PROGRAMM 21 - 24. JUNI 2022 - SWR.de/dokufestival
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RUBRIK SWR DOKU FESTIVAL Viel Spaß beim SWR Doku Festival 2022 Für eine starke und vielfältige Medienlandschaft im Südwesten. 2
INHALT GRUßWORTE 7 FILME AUßER KONKURRENZ – FILMREIHEN 79 WINFRIED KRETSCHMANN WIR IN DER WELT MINISTERPRÄSIDENT DES LANDES BADEN-WÜRTTEMBERG DER BESONDERE FILM NEWCOMER UND GRENZGÄNGER DR. FRANK NOPPER OBERBÜRGERMEISTER STADT STUTTGART SPECIAL PROF. DR. KAI GNIFFKE INTERVIEW 1 15 INTENDANT SWR PROF. REGINA ZIEGLER CARL BERGENGRUEN CAMPINO GESCHÄFTSFÜHRER MEDIEN- UND FILMGESELLSCHAFT BADEN-WÜRTTEMBERG MBH DR. WOLFGANG KREIßIG JURY 1 25 PRÄSIDENT DER LANDESANSTALT FÜR KOMMUNIKATION BADEN-WÜRTTEMBERG CLEMENS BRATZLER PREISERKLÄRUNG 1 37 PROGRAMMDIREKTOR SWR MODERATION 1 38 ERIC FRIEDLER SWR HAUPTABTEILUNGSLEITER DOKU DOKU KLASSE 1 44 WILLKOMMEN ZUM FESTIVAL 25 REGIE – ALLE FILME 1 57 DR. IRENE KLÜNDER, FESTIVALLEITERIN FILMVERZEICHNIS ALPHABETISCH 1 66 NOMINIERTE FILME 29 FESTIVALPROGRAMM 1 69 NOMINIERTE FILME MUSIK 57 TICKETS / SERVICE 176 RETROSPEKTIVE WERNER HERZOG 66 LAND DES SCHWEIGENS UND DER DUNKELHEIT FOTONACHWEIS 1 78 MEIN LIEBSTER FEIND THE WHITE DIAMOND IMPRESSUM 1 79 4 5
RUBRIK WINFRIED KRETSCHMANN MINISTERPRÄSIDENT DES LANDES BADEN-WÜRTTEMBERG Das SWR Doku Festival hat sich seit seiner Premiere im Jahr 2017 als feste Größe im hiesigen Kulturkalender etabliert. Auch in der neuen Auflage werden wieder herausragende Film- Foto Grußwort werke gezeigt, die für den Deutschen Dokumentarfilmpreis als eine der renommiertesten Auszeichnungen im deutschsprachigen Europa nominiert sind. Zudem laufen auch Film- reihen außerhalb der Konkurrenz. Zu diesem besonderen Anlass, dem sechsten SWR Doku Festival vom 21. bis 24. Juni, begrüße ich alle Filmemacherinnen und Filmemacher sowie das Kinopublikum sehr herzlich! Große Leinwand und voller Sound – darauf freuen sich sicherlich viele Filmbegeisterte, die in den letzten beiden Jahren als Folge der Corona-Pandemie auf so manches Erlebnis dieser Art verzichten mussten. In unbekannte Welten eintauchen, sich berühren lassen, Bekanntes neu entdecken, staunen über neue Einblicke: All das und noch vieles mehr lassen uns Doku- mentarfilme erleben. Und das gilt im Besonderen für die diesjährigen Preisträgerfilme, die allesamt wahre Meisterwerke der Erzähl- und Kamerakunst sind. Das Genre des dokumentarischen Films hat eine lange Tradition im Land: Zusammen mit der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg vergibt der SWR schließlich schon seit 2009 den Deutschen Dokumentarfilmpreis, der zuvor unter dem Namen Baden-Württem- bergischer Dokumentarfilmpreis firmierte. Wie kaum einem anderen Medium gelingt es dem Dokumentarfilm, die Menschen in seinen Bann zu ziehen, sie zu informieren und Zusammen- Fotonachweis hänge aufzudecken und neue Denkanstöße zu liefern. Gleichzeitig können die Filme zum interkulturellen Verständnis beitragen, Brücken bauen zwischen Kulturen und Kontinenten VORNAME NAME und einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten, indem sie verschiedene Sichtweisen und Lebenssituationen erlebbar machen. In diesem Sinne können wir uns freuen auf die diesjährigen Filmbeiträge, die beim sechsten SWR Doku Festival gezeigt werden. Und wir dürfen gespannt sein, wer in den verschiedenen Kategorien mit dem Deutschen Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet wird. Mein herzlicher Dank gilt allen Filmemacherinnen und Filmemachern, den Jurys und den Organisatorinnen und Organisatoren des SWR Doku Festivals. Ich danke allen, die die Verleihung des Dokumen- tarfilmpreises durch ihren Einsatz möglich machen. Den Zuschauerinnen und Zuschauern wünsche ich inspirierende Filmerlebnisse und natürlich gute Unterhaltung! Winfried Kretschmann Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg 8 9
GRUßWORTE DR. FRANK NOPPER OBERBÜRGERMEISTER STUTTGART Gute Dokumentarfilme zeigen uns Ungekanntes oder so noch nicht Gesehenes und lassen uns Bekanntes neu entdecken. Sie vermitteln Informationen, erzählen uns von anderen Kul- turen und von gesellschaftlichem Zusammenhalt. Sie regen uns zum Nachdenken und Hin- terfragen an und speisen uns nicht mit schnellen Antworten ab. Ich freue mich sehr, dass wir das diesjährige SWR Doku Festival wieder live und real vor Ort in Stuttgart erleben können. Die aktuelle Situation zeigt mehr und mehr, dass sich desinformierende Inhalte im Netz schnell und weit verbreiten und es einer korrekten Einordnung dieser Inhalte bedarf. Doku- mentarfilme sorgen mit einer vertieften Recherche und seriösen Informationen für die rich- tige Orientierung und Unterstützung. Das SWR Doku Festival findet dieses Jahr wieder – wie gewohnt – in den Stuttgarter Innen- stadtkinos statt und ist ein wirkmächtiges Zeichen des herausragenden Filmstandorts Baden-Württemberg. Auch Stuttgart ist eine Filmstadt. Neben den vielen hier stattfindenden Filmfestivals gibt es in Stuttgart und der Region renommierte Ausbildungsstätten wie die Ludwigsburger Filmakademie oder die Hochschule der Medien. Die Landeshauptstadt Stuttgart hat die große Bedeutung des Dokumentarfilms schon vor vielen Jahren erkannt und engagiert sich seitdem im Trägerverein für das Haus des Doku- mentarfilms, das seinen Sitz in Stuttgart hat und ein europaweit einzigartiges Archiv mit hervorragender Forschungs- und Förderleistung führt. Ich freue mich, dass dieses wichtige Festival seiner besonderen Rolle im Bereich des Film- schaffens auch in diesem Jahr gerecht wird. Herzlichen Dank an alle beteiligten Filmschaffen- den, dem Organisationsteam und der Jury des SWR Doku Festivals für ihren großen Einsatz. Danke an alle klugen, mutigen, kritischen und neugierigen Filmschaffenden, die uns auch in Zukunft die Augen öffnen und unseren Horizont erweitern. Die uns mitnehmen auf eine Reise in manchmal vergangene, manchmal fremde Welten. Und die uns wichtige, reale Geschichten erzählen, mitten aus dem Leben gegriffen. Allen Filmliebhaberinnen und -liebhabern wün- sche ich interessante und belebende Filmerlebnisse. Dr. Frank Nopper Oberbürgermeister Stuttgart 10 11
RUBRIK PROF. DR. KAI GNIFFKE SWR INTENDANT Nah, unmittelbar und dennoch mit analytischem Blick. Zeigen was wahr und real ist und dabei mit beeindruckenden Bildern glänzen. Wucht und Wahrheit miteinander in eine per- fekte Symbiose bringen – das schaffen Dokumentarfilme immer und immer wieder in beson- derer Art und Weise. Sie sind Zeitdokumente, magische oder auch bedrückende Reisen in andere Lebenswelten, Regionen und Epochen. Sie zeigen die gesamte Bandbreite unserer Welt: Das Schöne, das Schreckliche, das Unbegreifbare. Und alle Nuancen dazwischen. Das SWR Doku Festival bietet diesem herausragenden Genre des Films eine gebührende Platt- form und zeigt die Filme dort, wo sie hingehören – auf der großen Kinoleinwand. Das Festival und der SWR machen die Dokumentarfilme zu einem Kulturerlebnis. Der Dokumentarfilm liegt dem SWR dabei besonders am Herzen, denn er gehört zu unseren Kernkompetenzen. Das Dokumentarische ist öffentlich-rechtlich pur, es verbindet Journalismus und Filmkunst, es lie- fert Einordnungen, Erklärungen und wichtige Impulse zu den Fragen unserer Zeit. Dokumen- tarfilme können den Dialog und Austausch anregen und tragen zum demokratischen Diskurs bei. Und sie sind in dieser Zeit von Pandemie bis Krieg und neuen Konflikten notwendiger denn je, da sie solche Themen im Großen einordnen, gewichten und neue Perspektiven eröff- nen. Die Öffentlich-Rechtlichen und der SWR können dabei auch auf Themen und Fragen bli- cken, die andere Medien und kommerzielle Anbieter nicht abdecken und aus wirtschaftlichen Gründen niemals in ihrem Portfolio platzieren würden. Beim SWR Doku Festival werden die für den Deutschen Dokumentarfilmpreis nominierten Filme gezeigt, aber auch endlich wie- Fotonachweis der beeindruckende Filme außerhalb der Konkurrenz. Unser Festival geht aber noch einen Schritt weiter. Zusammen mit unseren Partnern, der MFG Baden-Württemberg und der LFK Baden-Württemberg, setzen wir uns aktiv für die Förderung von Medienkompetenz ein. Ziel ist es, gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen das filmische Erzählen zu analysieren und einen genauen Blick auf Realität und Fiktion zu werfen. Genießen Sie die herausragenden Filme des diesjährigen SWR Doku Festivals und tauchen Sie ein in die Welten, die Bilder und die Geschichten, die uns nur der Dokumentarfilm liefern kann. Viel Freude auf dieser Kinoreise! 12 13
GRUßWORTE CARL BERGENGRUEN GESCHÄFTSFÜHRER DER MEDIEN- UND FILMGESELLSCHAFT BADEN-WÜRTTEMBERG Liebe Freund*innen des SWR Doku Festivals, nach zwei Jahren Pandemie, die die Vorführungen auf den digitalen Raum beschränkt haben, kehrt das Festival wieder in den Kinosaal zurück. Dabei befindet sich unsere Welt nach wie vor in besorgniserregenden Turbulenzen. Pandemie, Klimakrise, nun der Krieg in der Ukraine: Wir erleben unruhige Zeiten, die selbstverständliche Gewohnheiten gefährden, Gewissheiten als brüchig erweisen und Neupositionierungen erfordern. Der Dokumentarfilm, der stets der Wirklichkeit verpflichtet ist, wird in diesen Krisen viel Stoff finden, leider, um seine orientie- renden Kräfte zu entfalten. Er wird gebraucht, mehr denn je. Dem SWR und der Leiterin des SWR Doku Festivals, Dr. Irene Klünder, ist sehr dafür zu danken, dass sie dem Dokumentarfilm seit 2017 Jahr für Jahr diese wichtige Bühne verschaffen. Es ist selbstverständlich, dass die MFG dieses Festival unterstützt und gemeinsam mit dem SWR den Hauptpreis vergibt. Er ist mit einem Preisgeld von 20.000 Euro verbunden und damit der höchstdotierte seiner Art. Der dokumentarische Film ist in der Geschichte Baden-Württembergs und des SWR fest ver- wurzelt. In den frühen 1960er Jahren bildete sich in der Dokumentarfilmabteilung des Süd- deutschen Rundfunks eine Gruppe von Dokumentaristen heraus, die mit ihrem Blick auf die Widersprüchlichkeiten und Dramen des Alltags als Stuttgarter Schule stilprägend werden sollte. An diese Tradition knüpft das SWR Doku Festival an. Dabei steckt in dem Wort »Dokument« etymologisch das lateinische »docere«, das »lehren«, »unterrichten« bedeutet. Und so sei noch am Schluss ein Hinweis auf die Doku Klasse im Rahmen des SWR Doku Festivals gestattet, die von SWR, Landesmedienanstalt für Kommuni- kation Baden-Württemberg und MFG ausgerichtet wird, und in der Schüler*innen an Doku- mentarfilme herangeführt werden. Denn wir werden den Dokumentarfilm auch in Zukunft brauchen – und Menschen, die mit diesem Genre vertraut sind. 14 15
RUBRIK DR. WOLFGANG KREIßIG PRÄSIDENT DER LANDESANSTALT FÜR KOMMUNIKATION Liebe Festival-Besucherinnen und Festival-Besucher, die zahlreichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie haben unser kultu- relles Leben in den vergangenen Jahren stark eingeschränkt und uns einmal mehr vor Augen geführt, was uns gefehlt hat – nämlich der persönliche Mehrwert, Kultur gemeinsam mit anderen erleben zu können. Nach zwei herausfordernden Jahren, in denen ein digitales Alternativprogramm erfolgreich auf die Beine gestellt werden konnte, kehrt das SWR Doku Festival in diesem Sommer nun endlich wieder in die Stuttgarter Kinos zurück. Über diese Rückkehr zur Normalität freue ich mich sehr! Die Nachrichten sind zurzeit von zahlreichen Krisen wie dem Kriegsgeschehen in der Ukraine, dem globalen Klimawandel und der anhaltenden Pandemie geprägt. Man könnte also die Frage stellen, ob dies der richtige Zeitpunkt ist, um ins Kino zu gehen. Mit Blick auf das SWR Doku Festival lautet meine Antwort: Eindeutig ja! Denn hochwertige Dokumentarfilme haben stets den Anspruch, Geschichten zu erzählen, die uns die Augen öffnen, unter die Haut gehen und unsere Horizonte erweitern. Sie geben gerade auch schwie- rigen, gesellschaftlich relevanten Themen eine Plattform und Menschen, die benachteiligt sind, eine Stimme. So können die Filme Menschen zusammenbringen und sie anregen, gemeinsam nachzudenken und Lösungen für die Probleme unserer Zeit zu entwickeln. Als Medienanstalt für Baden-Württemberg unterstützt die LFK das SWR Doku Festival, weil sich gerade Dokumentarfilme besonders gut für den Erwerb von Medienkompetenz eignen. Fotonachweis Dokumentarfilme zeichnen sich durch ein hohes Maß an Vorbereitung und Recherche und damit verlässlicher Information aus. Durch die Auseinandersetzung mit Dokumentarfilmen gelingt es besonders gut, sich niederschwellig – aber dennoch intensiv – mit einem Thema auseinanderzusetzen und das Spannungsfeld zwischen Fiktion und Realität zu diskutieren. Gerade Kindern und Jugendlichen, die am Smartphone vor allem kurze und schnelle Clips als Information wahrnehmen, erschließt sich durch den Dokumentarfilm eine andere Art der Medienrezeption. Ganz besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen in diesem Jahr deshalb die Doku Klasse, die im Rahmen des SWR Doku Festivals ein spannendes Begleitprogramm für Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte bietet. Durch Angebote im Netz, spannende Dokumentarfilme im Kino und zahlreiche Online-Workshops haben Schulklassen hierbei die Möglichkeit, die Faszination des filmischen Erzählens zu entdecken und sich bewegenden gesellschaftlichen Themen und Fragen anzunähern. Ich freue mich auf die vielen verschiedenen Produktionen des SWR Doku Festivals 2022 und wünsche Ihnen gute Unterhaltung und einen spannenden Austausch. 16 17
GRUßWORTE CLEMENS BRATZLER SWR PROGRAMMDIREKTOR INFORMATION, SPORT, FILM, SERVICE UND UNTERHALTUNG Liebe Besucher*innen des SWR Doku Festivals, Kino ist seit jeher Gemeinschaftserlebnis und Zufluchtsraum: Wenn die schwere Tür zum Saal geschlossen ist, bleibt ein Gefühl von Behaglichkeit in weichen Plüschsesseln, zwar längst nicht mehr begleitet vom monotonen Rattern eines Filmprojektors, aber unverändert der perfekte Rahmen, um in unbekannte Welten einzutauchen. Ein Kinofilm ist ein Erlebnis, ganz gleich ob im fiktionalen oder im dokumentarischen Fach. Deshalb freut es mich sehr, dass das SWR Doku Festival in diesem Jahr endlich wieder im Herzen Stuttgarts stattfinden kann – vor Publikum in Kinosälen. So bekommen die gezeigten Dokumentarfilme die Bühne, die sie verdienen. Filme, die in Zeiten weltumspannender Krisen von Pandemie bis Ukraine-Krieg notwendiger denn je sind, da sie relevante Themen im Großen einordnen, gewichten und vor allem eines tun: andere und neue Perspektiven eröffnen. Dokumentarfilme und andere dokumentarische Formate gehören nach meiner Überzeugung zum Kern des öffentlich-rechtlichen Angebots. Auch deshalb hat der SWR die zurückliegenden zwei Jahre genutzt, um dieses Genre weiter zu stärken. Denn wir wollen allen Ziel- und Alters- gruppen ein spannendes Angebot machen und ein starker Partner für Autor:innen und Produzent:innen dokumentarischer Stoffe bleiben. Deshalb gibt es seit 2021 erstmals eine eigene Hauptabteilung Doku, für deren Leitung wir mit Eric Friedler einen der profiliertesten Vertreter dieses Fachs gewinnen konnten. Wir haben durch interne Umschichtungen unsere Etats für Dokumentationen deutlich gestärkt, wovon auch unabhängige Produzent:innen direkt oder durch unsere Beteiligungen an nationalen und internationalen Co-Produktionen profitieren. Nie haben wir so viele und so unterschiedliche Doku-Formate produziert wie heute – insbesondere für die stark wachsende ARD Mediathek, wo dokumentarische Serien und Einzelfilme zunehmend auch ein jüngeres Publikum erreichen. Dass das direkte Erleben der Faszination Dokumentarfilm, der Austausch mit den Kreativen dieser Branche nicht nur im Digitalen, sondern auch in der Wirklichkeit weiterhin wichtig ist, untermauert der SWR sehr gerne mit seinem ungebrochenen Engagement für das Doku Festival. Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dem auch in diesem Jahr wieder herausragenden Programm, spannende Kinoerlebnisse und anregende Diskussionen! 18 19
GRUßWORTE ERIC FRIEDLER SWR HAUPTABTEILUNGSLEITER DOKU Im Rayon der Aufmerksamkeit: Wahrhaftigkeit, nicht Faktentreue Für Werner Herzog Er war eine große Strecke gegangen. Im Winter 1974 von München nach Paris. Eine Wande- rung, um dem Tod zu widersprechen, der die verehrte Lotte Eisner, Meisterin der Filmhisto- riografie, bedrängte. Erschöpft vom Gehen im Eis, dem Blitz und Donner außen, der Beklem- mung und Bitternis innen, ließ Werner Herzog, endlich angekommen auf der Avenue des Champs Élysées, den Blick schweifen. Was sah er? Und notierte es dann? »Mehrere Kellner nahmen die Verfolgung eines Hundes auf, der aus einem Café davongelau- fen war. Ein leichter Anstieg war einem alten Mann zu steil geworden und er schob das Rad, schwer gehend und hinkend und keuchend. Schließlich kommt er hustend zum Stehen, er kann nicht mehr. Hinten auf dem Gepäckträger hat er ein tiefgefrorenes Hähnchen aus dem Supermarkt festgeklemmt.« Eine beiläufige Beobachtung, so könnte man meinen. Doch auch ein klares Bild von der Welt. Einem Ausschnitt von ihr, winzig nur und doch weit. Wie eine Filmszene, ganz unmittelbar von dem Kamera-Auge schlierenfrei aufgezeichnet. Als läge das Geheimnis der Schönheit in der Anziehungskraft des Unvollkommenen. Lotte Eisner, die er trifft, ist noch müde, aber nicht mehr todmüde. Herzog hat einmal geäußert, Filme, so wie er sie mache, seien Versuche über die entsetzliche Schwierigkeit, sich verständlich zu machen. Das gilt, natürlich, für seine Spielfilme. Aber eben auch in ganzer Dringlichkeit für sein reiches, stetig wachsendes dokumentarisches Werk. Immer sind diese Filme, mögen sie einem entsprechen oder auch zur protestierenden Ent- gegnung reizen, getrieben von einer Faszination, nach dem zu suchen, was im Innersten von uns allen ist. Herzogs Begehr, so scheint mir, ist der insistierende Versuch, mit seinen Filmen auf die Welt hinzuweisen. Mit der Kamera blickt er auf die Natur und über sie auf Menschen – voller Erstaunen, gebannt von dem, was sich vor ihm entfaltet, siedelnd in einem raumzeitlichen Niemandsland. Es ist, als ob der Mensch Werner Herzog, der Filmmacher, meinetwegen auch Dokumentarfilmer, mit Hartnäckigkeit, gespeist aus unschuldiger Einfachheit – nein: Naivität ist dies nicht – eine bestimmte Wahrheit hinter dem Sichtbaren vermutete. > 20 21
GRUßWORTE Wim Wenders hat einmal von dem »Act of Seeing« gesprochen, das einen Regisseur umtreibe. strebt er nicht an. Glocken aus der Tiefe lotet die Untiefen zwischen Glauben und Aberglau- Auch er zwischen den Polen Spiel- und Dokumentarfilm schwebend. Nicht nur deshalb über- ben im russischen Sibirien aus. Über einen zugefrorenen See schlittern zwei Männer. Pilger, so reicht er, der Freund und Vertraute im Geiste, Werner Herzog in diesem Jahr den Ehrenpreis scheint es. Unter dem Eis, so die Legende, liegt eine Stadt, die Gott ins Wasser senkte, damit sie des Deutschen Dokumentarfilms für sein Lebenswerk. Herzog fordert, dass jemand der Film nicht von Ungläubigen eingenommen werde. Doch die Männer sind keine wirklichen Pilger. studieren wolle, sich die Filme von »Wim« anschauen müsse. Und in der Wucht des Muss Herzog hat sie als solche ins Bild gesetzt. Eigentlich zwei Betrunkene, von ihm frei weg aus der steckt unverdorben ein Einverständnis, das in sich auch die Lust zum Einspruch mitschweben nächstgelegenen Kneipe engagiert. Klar, diese Sucht nach dem Eingreifen muss das verbockte lässt. Herzogs Kompliment braucht die Höflichkeit des entgegnenden »Deine aber auch«. Missverständnis und auch den Vorwurf der Ästhetisierung aushalten. Das Nichtverstehen- Was diese Beiden verbindet, umschreibt Wenders, wenn auch mit Bezug auf seine Filme, mit wollen wird de facto zu einem Stück des Films, die Rezeptions-Sequenz: ein erlebter, aber nicht dem Hinweis, für ihn sei es toll, dass das Sehen anders funktioniere als das Denken, weil im gefilmter Rattenschwanz von Werner Herzogs dokumentarischem Erzählen. Denken immer auch eine Meinung verborgen sei, jedenfalls der Hang dazu, eine zu formulie- ren. Das Sehen jedoch sei meinungsfrei. Vielmehr gehe es ums Wahrnehmen. Also auch um Oft zieht die Kamera in seinen Dokumentarfilmen in fast lähmender Langsamkeit ihre Bahn. das Nehmen der Wahrheit durch ein Eintauchen in die Welt. Er versuche zu forschen und zu Einzelheiten, Nuancen der Wirklichkeit, Feinheiten des Ausschnitts sind in nahezu unbewegte suchen, wer die Menschen eigentlich seien. So sagt es Herzog in einem Interview. Er fertige Totalen eingeschnitten. Herzog intensiviert mit seinen Kameraleuten die Wahrnehmung des für sich und sein Publikum ein Menschenbild. Bilder vom Menschen – und wie die Kunst, der Bildes. Der Schnitt tut ein Übriges. Rad der Zeit folgt einer Gruppe von Österreichern, die eine Filmkünstler, den Menschen gebildet hat. spirituelle Praxis des tibetischen Buddhismus unter Anleitung des Dalai Lama nachvollziehen und weitet diese Initiation hin zu anderen Ritualen in Tibet. Herzog und sein Kameramann Dass Herzog als Dokumentarfilmer kein Gralshüter ist, kein Formalist und Kleingeist, ist weit- tauchen förmlich ein in die Gläubigen, werden aufgesogen, verschlungen vom Ritual. Der hin bekannt. Mit der ideologisch verstimmten Reinheit – polierten Reinlichkeit würde Herzog Verlust von Distanz zwingt zur Distanz. Grizzly Man porträtiert einen Mann, der mit den Bären als Beschreibung vielleicht besser gefallen – des »cinéma vérité« fremdelt er. Er nennt es die lebt. Der quasi sein Menschsein aufgibt, um in der Natur aufzugehen. Ein Extremist der Sehn- »Primitiv-Schicht der Wahrheit«. Für ihn heißt »Dokumentieren« auch die Möglichkeit des sucht nach Selbstaufgabe. Fatalistisch? Oder einer, mit dem Wunsch die Sonne zu greifen? Eingreifens zu nutzen. Denn schon der Einsatz der Kamera überhaupt – und des eventuell Auch eine exzentrisch-existentielle Selbstdarstellung – wie sie auch Klaus Kinski lebt, schreit, noch dazukommenden Kommentars – ist ein Eingriff in die Wirklichkeit. Und was, bitte, ist wütet, zärtlich in sich verfangen: Mein liebster Feind. Das war und ist er für Werner Herzog. Wirklichkeit? Was schon anderes als ein Ding, das sich manipulieren lässt. Herzog bezweifelt nicht die Würde dieser auffällig Ausgefallenen, lässt sie ihre Geschichten so entfalten, wie sie es wollen. In seinem Film Land des Schweigens und der Dunkelheit lässt er die taubblinde Protagonistin Fini Straubinger von einem Skispringen erzählen, das sie angeblich als kleines Mädchen erlebt Georg Stefan Troller, im vergangenen Jahr mit dem Ehrenpreis des Deutschen Dokumentar- hat. Was aber nicht stimmt, denn Herzog hat ihr diesen Text vorgegeben und sie gebeten, ihn films ausgezeichnet, meint, dokumentarisches Arbeiten, das Abbilden von Realität, zwinge so zu erzählen, als habe sie dieses Ereignis mitangesehen. Aber diese Unwahrheit, die keine immer auch zu einer Auslegung der Wirklichkeit. Mithin: Dokumentarfilme speisen sich aus Lüge ist, offenbart im Kontext des Porträts ein Geheimnis der Protagonistin, das sonst unent- subjektiver Erfahrung. Es zählen nicht nur Zahlen, Daten, Fakten. Herzogs dokumentarische deckt geblieben wäre. Eine Sehnsucht nach Welt, festgeklammert in der »Seelenqual der Filme sind versetzt mit einer immer auch ekstatisch erlebten Realität. Das Undenkbare an Taubblindheit«. Herzog geht es um eine versteckte Wahrheit. So nimmt er auch den Vorwurf jedem Wunder ist, dass es geschieht. Angetrieben von einer blühenden Sehnsucht nach dra- der Manipulation hin. Er gehe manchmal bis an den Rand der Unwahrheit, um eine wahrhaf- matischer Freiheit, die Eisschicht des Entsetzens vor der Welt brechend, deren Koordinaten tigere Form der Wahrheit hinter der getarnten oder sich tarnenden Wirklichkeit zu finden. noch so verrückt seien, dreht Werner Herzog seit Jahren Dokumentarfilme mit eigensinniger Und balanciert mit dieser Auffassung zuweilen auch am Rand dessen, was gemeinhin von Fantasie. Und Fantasie heißt: die komplette Wirklichkeit erleben. So entsteht ein filmischer einem Dokumentarfilm erwartet wird. Herzog überformt das dokumentarische Material – Kosmos an Weltbetrachtung: traumversessen und wahrhaftig. zuweilen und dann sehr bewusst – durch inszenierende Eingriffe. Einen Abbildrealismus 22 23
GRUßWORTE WILLKOMMEN ZUM FESTIVAL VON DR. IRENE KLÜNDER, FESTIVALLEITERIN Endlich ist es wieder so weit, endlich kehrt das Festival in seine Heimat zurück – ins Kino! Wir freuen uns, alle Filmbegeisterte wieder von Angesicht zu Angesicht zu begrüßen! Endlich können wir wieder in der Gemeinschaft von Freundinnen und Freunden und von Filmenthu- siasten im Kinosaal mitfiebern, mitbangen, uns freuen, Erlebnisse teilen. Nach monatelan- ger, intensiver Vorbereitung und nach zwei digitalen Festivalausgaben zeigen wir zwischen dem 21. und 24. Juni 2022 in den Stuttgarter Innenstadtkinos Gloria und Cinema zahlreiche herausragende Dokumentarfilme, darunter alle für den Deutschen Dokumentarfilmpreis nominierten Filme in mehreren Kategorien. Glücklich sind wir, dass bei den meisten Filmen die Regisseurinnen und Regisseure im Anschluss an die Vorstellung zugegen sind, von ihren Erfahrungen erzählen und sich im Publikumsgespräch Fragen stellen. Es ist dieses Jahr eine weitgespannte Palette großer, eindrücklicher Filme im Kino zu bewun- dern. Die Hauptjury hat – unter der Leitung der Jurypräsidentin und Produzentin Prof. Regina Ziegler – gemeinsam mit den Filmemachern Gero von Boehm und Prof. Aelrun Goette, der Direktorin des Landesmuseums, Dr. Astrid Pellengahr, und der Präsidentin der Hochschule für Fernsehen und Film in München, Prof. Bettina Reitz, hochkarätige Werke völlig verschiedener Machart und Thematik nominiert. Die Filme spannen einen Bogen vom Sprayer aus Zürich Harald Naegeli, über den herausragenden Lehrer Bachmann und seine Klasse, dem Kampf junger Menschen für mehr soziale Gerechtigkeit und Demokratie bis zum meistverkauften Möbelstück aller Zeiten – dem Monobloc. Auch die Musikjury – besetzt mit der diesjährigen Deutschen Jazzpreis-Gewinnerin Prof. Fola Dada, mit dem Leiter der Hymnus-Chorknaben Rainer Homburg und mit Campino von den Toten Hosen – hat eine breite Film-Auswahl getroffen. Die für den Deutschen Dokumentarfilmpreis in der Kategorie Musik nominierten Filme spannen sich von Richard Wagner, über Rosenstolz bis hin zu DJ und Electro-Produzent Matthew Herbert. Beschäftigen sich demnach die nominierten Filme mit ganz unterschiedlichen Themen, wid- men sich die Filme in der Reihe Außerhalb der Konkurrenz dem Menschen als Teil der Natur. Die Schönheit der Natur, ihre unglaubliche Bedeutung für diese Welt und der mangelnde 24 25
GRUßWORTE Respekt der Menschen gegenüber der Umwelt werden sowohl in Wer wir waren, Die Wand Will Never Stop erzählt die Geschichte des 20-jährigen Andriy, Sohn kurdisch-syrisch-ukrai- der Schatten, Der Wilde Wald als auch in Aware – Reise in das Bewusstsein thematisiert. Zeigt nischer Eltern, die bereits kurz nach seiner Geburt mit ihm aus Syrien in die Ost-Ukraine Der Wilde Wald atemberaubend schöne Naturaufnahmen des Bayerischen Waldes und stellt flüchten. Dort sieht sich Andriy viele Jahre später als junger Mann erneut mit einem Krieg die spannende Frage nach der Beziehung zwischen Mensch und Wald, hält Wer wir waren konfrontiert. Die Unsicherheit und Zerrissenheit eines solchen vom Krieg geprägten Lebens menschengemachte grundlegende Denkanstöße bereit. Aware – Reise in das Bewusstsein wie- wird hier nahezu körperlich spürbar. derum fragt danach: Woraus besteht die bewusste Erfahrung, in der wir leben, wie können wir uns unseres Bewusstseins bewusst sein? Letztendlich widmen sich all diese Filme dem Premiere in Stuttgart feiert der diesjährige Preisträger des Publikumspreises der Berlinale Leben in dessen Schönheit und Komplexität. Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod in Anwesenheit des Regisseurs Cem Kaya. Es ist ein Film über die Musikgeschichte türkischer sogenannter Gastarbeiter in Deutschland, erzählt Die Reihe Wir in der Welt nimmt damit die Motive des Menschseins und der Natur auf und durch abwechslungsreiches und berührendes Archivmaterial. schlägt zugleich eine Brücke zur Retrospektive Werner Herzog. Denn auch der diesjährige Ehrenpreisträger des Deutschen Dokumentarfilmpreises, Werner Herzog, hat sich immer Besonders freuen wir uns, als Gast den international gefeierten Ausnahmetänzer und Stutt- wieder mit der Faszination für die Natur und ihre Bedeutung für den Menschen auseinan- garter Solotänzer Friedemann Vogel beim SWR Doku Festival begrüßen zu dürfen. Als Film dergesetzt. Allein bei ihm kommt meist noch eine weitere Dimension hinzu. Wie in dem Film wird mit Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes das einstündige einfühlsame Porträt der Retrospektive The White Diamond, der vordergründig die Erforschung der Baumkronen des Kammertänzers des Stuttgarter Balletts gezeigt, das mit wunderbaren Tanzaufnahmen in den Regenwäldern mithilfe eines Luftschiffes thematisiert. In der Tiefe des Films geht es und intimen Einblicken in die Tanzwelt besticht. Im Anschluss ist der berühmte Tänzer wie aber weitaus stärker um das Seelendrama des Ingenieurs Graham Dorrington und um die auch die Regisseurin Katja Trautwein vor Ort im Gespräch mit Thomas Aders, der ein Buch Frage nach Schuld. Wir freuen uns hier den Kameramann des Films, Klaus Scheurich, zum über John Cranko verfasst hat. Publikumsgespräch begrüßen zu dürfen. Was es bedeutet, sich seiner Umwelt bewusst zu sein, greift auch Werner Herzogs Werk Land des Schweigens und der Dunkelheit auf. Dieser Damit auch junge Menschen einen leichten Zugang zu dokumentarischen Bildern finden, gibt Film erzählt von taubblinden Menschen und fragt auch – wie gestaltet sich Bewusstsein für es beim SWR Doku Festival die Doku Klasse. Nach zwei Corona-Jahren freuen wir uns, endlich Menschen mit diesem Schicksal? Ein weiteres Werk in der Retrospektive ist der berühmte Film wieder Schulklassen im Kino begrüßen zu dürfen. Die Doku Klasse bietet Lehrer:innen und Mein liebster Feind. Es ist ein Film, der nach 23 Jahren immer noch fesselt und zugleich sich ihren Schüler:innen die Möglichkeit, die Faszination des filmischen Erzählens zu entdecken, neu erschließt. Mein liebster Feind ist damit ein Klassiker, da er mit den Jahren nicht in den das Spannungsfeld von Realität und Fiktion zu diskutieren und sich bewegenden Themen und Zeitläuften entschwindet, sondern in der Gegenwart wie auch in der Zukunft zu einer neuen Fragen anzunähern. Weitere Angebote finden sich zudem im Netz mit Online-Workshops. Rezeption und zu neuen Diskussionen anregt. Es ist ein Film, der immer wieder neu gesehen und neu erfahren werden will. Mit all den wunderbaren Filmen und weiteren Angeboten wird das SWR Doku Festival ein Ort, der alle einlädt, auf andere Gedanken zu kommen, Neues zu entdecken, Sehn- und Sehsüchte In der Reihe Der besondere Film schließen wir mit Das perfekte Schwarz wieder an die Reihe zu erleben. Wir in der Welt an. Sechs Menschen offenbaren ihre Suche und ihre eigene Interpretation vom perfekten Schwarz. So gibt es in den Tiefen unserer Ozeane, dort wo kein Licht hinfällt, Leben, Ich bedanke mich bei allen, die ihre Filme eingereicht haben, allen Förderern des Festivals, das selbst mit Fluoreszenz das Dunkel erhellt. Im Weltraum ist überall das Echo des Urknalls. allen Kooperationspartnern, die das möglich machen und den Mitgliedern der Jurys. Wo also gibt es das perfekte Schwarz und was ist es? Und wo kann man besser darüber nach- Stöbern Sie in unserem Programmheft und lassen Sie sich ins Kino fallen mit Filmen, die für denken als im Kino – in einer dunklen Höhle, die uns vor dem Draußen beschützt? die große Leinwand geschaffen wurden. Ein weiterer Schwarz-Weiß-Film in dieser Reihe ist unter dem Eindruck des russischen Das Kino lebt! Angriffskrieges gegen die Ukraine besonders bewegend. Das imposante Kunstwerk This Rain Willkommen zum Festival! 26 27
WILLKOMMEN NOMINIERTE FILME FÜR DEUTSCHER DOKUMENTARFILMPREIS IN DEN KATEGORIEN HAUPTPREIS GESTIFTET VON SWR UND MFG PREIS FÜR EINEN FILM ÜBER KÜNSTLER:INNEN ODER DIE ENTSTEHUNG VON KUNST GESTIFTET VON DER NORBERT-DALDROP-FÖRDERUNG FÖRDERPREIS GESTIFTET VON HAUS DES DOKUMENTARFILMS – EUROPÄISCHES MEDIENFORUM STUTTGART E.V. PUBLIKUMSPREIS DER LANDESCHAU GESTIFTET VON LFK UND MFG 28
NOMINIERT 23. JUNI 2022 · 16:15 UHR AUSLEGUNG DER WIRKLICHKEIT VON RUTH RIESER Georg Stefan Troller, der erklärte und vielfach ausgezeichnete Meister des Interviews, der Autor, Fernsehjournalist und Regisseur tritt selbst zu einem Interview an. Es geht diesmal einzig und allein um ihn – und natürlich um seine Wegbegleiter:innen, Freund:innen, Gesprächspartner:innen und all das, was ihn und seine Arbeiten geprägt hat. Ruth Rieser wird ihn während der Aufnahmen immer wieder fragen, was ihm wichtig war und ist, wenn es darum geht, einen Menschen zu porträtieren und erfüllt dabei gleichzeitig seinen Anspruch. Der Film zeigt, was ein gutes Gespräch, was Interview und Dokumentarfilm leisten können – wenn man wohlwollend, ja mit Liebe und Neugier an das Gegenüber herantritt. Jeder hat Recht, erklärt Troller, jeder darf Recht haben. Man muss nur Verantwortung für sein Gegen- über zeigen. Es ist das eigentümliche Verhältnis zwischen Wahrheit und Fiktion. Der eigent- liche Zauber liegt in der Realität und ihrer Darstellung, sagt Troller: »Film, das ist die Ausle- gung der Wirklichkeit.« Das Geheimnis seiner besonderen Interviewtechnik? Wir erfahren es im Film, der vollgepackt ist mit seiner Erfahrung und seinen Ideen, die ihm auch kurz vor seinem hundertsten Geburtstag nicht ausgehen. Wir erhalten sein Rezept für ein gutes Interview, erleben in faszinierenden Filmausschnitten seiner Arbeiten, was es heißt, zuzuhören und wirklich zu sehen. Und während Rieser ihn mit- nimmt an Orte, die ihm in seinem Leben wichtig waren, erfahren wir das ganz Persönliche, Prägende. Warmherzig, offen und ehrlich. Und wir können nicht anders. Wir verneigen uns innerlich vor ihm. Nominiert für Deutscher Dokumentarfilmpreis – Hauptpreis Deutscher Dokumentarfilmpreis – Kultur Deutscher Dokumentarfilmpreis – Publikumspreis Österreich, 2021 Herstellungsleitung Lukas Stepanik Buch und RegieRuth Rieser Produktion RR* Filmproduktion Dramaturgische Beratung Hubert Canaval Koproduktion ORF Kamera Volker Gläser Filmförderung Österreichisches Filminstitut, Zukunftsfonds der Montage Karin Hammer Republik Österreich, Stadt Wien Kultur, Land Kärnten Kultur, National- Ton Lars Verkolege, Sebastian Wagner, Ines Vorreiter fonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus Sound Design Veronika Hlawatsch Filmdauer 121 Minuten Mischung Manfred Folie FSK Keine Bewertung 30 31
LAUREL NOMINIERTE FILME 23. JUNI 2022 · 19:00 UHR DATUM · UHRZEIT NOMINIERT DEAR FUTURE CHILDREN VON FRANZ BÖHM Demokratie, Klima und Gerechtigkeit – den Kampf darum macht dieser Film mit ergreifen- den, kraftvollen Bildern fast körperlich spürbar. Stellvertretend für die Situation in der Welt begleitet Dear Future Children drei starke, engagierte Frauen, die unter Einsatz ihrer Freiheit, ja ihres Lebens in ihren Ländern etwas verändern wollen: die 23-jährige Rayen aus Chile, die 22-jährige Pepper aus Hongkong und die 22-jährige Hilda aus Uganda. Die Kamera fängt das Geschehen ungefiltert ein: Straßenkämpfe, den Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern, von Gummigeschossen gegenüber der eigenen Bevölkerung. Zugleich sieht man auch die Gespräche mit Freund:innen, Familie, Gleichgesinnten. Eine ganze Generation ist wütend und steht auf. Wir werden Zeuge ihrer unglaublichen Kraft. Rayen kann sich nicht vorstellen, ihre Kinder in Chile großzuziehen und damit der vorherrschenden sozialen Ungerechtigkeit und den schlechten Zukunftsaussichten auszusetzen. Dafür geht sie auf die Straße. Pepper kämpft in Hongkong für Demokratie und Freiheit und damit um Werte, mit denen sie aufge- wachsen ist und welche die chinesiche Regierung massiv einschränken will. Das ist gefährlich und ihre Angst vor einer Festnahme durch die Polizei greifbar. Sie führt deshalb ein Doppel- leben. Freunde und Familie wissen nichts über ihr Engagement. Und Hilda, der durch die Klimakatastrophe in ihrem Land, das einst Afrikas Perle war, alles genommen wurde? Sie stellt sich ebenfalls ihrer Angst davor, dass es in ihrem Land keine Zukunft gibt, wenn nichts unter- nommen wird. Sie hat Fridays for Future Uganda gegründet und kämpft darum, dass man ihr zuhört und das Land beschützt. Alle drei Frauen änderten ihr Leben für den Aktivismus. Alle drei haben Angst, dass es nicht reicht, was sie tun. Für alle drei ist Aufgeben keine Option. Wir erleben eine wütende, verzweifelte Generation, für die nur weitermachen in Frage kommt. Denn es gilt die Welt zu verändern, damit es eine lebenswerte Zukunft gibt. Nominiert für Deutscher Dokumentarfilmpreis – Hauptpreis Deutscher Dokumentarfilmpreis – Förderpreis Deutscher Dokumentarfilmpreis – Publikumspreis Deutschland, Großbritannien, Österreich, 2021 Produzent:innen Ansgar Wörner, Johannes Schubert Buch und RegieFranz Böhm Produktion Nightrunner Productions, SchubertFilm, Lowkey Films, Kamera Friedemann Leis Übergrafisch Montage Daniela Schramm Moura Filmförderung MFG Baden-Württemberg, Gerlinger Bürgerstiftung, Soundsupervisor/ -designer Marco Schnebel Jugendstiftung Baden-Württemberg, The New York Times, Galería Re-recording Mixer Volker Armbruster Cima, Uganda National Cultural Centre, German Films Sound Design Marc Lehnert Filmdauer 88 Minuten Komponist:innen Hannes Bieber, Leonard Küßner FSK 12 32 33
NOMINIERT 22. JUNI 2022 · 18:45 UHR HARALD NAEGELI – DER SPRAYER VON ZÜRICH VON NATHALIE DAVID Es ist das Porträt eines streitbaren, seit jeher polarisierenden Künstlers. Eines Künstlers, der, in gutem Hause aufgewachsen, in den siebziger Jahren damit beginnt, sich aufzulehnen. Gegen das von ihm als gefühlt spießige, zu saubere Zürich, gegen Umweltverschmutzung und Mas- sentierhaltung. Harald Naegeli wird Sprayer, ist nachts unterwegs, hinterlässt provozierende Zeichnungen auf den Mauern Zürichs, übt damit Kritik am Staat. Dafür wird er immer wieder angezeigt, auf frischer Tat erwischt, verklagt und, als er sich freiwillig stellt, inhaftiert. Sechs Monate inklusive Geldstrafen. Und doch hört er Zeit seines Lebens nicht mehr damit auf. »Die BILDNACHWEIS Tat gehört zur Utopie«, sagt Naegeli und revoltiert auf seine Weise. Der Film von Nathalie David zeichnet das Bild eines inspirierenden, rebellischen, inzwischen 82-jährigen Naegeli, der unter dem Namen Der Sprayer von Zürich weltberühmt geworden ist. David nimmt dabei Rücksicht auf seinen kritischen Gesundheitszustand und fordert ihn doch immer wieder heraus. Sie bringt uns den Philosophen, den engagierten Künstler und Utopisten Naegeli näher, fragt, wie er denkt, was ihm wichtig ist und was die Intention sei- ner Aktionen ist. Wir erfahren es, wenn wir uns mit ihm auf die Suche nach seinen Werken begeben und die Straßen abfahren. Wenn wir einen enttäuschten Naegeli erleben, weil man seine Werke übermalt hat und einen glücklichen, wenn die Zeichnungen zwar verblasst, aber immer noch sichtbar sind. > 34 35
RUBRIK DAS SWR DOKU FESTIVAL KOOPERIERT MIT DER STAATSGALERIE STUTTGART KUNST ODER SACHBESCHÄDIGUNG? Diese Frage fordert der »Sprayer von Zürich« Harald Naegeli seit 1977 heraus. Berühmt und mehrfach inhaftiert wurde er für seine schwarzen Strichmännchen an Häuserfassaden. Auch in Stuttgart gibt es jede Menge Streetart im öffentlichen Raum. Mit der freien Kunstvermittlerin und Streetart-Expertin Andrea Welz können Sie sich vor dem Kino-Besuch auf einen Spaziergang durch die Stuttgarter Innenstadt begeben. STADTSPAZIERGANG mit Andrea Welz M.A. Mi 22.6. | 16.00 – 18.00 Uhr | 10 € DOKUMENTARFILM Naegeli sagt dazu, dies sei Kunst im Raum. Kunst nehme sich Freiheiten und frage ganz »Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich« nebenbei, ob sich Kunst überhaupt begrenzen lasse. Filmdokumente zeichnen seinen Lebens- Mi 22.6. | 18.45 Uhr | Kino Gloria 2, weg nach, zeigen berühmte Künstlerkollegen wie Joseph Beuys und Politiker wie Willy Brandt, Tickets an der Kinokasse die sich für ihn einsetzen, und zugleich, wie lange er – vor allem von staatlicher Seite – nicht Ermäßigung mit Stadtspaziergang-Ticket verstanden wird. Die Stadt Zürich verleiht ihm den Großen Kunstpreis für sein Lebenswerk am Akkreditierungscounter direkt neben dem Kinoeingang und gleichzeitig wird er vom Kanton verklagt. Der Film ist auch ein Abschied. Er wird von dieser Welt gehen, wenn er so weit ist. Er selbst will entscheiden. Das hat er immer getan. »Finito«, sagt er und Sophie Hunger singt in der Ballade vom Sprayer: »An jede Wand ein Wolkenkuss …« Nominiert für Deutscher Dokumentarfilmpreis – Hauptpreis Deutscher Dokumentarfilmpreis – Publikumspreis Deutscher Dokumentarfilmpreis – Preis der Norbert W. Daldrop Förderung für Kunst und Kultur Deutschland, Schweiz, 2021 Koproduktion Schweizer Radio und Fernsehen, RSI, 3Sat Schweiz Buch und RegieNathalie David Filmförderung Bundesamt für Kultur – Sektion Film, Kamera Adrian Stähli, Nathalie David Zürcher Filmstiftung, Filmförderung Hamburg Montage Nathalie David Schleswig-Holstein, Migros-Kulturprozent, Ton Jean-Pierre Gerth, Julian Joseph, Kurt Human Ernst Göhner Stiftung, Alexis Victor Thalberg Stiftung, Klanggestaltung und MischungKurt Human, Volkart Stiftung Julian Joseph Filmdauer 98 Minuten Produzent:innen Peter Spoerri, Nathalie David FSK 12 Produktion PS Film, Pitchounproduction 36 37
NOMINIERTE FILME 23. JUNI 2022 · 14:00 UHR DATUM · UHRZEIT LAUREL NOMINIERT HERR BACHMANN UND SEINE KLASSE VON MARIA SPETH In der Gemeinde Stadtallendorf in Hessen beginnt der Tag. Noch ist es dunkel. Wir sitzen mit in einem Bus, der Kinder zur Schule bringt. Wir schauen einem Bäcker über die Schulter, der Brezeln von Hand schlingt. Brezeln, die sich die Schulkinder gleich als Vesper mitnehmen werden. Deutschland an einem typischen Morgen unter der Woche. In dem Moment aber, in dem wir mit einer 6. Klasse die Gesamtschule des Ortes betreten und Dieter Bachmann, ihrem Klassenlehrer, begegnen, ist allerdings nichts mehr »typisch«. Durch Maria Speth und ihren Film lernen wir einen Ausnahme-Lehrer und seine Klasse in dem Jahr vor dem Übergang zu Haupt- oder Realschule und Gymnasium kennen. Die Herausforderung: Die Zwölf- bis Vier- zehnjährigen kommen aus zwölf Nationen mit entsprechend unterschiedlichen Mentalitäten und Sprachen. Für einige ist das schwierige Deutsch noch neu. Wir erleben in etwas mehr als drei Stunden einen Lehrer, der auf seine Schülerinnen und Schüler eingeht, sie ermutigt, auch bei Schwierigkeiten nicht aufzugeben, sich Ziele zu setzen, Träume zu erkennen und zu verfolgen. Bachmann spricht über alles. Es geht um Offenheit und Toleranz, um Werte und soziale Kompetenz. Mit großer Herzlichkeit und gleichzeitig immer klar, ehrlich und nachvoll- UNTERTITEL TEXT ziehbar in seinen Aussagen, sieht der Lehrer jede Einzelne, jeden Einzelnen. Gespräche mit BILDNACHWEIS den Eltern gehören da auch dazu. Das bindende Element der Unterrichtsstunden: die Musik. Musik ist Freude, bewegt das Herz, hilft Konflikte zu bewältigen. Das Klassenzimmer ist voll mit Instrumenten – auch im Mathematikunterricht kann schließlich eine kurze Session dafür sorgen, dass man sich wieder konzentrieren kann, bei der Sache bleibt. Bachmann ist mit den Kindern unterwegs, macht Ausflüge, vermittelt die Geschichte des Ortes, geht mit ihnen auf Klassenfahrt, nimmt sich immer und überall Zeit. Ungewöhnliche Lehrmethoden, Frische und Begeisterung, ein Unterricht, der zum Erlebnis wird – wie sehr wünscht man sich einen solchen Lehrer für alle Kinder. Nominiert für Deutscher Dokumentarfilmpreis – Hauptpreis Deutscher Dokumentarfilmpreis – Publikumspreis Deutschland, 2021 HerstellungsleitungBrigit Mulders Regie Maria Speth ProduzentinMaria Speth BuchMaria Speth, Reinhold Vorschneider ProduktionMadonnen Film KameraReinhold Vorschneider FilmförderungBKM, Prof. Monika Grütters, Jennifer Gabler, MontageMaria Speth FFA, Peter Dinges, Christine Berg, Jule Wolff, HessenFilm OriginaltonOliver Göbel und Medien, Christiane Leonhardt MischungAdrian Baumeister Filmdauer217 Minuten Sound DesignNiklas Kammertöns FSK ohne Altersbeschränkung 38 39
NOMINIERT 23. JUNI 2022 · 21:30 UHR MONOBLOC VON HAUKE WENDLER FILM 5 Der Monobloc ist ein Plastikstuhl. Oder besser: Er ist das meistverkaufte Möbelstück der Welt. Geschätzt sind es etwa eine Milliarde. Und es gibt ihn wirklich überall, wie Hauke Wendler in seinem Film zeigt. Er geht der Frage nach, wie es so weit kommen konnte. Unsere mög- licherweise kritische Sicht auf diesen Stuhl, der aus einem Stück in unzähligen Designs gegossen wird, verändert sich während des Films. Und als Wendler zunächst wissen will, wer ihn eigentlich erfunden hat, sind wir schon mittendrin – im Umdenken und der Überra- schung darüber, was dieser Stuhl alles kann. Immer wieder werden Menschen aus aller Welt auf diesem Stuhl sitzend gezeigt, sie werden damit (Bangladesch) transportiert, sie fliegen (Türkei) über ein Fußballfeld oder es wird (Irak) auf ihnen geschlafen. Wie der Monobloc wer- den konnte, was er heute ist? Es gab nie ein Patent, aber eine Menge findiger Produzenten. Wendler nimmt uns mit nach Frankreich, zum Erfinder, nach Italien zur ersten Monobloc- Fabrik und ins Vitra Design Museum. Es geht um Wertigkeit und die bekommt eine völlig neue Bedeutung, wenn wir im Film mit nach Uganda reisen. Von fünf Millionen Menschen mit kör- perlicher Behinderung in Uganda, brauchen eine Million einen Rollstuhl. Don Schoendorfer aus den USA entwickelt sie. Er verteilt die Monobloc-Rollstühle über seine Free Wheelchair Mission, 2025 sollen es zwei Millionen Stück werden. Wir stellen uns spätestens jetzt die Frage nach den eigenen Vorbehalten und denen der anderen. Gelingt es uns, auch das Gute zu sehen? In Indien stellt der größte Monobloc-Produzent des Landes die Frage, wieviel Bäume gefällt werden müssten, um Plastik- durch Holzstühle zu ersetzen? Für die Antwort auf die Frage, ob der Plastikstuhl eine ökologische Katastrophe ist, reist Wendler zum Schluss nach Brasilien, zu Müllsammler:innen, einem Recycling-Unternehmen und einer Firma, die seit 50 Jahren nur mit Recyclingmaterial arbeitet. Am Schluss muss man anerkennen, dass der Monobloc in der Welt etwas leistet – ganz egal, wie man zu ihm steht. Nominiert für Deutscher Dokumentarfilmpreis – Hauptpreis Deutscher Dokumentarfilmpreis – Publikumspreis Deutschland, 2021 ProduktionsleitungStefan Hoffmann, Tim Carlberg Buch und RegieHauke Wendler Produzent:innenCarsten Rau, Hauke Wendler KameraBoris Mahlau ProduktionPier 53 Filmproduktion MontageSigrid Sveistrup KoproduktionNDR OriginaltonPatrick Benze, Julian Krätzig, FilmförderungFilmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, Detlev Meyer, Stefan Tuchel Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, MischungYannick Rehder Filmförderungsanstalt, Deutscher Filmförderfonds, Creative Sound DesignTimo Lindemann Europe Programme – MEDIA KomponistTaco Van Hettinga Filmdauer90 Minuten SprecherJens Wendland FSK ohne Altersbeschränkung 40 41
NOMINIERTE FILME 23. JUNI 2022 · 21:15 UHR DATUM · UHRZEIT NOMINIERT SLAHI UND SEINE FOLTERER VON JOHN GOETZ UND BEN HOPKINS 14 Jahre war Mohamedou Slahi in Guantanamo nicht nur inhaftiert. Er wurde auch gefoltert. Darüber hat er ein Buch geschrieben. Der Bestseller beschreibt seine Folterer und Wächter, die sich hinter Skimasken, Brillen und Fantasienamen versteckt hatten. Als sich John Goetz, investigativer Journalist, auf die Suche nach Slahis Peinigern macht, bekommen sie Namen und Gesichter, verlieren ihre geheimnisvollen Identitäten. Er reist dafür durch die USA, findet einen nach dem anderen und besucht Slahi in Mauretanien, um ihm seine Recherchen zu zeigen und ihn zu seinen Erinnerungen zu befragen. Slahi, der inhaftiert war, weil er Kontakte zu Al-Qaida hatte und in Verbindung mit den Anschlägen des 11. September gebracht wird, lädt inzwischen seine Wächter und Folterer per Videobotschaft auf eine Tasse Tee inklusive Vergebung ein. Goetz findet den ehemaligen Wächter, der mit Anfang 20 in Guantanamo war und heute ohne Tabletten nicht mehr durch den Tag kommt. Der gläubige Christ hatte Befehl, Slahi am Beten zu hindern. Goetz findet Mister X, der Slahi zweimal fast getötet hat und heute mit Malerei sein eigenes Trauma bewältigt. Die Analystin, die den Fall Slahi betreut hat und von seiner Schuld überzeugt ist, meldet sich selbst bei Goetz. Goetz spricht mit dem Leiter des Verhörteams, der Slahi mit einem Täuschungsmanöver zu einem umfassenden Geständnis gebracht hat. Nicht nur Slahi hat gelitten, sondern auch seine Peiniger. Alle versuchen, ihre Traumata zu verarbeiten. Und Slahi? Am Ende des Films ist er immer weniger daran interes- siert, über Guantanamo zu reden. Er arbeitet als Lifecoach und gibt online Motivationskurse. Slahi lacht: »Alter, ich benutze dich, um meine Story unter die Leute zu bringen und mehr Bücher zu verkaufen!« Bis heute wird er als eine Bedrohung für die deutsche Sicherheit ange- sehen und erhält kein Visum. Nominiert für Deutscher Dokumentarfilmpreis – Hauptpreis Deutscher Dokumentarfilmpreis – Publikumspreis Deutschland, 2021 Produktionsleitung NDR/ARTEMelanie Clausen Buch und RegieJohn Goetz, Ben Hopkins ProduzentOlaf Jacobs KameraJörg Gruber, Volker Tittel ProduktionHoferichter & Jacobs MontageKlaus Eichler KoproduktionNDR TonEdwin Krieg, Silvio Reichenbach, Daniel Liepke, John McKallip FilmförderungMDM, Eurovision, Filmbüro MV MusikDaniel Regenberg Filmdauer87 Minuten Produktionsleitung Hoferichter & JacobsJana Früh FSK Keine Bewertung Produktionsleitung NDRTim Carlberg 42 43
NOMINIERT 22. JUNI 2022 · 21:15 UHR THE OTHER SIDE OF THE RIVER VON ANTONIA KILIAN Auf der Flucht vor einer arrangierten Ehe überquerte Hala den Euphrat und fand auf der ande- ren Seite des Flusses Schutz und Gemeinschaft in einer Polizeiakademie, in der Frauen an der Waffe und im Kampf ausgebildet werden. Ausdauer und Schnelligkeit, geschickt mit der FILM 7 Waffe umgehen können, treffsicher und kampfbereit sein – das sind die Dinge, die zählen. Die Übungen auf dem kargen Ausbildungsfeld bestimmen die Tage und Nächte in der Akade- mie. Der Unterricht ist ein Agitieren für feministische Ideale. Ehe und Liebe? Eine Erfindung der Männer, ein Instrument, um Frauen zu unterdrücken. »Ich möchte alle Frauen befreien«, sagt Hala, »ich habe so viel Ungerechtigkeit und Grausamkeit gesehen […] Männer sind der Grund, warum wir Frauen leiden müssen.« Wir erleben sie und ihre Kameradinnen aber auch in ihrer Unterkunft, wenn es um Alltägliches wie Sonnenbrillen, Nagelscheren oder Nähgarn geht. Hala sieht sich ständig Bilder auf ihrem Handy an, ihrer Verbindung nach Hause zu ihren Schwestern. Sie hat die kleineren Geschwister aufgezogen, gefüttert, in den Schlaf gewiegt. »Wenn du zurückkommst, bringen sie dich um«, schreiben sie ihr heimlich. Am Ende der Aus- bildung tritt Hala ihren Job in der Polizeistation in Minbij an. Gelebt wird in einem Matratzen- lager, Kinder spielen zwischen schweren Waffen, die auf Reisetaschen liegen. Hala geht ihren Weg. Sie hat ein Ziel, will ihre Schwestern retten. Um jeden Preis. Regisseurin Antonia Kilian hat Hala in Minbij in Nordostsyrien getroffen und porträtiert. Nominiert für Deutscher Dokumentarfilmpreis – Hauptpreis Deutscher Dokumentarfilmpreis – Publikumspreis Deutscher Dokumentarfilmpreis – Förderpreis Deutschland, Finnland, 2021 Line ProducerSevinaz Evdike RegieAntonia Kilian ProduktionDoppelplusultra Filmproduktion, Pink Shadow Films BuchAntonia Kilian, Guevara Namer, Arash Asadi KoproduktionGreenlit Productions Oy KameraAntonia Kilian FilmförderungDie Beauftragte der Bundesregierung für Kultur MontageArash Asadi und Medien, Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, HessenFilm TonNadya Derwish, Guevara Namer und Medien, Finnish Film Foundation, AVEK (The Promotion Center For Sound Design und MischungStephan Konken Audiovisual Culture) Produzent:innenFrank Müller, Antonia Kilian, Filmdauer91 Minuten Guevara Namer, Merja Ritola FSK12 44 45
NOMINIERTE FILME 23. JUNI 2022 · 17:00 UHR DATUM · UHRZEIT NOMINIERT VÄTER UNSER VON SOPHIE LINNENBAUM »Das Neue Testament baut auf einer Vaterbeziehung auf, die nicht biologisch ist und auch später keine Rolle mehr spielt – man brauchte doch aber einen«, sagt Jonas. Ali, Dela, Jonas, Nadine, Sabrina und Thanh skizzieren in diesem Film die Geschichte ihrer Väter, die Bezie- hung zu ihnen und die Bedeutung, die sie in ihrem Leben haben oder hatten. 76 Minuten sitzen sie uns gegenüber und sprechen, ablenkungsfrei vor schwarzem Hintergrund. So sind wir ganz konzentriert bei ihnen, wenn sie von dem Vater als gutem Kumpel, dem Patriarchen, dem Strengen, dem liebevollen Chaot, dem immer Einsamen oder dem psychisch Angeschla- genen erzählen. Welche Rolle Väter im Leben ihrer Kinder ausfüllen und vor allem wie, ist immer einzigartig: Die sechs erzählen uns, wie es ist, wenn das Erziehungsmittel des Vaters Angst heißt und immer und überall Schläge drohen. Wenn vielleicht nur die Vaterfigur geliebt wird, es aber nicht das Verlangen gibt, den Vater in den Arm zu nehmen. Wie ist es, wenn alle Welt den eigenen Vater verachtet, man sich ihm aber trotzdem verbunden fühlt und ihn liebt. Reicht es, wenn beide Seiten davon ausgehen, dass der andere schon weiß, wie sehr man ihn liebt? »Er sagt es mir ja auch nicht«, sagt Than, »und ich weiß es.« Und was macht ein Vater, der einsam ist? Wie schwer wiegt es, wenn der eigene Vater die Heirat der Tochter nicht erlebt und die Geburt des Enkels nicht mitfeiert? Es geht um Respekt, Angst und Verzweiflung, um lustig-schräge Erinnerungen, das Verzeihen von Unzulänglichkeiten, das Wohlwollen der Liebe. Und auch wenn die Geschichten, die wir zu hören bekommen, sehr persönlich und einmalig sind, denken wir dabei unweigerlich an unsere eigenen Väter, ihren Platz, ihre Rolle. Nominiert für Deutscher Dokumentarfilmpreis – Hauptpreis Deutscher Dokumentarfilmpreis – Förderpreis Deutscher Dokumentarfilmpreis – Publikumspreis Deutschland, 2021 TonAlexandra Prät Buch und RegieSophie Linnenbaum ProduktionSophie Linnenbaum KameraJanine Pätzold Filmdauer76 Minuten MontageVincent Tirpiz, Martin Wunschick FSK Keine Bewertung 46 47
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