarf es flankierender Innovatio- ein Zehntel erhöhte Insolvenzgefahr besteht.2 nen und die bestehenden Paradigmen müssen hinterfragt werden. Angesichts der vielfältigen Um die Effizienz zu steigern und Kosten zu Anforderungen und des sich rapide wandeln- reduzieren, will man die Digitalisierung stärker den Marktes ist eine Neuorientierung notwendig. forcieren, die Verweildauern reduzieren und Hierbei kann und müssen sich die Verantwort- mehr auf ambulante Behandlungen setzen. lichen wegweisende Fragen stellen: Diese Maßnahmen treffen jedoch aufgrund lang- fristiger Trends wie etwa der demografischen • Wie kann eine hochqualitative und gleich- Entwicklung auf gegenläufige Anforderungen zeitig ökonomisch sinnvolle Versorgung der bezüglich der Versorgung von Patienten mit Bevölkerung aussehen? Mehrfacherkrankungen. In Kombination mit • Wie müssen Krankenhäuser und Kranken wirtschaftlich instabilen, unzureichend ausge- kassen agieren, um sich innovativ und lasteten und nicht investitionsfähigen Häusern zukunftssicher aufzustellen? treffen somit immer komplexere Krankheits- • Wie können die Rahmenbedingungen der bilder auf immer veraltetere Strukturen — Leistungserbringung effizienter gestaltet zulasten des gesamten Systems: Leistungs- werden? erbringer, Kostenträger und Patienten. • Was können wir von unseren Nachbar- ländern lernen? Investitionsfähigkeit der deutschen Krankenhäuser3 100 50 59 57 59 49 50 13 18 12 13 14 37 29 29 27 32 0 2013 2014 2015 2016 2017 Nicht investitionsfähig Schwach investitionsfähig Voll investitionsfähig Angaben in Prozent 2 Bundesrechnungshof, 2020 3 RWI, Krankenhaus Rating Report 2019 8 HealthCare Magazin | Winter 2020
Best-Practice-Beispiele unserer europäischen Nachbarn Heute schon sinken in Deutschland durch die Krankenhausbetten je 1.000 Einwohner in ausgewählten Ländern4 Verschiebung von Leistungen in den ambulan- ten Markt und stellenweise geringere Versor- Japan 13,1 gungsbedarfe die Fallzahlen kontinuierlich. Der Trend hin zur ambulanten Behandlung wird Russland 8,1 beschleunigt durch die Reform des AOP-Kata- logs mit der Aufnahme weiterer Leistungen, die künftig verpflichtend ambulant erbracht Deutschland 8,0 werden müssen. Sofern diese Entwicklung mit einer sinnvoll gestalteten Leistungskonzen Frankreich 6,0 tration insbesondere schwerer Fälle und ent- sprechenden Vorgaben zu Mindestmengen Schweiz 4,5 einhergeht, kann sie durchaus die Qualität der stationären Patientenversorgung steigern. Reduziert man das Leistungsportfolio in den China 4,3 jeweiligen Fachbereichen, kann sich eine gebündelte Expertise und Routine an insge- Norwegen 3,6 samt weniger Standorten etablieren. Italien 3,2 Bündelung von Expertise — Beispiel Dänemark Wie eine landesweite Bündelung von Expertise Dänemark 2,6 an wenigen Standorten eine Versorgung von ca. 5,8 Millionen Bürgern sichern kann, zeigt ein Vereinigtes 2,5 Blick nach Dänemark — und auch, welche Fol- Königreich gen dies für die Qualität der Gesundheitsversor- gung haben kann. den Erfolg dieser Strategie: Die durchschnitt In einer Region im westlichen Jütland (West- liche Lebenserwartung der Dänen ist von 2005 Dänemark) entsteht derzeit ein Krankenhaus- bis heute um drei Jahre gestiegen, während neubau mit 400 Betten, der ab Anfang 2021 im gleichen Zeitraum die Anzahl der Kranken- fünf Krankenhäuser der Region mit insgesamt hausbetten um 35 Prozent gesunken ist. Darüber 1.000 Betten ersetzen soll. Die Planungen hinaus ist die Zahl der Todesfälle bei Herzer- gehen weit über das Krankenhaus hinaus. Sie krankungen um 25 Prozent und die Wartezeit berücksichtigen auch die Infrastruktur, inklusive für chirurgische Eingriffe um 20 Prozent gesun- Neubau von Autobahnen und Regionalbahn ken. Die Verweildauer nach stationären Ein höfen. Das Gesamtkonzept soll die Versorgung griffen hat sich dabei verkürzt. Und trotz der von 300.000 Einwohnern in einer Region Reduktionen der Kliniken (Bettenkapazitäten, sicherstellen, die doppelt so groß ist wie das Anzahl stationärer Patienten etc.) ist mehr Saarland. Dies ist kein Einzelfall: In ganz ärztliches und pflegerisches Personal angestellt Dänemark soll es langfristig einzelne Super- als zuvor.5 Versorger geben, die hocheffizient modernste Hochleistungsmedizin unter minimalem Auch im Bereich Digitalisierung und Versor- Kosteneinsatz betreiben, um dem enormen gung ländlicher Regionen ist Dänemark ein Vor- Investitionsaufwand gerecht zu werden — und reiter, der die Chance zur Neustrukturierung gleichzeitig die Patientensicherheit und die genutzt hat. Beispielsweise bietet Odense, eine medizinische Versorgungsqualität zu erhöhen. Region mit Krankenhausneubau, eine telemedi- Fotos: GettyImages Erste Analysen und Untersuchungen bestätigen zinische Betreuung Frühgeborener an. 4 OECD, „Health at a Glance 2019“, 2019 5 OECD.Stat, „Health Care Resources“, 2020 HealthCare Magazin | Winter 2020 9
Focus | Gesundheitsstandort Deutschland Hier wird Eltern, die außerhalb von Ballungs heitsinformationen angeschlossen. Dieses gebieten wohnen, eine digitale Betreuung mit- System dient primär dem Abruf und Austausch tels Tablets angeboten. Zweimal wöchentlich von Daten und der Nutzung telemedizinischer spricht eine Krankenschwester per Videotelefonie Dienste. Innerhalb des Netzwerks wird der indi- mit der betroffenen Familie, während Unter viduelle Krankheitsverlauf eines jeden Bürgers suchungswerte wie beispielsweise das Gewicht festgehalten. Theoretisch kann jeder Arzt auf mittels einer digitalen Waage direkt an das die individuellen Patientendaten zugreifen — so- Krankenhaus übertragen werden. fern der Patient dies zulässt. Denn er ist Eigen- tümer seiner Daten und hat die Möglichkeit, Digitalisierung — Beispiel Niederlande Eintragungen für einen gewählten Bereich un- Auch andere Nachbarn im europäischen Aus- zugänglich zu machen. So gewinnt Estland land setzen auf die Digitalisierung im Gesund- eindeutig den Digital-Health-Index7 im Länder- heitswesen: Ein Beispiel ist das Smart Hospital vergleich der Bertelsmann Stiftung.8 im Medical Center Rotterdam. Von der digitalen Terminvergabe bis hin zur telemedizinischen Verbesserung der Versorgungsstrukturen — Nachsorge hat sich das Krankenhaus umfänglich Beispiel Niederlande Ein Best-Practice-Beispiel digital aufgestellt. Dies führt zu einer nachweis- Ein Blick in die Nachbarländer lohnt sich auch, aus den Niederlanden: Lernen Sie das Smart Hospital lich höheren Patientensicherheit, zu geringeren wenn es um die Verbesserung der Versorgungs- im Medical Center in Rotter- Wartezeiten und zu zufriedeneren Patienten.6 strukturen geht, insbesondere um die Verzah- dam im Video kennen. nung ambulanter und stationärer Strukturen. Digitalisierung — Beispiel Estland Während in Deutschland vergleichsweise freie Auch ein Blick nach Estland lohnt sich: Neben Arztwahl herrscht, fungieren in den Nieder dem E-Rezept und der elektronischen Patienten- landen niedergelassene Allgemeinmediziner als akte gehören auch Videosprechstunden und Gatekeeper. Sie sind in einer bedeutenden Ferndiagnosen seit 2012 zum Alltag der Bevöl- Schlüsselposition, da sie erste Anlaufstelle für kerung. Sämtliche Krankenhäuser, Ärzte, Fach- die medizinische Versorgung sind und über den ärzte und Apotheken sind an das etablierte Behandlungsweg der Patienten entscheiden. Netzwerk (ENHIS) zum Austausch von Gesund- Ohne Überweisung des Hausarztes kann keine Vergleich des Digital-Health-Index und der Sub-Indizes zwischen Deutschland und Estland in Prozent der maximal zu erreichenden Punktzahl 88,1 86,1 Digital-Health-Index 81,9 Sub-Indizes: Policy-Aktivität 71,7 Digital Health Readiness Tatsächliche Datennutzung Quelle: Bertelsmann Stiftung 44,2 30,0 30,1 15,8 Deutschland Estland 6 www.ey.com/en_gl/health/as-technology-become-smarter-is-your-hospital-keeping-up 7 Der DHI legt das Augenmerk auf die Strategien, die technische Readiness und die tatsächliche Datennutzung in den einzelnen Ländern (n = 17) und führt anhand von drei entsprechenden Sub-Indizes zu einer Bewertung jedes Landes und einem entsprechen- den Platz im Digital-Health-Ranking: „Policy-Aktivität“: das politisch-strategische Vorgehen der Länder, der gegebene Rechts- rahmen, die institutionelle Verankerung und Zuständigkeiten; „Digital Health Readiness“: die technische Implementierung und der digitale Reifegrad; tatsächliche Datennutzung: der vernetzte Austausch von Gesundheitsdaten 8 Bertelsmann Stiftung, #SmartHealthSystems Digitalisierungsstrategien im internationalen Vergleich, 2018 10 HealthCare Magazin | Winter 2020
fachärztliche Behandlung erfolgen. Letztere Krankenhausversorgung ist nur in Notfällen wird meist im Krankenhaus vorgenommen — möglich. Doch die starren Grenzen zwischen stationär oder ambulant. Davon profitiert der ambulanter und stationärer Versorgung öffnen einzelne Patient, da er einen festen Ansprech- sich mit einer zunehmenden Leistungsver partner hat, genauso wie das gesamte Gesund- schiebung vom stationären in den ambulanten heitssystem, da es nicht zu unabgestimmten Bereich. Zum Beispiel können kleinere Opera Untersuchungen oder redundanten Arztbesu- tionen und spezialisierte Diagnoseverfahren über chen kommt und demzufolge Kosten gespart den GP oder in Tages- und Polikliniken durch werden.9 geführt werden.10 Auch die Finanzierung dieses Systems ist an- ders als in Deutschland: Mit der Krankenver sicherungsreform 2006 wurde ein einheitlicher Krankenversicherungsmarkt eingeführt, der Und in Deutschland? Mit zunehmender Ambulantisierung verkürzen sich auch die über eine Basisversicherung für alle verpflich- Kontaktzeiten zwischen Arzt und Patient. Um eine patien- tend ist und allen das gleiche Versicherungs tenzentrierte Versorgung zu gewährleisten, gilt es, einen niveau bietet. So wird unabhängig von Geschlecht, Informationsaustausch zwischen den einzelnen Sektoren zu Alter oder Einkommen ein Pauschalbeitrag optimieren. Soll in Deutschland eine weitere Leistungsver- gezahlt. schiebung in den ambulanten Sektor mit einer strukturierten, bedarfsgerechten Informationsübermittlung einhergehen, Verbesserung der Versorgungsstrukturen — braucht es die Digitalisierung als treibenden Faktor im Ge- Beispiel Großbritannien sundheitssystem. Ein möglicher Hebel ist die Einführung der Eine ähnliche Versorgungsstruktur wie das elektronischen Patientenakte (ePA), die perspektivisch niederländische System gibt es in Großbritan- die einfache Übermittlung von Informationen zwischen Leis- nien durch den National Health Service (NHS). tungserbringern entlang der gesamten Patientenreise er- Das staatlich finanzierte Gesundheitssystem möglicht. Dabei steht eine sichere, vertrauensvolle und nut- unterteilt die medizinische Versorgung in zerfreundliche digitale Kommunikation im Vordergrund. primäre (Hausarzt) und sekundäre Bereiche Ab 1. Januar 2021 müssen gesetzliche Krankenversiche- (Krankenhaus). Auch ist der Allgemeinmedi rungen ihren Versicherten eine ePA bereitstellen. Dies stellt ziner (General Practitioner [GP]) in einer nicht nur Krankenversicherungen vor große Herausforde- Schlüsselposition (Gatekeeper): Die Bürger rungen, sondern auch niedergelassene Ärzte, Krankenhäu- können ihren GP zwar frei wählen, dies bedarf ser und Apotheken.11 jedoch der Zustimmung des jeweiligen GP. Ein direkter Zugang zu Krankenhausleistungen, Das deutsche Gesundheitssystem ist nach wie vor eines ob ambulant-fachärztlich oder stationär, setzt der leistungsstärksten weltweit. Damit dies jedoch so bleibt, eine Überweisung des GP voraus. Eine direkte lohnt ein Blick ins Ausland. Insbesondere unsere europäi- schen Nachbarländer zeigen Ansätze, die aufgrund ähnlicher Bevölkerungsstrukturen, ähnlicher infrastruktureller Vor- aussetzungen, ähnlicher gesellschaftlicher Orientierung und ähnlichem medizinischen Wissensstand zumindest in Grundzügen auf das deutsche Gesundheitssystem über- Autorinnen tragbar sind. Bei allen internationalen Vergleichen müssen Lisa Mezger jedoch stets Besonderheiten und die Gegebenheiten vor lisa.mezger@parthenon.ey.com Ort berücksichtigt werden, insbesondere die solidarisch Eva-Lotta Hinzpeter aufgebaute Versorgungsversicherung, die duale Finanzie- eva-lotta.hinzpeter@parthenon.ey.com rung oder der Digitalisierungsstand in Deutschland. Sarah Putzke sarah.putzke@parthenon.ey.com Fotos: GettyImages 9 S chölkopf, Martin, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich: Gesundheitssystemvergleich und die europäische Gesundheitspolitik, MWV 10 www.nhs.uk 11 Bundesministerium für Gesundheit, 2019 HealthCare Magazin | Winter 2020 11
12 HealthCare Magazin | Winter 2020
Provider | Mergers & Akquisitions Gemeinsam zu neuer Stärke Wie strategische Zusammenschlüsse die deutsche Krankenhauslandschaft verbessern können Seit Jahren schreitet die Konsolidierung der die nötige infrastrukturelle Ausstattung, die deutschen Krankenhauslandschaft voran — personellen Kapazitäten und die Erfahrung, um durch Betriebsschließungen und Fusionen bzw. Patienten bei allen Krankheitsbildern best Übernahmen. Diese Entwicklung resultiert möglich zu behandeln.12 Allgemeine volkswirt- aus dem stetig steigenden politischen und wirt- schaftliche Leistungsindikatoren wie das schaftlichen Druck auf die Krankenhäuser. Laut Verhältnis von medizinischem Personal zur Statistik des Bundesrechnungshofs waren im Gesamtbevölkerung und die Pro-Kopf-Ausgaben September 2020 rund 40 Prozent der Kranken- für medizinische Versorgung sind in Deutsch- häuser defizitär und rund 10 Prozent insolvenz- land zwar im internationalen Vergleich auf einem gefährdet. hohen Niveau; gleichzeitig ist jedoch die Be- treuungsquote in den Krankenhäusern ver- Doch Konsolidierung muss per se nicht negativ gleichsweise niedrig und die Anzahl vermeid- sein. Schließlich lassen sich so auch Kräfte barer Sterbefälle hoch.13 Die Zusammenlegung bündeln, was nicht nur wirtschaftliche, sondern von Kapazitäten kann hier Synergiepoten- Fotos: GettyImages auch qualitative Potenziale birgt. Denn eine ziale und Effizienzen heben und die Qualität der Vielzahl der Krankenhäuser verfügt nicht über deutschen Krankenhauslandschaft stärken. 12 Bertelsmann Stiftung, „Zukunftsfähige Krankenhausversorgung“, 2019 13 Barmer, „Barmer Krankenhausreport 2020“, 2020 HealthCare Magazin | Winter 2020 13
Provider | Mergers & Akquisitions Die Trends der Branche begünstigen die Entwicklung der deutschen Konsolidierung Krankenhauslandschaft 1991–201814 Der wirtschaftliche Druck, Ineffizienzen in den Krankenhäuser organisatorischen und prozessualen Strukturen 1800 1900 2000 2100 2200 2300 zu beseitigen, ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Die Betriebskostenfinanzierung 1991 ist seit der Einführung des wettbewerbsorien- 1992 tierten DRG-Systems (Diagnosis Related Groups) deutlich enger kalkuliert. In der Investitions- 1993 kostenfinanzierung besteht eine große Lücke. Die Bundesregierung hat bereits im Jahr 2016 1994 den Krankenhausstrukturfonds aufgesetzt, 1995 der den Abbau von Überkapazitäten, die Konzen- tration stationärer Versorgungsangebote und 1996 die Umwandlung von Krankenhäusern in nicht Durch den Trend hin zur 1997 Ambulantisierung und den akutstationäre Versorgungseinrichtungen medizinisch-technischen fördert. Durch den Trend hin zur Ambulantisie- 1998 Fortschritt sinkt bereits rung und den medizinisch-technischen Fort- heute das stationäre Fallauf- 1999 schritt sinkt bereits heute das stationäre Fall- kommen, die Verweildauer ist kürzer und der Kapazitäts- aufkommen, die Verweildauer ist kürzer und 2000 bedarf verschiebt sich. der Kapazitätsbedarf verschiebt sich. 2001 Vorteile für Wirtschaftlichkeit, regionale 2002 Versorgung und medizinische Qualität Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind Fusionen 2003 und Übernahmen in vielerlei Hinsicht attraktiv: Das Leistungsangebot lässt sich verbessern, 2004 das Know-how erweitern und Synergie- und 2005 Skaleneffekte lassen sich heben. Mit steigender Unternehmensgröße kann die bestehende 2006 Infrastruktur effizienter genutzt, Aufgaben in 2007 den Sekundär- und Tertiärbereichen zentra lisiert, ein Personalpooling aufgebaut und die 2008 Bereiche Verwaltung und Einkauf verschlankt werden. 2009 2010 Einen strategischen Zusammenschluss streben typischerweise jene Krankenhäuser an, die 2011 das Leistungsangebot horizontal und/oder ver- 2012 tikal erweitern wollen. Doppelvorhaltungen sind dabei in der Regel nicht nötig. Im Zuge der 2013 Zusammenlegung sollte die Medizinstrategie auf heutige Standards (z. B. Interdisziplinarität 2014 in Zentrenstrukturen) und im Hinblick auf 2015 den Versorgungsbedarf an die Gegebenheiten des Marktes angepasst werden. So lassen 2016 sich mit der Neuaufstellung deutliche Vorteile 2017 hinsichtlich medizinischer Qualität, regionaler Versorgung und Wirtschaftlichkeit erzielen. 2018 0 500.000 1.000.000 Aufgestellte Betten 14 Statistisches Bundesamt, „Krankenhäuser — Einrichtungen, Betten und Patientenbewegung“, 2020 14 HealthCare Magazin | Winter 2020
Die Risiken von Fusionen werden häufig Fazit unterschätzt In den kommenden Jahren dürfte sich der Kon- Die Praxis zeigt jedoch, dass Zusammenschlüsse solidierungsprozess deutscher Krankenhäuser und Übernahmen nicht immer zum gewünsch- fortsetzen. Die Branchentrends und politischen ten Ziel führen. Die erwarteten Synergien und Beschlüsse befeuern den Abbau des Angebots- Effizienzen werden häufig über- und die Kom- überhangs. Strategische Vorüberlegungen, plexität, die mit der Unternehmensgröße zu- kalkulatorische Analysen und eine fundierte, nimmt, unterschätzt. Die Herausforderungen nachfrageorientierte Medizinstrategie sind da- sind vielfältig. Das fängt damit an, dass IT-Sys- bei wesentlich für den Umsetzungserfolg. teme und das Berichtswesen vereinheitlich Ein strategischer Zusammenschluss kann die werden müssen. Des Weiteren sollten die Mitar- Güte der Häuser in Bezug auf Wirtschaftlich- beiter in den Prozess des Zusammenwachsens keit, regionale Versorgung und medizinische eingebunden werden. Und schließlich müssen Qualität erhöhen. Voraussetzung dafür bleiben auch die Unternehmenskulturen angeglichen ein umfassendes Integrationskonzept und werden. Um das Potenzial eines Bündnisses dessen konsequente Umsetzung. richtig einschätzen und mögliche Risiken früh- zeitig erkennen zu können, braucht es vor allem eines: eine gute Planung, die medizin Autor Autor strategische, finanzwirtschaftliche, strukturelle, Marvin Marvin Wedemeyer Wedemeyer personelle und unternehmenskulturelle Aspekte marvin.d.wedemeyer@parthenon.ey.com marvin.d.wedemeyer@parthenon.ey.com berücksichtigt. Fotos: GettyImages HealthCare Magazin | Winter 2020 15
Provider | MVZ 16 HealthCare Magazin | Winter 2020
Zukunfts- modell MVZ Symbiose von Krankenhäusern, Einzelpraxen und privaten Investoren als neue Chance und Strategien der Zusammenarbeit Der ambulante Markt erfährt im deutschen Gesundheitswesen einen regel- rechten Boom: Krankenhäuser drängen immer weiter in diesen Bereich — nicht nur weil sie wollen, sondern auch weil sie aus finanziellen Gründen müssen. Parallel dazu sind die klassischen ambulanten Leistungserbringer, die Ärzte in den Praxen, mit Versorgungsengpässen konfrontiert. Private Investoren gewinnen immer mehr Interesse und investieren in den sich langsam öffnenden Markt. Traditionelle Versorgungskonzepte passen nicht mehr zu den gestiege- nen Anforderungen im Gesundheitswesen. Im Zentrum steht die Frage, wie sich die ambulante Versorgung künftig besser aufstellen kann. Was sind Konzepte für eine stabile Gesundheitsversorgung im ambulanten Markt? Wie sieht das medizinische Versorgungszentrum (MVZ) der Zukunft aus? Trend: mehr ambulant als stationär Krankenhäuser stehen derzeit unter Druck, stationäre Fälle in die ambulante Versorgung zu verschieben, wo Erlöse dringend benötigt werden. Anderer- seits fehlen diese Erlöse dann wieder im stationären Bereich. Daher ist eine neue strategische Ausrichtung im Hinblick auf das Leistungsportfolio der Krankenhäuser unabdingbar. Dafür haben Krankenhäuser im vorherrschenden System bekannterweise nicht viele Möglichkeiten. Ambulantes Operieren ist dabei eine Option, die sich zumindest in der Leistungserbringung relativ schnell umsetzen lässt. Sie ist aber erst dann sinnvoll, wenn die Strukturen im Krankenhaus auch auf ein am- bulantes Setting ausgerichtet sind. Ermächtigungen für Ärzte im Krankenhaus sind wiederum genehmigungsbedürftig und kommen nur in seltenen Fällen, beispielsweise bei einer regionalen Unterversorgung, zum Tragen. Ein weiterer Zugang zum ambulanten Markt ist die Gründung eines MVZ. Nach der aktuellen Rechtsprechung können auch Krankenhäuser ein MVZ gründen — sofern ein entsprechender Kassensitz frei ist. Krankenhäuser können dort Fotos: GettyImages Ärzte einsetzen und leistungsabhängig vergüten, das unternehmerische Risiko und der administrative Aufwand verbleiben beim Krankenhaus. Der Vorteil des Krankenhauses liegt dabei auf der Hand: Durch einen Zugang zum ambulanten Markt kann es zusätzliche Patienten gewinnen und dort versorgen, wo die Leistungen auch entsprechend vergütet werden. HealthCare Magazin | Winter 2020 17
Provider | MVZ Öffnung des Marktes steigert Einzelpraxen: Erzielen von Skaleneffekten Investoreninteresse durch Anschluss an eine Gruppe Um den Trend hin zur ambulanten Versorgung Die Einzelpraxen sind mit steigendem Kosten- zu unterstützen, wurde der bis dato stark regu- druck (zum Beispiel für Material, Personal lierte medizinische Markt in den letzten Jahren und Verwaltungskosten) und zunehmendem durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz Administrationsaufwand konfrontiert, dem vor- 2004, das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz nehmlich durch Skaleneffekte entgegengewirkt 2015 und das Terminservice- und Versorgungs- werden kann. Bei einer nahezu gleich bleiben- gesetz (TSVG) 2019 geöffnet, wodurch MVZ- den Erstattungsstruktur (GOP, GOÄ/GOZ und Strukturen als Kooperationsplattformen ent- EBM) gilt es insbesondere für Einzelpraxen, standen sind. Einhergehend mit der Öffnung des Kosten zu minimieren. Durch eine Angliede- Gesundheitsmarktes ist auch das Interesse rung an eine Unternehmensgruppe könnten sie privater Investoren daran stetig gestiegen. Denn am Skalierungspotenzial partizipieren und der stark diversifizierte Markt mit mehrheitlich kurzfristig Einsparungen erzielen. Die Poten inhabergeführten Praxen oder MVZ bietet ein ziale lassen sich in drei Kategorien einteilen: hohes Konsolidierungspotenzial. Mittlerweile haben sich verschiedene Investoren am Markt • Flexibilisierungspotenzial platziert und bauen im Zuge einer Buy-and-Build- Größere Unternehmensgruppen ermöglichen Strategie ihr Portfolio kontinuierlich aus. häufig flexiblere Arbeitszeitmodelle. Hiervon profitieren insbesondere Praxen in ländlichen Dabei erwerben Privatinvestoren zunächst Räumen. Eine Flexibilisierung der Arbeitszeit Trägerorganisationen (vornehmlich Plan-Kran- und das Angebot von Teilzeitbeschäftigung kenhäuser) und bauen sie durch den Ankauf tragen zu einer besseren Vereinbarkeit von von Einzel- und Gemeinschaftspraxen zu einer Familie und Beruf bei und kommen somit dem Unternehmensgruppe auf. Dies soll nicht nur Wunsch jüngerer Ärzte und Ärztinnen ent dem wirtschaftlichen Wachstum dienen, son- gegen, ihren Beruf in Anstellung auszuüben dern Ziel ist es auch, Fachkompetenzen auszu- (siehe Infokasten). Gleichzeitig bietet dies den bauen, die Versorgung — vor allem in ländlichen Praxen die Möglichkeit, verlängerte Öffnungs- Regionen — sicherzustellen und dem Praxis zeiten anzubieten und somit das Kunden sterben entgegenzuwirken. Außerdem sollen segment der Berufstätigen (Höherverdiener) Praxen in kaufmännischen, administrativen anzusprechen. und regulatorischen Themen beraten werden. 18 HealthCare Magazin | Winter 2020
Die eigene Praxis verliert an Reiz • Optimierungspotenzial Der Zusammenschluss zu größeren Unternehmens- Die Anforderungen steigen nicht nur im gruppen bietet auch für Ärzte ein zunehmend attraktives medizinischen Bereich, sondern auch in der Arbeitsumfeld, da es eine größere finanzielle Sicherheit Verwaltung. Skaleneffekte lassen sich und flexiblere Arbeitszeitmodelle ermöglicht: durch Optimierungen in den Bereichen Ein- kauf, IT, Administration und Abrechnungs- Denn vor allem junge Ärzte stehen dem Risiko der wesen erzielen, insbesondere mit Blick auf Selbstständigkeit skeptisch gegenüber. Sie präferieren die Digitalisierung verschiedener Prozesse eine feste Anstellung. Niedergelassene Ärzte wollen (digitale Abrechnung, Online-Gesundheits- keine großen Belastungen für einen eigenen Praxisbe- akte, computergestützte Diagnostik). Denn trieb auf sich nehmen und bevorzugen ein relativ fixes der Patient muss stets im Mittelpunkt stehen, Gehalt. Immerhin hat sich das Finanzierungsvolumen auch wenn die Verwaltungsaufgaben zuneh- bei einer Praxisneugründung von 2008 bis 2017 men. Daher sind digitalisierte Prozesse zur von 396.000 Euro auf 504.000 Euro erhöht, bei Pra- Unterstützung der Ärzte dringend notwendig. xisübernahmen von 280.000 Euro auf 367.000 Euro.15 Zudem ist ein strukturiertes und professio- Für bestehende Praxisinhaber wird es daher immer nalisiertes Qualitätsmanagement gefordert, schwieriger, eine nachhaltige Nachfolgeregelung zu dessen Umsetzung nur durch Innovationen finden und den Praxissitz zu verkaufen. gestärkt werden kann. Einschlägige Studien wie auch Expertenstimmen aus • Spezialisierungspotenzial dem Markt belegen, dass die Freiberuflichkeit immer Spezialisierung ist ein bedeutender Erfolgs- unattraktiver wird — in allen medizinischen Bereichen. faktor. Im Vordergrund stehen dabei neben Unter 200 befragten Humanmedizinern gehen 53 Pro- dem unternehmensübergreifenden Wissens- zent davon aus, dass es immer weniger freiberuflich austausch die Digitalisierung und Professiona tätige Ärzte geben wird. Denn neben dem bürokrati- lisierung der Praxen. Im Zuge der voranschrei- schen Aufwand, dem finanziellen Risiko und der unter- tenden Verschmelzung von ambulanten und nehmerischen Verantwortung empfinden viele auch stationären Angeboten können und müssen die Arbeitsbelastung als zu hoch. Der Wunsch wächst, MVZ wie auch Krankenhäuser durch eine klare mehr Zeit für die Familie zu haben, weshalb Teilzeit- Arbeitsteilung dem erhöhten Innovations- und modelle für junge Ärzte immer relevanter werden.16 Optimierungsdruck begegnen. Und die Praxen Frauen wünschen sich eine Teilzeitbeschäftigung von müssen medizinisch wie auch technisch auf idealerweise 32 Stunden pro Woche. Heute sind es in den neuesten Stand der Behandlungsanforde- der Regel noch 36,3 Stunden pro Woche.17 rungen gebracht werden. Zielorientierte strategische Ausrichtung Autoren In diesem Spannungsfeld von Herausforderun- gen, Chancen und Risiken wird eine für alle Sandra Krusch Parteien abgestimmte, zielorientierte strategi- sandra.krusch@de.ey.com sche Ausrichtung immer relevanter. Neben Susanne Dangir fundierten Bewertungen der anvisierten Inves- susanne.dangir@de.ey.com titionsobjekte — sowohl für Krankenhäuser Christoph Blattner als auch für private Investoren — bedarf es einer christoph.blattner@de.ey.com medizinstrategisch durchdachten Ausrichtung Rebekka Reckel im Leistungsangebot. Dabei sind neben dem rebekka.reckel@parthenon.ey.com Leistungsportfolio der Fachrichtungen auch die Ergänzungen entlang der Wertschöpfungskette, Juliane Mack beispielsweise in den Bereichen Rehabilitation juliane.mack@de.ey.com oder Medizinprodukte, zu bewerten, um die Lisa Mezger möglichen Wettbewerbsvorteile umfassend zu lisa.mezger@parthenon.ey.com nutzen. Fotos: GettyImages 15 KZBV Jahrbuch 2019 16apoView I/17 „Zukunftsbild Heilberufe 2030“; KZBV Jahrbuch 2018; Apo Bank, „Generationswechsel in den Heilberufen“, 2020 17 apoView I/17 „Zukunftsbild Heilberufe 2030“ HealthCare Magazin | Winter 2020 19
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Provider | Immobilien Mehr Geld allein reicht nicht Um den Investitionsstau in Krankenhausgebäuden aufzulösen, braucht es auch ein ganzheitliches 30 Management der Bauprojekte 30 Milliarden Euro — auf diese stattliche Summe man das Personal aufstocken, jedoch braucht beziffert sich insgesamt der Investitionsstau es oft auch mehrere Anläufe, um Stellen quali- in den Bundesländern für Krankenhäuser. Das fiziert zu besetzen. Solange kein branchen- geht aus der fortgeschriebenen Bestandsauf- fremdes Personal akquiriert wird, stehen die nahme zur Krankenhausplanung und Investi Krankenhäuser hier untereinander im Wett- tionsfinanzierung der Deutschen Krankenhaus- kampf um die besten Fachleute. gesellschaft (DKG), Stand Dezember 2019, hervor. Der Betrag klingt enorm. Dem gegen- Der nächste Engpass zeigt sich dann meist in über stehen mehr als 1.000 aktuelle Bauprojekte der Zuarbeit aus Zentralabteilungen und dem 30 Milliarden Euro — auf diese an deutschen Krankenhäusern, die ein Budget Medizinbetrieb: Um ein Krankenhausprojekt stattliche Summe beziffert in vergleichbarer Größenordnung haben dürften. erfolgreich umzusetzen, müssen viele ihre sich insgesamt der Investi- tionsstau in den Bundeslän- Es wird also gebaut, nur eben gemessen am Expertise und Zeit einfließen lassen, um Pla- dern für Krankenhäuser. Bedarf nicht genug. nungsgrundlagen zur Verfügung zu stellen bzw. die erarbeitete Planung zu prüfen. Dies Die Ressourcen wirken limitierend betrifft unter anderem die Geschäftsführung Die Bereitstellung der finanziellen Mittel ist und den Vorstand, Medizinstrategen, Chef- jedoch nur eine Seite der Medaille. Auf der an- ärzte, Pflegeexperten, Logistiker, Einkäufer, deren Seite stehen die personellen Ressourcen. die Buchhaltung und die IT. Sie alle müssen die- Wir haben in den letzten Jahren beobachten sen Zeitaufwand zusätzlich zum Tagesgeschäft können, dass die Ressourcen im Baugewerbe erbringen, was häufig bei der Kapazitätspla- limitiert sind. Dies zeigt sich darin, dass in zahl- nung der Fachabteilungen nicht oder nicht hin- losen Vergabeverfahren Bauunternehmen reichend berücksichtigt wird. keine oder preislich überzogene Angebote ab- gegeben haben. In der Folge mussten Ausschrei- Nicht zuletzt haben wir zahlreiche Projekte bungen wiederholt, Terminpläne gestreckt und gesehen, die mit mangelnden Ressourcen Budgets erhöht werden. Allein die Baupreis in Prüfinstanzen bei Kommunen und Ländern steigerung kann ein lang laufendes Millionen zu kämpfen hatten, sodass die Freigaben projekt in Schieflage bringen, denn seit 2015 zum Fortführen der Projekte nicht in der vor ist der Baupreisindex um mehr als 18 Prozent ge- gesehenen Frist vorlagen und sich die Projekte stiegen. verzögerten. Fotos: GettyImages Ebenso wie die Ressourcen im Baugewerbe Alles in allem erscheint es daher kaum mög- sind die Kapazitäten der Bau- und Facility- lich, mit den gegenwärtig vorhandenen Ressour- Management-Abteilungen der Krankenhäuser cen und Strukturen aller Projektbeteiligten begrenzt und wären oft nicht in der Lage, ein größeres Investitionsvolumen umzusetzen. mehr Projekte umzusetzen. Natürlich könnte HealthCare Magazin | Winter 2020 21
Provider | Immobilien Ressourcen- und Stakeholder-Management Ein Beispiel: Ein Projekt ist mit 100 Millionen Im Umgang mit den Ressourcen liegen Risiken Euro Baukosten budgetiert und es wird mit und Chancen zugleich. Ressourcen- und Stake- einer Baupreissteigerung von 3 Prozent p. a. holder-Management sind hier die Schlüssel für gerechnet. Ausgehend von einer zweijährigen eine erfolgreiche Projektumsetzung und damit Planungszeit und einer 2,5-jährigen Bauzeit ein wesentlicher Faktor, um die Infrastruktur kostet dann jeder Monat Verzögerung, beispiels- im Gesundheitswesen zu sichern und adäquat weise durch einen späteren Baustart, allein weiterzuentwickeln. Kosten und Fertigstel- aus der Baupreissteigerung rund eine Viertel- lungstermin hängen zu einem Großteil davon million Euro. Das heißt, nach vier Monaten Pro- ab, wie gut die Projektbeteiligten und die jektverzögerung haben sich in diesem Beispiel Stakeholder zusammenarbeiten. bereits eine Million Euro Mehrkosten aufsum- miert — ohne dass man dafür mehr bekäme. Weitere Konsequenzen ergeben sich aus der verspäteten Betriebsaufnahme, obsoleten Ver- tragsterminen, laufenden Projektkosten etc. Vier Monate sind schnell verloren, wenn wiederholt Änderungen zu berücksichtigen und einzuarbeiten sind, sich Gremienläufe ver zögern oder Ehrenrunden vor finalen Freigaben zu absolvieren sind. Häufig wird auch vergessen, Feiertage, Brücken- tage und die Weihnachtszeit zu berücksichti- gen. In Bayern und Baden-Württemberg kommt man hier schnell auf 20 Arbeitstage. Insofern hat das Jahr nur elf statt zwölf wirklich zur Ver- fügung stehende Monate — unter Berücksichti- gung von Urlaubszeiten sogar nur zehn. Es gilt, sich dessen bewusst zu sein, um diese nicht nutzbare Zeit weitgehend zu kompensieren und auszugleichen. Kommt es zu Verzögerungen und wird mit Pro- jektänderungen unstrukturiert umgegangen, kommt es zu Fehlentwicklungen im Bestand, die bis zu einer drohenden Schließung führen können. Wie zuvor ausgeführt, reicht es für Bauherren und Auftraggeber nicht aus, die eigenen Res- sourcen im Blick zu haben. Kapazitäten müssen sie sich auch im direkten und indirekten Projekt- umfeld sichern, also bei Planern, Projektsteue- rern, bei Wissens- und Entscheidungsträgern im eigenen Haus sowie bei zustimmungspflich- tigen Stakeholdern. Es gilt, den Projektterminplan mit den Sitzungs- terminen der Gremien abzugleichen und zu synchronisieren. So lässt sich beispielsweise ver- meiden, dass Projektfreigaben in eine sitzungs- freie Periode fallen oder Entscheidungsvorläufe nicht adäquat berücksichtigt sind. Mit Ämtern 22 HealthCare Magazin | Winter 2020
und Prüfstellen sollte frühzeitig und fortlaufend hierbei auch die wesentlichen Großgeräte mit kommuniziert werden, wann große Prüfungen erfasst, bietet dies auch eine gute Grundlage wie der Hauptbauantrag übergeben werden für die Neubauüberlegungen. sollen, um Prüfkapazitäten so weit wie möglich auf das eigene Projekt zu lenken. Fazit Der Investitionsstau in deutschen Kranken Ab Projektstart empfiehlt sich daher ein umfas- häusern ist allein über finanzielle Mittel nicht sendes Projektmanagement, das neben Kosten, auflösbar. Ein größerer Hebel liegt in einem Terminen und Projektumfang auch die Kommu- verbesserten, ganzheitlichen Management der nikation und das Management von Stakehol- Bauprojekte. Wenn es gelingt, die Stakeholder dern, Risiken und Ressourcen aktiv vorantreibt. auf das Projekt einzuschwören, Schnittstellen sauber zu bedienen und Ressourcen sinnvoll Sinnvoller Umgang mit dem Bestand und zielorientiert einzusetzen, könnten viele Die Entscheidung, kein Geld mehr in die alte Millionen Euro gespart und in weitere Projekte Bausubstanz zu pumpen, wenn ein Neubau investiert werden. Zeitgemäße Planungs- und ansteht, liegt für viele nahe. Doch häufig wird Kollaborationsmethoden und Tools wie BIM dabei vergessen, dass einem dringend benötig- sowie Projektkommunikations- und Projekt- ten Neubau bereits ein Investitionsstau im Alt- managementplattformen helfen hierbei. bau vorangeht und ein größeres Neubauprojekt von der ersten Idee bis zur Betriebsaufnahme Nur weil neu gebaut wird, darf der Bestand rund fünf Jahre in Anspruch nimmt. In diesem nicht vernachlässigt werden. Verschiebungen Zeitraum können moderate Instandhaltungs- im Bauprojekt müssen immer ein Anstoß oder Instandsetzungsmaßnahmen durchaus dafür sein, die Entscheidungen bezüglich des erforderlich und angezeigt sein. Bestands zu überprüfen. Um hier sinnvolle Entscheidungen zu treffen, lohnt sich eine Gebäudeanalyse, die beispiels- Autoren Fotos: GettyImages weise in einem kurzen Steckbrief abgebildet werden kann. So lässt sich bei Veränderungen Katrin Thies im Bauprojekt leicht nachvollziehen, ob die katrin.thies@de.ey.com Entscheidungen hinsichtlich der Maßnahmen im Fabian Schuster Bestand ebenfalls anzupassen sind. Werden fabian.schuster@de.ey.com HealthCare Magazin | Winter 2020 23
Provider | Finanzierung Innovative Modelle der Finanzierung So können Krankenhäuser Factoring, Fundraising und Crowdinvesting für Investitionen nutzen Jahr für Jahr müssen die Leistungserbringer im deutschen Unter Factoring versteht man den fortlaufenden Verkauf Krankenhauswesen mit Ernüchterung feststellen, dass der kurzfristiger Forderungen an einen Factor bzw. eine Facto- Investitionsbedarf um ein Vielfaches höher liegt als die zur ring-Gesellschaft. In diesem Zuge werden die Debitoren- Verfügung stehenden Mittel. Diese Situation hat sich über buchhaltung, die Einziehung der Forderungen und das Mahn- die letzten 30 Jahre sukzessive verschärft und zu einem In- wesen ausgelagert. Infrage kommen hier beispielsweise vestitionstau in zweistelliger Milliardenhöhe geführt. Der Forderungen aus Dienstleistungen gegenüber den Patienten Grund für diese Problematik liegt primär in der Systematik beziehungsweise deren Krankenkassen. Dieses Vorgehen der Krankenhausfinanzierung. Die duale Krankenhausfinan- zielt darauf ab, die Dienstleistungen, deren Abrechnung zierung sieht vor, dass die laufenden Betriebskosten der aufgrund der gegebenen Zahlungsziele zu kurzfristig fälligen Krankenhäuser über die Benutzerentgelte finanziert werden. Forderungen führt, gegenüber den Kostenträgern geltend Die Übernahme der Investitionskosten der Krankenhäuser zu machen. Der wesentliche Vorteil des Factorings für das ist hingegen nach § 9 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes Krankenhaus besteht darin, dass es zügig Liquidität und (KHG) originäre Aufgabe der Länder. Die Investitionsförde- damit verbunden Planungssicherheit erhält. Es muss nicht rung durch die Länder ist seit 1993 tendenziell rückläufig den Ablauf des Zahlungsziels oder ggf. Zahlungsverzöge- und betrug 2017 rund 2,76 Milliarden Euro. Der tatsächliche rungen durch die Kostenträger abwarten, sondern erhält Investitionsbedarf zur Instandhaltung und zum Ausbau be- sofort den angepassten Gegenwert der fakturierten Leis- stehender Strukturen wird auf jährlich rund 6 Milliarden tungen, abzüglich eines vereinbarten Einbehalts. Sobald die Euro beziffert. Und die Schere zwischen dem Investitions Krankenkassen die offenen Forderungen beglichen haben, bedarf und der Investitionsförderung wird sich noch weiter zahlt die Factoring-Gesellschaft den Restbetrag abzüglich öffnen. Da zudem die Innenfinanzierungskraft der Kranken- der Gebühren an das Krankenhaus zurück. häuser meist schwach ist, müssen sie alternative Finan zierungsquellen erschließen, um weiteres Fremdkapital zu Unter Fundraising fallen alle Einnahmen, die eine gemein- beschaffen. nützige Organisation bzw. ein Krankenhaus außerhalb der Regelfinanzierung erwirbt. Hierbei handelt es sich insbeson- Finanzspritzen für den kurz- bis mittelfristigen Bedarf dere um Spenden, Zustiftungen und Sponsoringgelder. Die In diesem Zusammenhang rücken neben den klassischen Personen und Institutionen, die hinter den Spenden stehen, Optionen der Finanzbedarfsdeckung (Eigenkapital, Träger- sind meist sehr vielfältig und mit dem Krankenhaus regional zuschüsse, Bankdarlehen, Cashpooling etc.) vermehrt verbunden. Damit die Spender erreicht werden, ist ein ad- die bereits in anderen Branchen etablierten Instrumente ressatengerechtes Fundraising, beispielsweise über „Capital Factoring, Fundraising oder Crowdinvesting in den Vorder- Campaign“ (Spenden für bestimmte Projekte), zwingend grund. Diese Optionen können als ergänzende Finanzierungs- erforderlich. Die generierten Spendengelder können frei quellen betrachtet werden und dienen primär der Deckung eingesetzt werden und eignen sich für Anschubfinanzierun- des kurz- bis mittelfristigen Finanzbedarfs. gen, Innovationen und Verbesserungen, die noch nicht 24 HealthCare Magazin | Winter 2020
vollständig von den Ländern bzw. Kostenträgern finanziert werden. In der Praxis betreiben bereits über 60 Prozent aller Krankenhäuser in Deutschland ein aktives Fundraising und messen dieser Thematik einen derart hohen Stellwert bei, dass das Fundraising oftmals organisatorisch eigenstän- dig und nahe der Geschäftsführung angesiedelt ist. Beim Crowdinvesting werden beispielsweise über ein Online-Portal verhältnismäßig kleine Einzelbeträge von „ zahlreichen „Unterstützern“ (sogenannte Crowd) für bestimmte Innovationen und Geschäftsideen gesammelt, wobei die gesammelten Beträge an eine Renditeerwartung der Crowd geknüpft sind. Die Geschäftsideen, die mit Crowdinvesting gefördert werden sollen, stammen meist aus Erfahrungen der täglichen Praxis der Anwender. Aufgrund einer intensiven Beziehung zwischen Kapitalge- Der tatsächliche bern und -nehmern kann Crowdinvesting für Innovationen Investitionsbedarf zur begeistern und sie umsetzen helfen. Insbesondere die Gesundheitswirtschaft ist ein Wachstumsmarkt mit hohem Instandhaltung und Innovationspotenzial, das Investoren anzieht und Innova zum Ausbau bestehender tionstreibern beste Chancen verspricht. Strukturen wird auf Die Bundesregierung hat zwar im Zuge der COVID-19- Pandemie erkannt, wie notwendig zusätzliche Investitionen jährlich rund 6 Milliarden in die Krankenhausstruktur sind, und versucht, diese mit Euro beziffert. neuen, temporären Finanzspritzen (u. a. Krankenhauszu- kunftsgesetz) zu ermöglichen; dennoch bleibt die strukturelle Fotos: GettyImages Unterfinanzierung im Geltungsbereich des Krankenhaus finanzierungsgesetzes bestehen. Daher ist damit zu rechnen, dass sich die Bandbreite geeigneter Finanzierungsalter nativen wie Factoring, Fundraising oder Crowdfunding ver- größern wird. Autor Patrick Buß patrick.buss@parthenon.ey.com HealthCare Magazin | Winter 2020 25
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