Magazin HealthCareAUSGABE WINTER 2020 - Gesundheits-standort Deutschland - EY

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Magazin HealthCareAUSGABE WINTER 2020 - Gesundheits-standort Deutschland - EY
HealthCare
               AUSGABE WINTER 2020

Magazin

Gesundheits-
standort
Deutschland
Magazin HealthCareAUSGABE WINTER 2020 - Gesundheits-standort Deutschland - EY
xxxxx | xxxxx

                  83 Mio. 1.900
                   Bürgerinnen und Bürger                                 Krankenhäuser
                   Dass das deutsche Gesundheitssystem so stark ist, hat sich insbesondere in der Anfangsphase
                   der COVID-19-Pandemie gezeigt. Der Ausbruch des Coronavirus stellt weltweit Regierungen,
                   Gesundheits- und Wirtschaftssysteme sowie Bevölkerungen vor ungekannte Herausforderungen.
                   Mehr Infos: ab Seite 6

                53%Unter 200 befragten Humanmedizinern gehen 53 Prozent davon aus, dass es immer weniger
                   freiberuflich tätige Ärzte geben wird. Denn neben dem bürokratischen Aufwand, dem finanziellen
                   Risiko und der unternehmerischen Verantwortung empfinden viele auch die Arbeitsbelastung als
                   zu hoch.
                   Mehr Infos: ab Seite 16

                        5.000 neue Stellen
                   5.000 neue Stellen sollen bis Ende 2022
                   geschaffen werden. Das ist gut gemeint.
                   Allerdings fehlen diejenigen, die sie besetzen.
                   Mehr Infos: ab Seite 38

2               HealthCare Magazin | Winter 2020
Magazin HealthCareAUSGABE WINTER 2020 - Gesundheits-standort Deutschland - EY
Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
was man unter normalen Umständen als selbstverständlich hinnimmt, weiß man erst in
Krisensituationen zu schätzen. Das gilt auch für unser Gesundheitssystem: Die Pandemie
führt uns vor Augen, wie stark die medizinische Versorgung in Deutschland grundsätzlich
aufgestellt ist.

Dennoch ist die Pandemie auch für den Gesundheitsstandort Deutschland ein echter Belas-
tungstest und bringt alle an ihre Grenzen: Mediziner, Pflegekräfte, Patienten, Angehörige,
Krankenhäuser, Gesundheitsämter etc. Wie unter einem Brennglas werden dabei Schwach-
stellen im Gesundheitssystem zutage gefördert. Dabei handelt es sich nicht nur um akute
Schwächen, die die Pandemie direkt betreffen, wie z. B. die anfängliche Knappheit an Schutz-
masken und -kleidung; vielmehr offenbaren sich ganz grundlegende, chronische Schwächen,
die langfristig und nachhaltig angegangen werden müssen.

Darauf möchten wir uns in diesem Heft fokussieren: den Gesundheitsstandort
Deutschland unter die Lupe nehmen und aufzeigen, wie er sich stärken kann.

Wir werfen zunächst einen Blick auf die europäischen Nachbarländer und schauen uns an,
was wir von ihnen lernen können, um die drängendsten Herausforderungen zu meistern
(Seite 6). Ein wichtiger Schwerpunkt ist in der aktuellen Ausgabe die Frage: Wie können
Leistungserbringer mit dem steigenden wirtschaftlichen Druck umgehen? Antworten
darauf geben unsere Beiträge zu strategischen Zusammenschlüssen von Krankenhäusern
(Seite 12), zum Zukunftsmodell medizinisches Versorgungszentrum (Seite 16), zu
Strate­gien gegen den Investitionsstau (Seite 20) und zu innovativen Modellen der Finan-
zierung (Seite 24). Aus Sicht der Krankenkassen nehmen wir das strategische Immobilien-
Portfoliomanagement in den Fokus und zeigen, wie sie das Potenzial ihres Anlagevermögens
besser ausschöpfen können (Seite 44).

Des Weiteren hat die Pandemie einen Schub für die Digitalisierung des Gesundheitssystems
gebracht. Viele Entwicklungen, die normalerweise Jahre gebraucht hätten, vollziehen
sich nun im Zeitraffer. Das eröffnet Chancen, zeigt aber auch die Hürden — regulatorische,
finanzielle, technische und menschliche. Wir erläutern, was das für Krankenhäuser (Seite 26)
und Krankenkassen bedeutet (Seite 40) und wie die Modernisierung des öffentlichen
Gesundheitsdienstes gestaltet werden kann (Seite 38). Wir blicken in die Zukunft auf die
Revolution durch den Mobilfunkstandard 5G — ohne dabei die aktuelle Wirklichkeit aus
den Augen zu verlieren (Seite 28). Und in regulatorischer Hinsicht erhalten Sie eine Über-
sicht über alle wichtigen Gesetze und Regelungen zur Digitalisierung (Seite 32).

Ich hoffe, die Lektüre bietet Ihnen Orientierung und stärkt Ihre Motivation zum Verän­
derungsimpuls. Wenn Sie Fragen haben, kon­taktieren Sie gerne mich, die Autoren und
unsere Ansprechpartner (Seite 46).

Mit den besten Grüßen

Christian Egle
Leiter EY Gesundheitswirtschaft
Deutschland, Österreich und Schweiz

                                                   HealthCare Magazin | Winter 2020      3
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HealthCare Magazin | Inhalt

                      16
Der ambulante Markt boomt. Krankenhäuser,
niedergelassene Ärzte und Investoren drängen
in diesen Bereich. Doch in dem Spannungsfeld
aus Herausforderungen, Chancen und Risiken
wird eines immer relevanter: eine zielorientierte
strategische Ausrichtung.

    20                                              28
                                                         Im Notfall ist schnelles Handeln gefragt. Der
                                                         Mobilfunkstandard 5G ermöglicht den Austausch
                                                         enormer Datenmengen in Echtzeit — und bietet
                                                         das Potenzial für eine Revolution. Doch diese
Oftmals wird beim Bau von Krankenhäusern                 ist noch weit entfernt. Was jetzt zählt, sind inno-
unnötig Geld verschenkt. Was dagegen hilft?              vative Ideen und Pragmatismus.
Eine vorausschauende Planung von Kapazi-
täten und Ressourcen — nicht nur im eigenen
Haus, sondern auch bei Bauunternehmen,
Ämtern und Prüfstellen sowie Wissens- und
Entscheidungsträgern.

4             HealthCare Magazin | Winter 2020
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HealthCare
                     Winter 2020

                                                                                       32
                     03 Vorwort
                                                                                            Seit 2018, als Jens Spahn Bundes­
                     46 Ansprechpartner
                                                                                            minister für Gesundheit wurde, wird die
                     47 Impressum
                                                                                            Digitalisierung des Gesundheitswesens
                                                                                            mit Hochdruck vorangetrieben. Nun
                                                                                            jagt ein Reformgesetz das nächste. Wir
                     FOCUS                                                                  geben eine Übersicht.
                     06 Gesundheitsstandort Deutschland
                         Die drängendsten Herausforderungen und
                         Best-Practice-Strategien europäischer Nachbarn

                     PROVIDER
                     12 Gemeinsam zu neuer Stärke
                        Wie strategische Zusammenschlüsse die deutsche
                         Krankenhauslandschaft verbessern können
                     16 Zukunftsmodell MVZ
                         Symbiose von Krankenhäusern, Einzelpraxen und privaten
                         Investoren als neue Chance und Strategien der Zusammenarbeit
                     20 M
                         ehr Geld allein reicht nicht
                        Um den Investitionsstau aufzulösen, braucht es
                        auch ein ganzheitliches Management der Bauprojekte

                                                                                       40
                     24 Innovative Modelle der Finanzierung
                         So können Krankenhäuser Factoring, Fundraising                     Technologischer Fortschritt, regula­
                         und Crowdinvesting für Investitionen nutzen                        torische Reformen, veränderte Erwar-
                                                                                            tungen der Versicherten — dadurch
                                                                                            steigt der Druck auf Krankenkassen,
                     DIGITAL HEALTH                                                         sich zu transformieren.
                     26 D
                         ie Pandemie als Katalysator
                        Chancen und Grenzen der Digitalisierung in Krankenhäusern
                     28 Science-Fiction trifft Realität
                         Wie die 5G-Technologie die Notfallversorgung
                         revolutionieren wird — und was bis dahin zu tun ist
                     32 R
                         eformen zur Digitalisierung des Gesundheitswesens
                        Ein Überblick über neue Gesetze, Regelungen und Fristen
                     38 Vernetzt, digital — und dennoch individuell und persönlich
                         Warum Investitionen in die IT des öffentlichen Gesundheits­
                         dienstes allein nicht reichen

                     PAYER
                     40 V
                         om Payer zum Player — und irgendwann zum Pacemaker
                        Wie die Digitalisierung im Gesundheitswesen die Rolle
Fotos: GettyImages

                        der gesetzlichen Krankenversicherungen verändert
                     44 Strategisches Portfoliomanagement
                         Wie Krankenkassen das Potenzial ihrer Immobilien
                         besser ausschöpfen

                                                                                                   HealthCare Magazin | Winter 2020   5
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Focus | Gesundheitsstandort Deutschland

             Gesundheits-
             standort
             Deutschland
              Der Gesundheitsstandort Deutschland zeichnet sich vor allem durch
              eine hohe medizinische Behandlungsqualität und eine ausgeprägte
              Versorgungsdichte mit mehr als 1.900 Krankenhäusern aus.1 Hier-
              durch stellt das deutsche Gesundheitssystem eine funktionierende,
              umfassende medizinische Versorgung der ca. 83 Millionen Bürger-
              innen und Bürger sicher.

              Dass das deutsche Gesundheitssystem so stark ist, hat sich insbe-
              sondere in der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie gezeigt. Der
              Ausbruch des Coronavirus stellt weltweit Regierungen, Gesundheits-
              und Wirtschaftssysteme sowie Bevölkerungen vor ungekannte
              Herausforderungen. Dank eines stabilen, leistungsfähigen Gesund-
              heitssystems und der frühzeitigen Maßnahmen seitens der Regie-
              rung sind die medizinischen Auswirkungen in Deutschland im euro-
              päischen und internationalen Vergleich bisher moderat gewesen.
              Selbst Länder in direkter europäischer Nachbarschaft waren und
              sind mit wesentlich höheren Infektionszahlen, Todesfällen und pha-
              senweise mit stark überlasteten Versorgungskapazitäten konfron-
              tiert. Ein Blick auf Deutschland zeigt, dass es bisher ausreichend
              Intensivkapazitäten gab und medizinisch notwendige Behandlungen
              jederzeit durchgeführt werden konnten. Trotz stellenweiser Liefer-
              engpässe, insbesondere bei kritischen Arznei- und Hilfsmitteln, war
              die Gesundheitsversorgung in Deutschland sichergestellt.

              1 Statistisches Bundesamt, „Grunddaten der Krankenhäuser“, 2020

6             HealthCare Magazin | Winter 2020
Magazin HealthCareAUSGABE WINTER 2020 - Gesundheits-standort Deutschland - EY
_Was sind die aktuellen und künftigen Herausforderungen?
                     _Wie lassen sich diese meistern?
                     _Und was können wir dabei von anderen Ländern lernen?
Fotos: GettyImages

                                                                                HealthCare Magazin | Winter 2020   7
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Focus | Gesundheitsstandort Deutschland

                                Ineffizienzen gegensteuern                                 Darüber hinaus führen ebenjene Maßnahmen
                                Doch auch dieses anscheinend so belastbare                 zu einer Verstärkung der Grenzen zwischen
                                System steht im Wandel und wird mit vielfälti-             ambulanter und stationärer Versorgung. Neue
                                gen Herausforderungen konfrontiert:                        Gesetze und der Personal- und Fachkräfteman-
                                                                                           gel machen einen weiteren Wandel unumgäng-
                                Hier spielen insbesondere gegenläufige Kosten-             lich — von der Notwendigkeit der Digitalisierung
                                und Erlösentwicklungen eine Rolle. Im interna-             ganz zu schweigen. Und auch die ambulante
                                tionalen Vergleich liegt die Krankenhausdichte             Versorgung sieht sich mit zukünftigen Heraus-
                                in Deutschland deutlich über dem Durchschnitt,             forderungen konfrontiert — unbesetzte Arzt-
                                sowohl im Bereich der Regel- und Schwerpunkt-              sitze, lange Wartezeiten, hohe Investitionsvolu-
                                versorger als auch — gebietsweise — der Maxi-              mina für den medizinisch-technischen Fortschritt.
                                malversorger. Dieses flächendeckende Angebot,              Die Kostenträger stehen vor allem unter poli-
                                das ein umfassendes Spektrum medizinischer                 tischem Druck, beispielsweise durch die Gesetz-
                                Leistungen enthält, wird insbesondere in bevöl-            gebung rund um die Telematikinfrastruktur
                                kerungsärmeren Gebieten nicht vollumfänglich               und durch die Verschiebungen von Heilung zu
                                ausgeschöpft. Die vorgehaltenen Kapazitäten                Prävention.
                                und Ressourcen sind daher nur gering ausge-
                                lastet und die Leistungserbringung ist ineffizient.        Um das deutsche Gesundheitssystem nicht an
                                Darunter leidet die finanzielle Stabilität. Dies           die Grenzen seiner Strukturen zu bringen, ohne
                                ist ein Grund dafür, dass 40 Prozent der Kran-             Optimierungspotenziale nutzenstiftend heben
                                kenhäuser Verluste verzeichnen und für rund                zu können, bedarf es flankierender Innovatio-
                                ein Zehntel erhöhte Insolvenzgefahr besteht.2              nen und die bestehenden Paradigmen müssen
                                                                                           hinterfragt werden. Angesichts der vielfältigen
                                Um die Effizienz zu steigern und Kosten zu                 Anforderungen und des sich rapide wandeln-
                                reduzieren, will man die Digitalisierung stärker           den Marktes ist eine Neuorientierung notwendig.
                                forcieren, die Verweildauern reduzieren und                Hierbei kann und müssen sich die Verantwort-
                                mehr auf ambulante Behandlungen setzen.                    lichen wegweisende Fragen stellen:
                                Diese Maßnahmen treffen jedoch aufgrund lang-
                                fristiger Trends wie etwa der demografischen               • Wie kann eine hochqualitative und gleich-­
                                Entwicklung auf gegenläufige Anforderungen                   zeitig ökonomisch sinnvolle Versorgung der
                                bezüglich der Versorgung von Patienten mit                   Bevölkerung aussehen?
                                Mehrfacherkrankungen. In Kombination mit                   • Wie müssen Krankenhäuser und Kranken­
                                wirtschaftlich instabilen, unzureichend ausge-               kassen agieren, um sich innovativ und
                                lasteten und nicht investitionsfähigen Häusern               zukunftssicher aufzustellen?
                                treffen somit immer komplexere Krankheits-                 • Wie können die Rahmenbedingungen der
                                bilder auf immer veraltetere Strukturen —                    Leistungserbringung effizienter gestaltet
                                zulasten des gesamten Systems: Leistungs-                    werden?
                                erbringer, Kostenträger und Patienten.                     • Was können wir von unseren Nachbar-
                                                                                             ländern lernen?

          Investitionsfähigkeit der deutschen Krankenhäuser3

          100
                              50                        59                          57                         59                  49

           50
                              13                                                                                                   18
                                                        12                          13                         14
                              37                        29                          29                         27                  32
            0

                            2013                        2014                        2015                     2016                2017
                        Nicht investitionsfähig         Schwach investitionsfähig          Voll investitionsfähig          Angaben in Prozent

                2 Bundesrechnungshof, 2020
                3 RWI, Krankenhaus Rating Report 2019

8               HealthCare Magazin | Winter 2020
Magazin HealthCareAUSGABE WINTER 2020 - Gesundheits-standort Deutschland - EY
Best-Practice-Beispiele unserer
                     europäischen Nachbarn
                     Heute schon sinken in Deutschland durch die         Krankenhausbetten je 1.000 Einwohner in ausgewählten Ländern4
                     Verschiebung von Leistungen in den ambulan-
                     ten Markt und stellenweise geringere Versor-        Japan                                                                     13,1
                     gungsbedarfe die Fallzahlen kontinuierlich. Der
                     Trend hin zur ambulanten Behandlung wird
                                                                         Russland                                               8,1
                     beschleunigt durch die Reform des AOP-Kata-
                     logs mit der Aufnahme weiterer Leistungen,
                     die künftig verpflichtend ambulant erbracht         Deutschland                                            8,0
                     werden müssen. Sofern diese Entwicklung mit
                     einer sinnvoll gestalteten Leistungskonzen­         Frankreich                                  6,0
                     tration insbesondere schwerer Fälle und ent-
                     sprechenden Vorgaben zu Mindestmengen
                                                                         Schweiz                               4,5
                     einhergeht, kann sie durchaus die Qualität der
                     stationären Patientenversorgung steigern.
                     Reduziert man das Leistungsportfolio in den         China                             4,3
                     jeweiligen Fachbereichen, kann sich eine
                     gebündelte Expertise und Routine an insge-          Norwegen                        3,6
                     samt weniger Standorten etablieren.
                                                                         Italien                     3,2
                     Bündelung von Expertise —
                     Beispiel Dänemark
                     Wie eine landesweite Bündelung von Expertise        Dänemark                  2,6
                     an wenigen Standorten eine Versorgung von
                     ca. 5,8 Millionen Bürgern sichern kann, zeigt ein   Vereinigtes              2,5
                     Blick nach Dänemark — und auch, welche Fol-         Königreich
                     gen dies für die Qualität der Gesundheitsversor-
                     gung haben kann.
                                                                         den Erfolg dieser Strategie: Die durchschnitt­
                     In einer Region im westlichen Jütland (West-        liche Lebenserwartung der Dänen ist von 2005
                     Dänemark) entsteht derzeit ein Krankenhaus-         bis heute um drei Jahre gestiegen, während
                     neubau mit 400 Betten, der ab Anfang 2021           im gleichen Zeitraum die Anzahl der Kranken-
                     fünf Krankenhäuser der Region mit insgesamt         hausbetten um 35 Prozent gesunken ist. Darüber
                     1.000 Betten ersetzen soll. Die Planungen           hinaus ist die Zahl der Todesfälle bei Herzer-
                     gehen weit über das Krankenhaus hinaus. Sie         krankungen um 25 Prozent und die Wartezeit
                     berücksichtigen auch die Infrastruktur, inklusive   für chirurgische Eingriffe um 20 Prozent gesun-
                     Neubau von Autobahnen und Regionalbahn­             ken. Die Verweildauer nach stationären Ein­
                     höfen. Das Gesamtkonzept soll die Versorgung        griffen hat sich dabei verkürzt. Und trotz der
                     von 300.000 Einwohnern in einer Region              Reduktionen der Kliniken (Bettenkapazitäten,
                     sicherstellen, die doppelt so groß ist wie das      Anzahl stationärer Patienten etc.) ist mehr
                     Saarland. Dies ist kein Einzelfall: In ganz         ärztliches und pflegerisches Personal angestellt
                     Dänemark soll es langfristig einzelne Super-        als zuvor.5
                     Versorger geben, die hocheffizient modernste
                     Hochleistungsmedizin unter minimalem                Auch im Bereich Digitalisierung und Versor-
                     Kosteneinsatz betreiben, um dem enormen             gung ländlicher Regionen ist Dänemark ein Vor-
                     Inves­titionsaufwand gerecht zu werden — und        reiter, der die Chance zur Neustrukturierung
                     gleichzeitig die Patientensicherheit und die        genutzt hat. Beispielsweise bietet Odense, eine
                     medizinische Versorgungsqualität zu erhöhen.        Region mit Krankenhausneubau, eine telemedi-
Fotos: GettyImages

                     Erste Analysen und Untersuchungen bestätigen        zinische Betreuung Frühgeborener an.

                     4 OECD, „Health at a Glance 2019“, 2019
                     5 OECD.Stat, „Health Care Resources“, 2020

                                                                                                                HealthCare Magazin | Winter 2020     9
Magazin HealthCareAUSGABE WINTER 2020 - Gesundheits-standort Deutschland - EY
Focus | Gesundheitsstandort Deutschland

                                  Hier wird Eltern, die außerhalb von Ballungs­                   heitsinformationen angeschlossen. Dieses
                                  gebieten wohnen, eine digitale Betreuung mit-                   System dient primär dem Abruf und Austausch
                                  tels Tablets angeboten. Zweimal wöchentlich                     von Daten und der Nutzung telemedizinischer
                                  spricht eine Krankenschwester per Videotelefonie                Dienste. Innerhalb des Netzwerks wird der indi-
                                  mit der betroffenen Familie, während Unter­                     viduelle Krankheitsverlauf eines jeden Bürgers
                                  suchungswerte wie beispielsweise das Gewicht                    festgehalten. Theoretisch kann jeder Arzt auf
                                  mittels einer digitalen Waage direkt an das                     die individuellen Patientendaten zugreifen — so-
                                  Krankenhaus übertragen werden.                                  fern der Patient dies zulässt. Denn er ist Eigen-
                                                                                                  tümer seiner Daten und hat die Möglichkeit,
                                  Digitalisierung — Beispiel Niederlande                          Eintragungen für einen gewählten Bereich un-
                                  Auch andere Nachbarn im europäischen Aus-                       zugänglich zu machen. So gewinnt Estland
                                  land setzen auf die Digitalisierung im Gesund-                  eindeutig den Digital-Health-Index7 im Länder-
                                  heitswesen: Ein Beispiel ist das Smart Hospital                 vergleich der Bertelsmann Stiftung.8
                                  im Medical Center Rotterdam. Von der digitalen
                                  Terminvergabe bis hin zur telemedizinischen                     Verbesserung der Versorgungsstrukturen —
                                  Nachsorge hat sich das Krankenhaus umfänglich                   Beispiel Niederlande
    Ein Best-Practice-Beispiel    digital aufgestellt. Dies führt zu einer nachweis-              Ein Blick in die Nachbarländer lohnt sich auch,
       aus den Niederlanden:
Lernen Sie das Smart Hospital     lich höheren Patientensicherheit, zu geringeren                 wenn es um die Verbesserung der Versorgungs-
  im Medical Center in Rotter-    Wartezeiten und zu zufriedeneren Patienten.6                    strukturen geht, insbesondere um die Verzah-
        dam im Video kennen.                                                                      nung ambulanter und stationärer Strukturen.
                                  Digitalisierung — Beispiel Estland                              Während in Deutschland vergleichsweise freie
                                  Auch ein Blick nach Estland lohnt sich: Neben                   Arztwahl herrscht, fungieren in den Nieder­
                                  dem E-Rezept und der elektronischen Patienten­-                 landen niedergelassene Allgemeinmediziner als
                                  akte gehören auch Videosprechstunden und                        Gatekeeper. Sie sind in einer bedeutenden
                                  Ferndiagnosen seit 2012 zum Alltag der Bevöl-                   Schlüsselposition, da sie erste Anlaufstelle für
                                  kerung. Sämtliche Krankenhäuser, Ärzte, Fach-                   die medizinische Versorgung sind und über den
                                  ärzte und Apotheken sind an das etablierte                      Behandlungsweg der Patienten entscheiden.
                                  Netzwerk (ENHIS) zum Austausch von Gesund-                      Ohne Überweisung des Hausarztes kann keine

                                  Vergleich des Digital-Health-Index und der Sub-Indizes zwischen Deutschland und Estland
                                  in Prozent der maximal zu erreichenden Punktzahl
                                                                                                                       88,1             86,1
                                          Digital-Health-Index                                          81,9
                                          Sub-Indizes:
                                          Policy-Aktivität                                                                                            71,7
                                          Digital Health Readiness
                                          Tatsächliche Datennutzung
                                  Quelle: Bertelsmann Stiftung

                                                     44,2

                                      30,0                          30,1

                                                                                   15,8

                                                         Deutschland                                                          Estland

                                  6 www.ey.com/en_gl/health/as-technology-become-smarter-is-your-hospital-keeping-up
                                  7 Der
                                      DHI legt das Augenmerk auf die Strategien, die technische Readiness und die tatsächliche Datennutzung in den einzelnen
                                    Ländern (n = 17) und führt anhand von drei entsprechenden Sub-Indizes zu einer Bewertung jedes Landes und einem entsprechen-
                                    den Platz im Digital-Health-Ranking: „Policy-Aktivität“: das politisch-strategische Vorgehen der Länder, der gegebene Rechts-
                                    rahmen, die institutionelle Verankerung und Zuständigkeiten; „Digital Health Readiness“: die technische Implementierung und
                                    der digitale Reifegrad; tatsächliche Datennutzung: der vernetzte Austausch von Gesundheitsdaten
                                  8 Bertelsmann Stiftung, #SmartHealthSystems Digitalisierungsstrategien im internationalen Vergleich, 2018

 10               HealthCare Magazin | Winter 2020
fachärztliche Behandlung erfolgen. Letztere                      Krankenhausversorgung ist nur in Notfällen
                     wird meist im Krankenhaus vorgenommen —                          möglich. Doch die starren Grenzen zwischen
                     stationär oder ambulant. Davon profitiert der                    ambulanter und stationärer Versorgung öffnen
                     einzelne Patient, da er einen festen Ansprech-                   sich mit einer zunehmenden Leistungsver­
                     partner hat, genauso wie das gesamte Gesund-                     schiebung vom stationären in den ambulanten
                     heitssystem, da es nicht zu unabgestimmten                       Bereich. Zum Beispiel können kleinere Opera­
                     Untersuchungen oder redundanten Arztbesu-                        tionen und spezialisierte Diagnoseverfahren über
                     chen kommt und demzufolge Kosten gespart                         den GP oder in Tages- und Polikliniken durch­
                     werden.9                                                         geführt werden.10

                     Auch die Finanzierung dieses Systems ist an-
                     ders als in Deutschland: Mit der Krankenver­
                     sicherungsreform 2006 wurde ein einheitlicher
                     Krankenversicherungsmarkt eingeführt, der
                                                                                          Und in Deutschland?
                                                                                          Mit zunehmender Ambulantisierung verkürzen sich auch die
                     über eine Basisversicherung für alle verpflich-
                                                                                          Kontaktzeiten zwischen Arzt und Patient. Um eine patien-
                     tend ist und allen das gleiche Versicherungs­
                                                                                          tenzentrierte Versorgung zu gewährleisten, gilt es, einen
                     niveau bietet. So wird unabhängig von Geschlecht,
                                                                                          Informationsaustausch zwischen den einzelnen Sektoren zu
                     Alter oder Einkommen ein Pauschalbeitrag
                                                                                          optimieren. Soll in Deutschland eine weitere Leistungsver-
                     gezahlt.
                                                                                          schiebung in den ambulanten Sektor mit einer strukturierten,
                                                                                          bedarfsgerechten Informationsübermittlung einhergehen,
                     Verbesserung der Versorgungsstrukturen —
                                                                                          braucht es die Digitalisierung als treibenden Faktor im Ge-
                     Beispiel Großbritannien
                                                                                          sundheitssystem. Ein möglicher Hebel ist die Einführung der
                     Eine ähnliche Versorgungsstruktur wie das
                                                                                          elektronischen Patientenakte (ePA), die perspektivisch
                     niederländische System gibt es in Großbritan-
                                                                                          die einfache Übermittlung von Informationen zwischen Leis-
                     nien durch den National Health Service (NHS).
                                                                                          tungserbringern entlang der gesamten Patientenreise er-
                     Das staatlich finanzierte Gesundheitssystem
                                                                                          möglicht. Dabei steht eine sichere, vertrauensvolle und nut-
                     unterteilt die medizinische Versorgung in
                                                                                          zerfreundliche digitale Kommunikation im Vordergrund.
                     primäre (Hausarzt) und sekundäre Bereiche
                                                                                          Ab 1. Januar 2021 müssen gesetzliche Krankenversiche-
                     (Krankenhaus). Auch ist der Allgemeinmedi­
                                                                                          rungen ihren Versicherten eine ePA bereitstellen. Dies stellt
                     ziner (General Practitioner [GP]) in einer
                                                                                          nicht nur Krankenversicherungen vor große Herausforde-
                     Schlüsselposition (Gatekeeper): Die Bürger
                                                                                          rungen, sondern auch niedergelassene Ärzte, Krankenhäu-
                     können ihren GP zwar frei wählen, dies bedarf
                                                                                          ser und Apotheken.11
                     jedoch der Zustimmung des jeweiligen GP.
                     Ein direkter Zugang zu Krankenhausleistungen,
                                                                                          Das deutsche Gesundheitssystem ist nach wie vor eines
                     ob ambulant-fachärztlich oder stationär, setzt
                                                                                          der leistungsstärksten weltweit. Damit dies jedoch so bleibt,
                     eine Überweisung des GP voraus. Eine direkte
                                                                                          lohnt ein Blick ins Ausland. Insbesondere unsere europäi-
                                                                                          schen Nachbarländer zeigen Ansätze, die aufgrund ähnlicher
                                                                                          Bevölkerungsstrukturen, ähnlicher infrastruktureller Vor-
                                                                                          aussetzungen, ähnlicher gesellschaftlicher Orientierung
                                                                                          und ähnlichem medizinischen Wissensstand zumindest in
                                                                                          Grundzügen auf das deutsche Gesundheitssystem über-
                     Autorinnen                                                           tragbar sind. Bei allen internationalen Vergleichen müssen
                     Lisa Mezger                                                          jedoch stets Besonderheiten und die Gegebenheiten vor
                     lisa.mezger@parthenon.ey.com                                         Ort berücksichtigt werden, insbesondere die solidarisch
                     Eva-Lotta Hinzpeter                                                  aufgebaute Versorgungsversicherung, die duale Finanzie-
                     eva-lotta.hinzpeter@parthenon.ey.com                                 rung oder der Digitalisierungsstand in Deutschland.
                     Sarah Putzke
                     sarah.putzke@parthenon.ey.com
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                      9 S
                           chölkopf, Martin, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich: Gesundheitssystemvergleich und die europäische Gesundheitspolitik, MWV
                     10 www.nhs.uk
                     11 Bundesministerium für Gesundheit, 2019

                                                                                                                                     HealthCare Magazin | Winter 2020     11
12   HealthCare Magazin | Winter 2020
Provider | Mergers & Akquisitions

                     Gemeinsam zu
                     neuer Stärke
                     Wie strategische Zusammenschlüsse die deutsche Krankenhauslandschaft verbessern können

                     Seit Jahren schreitet die Konsolidierung der                 die nötige infrastrukturelle Ausstattung, die
                     deutschen Krankenhauslandschaft voran —                      personellen Kapazitäten und die Erfahrung, um
                     durch Betriebsschließungen und Fusionen bzw.                 Patienten bei allen Krankheitsbildern best­
                     Übernahmen. Diese Entwicklung resultiert                     möglich zu behandeln.12 Allgemeine volkswirt-
                     aus dem stetig steigenden politischen und wirt-              schaftliche Leistungsindikatoren wie das
                     schaftlichen Druck auf die Krankenhäuser. Laut               Verhältnis von medizinischem Personal zur
                     Statistik des Bundesrechnungshofs waren im                   Gesamtbevölkerung und die Pro-Kopf-Ausgaben
                     September 2020 rund 40 Prozent der Kranken-                  für medizinische Versorgung sind in Deutsch-
                     häuser defizitär und rund 10 Prozent insolvenz-              land zwar im internationalen Vergleich auf einem
                     gefährdet.                                                   hohen Niveau; gleichzeitig ist jedoch die Be-
                                                                                  treuungsquote in den Krankenhäusern ver-
                     Doch Konsolidierung muss per se nicht negativ                gleichsweise niedrig und die Anzahl vermeid-
                     sein. Schließlich lassen sich so auch Kräfte                 barer Sterbefälle hoch.13 Die Zusammenlegung
                     bündeln, was nicht nur wirtschaftliche, sondern              von Kapazitäten kann hier Synergiepoten-
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                     auch qualitative Potenziale birgt. Denn eine                 ziale und Effizienzen heben und die Qualität der
                     Vielzahl der Krankenhäuser verfügt nicht über                deutschen Krankenhauslandschaft stärken.

                     12 Bertelsmann Stiftung, „Zukunftsfähige Krankenhausversorgung“, 2019
                     13 Barmer, „Barmer Krankenhausreport 2020“, 2020

                                                                                                                      HealthCare Magazin | Winter 2020   13
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                                   Die Trends der Branche begünstigen die                             Entwicklung der deutschen
                                   Konsolidierung                                                     Krankenhauslandschaft 1991–201814
                                   Der wirtschaftliche Druck, Ineffizienzen in den                            Krankenhäuser
                                   organisatorischen und prozessualen Strukturen
                                                                                                      1800 1900       2000     2100   2200    2300
                                   zu beseitigen, ist in den vergangenen Jahren
                                   stark gestiegen. Die Betriebskostenfinanzierung               1991
                                   ist seit der Einführung des wettbewerbsorien-
                                                                                                 1992
                                   tierten DRG-Systems (Diagnosis Related Groups)
                                   deutlich enger kalkuliert. In der Investitions-               1993
                                   kostenfinanzierung besteht eine große Lücke.
                                   Die Bundesregierung hat bereits im Jahr 2016                  1994
                                   den Krankenhausstrukturfonds aufgesetzt,                      1995
                                   der den Abbau von Überkapazitäten, die Konzen­-
                                   tration stationärer Versorgungsangebote und                   1996
                                   die Umwandlung von Krankenhäusern in nicht
      Durch den Trend hin zur                                                                    1997
    Ambulantisierung und den       akutstationäre Versorgungseinrichtungen
      medizinisch-technischen      fördert. Durch den Trend hin zur Ambulantisie-                1998
       Fortschritt sinkt bereits   rung und den medizinisch-technischen Fort-
  heute das stationäre Fallauf-                                                                  1999
                                   schritt sinkt bereits heute das stationäre Fall-
    kommen, die Verweildauer
ist kürzer und der Kapazitäts-     aufkommen, die Verweildauer ist kürzer und                    2000
        bedarf verschiebt sich.    der Kapazitätsbedarf verschiebt sich.
                                                                                                 2001
                                   Vorteile für Wirtschaftlichkeit, regionale
                                                                                                 2002
                                   Versorgung und medizinische Qualität
                                   Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind Fusionen              2003
                                   und Übernahmen in vielerlei Hinsicht attraktiv:
                                   Das Leistungsangebot lässt sich verbessern,                   2004
                                   das Know-how erweitern und Synergie- und                      2005
                                   Skaleneffekte lassen sich heben. Mit steigender
                                   Unternehmensgröße kann die bestehende                         2006
                                   Infrastruktur effizienter genutzt, Aufgaben in
                                                                                                 2007
                                   den Sekundär- und Tertiärbereichen zentra­
                                   lisiert, ein Personalpooling aufgebaut und die                2008
                                   Bereiche Verwaltung und Einkauf verschlankt
                                   werden.                                                       2009

                                                                                                 2010
                                   Einen strategischen Zusammenschluss streben
                                   typischerweise jene Krankenhäuser an, die                     2011
                                   das Leistungsangebot horizontal und/oder ver-
                                                                                                 2012
                                   tikal erweitern wollen. Doppelvorhaltungen
                                   sind dabei in der Regel nicht nötig. Im Zuge der              2013
                                   Zusammenlegung sollte die Medizinstrategie
                                   auf heutige Standards (z. B. Interdisziplinarität             2014
                                   in Zentrenstrukturen) und im Hinblick auf                     2015
                                   den Versorgungsbedarf an die Gegebenheiten
                                   des Marktes angepasst werden. So lassen                       2016
                                   sich mit der Neuaufstellung deutliche Vorteile
                                                                                                 2017
                                   hinsichtlich medizinischer Qualität, regionaler
                                   Versorgung und Wirtschaftlichkeit erzielen.                   2018

                                                                                                        0                      500.000            1.000.000
                                                                                                                                      Aufgestellte Betten

                                   14 Statistisches Bundesamt, „Krankenhäuser — Einrichtungen, Betten und Patientenbewegung“, 2020

14                HealthCare Magazin | Winter 2020
Die Risiken von Fusionen werden häufig               Fazit
                     unterschätzt                                         In den kommenden Jahren dürfte sich der Kon-
                     Die Praxis zeigt jedoch, dass Zusammenschlüsse       solidierungsprozess deutscher Krankenhäuser
                     und Übernahmen nicht immer zum gewünsch-             fortsetzen. Die Branchentrends und politischen
                     ten Ziel führen. Die erwarteten Synergien und        Beschlüsse befeuern den Abbau des Angebots-
                     Effizienzen werden häufig über- und die Kom-         überhangs. Strategische Vorüberlegungen,
                     plexität, die mit der Unternehmensgröße zu-          kalkulatorische Analysen und eine fundierte,
                     nimmt, unterschätzt. Die Herausforderungen           nachfrageorientierte Medizinstrategie sind da-
                     sind vielfältig. Das fängt damit an, dass IT-Sys-    bei wesentlich für den Umsetzungserfolg.
                     teme und das Berichtswesen vereinheitlich            Ein strategischer Zusammenschluss kann die
                     werden müssen. Des Weiteren sollten die Mitar-       Güte der Häuser in Bezug auf Wirtschaftlich-
                     beiter in den Prozess des Zusammenwachsens           keit, regionale Versorgung und medizinische
                     eingebunden werden. Und schließlich müssen           Qualität erhöhen. Voraussetzung dafür bleiben
                     auch die Unternehmenskulturen angeglichen            ein umfassendes Integrationskonzept und
                     werden. Um das Potenzial eines Bündnisses            dessen konsequente Umsetzung.
                     richtig einschätzen und mögliche Risiken früh-
                     zeitig erkennen zu können, braucht es vor
                     allem eines: eine gute Planung, die medizin­         Autor
                                                                          Autor
                     strategische, finanzwirtschaftliche, strukturelle,   Marvin
                                                                          Marvin Wedemeyer
                                                                                 Wedemeyer
                     personelle und unternehmenskulturelle Aspekte        marvin.d.wedemeyer@parthenon.ey.com
                                                                          marvin.d.wedemeyer@parthenon.ey.com
                     berücksichtigt.
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                                                                                                            HealthCare Magazin | Winter 2020   15
Provider | MVZ

16               HealthCare Magazin | Winter 2020
Zukunfts-
modell MVZ
Symbiose von Krankenhäusern, Einzelpraxen und privaten Investoren als
neue Chance und Strategien der Zusammenarbeit

Der ambulante Markt erfährt im deutschen Gesundheitswesen einen regel-
rechten Boom: Krankenhäuser drängen immer weiter in diesen Bereich — nicht
nur weil sie wollen, sondern auch weil sie aus finanziellen Gründen müssen.
Parallel dazu sind die klassischen ambulanten Leistungserbringer, die Ärzte in
den Praxen, mit Versorgungsengpässen konfrontiert. Private Investoren
gewinnen immer mehr Interesse und investieren in den sich langsam öffnenden
Markt. Traditionelle Versorgungskonzepte passen nicht mehr zu den gestiege-
nen Anforderungen im Gesundheitswesen.

Im Zentrum steht die Frage, wie sich die ambulante Versorgung künftig besser
aufstellen kann. Was sind Konzepte für eine stabile Gesundheitsversorgung
im ambulanten Markt? Wie sieht das medizinische Versorgungszentrum (MVZ)
der Zukunft aus?

Trend: mehr ambulant als stationär
Krankenhäuser stehen derzeit unter Druck, stationäre Fälle in die ambulante
Versorgung zu verschieben, wo Erlöse dringend benötigt werden. Anderer-
seits fehlen diese Erlöse dann wieder im stationären Bereich. Daher ist eine
neue strategische Ausrichtung im Hinblick auf das Leistungsportfolio der
Krankenhäuser unabdingbar.

Dafür haben Krankenhäuser im vorherrschenden System bekannterweise
nicht viele Möglichkeiten. Ambulantes Operieren ist dabei eine Option, die sich
zumindest in der Leistungserbringung relativ schnell umsetzen lässt. Sie ist
aber erst dann sinnvoll, wenn die Strukturen im Krankenhaus auch auf ein am-
bulantes Setting ausgerichtet sind. Ermächtigungen für Ärzte im Krankenhaus
sind wiederum genehmigungsbedürftig und kommen nur in seltenen Fällen,
beispielsweise bei einer regionalen Unterversorgung, zum Tragen.

Ein weiterer Zugang zum ambulanten Markt ist die Gründung eines MVZ. Nach
der aktuellen Rechtsprechung können auch Krankenhäuser ein MVZ gründen
— sofern ein entsprechender Kassensitz frei ist. Krankenhäuser können dort
                                                                                           Fotos: GettyImages

Ärzte einsetzen und leistungsabhängig vergüten, das unternehmerische Risiko
und der administrative Aufwand verbleiben beim Krankenhaus. Der Vorteil des
Krankenhauses liegt dabei auf der Hand: Durch einen Zugang zum ambulanten
Markt kann es zusätzliche Patienten gewinnen und dort versorgen, wo die
Leistungen auch entsprechend vergütet werden.

                                                        HealthCare Magazin | Winter 2020                        17
Provider | MVZ

                             Öffnung des Marktes steigert                       Einzelpraxen: Erzielen von Skaleneffekten
                             Investoreninteresse                                durch Anschluss an eine Gruppe
                             Um den Trend hin zur ambulanten Versorgung         Die Einzelpraxen sind mit steigendem Kosten-
                             zu unterstützen, wurde der bis dato stark regu-    druck (zum Beispiel für Material, Personal
                             lierte medizinische Markt in den letzten Jahren    und Verwaltungskosten) und zunehmendem
                             durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz         Administrationsaufwand konfrontiert, dem vor-
                             2004, das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz           nehmlich durch Skaleneffekte entgegengewirkt
                             2015 und das Terminservice- und Versorgungs-       werden kann. Bei einer nahezu gleich bleiben-
                             gesetz (TSVG) 2019 geöffnet, wodurch MVZ-          den Erstattungsstruktur (GOP, GOÄ/GOZ und
                             Strukturen als Kooperationsplattformen ent-        EBM) gilt es insbesondere für Einzelpraxen,
                             standen sind. Einhergehend mit der Öffnung des     Kosten zu minimieren. Durch eine Angliede-
                             Gesundheitsmarktes ist auch das Interesse          rung an eine Unternehmensgruppe könnten sie
                             privater Investoren daran stetig gestiegen. Denn   am Skalierungspotenzial partizipieren und
                             der stark diversifizierte Markt mit mehrheitlich   kurzfristig Einsparungen erzielen. Die Poten­
                             inhabergeführten Praxen oder MVZ bietet ein        ziale lassen sich in drei Kategorien einteilen:
                             hohes Konsolidierungspotenzial. Mittlerweile
                             haben sich verschiedene Investoren am Markt        • Flexibilisierungspotenzial
                             platziert und bauen im Zuge einer Buy-and-Build-   Größere Unternehmensgruppen ermöglichen
                             Strategie ihr Portfolio kontinuierlich aus.        häufig flexiblere Arbeitszeitmodelle. Hiervon
                                                                                profitieren insbesondere Praxen in ländlichen
                             Dabei erwerben Privatinvestoren zunächst           Räumen. Eine Flexibilisierung der Arbeitszeit
                             Trägerorganisationen (vornehmlich Plan-Kran-       und das Angebot von Teilzeitbeschäftigung
                             kenhäuser) und bauen sie durch den Ankauf          tragen zu einer besseren Vereinbarkeit von
                             von Einzel- und Gemeinschaftspraxen zu einer       Familie und Beruf bei und kommen somit dem
                             Unternehmensgruppe auf. Dies soll nicht nur        Wunsch jüngerer Ärzte und Ärztinnen ent­
                             dem wirtschaftlichen Wachstum dienen, son-         gegen, ihren Beruf in Anstellung auszuüben
                             dern Ziel ist es auch, Fachkompetenzen auszu-      (siehe Infokasten). Gleichzeitig bietet dies den
                             bauen, die Versorgung — vor allem in ländlichen    Praxen die Möglichkeit, verlängerte Öffnungs-
                             Regionen — sicherzustellen und dem Praxis­         zeiten anzubieten und somit das Kunden­
                             sterben entgegenzuwirken. Außerdem sollen          segment der Berufstätigen (Höherverdiener)
                             Praxen in kaufmännischen, administrativen          anzusprechen.
                             und regulatorischen Themen beraten werden.

18           HealthCare Magazin | Winter 2020
Die eigene Praxis verliert an Reiz

                     • Optimierungspotenzial                                                                 Der Zusammenschluss zu größeren Unternehmens-
                     Die Anforderungen steigen nicht nur im                                                  gruppen bietet auch für Ärzte ein zunehmend attraktives
                     medi­zinischen Bereich, sondern auch in der                                             Arbeitsumfeld, da es eine größere finanzielle Sicherheit
                     Verwaltung. Skaleneffekte lassen sich                                                   und flexiblere Arbeitszeitmodelle ermöglicht:
                     durch Optimierungen in den Bereichen Ein-
                     kauf, IT, Administration und Abrechnungs-                                               Denn vor allem junge Ärzte stehen dem Risiko der
                     wesen erzielen, insbesondere mit Blick auf                                              Selbstständigkeit skeptisch gegenüber. Sie präferieren
                     die Digitalisierung verschiedener Prozesse                                              eine feste Anstellung. Niedergelassene Ärzte wollen
                     (digitale Abrechnung, Online-Gesundheits-                                               keine großen Belastungen für einen eigenen Praxisbe­-
                     akte, computergestützte Diagnostik). Denn                                               trieb auf sich nehmen und bevorzugen ein relativ fixes
                     der Patient muss stets im Mittelpunkt stehen,                                           Gehalt. Immerhin hat sich das Finanzierungsvolumen
                     auch wenn die Verwaltungsaufgaben zuneh-                                                bei einer Praxisneugründung von 2008 bis 2017
                     men. Daher sind digitalisierte Prozesse zur                                             von 396.000 Euro auf 504.000 Euro erhöht, bei Pra-
                     Unterstützung der Ärzte dringend notwendig.                                             xisübernahmen von 280.000 Euro auf 367.000 Euro.15
                     Zudem ist ein strukturiertes und professio-                                             Für bestehende Praxisinhaber wird es daher immer
                     nalisiertes Qualitätsmanagement gefordert,                                              schwieriger, eine nachhaltige Nachfolgeregelung zu
                     dessen Umsetzung nur durch Innovationen                                                 finden und den Praxissitz zu verkaufen.
                     gestärkt werden kann.
                                                                                                             Einschlägige Studien wie auch Expertenstimmen aus
                     • Spezialisierungspotenzial                                                             dem Markt belegen, dass die Freiberuflichkeit immer
                     Spezialisierung ist ein bedeutender Erfolgs-                                            unattraktiver wird — in allen medizinischen Bereichen.
                     faktor. Im Vordergrund stehen dabei neben                                               Unter 200 befragten Humanmedizinern gehen 53 Pro-
                     dem unternehmensübergreifenden Wissens-                                                 zent davon aus, dass es immer weniger freiberuflich
                     austausch die Digitalisierung und Professiona­                                          tätige Ärzte geben wird. Denn neben dem bürokrati-
                     lisierung der Praxen. Im Zuge der voranschrei-                                          schen Aufwand, dem finanziellen Risiko und der unter-
                     tenden Verschmelzung von ambulanten und                                                 nehmerischen Verantwortung empfinden viele auch
                     stationären Angeboten können und müssen                                                 die Arbeitsbelastung als zu hoch. Der Wunsch wächst,
                     MVZ wie auch Krankenhäuser durch eine klare                                             mehr Zeit für die Familie zu haben, weshalb Teilzeit-
                     Arbeitsteilung dem erhöhten Innovations- und                                            modelle für junge Ärzte immer relevanter werden.16
                     Optimierungsdruck begegnen. Und die Praxen                                              Frauen wünschen sich eine Teilzeitbeschäftigung von
                     müssen medizinisch wie auch technisch auf                                               idealerweise 32 Stunden pro Woche. Heute sind es in
                     den neuesten Stand der Behandlungsanforde-                                              der Regel noch 36,3 Stunden pro Woche.17
                     rungen gebracht werden.

                     Zielorientierte strategische Ausrichtung
                                                                                                         Autoren
                     In diesem Spannungsfeld von Herausforderun-
                     gen, Chancen und Risiken wird eine für alle                                         Sandra Krusch
                     Parteien abgestimmte, zielorientierte strategi-                                     sandra.krusch@de.ey.com
                     sche Ausrichtung immer relevanter. Neben                                            Susanne Dangir
                     fundierten Bewertungen der anvisierten Inves-                                       susanne.dangir@de.ey.com
                     titionsobjekte — sowohl für Krankenhäuser                                           Christoph Blattner
                     als auch für private Investoren — bedarf es einer                                   christoph.blattner@de.ey.com
                     medizinstrategisch durchdachten Ausrichtung
                                                                                                         Rebekka Reckel
                     im Leistungsangebot. Dabei sind neben dem
                                                                                                         rebekka.reckel@parthenon.ey.com
                     Leistungsportfolio der Fachrichtungen auch die
                     Ergänzungen entlang der Wertschöpfungskette,                                        Juliane Mack
                     beispielsweise in den Bereichen Rehabilitation                                      juliane.mack@de.ey.com
                     oder Medizinprodukte, zu bewerten, um die                                           Lisa Mezger
                     möglichen Wettbewerbsvorteile umfassend zu                                          lisa.mezger@parthenon.ey.com
                     nutzen.
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                     15 KZBV Jahrbuch 2019
                     16apoView I/17 „Zukunftsbild Heilberufe 2030“; KZBV Jahrbuch 2018; Apo Bank, „Generationswechsel in den Heilberufen“, 2020
                     17 apoView I/17 „Zukunftsbild Heilberufe 2030“

                                                                                                                                HealthCare Magazin | Winter 2020   19
20   HealthCare Magazin | Winter 2020
Provider | Immobilien

                     Mehr Geld allein
                     reicht nicht
                     Um den Investitionsstau in Krankenhausgebäuden aufzulösen, braucht es auch ein ganzheitliches

                                                                                                                             30
                     Management der Bauprojekte

                     30 Milliarden Euro — auf diese stattliche Summe        man das Personal aufstocken, jedoch braucht
                     beziffert sich insgesamt der Investitionsstau          es oft auch mehrere Anläufe, um Stellen quali-
                     in den Bundesländern für Krankenhäuser. Das            fiziert zu besetzen. Solange kein branchen-
                     geht aus der fortgeschriebenen Bestandsauf-            fremdes Personal akquiriert wird, stehen die
                     nahme zur Krankenhausplanung und Investi­              Krankenhäuser hier untereinander im Wett-
                     tionsfinanzierung der Deutschen Krankenhaus-           kampf um die besten Fachleute.
                     gesellschaft (DKG), Stand Dezember 2019,
                     hervor. Der Betrag klingt enorm. Dem gegen-            Der nächste Engpass zeigt sich dann meist in
                     über stehen mehr als 1.000 aktuelle Bauprojekte        der Zuarbeit aus Zentralabteilungen und dem          30 Milliarden Euro — auf diese
                     an deutschen Krankenhäusern, die ein Budget            Medizinbetrieb: Um ein Krankenhausprojekt            stattliche Summe beziffert
                     in vergleichbarer Größenordnung haben dürften.         erfolgreich umzusetzen, müssen viele ihre            sich insgesamt der Investi-
                                                                                                                                 tionsstau in den Bundeslän-
                     Es wird also gebaut, nur eben gemessen am              Expertise und Zeit einfließen lassen, um Pla-
                                                                                                                                 dern für Krankenhäuser.
                     Bedarf nicht genug.                                    nungsgrundlagen zur Verfügung zu stellen
                                                                            bzw. die erarbeitete Planung zu prüfen. Dies
                     Die Ressourcen wirken limitierend                      betrifft unter anderem die Geschäftsführung
                     Die Bereitstellung der finanziellen Mittel ist         und den Vorstand, Medizinstrategen, Chef-
                     jedoch nur eine Seite der Medaille. Auf der an-        ärzte, Pflegeexperten, Logistiker, Einkäufer,
                     deren Seite stehen die personellen Ressourcen.         die Buchhaltung und die IT. Sie alle müssen die-
                     Wir haben in den letzten Jahren beobachten             sen Zeitaufwand zusätzlich zum Tagesgeschäft
                     können, dass die Ressourcen im Baugewerbe              erbringen, was häufig bei der Kapazitätspla-
                     limitiert sind. Dies zeigt sich darin, dass in zahl-   nung der Fachabteilungen nicht oder nicht hin-
                     losen Vergabeverfahren Bauunternehmen                  reichend berücksichtigt wird.
                     keine oder preislich überzogene Angebote ab-
                     gegeben haben. In der Folge mussten Ausschrei-         Nicht zuletzt haben wir zahlreiche Projekte
                     bungen wiederholt, Terminpläne gestreckt und           gesehen, die mit mangelnden Ressourcen
                     Budgets erhöht werden. Allein die Baupreis­            in Prüfinstanzen bei Kommunen und Ländern
                     steigerung kann ein lang laufendes Millionen­          zu kämpfen hatten, sodass die Freigaben
                     projekt in Schieflage bringen, denn seit 2015          zum Fortführen der Projekte nicht in der vor­
                     ist der Baupreisindex um mehr als 18 Prozent ge­-      gesehenen Frist vorlagen und sich die Projekte
                     stiegen.                                               verzögerten.
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                     Ebenso wie die Ressourcen im Baugewerbe                Alles in allem erscheint es daher kaum mög-
                     sind die Kapazitäten der Bau- und Facility-            lich, mit den gegenwärtig vorhandenen Ressour-
                     Management-Abteilungen der Krankenhäuser               cen und Strukturen aller Projektbeteiligten
                     begrenzt und wären oft nicht in der Lage,              ein größeres Investitionsvolumen umzusetzen.
                     mehr Projekte umzusetzen. Natürlich könnte

                                                                                                               HealthCare Magazin | Winter 2020          21
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                              Ressourcen- und Stakeholder-Management          Ein Beispiel: Ein Projekt ist mit 100 Millionen
                              Im Umgang mit den Ressourcen liegen Risiken     Euro Baukosten budgetiert und es wird mit
                              und Chancen zugleich. Ressourcen- und Stake-    einer Baupreissteigerung von 3 Prozent p. a.
                              holder-Management sind hier die Schlüssel für   gerechnet. Ausgehend von einer zweijährigen
                              eine erfolgreiche Projektumsetzung und damit    Planungszeit und einer 2,5-jährigen Bauzeit
                              ein wesentlicher Faktor, um die Infrastruktur   kostet dann jeder Monat Verzögerung, beispiels-
                              im Gesundheitswesen zu sichern und adäquat      weise durch einen späteren Baustart, allein
                              weiterzuentwickeln. Kosten und Fertigstel-      aus der Baupreissteigerung rund eine Viertel-
                              lungstermin hängen zu einem Großteil davon      million Euro. Das heißt, nach vier Monaten Pro-
                              ab, wie gut die Projektbeteiligten und die      jektverzögerung haben sich in diesem Beispiel
                              Stakeholder zusammenarbeiten.                   bereits eine Million Euro Mehrkosten aufsum-
                                                                              miert — ohne dass man dafür mehr bekäme.
                                                                              Weitere Konsequenzen ergeben sich aus der
                                                                              verspäteten Betriebsaufnahme, obsoleten Ver-
                                                                              tragsterminen, laufenden Projektkosten etc.

                                                                              Vier Monate sind schnell verloren, wenn
                                                                              wiederholt Änderungen zu berücksichtigen und
                                                                              einzuarbeiten sind, sich Gremienläufe ver­
                                                                              zögern oder Ehrenrunden vor finalen Freigaben
                                                                              zu absolvieren sind.

                                                                              Häufig wird auch vergessen, Feiertage, Brücken-
                                                                              tage und die Weihnachtszeit zu berücksichti-
                                                                              gen. In Bayern und Baden-Württemberg kommt
                                                                              man hier schnell auf 20 Arbeitstage. Insofern
                                                                              hat das Jahr nur elf statt zwölf wirklich zur Ver-
                                                                              fügung stehende Monate — unter Berücksichti-
                                                                              gung von Urlaubszeiten sogar nur zehn. Es
                                                                              gilt, sich dessen bewusst zu sein, um diese nicht
                                                                              nutzbare Zeit weitgehend zu kompensieren
                                                                              und auszugleichen.

                                                                              Kommt es zu Verzögerungen und wird mit Pro-
                                                                              jektänderungen unstrukturiert umgegangen,
                                                                              kommt es zu Fehlentwicklungen im Bestand,
                                                                              die bis zu einer drohenden Schließung führen
                                                                              können.

                                                                              Wie zuvor ausgeführt, reicht es für Bauherren
                                                                              und Auftraggeber nicht aus, die eigenen Res-
                                                                              sourcen im Blick zu haben. Kapazitäten müssen
                                                                              sie sich auch im direkten und indirekten Projekt-
                                                                              umfeld sichern, also bei Planern, Projektsteue-
                                                                              rern, bei Wissens- und Entscheidungsträgern
                                                                              im eigenen Haus sowie bei zustimmungspflich-
                                                                              tigen Stakeholdern.

                                                                              Es gilt, den Projektterminplan mit den Sitzungs-
                                                                              terminen der Gremien abzugleichen und zu
                                                                              synchronisieren. So lässt sich beispielsweise ver-
                                                                              meiden, dass Projektfreigaben in eine sitzungs-
                                                                              freie Periode fallen oder Entscheidungsvorläufe
                                                                              nicht adäquat berücksichtigt sind. Mit Ämtern

22            HealthCare Magazin | Winter 2020
und Prüfstellen sollte frühzeitig und fortlaufend   hierbei auch die wesentlichen Großgeräte mit
                     kommuniziert werden, wann große Prüfungen           erfasst, bietet dies auch eine gute Grundlage
                     wie der Hauptbauantrag übergeben werden             für die Neubauüberlegungen.
                     sollen, um Prüfkapazitäten so weit wie möglich
                     auf das eigene Projekt zu lenken.                   Fazit
                                                                         Der Investitionsstau in deutschen Kranken­
                     Ab Projektstart empfiehlt sich daher ein umfas-     häusern ist allein über finanzielle Mittel nicht
                     sendes Projektmanagement, das neben Kosten,         auflösbar. Ein größerer Hebel liegt in einem
                     Terminen und Projektumfang auch die Kommu-          verbesserten, ganzheitlichen Management der
                     nikation und das Management von Stakehol-           Bauprojekte. Wenn es gelingt, die Stakeholder
                     dern, Risiken und Ressourcen aktiv vorantreibt.     auf das Projekt einzuschwören, Schnittstellen
                                                                         sauber zu bedienen und Ressourcen sinnvoll
                     Sinnvoller Umgang mit dem Bestand                   und zielorientiert einzusetzen, könnten viele
                     Die Entscheidung, kein Geld mehr in die alte        Millionen Euro gespart und in weitere Projekte
                     Bausubstanz zu pumpen, wenn ein Neubau              investiert werden. Zeitgemäße Planungs- und
                     ansteht, liegt für viele nahe. Doch häufig wird     Kollaborationsmethoden und Tools wie BIM
                     dabei vergessen, dass einem dringend benötig-       sowie Projektkommunikations- und Projekt-
                     ten Neubau bereits ein Investitionsstau im Alt-     managementplattformen helfen hierbei.
                     bau vorangeht und ein größeres Neubauprojekt
                     von der ersten Idee bis zur Betriebsaufnahme        Nur weil neu gebaut wird, darf der Bestand
                     rund fünf Jahre in Anspruch nimmt. In diesem        nicht vernachlässigt werden. Verschiebungen
                     Zeitraum können moderate Instandhaltungs-           im Bauprojekt müssen immer ein Anstoß
                     oder Instandsetzungsmaßnahmen durchaus              dafür sein, die Entscheidungen bezüglich des
                     erforderlich und angezeigt sein.                    Bestands zu überprüfen.

                     Um hier sinnvolle Entscheidungen zu treffen,
                     lohnt sich eine Gebäudeanalyse, die beispiels-
                                                                         Autoren
Fotos: GettyImages

                     weise in einem kurzen Steckbrief abgebildet
                     werden kann. So lässt sich bei Veränderungen        Katrin Thies
                     im Bauprojekt leicht nachvollziehen, ob die         katrin.thies@de.ey.com
                     Entscheidungen hinsichtlich der Maßnahmen im        Fabian Schuster
                     Bestand ebenfalls anzupassen sind. Werden           fabian.schuster@de.ey.com

                                                                                                             HealthCare Magazin | Winter 2020   23
Provider | Finanzierung

Innovative Modelle
der Finanzierung
So können Krankenhäuser Factoring, Fundraising und Crowdinvesting für Investitionen nutzen

Jahr für Jahr müssen die Leistungserbringer im deutschen       Unter Factoring versteht man den fortlaufenden Verkauf
Krankenhauswesen mit Ernüchterung feststellen, dass der        kurzfristiger Forderungen an einen Factor bzw. eine Facto-
Investitionsbedarf um ein Vielfaches höher liegt als die zur   ring-Gesellschaft. In diesem Zuge werden die Debitoren-
Verfügung stehenden Mittel. Diese Situation hat sich über      buchhaltung, die Einziehung der Forderungen und das Mahn­-
die letzten 30 Jahre sukzessive verschärft und zu einem In-    wesen ausgelagert. Infrage kommen hier beispielsweise
vestitionstau in zweistelliger Milliardenhöhe geführt. Der     Forderungen aus Dienstleistungen gegenüber den Patienten
Grund für diese Problematik liegt primär in der Systematik     beziehungsweise deren Krankenkassen. Dieses Vorgehen
der Krankenhausfinanzierung. Die duale Krankenhausfinan-       zielt darauf ab, die Dienstleistungen, deren Abrechnung
zierung sieht vor, dass die laufenden Betriebskosten der       aufgrund der gegebenen Zahlungsziele zu kurzfristig fälligen
Krankenhäuser über die Benutzerentgelte finanziert werden.     Forderungen führt, gegenüber den Kostenträgern geltend
Die Übernahme der Investitionskosten der Krankenhäuser         zu machen. Der wesentliche Vorteil des Factorings für das
ist hingegen nach § 9 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes     Krankenhaus besteht darin, dass es zügig Liquidität und
(KHG) originäre Aufgabe der Länder. Die Investitionsförde-     damit verbunden Planungssicherheit erhält. Es muss nicht
rung durch die Länder ist seit 1993 tendenziell rückläufig     den Ablauf des Zahlungsziels oder ggf. Zahlungsverzöge-
und betrug 2017 rund 2,76 Milliarden Euro. Der tatsächliche    rungen durch die Kostenträger abwarten, sondern erhält
Investitionsbedarf zur Instandhaltung und zum Ausbau be-       sofort den angepassten Gegenwert der fakturierten Leis-
stehender Strukturen wird auf jährlich rund 6 Milliarden       tungen, abzüglich eines vereinbarten Einbehalts. Sobald die
Euro beziffert. Und die Schere zwischen dem Investitions­      Krankenkassen die offenen Forderungen beglichen haben,
bedarf und der Investitionsförderung wird sich noch weiter     zahlt die Factoring-Gesellschaft den Restbetrag abzüglich
öffnen. Da zudem die Innenfinanzierungskraft der Kranken-      der Gebühren an das Krankenhaus zurück.
häuser meist schwach ist, müssen sie alternative Finan­
zierungsquellen erschließen, um weiteres Fremdkapital zu       Unter Fundraising fallen alle Einnahmen, die eine gemein-
beschaffen.                                                    nützige Organisation bzw. ein Krankenhaus außerhalb der
                                                               Regelfinanzierung erwirbt. Hierbei handelt es sich insbeson-
Finanzspritzen für den kurz- bis mittelfristigen Bedarf        dere um Spenden, Zustiftungen und Sponsoringgelder. Die
In diesem Zusammenhang rücken neben den klassischen            Personen und Institutionen, die hinter den Spenden stehen,
Optionen der Finanzbedarfsdeckung (Eigenkapital, Träger-       sind meist sehr vielfältig und mit dem Krankenhaus regional
zuschüsse, Bankdarlehen, Cashpooling etc.) vermehrt            verbunden. Damit die Spender erreicht werden, ist ein ad-
die bereits in anderen Branchen etablierten Instrumente        ressatengerechtes Fundraising, beispielsweise über „Capital
Factoring, Fundraising oder Crowdinvesting in den Vorder-      Campaign“ (Spenden für bestimmte Projekte), zwingend
grund. Diese Optionen können als ergänzende Finanzierungs-     erforderlich. Die generierten Spendengelder können frei
quellen betrachtet werden und dienen primär der Deckung        eingesetzt werden und eignen sich für Anschubfinanzierun-
des kurz- bis mittelfristigen Finanzbedarfs.                   gen, Innovationen und Verbesserungen, die noch nicht

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vollständig von den Ländern bzw. Kostenträgern finanziert
                     werden. In der Praxis betreiben bereits über 60 Prozent
                     aller Krankenhäuser in Deutschland ein aktives Fundraising
                     und messen dieser Thematik einen derart hohen Stellwert
                     bei, dass das Fundraising oftmals organisatorisch eigenstän-
                     dig und nahe der Geschäftsführung angesiedelt ist.

                     Beim Crowdinvesting werden beispielsweise über ein
                     Online-Portal verhältnismäßig kleine Einzelbeträge von

                                                                                     „
                     zahlreichen „Unterstützern“ (sogenannte Crowd) für
                     bestimmte Inno­vationen und Geschäftsideen gesammelt,
                     wobei die gesammelten Beträge an eine Renditeerwartung
                     der Crowd geknüpft sind. Die Geschäftsideen, die mit
                     Crowdinvesting gefördert werden sollen, stammen meist
                     aus Erfahrungen der täglichen Praxis der Anwender.
                     Aufgrund einer inten­siven Beziehung zwischen Kapitalge-
                                                                                     Der tatsächliche
                     bern und -nehmern kann Crowdinvesting für Innovationen          Investitionsbedarf zur
                     begeistern und sie umsetzen helfen. Insbesondere die
                     Gesundheitswirtschaft ist ein Wachstumsmarkt mit hohem          Instandhaltung und
                     Innovationspotenzial, das Investoren anzieht und Innova­        zum Ausbau bestehender
                     tionstreibern beste Chancen verspricht.
                                                                                     Strukturen wird auf
                     Die Bundesregierung hat zwar im Zuge der COVID-19-
                     Pandemie erkannt, wie notwendig zusätzliche Investitionen
                                                                                     jährlich rund 6 Milliarden
                     in die Krankenhausstruktur sind, und versucht, diese mit        Euro beziffert.
                     neuen, temporären Finanzspritzen (u. a. Krankenhauszu-
                     kunftsgesetz) zu ermöglichen; dennoch bleibt die strukturelle
Fotos: GettyImages

                     Unterfinanzierung im Geltungsbereich des Krankenhaus­
                     finanzierungsgesetzes bestehen. Daher ist damit zu rechnen,
                     dass sich die Bandbreite geeigneter Finanzierungsalter­
                     nativen wie Factoring, Fundraising oder Crowdfunding ver-
                     größern wird.

                                                                                     Autor
                                                                                     Patrick Buß
                                                                                     patrick.buss@parthenon.ey.com

                                                                                                         HealthCare Magazin | Winter 2020   25
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