Hoch geschätzt- Die zentrale ...
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11. Jahr gang | Ap ri l 2 0 2 0 Schwerpunkt FRAUEN UND ARBEIT #WERTSACHE Arbeit Fair ist, wenn Gleiches gleich entlohnt wird Brauchen wir eine Care Revolution? „Hoch geschätzt – Antifeminismus als Gefahr für die Gleich- stellungsarbeit gering vergütet?!?“ Büro in der Stadtverwaltung, Essen, 2. Hälfte, 50er Jahre
„… gleicher Lohn für gleiche Arbeit ohne Unterschied des Geschlechts.“ Zetkin, Clara 1893: Frauenarbeit und gewerkschaftliche Organisation, in: Die Gleichheit, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, Stuttgart. Clara Zetkin (1857 – 1933) Politikerin, Frauenrechtlerin und Friedensaktivistin. Sie war eine der prägenden Initiatorinnen des Internationalen Frauentags und Vorkämpferin für die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen.
HC APRIL 2020 Editorial Liebe Leser*innen, im Jahr 1893 forderte die sozialistische Po- Viel erreicht und weit entfernt“. Sie iden ti fi litikerin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin, zieren wirkmächtige Geschlechterstereotype, „gleiche[n] Lohn für gleiche Arbeit ohne Un- mangelnde Vereinbarkeit von Familie und terschied des Geschlechts“. Seither hat sich Beruf und strukturelle Diskriminierung als viel getan in Sachen Gleichberechtigung. Aller- Barrieren von Geschlechtergerechtigkeit. Es be- dings hat Zetkins Forderung nichts an Aktua- darf eines grundlegenden Kulturwandels und lität eingebüßt. Denn: Nach wie vor verdienen eines Umdenkens bezüglich der Aufteilung Frauen durchschnittlich deutlich weniger als von Erwerbs- und Sorgearbeit – ja, einer „Care ihre männlichen Kollegen, Partner und Ehe- Revolution“, wie sie Svenja Flaßpöhler in ihrem männer. Die Lohnlücke zwischen Frauen und gleichnamigen Beitrag fordert. Gleichzeitig gilt Männern, der sogenannte Gender Pay Gap, es jenen politischen Kräften und antifeministi- beträgt in Deutschland seit Jahren weitgehend schen Stimmen entschlossen und solidarisch konstant 21 Prozent. Das ist ein gleichstel- entgegenzutreten, die – wie Judith Rahner in lungspolitischer Missstand, der gerne kleinge- ihrem Artikel „Antifeminismus als Gefahr für Dr.in Ursula Fuhrich-Grubert redet und ‚übersehen‘ wird. die Gleichstellungsarbeit“ schildert –, die er- Seit 2009 zentrale Frauenbeauftragte reichte Gleichstellung der Geschlechter am der Humboldt-Universität zu Berlin Wie ist dieser geschlechtsspezifische Einkom- liebsten wieder zurückdrehen würden. frauenbeauftragte@hu-berlin.de mensunterschied zu erklären? Was sagt der Foto: Barbara Herrenkind Gender Pay Gap über unsere Gesellschaft, über Es gibt jedoch auch Anlass optimistisch in die Rollenvorstellungen, über die Organisation Zukunft zu blicken: Als Arbeitgeberin bietet die von Erwerbs- und Sorgearbeit aus? Was muss HU flexible Instrumente, um Pflegeverantwor- sich ändern, damit sich Gleichberechtigung tung und Beruf/Studium miteinander zu verein- auch auf dem Gehaltszettel widerspiegelt und baren, zahlreiche Initiativen von Student*innen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und Wissenschaftler*innen engagieren sich für der Vergangenheit angehört? eine klimagerechte und nachhaltige Universität und Professorinnen wir Liliana Ruth Feierstein, Die aktuelle Ausgabe der humboldt chancen- unsere diesjährige „Humboldtianerin“, verdeut- gleich zum Thema „Frauen und Arbeit“ setzt lichen einmal mehr wie spannend und politisch sich in ihrem Schwerpunkt mit allen diesen relevant Wissenschaft sein kann. Fragen auseinander. Ausgangspunkt war die Frauenvollversammlung am 11. März 2019, Enden möchte ich mit einem Zitat von Simone auf der die Frauen der Humboldt-Universität de Beauvoir: „Frauen, die nichts fordern, wer- eine Resolution zu „Entgeltgerechtigkeit und den beim Wort genommen – sie bekommen -transparenz im Hochschulbereich“ verab- nichts.“ In diesem Sinne gilt es die oben ge- schiedeten. Schließlich besteht auch im öffent- nannte Forderung von Clara Zetkin aufrecht- lichen Dienst noch großer Handlungsbedarf zuerhalten! hinsichtlich einer geschlechtergerechten Be- wertung und Vergütung von Arbeit, wie An- Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre drea Jochmann-Döll in ihrem Beitrag „Hoch geschätzt – gering vergütet?!?“ aufzeigt. Ihre Die Gründe dafür, dass Frauen weniger verdie- nen und schlechtere Karrierechancen haben als Männer sind gesellschaftlicher Natur, beto- nen Jutta Allmendinger und Dorothea Kübler unter dem Titel „ Geschlechtergerechtigkeit: Dr.in Ursula Fuhrich-Grubert 3
HC APRIL 2020 MIT SPITZER FEDER Meine liebe, süße Tochter, sagt’ ich, dass es doch ein Schönes am Menschen ist, dass die Grade der Vervoll- gestern fuhren wir nach Tegel, frühstück- kommnung, des Besser- und Reinerwer- ten und gingen aus spazieren. Unser teu- dens, des Aufgehens an innerem Frieden rer Vater war in einem sehr aufgeregten und Klarheit schon hier an kein Alter, Gemütszustand. Er sprach beinahe den an kein Geschlecht, an keine Lage, an ganzen Sonntagvormittag nur über die nichts Irdisches gebunden sind und doch Universität in Berlin und darüber, wann so herrlich und einzig bleibend eigentlich endlich diese wissenschaftliche Anstalt auf alles Irdische einwirken. Da blieb nichts anderes sei als das geistige Le- er endlich stehen, blickte mich sehr ver- ben der Menschen, nicht bloß eine Ver- sonnen und auch sehr zufrieden an und bindung von Männern gleichen Alters, sprach: „So ist’s, dein Wort, und doch, wie er es vor Zeiten in einer längst ver- als hätte ich’s gesagt, mein teures, liebs- gessenen Denkschrift formuliert hatte. tes Herz. Wie so wahlverwandt wir beide Nichts anderes als das geistige Leben sind, du, meine lebendige Kraft, und der Menschen, das es nicht mit fertigen ich“. Und dann frug Dein Vater mich, und abgemachten Kenntnissen zu tun ob nicht aber doch, um auf den höhe- hat, sondern mit etwas noch nicht ganz ren wissenschaftlichen Anstalten solches Gefundenem und nie ganz Aufzufinden- tiefe Denken zu erlernen, der Schüler wie dem, mit der Wissenschaft. Sobald man der Student einen Lehrer braucht, wenn sich einbilde, es könne durch Sammeln auch an solchen Anstalten das Verhält- extensiv aneinander gereiht werden, als- nis der beiden durchaus ein anderes wäre bald ist Alles, so deklamierte er, Alles un- als an den gelehrten Schulen. Da ward wiederbringlich und auf ewig verloren, ich bestimmt und sagte ihm, dass das verloren für die Wissenschaft und verlo- Denken im Menschen wesentlich an ein ren für die Menschen. geselliges Dasein gebunden ist und der Mensch zum bloßen Denken eines dem Und weil er sich so sehr erregte, legte ich Ich entsprechenden Du bedarf und jeder schließlich, als wir den Krug von Tegel Begriff seine Bestimmtheit und Klarheit erreichten, meine Hand beruhigend auf erst durch das Zurückstrahlen aus einer Deines geliebten Vaters Hand. Und dann fremden Denkkraft erreicht. Caroline von Humboldt (1766 – 1829), Kunstsammlerin, Mäzenin und Ehefrau von Wilhelm von Humboldt (1767 – 1835). Hinterlassen hat sie einen großen Briefwechsel, u.a. mit Christian Daniel Rauch, Rahel Levin Varnhagen und mit ihrem Ehemann. 4
MIT SPITZER FEDER HC APRIL 2020 Im Hauptgebäude der Humboldt- Universität gibt es an einer Stelle Als ich das gesagt hatte, war ihm plötzlich Kurz bevor wir, nun doch sehr hung- eine Raum-Zeit-Verwirbelung, von ganz eilig, wieder ins Haus zu kommen. rig, im Gespräch vertieft, das geliebte der bislang nur wenige wissen. Die Und vom Mittag im Krug wollte er so gar stille Haus erreichten, noch fast unter exakten Eigenschaften dieser phy- nichts mehr wissen, so rasch lief er zurück. der dicken Marie (nicht wahr, Du erin- sikalischen Singularität sind noch Und fast noch aufgeregter als vorher fuhr nerst Dich an den Baum, der im letzten nicht vollends aufgeklärt. Es ist er fort zu deklamieren: „Es können ja Frühjahr noch einmal zugelegt hat an nicht zu viel gesagt, wenn wir von gar nicht alle Menschen in die Universi- Umfang und Grün?), sagte mein teures, einer veritablen Sensation spre- tät zu Berlin eintreten, allen Alters, aller liebstes Herz: „Offene Wissenschaft sollt‘ chen, konnten doch mit Hilfe in- Geschlechter, aller Lage. Aber die drinnen ich’s nennen, so offen wie das Denken für novativer Methoden in den letzten können hinaustreten. Und für dieses in- alle Menschen, allen Alters, allen Ge- Jahren einige Briefe der Caroline wendige Hinaustreten gibt es äußere For- schlechts, für die drinnen und draußen“. von Humboldt sowie, in einem Fall, men und Mittel in einer positiven Gesell- Und wie so oft, hatte ich genau dasselbe ihres Ehemanns Wilhelm aus dem schaft“. Und da sagte ich, geliebtes Kind, auch gedacht im selben Augenblick, nur Zentrum dieser Verwirbelung auf- unserem teuren Vater, wie schön ich es noch bei mir gedacht, man möchte’s auch gefangen und entschlüsselt werden. doch fände, wenn man wollte in dem schö- noch übersetzen für Alexander ins Fran- Diesmal entpuppte sich die dechiff nen Saale der Sing-Akademie gleich neben zösische und für den Prinzregenten ins rierte Nachricht als ein Brief Caro- dem Universitätslokale für alle Stände le- Englische, „Open science“ oder ähnlich. lines an ihre Tochter Gabriele von sen lassen, und er schlug mir drauf gleich Trotz all dessen, trotz meines bestimmten Bülow. Die Exklusivrechte an dem vor, doch flugs dem Bruder Alexander zu Redens, trotz seines sehr aufgeregten Ge- Abdruck des Briefes liegen bei der schreiben, er möchte in eben diesem Saale mütszustandes und vielleicht gerade des- humboldt chancengleich. seine Gesamtschau der wissenschaftlichen wegen mundete die heiße Schokolade gar Es folgt – ein Brief vom Dezember Weltsicht vortragen, und dann würden köstlich, die man uns servierte, als wir 2019. C.M gewiss nicht nur wir en famille zu seinen eingetreten waren. Füßen sitzen und gemeinschaftlich par- lieren. Wissenschaft, so sagte ich unserem Doch lebe wohl, geliebte Tochter, ich habe Vater, ist nicht nur unablässig sie als sol- wenig Zeit wegen Schleiermacher und che suchen in Einsamkeit und Freiheit, dem Maler, der mein Portrait vor seiner sondern im wechselweisen Zurückstrahlen Abreise fertig haben muss. Gedenke Dei- lebendiger Geisteskraft, was geschieht zu- ner Dich liebenden Eltern und Deiner vörderst in Geselligkeit. Das immer fortge- Dich herzlich liebenden Mutter setzte Suchen und das nie abgeschlossene Caroline Finden in nicht endender gemeinschaftli- cher Geselligkeit. Ein Text von Christoph Markschies, Dekan der Theologischen Fakultät und Professor für Ältere Kirchengeschichte und Patristik an der Humboldt-Universität. 5
in aller kürze Inhalt Diversität an der HU EDITORIAL 3 2019 wurde an der HU eine universitätsweite Online-Umfrage MIT SPITZER FEDER 4 zum Thema Diversität durchgeführt. Die Daten zeigen, dass viele HU- INHALTSVERZEICHNIS & IN ALLER KÜRZE 6 Angehörige Diskriminierungen erfahren und ein großer Handlungsbedarf besteht. Ausgehend von den CHANCENGLEICH SCHWERPUNKT Ergebnissen der Umfrage koordiniert die AG Diversität die schrittweise Hoch geschätzt – gering vergütet?!? 8 Umsetzung von Maßnahmen für ein Zur Bewertung und Vergütung der Arbeit von diskriminierungsfreies, inklusives Frauen und Männern an Hochschulen Miteinander an der HU. RESOLUTION zur Entgelttransparenz und 11 -gerechtigkeit an der Humboldt-Universität: Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit! #WERTSACHE Arbeit 13 Fair ist, wenn Gleiches gleich entlohnt wird 40 Jahre UN- Frauenrechtskonvention Geschlechtergerechtigkeit: 16 Am 18. Dezember 1979 verabschiedeten Viel erreicht und weit entfernt die Vereinten Nationen die Frauenrechtskonvention (Convention Brauchen wir eine Care Revolution? 19 on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women – Antifeminismus als Gefahr 21 CEDAW). Die Konvention verbietet für die Gleichstellungsarbeit völkerrechtlich verbindlich jede Form der Diskriminierung von Frauen und stellt klar: Frauenrechte sind Menschenrechte! FORSCHUNG UND LEHRE Kleines Format, langfristige Wirkung: 24 Die interdisziplinären WiNS-Sommerschulen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät „HU For Future“: Klimaschutz und Nachhaltigkeit 26 Siri, Alexa & Co. reproduzieren an der Humboldt-Universität zu Berlin Geschlechterstereotype Die UNESCO kritisiert in einem Bericht, Mehr Chancengerechtigkeit durch 29 dass durch digitale Sprachassistenten digitale Lehrentwicklung?! – oder besser gesagt, Assistentinnen – Geschlechterrollen und -klischees verfestigt werden. Alexa, Siri und DIE HUMBOLDTIANERIN Co. verkörpern in Stimme und Antwortverhalten mehrheitlich junge Wissenschaft als nachträglicher Widerstand 32 Frauen und eine ‚unterwürfige‘ gegen den Nationalsozialismus Persönlichkeit. Ein Gespräch mit Liliana Ruth Feierstein
in aller kürze FAMILIÄR Parität im Parlament Von echter Parität auf allen Politikebenen 34 Vorsichtig optimistisch – wie das Thema ist Deutschland noch weit entfernt. Als Pflege langsam ins Bewusstsein der erstes Bundesland hat Brandenburg Humboldt-Universität rückt daher im Januar 2019 eine verbindliche Frauenquote für die Landeslisten 38 „An sich ist es ja ein schöner Beruf“ – der Parteien bei Landtagswahlen Ein Einblick in den Alltag einer Kitaleitung beschlossen. Mit der Kampagne #mehrfrauenindieparlamente fordert der 41 Kitaplatz? Fehlanzeige! – Deutsche Frauenrat zudem, im Rahmen Tagebuch einer Kitaplatzsuche der anstehenden Wahlrechtsreform auf Bundesebene sicherzustellen, dass zukünftig Männer und Frauen je INTERNATIONAL zur Hälfte die Mandate im Bundestag innehaben. 43 Eine Bewegung sorgt für Stillstand Zum feministischen Streik in der Schweiz VERNETZT 46 Frauen, verbündet euch! Social Media bremst Gleichberechtigung aus 47 METIS – Gender Equality and Je intensiver junge Menschen soziale Family Friendliness in Research Alliances at Medien nutzen, desto stärker denken Humboldt-Universität zu Berlin sie in veralteten Rollenbildern und vergeschlechtlichten Schönheitsnormen, so das Ergebnis einer Studie von Plan VORGESTELLT International. 48 Neue Stellvertreterinnen der zentralen Frauenbeauftragten VERANSTALTET 52 Aktionstag gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt PRAKTISCH 54 Neu: Leitfaden für geschlechtergerechte (Bild-)Sprache an der HU 55 VERANSTALTUNGEN
HC APRIL 2020 FRAUEN UND ARBEIT Hoch geschätzt – gering v ergütet?!? Zur Bewertung und Vergütung der Arbeit von Frauen und Männern an Hochschulen Oft wird behauptet – oder auch nur gehofft – im öffentlichen Dienst und auch an Hochschulen seien die Tätigkeiten von Frauen und Männern gerecht bewertet und bezahlt. Es gelte schließlich ein Tarifvertrag, der nicht nach Geschlecht differenziert, sondern Entgelte nach der ausgeübten Tätigkeit bestimmt. Lei- der ist dies ein Trugschluss, wie eine Analyse des geltenden Tarifvertrags der Länder und Prüfverfahren an Hochschulen ergeben haben. Wann bewertet ein Tarifvertrag Arbeit gerecht? vor allem für frauendominierte Arbeitsplätze relevant sind, nicht berücksichtigt und damit In Tarifverträgen, genauer gesagt: in den Ent- nicht bewertet, wie beispielsweise kommuni- geltordnungen der Tarifverträge, haben die kative und kooperative Anforderungen, Anfor- Tarifvertragsparteien festgelegt, wie Arbeit zu derungen im Bereich Planen und Organisieren bewerten ist und wie die Tätigkeiten einzu- oder psycho-soziale Belastungen. Ein zweiter gruppieren sind. Dabei gibt ihnen die Tarifau- problematischer Punkt ist, dass die Entgeltord- Dr.in Andrea Jochmann-Döll tonomie zwar einen weitgehenden Spielraum, nung in vier Teile untergliedert ist, die jeweils Gründerin des Forschungs- und dieser ist jedoch begrenzt durch das Grund- unterschiedliche Bewertungskriterien und Beratungsbüros GEFA (Gender. recht auf Entgeltgleichheit nach der Formel -maßstäbe aufweisen. Eine einheitliche Bewer- Entgelt.Führung.Arbeit). Sie hat die „Gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige tung der Tätigkeiten erfolgt somit nicht, was Prüfinstrumentarien eg-check.de und Arbeit“. Was dies konkret bedeutet, haben die die Überprüfung der Diskriminierungsfreiheit gb-check mitentwickelt. Europäische Gender-Richtlinie und der Euro- erschwert. Drittens werden manche Tätigkeiten päische Gerichtshof in den vergangenen Jahr- teilweise allein aufgrund ihrer Bezeichnung Foto: privat zehnten mit verschiedenen Urteilen präzisiert. eingruppiert, ohne dass nachvollziehbar wird, In § 4 Abs. 4 Entgelttransparenzgesetz (Entg- aufgrund welcher Anforderungen dies erfolgt. TranspG) werden diese Anforderungen zusam- Viertens sind die Anforderungsmerkmale und mengefasst. Danach müssen Entgeltsysteme ihre Abstufungen teils gar nicht, teils uneindeu- • die Art der zu verrichtenden Tätigkeit objek- tig definiert, so dass Spielräume bei der Ein- tiv berücksichtigen, gruppierung entstehen, die sich aufgrund von • auf für weibliche und männliche Beschäf- Geschlechterstereotypen nachteilig für frauen- tigte gemeinsamen Kriterien beruhen, dominierte Tätigkeiten auswirken können. • die einzelnen Differenzierungskriterien dis- kriminierungsfrei gewichten und Wie kann Arbeit gerecht(er) vergütet werden? • insgesamt durchschaubar sein. Wie es besser geht, ist hinlänglich bekannt: Es Entspricht der TV-L den Anforderungen an dis- wurden bereits in verschiedenen Ländern (etwa kriminierungsfreie Arbeitsbewertung? in der Schweiz, in Schweden, Belgien und Kanada) Verfahren entwickelt, die den Anfor- Für die tariflichen Beschäftigten der Hum- derungen an diskriminierungsfreie Arbeitsbe- boldt-Universität gilt die Entgeltordnung des wertung entsprechen. Auch die Internationale Tarifvertrages der Länder, kurz TV-L. Eine Ana- Arbeitsorganisation, eine Sonderorganisation lyse im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle der Vereinten Nationen zuständig für die For- des Bundes hat ergeben, dass diese Entgeltord- mulierung und Durchsetzung internationaler nung nicht alle Anforderungen des EntgTran- Arbeits- und Sozialstandards, hat einen Leitfa- spG erfüllt (vgl. ADS 2018). den mit vielen praktischen Hinweisen heraus- gegeben (ILO 2016). Auf Basis dieser Experti- Zwar findet sich keine unmittelbare Benach- sen wurde in Deutschland der Paarvergleich teiligung durch eine explizit unterschiedliche zur Feststellung der Gleichwertigkeit von Tä- Behandlung von Frauen und Männern beim tigkeiten (kurz: Paarvergleich Gleichwertigkeit) Entgelt, doch wurden einige mittelbare Diskri- entwickelt.1 Er ist Teil des Instrumentariums minierungspotentiale identifiziert. Die wesent- lichen sollen hier kurz genannt werden: 1 Vgl. URL: https://www.eg-check.de/eg-check/DE/Anwen- Erstens werden bestimmte Anforderungen, die dung/Pruefbereiche/Grundentgelt/_node.html (aufgeru- fen am 03.12.2019). 8
FR AU EN U ND A R BEI T HC APRIL 2020 eg-check.de zur Prüfung der Entgeltgleichheit wickelt worden war. Geschlechterdifferenzen und dient dem Vergleich der Anforderungen an wurden hingegen bei der Zahlung von Beru- einem frauendominierten und einem männer- fungszulagen festgestellt. dominierten Arbeitsplatz. Sind die Anforderun- gen gleich hoch, muss nach dem rechtlichen Im zweiten Teilprojekt wurde das Grundentgelt Entgeltgleichheitsprinzip auch das Entgelt für Tarifbeschäftigte untersucht. Es wurden gleich hoch sein. Sind die Anforderungen un- vier Paarvergleiche durchgeführt. Die weiblich terschiedlich hoch, können die Tätigkeiten als dominierten Tätigkeiten waren in dezentralen ungleichwertig angesehen und entsprechend und zentralen wissenschaftsunterstützenden unterschiedlich bezahlt werden. Bereichen angesiedelt (Bibliothek und Verwal- tung), die männlich dominierten Tätigkeiten Mit dem Paarvergleich Gleichwertigkeit wer- gehörten zum Rechenzentrum und zur Abtei- den insgesamt 19 verschiedene Anforderungen lung Technische Dienste. Bei zwei Paarverglei- bewertet. Sie lassen sich den vier Bereichen chen zeigten sich Hinweise auf eine Unterbe- „Anforderungen an das Wissen und Können“, wertung der weiblich dominierten Tätigkeiten, „Anforderungen an psycho-soziale Kompeten- unter anderem durch Nichtberücksichtigung zen“, „Anforderungen an Verantwortung“ und von psycho-sozialen Anforderungen (Kommu- „Physische Anforderungen“ zuordnen. Jede nikation, Kooperation, Einfühlungs- und Über- Anforderungsart ist definiert, operationali- zeugungsvermögen), sowie fachbezogenen Zu- siert und in mehrere Ausprägungsstufen un- satzqualifikationen durch die Entgeltordnung terteilt. Den Ausprägungsstufen sind Punkt- des hier geltenden TVöD-VKA (Vereinigung werte zugeordnet. Für die zu vergleichenden der kommunalen Arbeitgeberverbände). Ein Tätigkeiten wird für jede Anforderungsart die weiterer Paarvergleich zeigte eine Unterbe- zutreffende Ausprägungsstufe und damit der wertung der männlich dominierten Tätigkeit Punktwert ermittelt. Die Punktwerte werden an. In diesem Fall wurden verschiedene vorlie- addiert, ihre Summe drückt den Arbeitswert gende Anforderungen im Bereich Kenntnisse, aus, der verglichen werden kann. psycho-soziale Anforderungen, Verantwortung und physische Anforderungen von der gelten- Welche Ergebnisse erbrachten aktuelle Prüfver- den Entgeltordnung nicht berücksichtigt. Der fahren zur Entgeltgleichheit an Hochschulen? vierte Paarvergleich wurde als „Sonderfall“ er- kannt und nicht weiter ausgewertet. Das Prüfinstrumentarium eg-check.de wurde an zwei Hochschulen Deutschlands einge- Beide Prüfprojekte haben ergeben: Auch an setzt, um die Entgeltgleichheit auf der be- Universitäten ist die Entgeltgleichheit zwi- trieblichen Ebene zu überprüfen. Es wurden schen Frauen und Männern keineswegs voll- jeweils Diskriminierungspotentiale der Ent- ständig umgesetzt. Es besteht Handlungsbe- geltordnungen der geltenden Tarifverträge darf sowohl in Technik und Verwaltung als identifiziert und diskutiert. An der FernUni- auch im wissenschaftlichen Bereich. versität in Hagen wurden zwei Paarvergleiche zwischen weiblich und männlich dominierten Wie kann eine gerechtere Bewertung und Ver- Tätigkeiten durchgeführt. Die weiblich domi- gütung erreicht werden? nierte Tätigkeit aus der Universitätsbibliothek erzielte höhere Arbeitswertpunkte, war aber Handlungsmöglichkeiten zur Verwirklichung zwei Entgeltgruppen niedriger eingruppiert der Entgeltgleichheit finden sich auf vier als die männliche Vergleichstätigkeit aus dem Handlungsebenen: Zentrum für Medien und IT. Bei dem zweiten 1. Auf der politischen Ebene benötigen wir eine Paarvergleich entsprach die höhere Vergütung Ergänzung und Verbesserung des EntgTran- einem höheren Arbeitswert. spG. Hierauf hat auch die Evaluation des Ge- setzes hingewiesen (vgl. BMFSFJ 2019). Zu An der Hochschule für Technik und Wirtschaft fordern sind eine größere Verbindlichkeit Berlin wurden zwei Teilprojekte durchgeführt. von Prüfverfahren und die Verpflichtung zu Das erste Teilprojekt behandelte die Leistungs- Anpassungsmaßnahmen, wenn Benachteili- vergütung für Professuren. Bei der Vergütung gungen festgestellt wurden. Darüber hinaus für besondere Leistungen in Forschung und ist die Einführung des Verbandsklagerechts Lehre fanden sich keine Hinweise auf eine längst überfällig, die Einbeziehung von Ta- Benachteiligung eines Geschlechts. Dieses po- rifverträgen in die Prüfung sollte eine Selbst- sitive Ergebnis war auf das ausdifferenzierte, verständlichkeit sein und eine wirkungs- transparente und einheitliche Vergabesystem vollere Gestaltung des Auskunftsrechts zurückzuführen, das in der Hochschule ent- erscheint dringend erforderlich. 9
HC APRIL 2020 FRAUEN UND ARBEIT 2. Auf der tariflichen Ebene sind die Tarifver- 4. Auf der individuellen Ebene ist jede und je- tragsparteien gefordert, existierende Tarif- der Einzelne gefordert, sich selbst und an- verträge daraufhin zu überprüfen, ob sie den deren gegenüber kritisch aufmerksam zu Anforderungen an diskriminierungsfreie sein im Hinblick auf offene oder verdeckte Arbeitsbewertung genügen und, falls nötig, Abwertungen frauentypischer Tätigkeiten. entsprechende Änderungen vorzunehmen. Diese können sich beispielsweise in alltägli- Bei der Neugestaltung oder Reform von Ta- chen Bemerkungen äußern. Auch gilt es, das rifverträgen sind die Prinzipien einer diskri- Ende der anerzogenen weiblichen Beschei- minierungsfreien Entgeltfindung von vorn- denheit einzuläuten und Frauen darin zu herein zu beachten. Mitglieder von Tarif- und stärken, ihre finanziellen Interessen durch- Verhandlungskommissionen auf beiden Sei- zusetzen. Gemeinsam! ten des Verhandlungstisches müssen über diese Themen informiert und entspre- Literatur chend sensibilisiert werden. 3. Auf der betrieblichen Ebene Das Prüfinstrumentarium eg-check.de sowie Berichte über die durch- kann bereits die Durchfüh- geführten Prüfungen finden sich unter www.eg-check.de. rung betrieblicher Prüfver- Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) (Hg.) (2018): Gleiches fahren zu einer größeren Entgelt für gleichwertige Arbeit? Die Entgeltordnung des Tarifver- Sensibilität für Fragen der trags der Länder (TV-L) auf dem Prüfstand – Eine Analyse von Dr. Entgeltgleichheit führen Andrea Jochmann-Döll und Dr. Karin Tondorf, Berlin. und konkrete Anpassungs- maßnahmen nach sich Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ziehen, auch wenn ein Ta- (BMFSFJ) (Hg.) (2019): Bericht der Bundesregierung zur Wirksam- rifvertrag gilt. Für Universi- keit des Gesetzes zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen täten wäre es beispielsweise Frauen und Männern, Berlin. interessant, auch die ak- tuelle Bewertung und Ein- Internationale Arbeitsorganisation (ILO) (Hg.) (2016): Genderge- gruppierung der Tätigkeiten rechtigkeit stärken – Entgeltgleichheit sicherstellen. Ein ILO-Leit- faden für genderneutrale Tätigkeitsbewertung (von Marie-Thérèse in Hochschulsekretariaten Chicha), Genf. mit Hilfe eines Paarver- gleichs zu überprüfen. 10
FR AU EN U ND A R BEI T HC APRIL 2020 RESOLUTION zur Entgelttransparenz und -gerechtigkeit an der Humboldt- Universität: Gleicher Lohn für gleich- wertige Arbeit! Foto: M. H. Vogel Anlässlich der Frauenvollversammlung 2019 nung im Geltungsbereich des Tarifvertrages zum Thema ‚Frauen & Arbeit‘1 hat die zentrale der Länder3 abgebaut wird. Carmen Kurbjuhn Frauenbeauftragte eine Resolution zur Ver- Projektkoordinatorin „firstgen“ wirklichung der Entgeltgleichheit zwischen Im Mai 2019 konnte die Unterschriftenliste mit – Mentoringprogramm für Frauen und Männern auf den Weg gebracht. mehr als dreihundert Unterzeichner*innen an Student*innen ohne familiären Die Resolution kritisiert die mittelbare Dis- die Präsidentin der Universität übergeben wer- akademischen Hintergrund kriminierung durch die unterschiedliche Be- den. Die Universitätsleitung unterstützt das An- wertung und Eingruppierung von frauen- und liegen ihrer Mitarbeiter*innen und versicherte, männerdominierten Tätigkeiten und knüpft dass sie „die komplexe Fragestellung bei künfti- dabei an den offenen Brief der Bundeskonfe- gen Tarifverhandlungen im Rahmen ihrer Mög- renz der Frauen- und Gleichstellungsbeauf- lichkeiten einbringen“ werde. Ferner fand das tragten an Hochschulen (bukof ) aus dem No- Thema der Eingruppierung der Beschäftigten in vember 2018 an.2 Die Humboldt-Universität zu Sekretariaten Einzug in das gegenwärtige Per- Berlin wird aufgefordert, sich nachdrücklich sonalentwicklungskonzept der Universität. Im dafür einzusetzen, dass das nachgewiesene Laufe der Tarifverhandlungen 2019 ergab sich zu- Diskriminierungspotential der Entgeltord- dem eine Änderung der Entgeltordnung für die Beschäftigten in wissenschaftlichen Bibliotheken 1 Mehr Informationen zur Frauenvollversammlung – auch ein nach wie vor frauendominierter Be- ‘Frauen und Arbeit‘ 2019 unter URL: https://frauenbeauf- reich –, die im Januar 2020 in Kraft treten wird. tragte.hu-berlin.de/de/veranstaltungen/internationaler- frauentag/2019-frauen-und-arbeit (aufgerufen am 15.12.2019). 3 Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2018): Gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit? Die Entgeltordnung des 2 Offener Brief der bukof an die Verhandlungs Tarifvertrags der Länder (TV-L) auf dem Prüfstand. Analyse partner*innen der Entgeltordnung des Tarifvertrags der von Dr.in Andrea Jochmann-Döll und Dr.in Karin Tondorf. Länder. Online unter URL: https://bukof.de/wp-content/ Online unter URL: https://www.antidiskriminierungs- uploads/18-11-06-bukof-Offener-Brief-Verhandlungen-zur- stelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Ent- Entgeltordnung-1.pdf (aufgerufen am 15.12.2019). gelt_UN_Gleichheit/TV_L.html (aufgerufen am 15.12.2019). 11
HC APRIL 2020 FRAUEN UND ARBEIT 11. März 2019 RESOLUTION: Entgelttransparenz und -gerechtigkeit an der Humboldt-Universität durchsetzen! Prinzipiell müssen Tarifverträge die grundrechtlichen Bestimmungen des Artikels 3 Abs. 3 ebenso beachten wie das Benachteiligungsverbot beim Entgelt nach § 7 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Ziff. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Das rechtliche Verbot der mittelbaren Diskriminierung wird auch im neuen Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) bekräftigt, das am 6. Juli 2017 in Kraft getreten ist. Die Tarifvertragsparteien sollen an der Verwirklichung der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern mitwirken. Bei einer Prüfung oder Neugestaltung von Tarifverträgen inklusive der Entgeltordnung zeigt sich nach wie vor regelmäßig, dass mittelbar diskriminierende Bestimmungen nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind. Sie werden erst sichtbar, wenn die vorgenommene Bewertung und Eingruppierung von frauen- und männerdominierten Tätigkeiten kritisch hinterfragt wird. 2018 wurde die jetzige Entgeltordnung des TV-L im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes analysiert. Dies stellt beispielhaft eine Überprüfung auf Diskriminierungsfreiheit und Gewährleistung des Prinzips des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Arbeit dar. Das Fazit der Überprüfung zeigt die Missstände wie folgt auf: Trotz der Reformbemühungen der letzten Jahre erfüllt die Entgeltordnung des TV-L nicht in hinreichendem Maße die rechtlichen Anforderungen, die an ein diskriminierungsfreies Entgeltsystem gestellt werden: Wie die Analyse zeigt, erfolgt die Bewertung der Tätigkeiten im Geltungsbereich des Tarifwerks nicht nach gemeinsamen Kriterien. Darüber hinaus werden auch gleiche Merkmale unterschiedlich definiert, und bei den Anforderungsstufen finden sich ebenfalls unterschiedliche Ausprägungen und Definitionen. Außerdem sind die Entgelttabellen in ihren Strukturen und Beträgen unterschiedlich gestaltet. Alle genannten Faktoren eröffnen Spielräume, die zu nachteiligen Wirkungen für bestimmte weiblich dominierte Tätigkeiten führen können – und damit zu mittelbarer Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts (ADS 2018, S. 34). Im Hochschulbereich sind insbesondere folgende Berufsgruppen von mittelbar diskriminierenden Effekten des Tarifvertrags der Länder betroffen: • Pflegekräfte im Bereich der Universitätskliniken • Tarifbeschäftigte in den Hochschul- und Fakultätssekretariaten • Tarifbeschäftigte in den wissenschaftlichen Bibliotheken. Daher fordern wir die Humboldt-Universität zu Berlin auf, sich nachdrücklich dafür einzusetzen, dass das nachgewiesene Diskriminierungspotential der Entgeltordnung im Geltungsbereich des Tarifvertrages der Länder (TV-L) abgebaut wird. Resolution in Anlehnung an den „Offenen Brief an die Verhandlungspartner*innen der Entgeltordnung des Tarifvertrags der Länder“ der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof) vom 06.11.2018 12
FR AU EN U ND A R BEI T HC APRIL 2020 #WERTSACHE Arbeit Fair ist, wenn Gleiches gleich entlohnt wird 100 Jahre Frauenwahlrecht, 70 Jahre im Grundgesetz verbriefte Gleichberechtigung, seit 25 Jahren hat der Staat die Verpflichtung, die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern – doch beim Lohn sieht es schlecht aus mit der Chancengleichheit. 20 Prozent beträgt der Unter- schied beim Bruttostundenlohn zwischen Frauen und Männern. Ein Aufruf. Nichts ist unveränderlich wo Gespräche nach Gehaltserhöhung syste- matisch erfasst werden. Verhandlungssitu- Diese Aussage ist sehr optimistisch angesichts ationen triggern unsere Rollenerwartungen der Tatsache, dass der Pay Gap zwischen Män- – auf beiden Seiten. Oft werden falsche An- nern und Frauen in Deutschland seit 2008 von nahmen getroffen, werden die Karrierepläne 23 auf 20 Prozent gesunken ist. Diese Zahl von Frauen unterschätzt, wird gleiches Ver- errechnet das Statistische Bundesamt nach halten anders bewertet als bei Männern. festgelegten, europaweit gleichen Kriterien. Was stimmt ist: Frauentypische Berufe werden Deutschland gehört zu den Schlusslichtern der schlechter bezahlt als Berufe, in denen haupt- Uta Zech EU. Größer ist der Lohnunterschied nur noch sächlich Männer arbeiten. Doch sind sie tat- Werbekauffrau, Schauspielerin und in Estland und der Tschechischen Republik. sächlich weniger wert? Moderatorin, ist Präsidentin des Business and Professional Women Ursachen Fair ist, wenn Gleiches gleich entlohnt wird (BPW) Germany e.V. Foto: Dieter Bühler Welche Strukturen dafür verantwortlich sind, Die Equal Pay Day Kampagne, vom Business ist analysiert und bekannt. Frauen fehlen in be- and Professional Women (BPW) Germany seit stimmten Berufen, Branchen und auf den höhe- 2008 initiiert, fordert gleichen Lohn für glei- ren Stufen der Karriereleiter. Wir leisten es uns, che und gleichwertige Arbeit. Gleiche Arbeit, dass wir frauentypische Berufe unterbewerten das verstehen wir: Gleiche Branche, gleiche und meistens Frauen die unbezahlte Familien- Kompetenz, gleiche Position, gleiches Arbeits- arbeit übernehmen – eben weil sie weniger ver- zeitpensum. Der Lohnunterschied beträgt hier dienen. Dafür unterbrechen oder reduzieren sie 6 Prozent. Bei einem Bruttogehalt von 3.500 ihre Erwerbsarbeit, was sich wiederum auf die Euro sind das pro Jahr 2.520 Euro weniger, Karrierechancen auswirkt. In vielen Betrieben bei 35 Arbeitsjahren über 88.000 Euro. Haben gibt es immer noch keine Gehaltstransparenz, oder nicht haben. die Gehaltsstrukturen durchschaubar macht und Lohndiskriminierung aufzeigen und verhindern Schwieriger wird es bei der Definition von könnte. Unverwüstliche tradierte Rollenbilder gleichwertiger Arbeit. Die Hans-Böckler-Stif- beeinflussen Frauen bei ihrer Berufswahl – Män- tung hat im Comparable Worth Index (CWI) ner übrigens auch. Die gleichen Rollenstereotype vier Kriterien für die Bewertung von Arbeit machen es Frauen schwer, in Führungspositio- definiert:2 Wissen und Können, Verantwortung nen aufzusteigen. Sind Männer ehrgeizig und – nicht nur Führungsverantwortung, auch Ver- zielorientiert, wissen sie sich durchzusetzen. antwortung für das Wohlergehen von Men- Frauen mit den gleichen Eigenschaften gelten schen –, psycho-soziale Anforderungen wie als verbissen, zickig und intrigant. Kommunikationsfähigkeit und physische An- forderungen, zu denen körperliche Anstren- Selbst schuld? gungen, aber auch Beeinträchtigungen durch Lärm gezählt werden. Geschlechtsneutrale Kri- Dass Frauen die falschen Berufe wählen und terien, nicht männerfreundlich und nicht frau- schlecht verhandeln, ist zu kurz gedacht. Die enfreundlich. Das nimmt Zündstoff aus der Zukunft sieht düster aus, wenn alle Frauen Diskussion, die oft Gefahr läuft, in unsachli- nur noch in gut bezahlten MINT-Berufen ar- ches Männer- und Frauenbashing auszuarten. beiten. Frauen fragen genauso oft nach mehr Gehalt, wie eine Studie aus Australien1 zeigt, 1 Vgl. URL: https://warwick.ac.uk/fac/soc/economics/ news/2016/9/new_study_suggests_women_do_ask_for_ 2 Vgl. URL: https://www.boeckler.de/wsi_54336.htm (auf- pay_rises_but_dont_get_them/ (aufgerufen am 10.11.2019). gerufen am 10.11.2019). 13
HC APRIL 2020 FRAUEN UND ARBEIT Für jedes Kriterium gibt es Punkte entspre- chend den beruflichen Anforderungen. Je mehr Punkte, desto höher sollte die Bezahlung sein. Gleiche Punktzahl – gleiche Bezahlung. Klingt einleuchtend. Dass frauentypische Berufe nach diesen Kri- terien unterbewertet sind, wie übrigens ei- nige männertypische Berufe auch, überrascht nicht. Ein konkretes Beispiel: Eine Lehrkraft im Primar- und Vorschulbereich (Frauenanteil 94 Prozent) müsste so viel verdienen wie ein Elektroingenieur (Frauenanteil 8 Prozent). Die Lehrkraft geht mit einem durchschnittlichen Bruttostundenlohn von knapp 18 Euro nach Hause und der Elektroingenieur mit etwas mehr als 30 Euro. Löhne und Gehälter, wie sie zurzeit – auch nach Tarifverträgen! – gezahlt werden, basie- ren häufig nicht auf den tatsächlichen Anfor- derungen der Berufe. Die tradierten Bewer- tungssysteme von Arbeit sind überholt, denn sie spiegeln den geringeren Status wider, den Frauen in der Gesellschaft hatten, und werten so frauentypische Berufe ab. Doch wollen wir wirklich so leben? Ist Produktivität der ein- zige Faktor, der in Wirtschaft und Gesellschaft zählt? Können wir uns das leisten angesichts die zwölf Monate in Elternzeit waren. Für Väter fehlender Erziehungs- und Pflegekräfte? hat es keine Auswirkungen auf ihr berufliches Fortkommen, ob sie zwölf oder zwei Monate Elternzeit nehmen. Im Gegenteil. Sie erhalten „Die tradierten B ewertungssysteme durchschnittlich höhere Gehälter und haben bessere Aufstiegschancen. Ermutigend für Vä- von Arbeit sind überholt, … ter, ernüchternd für Mütter. Niemand unterstellt Personalverantwortlichen Niemand ist unfehlbar in Unternehmen, dass sie bewusst Mütter be- nachteiligen oder Frauen schlechter bezahlen. Wo fangen wir an, wenn wir neu und fair be- Doch nur wer sensibilisiert ist für Rollenkli- werten wollen? Am besten bei uns selbst. Rol- schees, kann bewusst etwas dagegen tun. lenstereotype – keine und keiner ist frei davon. Stellenausschreibungen, Beurteilungen und Maßnahmen ausbauen Beförderungen – zählt hier wirklich nur Kom- petenz? Eine Experimentalstudie von Lena Die Politik hat in den letzten Jahren Gesetze Hipp3 macht deutlich: In Deutschland werden auf den Weg gebracht, die Chancengleichheit Mütter zum Vorstellungsgespräch gar nicht unterstützen. Maßnahmen, die weiter ausge- erst eingeladen. Auch wenn sie die gleiche baut werden müssen. Der Mindestlohn kommt Qualifikation, gleiches Engagement und glei- überwiegend Frauen zugute, da hauptsächlich che Arbeitsmarkterfahrung vorweisen können Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen arbei- wie Väter oder kinderlose Frauen. Mütter, die ten. Die Quote bringt Frauen in die Aufsichts- nur zwei Monate in Elternzeit gehen und so si- räte, wenn auch nur von 104 Pilotunternehmen, gnalisieren, dass sie möglichst schnell wieder die börsennotiert und mitbestimmungspflich- ins Berufsleben zurückkehren wollen, werden tig sind. Sie muss ausgeweitet werden auf Un- als egoistische Rabenmütter wahrgenommen ternehmen, die börsennotiert oder mitbestim- und haben noch weniger Chancen als Mütter, mungspflichtig sind. Glücklich der Tag, an dem der erste Mann die Quote für sich fordert! 3 Vgl. URL: https://osf.io/preprints/socarxiv/qsm4x (auf- Das Elternzeitgesetz bestärkt Väter, Familien- gerufen am 10.11.2019). arbeit zu übernehmen. Zurzeit sind es meist 14
FR AU EN U ND A R BEI T HC APRIL 2020 Schwarzarbeit wird so hinfällig, neue Unter- nehmen in dieser Branche werden hauptsäch- lich von Frauen gegründet, Renten- und Sozial- kassen füllen sich. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Ausgemustert werden sollte auch das Ehegat- tensplitting. Das hatte seine Berechtigung, als die Alleinernährer-Ehe noch das gängige Fami- lienmodell war. Höchste Zeit ist es, es durch ein Besteuerungssystem zu ersetzen, das Fa- milien und alleinerziehende Mütter und Väter unterstützt. Nicht heulen, machen. Unternehmen, die behaupten, es gäbe keine Frauen, die Führungsverantwortung überneh- men wollen, müssen ihre Zielvorgabe ändern: Nicht Frauen suchen, sondern finden – so wie es seit Einführung der Quote in den Aufsichts- räten gehandhabt wird. Gleichstellungspolitisch und juristisch müs- sen etablierte Verfahren zur Arbeitsbewertung auf den Prüfstand gestellt werden. Gleichzeitig müssen wir uns als Gesellschaft fragen, ob Pro- duktivität tatsächlich „allein selig machend“ ist. zwei Monate. Eine Aufteilung in paritätische sieben Monate für jedes Elternteil ist die Ge- währleistung, dass kein Elternteil völlig aus dem Berufsleben aussteigt. Damit der abschät- … denn sie s piegeln den geringeren Status zende Blick der Personalverantwortlichen: „Ge- bärfähiges Alter?“ in Zukunft obsolet wird, da wider, den Frauen in der Gesellschaft hatten, Männer und Frauen gleichermaßen schwanger und w erten so frauentypische Berufe ab.“ werden. Noch besser wäre die Einführung der Familienarbeitszeit, wie sie Manuela Schwesig als Familienministerin gefordert hat. Beide Frauen müssen aktiv werden. Machen Sie Elternteile arbeiten 30 oder 32 Stunden, der sich vor dem Vorstellungsgespräch im Inter- Staat unterstützt mit einem Zuschuss. So kön- net schlau, welches Gehalt für Ihre Position nen Familienarbeit und Erwerbsarbeit partner- gezahlt wird. Warten Sie nicht, bis Sie gefragt schaftlich geteilt werden. werden, fragen Sie selbst. Nach Lohntranspa- renz, nach Gehaltserhöhung, nach Beförde- Längst überfällig schafft das Pflegeberufege- rung. Und gehen Sie in die Politik. Wer prä- setz das Schulgeld ab und verpflichtet Aus- sent ist, entscheidet, welche Prioritäten gesetzt bildungsbetriebe zu einer Vergütung. Nicht werden und wie die Lösungen aussehen. im Fokus der Politik sind die haushaltsnahen Dienstleistungen. Schwarzarbeit gilt als Ka- Der nächste EPD ist am 14. März 2021 valiersdelikt und Löhne, von denen niemand leben kann, als angemessen. Fassen wir uns Solange es einen Gehaltsunterschied zwischen an die eigene Nase, um dann nach Belgien zu Männern und Frauen gibt, solange wird es den schauen, wo ein einfaches Gutscheinsystem Equal Pay Day geben, der symbolisch den ge- haushaltsnahe Dienstleistungen monetär und schlechtsspezifischen Entgeltunterschied mar- in der Reputation aufwertet. Dort kann jeder kiert. Rot ist am Equal Pay Day die Farbe der und jede pro Jahr eintausend Neun-Euro-Gut- Entgeltgleichheit. Tragen Sie einen roten Schal, scheine erwerben. Diese können bei Unter- spannen Sie rote Schirme auf! Gehen Sie auf nehmen eingelöst werden, die haushaltsnahe die Straße, zu Diskussionen, sprechen Sie über Dienstleistungen versicherungspflichtig an- faire Bezahlung. Und nehmen Sie Ihre Partner bieten. Die Mehrkosten übernimmt der Staat. mit. Denn Gleichstellung geht nur gemeinsam. 15
HC APRIL 2020 FRAUEN UND ARBEIT Geschlechtergerechtigkeit: Viel erreicht und weit entfernt 1 Von einer echten Geschlechtergerechtigkeit sind wir immer noch weit entfernt. Wirkmächtige Stereotype, Rollenklischees, strukturelle Diskriminierungen und eine fehlende soziale Infrastruktur führen dazu, dass Frauen nach wie vor weniger verdienen als Männer und nicht die gleichen Chancen haben, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. In unserem täglichen Leben unterrichten wir Fakten viele Studentinnen und betreuen Doktoran- dinnen, die meisten zeigen ausgezeichnete Nüchterne Zahlen zeigen: Der Frauenanteil bei Leistungen. In den Spitzenämtern der Wissen- W3-Professuren, den höchsten akademischen schaft und Wissenschaftsverwaltung begegnen Positionen, liegt 2016 in Deutschland bei 19 wir dagegen nur wenigen Frauen, unsere Lau- Prozent. Alle vier Spitzenorganisationen der dationes halten wir meist für Männer, auf Kon- außeruniversitären Forschung werden von ferenzen folgen wir vielen Manels, also Panel- Männern geführt. diskussionen, die nur unter Männern geführt werden. Wir leben in einem Land, das poli- Die Wissenschaft ist keine Ausnahme, Politik tisch überwiegend von Männern repräsentiert und Wirtschaft bieten ein ähnlich erschre- wird und dessen Wirtschaft nach wie vor fest ckendes Bild. Der Frauenanteil im deutschen in Männerhand liegt. In einem Land, in dem Parlament ist mit knapp 31 Prozent so gering Prof.in Dr.in h.c. Jutta Allmendinger Männer deutlich mehr als Frauen verdienen wie seit 1998 nicht mehr. In der Wirtschaft Präsidentin des Wissenschaftszen- und sich Frauen deutlich mehr als Männer um liegt der Frauenanteil in den Vorständen der trums Berlin für Sozialforschung andere kümmern. Wir haben beide die Erfah- 160 Unternehmen, die in den Börsenindi- (WZB) und Soziologin rung gemacht, hochgelobt zu werden und doch zes Dax, MDax und SDax verzeichnet sind, in der zweiten Reihe zu landen. In Gremien bei 8,6 Prozent. Die Chefetagen dieser Kon- berufen und erst nach einer Weile geschätzt zerne sind zu 67 Prozent ausschließlich mit und integriert zu werden. In Gehaltsverhand- Männern besetzt. Betrachtet man nur die 30 lungen zu stecken, ohne zu wissen, was unsere Dax-Unternehmen, liegt der Frauenanteil bei Vorgänger verdient haben. Intransparenz ist 14,5 Prozent. In den Aufsichtsräten dieser das Gegenteil von Ermächtigung und der Dün- Konzerne sind deutlich mehr Frauen vertre- ger für Stereotype. Oft haben wir Stereotype ten, 2019 sind es knapp 30 Prozent. Doch ih- selbst befördert. Freiwillig und ohne Murren nen fehlt es an der Hebelwirkung, die so viele Arbeit in Gremien übernommen, anstatt zu erhofft haben. forschen. Zu viele Dinge parallel gemacht, weil wir immer für unser Multitasking gelobt wur- Die Präsenz von Frauen in hohen Positionen den, ohne diese Fähigkeit in besonderem Maße mag für viele Frauen relativ unerheblich sein. zu haben. Gewehrt haben wir uns nicht. Ganz anders ist das bei dem, was Frauen und Männer verdienen. Im Jahr 2018 haben Frauen Prof.in Dr.in Dorothea Kübler Aber wir verändern auch Dinge. Oft sind wir pro Stunde 21 Prozent weniger verdient als Direktorin der Abteilung „Verhalten ein Vorbild, ohne es zu wissen. Wir fördern Männer. Im Vergleich zu den Unterschieden auf Märkten“ am WZB Frauen, sind Mentorinnen. Hier und da kön- zwischen Frauen und Männern im Monats-, nen wir die Spielregeln ändern, Frauen sicht- Jahres- und Lebenseinkommen sind diese Fotos: WZB/David Ausserhofer bar machen. 21 Prozent geradezu trivial. Da Frauen sehr häufig in Teilzeit arbeiten (müssen), ihre Er- werbstätigkeit aufgrund der Erziehung von Kindern und der Pflege von Eltern immer wie- der unterbrechen und zudem oft in Branchen 1 Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des gleichna- und Betrieben tätig sind, die ein niedrigeres migen Beitrags der Autorinnen in: Allmendinger, Jutta/ Lohnniveau als Männerbranchen und große Jarren, Otfried/Kaufmann, Christine/Kriesi, Hanspeter/ internationale Konzerne haben, kumulieren Kübler, Dorothea (Hg.) (2019): Zeitenwende. Kurze Ant- die Unterschiede im Bruttostundenverdienst worten auf große Fragen der Gegenwart. Zürich: Orell über den Lebensverlauf. Dies zeigt die Höhe Füssli Verlag, S. 123–132. der Renten aus eigener Erwerbstätigkeit. Der 16
FR AU EN U ND A R BEI T HC APRIL 2020 Gender Pension Gap liegt 2016 bei 53 Prozent. mittlerweile Untersuchungen, die auf ent- Bis zum Jahr 2015 konnte man zugespitzt for- scheidende strukturelle Hindernisse eines sol- mulieren, dass eine durch Heirat von Männern chen Kulturwandels hinweisen. Sie zeigen zu- abgeleitete Rente wesentlich höher ist als die nächst, dass Frauen dazu tendieren, Aufgaben eigene Altersrente der Frauen. Der Heirats- zu übernehmen, die nicht karriereförderlich markt war damit für Frauen finanziell lukrati- sind. Wir beide haben das selbst allzu oft ge- ver als der Arbeitsmarkt. tan. Aber machen Sie doch selbst den Test: Wer meldet sich auf die Frage, wer das Protokoll Diese Fakten beschreiben die positionale schreibt? Frauen neigen auch eher als Männer und finanzielle Lage von Frauen. Die Frage dazu, Situationen aus dem Weg zu gehen, in nach den Ursachen beantworten sie zunächst denen sie im Wettbewerb stehen oder Risiko nicht. Eine umfangreiche Literatur beschäftigt ausgesetzt sind. Schon bei Schülerinnen zeigt sich genau damit. So wird beim Gender Pay sich das (Vgl. Niederle/Vesterlund 2010). Und Gap der erklärte und der unerklärte Anteil Frauen vermeiden es im Vergleich zu Män- der Lohnunterschiede beschrieben. Je mehr nern, über ihr Gehalt zu verhandeln. Auch das Merkmale des Berufs- und Lebensverlaufs von kennen wir beide aus eigener Erfahrung. Frauen und Männern man in diese Berech- nungen steckt, umso höher wird der erklärte Begründet werden diese Verhaltensunter- und umso niedriger der unerklärte Anteil. schiede gerne mit Argumenten à la „Frauen Entsprechend beziffern einige den unerklär- sind ‚von Natur aus‘ risikoscheuer und har- ten Anteil auf sechs Prozent, andere dagegen moniebedürftiger als Männer“. Biologistische auf nur zwei Prozent. Erklärungen dieser Art sind jedoch Teil des Problems. Um geschlechtsspezifische Verhal- An der Lebenswirklichkeit der Frauen ändern tensmuster besser zu verstehen, ist vielmehr diese statistischen Finessen nichts. Man geht ein Blick auf gesellschaftliche Zuschreibungen zwar gemeinhin davon aus, dass allein der und Stereotype notwendig. Es erweist sich, unerklärte Anteil der Lohndifferenz zwischen dass das Geschlecht einen Einfluss darauf hat, Männern und Frauen das Ausmaß der Dis- wie Menschen eingeschätzt werden. Gemein- kriminierung bezeichnet. Dieses Argument same Publikationen von Männern und Frauen kaufen wir jedoch so nicht. Der deutsche So- werden eher den Männern zugerechnet. (Wir zialstaat geht vom Ein-Verdiener-Haushalt aus; vermuten, dass es bei einem gemeinsam ge- das Ehegattensplitting und die beitragsfreie kochten Abendessen oder gut erzogenen Kin- Mitversicherung der Partnerin in der gesetzli- dern umgekehrt ist.) Auch Diskriminierung ist chen Krankenversicherung sprechen für sich. oft Ausdruck von Stereotypen. Damit könnte Die unterschiedliche Bezahlung von Männer- man erklären, dass Bewerberinnen für Ausbil- und Frauenberufen ist als solche erklärungs- dungsplätze in männerdominierten Berufen bedürftig. Weiterhin verhindern fehlende gegenüber männlichen Bewerbern benachtei- Kitas und Ganztagsschulen oft, dass Eltern – ligt werden (Vgl. Kübler et al. 2018). und hier wiederum in der Mehrheit der Fälle Mütter – Vollzeit arbeiten. Der erklärte Anteil Für Frauen ergibt sich daraus oft eine No- des Pay Gaps ist damit keineswegs frei von Dis- win-Situation. Ein Experiment von Lena Hipp kriminierungen, und die unerklärte Lohnlücke (2018) hat das eindrücklich gezeigt. Unter- kann ihrerseits nicht mit Entgeltdiskriminie- sucht wurde, ob die Wahrscheinlichkeit, zu rung gleichgesetzt werden. einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, von der Dauer der Elternzeit abhängt. Erklärungen Entsprechend wurden Bewerbungsschreiben entworfen, in denen sich nur das Geschlecht Erst seit 60 Jahren müssen Frauen ihre Ehe- der Bewerber (Frau, Mann) und die Dauer der männer nicht mehr darum bitten, wenn sie Elternzeit (zwei Monate, zehn Monate) unter- erwerbstätig sein wollen. Das Recht auf einen schieden. Bei Männern zeigten sich keine Un- Kitaplatz für Kinder ab drei Jahren besteht seit terschiede nach der Dauer der Elternzeit, wohl 1996, seit 2013 ab dem ersten Lebensjahr. Ein aber bei Frauen. Hatten diese zehn Monate Recht auf einen Ganztagsschulplatz gibt es bis ausgesetzt, so wurden sie deutlich häufiger heute nicht. eingeladen als Frauen, die nur zwei Monate unterbrochen hatten. Mütter, die nur kurz un- Vor diesem Hintergrund meinen Viele, dass terbrechen, werden als überambitionierte Ra- die Gleichstellung von Männern und Frauen benmütter wahrgenommen, das sorgende em- nur eine Frage der Zeit ist. Kulturen sind ver- pathische Moment wird ihnen abgesprochen. änderungsträge, soviel ist klar. Aber es gibt Solche Mitarbeiterinnen will man nicht. 17
HC APRIL 2020 FRAUEN UND ARBEIT Meistens wird nicht bewusst diskriminiert, pflichtigen 400-Euro-Jobs, all das setzt falsche sondern es handelt sich um eine implizite Dis- Anreize für ein Verhalten, das mittel- und kriminierung, also um eine, die auf unbewuss- langfristig Frauen in die Abhängigkeit von ten Voreinstellungen und Stereotypen beruht. Männern und dem Staat führt. Wir ertappen uns regelmäßig dabei, davon aus- zugehen, dass eine Gruppe uns unbekannter Auch die Auswahl von neuen Mitarbeiterin- Personen von einem der anwesenden Männer nen und Mitarbeitern lässt sich gerechter ge- geleitet wird, nicht von einer der Frauen. Ste- stalten. Wenn Stellen einzeln besetzt werden, reotype Erwartungen produzieren die entspre- noch dazu durch unterschiedliche Personen, chenden Verhaltensweisen. Die Erwartungen passiert es oft, dass ein Mann nach dem ande- an Frauen und Männer und ihr Verhalten sta- ren ausgewählt wird, jedes Mal nur einer, aber bilisieren sich auf unheilige Weise gegenseitig am Ende ist der Anteil von Frauen mager. Ein und zementieren den Status quo. ungünstiges Verhältnis zwischen Frauen und Männern fällt aber sofort auf, wenn gruppen- Handlungsansätze weise eingestellt wird. Seit wir beispielsweise für Doktorand*innenprogramme alle Einstel- Es ist schwer, Stereotype und Verhalten direkt lungen gesammelt nur noch einmal im Jahr zu beeinflussen. Dagegen lassen sich die Insti- vornehmen, konnten wir dort spürbar den tutionen und die Regeln des Zusammenlebens Frauenanteil erhöhen. gut verändern. Quoten für Frauen können eine wirksame Einige Maßnahmen sind wichtig und in aller Maßnahme sein. Sie verändern, was als Nor- Munde, aber immer noch nicht umgesetzt. Die malität empfunden wird, etablieren neue ausreichende Bereitstellung von qualitativ gu- Rollenmodelle und helfen, Stereotype abzu- ten Kitaplätzen sowie die Ganztagsbetreuung bauen. Sie können Frauen die Chance geben, von jüngeren Schulkindern gehören dazu. sich zu beweisen. Aber Quoten für jede noch Warum erhöhen wir nicht die Zahl von Väter- so unwichtige Aufgabe und Kommission sind monaten bei der Elternzeit, die dann verfallen, kontraproduktiv, wenn sie dazu führen, dass wenn sie der Vater nicht in Anspruch nimmt? Frauen weniger Zeit für ihre Kernarbeit haben. Das Ehegattensplitting, die Mitversicherung Quoten müssen an strategisch wichtigen Stel- von (meist) Frauen, die nicht versicherungs- len eingesetzt werden, nicht immer und über- all. Betriebe sollten Beförderungen nicht davon Literatur abhängig machen, ob Frauen ihren Hut in den Ring werfen, sondern alle infrage kommenden Allmendinger, Jutta (2018): Sind die Besten wirklich die Besten? Personen für die Beförderung berücksichtigen. Wettbewerb und Chancengerechtigkeit auf dem Prüfstand, in: Blam- Dann erhalten auch Frauen eine Chance, die berger, Günter/Freimuth, Axel/Strohschneider, Peter (Hg.): Vom den Wettbewerb scheuen oder einer sozialen Umgang mit Fakten. Antworten aus Natur-, Sozial- und Geisteswis- Norm folgen, sich nicht zu exponieren und senschaften, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, S. 91–98. gegen Männer anzutreten. Ein weiterer Nach- teil für Frauen bei Beförderungen besteht in Hipp, Lena (2018): Damned If You Do, Damned If You Don’t? Ex- perimental Evidence on Hiring Discrimination against Parents with der gängigen Praxis, die Selbstbeurteilung der Differing Lengths of Family Leave. URL: https://osf.io/preprints/so- Angestellten einzuholen, bevor die Vorgesetz- carxiv/qsm4x (aufgerufen am 27.08.2018) ten ein Urteil fällen. Frauen schätzen sich im Durchschnitt schlechter ein als Männer, bei Kübler, Dorothea/Schmid, Julia/Stüber, Robert (2018): Gender gleichen Fähigkeiten. Besser ist es, wenn die Discrimination in Hiring across Occupations: A Nationally-Repre- Vorgesetzten ihre Meinung bilden, bevor sie sentative Vignette Study. Labour Economics, 55, S. 215–229. die Selbsteinschätzung kennen. Auch das ist leicht umsetzbar. Niederle, Muriel/Vesterlund, Lise (2010): Explaining the Gender Gap in Math Test Scores: The Role of Competition. Journal of Economic Gerechtigkeit der Geschlechter ist ein großes Perspectives, 24(2), S. 129–144. Ziel. Es gibt mächtige Hindernisse, von der fehlenden sozialen Infrastruktur bis zu Vorur- teilen und Geschlechterstereotypen. Wir kön- nen die Regeln so gestalten, dass Mädchen und Jungen die gleichen Chancen haben, Lebens- pläne zu entwickeln und zu verwirklichen. Wir müssen es nur auch tun. 18
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