OBDACHLOS IN ZÜRICH (K)EIN DACH ÜBER DEM KOPF - Eine qualitative Untersuchung zu Obdachlosigkeit - Zenodo

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OBDACHLOS IN ZÜRICH (K)EIN DACH ÜBER DEM KOPF - Eine qualitative Untersuchung zu Obdachlosigkeit - Zenodo
OBDACHLOS IN ZÜRICH
(K)EIN DACH ÜBER DEM KOPF

       Eine qualitative Untersuchung zu Obdachlosigkeit

Bachelorarbeit der Hochschule Luzern - Soziale Arbeit

Verfasser:         Christian Stocker
Fachbegleitung:    Prof. Dr. Gregor Husi
Abgabedatum:       12. August 2021
OBDACHLOS IN ZÜRICH (K)EIN DACH ÜBER DEM KOPF - Eine qualitative Untersuchung zu Obdachlosigkeit - Zenodo
Bachelor-Arbeit

                       Ausbildungsgang: Sozialpädagogik

                                 Kurs: BB 2017-2021

                                     Christian Stocker

 OBDACHLOS IN ZÜRICH - (K)EIN DACH ÜBER DEM KOPF
 Eine qualitative Untersuchung zu Obdachlosigkeit

Diese Arbeit wurde am 12. August 2021 an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit eingereicht.
Für die inhaltliche Richtigkeit und Vollständigkeit wird durch die Hochschule Luzern keine Haf-
tung übernommen.

Studierende räumen der Hochschule Luzern Verwendungs- und Verwertungsrechte an ihren im
Rahmen des Studiums verfassten Arbeiten ein. Das Verwendungs- und Verwertungsrecht der
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Vorwort der Schulleitung

Die Bachelor-Arbeit ist Bestandteil und Abschluss der beruflichen Ausbildung an der Hochschule Lu-
zern, Soziale Arbeit. Mit dieser Arbeit zeigen die Studierenden, dass sie fähig sind, einer berufsrelevan-
ten Fragestellung systematisch nachzugehen, Antworten zu dieser Fragestellung zu erarbeiten und die
eigenen Einsichten klar darzulegen. Das während der Ausbildung erworbene Wissen setzen sie so in
Konsequenzen und Schlussfolgerungen für die eigene berufliche Praxis um.

Die Bachelor-Arbeit wird in Einzel- oder Gruppenarbeit parallel zum Unterricht im Zeitraum von zehn
Monaten geschrieben. Gruppendynamische Aspekte, Eigenverantwortung, Auseinandersetzung mit for-
malen und konkret-subjektiven Ansprüchen und Standpunkten sowie die Behauptung in stark belasteten
Situationen gehören also zum Kontext der Arbeit.

Von einer gefestigten Berufsidentität aus sind die neuen Fachleute fähig, soziale Probleme als ihren Ge-
genstand zu beurteilen und zu bewerten. sozialpädagogisches Denken und Handeln ist vernetztes, ganz-
heitliches Denken und präzises, konkretes Handeln. Es ist daher nahe liegend, dass die Diplomandinnen
und Diplomanden ihre Themen von verschiedenen Seiten beleuchten und betrachten, den eigenen
Standpunkt klären und Stellung beziehen sowie auf der Handlungsebene Lösungsvorschläge oder Postu-
late formulieren.

Ihre Bachelor-Arbeit ist somit ein wichtiger Fachbeitrag an die breite thematische Entwicklung der pro-
fessionellen Sozialen Arbeit im Spannungsfeld von Praxis und Wissenschaft. In diesem Sinne wünschen
wir, dass die zukünftigen Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen mit ihrem Beitrag auf fachliches Echo
stossen und ihre Anregungen und Impulse von den Fachleuten aufgenommen werden.

Luzern, im August 2021

Hochschule Luzern, Soziale Arbeit
Leitung Bachelor
Christian Stocker                 SA.382BAAR.F2101                    Obdachlos in Zürich

Abstract
Ein eigenes Dach über dem Kopf zu haben, ist für die meisten Menschen eine Selbst-
verständlichkeit. Wohnen gibt dem Menschen eine Identität, Privatsphäre, Schutz und
Stabilität. Die vorliegende Bachelor-Arbeit thematisiert die wenig beachtete Realität von
Menschen ohne Obdach. Um herauszufinden, weshalb in einer der reichsten Städte Eu-
ropas Menschen auf der Strasse leben, hat der Autor eine Woche als Obdachloser auf
den Strassen von Zürich gelebt. Ziel war es, die Lebenswelt wohnungsloser Menschen
besser kennenzulernen, mögliche Ursachen zu erkennen und das bestehende Hilfsan-
gebot zu nutzen. Mittels Interviews mit Betroffenen konnten qualitative Daten zur Le-
benssituation erhoben werden. Beim Besuch der Institutionen wurden Beobachtungen
notiert und mit den Erfahrungen Wohnungsloser abgeglichen, um herauszufinden, wo
die Verzahnung zwischen Bedarf und Angebot funktioniert und welche Hürden dabei
bestehen. Die Auswertung der Forschungsdaten zeigt auf, dass meist Multiproblemla-
gen zur Wohnungslosigkeit führen, die sich aus verschiedenen Faktoren zusammenset-
zen, und dass die Betroffenen den Wunsch nach einer eigenen Wohnung haben. Es
wurde sichtbar, dass es sich bei Wohnungslosigkeit um ein sich wiederholendes Phäno-
men handelt. Mit den vorhandenen Hilfesystemen werden nicht alle grundlegenden Be-
dürfnisse gedeckt und oftmals nur Symptome bekämpft. Am Ende dieser Arbeit werden
die Schaffung einer strukturellen Basis, der Abbau von Vorurteilen und die Förderung
gesellschaftlicher Teilhabe empfohlen. Es bedarf einer interprofessionellen, gut organi-
sierten Zusammenarbeit, um wohnungslose Menschen bei der Lösungsfindung zielfüh-
rend zu unterstützen.

                                            I
Christian Stocker                  SA.382BAAR.F2101                 Obdachlos in Zürich

Dank
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Personen bedanken, die mich während der
Erstellung dieser Arbeit begleitet und unterstützt haben.

Bei Prof. Dr. Gregor Husi bedanke ich mich für die fachliche Betreuung, den spannenden
Unterricht und die wertvollen Gespräche über den gesamten Zeitraum der Ausbildung.
Ein besonderer Dank gebührt den Menschen, die ich auf der Strasse angetroffen habe
und die mir Offenheit und Vertrauen entgegengebracht haben, indem sie mir Einblicke
in ihr Leben ermöglichten und mich in meiner temporären Obdachlosigkeit mit Rat und
Tat unterstützt haben.

Im Weiteren möchte ich mich meiner Familie, Freunden, Mitarbeitenden und Studieren-
den bedanken, die mich während des gesamten Studiums und dem Prozess dieser Ar-
beit mit grossem Engagement stets auf allen Ebenen unterstützt haben.

                                            II
Christian Stocker                                       SA.382BAAR.F2101                                            Obdachlos in Zürich

Inhaltsverzeichnis

Abstract ................................................................................................................................. I

Dank ..................................................................................................................................... II

Inhaltsverzeichnis................................................................................................................. III

Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................... V

Tabellenverzeichnis ............................................................................................................... V

1       Einleitung...................................................................................................................... 6
    1.1    Ausgangslage und Problemstellung ............................................................................. 6
      1.1.1 Gründe für Obdachlosigkeit...................................................................................... 8
      1.1.2 Zahlen und Daten ..................................................................................................... 8
      1.1.3 Einfluss der Covid-19-Pandemie ............................................................................... 9
    1.2       Erkenntnisinteresse und Ziele ..................................................................................... 10
    1.3       Relevanz für die Soziale Arbeit und Adressatenschaft ................................................ 12
    1.4       Aufbau der Arbeit ....................................................................................................... 13

2      Hilfesysteme der Stadt Zürich ...................................................................................... 14
    2.1    Städtische Hilfe- und Versorgungssysteme ................................................................. 14
      2.1.1 Wohnen und Obdach.............................................................................................. 14
      2.1.2 Schutz und Prävention ............................................................................................ 15
    2.2       Private Hilfe- und Versorgungssysteme ...................................................................... 16
    2.3       Netzwerke und Vereinigungen.................................................................................... 18

3       Theoretische Grundlagen der Wohnexklusion ............................................................. 19
    3.1       Begriffsbestimmung ................................................................................................... 19
    3.2    Verwendete theoretische Ansätze .............................................................................. 20
      3.2.1 Lebenslagenansatz.................................................................................................. 20
      3.2.2 Capability-Approach ............................................................................................... 22
      3.2.3 Individuelle Ansätze................................................................................................ 26
      3.2.4 Strukturelle Ansätze ............................................................................................... 29
    3.3       Fazit ............................................................................................................................ 34

4       Methodisches Vorgehen ............................................................................................. 35
    4.1       Qualitative Sozialforschung ........................................................................................ 35
    4.2       Ethnographie .............................................................................................................. 35
    4.3       Stichprobenbildung ..................................................................................................... 38
    4.4       Feldzugang ................................................................................................................. 39

                                                                       III
Christian Stocker                                        SA.382BAAR.F2101                                            Obdachlos in Zürich

    4.5        Datenerhebung ........................................................................................................... 39
    4.6        Datenaufbereitung und Datenanalyse ....................................................................... 41

5       Darstellung der Forschungsergebnisse ........................................................................ 42
    5.1        Ergebnisse aus den Interviews ................................................................................... 42

5.1.1 Falldarstellung Robert .............................................................................................. 43
        5.1.2 Falldarstellung Natalija ........................................................................................... 44
        5.1.3 Falldarstellung Charles............................................................................................ 45
        5.1.4 Falldarstellung Johann ............................................................................................ 46
    5.2        Beobachtungen ........................................................................................................... 47
    5.3    Verdichtete, triangulierte Ergebnisse aus den Interviews und Beobachtungen ......... 48
      5.3.1 Lebenssituation ...................................................................................................... 48
      5.3.2 Lebensziele ............................................................................................................. 49
      5.3.3 Hilfesysteme ........................................................................................................... 49

6       Diskussion der Ergebnisse ............................................................................................ 51
    6.1        Zentrale Aussagen ..................................................................................................... 51
    6.2        Einfluss individueller Faktoren .................................................................................... 54
    6.3        Einfluss struktureller und individualisierender Faktoren............................................. 55
    6.4        Hilfesysteme ............................................................................................................... 55
    6.5        Fazit ............................................................................................................................ 56

7       Schlussfolgerung .......................................................................................................... 57
    7.1        Handlungsempfehlungen für die Soziale Arbeit und die Hilfesysteme ....................... 57
    7.2        Reflexion des Forschungsprozesses und persönliches Fazit ....................................... 58
    7.3        Ausblick und Empfehlungen ....................................................................................... 59

8       Quellenverzeichnis ...................................................................................................... 60

9       Anhang ........................................................................................................................ 66
    A      Angebotsübersicht städtischer Institutionen Stadt Zürich .............................................. 66
    B      Angebotsübersicht privater Institutionen Stadt Zürich ................................................... 68
    C      Zielhierarchie und Interventionsziele .............................................................................. 69
    D      ETHOS - Europäische Typologie der Wohnxklusion ........................................................ 70
    E      Interview-Leitfaden......................................................................................................... 71

                                                                        IV
Christian Stocker                                   SA.382BAAR.F2101                                      Obdachlos in Zürich

Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Gründe für Obdachlosigkeit .................................................................................... 8
Abbildung 2: Übernachtungen Wohnexkludierter Stadt Zürich ................................................... 9
Abbildung 3: Angebotserhebung helfender privater Organisationen Stadt Zürich .................... 17
Abbildung 4: Besuchte Räume und Angebote während der Forschungswoche......................... 47
Abbildung 5: Private Hilfsinstitutionen....................................................................................... 68
Abbildung 6: Drug-Policy WHO-Strategy. Zielhierarchie und Interventionsziele ....................... 69

Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Dimensionen und Indikatoren für Wohn-Exkludierte Menschen .............................. 22
Tabelle 2: Schematische Darstellung des Capability Approach .................................................. 23
Tabelle 3: Liste der Lebensform, Grundbefähigung und Funktionsfähigkeiten.......................... 25
Tabelle 4: Städtische Hilfesysteme. ............................................................................................ 67
Tabelle 5: ETHOS Typologie der Wohnexkludierten ................................................................... 70
Tabelle 6: Interviewleitfaden...................................................................................................... 71

                                                                  V
Christian Stocker                      SA.382BAAR.F2101                        Obdachlos in Zürich

1       Einleitung1
Im folgenden Kapitel werden die Ausgangslage und die Problemstellung erläutert. Das
Erkenntnisinteresse und die Zielsetzung dieser Arbeit führen zur Fragestellung. Im An-
schluss wird auf die Relevanz für die Praxis der Sozialen Arbeit eingegangen, die Ziel-
gruppe definiert und der Aufbau der Bachelorarbeit beschrieben.

1.1     Ausgangslage und Problemstellung
„Niemand wird als obdachloser Mensch geboren. Niemand kommt zur Welt und der Arzt
entscheidet vor Ort bei der Geburt, dass dieser Mensch später einmal obdachlos sein
wird." (Unsichtbar e.V., ohne Datum)

Ein Dach über dem Kopf zu haben, ist ein menschliches Grundbedürfnis (Silvia Staub-
Bernasconi, 2018, S. 181). Ohne Wohnung zu sein, unterschreitet den allgemein aner-
kannten Lebensstandard, insbesondere das Bedürfnis nach Sicherheit, Schutz und Pri-
vatsphäre (Matthias Drilling, Jörg Dittmann & Tobias Bischoff, 2019, S. 9). Wohnen ist
weit mehr als nur ein Dach über dem Kopf zu haben. Wohnen gibt dem Menschen eine
Identität, einen Ort der Besinnung, einen Ort der Stabilität und ist aus gesundheitspoliti-
scher Sicht ein stabiler Pfeiler, um an gesundheitlichen Problemen zu arbeiten (Matthias
Drilling & Jörg Dittman, 2020, S. 14). Unerfüllte Bedürfnisse, im Speziellen unbefriedigte
Grundbedürfnisse, haben immer mehr oder weniger negative Folgen für das individuelle
psychische Wohlbefinden und deshalb auch Auswirkungen auf das soziokulturelle Um-
feld der Betroffenen (Staub-Bernasconi, 2018, S. 181).

Über Obdachlosigkeit in der Schweiz besteht wenig national geführtes, strukturiertes
Wissen und das Interesse der Gesellschaft ist begrenzt, was sich wiederum in der For-
schung und in wissenschaftlichen Studien widerspiegelt. Bestehende Arbeiten fokussie-
ren infolge mangelnder Gesamtstudien zumeist auf individuelle Teilaspekte. Die meisten
Untersuchungen beziehen sich ausschliesslich auf Daten der Einrichtungen der Obdach-
losenhilfe (Matthias Drilling, Esther Mühlethaler & Gosalya Iaduray, 2020, S. 53). Es fehlt
meist die Sicht und die Wahrnehmung der Obdachlosen selbst. Die Betroffenen erhalten
kaum mediale Aufmerksamkeit. Im zweitreichsten Land der Welt, gemessen am Brutto-
inlandprodukt2 (Angelika Ivanov, Sören Imöhl & Daniel Schüller, 2021), leben hunderte
Menschen ohne ein Dach über dem Kopf − häufig mitten in der Gesellschaft −, und doch

1
  Diese Arbeit hält sich an Zitierrichtlinien der Hochschule Luzern - Soziale Arbeit. Diese basieren
   auf der 6. Auflage des Public Manuals of the American Psychological Association (APA).
2
  BIP: Nach Luxemburg, auf Platz 1, folgt die Schweiz mit 82k USD/Einwohner knapp vor Irland.
                                                 6
Christian Stocker                      SA.382BAAR.F2101                      Obdachlos in Zürich

scheinen sie unsichtbar. Obdachlosigkeit gilt als die schwerste Form von Armut (Drilling
et. al, 2020, S. 3). Obdachlose gehören zu der vulnerabelsten Gruppe randständiger
Menschen (Carlo Fabian, Esther Müller, Jacqueline Zingarelli & Andreas Dauru, 2020,
S. 7), sie werden stigmatisiert, ausgegrenzt und sind in wichtigen Lebensbereichen mas-
siv unterversorgt. Das bedeutet, dass betroffene Personen nicht einmal den minimalen
Lebensstandard erreichen, der in der Schweiz als annehmbar empfunden wird (BFS,
ohne Datum). Laut der Stadt Zürich „muss niemand unfreiwillig draussen übernachten.
Das Sozialdepartement hilft Einzelpersonen, Jugendlichen, Paaren sowie Familien mit
unterhaltspflichtigen Kindern, oder Personen, die unmittelbar vor der Wohnungslosigkeit
stehen“ (Stadt Zürich, ohne Datum a).
Trotzdem leben Menschen auf der Strasse und es bestehen Hilfesysteme wie die sip-
züri3, die Städtische Notschlafstelle und verschiedene private Einrichtungen (Kapitel
2.3), welche ihr Dasein mit der Nutzung und Auslastung ihres Angebots rechtfertigen.

In der Schweiz existiert keine konkrete Definition einer angemessenen Wohnversor-
gung. Aus den Grundrechten der Bundesverfassung (Art. 7 BV) und dem Recht auf Hilfe
in Notlagen (Art. 12 BV) ergeben sich qualitative, existenzsichernde Anforderungen an
einen menschenwürdigen Wohnraum. In den Sozialzielen der Bundesverfassung (Art.
41, Abs. a, e) wird festgehalten, dass „Wohnungssuchende für sich und ihre Familie eine
angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden können und jede Person an
der sozialen Sicherheit teilhat“. Unmittelbare Ansprüche lassen sich jedoch aus den So-
zialzielen nicht ableiten (Art. 41, Ziff. 4 BV).

Wohnungslosigkeit ist weit mehr als nur ein soziales Problem. Viele der Betroffenen wei-
sen multiple Problemlagen auf, die ihre Lebenssituation erklären. Drilling et al. (2019)
stellen fest, dass Belastungen aus einzelnen Lebensbereichen wie Arbeit, Familie und
Gesundheit selten allein für den Verlust der Wohnung verantwortlich sind (S. 7). Armut,
fehlender passender Wohnraum und gesundheitliche Probleme (psychische Belastun-
gen eingeschlossen) sind die wesentlichen Gründe für eine Entstehung oder Verfesti-
gung von Obdachlosigkeit (Drilling et al., 2019, S. 26). Das Hilfeangebot in der Stadt
Zürich ist mannigfaltig (Kapitel 2). Neben städtischen Einrichtungen bestehen viele nie-
derschwellige private Institutionen mit unterschiedlichem Angebot.

3
    sip-züri, Sicherheit Intervention Prävention. Ein Angebot aufsuchender Sozialarbeit der Stadt
      Zürich, Soziale Einrichtungen und Betriebe.
                                                   7
Christian Stocker                               SA.382BAAR.F2101                 Obdachlos in Zürich

1.1.1      Gründe für Obdachlosigkeit
Um Lösungen zu finden, die Obdachlosigkeit zu reduzieren oder gar zu beenden, müs-
sen die begünstigenden Faktoren und Ursachen verstanden werden. Ausgangslage ist
eine Befragung im Auftrag der Europäischen Kommission, bei der Betroffene die Gründe
für ihre Lebenslage benennen (siehe Abbildung 1). Eine alles erklärende Theorie für
Wohn- und Obdachlosigkeit gibt es nicht (Paegelow, 2012, S.17). Kein theoretisches
Erklärungsmodell ist in der Lage, die Komplexität und Interdisziplinarität des Problems
insgesamt zu erfassen und darzustellen (ebd.).

                                         Gründe für Obdachlosigkeit
                            Jobverlust                                               48%
                           Mietkosten                                         41%
                        Überschuldung                                       39%
              Abhängigkeitserkrankung                                      38%
               Trennung oder Todesfall                         17%
      Entscheidung für Obdachlosigkeit                        16%
       Kein Zugang zu Sozialleistungen                        16%
                  Psychische Probleme                       14%
                             Migration                     13%
    Haus oder Wohnung wurde zerstört                      12%
           Krankheit oder Behinderung                     12%
                           Weissnicht          2%
                                Andere        1%
                                         0%         10%       20%    30%   40%      50%      60%

Abbildung 1: Gründe für Obdachlosigkeit (n = 26'635) (Eigene Darstellung nach Statista, 2010)

1.1.2      Zahlen und Daten
Die Schweiz besitzt keine nationalen Auswertungsergebnisse über Wohnexklusion. Im
Rahmen eines regionalen Projekts 2019 wurden repräsentative Daten für die Stadt Basel
erhoben (Matthias Drilling, Jörg Dittmann & Tobias Bischoff, 2019, S.16−27).4 Auch in
Europa kann nicht von einer fortlaufenden wissenschaftlichen Forschung gesprochen
werden, da die Zahlen unregelmässig, auf unterschiedlichen Kategorien einer Obdach-
und Wohnungslosen-Typologie basierend erhoben werden. In Deutschland veröffentlicht
die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. jährlich Schätzungen, die auf
Hochrechnungen der Anzahl der Teilnehmenden oder Beobachtungen des Arbeits- oder
Wohnungsmarkts erstellt wurden. Im Folgenden werden die Anzahl erhobener Über-
nachtungen in der Städtischen Notschlafstelle und den privaten Einrichtungen der

4
    Eine interessante Studie der FHNW - Soziale Arbeit von Drilling et al. (2019): Obdachlosigkeit,
     Wohnungslosigkeit und prekäres Wohnen. Ausmass, Profil und Bedarf in der Region Basel.
                                                8
Christian Stocker                                          SA.382BAAR.F2101          Obdachlos in Zürich

Sozialwerke Pfarrer Sieber), welche den grössten Anteil privater Notschlafmöglichkeiten
anbieten, untersucht. Folgende Übersicht zeigt die Anzahl der Übernachtungen in Zürich
über einen Zeitraum von fünf Jahren.

                                                            Notschlafstellen
                                       25’000
  Übernachtungen Stadt Zürich

                                       20’000

                                       15’000

                                       10’000

                                        5’000

                                            0
                                                  2016       2017        2018     2019          2020
                                Nemo               638       1096        1598     1632          1802
                                Iglu              1617       2684        1380     1374          2390
                                Pfusbus           4103       5517        4793     3437          3700
                                Notschlafstelle   11’735    11’761       12’421   9’066         11’246

Abbildung 2: Übernachtungen (Eigene Darstellung nach Stadt Zürich (ohne Datum a) Geschäfts-
berichte, E-Mail von Walter von Aarburg (2021), Sozialwerk Pfarrer Sieber)

Bei dem in Tabelle 2 ersichtlichen Angebot Nemo handelt es sich um ein Angebot für
junge Erwachsene von 16 bis 23 Jahren, welches ganzjährig betrieben wird. Das Iglu
bietet arbeitssuchenden Menschen aus dem Ausland kostenlos einen sicheren Schlaf-
platz und ist ab Mitte November bis Mitte April mit seinen zwanzig Schlafplätzen geöffnet.
In der Regel besteht im Iglu eine kumulative Maximalaufenthaltsdauer von zehn Über-
nachtungen pro Saison. Der Pfusbus bietet Menschen ab zwanzig Jahren von Mitte No-
vember bis Mitte April ein Obdach und einen warmen Schlafplatz. Die Notschlafstelle
Zürich bietet obdachlosen Frauen und Männern aus der Stadt Zürich ein Bett für die
Nacht (vgl. Kapitel 2.1.1).

1.1.3                             Einfluss der Covid-19-Pandemie
Wohnexkludierte Menschen leiden besonders an den Auswirkungen von Sars-CoV-2
(Monika Götzö, 2021, S. 6). Wenn der Bundesrat in jeder Ansprache an die Bürger ap-
pelliert, zu Hause zu bleiben, wohin sollen sich wohn- und obdachlose Menschen zu-
rückziehen? Wie sollen Menschen auf der Strasse die Hygienevorschriften umsetzen
und sich täglich mehrmals die Hände mit Seife waschen, wenn die öffentlichen Toiletten,
Restaurants, Sporthallen und Bäder geschlossen sind? Die aus epidemiologischer Sicht
dringend umzusetzenden Massnahmen hatten direkt Auswirkung auf die Angebote der

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niederschwelligen Hilfesysteme, welche reduziert, eingeschränkt und teilweise vorüber-
gehend ausgesetzt werden, um den behördlichen Anweisungen Folge zu leisten (Monika
Götzö, 2021, S. 19). Im Weiteren werden die sozialen Interaktionsebenen auf digitale
Räume verlegt, was zur Teilnahme technisches Equipment voraussetzt (Ronald Lutz,
Wolfgang Sartorius & Titus Simon, 2021, S. 45). Mit den Auflagen der Registration der
Personaldaten, Fiebermessen und Eintrittsbeschränkungen werden in niederschwelli-
gen Institutionen plötzlich Zutrittshürden geschaffen, die gerade bei Menschen mit Ten-
denz zu paranoider Schizophrenie oder ohne gültige Papiere zum Ausschluss der An-
gebote führen.
Der Stadtrat Raphael Golta (2020), Vorsteher des Sozialdepartements, kontaktierte
Ende 2020 die helfenden Institutionen randständiger Menschen und informierte sie über
den Auftrag zur Datenerhebung, welcher an die Zürcher Hochschule für Angewandte
Wissenschaften (ZHAW) vergeben werden sollte (E-Mail vom 26.11.2020). Mit den se-
lektierten Institutionen wurden für die qualitativen Studie noch im Dezember Interviews
geführt. Die Ergebnisse5 wurden von der ZHAW und dem Sozialdepartement im Rahmen
eines Runden Tisches Mitte April 2021 allen Beteiligten präsentiert. Monika Götzö (2021,
S. 41) sprach von massiv zunehmender Prekarität in Bezug auf die Wohnsituation. Sie
(2021, S. 20) fasste zusammen, dass finanzielle Bedarfe in den Bereichen Miete, Kran-
kenversicherung, Unterstützungspflicht und Ernährung entstehen werden und dass bei
mehreren Konstellationen eine mögliche Zunahme von Wohnungsverlust und Obdach-
losigkeit drohe.
Der Stadtrat präsentierte zwei Stossrichtungen. Golta (2021, S. 5) wollte das soziale
Netz ausserhalb der Sozialhilfe stärken und sozialpolitische Folgen der Migrationsge-
setzgebung adressieren. Der erste Punkt sollte der finanziellen Unterstützung von in Zü-
rich verankerten Menschen ohne Zugang zur Sozialhilfe gelten, damit deren Grundbe-
dürfnisse in Notlagen materiell angemessen unterstützt werden. Zweitens sollte mit der
Stärkung des Netzes ausserhalb der Sozialhilfe der niederschwellige Zugang für Men-
schen in Not sichergestellt werden, indem die Unterstützung zielgruppengerecht durch
spezialisierte Organisationen ausgerichtet wurde (ebd.).

1.2       Erkenntnisinteresse und Ziele
Das berufliche Engagement des Autors im niederschwelligen Suchtbereich und der Ob-
dachlosenhilfe weckte sein Interesse für das Thema wohnungsloser Menschen. Die

5
    Studie der ZHAW - Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe unter der Leitung von Mo-
     nika Götzö zur Problemkonstellation - Dynamik und Wohnsituation randständiger Menschen
     in der Stadt Zürich im Auftrag des Sozialdepartements, unter Teilnahme von lebensmittelab-
     gebenden Institutionen.
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Christian Stocker                  SA.382BAAR.F2101                    Obdachlos in Zürich

Motivation für diese Arbeit besteht darin, marginalisierte und randständige Menschen
unserer Gesellschaft in den Fokus zu rücken. Die vorliegende Arbeit soll Obdachlosigkeit
in einen theoretischen Bezugsrahmen setzen. Mit der Verknüpfung der empirischen For-
schungsergebnisse mit normativen, theoretischen Grundlagen wird das Handlungspo-
tential für die Soziale Arbeit sichtbar gemacht.

Ziel dieser Arbeit ist es, einen Einblick in das Leben obdachloser Menschen zu erhalten,
diese besser verstehen zu können und ihre Lebenswelt angemessen zu berücksichtigen.
Darüber hinaus soll den obdach- und wohnungslosen Menschen eine Stimme gegeben
werden. Es gilt, aus direkter Quelle zu erfahren, wie sie ihre individuelle Lebenssituation
beschreiben und was sie sich am meisten wünschen. Mit dieser Forschungsarbeit sollen
zudem Antworten auf Fragen gefunden werden, wie Wohnungslose die Versorgungssi-
tuation der bestehenden Hilfesysteme wahrnehmen.

Die zentrale Frage Weshalb müssen Menschen in der Stadt Zürich auf der Strasse le-
ben? führt zu weiteren Teilfragen, welche sich in Theorie-, Forschungs- und Praxisfragen
unterteilen lassen. Die Theoriefragen lauten:
   - Was bedeutet Obdachlosigkeit und was sind mögliche Ursachen?
   - Welche Hilfesysteme bietet die Stadt Zürich?
Die bestehende Wissenslücke, bezogen auf obdachlose Menschen lautet: Wie beschrei-
ben sie ihre Lebenssituation, welche Bedürfnisse und Wünsche haben sie und wie erle-
ben sie die Versorgungssituation? Diese Fragestellungen werden in der folgenden For-
schungsfrage zusammengefasst:
   - Wie erleben obdachlose Menschen ihre Lebenssituation und die Hilfesysteme?
Letztlich wird aus den Forschungsergebnissen folgende Praxisfrage abgeleitet:
   - Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich für die Soziale Arbeit?

Der Forschungsbedarf motiviert den Autor, eine ethnographische Forschung zur Le-
benssituation obdachloser Menschen in der Stadt Zürich durchzuführen. Da die privaten
Angebote zur Übernachtung nur während der Wintermonate verfügbar sind, entschied
er sich, im März 2021 eine Woche als Obdachloser in der Stadt Zürich zu leben und in
einem Selbstversuch die städtischen und privaten Hilfsangebote in den Bereichen Es-
sen, Hygiene, Seelsorge, Bekleidung und Übernachtungsangebote in Anspruch zu neh-
men.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich einerseits mit der Komplexität der individuellen
und strukturellen Ursachen als mögliche Gründe, welche zur Wohnungslosigkeit führen
können. Andererseits sollen die Hilfesysteme auf Bedarf und Angebot hin überprüft

                                            11
Christian Stocker                     SA.382BAAR.F2101                    Obdachlos in Zürich

sowie die Zugänglichkeit und potenzielle Hürden analysiert werden. Im Zuge der For-
schung wurden obdachlose Menschen direkt zur Selbsteinschätzung ihrer individuellen
Lebenssituation, ihrer Gesundheit und ihren Lebenszielen befragt.

Aus Kapazitätsgründen kann das quantitative Ausmass von Obdachlosigkeit in der Stadt
Zürich nicht erhoben werden. Das quantitative Profil und der Bedarf werden im Rahmen
einer aktuellen Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz parallel schweizweit unter-
sucht.6

1.3        Relevanz für die Soziale Arbeit und Adressatenschaft
Soziale Arbeit mit Menschen ohne Obdach wird erst im Zuge der Professionalisierung
seit den 1960er Jahren zum Thema (Claus Paegelow, 2012. S 19). Das Leben in prekä-
ren Wohnverhältnissen führt zu Einschränkungen an der gesellschaftlichen Teilhabe,
vermindert die Chancengleichheit und verschlechtert die Lebenslage. Es ist Aufgabe der
Sozialen Arbeit, Menschen zu unterstützen, zu befähigen und zu integrieren (Ave-
nirSocial, 2010, S. 6). Aufgrund der Multiproblemlagen von Obdachlosigkeit, mit struktu-
rell-individualisierenden und individuellen Faktoren, ist es für Betroffene kaum möglich,
die Probleme allein zu lösen. Wie Paegelow (2012) ausführt, sind die zuständigen Hilfe-
systeme oft nicht in der Lage oder fühlen sich nicht dafür verantwortlich, Obdachlose bei
der Problemlösung zu unterstützen (S. 11). Oftmals werden die Klienten und Klientinnen
von Fachpersonen an andere Institutionen verwiesen und durchlaufen verschiedene
Stationen, an denen jeweils nur ein Teilproblem ihrer Diagnose bearbeitet wird (ebd.).
Die zentrierte Leistungskoordination ist eine Kernkompetenz der Sozialen Arbeit. Um die
benötigten interprofessionellen Dienste einzubeziehen, kooperieren die Professionellen
der Sozialen Arbeit trans- und interdisziplinär und sie setzen sich aktiv dafür ein, dass
Situationen umfassend analysiert, bewertet und bearbeitet werden (AvenirSocial, 2010,
S. 13.).
Die Forschungsergebnisse dieser Bachelorarbeit sollen Dienstleistungserbringende im
Hilfesystem für Obdachlose und Professionelle der Sozialen Arbeit motivieren, ihre An-
gebote und strukturellen Bedingungen zu überprüfen und dahingehend anzupassen
oder neue Lösungen zu erfinden, um die Obdachlosigkeit zu beenden. Diese Arbeit rich-
tet sich an Professionelle der Sozialen Arbeit und an Professionelle der erweiterten Hil-
fesysteme, die mit Obdachlosigkeit zu tun haben oder sich mit dem Problem der Obdach-
und Wohnungslosigkeit näher auseinandersetzen möchten.

6
    Projekt der FHNW: Obdachlosigkeit in der Schweiz - Ausmass und Erklärungen in 8 der gröss-
     ten Städte. 1.1.2020−31.12.2021. Unter der Leitung von Prof. Dr. Jörg Dittmann.
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Christian Stocker                  SA.382BAAR.F2101                    Obdachlos in Zürich

1.4       Aufbau der Arbeit
Diese Forschungsarbeit gliedert sich in drei Teile. Zu Beginn werden in einem fachlichen
Teil die theoretischen Grundlagen dargestellt. Anschliessend folgt der empirische Teil
qualitativer Forschung. Im dritten Teil der Arbeit werden die zentralen Aspekte diskutiert
und mit einem Ausblick abgeschlossen.

Fachliche und theoretische Grundlagen
Nach der Einleitung folgt ein ausführlicher Überblick über das städtische und private Hil-
fesysteme der Stadt Zürich für randständige Menschen, eine Beschreibung der helfen-
den Vereinigungen sowie ein kurzes Fazit. Im Anschluss daran wird eine Begriffsbestim-
mung rund um das Thema Obdachlosigkeit unternommen und es werden wesentliche
theoretische Ansätze sowie strukturelle und individuelle Ursachen vorgestellt, welche
wiederum in einem Fazit münden.

Empirischer Teil
Im Zentrum des vierten Kapitels dieser Bachelor-Arbeit steht der empirische Teil. Dieser
umfasst das methodische Vorgehen des Forschungsprozesses, wobei im Einzelnen auf
das Forschungsdesign, die Erhebungsmethode, den Feldzugang, das Sampling, die Er-
hebung der Daten und deren Aufbereitung eingegangen wird. Die Darstellung der For-
schungsergebnisse erfolgt im Anschluss. Die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen
aus Beobachtungen und Interviews mit obdachlosen Menschen sowie den eigenen Er-
fahrungen als temporär Obdachloser findet unter folgenden Gesichtspunkten statt:

      •   Ursachen und Gründe der Obdachlosigkeit aus Sicht der Betroffenen
      •   Subjektiv empfundene Lebens- und Gesundheitssituation obdachloser Men-
          schen
      •   Lebensziele und Wünsche für die Zukunft
      •   Genutzte und ungenutzte Hilfesysteme und Institutionen der Stadt Zürich
      •   Ethnologische Beobachtungen

Überdies folgen eine kritische Auseinandersetzung und die Interpretation der Ergeb-
nisse in Verbindung mit dem theoretischen Teil dieser Arbeit.

Schlussteil
Zuletzt werden die zentralen Aspekte dieser Bachelor-Arbeit zusammengefasst und der
Handlungsbedarf für die Soziale Arbeit von obdachlosen Menschen festgehalten. Der
Forschungsprozess wird einer Reflexion unterzogen und der Ausblick in die Zukunft so-
wie eine persönliche Bewertung bilden den Abschluss dieser Arbeit.

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Christian Stocker                 SA.382BAAR.F2101                   Obdachlos in Zürich

2 Hilfesysteme der Stadt Zürich
Bei der Suche über die Sozialraumkarte Zürich (ohne Datum) werden helfende Organi-
sationen und Institutionen gefunden. Das Resultat liefert knapp hundert – wenig struktu-
rierte − Einträge. Um dem Anspruch einer übersichtlichen Darstellung gerecht zu wer-
den, wird im folgenden Kapitel genauer auf die Hilfesysteme der Stadt Zürich eingegan-
gen. Zunächst werden die Angebote und die Angebotsentwicklung des Sozialdeparte-
mentes, des Geschäftsbereichs Wohnen und Obdach sowie für die Wohnungslosigkeit
relevante Bereiche von Schutz und Prävention der Sozialen Einrichtungen und Betriebe
(SEB) beschrieben. Im Anschluss werden die privaten Institutionen und deren Angebote
thematisiert. Aufgrund der teilweise komplexen Mehrfachproblemlagen der Klientel ist
eine interprofessionelle Zusammenarbeit verschiedener Organisationen und Institutio-
nen der Hilfesysteme gefordert. In diesem Zusammenhang werden die bestehenden
Netzwerke und Massnahmen beschrieben, die den Informationsaustausch und die not-
wendige Zusammenarbeit zum Ausdruck bringen.
Die folgenden Informationen basieren auf der Homepage der Stadt Zürich und den Web-
seiten privater Institutionen, auf Gesprächen, Beschlüssen und Sitzungsprotokollen im
Rahmen der Netzwerk- und interinstitutionellen Zusammenarbeit (vgl. Kapitel 2.3) mit
anderen Professionellen der Stadt Zürich.

2.1     Städtische Hilfe- und Versorgungssysteme
Das Sozialdepartement (SD) gliedert sich in fünf Bereiche: Departements Sekretariat
(DS SD), Soziale Dienste (SOD), Amt für Zusatzleitungen (AHV/IV), Laufbahnzentrum
(LBZ), Soziale Einrichtungen und Betriebe (SEB) und das Support Sozialdepartement
(SDS) (Stadt Zürich, ohne Datum e). Die Dienstabteilung SEB wiederum ist unterteilt in
die Geschäftsbereiche Arbeitsintegration, Kinderbetreuung, Schutz und Prävention so-
wie Wohnen und Obdach (Stadt Zürich, ohne Datum b). Im Folgenden werden Angebote
der Geschäftsbereiche Wohnen und Obdach sowie Schutz und Prävention fokussiert,
da diese die primären Leistungen rund um die Zielgruppe der Wohnexkludierten erbrin-
gen.

2.1.1   Wohnen und Obdach
Der Geschäftsbereich Wohnen und Obdach führt ambulant und stationär betreute Ein-
richtungen für wohnungs- und obdachlose Einzelpersonen und Familien mit einer

                                            14
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Meldeadresse7 in der Stadt Zürich (Stadt Zürich, ohne Datum d, S.2). Ziel ist es, mittels
individueller Betreuung und fachlicher Beratung die Gesamtsituation zu stabilisieren und
eine passende Anschlusslösung zu finden (ebd.). Die Arbeit der SEB beruht auf dem
Grundsatz, dass „die Ursache von Wohn- und Obdachlosigkeit: eine Begleiterscheinung
gravierender finanziellen Probleme, einer missglückten Integration, des dissozialen Ver-
haltens oder einer psychischen- oder Suchterkrankung basieren" (ebd.).

Angebot
Das Angebot umfasst die Notschlafstelle, die Nachtpension, die Wohnintegration (am-
bulant, stationär und beaufsichtigt), die Notunterkunft für Familien und ein Übergangs-
wohnen für Familien, Einzelpersonen oder junge Erwachsene (vgl. Angebotsübersicht
im Anhang A).

2.1.2   Schutz und Prävention
Aus den Erfahrungen mit der offenen Drogenszene in den 1980er Jahren beschritt die
Stadt Zürich mit der Vier-Säulen-Strategie8 Mitte 1990 neue Wege der Politik. Der Ge-
schäftsbereich leistet Prävention und Aufklärungsarbeit in den Bereichen Drogen und
Strassensexarbeit (Stadt Zürich, ohne Datum c). Dabei werden von sozialer Ausgren-
zung betroffene und bedrohte sowie suchtkranke Menschen unterstützt (ebd.). Ziel ist
es, ein friedliches Miteinander im öffentlichen Raum zu fördern und sicherzustellen. Wei-
ter zielt die Stadt Zürich darauf ab, die Gesundheitsförderung und die Früherkennung
gesellschaftlicher Rahmenbedingungen für die Betroffenen zu verbessern (ebd.).

Angebot
Die Angebote der Stadt Zürich werden in aufsuchende Sozialarbeit und Treffpunkte mit
Tagesstruktur aufgeteilt (ohne Datum b). In der aufsuchenden Sozialarbeit die Ge-
schäftsbereiche Jugendberatung Streetwork, Frauenberatung Flora Dora und Sicherheit
Intervention, Prävention (sip-züri) (ebd.). Als Treffpunkte mit Tagesstruktur finden sich
Kontakt- und Anlaufstellen (K&A), die Treffpunkte City, das t-alk, das Winter t-alk und
Ein Bus (vgl. Angebotsübersicht im Anhang A).

7
  Die Meldeadresse entspricht dem fürsorgerechtlichen Wohnsitz. (Dies ist besonders in Bezug
    auf die Abgrenzung der Annahmeberechtigten von Angeboten in ZH relevant (siehe Kapitel
    6).)
8
  Vier-Säulen-Modell mit Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression (Bundesamt
    für Gesundheit, ohne Datum).
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Eine weitere Institution des Sozialdepartement ist die Infodona, welche auf Beratungen
für Menschen mit Migrationshintergrund spezialisiert ist.

Das Gesundheits- und Umweltdepartement der Stadt Zürich hat einen Public-Health-
Auftrag und ergänzt das Sozialdepartement mit Angeboten der medizinisch-sozialen
Ambulatorien (Stadt Zürich, Gesundheits- und Umweltdepartement, ohne Datum). Für
wohnexkludierte Menschen ohne obligatorische Krankengrundversicherung oder Pa-
piere ist dies oftmals die einzige Möglichkeit, niederschwellige medizinische und auch
zahnärztliche Soforthilfe zu erhalten. Zu ihren Leistungen gehören hausärztliche und
psychiatrische Betreuung, Infektionsprävention, Gynäkologie, ambulante opioidge-
stützte Therapie und zahnärztliche Dienste (ebd.).

2.2       Private Hilfe- und Versorgungssysteme
In der Stadt Zürich finden sich über sechzig private Organisationen (vgl. Angebotsüber-
sicht im Anhang B), welche wohnexkludierte Menschen direkt und indirekt unterstützen.
Die Angebote sind vielfältig und erstrecken sich von der aufsuchenden Sozialberatung
bis zu den verschiedensten Formen des begleiteten Wohnens sowie der Unterstützung
arbeitsintegrativer Massnahmen. Darunter finden sich Stiftungen, Vereine, kirchliche Or-
ganisation und auch Aktiengesellschaften. Die Zusammenstellung der Hilfsorganisatio-
nen für diese Arbeit basiert auf der Angebotsübersicht der niederschwelligen sozial- und
medizinischen Angebote (Sozialdepartement der Stadt Zürich, 2021. E-Mail Jürg Brun-
ner vom 1.4.2021), den Mitgliederlisten der Dach-Netz-Organisation (Dach Netz, ohne
Datum) und der Gassenkommission und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.9
Aus der Perspektive der Betroffenen kann eine Kategorisierung auf der Basis von Grund-
bedürfnissen wie der Überlebenshilfe, gesundheitsstabilisierenden Massnahmen, der Si-
cherung der sozialen Umgebung sowie der beruflichen und sozialen Integration analog
zur Zielhierarchie von Interventionszielen (Robert Frietsch, 2011, S.52) dargestellt wer-
den (Anhang C). Die grafische Aufbereitung der angebotenen Leistungen (Abbildung 3)
zeigt die Schwerpunkte in der Überlebenssicherung, der Befriedigung der Grundbedürf-
nisse und Angeboten zur Integration.

9
    Die Angebotsübersicht ist eine Momentaufnahme, da sich die Angebote laufend verändern und
     dem Bedarf angepasst werden.
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                           Sozialberatung, Beratung
              Betreutes Wohnen abstinenzorientiert
                    Sozialtherapeutische Begleitung
                                 Religiöse Beratung
                          Verpflegung vor Ort gratis
                          Aufwärmen, Wärmestube
                           Begegnungen, Gespräche
                          Lebensmittelabgabe gratis
            Verpflegung vor Ort mit Unkostenbeitrag
                                         Take-Away
                 Betreutes Wohnen suchtakzeptiert
                           Aufsuchende Sozialarbeit
                              Ambulante Begleitung
                        Telefonische Sozialberatung
                                            Nothilfe
                               Notfallübernachtung
       Medizinische Beratung, Medikamentenabgabe
                                    Materielle Hilfe
                                Kleiderabgabe gratis
 Betreutes Wohnen nach dem Strafvollzug/Bewährung
                             Sozialarbeit (Sexarbeit)
                                 Zugang zu Internet
             Wohnen für Benachteiligte - vergünstigt
                      Suchtberatung für Angehörige
                                    Notschlafbetten
                                            Duschen
                             Beratung MigrantInnen
                                           Waschen
                           Psychologische Beratung
                       Operschutz Menschenhandel
              Medizinische Anlaufstelle Sans-Papiers
                       Lebensmittelabgabe verbilligt
                      Kleider Second Hand verbilligt
                            Integrierendes Wohnen
                Betreutes Wohnen Sozialpsychiatrie
             Betreutes Wohnen für Mutter und Kind

                                                        0    5     10       15       20      25       30

                                Anzahl Angebote privater Organisationen in der Stadt Zürich, April 2021

Abbildung 3: Angebotserhebung helfender privater Organisationen Stadt Zürich (Eigene Darstel-
lung (vgl. Anhang B))

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2.3     Netzwerke und Vereinigungen
Dach Netz
Nachdem der Stadtrat Ende 2000 die Fachkommission Wohnbereich aufgelöst hatte,
formierten sich im Frühjahr 2021 einige Mitglieder der ehemaligen Fachkommission zur
Arbeitsgruppe Dach Netz, um weiterhin den Austausch zu pflegen. Seitdem werden lau-
fend neue Mitglieder aus Einrichtungen der Obdachlosen- und Wohnhilfe der Stadt Zü-
rich auf Antrag hin aufgenommen (Dach Netz, ohne Datum). Die Mitglieder setzen sich
aus Vertreterinnen und Vertretern privater Wohnheime und Beherbergungseinrichtun-
gen, städtischer Institutionen und Behörden sowie der Medizin und Psychiatrie zusam-
men. Die Dach-Netz-Gruppe erstellt in einer offenen Zusammenarbeit Angebote für die
Menschen aus Zürich (ebd.). Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Psychiatrie
und der Kontakt mit politischen Schlüsselpersonen und Behörden haben einen hohen
Stellenwert (ebd.). Nebst den regelmässigen Sitzungen werden Fokusthemen oder Pro-
jekte in Arbeitsgruppen bearbeitet (ebd.). Auf die Initiative des Dach Netz ist die Winter-
liste entstanden, welche über die niederschwelligen Hilfsangebote für Obdachlose der
Stadt Zürich informiert. Ausserdem wird auf der Website des Dach Netz eine aktuelle
Liste der freien Wohn- oder Notschlafplätze geführt, welche frei zugänglich ist (ebd.).

Gassenkommission
Die Gassenkommission setzt sich aus Mitgliedern zusammen, die mit ihrem Angebot
Menschen auf der Gasse erreichen wollen (E-Mail Natalija Golubic vom 3.9.2018). Im
Vergleich zum Dach Netz finden sich hier ausschliesslich Mitglieder, die aufgrund ihres
Angebots direkt mit Menschen von der Strasse zu tun haben. Der Inhalt der Sitzungen
bezieht sich primär auf Angebotsänderungen der jeweiligen Hilfsinstitutionen, den aktu-
ellen Bedarf oder Informationen über neue Substanzen, Krankheiten, Repressionen und
alles, was die ‚Gasse‘ im Allgemeinen beschäftigt.

Round Table Lebensmittelabgabe
Der Stadtrat des Sozialdepartements der Stadt Zürich hat 2020 eine Arbeitsgruppe zum
Thema Lebensmittelabgaben an Randständige ins Leben gerufen (E-Mail vom 26. No-
vember 2020). Der Teilnehmerkreis besteht primär aus verantwortlichen Personen der
Institutionen, die Lebensmittel abgeben. Wie in Kapitel 1.1.3 beschrieben, beabsichtigt
das Sozialdepartement die Stärkung der privaten Institutionen, um den niederschwelli-
gen Zugang für Menschen in Not zur Deckung des überlebenswichtigen Grundbedarfs
sicherzustellen (ebd.).

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Christian Stocker                   SA.382BAAR.F2101                      Obdachlos in Zürich

3      Theoretische Grundlagen der Wohnexklusion10
Im Zentrum des folgenden Kapitels stehen die Schlüsselbegriffe von Wohnungs- bezie-
hungsweise Obdachlosigkeit. Als nächstes werden zwei der wesentlichen Theorien be-
leuchtet: der Lebenslagenansatz mit Wohnen als integrativem Bestandteil und der Cap-
ability-Approach als normative Voraussetzung gesellschaftlicher Teilhabe. Dabei wird
auf empirische Grundlagen der Sozialforschung sowie auf individuell und strukturell be-
günstigende Faktoren eingegangen. Im Anschluss wird auf die durch gesellschaftliches
Kollektivverhalten individualisierenden Einflussfaktoren wie den Armuts-, den Exklusi-
ons- und den Stigmatisierungsansatz eingegangen. Zum Abschluss folgt ein Fazit.

3.1     Begriffsbestimmung
Im europäischen Fachdiskurs besteht kein einheitlicher, allgemeingültiger Begriff und
keine offizielle Definition von Obdachlosigkeit. Im Folgenden bedient sich der Autor die-
ser Arbeit der Kategorien der ETHOS-Typologie (FEANTSA, 2018, S. 1), da darin die
zahlreichen prekären Formen der Wohnungslosigkeit im Detail definiert werden (siehe
Anhang D). Wegen der unterschiedlichen Rahmenbedingungen einzelner Länder, sei es
sprachbedingt11 oder kulturbedingt12, kam in der Vergangenheit Kritik an diesem Modell
auf. In der deutschen Literatur wird häufig der Begriff Wohnungsnotfall verwendet, der
aus den 1980er Jahren stammt und laut Thomas Specht, Werena Rosenke, Rolf Jordan
und Benjamin Giffhorn (2017) wie folgt definiert ist: „Wohnungsnotfälle sind Haushalte
und Personen mit einem Wohnungsbedarf von hoher Dringlichkeit, die aufgrund beson-
derer Zugangsprobleme zum Wohnungsmarkt der besonderen institutionellen Unterstüt-
zung zur Erlangung und zum Erhalt von angemessenem Wohnraum bedürfen“ (S.
27−28). Dabei ist zu betonen, dass sich die Betroffenen nicht starr einer Kategorie zu-
ordnen lassen, sondern zwischen den einzelnen Kategorien hin und her wechseln (vgl.
Anhang D, Punkt 6). Deshalb soll ein für diese Arbeit geltender zentraler, neuer Überbe-
griff für alle prekären Wohnformen eingeführt werden. In Anlehnung an den englischen
Begriff housing exclusion und die damit verbundene Ausgrenzung aus dem Wohnungs-
markt wird in dieser Arbeit gesamthaft von Wohnexklusion und wohnexkludierten13 Men-
schen gesprochen, was alle prekären Wohnformen nach ETHOS zusammenzufasst.

10
   Im Original housing exclusion für: Wohnungsauschluss, Ausgrenzung aus dem Wohnungs-
    markt/Wohnungssuche oder eine prekäre Wohnungssituation.
11
   Rooflessness für Obdachlosigkeit und houselessness für Wohnungslosigkeit ist präziser, da
    beide Begriffe unter homelessness fallen, was im Deutschen mit den Begriffen obdachlos und
    wohnungslos synonym verwendet wird (Drilling et al., 2019, S. 14).
12
   Wohnen, Nahrung, Kleidung, Gesundheit und soziale Beziehungen gehören zur Lebenslage
    und sind somit kulturell und länderspezifisch unterschiedlich.
13
   Wohnexklusion als Überbegriff aller prekären Wohnformen nach ETHOS.
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Christian Stocker                 SA.382BAAR.F2101                   Obdachlos in Zürich

Nachfolgend wird auf die ausgewählten Definitionen von Obdach und Obdachlosigkeit
eingegangen (für weitere Wohnformen siehe Anhang D).

Obdach
Der Begriff Obdach beschreibt eine Unterkunft, einen Zufluchtsort, eine Wohnung, ein
schützendes Dach oder ein Domizil (Universal-Lexikon, ohne Datum). Ein Obdach, ein
mit einem Dach versehener Ort, schützt vor Wetter und bietet einen Raum für die not-
wendigen Lebensbedürfnisse, den persönlichen Schutz und die Privatsphäre (ebd.).

Obdachlosigkeit
Obdachlose Menschen haben kein Dach über dem Kopf und übernachten im öffentlichen
Raum oder in niederschwelligen Einrichtungen. In der Alltagssprache werden die Be-
griffe Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit oft synonym gebraucht (Jürgen Malyssek
& Klaus Störch, 2009, S. 39). Das Philologen-Brüderpaar Wilhelm und Jacob Grimm
beschrieben den Begriff obdachlos in ihrem Belegwörterbuch bereits 1889. Der Begriff
stammt aus einer Zeit, in der Obdachlose der Arbeit suchenden, als Wanderarbeiter tä-
tigen Gesellschaftsschicht angehörten. Obdachlosigkeit ist eine Form der Wohnungslo-
sigkeit. Obdachlose Menschen leben ohne feste Unterkunft im öffentlichen Raum, auf
der Strasse oder öffentlichen Plätzen. Sie halten sich in Verschlägen, Parks, unter Brü-
cken oder im Wald auf. Der Begriff umfasst auch diejenigen Menschen, die in Wärme-
stuben, Notschlafstellen oder vergleichbaren Institutionen übernachten. Sie haben wie
wohnungslose Menschen keinen festen Wohnsitz. Drilling et al. (2020) zeigen auf, dass
Obdachlosigkeit die gravierendste mehrerer prekärer Wohnsituationen ist (S. 6). Sie
hängt immer mit dem Ausschluss vom Wohnungsmarkt zusammen (ebd.).

3.2     Verwendete theoretische Ansätze
Eine Theorie, welche die Mehrdimensionalität unterschiedlicher Lebensbereiche unter
Berücksichtigung von deren Wechselwirkung aufzeigt, wird im Lebenslagenansatz er-
klärt (Lutz, Sartorius & Simon, 2021, S. 84). Um den individuellen Verwirklichungschan-
cen einer Person, mittels Fähigkeiten und Gelegenheiten ihren individuellen Lebensent-
wurf zu realisieren, Rechnung zu tragen, wird als zweiter Ansatz der Capability-Approach
vorgestellt.

3.2.1   Lebenslagenansatz
Der Ansatz der Lebenslagen verdeutlicht nicht nur die strukturellen Einflussfaktoren,
sondern überprüft auch die individuelle Lebenssituation der Menschen, um deren Hand-
lungschancen daraus abzuleiten. Anton Aman (2020) fasst zusammen: „Der Kern des
                                          20
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