MIETER ECHO t e Die Ber l - Berliner MieterGemeinschaft eV
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MIETERECHO Zeitung der Berliner MieterGemeinschaft e.V. www.bmgev.de Nr. 411 September 2020 e r w i e ? i g n e n , ab Ent e rgesells i n e r V c e ha f t u n gs d e ba t te Die Berl
IMPRESSUM GESCHÄFTSSTELLE Herausgeberin: Berliner MieterGemeinschaft e.V. Berliner MieterGemeinschaft e.V. Möckernstraße 92 (Ecke Yorckstraße), 10963 Berlin Redaktion MieterEcho: Joachim Oellerich (V.i.S.d.P./ Chefredaktion), Telefon: 030 - 2168001, Telefax: 030 - 2168515 Andreas Hüttner, Philipp Mattern, Rainer Balcerowiak, Hermann Werle, www.bmgev.de Philipp Möller, Matthias Coers (Bildredaktion), Jutta Blume (Schlussredaktion/ CvD), G. Jahn (Mietrecht) ÖFFNUNGSZEITEN Montag, Dienstag, Donnerstag 10 bis 13 Uhr und 14 bis 17 Uhr Kontakt: Telefon: 030 - 21002584, E-Mail: me@bmgev.de Mittwoch 10 bis 13 Uhr Grafik: nmp (Gestaltung/ Satz/ Bildredaktion) Freitag 10 bis 13 Uhr und 14 bis 16 Uhr Titelbild: Collage: nmp, Fotos: Matthias Coers Fahrverbindung: Belichtung und Druck: Königsdruck Berlin u Möckernbrücke, Mehringdamm, Yorckstraße, i Yorckstraße, ; M19 Redaktionsschluss: 11.08.2020 Bankverbindung: Postbank Berlin, IBAN: DE62 1001 0010 0083 0711 09, BIC: PBNKDEFF © Berliner MieterGemeinschaft e.V. Nachdruck nur nach vorheriger Rücksprache. Der Bezugspreis ist durch den Die Berliner MieterGemeinschaft bietet ihren Mitgliedern persönliche Mitgliedsbeitrag abgegolten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge stimmen Mietrechtsberatung an (siehe Seite 31 und hintere Umschlagseite). nicht notwendigerweise mit der Meinung der Redaktion überein. Für unverlangt Die rollstuhlgerechten Beratungsstellen sind durch - gekennzeichnet. eingesandte Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. Achtung! In unserer Geschäftsstelle und in den Vor-Ort-Büros findet während der Ö ffnungszeiten keine Rechtsberatung statt. PROBLEME MIT DEM VERMIETER? Bei der Berliner MieterGemeinschaft können Ratsuchende kostenlos Bitte ankreuzen und mit Briefmarken im Wert von 0,95 € einfach an folgende Informationsblätter bestellen: folgende Adresse schicken: B ERLINER M IETERG EMEINSCHAFT E. V. Möckernstraße 92 · 10963 Berlin · Telefon 216 80 01 Berliner MieterGemeinschaft e.V. j Betriebskostenabrechnung j Mietvertrag Möckernstraße 92 j Eigentümerwechsel j Modernisierung 10963 Berlin j Heizkostenabrechnung j Schönheitsreparaturen NAME j Kündigung durch den j Umwandlung und Vermieter Wohnungsverkauf VORNAME j Mängelbeseitigung j Untermiete STRASSE j Mieterhöhung j Wohnfläche PLZ ORT j Mietpreisbremse j Wohnungsbewerbung j Mietsicherheit/Kaution j Zutritt und Besichtigung BEZIRKSGRUPPENTREFFEN Neukölln Jeden letzten Montag im Monat, 19 Uhr Beratungsstelle, Sonnenallee 101 u Rathaus Neukölln ; M41, 104, 167 Friedrichshain Jeden 3. Donnerstag im Monat, 19.30 Uhr E-Mail: neukoelln@bmgev.de Stadtteilbüro, Warschauer Straße 23, - u Frankfurter Tor Ee M10 Prenzlauer Berg Jeden 2. Mittwoch im Monat, 20 Uhr E-Mail: friedrichshain@bmgev.de im Nachbarschaftshaus Helmholtzplatz, Raumerstraße 10 u Eberswalder Straße Ee M10, M2 Kreuzberg Jeden 1. Donnerstag im Monat, 19 Uhr i Prenzlauer Allee i Schönhauser Allee Geschäftsstelle der Berliner MieterGemeinschaft, Möckernstraße 92 u Möckernbrücke, Mehringdamm, Yorckstraße i Yorckstraße ; M19 Wedding Jeden 2. Donnerstag im Monat, 19 Uhr E-Mail: kreuzberg@bmgev.de Tageszentrum Wiese 30, Wiesenstraße 30 u und i Wedding u Nauener Platz i Humboldthain Lichtenberg Jeden 1. Montag im Monat, 18 Uhr E-Mail: wedding@bmgev.de Kiezspinne, Schulze-Boysen-Straße 38 u und i Frankfurter Allee ; 240 Folgende Bezirksgruppen treffen sich unregelmäßig: E-Mail: lichtenberg@bmgev.de Schöneberg, Spandau, Tempelhof Ort und Termin der Treffen bitte erfragen unter 030 – 21002584. Marzahn Jeden letzten Montag im Monat, 19 Uhr Aktuelle Termine unter: www.bmgev.de/verein/bezirksgruppen.html Lebensnähe e.V. Begegnungsstätte, Alt-Marzahn 30 Bei den Bezirksgruppentreffen findet keine Rechtsberatung statt. Rechtsbe- i Marzahn Ee M6, M8, 18 ; X54, 154, 192, 195 ratung erfolgt ausschließlich durch Rechtsberater/innen in den dafür ausge- wiesenen Beratungsstellen (siehe hintere Umschlagseite).
INHALT Liebe Leserinnen und Leser, TITEL „Raus aus der Miete rein ins Wohneigentum.“ Der lang ge- 4 „Enteignung bleibt das strategische Ziel“ hegte Wunschtraum des vom ehemaligen Sprecher des Mana- Interview mit Michael Prütz gerkreises der SPD Ulrich Pfeiffer gegründeten Instituts em- Rainer Balcerowiak pirica scheint mit Hilfe von Corona in Erfüllung zu gehen. 6 Klare Kante sieht anders aus Die Bereitschaft, Balkon oder Garten zu erwerben, sei gestie- Rot-rot-grüne Koalition zur Enteignung von Wohnungskonzernen gen, stellt der Geschäftsführer Reiner Braun fest. Auch der Rainer Balcerowiak global agierende Wohnungsvermittler Engel & Völkers hat ein positives Verhältnis zu Corona. Aus der Perspektive dieses 8 Sozialisierung des Wohnungsbaus in den 1920er Jahren Berliner Wohnungspolitik kann aus der eigenen Geschichte lernen Unternehmens ist womöglich ein kultureller Wandel ausgelöst Andrej Holm worden, der den Widerwillen gegen das Wohneigentum auf breiter Front besiege. 10 Offensiver Antikapitalismus Entwurf für ein wohnungspolitisches Programm der KPD von 1922 So weit, so gut oder besser so schlecht. Ob die Visionen die- Karl-Heinz Schubert ser hochkarätigen Akteure auf dem Wohnungsmarkt Wirklich- keit werden, ist allerdings noch offen. Die Zahlen der Statistik 11 Krasser als gedacht liefern bisher keine Bestätigung. Mieten als Motor der Vermögensungleichheit Hinzu kommt, dass sich die Bundesregierung seit Anfang die- Philipp Mattern ses Jahres zögerlich mit der Problematik befasst. Das Bundes- 13 Wem gehört die Stadt? ministerium für Justiz hat im Februar einen ersten Entwurf für Neue Studie identifiziert große Immobilienunternehmen in Berlin eine „Umwandlungsbremse“ vorgelegt. In Gebieten mit ange- Rainer Balcerowiak spanntem Wohnungsmarkt soll die Umwandlung von Miet- in BERLIN Eigentumswohnungen von einer behördlichen Genehmigung vor Ort abhängig gemacht werden. „Die Landesregierungen 14 Auf dem Sprung in die Top-Liga werden ermächtigt, die Gebiete nach Satz 1 durch Rechtsver- ADO Properties stellt sich neu auf ordnung für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu bestim- Joachim Maiworm men“, heißt es in dem Text aus dem Justizressort. Damit wäre 16 Betriebswirtschaft vor sozialem Bedarf die bisher in einigen Ländern, so auch in Berlin, geltende Verhandlungen um eine neue Kooperationsvereinbarung Umwandlungsverordnung verschärft. Sie stellt die Umwand- Philipp Möller lung ebenfalls unter Genehmigungsvorbehalt, bestimmt aber im Paragraf 172 des Baugesetzbuchs, dass die Umwandlung 18 Biedermann und die Baugruppen Wie Neukölln gutbetuchte Eigentumsgemeinschaften fördert auf jeden Fall genehmigt werden muss, wenn sich der Verkäu- Gemeinschaftsgarten Prachttomate fer verpflichtet, die Wohnung innerhalb von sieben Jahren nach der Umwandlung nur an die Mieter/innen zu veräußern. 19 Das Bezirksamt als Investoren-Dienstleister Danach kann die Wohnung frei veräußert werden und das be- Interview mit den Mieter/innen Micky, Doreen und Henry Matthias Coers deutet, dass eine drohende Eigenbedarfskündigung nur aufge- schoben ist. 20 Signa und René Benko Das Baulandmobilisierungsgesetz, in dem die Bestimmungen Ein kleines Porträt des Unternehmens und seines Gründers über die Einschränkungen der Umwandlungen enthalten sind Ahmad Gharibi und dessen Einzelheiten noch nicht bekannt sind, stellt eine 22 Räumungssenat Berlin Kooperation zwischen den Bundesministerien für Justiz Räumungen soziokultureller Projekte bislang nicht verhindert (SPD) und für Inneres, Bau und Heimat (CSU) dar. Das lässt Tim Zülch nichts Gutes ahnen. In einem Interview mit der Welt am 23 Behinderung von Volksbegehren Sonntag hatte der Bundesbauminister Horst Seehofer bereits „Volksentscheid Transparenz“ wartet auf die Zulassung durch den Senat am Anfang des Jahres geäußert: „Ich bin für eine Begrenzung Heiko Lindmüller der Umwandlung, aber wir sollten mit Augenmaß vorgehen.“ MIETRECHT AKTUELL Wie weit das rechte Augenmaß reicht, wird sich nach der par- lamentarischen Sommerpause herausstellen. Schon seit lan- 24 Mieter/innen fragen – wir antworten gem blasen die Lobbyverbände der Immobilienwirtschaft Mieterseitige Beendigung des Mietverhältnisses Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA) und Co zur Attacke Rechtsanwältin Juliane Richter und es scheint, dass sie damit bei einem großen Teil der CDU 27 RECHT UND RECHTSPRECHUNG Unterstützung finden. 31 SERVICE 32 RECHTSBERATUNG IHR MIETERECHO MieterEcho 411 September 2020 3
Foto: Peter Homann TITEL „Enteignung bleibt das strategische Ziel“ Interview mit Michael Prütz Mürbe gemacht würde ich nicht sagen. Aber es hat sich in den Verhandlungen mit der Innenverwaltung herausgestellt, dass Im Beschlusstext des Volksbegehrens zur Vergesellschaf- es unterschiedliche Rechtsauffassungen über die Zulässigkeit tung großer privater Wohnungsbestände ist nicht mehr des Inhalts von Volksbegehren gibt. Die Verwaltung beharrte von einem entsprechenden Gesetz, sondern nur noch all- auf dem Standpunkt, dass eine Aufforderung an den Senat, ein gemein von „Maßnahmen“ die Rede, für die auch keinerlei Gesetz zu erlassen, unzulässig sei. Unsere Jurist/innen sehen Frist gesetzt wird. Michael Prütz von der Initiative „Deut- das vollkommen anders. Aber wir haben keine Möglichkeit ge- sche Wohnen & Co enteignen“ sieht darin kein Problem sehen, die Verwaltung zu einer Umkehr zu bewegen. und setzt darauf, dass ein entsprechendes Gesetz im Ko- alitionsvertrag der nächsten Landesregierung verankert Die Forderung nach einem Gesetz zur Vergesellschaftung wird. der Konzerne ist jetzt im Beschlusstext nicht mehr enthal- ten. Vielmehr ist von „Maßnahmen“ die Rede, die nicht MieterEcho: Der Weg für die 2. Stufe des Volksbegehrens näher spezifiziert werden. Dafür gibt es weder eine Frist, zur Enteignung großer Immobilienkonzerne in Berlin noch wird benannt, welche Unternehmen denn überhaupt scheint frei zu sein. Wie sieht der weitere Zeitplan aus? „vergesellschaftungsreif“ seien. Wozu soll denn der Senat Michael Prütz: Die Angelegenheit wird jetzt ans Parlament da eigentlich verpflichtet werden? weitergeleitet. Das hat vier Monate Zeit, sich mit der Sache zu beschäftigen – oder auch nicht. Das Parlament kann die Volksinitiative annehmen, ablehnen oder einfach liegen las- sen. Danach können wir den Antrag auf die Durchführung des Volksbegehrens stellen, das wird voraussichtlich im Januar der Fall sein. Die Sammlung der Unterschriften könnte im Feb- ruar beginnen. Dann haben wir vier Monate Zeit, um knapp 180.000 gültige Unterschriften zu sammeln. Foto: Rainer Balcerowiak Der jetzt zur Abstimmung stehende Text des Volksbegeh- rens wurde der Initiative ja faktisch vom Senat diktiert. Es ist ein ziemlich ungewöhnlicher Vorgang, dass der Senat, an den sich das Volksbegehren richtet, auch noch vorgibt, was dort drinsteht. Hat die Verzögerungstaktik des Senats Michael Prütz ist einer der Sprecher der Initiative „Deutsche Wohnen & bei der Prüfung des Volksbegehrens die Initiative mürbe Co enteignen“. gemacht? 4 MieterEcho 411 September 2020
TITEL TITEL Wir haben den Begriff „alle Maßnahmen“ gewählt, weil unsere werden wir in der Kampagne in den kommenden Mona- Jurist/innen der Auffassung sind, dies bedeutet für das Ziel der ten auch deutlich nach außen kommunizieren. Vergesellschaftung auf jeden Fall, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen. Wir werden jetzt auch anfangen, für die Kampagne Viel politische Rückendeckung ist dafür aus dem rot-rot- die Grundzüge eines Gesetzes zu erarbeiten. Vor allem geht es grünen Regierungslager aber nicht zu erwarten. Bei der aber um politischen Druck. Ich erwarte von Linken und Grü- SPD und den Grünen sowieso nicht und auch bei der Lin- nen, dass sie den Erlass eines entsprechenden Gesetzes zur ken scheint es da ja einige Absetzbewegungen zu geben. Mit Vorbedingung für die Fortführung der rot-rot-grünen Koalition welchen Verbündeten wollen Sie jetzt in die nächste Runde nach der der nächsten Wahl im Herbst 2021 machen. gehen? Wir werden jetzt natürlich Gespräche führen, auch mit dem Der Verfassungsrechtler Christian Pestalozza spricht in Landesvorstand und der Fraktion der Grünen, die ja möglicher- diesem Zusammenhang von einem angestrebten „un- weise in der kommenden Landesregierung die stärkste Kraft verbindlichen Parlamentsbeschluss“ über eine rechtlich darstellen werden. Denn bei denen gibt es zweifellos eine ge- unverbindliche Aufforderung, der Senat möge etwas un- wisse Laviererei. Uns ist auch klar, dass ihre Spitzenvertreterin ternehmen und sieht zudem die fehlenden Fristen als we- Ramona Pop keine Enteignung will. Wir werden in den Ge- sentliches Manko. Was können Sie dem entgegnen? sprächen sehen, wie sich das entwickelt. Genau deswegen ist es für uns ja so eminent wichtig, dass in Von Seiten der Linken haben wir die eindeutige Zusicherung, den Gesprächen für eine erneute Koalition dieser drei Parteien, dass sie die Kampagne weiterhin aktiv unterstützen wird, auch zu der es mit großer Wahrscheinlichkeit kommen wird, eine mit ihrer eigenen Infrastruktur beim Sammeln der Unterschrif- klare Festlegung im Koalitionsvertrag verankert wird, die auch ten. Das Thema soll auch ein Wahlkampfschwerpunkt werden. mit einer Frist versehen werden muss. Ansonsten bauen wir auf die Unterstützung der großen Mieter- organisationen, der vielen Mieterinitiativen, von ver.di und der Was hätte die Initiative denn mit einen erfolgreichen Volks- GEW. Derzeit versuchen wir auch, die Kirchen für die Kampa- begehren und in der nächsten Stufe einem Volksentscheid gne zu gewinnen, da gibt es aber noch keine Ergebnisse. Wir auf der Basis des jetzigen Beschlusstextes überhaupt kon- brauchen aber nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern aktive kret erreicht? Der Senat wird ja zu keinen konkreten Maß- Unterstützung beim Sammeln der Unterschriften. Sonst ist das nahmen verpflichtet. alles gar nicht zu stemmen. Es hängt dann natürlich am nächsten Koalitionsvertrag, aber auch am außerparlamentarischen Druck, den wir auch entfal- In der stadtpolitischen Diskussion hat das Volksbegehren ten wollen. Gerade in der Phase der Unterschriftensammlung etwas an Strahlkraft eingebüßt, sei es durch die Ausein- und der Mobilisierung für den anschließenden Volksentscheid andersetzung über den Mietendeckel, über mangelnde wird das ein zentraler Punkt sein. Man muss ja auch mal se- Neubautätigkeit oder auch durch die Corona-Pandemie. hen: Was wäre die Alternative zu dem Kompromiss bei dem Wie will es die Initiative schaffen, mit einer recht unver- Beschlusstext gewesen? Linke und Grüne hätten der Initiative bindlichen Forderung die Frage der Besitzverhältnisse im dann wahrscheinlich jegliche Unterstützung entzogen. Wir hät- Immobiliensektor wieder in den Mittelpunkt der Ausein- ten vor dem Landesverfassungsgericht klagen müssen, und das andersetzung zu rücken? Denn das wird nötig sein, um das hätte zwei bis drei weitere Jahre in Anspruch genommen. Quorum beim Volksentscheid überhaupt zu erreichen. Über das Quorum beim Volksentscheid, an dem mindestens Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) 25% der Wahlberechtigten teilnehmen müssen, mach ich mir hat bereits mehrfach angedeutet, wie man eine Enteignung eigentlich keine Sorgen, denn der Volksentscheid wird ja vo- der Konzerne umschiffen könnte. So könne es „im Zusam- raussichtlich parallel zur Wahl des Bundestages und des Ab- menwirken von Mieterinitiativen, Stadtöffentlichkeit, Be- geordnetenhauses am 26. September 2021 stattfinden… zirk und Senat zu Vereinbarungen kommen, die eine sozial- verträgliche Modernisierung sicherstellen sollen“. Würde Ihnen das ausreichen? ...Ist das sicher? Das lehnen wir komplett ab. Wir haben uns bisher über die Ganz sicher ist das noch nicht, aber wir gehen eigentlich davon Unterstützung durch die Linkspartei gefreut und wir erwarten aus. Und dann wäre die Beteiligung am Volksentscheid mit Si- auch, dass das so weiter läuft. Wir werden keine Notlösung cherheit sehr hoch. Es wird in dieser Frage eine starke stadt- akzeptieren, unter keinen Umständen. politische Polarisierung geben, besonders CDU, FDP und AfD werden gewaltig Dampf machen. Das kann uns eigentlich nur In den frühen Verlautbarungen und Publikationen der In- nützen, denn der Mehrheit der Bevölkerung ist die katastropha- itiative ist explizit von der Eigentumsfrage bei größeren le Lage auf dem Mietwohnungsmarkt sehr bewusst. Aber es Immobilienbeständen die Rede und nicht von einzelnen, ist natürlich richtig, dass die Frage der Vergesellschaftung von möglicherweise mieterfreundlichen Regeln für einige Be- Wohnungskonzernen durch den Mietendeckel und die Corona- stände. Und es ging eigentlich auch nicht darum, einige Pandemie aktuell ein wenig in den Hintergrund gedrängt wur- Bestände in öffentlichen Besitz zu übernehmen, sondern de. Und wir wissen auch, dass die Kampagne kein Selbstläufer darum, die Konzerne zu enteignen und aus dem Markt wird. Aber wenn wirklich alle, die uns eigentlich unterstützen, zu entfernen. Daran will die Initiative also ohne Abstriche auch aktiv mithelfen, dann werden wir das auch schaffen. festhalten? Eindeutig ja. Wenn wir das nicht tun würden, hätten wir Vielen Dank für das Gespräch. uns das Volksbegehren sparen können. Die Enteignung der Konzerne bleibt das eigentliche strategische Ziel, und das Das Interview führte Rainer Balcerowiak. MieterEcho 411 September 2020 5
TITEL Klare Kante sieht anders aus Enteignungen von Wohnungskonzernen finden innerhalb der rot-rot-grünen Koalition keine klare Unterstützung Von Rainer Balcerowiak Zwar haben sich einige Grüne eindeutig zur Unterstützung der Enteignungsinitiative bekannt, doch die von Pop vorgezeichne- Als die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ im te Linie prägt auch die entsprechenden Beschlüsse der Partei- April 2018 erstmals an die Öffentlichkeit trat, löste das in gremien. In einem auch von Pop unterzeichneten und im Mai der Stadt ein mittleres politisches Beben aus und führte 2019 von einem „Kleinen Parteitag“ verabschiedeten und nach schnell zu einer deutlichen Polarisierung. Die bürgerlichen wie vor gültigen Beschluss wird die Initiative als „Weckruf“ Oppositionsparteien CDU und FDP reagierten mit Empö- bezeichnet, der jetzt zu einem „fairen Dialog auf Augenhöhe“ rung und der Rhetorik des Kalten Krieges. Von „DDR 2.0“ mit den Immobilienkonzernen führen müsse. Die Grünen wür- war die Rede, beschworen wurde die Rückkehr zu einer den sich „wünschen, dass die Umstände uns nicht zwingen, die „sozialistischen Diktatur“ . Dem geplanten Volksbegehren Vergesellschaftung als letztes Mittel anzuwenden“. wurde jegliche Legitimität abgesprochen, da es offen- sichtlich verfassungswidrig sei. Auch Wirtschaftsverbände Kategorisches Nein der SPD stießen in dieses Horn und beschworen den drohenden Erhebliche Bauchschmerzen mit der Initiative hatte auch die Kollaps der gesamten Berliner Wirtschaft, wenn derartige SPD. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hatte an- „sozialistische Experimente“ auf die Tagesordnung kämen. fangs noch erklärt, dass eine Vergesellschaftung der Konzerne angesichts der dramatischen Lage auf dem Wohnungsmarkt „in Doch angesichts rasant steigender Mieten und der ruppigen einem dritten, vierten oder fünften Schritt nicht ausgeschlossen“ Verdrängungspraxis der großen Immobilienkonzerne hatte die sein könne. Einzelne Kreisverbände und vor allem die Jungso- Initiative einen Nerv getroffen. Erste Umfragen kamen unisono zialisten (Jusos) erklärten sogar ihre direkte Unterstützung für zu dem Ergebnis, dass die Forderung nach Enteignung von ei- das Volksbegehren. Doch unter dem Druck der Wirtschaft gin- ner Mehrheit der Berliner Bevölkerung unterstützt wurde. Die gen Müller und mit ihm die gesamte Parteispitze schnell auf größte Zustimmung kam dabei von von Anhänger/innen der umfassende Distanz. Am 25. Oktober 2019 kam es schließlich Regierungsparteien, doch auch in den Klientelen von CDU, zum Showdown auf einem Landesparteitag. In seiner Rede griff FDP und AfD gab es Zustimmungswerte von über 30%. Die Müller die Initiative scharf an. Diese propagiere den „Klassen- erste Stufe des Volksbegehrens wurde im Juni 2019 mit über kampf“, und das sei nicht sein Weg. Finanzsenator Matthias 77.000 abgegebenen Unterschriften nahezu mühelos überwun- Kollatz warnte vor den untragbaren Belastungen für den Haus- den. 20.000 gültige Unterschriften waren notwendig. halt, die eine Enteignung durch die fälligen Entschädigungen In der rot-rot-grünen Koalition gab es von vornherein unter- nach sich ziehen würde. Bundesfamilienministerin Franziska schiedliche Standpunkte zur geforderten Enteignung. Nur Die Giffey, die nach derzeitigem Stand noch in diesem Jahr den Linke teilte die Forderung vorbehaltlos und kündigte auch Landesvorsitz der Partei von Müller übernehmen soll, bezeich- die unmittelbare Unterstützung des Volksbegehrens an. Die nete die Debatte als verheerendes Signal. „Eine moderne zu- Grünen signalisierten verhaltene Zustimmung zu einer Ver- kunftsfähige Stadt kann nicht für Enteignungen stehen.“ Man gesellschaftung der großen Immobilienkonzerne als „letztes müsse vielmehr „deutlich machen, dass Investoren willkommen Mittel“. Doch der wirtschaftsliberale Flügel dieser Partei, al- sind“. Bei der Abstimmung unterlagen die Unterstützer/innen len voran Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, ging auf Distanz des Volksbegehrens schließlich mit 97 zu 137 Stimmen. und warnte vor einem „leichtfertigen Umgang“ mit Begriffen Die Auseinandersetzung in der SPD scheint damit beendet zu wie Enteignung. In einem Gastbeitrag für Die Welt am 9. Juni sein. Selbst bei den traditionell eher linken Jusos ist das Volks- 2019 betonte Pop den im Grundgesetz verbürgten Schutz des begehren derzeit kein Thema, erklärte ein Sprecher auf Anfrage. Eigentums: „Nur mit sicheren Eigentumsrechten kann sich ein Bei der SPD setzt man offenbar darauf, dass man dem Volksbe- florierender und fairer Handel entwickeln (...). Eigentum stärkt gehren und der Debatte um Enteignungen durch den – ursprüng- Motivation und Innovation: Wo Eigentum sicher ist, legen lich von der SPD initiierten – Berliner Mietendeckel viel Wind Menschen sich ins Zeug, entdecken Neues, wagen sich voran“ . aus den Segeln genommen hat. Dazu kam die letztendlich erfolg- Wenn Vermögenskonzentrationen allerdings zu „Exzessen“ reiche Zermürbungstaktik gegen die Initiative bei der Prüfung führten, „ist die soziale Marktwirtschaft mitsamt ihrer demo- der Zulassung der 2. Stufe des Volksbegehrens, für die sich die kratischen Akzeptanz in Gefahr“. Deswegen seien Eigentums- SPD-geführte Innenverwaltung über ein Jahr Zeit ließ. rechte und soziale Verantwortung im Grundgesetz „gleichwer- Bei den Linken schien die Frage eigentlich abschließend ge- tig“. Und deswegen „sollte man das Wort Enteignung nicht klärt zu sein. In mehreren Beschlüssen bekannte sich die Partei leichtfertig in den Mund nehmen“. bereits seit Herbst 2018 eindeutig zu der angestrebten Verge- 6 MieterEcho 411 September 2020
TITEL Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen: Linkspartei dafür, SPD dagegen, Grüne unentschieden. Foto: Matthias Coers sellschaftung größerer privater Wohnungsbestände. An der so etwas auch auf Landesebene mit dem Senat zu verabreden“. Unterschriftensammlung für die 1. Stufe des Volksbegehrens Wie ein klares Bekenntnis zu dem politischen Ziel, Immobili- waren viele Parteimitglieder aktiv beteiligt. Selbst Parteigrößen enkonzerne auch aus prinzipiellen Gründen zu enteignen, hört wie Harald Wolf, der als Wirtschaftssenator der rot-roten Ko- sich das nicht an. Hier wird abzuwarten sein, wie sich Lomp- alition (2002-2011) maßgeblich an der Privatisierung großer schers Nachfolger/in positionieren wird. kommunaler Wohnungsbestände beteiligt war, was quasi den Wie sich die Parteien der rot-rot-grünen Koalition künftig posi- Grundstein für die Entstehung der „Deutsche Wohnen“ legte, tionieren, wird sich zeigen, wenn die 2. Stufe des Volksbegeh- sprach sich vehement für die Enteignung großer Immobilien- ren, also die Sammlung von 177.000 Unterschriften unter den konzerne aus. Abstimmungstext binnen vier Monaten, tatsächlich beginnt. Das wird nach Einschätzung der Initiative nicht vor Februar der Vereinbarungen statt Enteignung? Fall sein. Allerdings ist der vom Senat quasi diktierte neue Die inzwischen zurückgetretene linke Stadtentwicklungssena- Text, den Deutsche Wohnen & Co enteignen am 21. Juli torin Katrin Lompscher sorgte mit der Aussage für Irritationen, nach längeren internen Diskussionen auf einem Aktivenple- die von Deutsche Wohnen & Co enteignen geforderte Sozia- num billigte, gründlich weichgespült. Die ursprüngliche For- lisierung großer Wohnungsunternehmen in Berlin sei nicht derung an den Senat, ein Gesetz für die Enteignung auf den der einzige Weg, um „große Wohnungsbestände mit sozialem Weg zu bringen, wurde komplett gestrichen. Jetzt wird der Mehrwert zu bewirtschaften“. Wenn man das auf einem ande- Senat nur noch aufgefordert, „alle Maßnahmen einzuleiten, ren Wege hinbekomme, zum Beispiel über ein Gesetz, „dann die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Bo- sind die betreffenden Unternehmen nicht mehr die Adressaten“, den in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung erklärte die Senatorin bei einer Online-Diskussion am 27. Mai. erforderlich sind“. Für die „Maßnahmen“ gibt es weder eine Und bereits vor einem Jahr sagte Lompscher dem Magazin Definition noch eine Frist. Das mit viel Budenzauber gestar- Luxemburg in einem Interview: „Mit der Deutschen Wohnen tete Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienkon- haben wir vielfältige Konflikte.(...) Andererseits gibt es einige zerne ist nunmehr zu einer rechtlich unverbindlichen Auf- Beispiele, wo es im Zusammenwirken von Mieterinitiativen, forderung, der Senat möge irgendwann irgendetwas un- Stadtöffentlichkeit, Bezirk und Senat zu Vereinbarungen kam, ternehmen, geschrumpft. Das können dann wohl nicht die eine sozialverträgliche Modernisierung sicherstellen sollen. nur der neue Stadtentwicklungssenator, sondern auch Da stellt sich die Frage, ob die Deutsche Wohnen bereit wäre, Michael Müller und Ramona Pop vorbehaltlos unterschreiben.h MieterEcho 411 September 2020 7
TITEL Zwischen 1925 und 1930 wurden mehr als 160.000 Wohnungen errichtet – unter weitgehendem Ausschluss privater Gewinninteressen. Foto: Matthias Coers Sozialisierung des Wohnungsbaus in den 1920er Jahren Die Berliner Wohnungspolitik kann aus der eigenen Geschichte lernen Von Andrej Holm setzte auch die Berliner Politik der 1920er Jahre auf eine Einheit von prohibitiven, distributiven und produktiven Aspekten der In den aktuellen Diskussionen in Berlin wird auch in Wohnungspolitik. der Mietenbewegung darüber gestritten, ob radikaler Mietpreisschutz, die Sozialisierung von Wohnungsbe- Neubau war eine linke Position ständen oder der öffentliche Neubau von preiswerten In der Zeit nach dem 1. Weltkrieg fehlten in Berlin mindestens Wohnungen der richtige Weg sei. Dabei zeigt ein Blick 40.000 Wohnungen, um die Heimkehrenden und ihre Familien in die Geschichte, dass sich Mietschutz, Sozialisierung zu versorgen und die von Überbelegungen geprägten Wohnver- und Neubau nicht ausschließen. hältnisse aufzulösen. Selbst das statistische Amt forderte 1919 angesichts der vorliegenden Zahlen ein „Bauen um jeden Preis“. Berlin stand in den 1920er Jahren vor wohnungs- und stadtpo- Um einen zügigen und preiswerten Neubau zu ermöglichen, litischen Herausforderungen, die mit den heutigen durchaus beschloss das Berliner Stadtparlament im Mai 1921 mit den vergleichbar sind. Zu hohe Mietpreise, zu wenige bezahlbare Stimmen von SPD, USPD und KPD eine „vorausschauende Wohnungen, Grundstücksspekulation und eine zu geringe Bau- Bodenvorratswirtschaft“ unter Nutzung „aller gesetzlichen Ent- tätigkeit. Die veränderten politischen Verhältnisse in der Wei- eignungsmöglichkeiten“ sowie den Bau „in größeren Siedlungs- marer Republik wurden von vielen als Chance für eine grund- komplexen“ mit „Kleinwohnungen“ für die „minderbemittelte sätzliche Veränderung der Wohnungspolitik angesehen. Orien- Bevölkerung“ (Stadtverordnetenversammlung vom 10.05.1921). tierungspunkt war damals das „Rote Wien“, in dem die sozial- Die linke Mehrheit setzte sich damit gegen die bürgerlichen und demokratische Regierungsmehrheit auf eine umfassende Re- konservativen Stimmen durch, die die Wohnungsnot als „vorü- form der Stadt- und Wohnungspolitik setzte und neben dem bergehende Erscheinung“ ansahen und verlangte „keinen Pfen- Mieterschutz und Wohnungszuweisungen auch eine „produkti- nig dafür aufzuwenden, um Wohnungen für einen Bevölke- ve Wohnungspolitik durch kommunale Eigenbautätigkeit und rungsteil herzustellen, der nicht an die Großstadt gefesselt Bauförderung“ vorantrieb (Verwaltungsbericht Wien 1919 bis werden darf, sondern planmäßig umgesiedelt werden muss…“. 1922). Mit mehr Mieterschutz, Wohnraumzwangsbewirtschaf- Gemeint waren unter anderem Beziehende von Arbeitslosenun- tung und öffentlichem und gemeinnützigem Wohnungsbau terstützung. Die Vossische Zeitung schrieb: „Wir haben in 8 MieterEcho 411 September 2020
TITEL Berlin nicht zu wenige Wohnungen, sondern zu viel Menschen.“ (Vossische Zeitung, 08.08.1919). Im Kern ging es bei der Kritik an Wohnungsbauprogrammen und Mietenstopp vor allem um die Gewinne der Hauseigentü- mer/innen. Auch damals schon wurde die Auseinandersetzung auf das Feld der Personalbesetzung verlagert. Um die Besetzung der von der USPD nominierten Stadträte im Bezirksamt Wed- ding zu verhindern, intervenierte die Immobilienlobby bei den preußischen Behörden, die die Besetzung der Fachstadträte bestätigen musste. In einem Brief forderte beispielsweise der Haus- und Grundbesitzerverein Gesundbrunnen „den Gewähl- ten die Bestätigung zu versagen“, da die designierten Stadträte ein „suspektes Interessenprofil“ hätten und nach ihrer Vorbil- dung, ihrer Erfahrung und ihren Vorkenntnissen in der Verwal- tung „keinerlei Gewähr bieten, für eine gedeihliche Entwick- lung des Stadtteils und seines Grundbesitzes. Zum Teil zeigen sie auch ausgesprochene Gegnerschaft desselben“ (zitiert nach Lehnert 1991: 34 f.). Trotz dieser Angriffe auf die neue Stadt- politik setzte sich die Baufraktion von KPD, SPD und USPD durch und etablierte die ersten Wohnungsbauförderprogramme. Die neugebauten Siedlungen sollten von öffentlichen und ge- meinnützigen Wohnungsunternehmen verwaltet werden und Auch die Wohnstadt Carl Legien wurde als soziale, nicht gewinnorientierte Woh- „im gemeinwirtschaftlichen Besitz“ verbleiben. nungsversorgung gebaut. Aufgrund der neoliberalen Stadtpolitik ist sie heute Eigentum des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen. Foto: Florianmk/Wikipedia Soziale Baubetriebe sorgen für Aufschwung Doch das öffentliche Bauprogramm kam nur langsam in Schwung. In den Jahren 1921 bis 1924 wurden gerade einmal stoffhandel, erwarb eine Reihe von Sägewerken, Schlackenplat- 8.000 Wohnungen errichtet – also nur etwa 2.000 pro Jahr. Da tenfabriken und Ziegeleien und schloss langfristige Lieferver- die Kartelle der privaten Bauunternehmen mit Verweigerungen träge mit Zementwerken ab. Das Ziel des weitgehenden Aus- und Preisabsprachen die Wohnungsbauprojekte der öffentlichen schlusses privater Gewinninteressen aus der Planung, Produk- und gemeinnützigen Unternehmen auszubremsen versuchten, tion und Bewirtschaftung der Neubauten ging weitgehend auf. setzten insbesondere die Berliner Sozialdemokratie und die Die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Siedlungen des Gewerkschaft auf den Aufbau einer sozialen Bauwirtschaft. Neuen Bauens stehen bis heute für den Erfolg der damaligen Schon 1921 hieß es im Beschluss für die soziale Wohnungsbau- Wohnungspolitik. Zwischen 1925 und 1930 wurden mehr als politik, dass die „Bauausführung in erster Linie Treuhändern 160.000 Wohnungen errichtet. Das entsprach einem Jahres- nach Art der sozialen Baubetriebe und Bauhütten“ übertragen schnitt von fast 28.000 Neubauwohnungen, der weit über den werden soll (Stadtverordnetenversammlung vom 10.05.1921). heutigen Neubauzahlen liegt. Auf Initiative des damaligen Stadtbaurats Martin Wagner hatten sich aus dem Kreise der Bauarbeitergewerkschaft als Form der Wohnen als soziale Infrastruktur entwickeln Selbsthilfe „soziale Baubetriebe“ gegründet. Prominent unter- Die wohnungspolitischen Strategien der 1920er Jahre zielten stützt von Wagner, Bauarbeiterverbandsvorstand August Ellin- auf eine Wohnungsversorgung in öffentlicher Verantwortung ger und dem preußischen Finanzminister Albert Südekum (alle und die Ablösung der gewinnorientierten Wohnungswirtschaft. SPD) wurde die Gründung der „Berliner Bauhütte“ als eine der Die soziale Wohnungspolitik wurde als fester Bestandteil von ersten sozialen Baugesellschaften durch die öffentliche Woh- allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungen angesehen und nungsfürsorgegesellschaft Märkische Heimstätte GmbH, Sied- war sowohl in den Formen (Bauhaus, Neues Bauen) als auch lungsbank für Berlin und die Provinz Brandenburg, vorange- hinsichtlich der maßgeblichen Akteure eng mit den Emanzipa- trieben. Ende 1922 gab es in Berlin sieben soziale Baubetriebe, tionsbestrebungen der Arbeiterbewegung verbunden. Ein Groß- darunter die „Berliner Bauhütte“ mit mehr als 1.000 Beschäf- teil der neuen Wohnungen wurde von gemeinnützigen Woh- tigten. Zusammengeschlossen im Verband sozialer Baubetriebe nungsunternehmen errichtet, die ihre Strategien der Wohnungs- (VsB) entwickelten sich die Bauhütten zu effektiven Baubetrie- bewirtschaftung am sozialen Bedarf und nicht an Gewinninte- ben, die ab Mitte der 1920er Jahre fast alle Gewerke abdecken ressen orientierten. Am Bau beteiligt waren die gemeinwirt- konnten. Organisiert als gemeinwirtschaftliche Unternehmen schaftlichen Bauhütten, die in ihren Hochzeiten alle für den ohne privates Gewinninteresse unter Belegschaftskontrolle Neubau notwendigen Gewerke abdeckten. Beispiele wie die von entwickelten sich die sozialen Baubetriebe zu einer wichtigen Bruno Taut geplante Hufeisensiedlung in Berlin zeigen exem- Voraussetzung für den gemeinnützigen Wohnungsbau. Die Idee, plarisch die Verbindung auf, die das moderne Bauen, gemein- geförderte Wohnungen von öffentlichen und gemeinnützigen wirtschaftliche Bauproduktion und gemeinnützige Wohnbau- Trägern durch soziale Baubetriebe zu errichten, vergrößerte träger eingegangen sind. Stärker als heute wurde das Wohnen nicht nur die Unabhängigkeit von der privaten Bauwirtschaft, als öffentlich finanzierte soziale Infrastruktur angesehen. h sondern erlaubte auch effektive Bauabläufe und eine Reihe von Quellen: Lehnert, Detlef 1991: Kommunale Politik. Parteiensystem und Interessenkon- technischen Innovationen. Zur zügigen Abwicklung der Bau- flikte in Berlin und Wien 1919 bis 1932. Berlin: Haude & Spener vorhaben setzte der Verband der sozialen Baubetriebe auch auf Ellinger, August 1930: Zehn Jahre Bauhüttenbewegung, Eine kurze Geschichte des sozialisierte Betriebe im Bereich Baustoffproduktion und Bau- Verbandes sozialer Baubetriebe. Berlin: Verlagsgesellschaft des ADGB MieterEcho 411 September 2020 9
TITEL Quelle: Die Internationale, Zeitschrift für Praxis und Theorie des Marxismus herausgegeben von der Kommunistischen Partei Deutschlands Jahrgang 1922, Heft 17, S. 402-411 Offensiver Antikapitalismus Der Entwurf für ein wohnungspolitisches Kommunalprogramm der KPD von 1922 Von Karl-Heinz Schubert Zielsetzung zu nutzen. Auf der Grundlage von Beratungen der KPD-Bezirkskonferenzen entwarf Iwan Katz 1922 die Einlei- „Den Proletariern fallen die Wohnungen über dem Kopf tung und den ersten, den wohnungspolitischen Teil für das zusammen, die Tuberkulose fordert Woche um Woche kommunalpolitische Programm der KPD*. Seine Entwürfe größere Opfer und mehr und mehr gehen Obdachlose waren eine Mischung aus Prinzipien- und Aktionsprogramm freiwillig ins Gefängnis.“ Mit solch eindringlichen Wor- – geprägt von der Taktik der Einheitsfrontpolitik. Das Programm ten schilderte Iwan Katz in seinem wohnungspoliti- sollte, ergänzt durch noch fehlende Teile, auf dem 8. Parteitag schen Entwurf für ein kommunistisches Kommunal- der KPD 1923 beraten und beschlossen werden. programm die „Notlage der Mieter“ . Zwei wesentliche Programmpunkte waren die Beschlagnahme vorhan- Ausschaltung der privatkapitalistischen Betriebe dener Wohnungen und die Überführung der Neubautä- Für das künftige Programm wurde vorgeschlagen, in den Städ- tigkeit in Gemeinwirtschaft. ten und Gemeinden die Kommunalisierung mit dem Ziel der „völligen Ausschaltung der privatkapitalistischen Betriebe“ auf Iwan Katz wurde 1889 in Hannover geboren, studierte Jura und die Agenda zu setzen, um sie fortan „gemeinwirtschaftlich“ zu Ökonomie und trat 1907 der SPD bei. 1919 schloss er sich der betreiben. Diese und weitere prinzipielle Aussagen zu Verfas- USPD an und unterstützte 1920 den Zusammenschluss der sung und Etat sowie zu Wahlen und Organisation bildeten die USPD mit der KPD. Von 1922 bis 1923 leitete er die kommu- Plattform, von der aus die Tagespolitik der KPD bestimmt sein nalpolitische Abteilung der KPD. sollte. Allein der wohnungspolitische Programmteil umfasste Durch die Fusion mit der USPD wurde die KPD zur Massen- 91 Punkte, gegliedert in sechs Abschnitte: Einleitung, Woh- partei und erhielt durch die ehemaligen Sozialdemokrat/innen nungsstatistik, Beschlagnahme vorhandener Wohnungen, Be- eine reichsweite soziale Verankerung. Nun kam es darauf an, schaffung neuer Wohnungen, Mieterschutz und Mieter- diese Verankerung für eine Tagespolitik mit kommunistischer organisation. 10 MieterEcho 411 September 2020
TITEL Geschuldet den politischen Kräfteverhältnissen und der massi- Die Beschlagnahme als staatliche Umverteilung vorhandener ven Wohnungsnot (vgl. MieterEcho 366/ April 2014) ist für Katz Wirtschaftsgüter zugunsten des Kapitals ist nicht nur in Krisen- die „Beschlagnahme“ von Wohnraum zugunsten der Arbeiter- zeiten eine gängige Lösungsmethode. Hingegen ist die gemein- klasse das aktuelle Kampfziel. Denn für ihn ist die Wohnungs- wirtschaftliche Enteignung von Grundstücken und Immobilien not eine der „Haupttriebkräfte zum Sturz der kapitalistischen eine transformative Aktion, um mit ihr das Kapitalverhältnis und der Herbeiführung der sozialistisch-kommunistischen Wirt- außer Kraft zu setzen. Obgleich die Enteignung nach der Wei- schaftsordnung“. Durch Konfiszierung soll das „Recht des marer Verfassung (Artikel 153) rechtlich möglich war, ist Katz‘ Vermietens von Wohnungen, Eigenhäusern und möblierten Forderung unter den damaligen politischen Kräfteverhältnissen Zimmern der Privatwirtschaft entzogen und der Gemeinwirt- eher als eine agitatorische zu lesen, denn einschränkend heißt schaft überantwortet“ werden. Wohnungsämter, deren „Beamte es dazu im Entwurf, dass vor der Enteignung zuerst der „Käu- von Mieterorganisationen gewählt werden“, sollen diese Auf- ferhandel“ mit Immobilien und Grundstücken verboten werden gabe übernehmen. müsste. Der wohnungspolitische Entwurf befasst sich abschließend mit Wohnungsämter mit umfassenden Befugnissen wichtigen rechtlichen Veränderungen und der Selbstorganisati- Wohnungsämter für eine staatlich regulierte Wohnungsversor- on der Klasse im Wohnungskampf. Zum Beispiel soll durch gung gab es im Land Preußen seit dem Wohnungsgesetz vom „Reichsgesetzgebung“ den Hausbesitzern die Verwaltung ge- 28. März 1918, wodurch die Aufsicht über das gesamte Woh- nommen und Mieterräten übertragen werden, welche sich in nungswesen den Gemeinden mit umfassenden Befugnissen einer „Mieterorganisation“ zusammenschließen und damit in übertragen wurde. Andere deutsche Länder hatten bereits vorher die „Kampffront des revolutionären Proletariats“ einreihen. mit ähnlichen Kompetenzen ausgestattete Behörden eingerich- Weder diese noch andere Entwürfe wurden jemals als KPD- tet. Nach der Novemberrevolution bestimmte 1919 die Weima- Kommunalprogramm beschlossen. Dennoch könnten diese rer Verfassung in Artikel 155 reichsweit als Staatsziel, „jedem Entwürfe gerade heute wegen ihres offensiven Antikapitalismus Deutschen eine gesunde Wohnung“ zu sichern. Vor diesem für eine linke Wohnungspolitik von Nutzen sein. Schließlich Hintergrund ist Katz‘ Fixierung auf die Wohnungsämter ein sind sowohl Kampagnen wie „Deutsche Wohnen & Co enteig- offensives Konzept, das die KPD politisch voranbringen kann. nen“ als auch die vielen kleinen Abwehrkämpfe eher von der Seine zweite strategische Überlegung bildete die Überführung Hoffnung, dass es irgendwie besser werden könnte, als von der „gesamten Neubautätigkeit“ in „Gemeinwirtschaft“. Dies einer antikapitalistischen Programmatik geformt. h wollte er den Gemeindebauämtern übertragen, die damals über- wiegend baupolizeiliche Aufgaben erfüllten. * Siehe: www.trend.infopartisan.net/trd0315/t010315.html Krasser als gedacht Steigende Mieten sind ein Motor der Vermögensungleichheit Von Philipp Mattern Das reichste Prozent der deutschen Erwachsenen besitzt rund 35% des Gesamtvermögens. Das ist mehr, als die unteren 90% Die Vermögenskonzentration ist höher, als bisher an- haben. Zusammen vereinen die Top Ten der Vermögenden genommen. Diese Erkenntnis liefert eine viel beachte- folglich mehr als zwei Drittel des Reichtums, während die un- te Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor- tere Hälfte über gerade einmal 1,4% verfügt. Heraus sticht das schung (DIW). Aber welche Rolle spielt dabei das Im- reichste Promille: Alleine diese kleine Gruppe verfügt über mehr mobilieneigentum? als 20% der Vermögen und damit über fast dreimal so viel, wie bisher angenommen wurde. Vor der Studie schätzte man den Ziel der im Juli veröffentlichten Studie war es, eine statistische Anteil auf etwa 7%. Lücke zu schließen. Es gab schlicht zu wenig Daten über Mil- lionär/innen, weil sie in bisherigen Bevölkerungsbefragungen Immobilien als Quelle des Reichtums kaum vertreten waren. Folglich wurden die Zahlen des Sozio- Im rechnerischen Durchschnitt besitzt jede erwachsene Person oekonomischen Panels um eine Zusatzstichprobe ergänzt und knapp 140.000 Euro, wobei Personen aus der ärmeren Hälfte des Weiteren so genannte Reichenlisten aus Managermagazinen der Bevölkerung ein Nettovermögen von höchstens 22.800 hinzugezogen. Letztere seien zwar mit Vorsicht zu genießen, Euro haben. Der Mittelwert liegt hier bei nur 3.700 Euro. 1,5% lieferten aber wichtige Hinweise. Das Ergebnis ist eine Über- der Bevölkerung hingegen verfügen über mehr als eine Million raschung, die eigentlich keine ist. Die Reichen sind reicher, als Euro netto. „Damit liegt die Vermögensungleichheit in Deutsch- man bisher dachte. Und die Vermögensungleichheit ist noch land auch im internationalen Vergleich auf einem hohen Ni- krasser als zuvor bekannt. veau“, weiß die Studie. Die Nettovermögen seien sogar noch MieterEcho 411 September 2020 11
TITEL ungleicher verteilt als die Einkommen oder der Konsum. Er- werbebetrieb) abzielen. Geldvermögen spielt in der Gruppe der wähnenswert ist auch die Feststellung, dass Millionär/innen MillionärInnen eine untergeordnete Rolle“, schlussfolgern die nicht nur über höhere Vermögen verfügen, sondern dass sie Expert/innen vom DIW. Der hohe Immobilienbesitz ist also diese auch anders anlegen als der Rest. Hierbei wird schnell nicht allein Resultat des Reichtums, sondern eine der wichtigs- deutlich, welche herausragende Rolle das Immobilieneigentum ten Quellen seiner Vermehrung. spielt. Während die überwiegenden Vermögenswerte der soge- nannten „unteren Hälfte“ aus Fahrzeugen bestehen, ist bei der Umverteilung von unten nach oben „oberen Mittelschicht“, die zwischen 22.800 und 126.000 Euro Hier offenbart sich, zu welch fataler verteilungspolitischen Wir- Nettovermögen hat, das selbstgenutzte Wohneigentum die kung eine ungezügelte Mietenentwicklung führt, wie sie sich in wichtigste Komponente. Ähnlich sieht es bei der Gruppe der der jüngeren Vergangenheit abgespielt hat. Wenn Mieten wesent- „Wohlhabenden“ aus, die bis zu einer Million Euro besitzen. lich schneller steigen als die Einkommen breiter Bevölkerungs- Bei ihnen spielen bereits die sogenannten sonstigen Immobilien schichten, führt dies zu einer Umverteilung von unten nach oben. eine nicht unwichtige Rolle. Sie machen gut 15% ihres Eigen- Umgekehrt zeigt sich die wichtige verteilungspolitische Dimen- tums aus und rücken somit auf Platz zwei der Vermögenskom- sion einer konsequenten Regulierung der Miethöhen. „Mieten ponenten. Bei den Millionär/innen dominiert das Betriebsver- runter – Löhne rauf“, wäre die naheliegende Maßgabe einer mögen, es macht gut 40% ihres Reichtums aus. Das nicht selbst Politik, die die Vermögensungleichheit ernsthaft korrigieren genutzte Immobilieneigentum macht bei ihnen mehr als ein möchte. Ebenso wäre eine wirkungsvolle Abschöpfung des an- Viertel aus, gefolgt von dem selbst genutzten in einer Größen- gehäuften Reichtums, von dessen Größenordnung scheinbar ordnung von knapp einem Fünftel. Zählt man beide zusammen, auch die Forscher/innen des DIW überrascht waren, mehr als so lässt sich erkennen: Der meiste Reichtum in Deutschland naheliegend. Vor diesem Hintergrund irritieren die Schlussfol- existiert in Form von Immobilien. Dass Millionär/innen ihr Geld gerungen, die die Autor/innen der Studie ziehen. Sorgsam be- nicht auf Sparbüchern parken, hat einen guten Grund. „Es do- dacht, bloß keine „Neiddebatten“ anzustoßen, plädieren sie da- minieren somit Anlageformen, die auf die Generierung von für, lieber den Vermögensaufbau der Ärmeren zu unterstützen, Erträgen (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und Ge- anstatt den Reichen etwas wegzunehmen. Das soll etwa durch die staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge oder die Eigenheimförderung gelingen. Machen schon diese Vorschläge stutzig, bleiben die vorgebrachten Einwände gegen eine Vermö- genssteuer vollends unverständlich. Sie wäre ein negativer An- reiz, das Vermögen produktiv anzulegen, dadurch wären Arbeits- plätze in Gefahr. Außerdem wäre sie ungerecht, da sie diejenigen besonders treffe, die viel sparen, um ihre Konsummöglichkeiten in der Zukunft zu vergrößern. „Hier besteht also die Frage, wa- rum man diejenigen stärker besteuern sollte, die lieber morgen konsumieren möchten oder vorsichtiger sind“. Haben die Autor/ innen der Studie doch selbst gezeigt, dass es bei der Vermögens- anlage der Superreichen eben nicht ums Sparen zwecks späteren Konsums geht, sondern um die ertragsorientierte Anlage zwecks Vermehrung des Reichtums, welche selbst die Quelle des fest- gestellten Missstands ist, so bleibt ihr diesbezügliches Fazit nebulös. Auf die Folgen des Immobilienbooms der vergangenen Jahre für die Vermögensverteilung hatte erst kürzlich eine weitere, im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichte Studie der Universitäten Köln und Bonn hingewiesen. Gerade infolge der Bewegung an den Immobilienmärkten sei der Abstand zwischen oben und unten deutlich gestiegen. „Denn wer ein Haus, eine Wohnung oder andere Vermögenswerte besitzt – und vorher bereits genü- gend Vermögen auf der Seite hatte, um sich solches zu leisten – konnte im vergangenen Jahrzehnt von den gestiegenen Preisen profitieren“, heißt es dort. Die Preise jedoch zogen aufgrund der gestiegenen Erträge und Ertragserwartungen an. Insofern stimmt es leider nicht ganz, dass der Immobilienboom „an der unteren Hälfte der Vermögensverteilung jedoch beinahe vollständig vorbeigegangen ist“. Im Gegenteil, er hat sie hart getroffen. Die gestiegenen Erträge mussten schließlich von jemandem bezahlt werden. Die Mieter/innen haben einen guten Teil der skandalös hohen Privatvermögen Monat für Monat mitfinanziert. h Die Reichen sind reicher als man bisher dachte, besitzen einen Großteil des Im- mobilienvermögens und können in ihren Luxuseigentumswohnungen in der Pan- Zur DIW-Studie: demie gut zu Hause bleiben. Foto: Matthias Coers www.diw.de/de/diw_01.c.793802.de/publikationen/wochenberichte/2020_29_1/millio- naerinnen_unter_dem_mikroskop__datenluecke_bei_sehr_ho___geschlossen______ konzentration_hoeher_als_bisher_ausgewiesen.html 12 MieterEcho 411 September 2020
TITEL Foto: Matthias Coers Wem gehört die Stadt? Neue Studie identifiziert bisher wenig bekannte, große Immobilienunternehmen in Berlin Von Rainer Balcerowiak durchschaubares Firmengeflecht mit Holdings und Tochterfir- men in verschiedenen Teilen der Welt handelt. In einigen Monaten können die wahlberechtigten Berliner/ Noch schwieriger wird es bei den Wohnungsunternehmen, die innen per Unterschrift ihre Unterstützung für ein Volks- hauptsächlich als Hausverwaltungen und nicht als Eigentümer begehren bekunden, mit dem die Vergesellschaftung von auftreten und wo die tatsächlich Verfügungsberechtigten nicht großen Immobilienunternehmen auf den Weg gebracht ohne Weiteres zu ermitteln sind. werden soll. Doch vollkommen unklar ist derzeit, was da genau vergesellschaftet werden soll. Im Text des Volksbe- Studie soll Klarheit bringen gehrens wird nur allgemein von Unternehmen gesprochen, Derzeit operiert die Initiative nicht mit einer Aufstellung der die „vergesellschaftungsreif“ sind. Das lässt Spielraum für „vergesellschaftungsreifen“ Unternehmen. Eine solche soll Interpretationen. aber im Rahmen der weiteren Kampagne im Zusammenhang mit Eckpunkten für einen möglichen Gesetzentwurf erarbeitet Anfangs operierte die Inititative „Deutsche Wohnen & Co ent- werden. Auch bei den Kriterien gibt es noch Unklarheiten. eignen“ mit einer Liste, auf der insgesamt zehn Firmen ver- Abhilfe könnte der dritte Teil eines Studienprojekts der Rosa- zeichnet waren, die den Schwellenwert von 3.000 Wohnungen Luxemburg-Stiftung mit dem Titel „Wem gehört die Stadt?“ überschreiten. An dieser Liste orientierte sich auch der Berliner schaffen, der im Herbst veröffentlicht werden soll. Nötig sei Senat bei seiner ersten Kostenschätzung für das Volksbegeh- eine intensive Analyse internationaler Verflechtungen und der ren. Dort aufgeführt waren neben den bekannten Branchengrö- institutionellen Investoren, die auf der Suche nach Anlageob- ßen Deutsche Wohnen, Vonovia. ADO, Covivio und Akelius jekten für die privatwirtschaftliche Rentenvorsorge am Woh- auch TAG Immobilien, Grand City Properties, BGP Group, nungsmarkt aktiv sind, so Studienleiter Christoph Trautvetter. Hilfswerk Siedlung GmbH und die Deutsche Vermögens- und Die neue Studie identifiziert eine Reihe weiterer Eigentümer Immobilienverwaltung. Insgesamt ging es laut Senat um ei- mit mehr als 1.000, teilweise auch mehr als 3.000 Berliner nen Bestand von 242.800 Wohnungen mit einem geschätzten Wohnungen – vom US-amerikanischen Private Equity Unter- Marktwert von 36,1 Milliarden Euro. Ausgespart blieben von nehmen Blackstone über den Investmentfonds Phoenix Spree vornherein die sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften, aus Jersey bis hin zur Familienstiftung Becker & Kries oder obwohl es sich dabei um Wirtschaftsunternehmen in Form von den Erben von Harry Gerlach. Neben der Analyse der Eigentü- Aktiengesellschaften und GmbH handelt. Auch Genossen- merstruktur auf dem Berliner Immobilienmarkt vergleicht die schaften sollten von der Vergesellschaftung verschont bleiben. Studie die Geschäftspraktiken der verschiedenen Eigentümer Schnell wurde klar, dass dies nur eine lückenhafte Aufstel- und Eigentümergruppen – einschließlich der Genossenschaften lung der in Berlin operierenden Immobilieninvestoren war. Als und der landeseigenen Unternehmen – anhand von fünf Krite- „vergesellschaftungsreif“ wurde in einer Studie der Rosa-Lu- rien (Renditeversprechen und Erfolgsbeteiligung der Manager; xemburg-Stiftung zunächst Pears Global Real Estate mit einem Planungshorizont und Investitionen; Mieten und Instandhal- geschätzten Bestand von rund 6.000 Wohnungen identifiziert. tung; Transparenz der Finanzkennzahlen, Steuern und Rechen- Geschätzt, weil es sich dabei um ein verschachteltes, schwer schaftspflicht; Eigentümertransparenz, Mitbestimmung und gesellschaftliche Verantwortung). Nicht zuletzt für die Kampa- Die bisherigen Publikationen der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Rahmen des Projekts „Wem gehört die Stadt?“: https://www.rosalux.de/dossiers/wohnen-ist-ein- gne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ sind hier spannende menschenrecht/wem-gehoert-die-stadt Erkenntnisse und Ergebnisse zu erwarten. h MieterEcho 411 September 2020 13
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