BARDEM, BERLANGA UND BUÑUEL - FEBRUAR BIS 2. APRIL 2020 - Österreichisches Filmmuseum
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27. FEBRUAR BIS 2. APRIL 2020 BARDEM, BERLANGA UND BUÑUEL Die »drei Bs« des spanischen Kinos JERUSALEM CINEMATHEQUE Carte blanche IN PERSON Philipp Fleischmann DER MOND www.filmmuseum.at
Willkommen im Österreichischen Filmmuseum Das Österreichische Filmmuseum widmet sich seit 1964 der Samm- lung, Bewahrung, Erforschung und Vermittlung des Mediums Film in all seinen Aspekten. Das beinhaltet ganz zentral die Ausstellung und Vermittlung von Film – als Kunstform, Kulturtechnik und Zeitdokument – in unserem Kinosaal, dem »Unsichtbaren Kino« in der Albertina. Wir zeigen Werke aus der Geschichte des Films grundsätzlich im jeweiligen Originalformat und in den weltweit bestmöglich erhalte- nen Filmkopien (35mm bzw. 16mm). Werke, die ursprünglich auf Video bzw. digital hergestellt oder präsentiert wurden, werden digi- tal projiziert. In seltenen Fällen präsentieren wir auf Film hergestellte Werke digital: Dies geschieht jeweils aus kuratorischen oder konser- vatorischen Gründen und wird speziell ausgewiesen. Filme werden bei uns grundsätzlich in ihrer originalen Sprachfas- sung gezeigt und gegebenenfalls untertitelt. Für unsere internationa- len Gäste weisen wir Vorführungen in englischer Sprache bzw. Unter- titelfassung gesondert aus (siehe Legende S. 2). Screenings in English or with English subtitles are marked with this symbol ★ INHALT Allgemeine Informationen 2 Bardem, Berlanga und Buñuel 3 Der Mond 33 Carte blanche: Jerusalem Cinematheque 35 In Person. Philipp Fleischmann 38 Interkulturelle Filmbildung 41 Schule im Kino 42 Zyklisches Programm. Was ist Film 43–52 43 Spielplan. Alle Filme von 27. Februar bis 2. April 2020 47 Dank/Impressum 51 Innerhalb eines Themas sind die Filme in der Reihenfolge ihrer Programmierung geordnet.
ALLGEMEINE INFORMATIONEN SPIELORT/VEREINSSITZ 1010 Wien, Augustinerstraße 1 TICKETS Kassaöffnungszeiten: Montag bis Freitag ab 15 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen geöffnet ab einer Stunde vor Beginn der ersten Vorführung. Bei großem Andrang werden ab 30 Minuten vor Beginn nur mehr Karten für die unmittelbar bevorstehende Vorführung verkauft. Einzelkarte für Mitglieder sowie Kinder und Jugendliche bis 18: 6 Euro Ermäßigung für Studierende mit Mitgliedschaft: 5 Euro bzw. 3 Euro für Zyklus Zehnerblock (für Mitglieder): 45 Euro Einzelkarte inklusive Gastmitgliedschaft: 10,50 Euro Jahresmitgliedschaft: 13,50 Euro Partnermitgliedschaft: 23 Euro Beitritt zwischen Jänner und Juni, gültig bis Jahresende. Informationen zur Fördernden Mitgliedschaft auf Seite 51 und auf unserer Website www.filmmuseum.at RESERVIERUNGEN T +43/1/533 70 54 oder www.filmmuseum.at. Reservierte Karten müssen spätestens 30 Minuten vor Beginn der jeweiligen Vorstellung abgeholt werden. BÜRO/BIBLIOTHEK 1010 Wien, Hanuschgasse 3, Stiege 5, 2. Stock Bibliothek: Mo & Mi, 12–18 Uhr; Katalog online unter www.filmmuseum.at Videosichtungsplatz für Studienzwecke: Mi 12–18 Uhr (gegen Voranmeldung) Büro: Mo bis Do 10–18 Uhr, Fr 10–13 Uhr, T 01/533 70 54, E-Mail office@filmmuseum.at SAMMLUNGEN 1190 Wien, Heiligenstädter Straße 175 (Hof), T 01/533 70 54 -232 ABKÜRZUNGEN R Regie B Drehbuch K Kamera S Schnitt M Musik D Darsteller E Erzählstimme UT Untertitel ZT Zwischentitel • Veranstaltungen mit Gästen oder Einführungen ★ English language or subtitles TEXTE VON David Asenjo Conde, Alejandro Bachmann, Christoph Huber, Stefan Huber, Michael Loebenstein, Ivana Miloš, Harry Tomicek MÄRZ 2020 2
27. FEBRUAR BIS 2. APRIL 2020 Las Tres Bes Bardem, Berlanga und Buñuel Der spanische Regisseur Luis Buñuel (1900–1983) ist einer der großen Calle Mayor Klassiker des Kinos und ein fixer Bezugspunkt für das Österreichische (1956, J. A. Bardem) Filmmuseum, das sein größtenteils im Exil entstandenes Werk immer wieder gezeigt hat. Wenn nun dieses Monat eine Auswahl seiner Filme aus unserer Sammlung wiederaufgeführt wird, ist es erstmals, um auch einen Kontext zu schaffen: Nämlich für die Filme zweier an- derer spanischer Meisterregisseure, die in der Nachkriegszeit zu Weltruhm aufstiegen, inzwischen aber ihrer großen Wiederentde- ckung harren. Im Zentrum des Märzprogramms stehen eigentlich Juan Antonio Bardem (1922–2002) und Luis García Berlanga (1921– 2010), die in ihrer Heimat gemeinsam mit Buñuel schlicht als »las Tres Bes« – die »drei Bs« – des nationalen Kinos gelten. MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 3
FILMOTECA ESPAÑOLA Los jueves, milagro (1957, L. G. Berlanga) Dabei ist es ein stimmiger Ansatz, die Werke von Bardem und Berlanga zu kombinieren: Ihre Werke werden in Filmgeschichte und -kritik zwar oft miteinander verglichen, aber dennoch bot kaum je eine gemeinsame Retrospektive die Möglichkeit, ihre miteinander verflochtene Entwicklung zu würdigen, die sie zu unterschiedlichen Entwürfen geführt hat: zu engagierter Solidarität, »kritischem Zeug- nis« und akribischem Ästhetizismus bei Bardem; zu satirischen Röntgenaufnahmen der Gesellschaft, zur fatalen Vernichtung des freien Willens und zum grotesken Humor bei Berlanga. Nach dem Zweiten Weltkrieg (und seit dem Exil von Luis Buñuel) sind Bardem und Berlanga die zwei herausragenden Regisseure, die sich mit ihren Filmen dem offiziellen Kino der Franco-Diktatur dissident entgegen- stellen, was durch eine sorgfältige Auswahl aus ihrem Werk bei dieser Filmschau unterstrichen wird. Kurz soll Berlangas und Bardems Werdegang skizziert werden: Den Beginn markiert die Zusammenarbeit an der neorealistischen cinephilen Komödie Esa pareja feliz (Dieses glückliche Paar, 1951/53). Mitte der 1950er bilden die beiden Filmemacher das Zentrum der filmischen Erneuerung Spaniens. In Bienvenido Mister Marshall (Will- kommen, Mr. Marshall, 1952) parodiert Berlanga den Ausschluss Spa- niens von der US-Nachkriegshilfe, während Bardem mit drei Werken MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 4
besticht: Cómicos (Schauspieler, 1954) über eine unerschütterliche theatrale Leidenschaft, Muerte de un ciclista (Tod eines Radfahrers, 1955), der zu einem Manifest des realistischen Films wurde, und Calle Mayor (Hauptstraße, 1956), über die bittere Enttäuschung einer ver- träumten, unverheirateten Frau aus der Provinz. Als die beiden Filmemacher – durchaus nicht ohne Schwierigkei- ten – ihre kreative Blüte erreichen, geraten sie im Lauf des folgenden Jahrzehnts in ernsthafte Konflikte mit der Regierung, nachdem ihre Filme auf internationalen Festivals gezeigt werden und diverse Hauptpreise gewinnen. El Verdugo (Der Henker, 1963) ist ein Plädoyer gegen die Todesstrafe in Berlangas unverwechselbarem Stil und Buñuels Viridiana (1961), dessen Produktion Bardem unterstützt, wird gleich darauf verboten. Solche Anfeindungen, die Etablierung neuer Kinostrukturen, kommerzielle Turbulenzen und der Verlust der Sym- pathie der Filmkritik für Bardem führen dazu, dass Berlangas und Bardems Karrieren bis zum Tod Francos 1975 von Phasen der Untätig- keit gekennzeichnet sind. Dazu kommen Verzögerungen, Projektver- bote, Arbeitsexil und Auftragsarbeiten, die sich weit von den eigent- lichen Intentionen der Regisseure entfernen. Erst der Übergang zur Demokratie und die neuen Freiheiten veran- lassen die beiden dazu, sich neu zu erfinden. Bardem, ein prominen- tes Mitglied der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) und stets ihren strategischen Parolen treu, verabschiedet sich von Symbolis- men und Anspielungen zugunsten direkterer filmischer Formen. Er dreht das gewerkschaftsnahe Road Movie El puente (Die Brücke, 1976) und rekonstruiert in Siete días de enero (Sieben Tage im Jänner, 1978) das tragische Attentat auf Arbeitsrechtler im Jahr 1977. In Die Mahnung (1982) erinnert er an den bulgarischen Politiker Grigori Dimitroff, der in den 1930ern bei einem Schauprozess der National- sozialisten die kommunistische Beteiligung am Reichstagsbrand widerlegt und die Bildung von Volksfronten vorangetrieben hatte. Berlanga hingegen richtet in seiner letzten Phase den vielstimmi- gen Sarkasmus der treibenden Kräfte der Gesellschaft und der unter- privilegierten Klassen – die bereits in Los jueves, milagro (Donners- tags, Wunder, 1957) und vor allem in Plácido (1961) eine Rolle spielen – auf die dekadenten Eliten und die neuen Machtstrukturen, etwa in La escopeta nacional (Das nationale Gewehr, 1978). Er greift auch frü- here gescheiterte Projekte wieder auf, wie zum Beispiel eine Szene aus Bienvenido Mister Marshall, die damals nicht gedreht werden MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 5
durfte: 50 Jahre später macht Berlanga daraus den Kurzfilm El sueño de la maestra (Der Traum der Lehrerin, 2002). Langfilme werden teilweise mit kurzen Werken kombiniert, die mit ihnen in Dialog treten. De Kuleshov a Berlanga (Von Kuleshov zu Berlanga, Guillermo García-Ramos, 2004) schildert einen Streit der Filmemacher während der Dreharbeiten zu Esa pareja feliz; der Künstler Pierre Molinier, Schöpfer von [Mes jambes] (Meine Beine, 1965), hat Berlangas Tamaño natural (Lebensgroß, 1973) durch seine Fotomontagen und Transvestiten-Selbstporträts beeinflusst, in denen er mit weiblichen Schaufensterpuppen androgyn verschmilzt. Die Gegeninformations-Dokumentationen Amnistía y libertad (Amnestie und Freiheit, 1976) und Hasta siempre en la libertad (Für immer in Freiheit, 1977), vom Madrider Filmkollektiv in den letzten Etappen der Diktatur heimlich gefilmt und projiziert, erweitern die Vorführungen von El puente und Siete días de enero, die als verwandte Fiktionen des Genossen Bardem kommerziell vertrieben wurden. Eine Anmerkung zur Geschlechterpolitik sollte noch gemacht werden: Bei Bardem ist die Situation der benachteiligten Frau in Filmen wie Calle Mayor und in dessen Quasi-Nachfolger Nunca pasa nada (Es passiert nie etwas, 1963) ein wichtiges Thema. Aber es gilt auch, die defätistische Frauenfeindlichkeit von Berlanga aufzuzeigen, die sich in einer Angst vor der Überlegenheit der Frauen äußert – ins- besondere im faszinierenden Werk Tamaño natural zu sehen. Es wäre noch viel über die fünf Jahrzehnte aktiver Filmarbeit der beiden Regisseure zu sagen: Berlanga etwa war Präsident der Filmo- teca Española und entwarf vor seiner Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Rafael Azcona die mediterranen Zufluchtsorte von Novio a la vista (Ein Freund taucht auf, 1953) und Calabuch (1956). Für das Wiener Kinopublikum noch ein exzentrischer Gag zum Schluss: Berlanga erwähnt in seinen Filmen immer wieder die vergangene »Österreichisch-Ungarische Monarchie«, als handle es sich dabei um einen Glücksbringer. Sind Sie bereit für eine cinephile Zitatsuche? (David Asenjo Conde) Die Retrospektive findet mit großzügiger Unterstützung der Spanischen Botschaft in Wien statt. David Asenjo Conde, Filmhistoriker, Spezialist für spanisches Kino und Kurator der Bardem-Berlanga-Auswahl, wird die Schau mit Einführungen begleiten. MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 6
Bienvenido Mister Marshall (Willkommen, Mr. Marshall) R: L. G. Berlanga B: L. G. Berlanga, J. A. Bardem, Miguel Mihura K: Manuel Berenguer S: Pepita Orduña M: Jesús García Leoz D: Lolita Sevilla, Manolo Morán, José Isbert. Spanien, 1952, 35mm, sw, 78 min.* Spanisch mit engl. UT ★ DANACH: El sueño de la maestra (Der Traum der Lehrerin) R, B: L. G. Berlanga K: Domingo Solano M: José Antonio Sánchez D: Luisa Martín, Santiago Segura. Spanien, 2002, 35mm, Farbe, 13 min.** Spanisch mit engl. UT ★ Ein spanisches Provinzdörfchen gerät in helle Aufruhr, als die Ankunft DONNERSTAG einer US-Delegation annonciert wird. Um am Marshall-Plan-Dollar- 27.2. / 19.00 segen mitzuschneiden, errichtet man ein potemkinsches Dorf, das • Einführung magisches andalusisches Flair (samt Flamenco-Tänzerin) verströmen von David Asenjo Conde soll und versteigt sich in absurde Amerika-Träume … Mit Bienvenido Mister Marshall trat das spanische Kino aus dem repressiven Schatten FREITAG der Franco-Diktatur auf die internationale Bühne: In Cannes gab 13.3. / 21.00 es den Preis für die beste Komödie, Luis García Berlanga und Juan Antonio Bardem spezialisierten sich mit Welterfolgen auf subversive *Courtesy ICAA Gesellschaftsstudien. Parallel zur Entwicklung Richtung Commedia **Courtesy all’italiana gestaltet Bienvenido Mister Marshall eine spanische Selbst- Filmoteca Española bild-Satire in täuschend liebevollem Plauderton: Erinnerungen an die Unterentwicklung. Als Nachschlag: Berlangas letzter (Kurz-)Film, die Rekonstruktion einer Marshall-Szene, die wegen der Franco-Zensur nicht gedreht werden durfte – in verschärfter Modernisierung. (C. H.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 7
Calle Mayor (Hauptstraße) R, B: J. A. Bardem nach einem Theaterstück von Carlos Arniches K: Michel Kelber S: Margarita Ochoa M: Joseph Kosma, Isidro B. Maiztegui D: Betsy Blair, José Suárez, Yves Massard, Dora Doll. Spanien/Frankreich, 1956, 35mm, sw, 99 min. Spanisch mit engl. UT ★ In einer spanischen Kleinstadt vertreibt sich eine Gruppe gelangweil- DONNERSTAG ter Müßiggänger mittleren Alters die Zeit mit einem Streich: Juan, 27.2. / 21.00 einer von ihnen, soll die einsame Mittdreißigerin Isabella (bewegend: • Einführung Betsy Blair, von der Kommunistenjagd aus Hollywood vertrieben) ver- von David Asenjo Conde führen, die noch immer auf den Mann fürs Leben wartet. Beim jähr- lichen Großen Ball wollen sie Isabella dann mit der Wahrheit blamie- SAMSTAG ren. Doch Isabellas Hoffnungen durch das unerwartete Glück offen- 21.3. / 19.00 baren eine Gefühlstiefe und Aufrichtigkeit, die Juan zunehmend zusetzt. Allein fehlt ihm der Mut, dem grausamen Spiel ein Ende zu Courtesy ICAA setzen. Bardems großer Frauenfilm speist sich aus mehreren literari- schen Quellen, aber es ist vor allem die packende visuelle Umsetzung und die darstellerische Intensität, die seiner feministisch grundierten Kritik an Heuchelei und sozialer Kälte zeitlose Kraft gibt – eine kriti- sche Haltung, die zum Politikum wurde, als die Dreharbeiten wegen Bardems Verhaftung unterbrochen werden mussten. (C. H.) Esa pareja feliz (Dieses glückliche Paar) R, B: J. A. Bardem, L. G. Berlanga K: Guillermo Goldberger S: Pepita Orduña M: Jesús García Leoz D: Fernando Fernán Gómez, Elvira Quintillá, Félix Fernández. Spanien, 1951/1953, 35mm, sw, 80 min.* Spanisch mit engl. UT ★ DAVOR: De Kuleshov a Berlanga (Von Kuleshov bis Berlanga) Ein Film von Guillermo García-Ramos D: G. García-Ramos, Luis García Berlanga. Spanien, 2004, 35mm, Farbe, 13 min. Spanisch mit dt. UT Ein junges Ehepaar kämpft mit finanziellen Nöten: Er arbeitet im Film- FREITAG studio, sie probiert es mit Gewinnspielen. Genau im unpassendsten 28.2. / 19.00 Moment werden sie von einer Seifenfirma als »Dieses glückliche • Einführung Paar« auf 24 Stunden Luxusleben eingeladen. Beeinflusst vom Neo- von David Asenjo Conde realismus konzipierten Berlanga und Bardem ihre Kritik an der Kon- sumgesellschaft und ihren falschen Glücksversprechen, während sie MONTAG Seitenhiebe an die franquistische »Kinokultur« austeilten. Ihr gemein- 16.3. / 19.00 sames Spielfilmdebüt war einer der ersten dissidenten Filme unter der Franco-Diktatur. Der Vorfilm basiert auf einer Auseinanderset- *Courtesy ICAA zung des Regieduos bei den Dreharbeiten zu Esa pareja feliz – das letzte Wort hat in einem Gastauftritt Berlanga höchstselbst. (C. H.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 8
FILMOTECA ESPAÑOLA Esa pareja feliz Muerte de un ciclista (Der Tod eines Radfahrers) R: J. A. Bardem B: J. A. Bardem nach einem Drehbuch von Luis Fernando de Igoa K: Alfredo Fraile S: Margarita Ochoa M: Isidro B. Maiztegui D: Lucía Bosè, Alberto Closas, Otello Tosso. Spanien/Italien, 1955, 35mm, sw, 88 min. Spanisch mit engl. UT ★ María (Lucia Bosè) und Universitätsprofessor Juan (Alberto Closas) FREITAG haben eine heimliche Affäre. Bei einem gemeinsamen Ausflug über- 28.2. / 21.00 fahren sie versehentlich einen Radfahrer und begehen Fahrerflucht. • Einführung Im desillusionierten Bürgerkriegskämpfer Juan regt sich das Gewis- von David Asenjo Conde sen, als er vom Tod des Unfallopfers in der Zeitung liest. Er löst un- beabsichtigt Studentenproteste aus, während María auf den Ober- SAMSTAG schicht-Partys ihres Gatten von einem Kunstkritiker erpresst wird. Mit 28.3. / 21.00 Muerte de un ciclista wurde Bardem schlagartig als einer der heraus- ragenden Gegenwartsregisseure entdeckt: Seine Fusion von Noir und Courtesy ICAA Gesellschaftskritik zeigt noch den Einfluss von Antonionis Regiedebüt Cronaca di un amore (dessen Hauptdarstellerin Bosè der Regisseur importierte), aber der avancierte Ästhetizismus mit seinen kühnen Kadragen und decouvrierenden Schnittfolgen offenbart Bardems ureigene Handschrift, ebenso wie die (kaum) verschlüsselte, vernich- tende Kritik an einer korrumpierten Gesellschaft. (C. H.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 9
Viridiana R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Julio Alejandro K: José Fernández Aguayo S: Pedro del Rey M: Händel, Mozart, Beethoven D: Silvia Pinal, Fernando Rey, Francisco Rabal. Mexiko/Spanien, 1961, 35mm, sw, 91 min. Spanisch mit dt. UT Luis Buñuels Filme provozierten oft heftige Skandale, doch als Feind SAMSTAG vorgefasster Meinungen verweigerte er es, daran Anteil zu nehmen: 29.2. / 19.00 »Ich achte Personen, die leben, was sie bewegt.« Für keines seiner Werke gilt dies mehr als für Viridiana: ein Skandalfilm über den religi- FREITAG ösen Eifer einer Novizin, eine Komödie ohne Humor, eine Tragödie 13.3. / 19.00 von souveräner Gelassenheit, glasklar realistisch und surrealistisch zugleich. Weder der mit hochgezogenem Rock »fotografierten« Bettlerorgie, einfrierend zu einem Zitat von Leonardos »Abendmahl«, noch anderen schockierenden Szenen unterlag blasphemische Absicht. Viridiana stellt die christliche Moral, Luis Buñuels Herkunft, ganz von innen dar, indem er sie von außen viviseziert: der letzte christliche Film, erschaffen von einem leidenschaftlichen Mann, der nicht gläubig ist. (H. T.) Tamaño natural (Lebensgroß) R: L. G. Berlanga B: L. G. Berlanga, Rafael Azcona K: Alain Derobe S: François Donnot M: Maurice Jarre D: Michel Piccoli, Rada Rassimov, Valentine Tessier. Frankreich/Italien/Spanien, 1974, 35mm, Farbe, 100 min.* Spanisch mit engl. UT ★ DAVOR: [Mes jambes] (Meine Beine) Ein Film von Pierre Molinier. Frankreich, 1965, 16mm (von Super 8), sw, 10 min** Der erfolgreiche Zahnarzt Michel bekommt ein mit großer Spannung SAMSTAG erwartetes Paket aus Japan. Es enthält eine lebensgroße Puppe, die 29.2. / 21.00 Michel zu seiner Lebensgefährtin macht. Dabei leistet die Puppe seiner Mutter beim Stricken Gesellschaft, stillt das Baby seiner Haus- MONTAG hälterin und erfüllt jede (vor allem erotische) Fantasie, die ihm ein- 16.3. / 21.00 fällt: von romantischen Ausflügen bis zu gewalttätigem Sex. Die »gemeinsamen« Aktivitäten werden oft aufgenommen und sogar *Courtesy »zusammen« angeschaut. Michel, verkörpert vom unnachahmlichen Filmoteca de Valencia Michel Piccoli, schwankt schizophren zwischen den Extremen. Er ist **Restaurierte ein verzweifeltes Geschöpf, das skizzenhaften Überlegungen über Fassung den Untergang der Männlichkeit folgt. Mit Tamaño natural nähert sich Berlanga dem europäischen Autorenfilm, stark inspiriert vom Künstler Pierre Molinier: im Angesicht einer idealisierten, passiven und unzerstörbaren Weiblichkeit wird von einer ins Leere laufenden Suche nach Erfüllung erzählt. (I. M.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 10
FILMOTECA ESPAÑOLA Tamaño natural Le Journal d’une femme de chambre (Tagebuch einer Kammerzofe) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière nach dem Roman von Octave Mirbeau K: Roger Fellous D: Jeanne Moreau, Georges Géret, Michel Piccoli. Frankreich/Italien, 1964, 35mm, sw, 97 min. Französisch mit dt. UT Französische Provinz 1930. Landadel, Dienerschaft und Klerus aus der SONNTAG Sicht eines Zimmermädchens. Die Villa der aristokratischen Familie 1.3. / 19.00 als Treibhaus für sexuelle Verklemmungen, Ignoranz, Fetischismus, Schürzenjägerei, Standesdünkel und politische Blindheit. Was Buñuel MONTAG von Jean Renoirs Octave-Mirbeau-Verfilmung aus dem Jahre 1946 30.3. / 19.00 unterscheidet, ist nicht nur die beiläufige Kühle und trocken-präzise Unerbittlichkeit der Inszenierung. Individuelle Moral, so Buñuel, inter- essiere ihn nicht, umso mehr diejenige der Gesellschaft. Seine Filme seien gemacht, um letztere vom Grund her und als Ganzes in Frage zu stellen. (H. T.) Es geht auch nicht bloß um bürgerliche Dekadenz. »Es kam ihm darauf an, das untergehende Bürgertum als Nährboden des Faschismus darzustellen. Deshalb ließ er den Film um 1930 spielen und machte aus den Dreyfus-Gegnern des Romans Anhänger der ›Action Française‹.« (Frieda Grafe) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 11
Belle de jour (Schöne des Tages) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière nach dem Roman von Joseph Kessel K: Sacha Vierny S: Louisette Hautecoeur D: Catherine Deneuve, Jean Sorel, Michel Piccoli. Frankreich/Spanien, 1967, 35mm, Farbe, 99 min. Französisch mit dt. UT Die bürgerliche Frau, wandelnd voll Verlangen und schaudernder SONNTAG Neugierde im perversen, komischen, furchtbaren Garten der Lüste. 1.3. / 21.00 Der Schlüssel, der ihr Zugang zum sexuellen Labyrinth verschafft, ist die Tatsache, dass sie ihre Außenwelt in jene zwei Teile separiert, in DONNERSTAG die ihre Innenwelt zerbrochen ist: Am Tag ist sie Hure, in der Nacht 19.3. / 21.00 liebende Gattin. Was ihn an Filmen bewege, so Luis Buñuel, sei die Möglichkeit, ein Fenster zum Wunderbaren zu öffnen. In Belle de jour erweitert sich sein subversives Verfahren auf die Keuschheit und die sarkastische Abkürzung, mit denen er distanziert Abgründe schildert. Entwaffnend, schwerelos, vieldeutig das Ineinanderspiel von Traum und Realität. Denunziert Buñuel oder huldigt er? Ein Fallenwerk in Pastell. Das System der Verbote und Sehnsüchte, ausgemalt von sei- nem besessensten Kritiker und freiesten Chronisten. (H. T.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 12
FILMOTECA ESPAÑOLA Cómicos (Schauspieler) R, B: J. A. Bardem K: Ricardo Torres S: León Klimovsky, Antonio Gimeno M: Isidro B. Maiztegui D: Elisa Christian Galvé, Fernando Rey, Emma Penella. Spanien/Argentinien, 1954, 35mm, sw, 88 min. Spanisch mit engl. UT ★ Die junge Schauspielerin Ana versucht in einem Theaterensemble MONTAG unter der Leitung der älteren Doña Carmen Fuß zu fassen. Als die 2.3. / 19.00 Truppe ein wichtiges Stück übernimmt und ihr die gewünschte Rolle wieder einmal durch die Finger rutscht, überlegt sich Ana andere, we- MITTWOCH niger respektable Wege, um voranzukommen … Bardems erste Solo- 18.3. / 21.00 Regiearbeit ist ein ästhetisch atemberaubendes Melodram, gleicher- maßen inspiriert von Joseph L. Mankiewicz’ All About Eve und der Courtesy ICAA eigenen Herkunft aus einer Theaterfamilie: eine dunkle Reise in die Nacht, die dem Filmemacher laut eigener Aussage im Traum erschien. Hinter dem bewussten und phantasmagorischen Umgang mit der fil- mischen Form verbirgt sich eine tiefe Frustration mit der sozialen und politischen Situation im franquistischen Spanien. Das Versprechen der Jugend erstickt vor einer düsteren Kulisse der Erschöpfung. (I. M.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 13
Calabuch R: L. G. Berlanga B: L. G. Berlanga, Leonardo Martín, Florentino Soria, Ennio Flaiano K: Francisco Sempere M: Francesco Lavagnino, Guido Guerrini S: Pepita Orduña D: Edmund Gwenn, Valentina Cortese, Franco Fabrizzi. Spanien/Italien, 1956, 35mm, sw, 96 min. Spanisch mit engl. UT ★ Eine Nachricht verblüfft die Welt: Der berühmte Atomphysiker und MONTAG Raketenspezialist George Hamilton ist verschwunden. Tatsächlich ist 2.3. / 21.00 er inkognito im kleinen spanischen Fischerdorf Calabuch unterge- taucht, weil seine Forschung für militärische Zwecke missbraucht FREITAG wird. Die Einheimischen halten den seltsamen Fremden für einen 20.3. / 19.00 Spießgesellen des örtlichen Schmugglers und stecken ihn ins Ge- fängnis – das die Häftlinge freilich nach Belieben verlassen können. In Courtesy ICAA der entspannten Welt von Calabuch mit ihren kauzigen Bewohner*in- nen findet der Professor eine neue, friedliche Heimat. Bis er sich entschließt, beim jährlichen Feuerwerk mitzumachen. Eine lyrische Vorstudie zu den abgründigen Gesellschaftsquerschnitt-Satiren, die Berlangas Spezialität wurden: Mit seiner volkstümlichen Gewitztheit und dem britischen Charakterdarsteller-Veteranen Edmund Gwenn als Hauptfigur in seiner letzten Rolle auch eine Art spanisches Pen- dant zu den unwiderstehlichen englischen Ealing-Komödien. (C. H.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 14
Un chien andalou (Ein andalusischer Hund) R, B: Luis Buñuel, Salvador Dalí K: Albert Dubergen D: Simone Mareuil, Pierre Batcheff, Jamie Miravilles, Salvador Dalí, Luis Buñuel. Frankreich, 1929, 35mm, sw, ca. 18 min. Französische ZT mit dt. UT L’Âge d’or (Das goldene Zeitalter) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Salvador Dalí K: Albert Duverger S: Luis Buñuel M: Mozart, Schubert, Wagner u.a. D: Gaston Modot, Lya Lys, Max Ernst. Frankreich, 1930, 35mm, sw, 62 min. Französisch mit dt. UT Die Wolke durchzieht den Mond, das Rasiermesser zerschneidet das MITTWOCH Auge – und der Film explodiert in den Händen des kulturvertrock- 4.3. / 19.00 neten Abendlandes. Der Witz, die Wut und die Wollust von Un chien andalou sind 90 Jahre später nicht mürbe geworden, seine images choques reißen uns immer noch fort in Verstörung, konvulsivische Schönheit und das Reich des Wunderbaren. Das gleiche gilt für Buñuels zweiten Streich, von dem der Regisseur sagte: »L’Âge d’or ist der einzige Film meiner Karriere, den ich in einem Zustand von Euphorie, Enthusiasmus und Zerstörungsrausch drehte, in dem ich die Vertreter der ›Ordnung‹ angreifen und ihre ›ewigen‹ Prinzipien lächerlich machen wollte.« Eine explosive Aneinanderreihung revol- tierender Bilder, die hinterhältig als Dokumentation über Skorpione beginnt und nach surrealer Entgleisung – Erschießen des eigenen Kindes, Bischofsskelette, Statuenzehenlutschen und andere anar- chisch-blasphemisch- komische Eskapaden – bei Jesus und den 120 Tagen von Sodom endet. (H. T./C. H.) L’Âge d’or MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 15
Cet obscur objet du désir (Dieses obskure Objekt der Begierde) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière nach einem Roman von Pierre Louÿs K: Edmond Richard S: Hélène Plemiannikov D: Fernando Rey, Ángela Molina, Carole Bouquet, Julien Bertheau, André Weber. Frankreich/Spanien, 1977, 35mm, Farbe, 104 min. Französisch mit engl. UT ★ Nochmals, zum letzten Male, erzählt Buñuel von einer Besessenheit, MITTWOCH die das Ziel ihrer Begierde nicht zu erlangen vermag. Verfallenheit als 4.3. / 21.00 Verfall. Und parallel dazu: Akte des Terrorismus, unerklärlich, ver- störend; aber »ernst nehmen mag er sie schließlich doch nicht: Dazu passen sie einfach zu gut in seine surrealistische Landschaft, in der die Krater schon immer wichtiger waren als die Bäume« (Hans C. Blumenberg). Don Luis besetzt die Rolle des Objekts der Sehnsüchte, als wäre es eine ganz normale Sache, mit zwei Schauspielerinnen und die des alternden Bonvivants mit seinem fernen Ebenbild Fernando Rey, um die Lüste und Katastrophen von Maître Mathieu zu behan- deln, als wären sie die seinen. Was ihn nicht hindert, sie im gleichen Augenblick wie Zuckungen eines Insekts unter dem Reagenzglas zu studieren – sehr gelassen, sehr aufmerksam und erpicht auf alle Äußerungen des Rätselhaften am Lächerlichen oder umgekehrt. (H. T.) Los jueves, milagro (Donnerstags, Wunder) R: L. G. Berlanga, Jorge Grau (ungenannt) B: L. G. Berlanga, J. L. Colina K: Francisco Sempere S: Pepita Orduña M: Franco Ferrara D: Richard Basehart, José Isbert, Paolo Stoppa. Spanien/Italien, 1957, 35mm, sw, 85 min. Spanisch mit dt. UT Los jueves, milagro ist ein zweigeteilter Film. Der erste Teil ist eindeu- DONNERSTAG tig von der Handschrift Berlangas geprägt: Um das marode dörfliche 5.3. / 19.00 Thermalbad wieder in Schwung zu bringen, täuschen die gesell- schaftlichen Triebkräfte eines Kurorts die Erscheinung des Heiligen DONNERSTAG Dimas – des guten Diebs – und wundertätige Heilkräfte der örtlichen 19.3. / 19.00 Gewässer vor. Aber die Geschichte eines frommen Betrugs war im Spanien der Franco-Diktatur ein heikles Thema. So wurde ein zweiter Courtesy Teil inszeniert, in dem der echte Heilige auftaucht und die Fälscher Filmoteca Española übertrumpft, indem er vor versammelter Menschenmenge wahre Wunder bewirkt. Nach Auseinandersetzungen mit der franquistischen Zensur über das Drehbuch wurden auch noch zusätzliche Schnitte angeordnet und (unter der Regie von Jorge Grau) alternative Szenen gedreht. (D. A.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 16
FILMOTECA ESPAÑOLA Nunca pasa nada (Eine Frau ging vorbei) R: J. A. Bardem B: J. A. Bardem, Alfonso Sastre K: Juan Julio Baena S: Margarita Ochoa M: Georges Delerue D: Corinne Marchand, Antonio Casas, Jean-Pierre Cassel. Spanien/Frankreich, 1963, 35mm, sw, 97 min. Spanisch mit dt. UT Nunca pasa nada wurde ebenso wie Berlangas El verdugo 1963 beim DONNERSTAG Filmfestival von Venedig vorgestellt. Für Bardem ist es eine Rückkehr 5.3. / 21.00 in die bedrückende Enge der Provinzstädte, wie er sie schon meister- haft in Calle Mayor dargestellt hatte. Dabei stellt er dieses Mal die be- SAMSTAG freite Haltung einer französischen Unruhestifterin, die zum Quell von 21.3. / 21.00 Begierde und Verleumdung wird, der unglücklichen Resignation der einheimischen Frauen und dem Doppelleben ihrer unterdrückten Courtesy ICAA Ehemänner entgegen. Im Hinblick auf die Parallelen zu Bardems frü- herem Film wurde Nunca pasa nada daheim verächtlich als »Calle Menor« (»Nebenstraße«) abgetan, ohne die Schönheit seines Porträts der trostlosen kastilischen Winter oder der melancholischen Einsam- keit seiner Charaktere zu würdigen, die durch den Einsatz von Tiefen- schärfe und Scope-Aufnahmen noch verstärkt wurde. In der Haupt- rolle: Corinne Marchand aus Agnès Vardas Cléo de 5 à 7. (D. A.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 17
El ángel exterminador (Der Würgeengel) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Luis Alcoriza K: Gabriel Figueroa S: Carlos Savage M: Raúl Livista D: Silvia Pinal, Enrique Rambal, Jacqueline Andere. Mexiko, 1962, 35mm, sw, 93 min. Spanisch mit engl. UT ★ Eine Gruppe von Menschen möchte einen Raum verlassen, kann je- FREITAG doch die Schwelle nicht überschreiten. Man ist gezwungen, unter sich 6.3. / 19.00 zu bleiben. Der Aufenthalt wird zur Privathölle, die Ausnahmesitu- ation legt die Menschen bloß, zersetzt die Fassade im Antlitz der FREITAG Aristokraten und Großbürger. Etwas wollen und es nicht können, Ein- 27.3. / 21.00 geschlossenheit in sich selbst. »Durch die künstlerische Vermittlung sehen wir uns, wie es uns im Leben nicht möglich ist: sachlich darge- stellt, gefangen im Kinosaal. Das ist der Schrecken, der diesem Werk innewohnt.« (Carlos Fuentes) El ángel exterminador verdichtet Grund- motive im Werk Buñuels zu einer Konstruktion, die dem fremdartigen Gesetz des Traums gehorcht. Das Mysterium hat Buñuel als Wesens- element des Kunstwerks im Allgemeinen angesehen, die Imitation des Traums als Spezifikum des Films. Als unheimliche, lastende, be- drängende Macht ist das Geheimnisvolle – jenes, das Buñuel einzig am Kino interessiert – innerstes Zentrum von El ángel exterminador. (H. T.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 18
Plácido R: L. G. Berlanga B: L. G. Berlanga, Rafael Azcona, José Luis Colina, José Luis Font K: Francisco Sempere S: José Antonio Rojo M: Miguel Asins Arbó D: Casto Sendra Cassen, José Luis López Vázquez, Elvira Quintillá. Spanien, 1961, 35mm, sw, 85 min.* Spanisch mit engl. UT ★ DAVOR: La muerte y el leñador (Der Tod und der Holzfäller) R: L. G. Berlanga B: L. G. Berlanga, Rafael Azcona nach der Fabel von La Fontaine K: Francisco Sempere S: Rosa Salgado M: Miguel Asins Arbó D: Hardy Krüger, Ana Casares, Agustín González. Spanien/Frankreich/Italien, 1962, 35mm, sw, 30 min.** Spanisch mit dt. UT In einer spanischen Kleinstadt wird zu Weihnachten eine karitative FREITAG Auktion abgehalten: Zweitklassige Filmstarlets können ersteigert 6.3. / 21.00 werden, um das Festessen glamouröser zu gestalten – vorausgesetzt, es werden auch arme Obdachlose mit durchgefüttert. Die Aktion SONNTAG führt zu chaotischen Verwicklungen. Mittendrin: Fahrer Plácido, der 22.3. / 21.00 eigentlich ein Bankgeschäft erledigen müsste. Der Auftakt der frucht- baren Zusammenarbeit von Berlanga mit Drehbuchautor Rafael *Courtesy ICAA Azcona (auch Marco Ferreris bevorzugter Schreibpartner) demon- **Courtesy striert mustergültig ihre Vorlieben für virtuos choreoegrafierte Über- Filmoteca de Valencia Kreuz-Arrangements zahlreicher Figuren, die alle nur vom Eigennutz getrieben sind. Die Idee der Wohltätigkeit wird dabei konsequent auf den Kopf gestellt: Trotz des täuschend komödiantischen Duktus gibt es keinen schwärzeren Weihnachtsfilm als Plácido. Zum Auftakt ein weiterer satirischer Spieß- rutenlauf in Form eines sel- ten gezeigten Episoden- filmbeitrags: eine Fontaine- Modernisierung mit Hardy Krüger, einem Esel und einem unbarmherzigen Blick auf die Armut unter Francos Regime. (C. H.) Plácido MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 19
FILMOTECA ESPAÑOLA Ensayo de un crimen (Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Eduardo Ugarte nach dem Roman von Rodolfo Usigli K: Agustín Jiménez S: Jorge Busto Pablo Gómez M: Jorge Pérez Herrera D: Ernesto Alonso, Miroslava Stern, Rita Macedo. Mexiko, 1955, 35mm, sw, 90 min. Spanisch mit engl. UT ★ Erstmals bei Buñuel: ein Film, der rundum von lakonisch schwarzem SAMSTAG Humor geprägt ist, jenem aus dem Nebenbei kommenden abgrün- 7.3. / 19.00 digen Witz mit Widerhaken, den der Spanier malhumorismo nennt. Eine Komödie über Sadismus und gehemmte Mordlust. Der Held, charmant, kultiviert und in Dingen der Liebe gestört, hegt die Nei- gung oder den Zwang, die faszinierende, verstörende Anziehung, die Frauen in ihm auslösen, mit Tötungswünschen zu quittieren. Da seine diesbezüglichen Absichten regelmäßig durchkreuzt werden (verzö- gerte Befriedigung, ein Leitmotiv Buñuels), finden die Verbrechen tatsächlich im wunderbaren und lächerlichen Reich der Fantasie statt. Buñuel schildert dies erheitert, nüchtern und schwerelos – als be- schreibe er die Irrwege einer Ameise. (H. T.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 20
El verdugo (Der Henker) R: L. G. Berlanga B: L. G. Berlanga, Rafael Azcona, Ennio Flaiano K: Tonino Delli Colli S: Alfonso Santacana M: Miguel Asins Arbó D: Nino Manfredi, Emma Penella, José Isbert. Spanien/Italien, 1963, 35mm, sw, 87 min. Spanisch mit engl. UT ★ Berlangas berühmtestes Werk wird in Umfragen zurecht regelmäßig SAMSTAG zu einem der besten spanischen Filme aller Zeiten gewählt und ist die 7.3. / 21.00 schärfste Illustration seines (von Autor Rafael Azcona geteilten) pes- simistischen Weltbilds vom Menschen als Gefangener »der unsicht- FREITAG baren Fallen, die uns die Gesellschaft stellt«. Der Bestattungsgehilfe 27.3. / 19.00 José Luis (Nino Manfredi) wird wegen seines Berufs von den Frauen gemieden. Nicht anders geht es Carmen (Emma Penella), der Tochter Courtesy ICAA des staatlichen Henkers (genial jovial: José Isbert), der bald pensions- reif ist. Als José Luis eine Affäre mit Carmen beginnt, führt das mit beiläufiger, aber unaufhaltsamer Konsequenz dazu, dass er auch be- ruflich das Erbe des Henkers antritt. Die Situation spitzt sich stetig zu, um in einem unvergesslichen paradoxen Bild zu kulminieren: Der Henker wird zur Exekution geschleift. Eine schneidend komische Anklage gegen die Todesstrafe, unmenschliche staatliche Bürokratie und grassierende menschliche Schwäche. (C. H.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 21
La ilusión viaja en tranvía (Die Illusion fährt mit der Straßenbahn) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Luis Alcoriza, José Revueltas, Juan de la Cabada, Mauricio de la Serna nach einem Stoff von De la Serna K: Raúl Martinez Solares S: Jorge Busto M: Luis Hernández Bretón D: Lilia Prado, Carlos Navarro, Fernando Soto »Mantequilla«. Mexiko, 1954, 35mm, sw, 82 min. Spanisch mit engl. UT ★ Eines der heimlichen Hauptwerke des mexikanischen Kinos – berü- SONNTAG ckende Traumerfüllung, ganz leicht und alltäglich, als wäre nichts. 8.3. / 21.45 Zwei Straßenbahner, Juan Godínez »Caireles« und Tobías Hernández »Tarrajas«, entführen ihre Lieblingstramway No. 133, die aus dem Verkehr gezogen werden soll, und gondeln mit ihr eine Nacht und einen Tag lang durch die Randzonen der Stadt. Die lose Episoden- struktur nimmt den späten Luis Buñuel vorweg und verbindet sich auf halbem Weg mit einem Dokumentarfilm über Mexico City, einer Sozialsatire und einem Volksstück mit sarkastischer Note. Ganz beiläufig arbeitet Buñuel in diesem als Auftragswerk begonnenen Film gegen den Gott der Logik. Da er stets die unauffälligste Form wählt, macht die Eleganz der Inszenierung sich vergessen, so als be- stünde sie nicht. (H. T.) La Voie lactée (Die Milchstraße) R, M: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière K: Christian Matras S: Louisette Hautecoeur D: Paul Frankeur, Laurent Terzieff. Frankreich/Italien, 1969, 35mm, Farbe, 101 min. Französisch mit engl. UT ★ Frieda Grafe: »Für den Zuschauer bedeutet jede Sequenz, fast jedes MONTAG Bild Appell an seine Erinnerungen, an Bilder, an Gewusstes. Buñuel 9.3. / 19.00 redet eine Sprache, deren Wörter man kennt. Nur die Sätze sind ungewöhnlich.« Ein Bilderbogen christlicher Häresie; das Komposi- tionsprinzip: freie Assoziation. Oder ein Garten, in dem sich die Pfade in eine, eine weitere und wieder in eine andere Geschichte verzwei- gen. Auf ihren Irrwegen nach Santiago de Compostela folgen zwei Clochards dem erlauchtesten Pilgerweg des Abendlandes, um von einem Jahrhundert ins andere zu geraten und auf Maultierpfaden und Autobahnen über die Grenzen verschiedener Filme zu wechseln, die sich als falsch geheftete Kapitel einer Enzyklopädie des Ketzer- tums oder als Träume in Träumen erweisen. Ein Film, der erfüllt ist von der Poesie der Wiederholung und vom phlegmatischen Nektar des surrealen Humors: fremd wie die Milchstraße, äußerst populär und leichthin vorgeführt wie ein geplauderter Wetterbericht. (H. T.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 22
FILMOTECA ESPAÑOLA El puente El puente (Die Brücke) R: J. A. Bardem B: J. A. Bardem, Javier Palmero und Daniel Sueiro nach dessen Kurzgeschichten K: José Luis Alcaine S: Eduardo Biurrun M: José Nieto D: Alfredo Landa, Josele Román, Francisco Algora. Spanien, 1976, 35mm, Farbe, 108 min.* Spanisch mit engl. UT ★ DANACH: Amnistía y libertad (Amnestie und Freiheit) Ein Film des Colectivo de Cine de Madrid. Spanien, 1976, DCP, Farbe, 32 min. Spanisch /dt. Übersetzung liegt auf Als der prototypische Schauspieler Spaniens in erotischen Komödien MONTAG der 1970er hat Afredo Landa dem Genre in der Heimat des Spitz- 9.3. / 21.00 namen »Landismo« eingetragen. Dass Bardem ihn in El puente be- setzte, war das ein Signal: Politisches Engagement soll ins populäre SONNTAG Kino der unmittelbaren Post-Franco-Ära gebracht werden. Landa 29.3. / 21.00 spielt einen individualistischen Mechaniker, der am Wochenende wie Don Quijote auf dem Motorrad die entlegenen Strände von Torremo- *Courtesy Filmo- linos ansteuert. Unterwegs begegnet er den Ungerechtigkeiten und teca de Valencia Dramen des realen Spaniens. Mit neu gewonnenem Klassenbewusst- sein kehrt er in seine Werkstatt zurück und schließt sich der Gewerk- schaftsbewegung an. Eine Episode des Films prangert die Existenz von politischen Gefangenen im Jahr 1976 an: Die Forderung nach ihrer Begnadigung und Befreiung ist Thema des militanten Doku- mentarfilms Amnistía y libertad. (D. A.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 23
FILMOTECA ESPAÑOLA La escopeta nacional (Das nationale Gewehr) R: L. G. Berlanga B: L. G. Berlanga, Rafael Azcona K: Carlos Suárez S: José Luis Matesanz D: José Sazatornill, Mónica Randall, Luis Escobar. Spanien, 1978, 35mm, Farbe, 95 min. Spanisch mit engl. UT ★ Der Auftakt zur sogenannten »Nacional-Trilogie« (nach dem großen MITTWOCH Erfolg dieses Films folgte 1980 Patrimonio nacional und 1982 noch 11.3. / 19.00 Nacional III) und der Beginn der letzten Etappe im Werk von Berlanga. Der Film betont die Vielstimmigkeit der handelnden Figuren und zu- SONNTAG gleich die mangelnde Kommunikation zwischen ihnen – ein Zugang, 22.3. / 19.00 wie ihn auch der US-Regisseur Robert Altman pflegte. In diesem Fall sind die ästhetischen Entscheidungen aber auch von den neuen Aus- Courtesy ICAA drucksmöglichkeiten geprägt, die durch die frische Demokratie mög- lich wurden. Nun kann Berlanga nicht nur von einer Jagdgesellschaft erzählen, die eine aristokratische Familie auf dem absteigenden Ast mit den höchsten politischen Eliten des späten Franquismus verbin- det. Er erlaubt es sich obendrein, spöttisch zu Korruption, Laster und Rivalitäten zwischen den Fraktionen Stellung zu beziehen und bringt sogar die katalanische Frage ins Spiel. Darüber hinaus riskiert der Re- gisseur so manchen apokalyptischen und erotischen Scherz. (D. A.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 24
Subida al cielo (Auffahrt zum Himmel) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Manuel Altolaguirre, Juan de la Cabada, Lilia Solano Galeana nach einer Erzählung von Altolaguirre und Manuel Reachi K: Alex Phillips S: Rafael Portillo M: Gustavo Pittaluga D: Lilia Prado, Esteban Márquez, Luis Aceves Castañeda. Mexiko, 1952, 35mm, sw, 74 min. Spanisch mit dt. UT Buñuels Subida al cielo ist die unterschwellig surreale Autobus-Vari- MITTWOCH ante von John Fords Stagecoach, gefilmt mit stoischer Heiterkeit, die 11.3. / 21.00 sich auch angesichts des Triebhaften und Unheimlichen bewährt. Der Beginn: nahezu ein Kulturfilm über mexikanisches Dorfleben, unter- mischt mit Märchenfolklore und Mondscheinpathos. Danach eine im Sterben begriffene Frau. Schließlich – unter dem mittelamerikani- schen Rampenlicht des niemals fernen Todes – eine Busfahrt, die zu einer Lebensreise wird, hinauf zu Bergen unter erosgeballtem Gewit- tergewölk, hinab zu Dschungeln mit schlammdunklen Flüssen. Luis Buñuel als pikaresker Erzähler über Geburt, Verführung, Liebe, Ster- ben und Lust. Der Film, trocken wie Staub, leicht wie Gefieder, ist aus- gestattet mit einer Traumsequenz, darüber hinaus mit der Qualität subversiven Zaubers. (H. T.) Las Hurdes / Terre sans pain (Land ohne Brot) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Rafael Sánchez Ventura K: Eli Lotar M: Darius Milhaud E: Pierre Unik. Spanien, 1932, 35mm, sw, 29 min. Französisch mit dt. UT España leal en armas (Das loyale Spanien in Waffen) R: Luis Buñuel K: Roman Karmen, Manuel Villegas Lopez S: Jean-Paul le Chanois M: Ludwig van Beethoven E: Gaston Modot. Spanien, 1937, 35mm, sw, 34 min. Spanisch mit engl. UT ★ Sowohl die Stimme des Kommentators als die Klänge klassischer DONNERSTAG Musik stimmen in Terre sans pain die Erwartung eingangs darauf ein, 12.3. / 19.00 einen Dokumentarfilm im Stil seriöser Kultiviertheit über die elends- heimgesuchten Bergregionen der Estremadura zu sehen. Dann je- doch: statt dem Gespenst der Sachlichkeit eine erschreckende Vision von Tod, Krankheit, Verwesung. Das Surreale allenthalben als Be- standteil des Alltags. Fünf Jahre nach diesem Film, der in Spanien sofort verboten wird, besinnt sich die bedrohte Republik des als anti- nationalen Wüstlings eingestuften Künstlers. Buñuel wird ersucht, aus Dokumentarmaterial einen Film über den Spanischen Bürgerkrieg herzustellen, der die Welt aufrütteln soll. Das Ergebnis: España leal en armas. (H. T.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 25
FILMOTECA ESPAÑOLA Siete días de enero Siete días de enero (Sieben Tage im Jänner) R: J. A. Bardem B: J. A. Bardem, Gregorio Morán K: Leopoldo Villaseñor S: Guillermo Maldonado M: Nicolas Payrac D: Manuel Ángel Egea, Madeleine Robinson, Virginia Mataix. Spanien/Frankreich, 1979, 35mm, Farbe, 157 min.* Spanisch mit engl. UT ★ DANACH: Hasta siempre en la libertad (Für immer in Freiheit) Ein Film des Colectivo de Cine de Madrid. Spanien, 1977, DCP, Farbe, 30 min. Spanisch /dt. Übersetzung liegt auf Am 24. Jänner 1977, während der politischen Reformen in Richtung DONNERSTAG Demokratie und in einem Klima zunehmender Spannungen, wurden 12.3. / 20.30 in Madrid fünf Menschen in einer Kanzlei für Arbeitsrecht ermordet und vier weitere verletzt. Drei Monate später wurde die spanische MONTAG Kommunistische Partei legalisiert und nahm kurz darauf an den 23.3. / 20.15 ersten freien Wahlen teil. Diese historischen Ereignisse werden im Gegeninformations-Film Hasta siempre en la libertad und im Spiel- *Courtesy of film Siete días de enero dokumentiert. Bardem rekonstruiert für sein ICAA episches Drama das Massaker, die Beerdigung und die anschließende gerichtliche Untersuchung unter Verwendung von Archivmaterial und vermeidet dabei jegliche Trivialisierung von Gewalt. (D. A.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 26
Le Charme discret de la bourgeoisie (Der diskrete Charme der Bourgeoisie) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière K: Edmond Richard S: Hélène Plemiannikov D: Fernando Rey, Delphine Seyrig, Stéphane Audran. Frankreich, 1972, 35mm, Farbe, 101 min. Französisch mit engl. UT ★ Luis Buñuels Obsessions-Thema Nummer 1. Verhinderte Begierde: SAMSTAG etwas wollen und dabei ständig gestört werden. Eine Gruppe hinrei- 14.3. / 19.00 chend mondäner und diskret unehrenhafter Bürger schickt sich an zu dinieren, und wird dabei, im ansteigenden Verlauf der Vorlust, wieder und wieder, einen ganzen Film hindurch, unterbrochen. Die Qualen der Verdammten aus dem Inferno, verwandelt in einen running gag der schönen neuen Luxus- und Lügenwelt. Don Luis, zweiundsiebzigjährig, böse, frei wie der Wind, enigmatisch heiter und maliziös, kehrt über den Umweg der Screwball Comedy zu sei- nen surrealen Anfängen zurück und stellt sich die Frage, wie normal der Traum und wie traumhaft die Realität anmutet oder wie ein Stück von Beaumarchais aussehen würde, das – unter den Drogen des Jah- res 1972 – nur mehr aus der zwanzigfach variierten 1. Szene des 1. Akts besteht. (H. T.) Le Fantôme de la liberté (Das Gespenst der Freiheit) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière K: Edmond Richard S: Hélène Plemiannikov D: Adriana Asti, Julien Bertheau, Monica Vitti. Frankreich, 1974, 35mm, Farbe, 104 min. Französisch mit engl. UT ★ Jean de Baroncelli: »Le Fantôme de la liberté ist ein Film, der ohne SAMSTAG Wegweiser und Gebrauchsanweisung auskommt. Bewunderung 14.3. / 21.00 genügt.« Mit der heiteren Grausamkeit und nüchternen Logik eines träumenden Advokaten gibt Don Luis Motive wie Stafetten weiter, die sich von Szene zu Szene unmerklich verändern. Alter surrealer Ritus der Assoziation, demzufolge sich alles in alles zu ändern vermag. Nichts jedoch, keine Episode, keine Handlung, kommt in dieser mit beißendem Spott auf den Kopf gestellten Welt der Bourgeoisie ans angesteuerte Ziel. Frankreich 1974, eine Ära, in der der Surrealismus zum Chic der Boutiquen, die Gewalt zum Alltag, die Provokation zur Reklame verkommen sind. Buñuel unternimmt die freieste, luzideste Fahrt durch das Phantomreich der Freiheit, indem er die Stars des Kinos einen Splitterbogen von Fragmenten durchgleiten lässt, die allesamt absurd, obskur und unsinnig sind und die in böser Beiläufig- keit ein Kontinuum ad infinitum bilden. (H. T.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 27
© PARSECH SCHUBARALJAN – DEFA STIFTUNG Die Mahnung R: J. A. Bardem B: J. A. Bardem, Liuben Stanev K: Plamen Wagenstein S: Liliana Mijova M: Kiril Tsiboulka D: Petyr Gjurow, Assen Dimitrow, Boris Lukanow. DDR/Bulgarien/Sowjetunion/Ungarn, 1982, 35mm, Farbe, 143 min. Deutsch Der engagierte Kommunist Bardem hatte unverdientermaßen die SONNTAG Gunst der gehobenen Kritik verloren, als er sich in den 1960ern kom- 15.3. / 18.00 merzielleren Projekten zuwandte – was sich auch nicht mehr änderte, als er nach dem Tod von Diktator Franco offensiv politische Sujets an- MONTAG ging. Der faszinierendste Film dieser Spätphase ist Die Mahnung, eine 30.3. / 21.00 wuchtige osteuropäische Koproduktion zum 100. Geburtstag des einstigen bulgarischen Ministerpräsidenten Georgi Dimitroff. Als Angeklagter im Schauprozess der Nationalsozialisten gegen die an- geblichen Reichstags-Brandstifter gelang es Dimitroff mit rhetori- scher Brillanz, die Verhandlung zum Debakel für die Nazis zu machen. Der Prozess steht auch im Zentrum von Bardems Film, der außerge- wöhnliches Archivmaterial mit Spielszenen kombiniert, um Dimitroffs Bemühungen zu schildern, eine Einheitsfront gegen den Faschismus aufzubauen. Dimitroffs Zeit in Österreich spielt ebenfalls eine Rolle, nicht zuletzt in einer Traum-Begegnung mit dem Wiener Sozialisten Otto Bauer. (C. H.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 28
FILMOTECA ESPAÑOLA Nazarín R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Julio Alejandro nach dem Roman von Benito Perez Galdos K: Gabriel Figueroa S: Carlos Savage M: Rodolfo Halffter D: Francisco Rabal, Marga López, Rita Macedo. Mexiko, 1959, 35mm, sw, 94 min. Spanisch mit engl. UT ★ In einem Stil, der auch den leisesten Anflug von Gefälligkeit ver- SONNTAG schmäht, erzählt Buñuel die Leidensgeschichte des Priesters Nazarín. 15.3. / 21.00 Dessen Entscheidung, den Armen tätig zu helfen statt ihnen zu predi- gen, bringt ihm die Feindschaft von Klerus, Großgrundbesitz und Obrigkeit. Seine Wanderungen durch Mexiko enden vereinsamt in Ketten: als zweifelnder Outlaw läßt er sich zum Kreuzweg abführen. Das Werk eines radikalen Leugners oder radikalen Christen? Don Luis, der sowohl den Atheismus als die Vieldeutigkeit liebt, hat darauf be- standen, mit Rätseln zu leben und nur die Rebellion als Antwort auf die Welt zu akzeptieren. Nazarín: ein Film der Herausforderungen. (H. T.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 29
FILMOTECA ESPAÑOLA Novio a la vista (Ein Freund taucht auf) R: L. G. Berlanga B: L. G. Berlanga, J. A. Bardem, José Luis Colina nach einem Dreh- buch von Edgar Neville K: Cecilio Paniagua S: Pepita Orduña M: Juan Quintero D: Josette Arno, Jorge Vico, José María Rodero. Spanien, 1953, 35mm, sw, 83 min. Spanisch mit engl. UT ★ Sommer 1918: bürgerliche Familien lümmeln an der spanischen Küste. MITTWOCH Während die Eltern über den Reichtum der Aristokratie schwärmen, 18.3. / 19.00 kämpfen die Kinder gegen die Eingliederung in ein berechenbares Erwachsenenleben. Die Spannung zwischen den Fronten steigt, bis SAMSTAG es zum Krieg um Loli kommt, ein junges Mädchen, das sich Seiden- 28.3. / 19.00 strümpfe anziehen und für Männer zur Schau stellen muss anstatt mit ihren Freunden zu spielen. Die Erwachsenen werden trotz ihrer mili- Courtesy Filmo- tärischen Pläne besiegt. Und doch bringt die Rückkehr in den Alltag teca de Valencia eine gesteigerte Unsicherheit mit sich. Im Gewand der leichtfüßigen Komödie hält Berlanga der spanischen Gesellschaft einen Zerrspiegel vor. Die Kraft des Films steckt in den Kindern, die dagegen kämpfen, sich in die grotesken Bilder der Vorfahren zu verwandeln. Der Filme- macher zeigt, wie sie in die Enge getrieben werden. (I. M.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 30
Los olvidados (Die Vergessenen) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Luis Alcoriza, Julio Alejandro, Juan Larrea, José de Jesús Aceves, Max Aub, Pedro de Urdimalas K: Gabriel Figueroa S: Carlos Savage M: Rodolfo Halffter nach Themen von Gustavo Pittaluga D: Estela Inda, Miguel Inclán, Alfonso Mejía. Mexiko, 1950, 35mm, sw, 80 min. Spanisch mit engl. UT ★ Einer der größten und einer der grausamsten Filme der Welt, gelin- FREITAG dert weder durch irgendeine beschwichtigende Moral noch durch 20.3. / 21.00 Mitleid oder die Wattepölster der Sentimentalität. Was das Christen- tum als Hölle auszumalen beliebt, zeigt Buñuel unerbittlich als Dies- seits. Du, der du hier eintrittst, lass’ alle Hoffnung fahren. Ort des Infernos: Mexico City, die Slums. Auf den ersten Blick ein neorealisti- scher oder sozialkritischer Film, der sich jedoch sofort – erfüllt vom lastenden Druck des Alptraums – als etwas anderes erweist. Surreales Reich des Bösen. Kinder, Bettler und Krüppel, von denen maßlose Verrohung Besitz ergriffen hat. Armut bringt Monstren hervor. So ein- fach, so schrecklich lautet die Lehre der Realität. Zur Ungerührtheit von Buñuels Sichtweise gesellt sich ein weiterer Schock. Der Alptraum ist nicht geträumt. Kein Erwachen winkt. (H. T.) MÄRZ 2020 Bardem, Berlanga und Buñuel 31
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