Hoch geschätzt- Die zentrale ...

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Hoch geschätzt- Die zentrale ...
11. Jahr gang | Ap ri l 2 0 2 0

 Schwerpunkt
 FRAUEN UND ARBEIT

 #WERTSACHE Arbeit
 Fair ist, wenn Gleiches
 gleich entlohnt wird

 Brauchen wir eine
 Care Revolution?
                                  „Hoch geschätzt –
 Antifeminismus als
 Gefahr für die Gleich-
 stellungsarbeit
                                   gering vergütet?!?“
                                  Büro in der Stadtverwaltung,
                                  Essen, 2. Hälfte, 50er Jahre
Hoch geschätzt- Die zentrale ...
„… gleicher Lohn für
     gleiche Arbeit ohne
Unterschied des Geschlechts.“
 Zetkin, Clara 1893: Frauenarbeit und gewerkschaftliche Organisation, in: Die Gleichheit, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, Stuttgart.

            Clara Zetkin (1857 – 1933)
            Politikerin, Frauenrechtlerin und
            Friedensaktivistin. Sie war eine
            der prägenden Initiatorinnen des
            Internationalen Frauentags und
            Vorkämpferin für die ökonomische
            Unabhängigkeit von Frauen.
Hoch geschätzt- Die zentrale ...
HC APRIL 2020

Editorial

Liebe Leser*innen,

im Jahr 1893 forderte die sozialistische Po-      Viel erreicht und weit entfernt“. Sie iden­   ti­
                                                                                                  fi­
litikerin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin,      zieren wirkmächtige Geschlechterstereotype,
„gleiche[n] Lohn für gleiche Arbeit ohne Un-      mangelnde Vereinbarkeit von Familie und
terschied des Geschlechts“. Seither hat sich      Beruf und strukturelle Diskriminierung als
                                                  ­
viel getan in Sachen Gleichberechtigung. Aller-   Barrieren von Geschlechtergerechtigkeit. Es be-
dings hat Zetkins Forderung nichts an Aktua-      darf eines grundlegenden Kulturwandels und
lität eingebüßt. Denn: Nach wie vor verdienen     eines Umdenkens bezüglich der Aufteilung
Frauen durchschnittlich deutlich weniger als      von Erwerbs- und Sorgearbeit – ja, einer „Care
ihre männlichen Kollegen, Partner und Ehe-        ­Revolution“, wie sie Svenja Flaßpöhler in ihrem
männer. Die Lohnlücke zwischen Frauen und          gleichnamigen Beitrag fordert. Gleichzeitig gilt
Männern, der sogenannte Gender Pay Gap,            es jenen politischen Kräften und antifeministi-
beträgt in Deutschland seit Jahren weitgehend      schen Stimmen entschlossen und solidarisch
konstant 21 Prozent. Das ist ein gleichstel-       entgegenzutreten, die – wie Judith Rahner in
lungspolitischer Missstand, der gerne kleinge-     ­ihrem Artikel „Antifeminismus als Gefahr für        Dr.in Ursula Fuhrich-Grubert
redet und ‚übersehen‘ wird.                         die Gleichstellungsarbeit“ schildert –, die er-     Seit 2009 zentrale Frauenbeauftragte
                                                    reichte Gleichstellung der Geschlechter am          der Humboldt-Universität zu Berlin
Wie ist dieser geschlechtsspezifische Einkom-       liebsten wieder zurückdrehen würden.                frauenbeauftragte@hu-berlin.de
mensunterschied zu erklären? Was sagt der
                                                                                                        Foto: Barbara Herrenkind
Gender Pay Gap über unsere Gesellschaft, über     Es gibt jedoch auch Anlass optimistisch in die
Rollenvorstellungen, über die Organisation        Zukunft zu blicken: Als Arbeitgeberin bietet die
von Erwerbs- und Sorgearbeit aus? Was muss        HU flexible Instrumente, um Pflegeverantwor-
sich ändern, damit sich Gleichberechtigung        tung und Beruf/Studium miteinander zu verein-
auch auf dem Gehaltszettel widerspiegelt und      baren, zahlreiche Initiativen von Student*innen
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts          und Wissenschaftler*innen engagieren sich für
der Vergangenheit angehört?                       eine klimagerechte und nachhaltige Universität
                                                  und Professorinnen wir Liliana Ruth Feierstein,
Die aktuelle Ausgabe der humboldt chancen-        unsere diesjährige „Humboldtianerin“, verdeut-
gleich zum Thema „Frauen und Arbeit“ setzt        lichen einmal mehr wie spannend und politisch
sich in ihrem Schwerpunkt mit allen diesen        relevant Wissenschaft sein kann.
Fragen auseinander. Ausgangspunkt war die
Frauenvollversammlung am 11. März 2019,           Enden möchte ich mit einem Zitat von Simone
auf der die Frauen der Humboldt-Universität       de Beauvoir: „Frauen, die nichts fordern, wer-
eine Resolution zu „Entgeltgerechtigkeit und      den beim Wort genommen – sie bekommen
-transparenz im Hochschulbereich“ verab-          nichts.“ In diesem Sinne gilt es die oben ge-
schiedeten. Schließlich besteht auch im öffent-   nannte Forderung von Clara Zetkin aufrecht-
lichen Dienst noch großer Handlungsbedarf         zuerhalten!
hinsichtlich einer geschlechtergerechten Be-
wertung und Vergütung von Arbeit, wie An-         Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre
drea Jochmann-Döll in ihrem Beitrag „Hoch
geschätzt – gering vergütet?!?“ aufzeigt.         Ihre

Die Gründe dafür, dass Frauen weniger verdie-
nen und schlechtere Karrierechancen haben
als Männer sind gesellschaftlicher Natur, beto-
nen Jutta Allmendinger und Dorothea Kübler
unter dem Titel „­ Geschlechtergerechtigkeit:     Dr.in Ursula Fuhrich-Grubert

                                                                                                                                       3
Hoch geschätzt- Die zentrale ...
HC APRIL 2020   MIT SPITZER FEDER

                           Meine liebe, süße Tochter,                       sagt’ ich, dass es doch ein Schönes am
                                                                            Menschen ist, dass die Grade der Vervoll-
                           gestern fuhren wir nach Tegel, frühstück-        kommnung, des Besser- und Reinerwer-
                           ten und gingen aus spazieren. Unser teu-         dens, des Aufgehens an innerem Frieden
                           rer Vater war in einem sehr aufgeregten          und Klarheit schon hier an kein Alter,
                           Gemütszustand. Er sprach beinahe den             an kein Geschlecht, an keine Lage, an
                           ganzen Sonntagvormittag nur über die             nichts Irdisches gebunden sind und doch
                           Universität in Berlin und darüber, wann          so herrlich und einzig bleibend eigentlich
                           endlich diese wissenschaftliche Anstalt          auf alles Irdische einwirken. Da blieb
                           nichts anderes sei als das geistige Le-          er endlich stehen, blickte mich sehr ver-
                           ben der Menschen, nicht bloß eine Ver-           sonnen und auch sehr zufrieden an und
                           bindung von Männern gleichen Alters,             sprach: „So ist’s, dein Wort, und doch,
                           wie er es vor Zeiten in einer längst ver-        als hätte ich’s gesagt, mein teures, liebs-
                           gessenen Denkschrift formuliert hatte.           tes Herz. Wie so wahlverwandt wir beide
                           Nichts anderes als das geistige Leben            sind, du, meine lebendige Kraft, und
                           der Menschen, das es nicht mit fertigen          ich“. Und dann frug Dein Vater mich,
                           und abgemachten Kenntnissen zu tun               ob nicht aber doch, um auf den höhe-
                           hat, sondern mit etwas noch nicht ganz           ren wissenschaftlichen Anstalten solches
                           Gefundenem und nie ganz Aufzufinden-             tiefe Denken zu erlernen, der Schüler wie
                           dem, mit der Wissenschaft. Sobald man            der Student einen Lehrer braucht, wenn
                           sich einbilde, es könne durch Sammeln            auch an solchen Anstalten das Verhält-
                           extensiv aneinander gereiht werden, als-         nis der beiden durchaus ein anderes wäre
                           bald ist Alles, so deklamierte er, Alles un-     als an den gelehrten Schulen. Da ward
                           wiederbringlich und auf ewig verloren,           ich bestimmt und sagte ihm, dass das
                           verloren für die Wissenschaft und verlo-         Denken im Menschen wesentlich an ein
                           ren für die Menschen.                            geselliges Dasein gebunden ist und der
                                                                            Mensch zum bloßen Denken eines dem
                           Und weil er sich so sehr erregte, legte ich      Ich entsprechenden Du bedarf und jeder
                           schließlich, als wir den Krug von Tegel          Begriff seine Bestimmtheit und Klarheit
                           erreichten, meine Hand beruhigend auf            erst durch das Zurückstrahlen aus einer
                           Deines geliebten Vaters Hand. Und dann           fremden Denkkraft erreicht.

                                                          Caroline von Humboldt (1766 – 1829),
                                                          Kunstsammlerin, Mäzenin und
                                                          Ehefrau von Wilhelm von Humboldt
                                                          (1767 – 1835). Hinterlassen hat sie
                                                          einen großen Briefwechsel, u.a. mit
                                                          Christian Daniel Rauch, Rahel Levin
                                                          Varnhagen und mit ihrem Ehemann.

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                MIT SPITZER FEDER                        HC APRIL 2020

                                                                                               Im Hauptgebäude der Humboldt-
                                                                                               Universität gibt es an einer Stelle
Als ich das gesagt hatte, war ihm plötzlich    Kurz bevor wir, nun doch sehr hung-             eine Raum-Zeit-Verwirbelung, von
ganz eilig, wieder ins Haus zu kommen.         rig, im Gespräch vertieft, das geliebte         der bislang nur wenige wissen. Die
Und vom Mittag im Krug wollte er so gar        stille Haus erreichten, noch fast unter         exakten Eigenschaften dieser phy-
nichts mehr wissen, so rasch lief er zurück.   der dicken Marie (nicht wahr, Du erin-          sikalischen Singularität sind noch
Und fast noch aufgeregter als vorher fuhr      nerst Dich an den Baum, der im letzten          nicht vollends aufgeklärt. Es ist
er fort zu deklamieren: „Es können ja          Frühjahr noch einmal zugelegt hat an            nicht zu viel gesagt, wenn wir von
gar nicht alle Menschen in die Universi-       Umfang und Grün?), sagte mein teures,           einer veritablen Sensation spre-
tät zu Berlin eintreten, allen Alters, aller   liebstes Herz: „Offene Wissenschaft sollt‘      chen, konnten doch mit Hilfe in-
Geschlechter, aller Lage. Aber die drinnen     ich’s nennen, so offen wie das Denken für       novativer Methoden in den letzten
können hinaustreten. Und für dieses in-        alle Menschen, allen Alters, allen Ge-          Jahren einige Briefe der Caroline
wendige Hinaustreten gibt es äußere For-       schlechts, für die drinnen und draußen“.        von Humboldt sowie, in einem Fall,
men und Mittel in einer positiven Gesell-      Und wie so oft, hatte ich genau dasselbe        ihres Ehemanns Wilhelm aus dem
schaft“. Und da sagte ich, geliebtes Kind,     auch gedacht im selben Augenblick, nur          Zentrum dieser Verwirbelung auf-
unserem teuren Vater, wie schön ich es         noch bei mir gedacht, man möchte’s auch         gefangen und entschlüsselt werden.
doch fände, wenn man wollte in dem schö-       noch übersetzen für Alexander ins Fran-         Diesmal entpuppte sich die dechiff­
nen Saale der Sing-Akademie gleich neben       zösische und für den Prinzregenten ins          rierte Nachricht als ein Brief Caro-
dem Universitätslokale für alle Stände le-     Englische, „Open science“ oder ähnlich.         lines an ihre Tochter Gabriele von
sen lassen, und er schlug mir drauf gleich     Trotz all dessen, trotz meines bestimmten       Bülow. Die Exklusivrechte an dem
vor, doch flugs dem Bruder Alexander zu        Redens, trotz seines sehr aufgeregten Ge-       Abdruck des Briefes liegen bei der
schreiben, er möchte in eben diesem Saale      mütszustandes und vielleicht gerade des-        humboldt chancengleich.
seine Gesamtschau der wissenschaftlichen       wegen mundete die heiße Schokolade gar          Es folgt – ein Brief vom Dezember
Weltsicht vortragen, und dann würden           köstlich, die man uns servierte, als wir        2019. C.M
gewiss nicht nur wir en famille zu seinen      eingetreten waren.
Füßen sitzen und gemeinschaftlich par-
lieren. Wissenschaft, so sagte ich unserem     Doch lebe wohl, geliebte Tochter, ich habe
Vater, ist nicht nur unablässig sie als sol-   wenig Zeit wegen Schleiermacher und
che suchen in Einsamkeit und Freiheit,         dem Maler, der mein Portrait vor seiner
sondern im wechselweisen Zurückstrahlen        Abreise fertig haben muss. Gedenke Dei-
lebendiger Geisteskraft, was geschieht zu-     ner Dich liebenden Eltern und Deiner
vörderst in Geselligkeit. Das immer fortge-    Dich herzlich liebenden Mutter
setzte Suchen und das nie abgeschlossene       Caroline
Finden in nicht endender gemeinschaftli-
cher Geselligkeit.

Ein Text von Christoph Markschies, Dekan der Theologischen Fakultät und Professor für Ältere
Kirchengeschichte und Patristik an der Humboldt-Universität.

                                                                                                                                     5
Hoch geschätzt- Die zentrale ...
in aller kürze
                                                                              Inhalt
Diversität an der HU                                                              EDITORIAL       3
2019 wurde an der HU eine
universitätsweite Online-Umfrage                                        MIT SPITZER FEDER         4
zum Thema Diversität durchgeführt.
Die Daten zeigen, dass viele HU-                INHALTSVERZEICHNIS & IN ALLER KÜRZE              6
Angehörige Diskriminierungen erfahren
und ein großer Handlungsbedarf
besteht. Ausgehend von den                              CHANCENGLEICH SCHWERPUNKT
Ergebnissen der Umfrage koordiniert
die AG Diversität die schrittweise                      Hoch geschätzt – gering ­vergütet?!?      8
Umsetzung von Maßnahmen für ein                 Zur Bewertung und Vergütung der Arbeit von
diskriminierungsfreies, inklusives                    Frauen und Männern an Hochschulen
Miteinander an der HU.
                                                   RESOLUTION zur Entgelttransparenz und         11
                                                 -gerechtigkeit an der Humboldt-Universität:
                                                      Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit!

                                                                        #WERTSACHE Arbeit        13
                                                  Fair ist, wenn Gleiches gleich entlohnt wird
40 Jahre UN-
Frauenrechtskonvention                                            Geschlechtergerechtigkeit:     16
Am 18. Dezember 1979 verabschiedeten                           Viel erreicht und weit entfernt
die Vereinten Nationen die
Frauenrechtskonvention (Convention                       Brauchen wir eine Care Revolution?      19
on the Elimination of All Forms of
Discrimination Against Women –                                     Antifeminismus als Gefahr     21
CEDAW). Die Konvention verbietet                                 für die Gleichstellungsarbeit
völkerrechtlich verbindlich jede Form der
Diskriminierung von Frauen und stellt
klar: Frauenrechte sind Menschenrechte!                          FORSCHUNG UND LEHRE

                                                        Kleines Format, langfristige Wirkung:    24
                                            Die interdisziplinären WiNS-Sommerschulen der
                                            Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät

                                            „HU For Future“: Klimaschutz und Nachhaltigkeit      26
Siri, Alexa & Co. reproduzieren                       an der Humboldt-Universität zu Berlin
Geschlechterstereotype
Die UNESCO kritisiert in einem Bericht,                    Mehr Chancengerechtigkeit durch       29
dass durch digitale Sprachassistenten                            digitale Lehrentwicklung?!
– oder besser gesagt, Assistentinnen
– Geschlechterrollen und -klischees
verfestigt werden. Alexa, Siri und                                DIE HUMBOLDTIANERIN
Co. verkörpern in Stimme und
Antwortverhalten mehrheitlich junge              Wissenschaft als nachträglicher Widerstand      32
Frauen und eine ‚unterwürfige‘                              gegen den Nationalsozialismus
Persönlichkeit.                                     Ein Gespräch mit Liliana Ruth Feierstein
Hoch geschätzt- Die zentrale ...
in aller kürze

     FAMILIÄR                                                      Parität im Parlament
                                                    Von echter Parität auf allen Politikebenen
34   Vorsichtig optimistisch – wie das Thema          ist Deutschland noch weit entfernt. Als
     Pflege langsam ins Bewusstsein der                   erstes Bundesland hat Brandenburg
     Humboldt-Universität rückt                       daher im Januar 2019 eine verbindliche
                                                             Frauenquote für die Landeslisten
38   „An sich ist es ja ein schöner Beruf“ –                 der Parteien bei Landtagswahlen
     Ein Einblick in den Alltag einer Kitaleitung             beschlossen. Mit der Kampagne
                                                    #mehrfrauenindieparlamente fordert der
41   Kitaplatz? Fehlanzeige! –                       Deutsche Frauenrat zudem, im Rahmen
     Tagebuch einer Kitaplatzsuche                         der anstehenden Wahlrechtsreform
                                                            auf Bundesebene sicherzustellen,
                                                        dass zukünftig Männer und Frauen je
     INTERNATIONAL                                      zur Hälfte die Mandate im Bundestag
                                                                                   innehaben.
43   Eine Bewegung sorgt für Stillstand
     Zum feministischen Streik in der Schweiz

     VERNETZT

46   Frauen, verbündet euch!                                      Social Media bremst
                                                               Gleichberechtigung aus
47   METIS – Gender Equality and                        Je intensiver junge Menschen soziale
     Family Friendliness in Research Alliances at      Medien nutzen, desto stärker denken
     Humboldt-Universität zu Berlin                        sie in veralteten Rollenbildern und
                                                    vergeschlechtlichten Schönheitsnormen,
                                                       so das Ergebnis einer Studie von Plan
     VORGESTELLT                                                                 International.

48   Neue Stellvertreterinnen
     der zentralen Frauenbeauftragten

     VERANSTALTET

52   Aktionstag gegen sexualisierte
     Diskriminierung und Gewalt

     PRAKTISCH

54   Neu: Leitfaden für geschlechtergerechte
     (Bild-)Sprache an der HU

55   VERANSTALTUNGEN
Hoch geschätzt- Die zentrale ...
HC APRIL 2020                     FRAUEN UND ARBEIT

                                        Hoch geschätzt – gering
                                       ­v ergütet?!?
                                       Zur Bewertung und Vergütung der Arbeit von Frauen und
                                       Männern an Hochschulen

                                       Oft wird behauptet – oder auch nur gehofft – im öffentlichen Dienst und auch an Hochschulen seien die
                                       Tätigkeiten von Frauen und Männern gerecht bewertet und bezahlt. Es gelte schließlich ein Tarifvertrag,
                                       der nicht nach Geschlecht differenziert, sondern Entgelte nach der ausgeübten Tätigkeit bestimmt. Lei-
                                       der ist dies ein Trugschluss, wie eine Analyse des geltenden Tarifvertrags der Länder und Prüfverfahren
                                       an Hochschulen ergeben haben.

                                       Wann bewertet ein Tarifvertrag Arbeit gerecht?       vor allem für frauendominierte Arbeitsplätze
                                                                                            relevant sind, nicht berücksichtigt und damit
                                       In Tarifverträgen, genauer gesagt: in den Ent-       nicht bewertet, wie beispielsweise kommuni-
                                       geltordnungen der Tarifverträge, haben die           kative und kooperative Anforderungen, Anfor-
                                       Tarifvertragsparteien festgelegt, wie Arbeit zu      derungen im Bereich Planen und Organisieren
                                       bewerten ist und wie die Tätigkeiten einzu-          oder psycho-soziale Belastungen. Ein zweiter
                                       gruppieren sind. Dabei gibt ihnen die Tarifau-       problematischer Punkt ist, dass die Entgeltord-
Dr.in Andrea Jochmann-Döll             tonomie zwar einen weitgehenden Spielraum,           nung in vier Teile untergliedert ist, die jeweils
Gründerin des Forschungs- und          dieser ist jedoch begrenzt durch das Grund-          unterschiedliche Bewertungskriterien und
Beratungsbüros GEFA (Gender.           recht auf Entgeltgleichheit nach der Formel          -maßstäbe aufweisen. Eine einheitliche Bewer-
Entgelt.Führung.Arbeit). Sie hat die   „Gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige     tung der Tätigkeiten erfolgt somit nicht, was
Prüfinstrumentarien eg-check.de und    Arbeit“. Was dies konkret bedeutet, haben die        die Überprüfung der Diskriminierungsfreiheit
gb-check mitentwickelt.                Europäische Gender-Richtlinie und der Euro-          erschwert. Drittens werden manche Tätigkeiten
                                       päische Gerichtshof in den vergangenen Jahr-         teilweise allein aufgrund ihrer Bezeichnung
Foto: privat
                                       zehnten mit verschiedenen Urteilen präzisiert.       eingruppiert, ohne dass nachvollziehbar wird,
                                       In § 4 Abs. 4 Entgelttransparenzgesetz (Entg-        aufgrund welcher Anforderungen dies erfolgt.
                                       TranspG) werden diese Anforderungen zusam-           Viertens sind die Anforderungsmerkmale und
                                       mengefasst. Danach müssen Entgeltsysteme             ihre Abstufungen teils gar nicht, teils uneindeu-
                                       • die Art der zu verrichtenden Tätigkeit objek-      tig definiert, so dass Spielräume bei der Ein-
                                         tiv berücksichtigen,                               gruppierung entstehen, die sich aufgrund von
                                       • auf für weibliche und männliche Beschäf-           Geschlechterstereotypen nachteilig für frauen-
                                         tigte gemeinsamen Kriterien beruhen,               dominierte Tätigkeiten auswirken können.
                                       • die einzelnen Differenzierungskriterien dis-
                                         kriminierungsfrei gewichten und                    Wie kann Arbeit gerecht(er) vergütet werden?
                                       • insgesamt durchschaubar sein.
                                                                                            Wie es besser geht, ist hinlänglich bekannt: Es
                                       Entspricht der TV-L den Anforderungen an dis-        wurden bereits in verschiedenen Ländern (etwa
                                       kriminierungsfreie Arbeitsbewertung?                 in der Schweiz, in Schweden, Belgien und
                                                                                            Kanada) Verfahren entwickelt, die den Anfor-
                                       Für die tariflichen Beschäftigten der Hum-           derungen an diskriminierungsfreie Arbeitsbe-
                                       boldt-Universität gilt die Entgeltordnung des        wertung entsprechen. Auch die Internationale
                                       Tarifvertrages der Länder, kurz TV-L. Eine Ana-      Arbeitsorganisation, eine Sonderorganisation
                                       lyse im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle       der Vereinten Nationen zuständig für die For-
                                       des Bundes hat ergeben, dass diese Entgeltord-       mulierung und Durchsetzung internationaler
                                       nung nicht alle Anforderungen des EntgTran-          Arbeits- und Sozialstandards, hat einen Leitfa-
                                       spG erfüllt (vgl. ADS 2018).                         den mit vielen praktischen Hinweisen heraus-
                                                                                            gegeben (ILO 2016). Auf Basis dieser Experti-
                                       Zwar findet sich keine unmittelbare Benach-          sen wurde in Deutschland der Paarvergleich
                                       teiligung durch eine explizit unterschiedliche       zur Feststellung der Gleichwertigkeit von Tä-
                                       Behandlung von Frauen und Männern beim               tigkeiten (kurz: Paarvergleich Gleichwertigkeit)
                                       Entgelt, doch wurden einige mittelbare Diskri-       entwickelt.1 Er ist Teil des Instrumentariums
                                       minierungspotentiale identifiziert. Die wesent-
                                       lichen sollen hier kurz genannt werden:              1 Vgl. URL: https://www.eg-check.de/eg-check/DE/Anwen-
                                       Erstens werden bestimmte Anforderungen, die          dung/Pruefbereiche/Grundentgelt/_node.html (aufgeru-
                                                                                            fen am 03.12.2019).
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Hoch geschätzt- Die zentrale ...
                                                    FR AU EN U ND A R BEI T          HC APRIL 2020

eg-check.de zur Prüfung der Entgeltgleichheit     wickelt worden war. Geschlechterdifferenzen
und dient dem Vergleich der Anforderungen an      wurden hingegen bei der Zahlung von Beru-
einem frauendominierten und einem männer-         fungszulagen festgestellt.
dominierten Arbeitsplatz. Sind die Anforderun-
gen gleich hoch, muss nach dem rechtlichen        Im zweiten Teilprojekt wurde das Grundentgelt
Entgeltgleichheitsprinzip auch das Entgelt        für Tarifbeschäftigte untersucht. Es wurden
gleich hoch sein. Sind die Anforderungen un-      vier Paarvergleiche durchgeführt. Die weiblich
terschiedlich hoch, können die Tätigkeiten als    dominierten Tätigkeiten waren in dezentralen
ungleichwertig angesehen und entsprechend         und zentralen wissenschaftsunterstützenden
unterschiedlich bezahlt werden.                   Bereichen angesiedelt (Bibliothek und Verwal-
                                                  tung), die männlich dominierten Tätigkeiten
Mit dem Paarvergleich Gleichwertigkeit wer-       gehörten zum Rechenzentrum und zur Abtei-
den insgesamt 19 verschiedene Anforderungen       lung Technische Dienste. Bei zwei Paarverglei-
bewertet. Sie lassen sich den vier Bereichen      chen zeigten sich Hinweise auf eine Unterbe-
„Anforderungen an das Wissen und Können“,         wertung der weiblich dominierten Tätigkeiten,
„Anforderungen an psycho-soziale Kompeten-        unter anderem durch Nichtberücksichtigung
zen“, „Anforderungen an Verantwortung“ und        von psycho-sozialen Anforderungen (Kommu-
„Physische Anforderungen“ zuordnen. Jede          nikation, Kooperation, Einfühlungs- und Über-
Anforderungsart ist definiert, operationali-      zeugungsvermögen), sowie fachbezogenen Zu-
siert und in mehrere Ausprägungsstufen un-        satzqualifikationen durch die Entgeltordnung
terteilt. Den Ausprägungsstufen sind Punkt-       des hier geltenden TVöD-VKA (Vereinigung
werte zugeordnet. Für die zu vergleichenden       der kommunalen Arbeitgeberverbände). Ein
Tätigkeiten wird für jede Anforderungsart die     weiterer Paarvergleich zeigte eine Unterbe-
zutreffende Ausprägungsstufe und damit der        wertung der männlich dominierten Tätigkeit
Punktwert ermittelt. Die Punktwerte werden        an. In diesem Fall wurden verschiedene vorlie-
addiert, ihre Summe drückt den Arbeitswert        gende Anforderungen im Bereich Kenntnisse,
aus, der verglichen werden kann.                  psycho-soziale Anforderungen, Verantwortung
                                                  und physische Anforderungen von der gelten-
Welche Ergebnisse erbrachten aktuelle Prüfver-    den Entgeltordnung nicht berücksichtigt. Der
fahren zur Entgeltgleichheit an Hochschulen?      vierte Paarvergleich wurde als „Sonderfall“ er-
                                                  kannt und nicht weiter ausgewertet.
Das Prüfinstrumentarium eg-check.de wurde
an zwei Hochschulen Deutschlands einge-           Beide Prüfprojekte haben ergeben: Auch an
setzt, um die Entgeltgleichheit auf der be-       Universitäten ist die Entgeltgleichheit zwi-
trieblichen Ebene zu überprüfen. Es wurden        schen Frauen und Männern keineswegs voll-
jeweils Diskriminierungspotentiale der Ent-       ständig umgesetzt. Es besteht Handlungsbe-
geltordnungen der geltenden Tarifverträge         darf sowohl in Technik und Verwaltung als
identifiziert und diskutiert. An der FernUni-     auch im wissenschaftlichen Bereich.
versität in Hagen wurden zwei Paarvergleiche
zwischen weiblich und männlich dominierten        Wie kann eine gerechtere Bewertung und Ver-
Tätigkeiten durchgeführt. Die weiblich domi-      gütung erreicht werden?
nierte Tätigkeit aus der Universitätsbibliothek
erzielte höhere Arbeitswertpunkte, war aber       Handlungsmöglichkeiten zur Verwirklichung
zwei Entgeltgruppen niedriger eingruppiert        der Entgeltgleichheit finden sich auf vier
als die männliche Vergleichstätigkeit aus dem     Handlungsebenen:
Zentrum für Medien und IT. Bei dem zweiten        1. Auf der politischen Ebene benötigen wir eine
Paarvergleich entsprach die höhere Vergütung         Ergänzung und Verbesserung des EntgTran-
einem höheren Arbeitswert.                           spG. Hierauf hat auch die Evaluation des Ge-
                                                     setzes hingewiesen (vgl. BMFSFJ 2019). Zu
An der Hochschule für Technik und Wirtschaft         fordern sind eine größere Verbindlichkeit
Berlin wurden zwei Teilprojekte durchgeführt.        von Prüfverfahren und die Verpflichtung zu
Das erste Teilprojekt behandelte die Leistungs-      Anpassungsmaßnahmen, wenn Benachteili-
vergütung für Professuren. Bei der Vergütung         gungen festgestellt wurden. Darüber hinaus
für besondere Leistungen in Forschung und            ist die Einführung des Verbandsklagerechts
Lehre fanden sich keine Hinweise auf eine            längst überfällig, die Einbeziehung von Ta-
Benachteiligung eines Geschlechts. Dieses po-        rifverträgen in die Prüfung sollte eine Selbst-
sitive Ergebnis war auf das ausdifferenzierte,       verständlichkeit sein und eine wirkungs-
transparente und einheitliche Vergabesystem          vollere Gestaltung des Auskunftsrechts
zurückzuführen, das in der Hochschule ent-           erscheint dringend erforderlich.

                                                                                                                  9
Hoch geschätzt- Die zentrale ...
HC APRIL 2020   FRAUEN UND ARBEIT

                2. Auf der tariflichen Ebene sind die Tarifver- 4. Auf der individuellen Ebene ist jede und je-
                   tragsparteien gefordert, existierende Tarif-          der Einzelne gefordert, sich selbst und an-
                   verträge daraufhin zu überprüfen, ob sie den          deren gegenüber kritisch aufmerksam zu
                   Anforderungen an diskriminierungsfreie                sein im Hinblick auf offene oder verdeckte
                   Arbeitsbewertung genügen und, falls nötig,            Abwertungen frauentypischer Tätigkeiten.
                   entsprechende Änderungen vorzunehmen.                 Diese können sich beispielsweise in alltägli-
                   Bei der Neugestaltung oder Reform von Ta-             chen Bemerkungen äußern. Auch gilt es, das
                   rifverträgen sind die Prinzipien einer diskri-        Ende der anerzogenen weiblichen Beschei-
                   minierungsfreien Entgeltfindung von vorn-             denheit einzuläuten und Frauen darin zu
                   herein zu beachten. Mitglieder von Tarif- und         stärken, ihre finanziellen Interessen durch-
                   Verhandlungskommissionen auf beiden Sei-              zusetzen. Gemeinsam!
                   ten des Verhandlungstisches
                   müssen über diese Themen
                   informiert und entspre-             Literatur
                   chend sensibilisiert werden.
                3. Auf der betrieblichen Ebene         Das Prüfinstrumentarium eg-check.de sowie Berichte über die durch-
                   kann bereits die Durchfüh-          geführten Prüfungen finden sich unter www.eg-check.de.
                   rung betrieblicher Prüfver-
                                                       Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) (Hg.) (2018): Gleiches
                   fahren zu einer größeren
                                                       Entgelt für gleichwertige Arbeit? Die Entgeltordnung des Tarifver-
                   Sensibilität für Fragen der
                                                       trags der Länder (TV-L) auf dem Prüfstand – Eine Analyse von Dr.
                   Entgeltgleichheit     führen
                                                       Andrea Jochmann-Döll und Dr. Karin Tondorf, Berlin.
                   und konkrete Anpassungs-
                   maßnahmen nach sich                 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
                   ziehen, auch wenn ein Ta-           (BMFSFJ) (Hg.) (2019): Bericht der Bundesregierung zur Wirksam-
                   rifvertrag gilt. Für Universi-      keit des Gesetzes zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen
                   täten wäre es beispielsweise        Frauen und Männern, Berlin.
                   interessant, auch die ak-
                   tuelle Bewertung und Ein-           Internationale Arbeitsorganisation (ILO) (Hg.) (2016): Genderge-
                   gruppierung der Tätigkeiten         rechtigkeit stärken – Entgeltgleichheit sicherstellen. Ein ILO-Leit-
                                                       faden für genderneutrale Tätigkeitsbewertung (von Marie-Thérèse
                   in Hochschulsekretariaten
                                                       Chicha), Genf.
                   mit Hilfe eines Paarver-
                   gleichs zu überprüfen.

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                                                               FR AU EN U ND A R BEI T                              HC APRIL 2020

RESOLUTION zur Entgelttransparenz
und -gerechtigkeit an der Humboldt-
Universität: Gleicher Lohn für gleich-
wertige Arbeit!

Foto: M. H. Vogel

Anlässlich der Frauenvollversammlung 2019                      nung im Geltungsbereich des Tarifvertrages
zum Thema ‚Frauen & Arbeit‘1 hat die zentrale                  der Länder3 abgebaut wird.
                                                                                                                            Carmen Kurbjuhn
Frauenbeauftragte eine Resolution zur Ver-
                                                                                                                            Projektkoordinatorin ­„firstgen“
wirklichung der Entgeltgleichheit zwischen                     Im Mai 2019 konnte die Unterschriftenliste mit
                                                                                                                            – Mentoringprogramm für
Frauen und Männern auf den Weg gebracht.                       mehr als dreihundert Unterzeichner*innen an
                                                                                                                            Student*innen ohne familiären
Die Resolution kritisiert die mittelbare Dis-                  die Präsidentin der Universität übergeben wer-
                                                                                                                            akademischen Hintergrund
kriminierung durch die unterschiedliche Be-                    den. Die Universitätsleitung unterstützt das An-
wertung und Eingruppierung von frauen- und                     liegen ihrer Mitarbeiter*innen und versicherte,
männerdominierten Tätigkeiten und knüpft                       dass sie „die komplexe Fragestellung bei künfti-
dabei an den offenen Brief der Bundeskonfe-                    gen Tarifverhandlungen im Rahmen ihrer Mög-
renz der Frauen- und Gleichstellungsbeauf-                     lichkeiten einbringen“ werde. Ferner fand das
tragten an Hochschulen (bukof ) aus dem No-                    Thema der Eingruppierung der Beschäftigten in
vember 2018 an.2 Die Humboldt-Universität zu                   Sekretariaten Einzug in das gegenwärtige Per-
Berlin wird aufgefordert, sich nachdrücklich                   sonalentwicklungskonzept der Universität. Im
dafür einzusetzen, dass das nachgewiesene                      Laufe der Tarifverhandlungen 2019 ergab sich zu-
Diskriminierungspotential der Entgeltord-                      dem eine Änderung der Entgeltordnung für die
                                                               Beschäftigten in wissenschaftlichen Bibliotheken
1 Mehr     Informationen     zur   Frauenvollversammlung       – auch ein nach wie vor frauendominierter Be-
‘Frauen und Arbeit‘ 2019 unter URL: https://frauenbeauf-       reich –, die im Januar 2020 in Kraft treten wird.
tragte.hu-berlin.de/de/veranstaltungen/internationaler-
frauentag/2019-frauen-und-arbeit (aufgerufen am 15.12.2019).   3 Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2018): Gleiches
                                                               Entgelt für gleichwertige Arbeit? Die Entgeltordnung des
2 Offener Brief der bukof an die Verhandlungs­                 Tarifvertrags der Länder (TV-L) auf dem Prüfstand. Analyse
partner*innen der Entgeltordnung des Tarifvertrags der         von Dr.in Andrea Jochmann-Döll und Dr.in Karin Tondorf.
Länder. Online unter URL: https://bukof.de/wp-content/         Online unter URL: https://www.antidiskriminierungs-
uploads/18-11-06-bukof-Offener-Brief-Verhandlungen-zur-        stelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Ent-
Entgeltordnung-1.pdf (aufgerufen am 15.12.2019).               gelt_UN_Gleichheit/TV_L.html (aufgerufen am 15.12.2019).

                                                                                                                                                              11
HC APRIL 2020        FRAUEN UND ARBEIT

                11. März 2019

                RESOLUTION: Entgelttransparenz und -gerechtigkeit an der Humboldt-Universität
                durchsetzen!

                Prinzipiell müssen Tarifverträge die grundrechtlichen Bestimmungen des Artikels 3 Abs. 3
                ebenso beachten wie das Benachteiligungsverbot beim Entgelt nach § 7 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs.
                1 Ziff. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Das rechtliche Verbot der
                mittelbaren Diskriminierung wird auch im neuen Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG)
                bekräftigt, das am 6. Juli 2017 in Kraft getreten ist. Die Tarifvertragsparteien sollen an der
                Verwirklichung der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern mitwirken. Bei einer
                Prüfung oder Neugestaltung von Tarifverträgen inklusive der Entgeltordnung zeigt sich nach
                wie vor regelmäßig, dass mittelbar diskriminierende Bestimmungen nicht auf den ersten Blick
                zu erkennen sind. Sie werden erst sichtbar, wenn die vorgenommene Bewertung und
                Eingruppierung von frauen- und männerdominierten Tätigkeiten kritisch hinterfragt wird.

                2018 wurde die jetzige Entgeltordnung des TV-L im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des
                Bundes analysiert. Dies stellt beispielhaft eine Überprüfung auf Diskriminierungsfreiheit und
                Gewährleistung des Prinzips des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Arbeit dar.
                Das Fazit der Überprüfung zeigt die Missstände wie folgt auf:
                       Trotz der Reformbemühungen der letzten Jahre erfüllt die Entgeltordnung des TV-L
                       nicht in hinreichendem Maße die rechtlichen Anforderungen, die an ein
                       diskriminierungsfreies Entgeltsystem gestellt werden: Wie die Analyse zeigt, erfolgt die
                       Bewertung der Tätigkeiten im Geltungsbereich des Tarifwerks nicht nach gemeinsamen
                       Kriterien. Darüber hinaus werden auch gleiche Merkmale unterschiedlich definiert, und
                       bei den Anforderungsstufen finden sich ebenfalls unterschiedliche Ausprägungen und
                       Definitionen. Außerdem sind die Entgelttabellen in ihren Strukturen und Beträgen
                       unterschiedlich gestaltet. Alle genannten Faktoren eröffnen Spielräume, die zu
                       nachteiligen Wirkungen für bestimmte weiblich dominierte Tätigkeiten führen können –
                       und damit zu mittelbarer Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts
                       (ADS 2018, S. 34).

                Im Hochschulbereich sind insbesondere folgende Berufsgruppen                                                     von       mittelbar
                diskriminierenden Effekten des Tarifvertrags der Länder betroffen:
                    • Pflegekräfte im Bereich der Universitätskliniken
                    • Tarifbeschäftigte in den Hochschul- und Fakultätssekretariaten
                    • Tarifbeschäftigte in den wissenschaftlichen Bibliotheken.

                Daher fordern wir die Humboldt-Universität zu Berlin auf, sich nachdrücklich dafür
                einzusetzen, dass das nachgewiesene Diskriminierungspotential der Entgeltordnung im
                Geltungsbereich des Tarifvertrages der Länder (TV-L) abgebaut wird.

                Resolution in Anlehnung an den „Offenen Brief an die Verhandlungspartner*innen der Entgeltordnung des Tarifvertrags der Länder“ der
                Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof) vom 06.11.2018

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                                                                FR AU EN U ND A R BEI T                         HC APRIL 2020

#WERTSACHE Arbeit
Fair ist, wenn Gleiches gleich entlohnt wird

100 Jahre Frauenwahlrecht, 70 Jahre im Grundgesetz verbriefte Gleichberechtigung, seit 25 Jahren hat
der Staat die Verpflichtung, die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu
fördern – doch beim Lohn sieht es schlecht aus mit der Chancengleichheit. 20 Prozent beträgt der Unter-
schied beim Bruttostundenlohn zwischen Frauen und Männern. Ein Aufruf.

Nichts ist unveränderlich                                  wo Gespräche nach Gehaltserhöhung syste-
                                                           matisch erfasst werden. Verhandlungssitu-
Diese Aussage ist sehr optimistisch angesichts             ationen triggern unsere Rollenerwartungen
der Tatsache, dass der Pay Gap zwischen Män-               – auf beiden Seiten. Oft werden falsche An-
nern und Frauen in Deutschland seit 2008 von               nahmen getroffen, werden die Karrierepläne
23 auf 20 Prozent gesunken ist. Diese Zahl                 von Frauen unterschätzt, wird gleiches Ver-
errechnet das Statistische Bundesamt nach                  halten anders bewertet als bei Männern.
festgelegten, europaweit gleichen Kriterien.               Was stimmt ist: Frauentypische Berufe werden
Deutschland gehört zu den Schlusslichtern der              schlechter bezahlt als Berufe, in denen haupt-            Uta Zech
EU. Größer ist der Lohnunterschied nur noch                sächlich Männer arbeiten. Doch sind sie tat-              Werbekauffrau, Schauspielerin und
in Estland und der Tschechischen Republik.                 sächlich weniger wert?                                    Moderatorin, ist Präsidentin des
                                                                                                                     Business and Professional Women
Ursachen                                                   Fair ist, wenn Gleiches gleich entlohnt wird              (BPW) Germany e.V.

                                                                                                                     Foto: Dieter Bühler
Welche Strukturen dafür verantwortlich sind,               Die Equal Pay Day Kampagne, vom Business
ist analysiert und bekannt. Frauen fehlen in be-           and Professional Women (BPW) Germany seit
stimmten Berufen, Branchen und auf den höhe-               2008 initiiert, fordert gleichen Lohn für glei-
ren Stufen der Karriereleiter. Wir leisten es uns,         che und gleichwertige Arbeit. Gleiche Arbeit,
dass wir frauentypische Berufe unterbewerten               das verstehen wir: Gleiche Branche, gleiche
und meistens Frauen die unbezahlte Familien-               Kompetenz, gleiche Position, gleiches Arbeits-
arbeit übernehmen – eben weil sie weniger ver-             zeitpensum. Der Lohnunterschied beträgt hier
dienen. Dafür unterbrechen oder reduzieren sie             6 Prozent. Bei einem Bruttogehalt von 3.500
ihre Erwerbsarbeit, was sich wiederum auf die              Euro sind das pro Jahr 2.520 Euro weniger,
Karrierechancen auswirkt. In vielen Betrieben              bei 35 Arbeitsjahren über 88.000 Euro. Haben
gibt es immer noch keine Gehaltstransparenz,               oder nicht haben.
die Gehaltsstrukturen durchschaubar macht und
Lohndiskriminierung aufzeigen und verhindern               Schwieriger wird es bei der Definition von
könnte. Unverwüstliche tradierte Rollenbilder              gleichwertiger Arbeit. Die Hans-Böckler-Stif-
beeinflussen Frauen bei ihrer Berufswahl – Män-            tung hat im Comparable Worth Index (CWI)
ner übrigens auch. Die gleichen Rollenstereotype           vier Kriterien für die Bewertung von Arbeit
machen es Frauen schwer, in Führungspositio-               definiert:2 Wissen und Können, Verantwortung
nen aufzusteigen. Sind Männer ehrgeizig und                – nicht nur Führungsverantwortung, auch Ver-
zielorientiert, wissen sie sich durchzusetzen.             antwortung für das Wohlergehen von Men-
Frauen mit den gleichen Eigenschaften gelten               schen –, psycho-soziale Anforderungen wie
als verbissen, zickig und intrigant.                       Kommunikationsfähigkeit und physische An-
                                                           forderungen, zu denen körperliche Anstren-
Selbst schuld?                                             gungen, aber auch Beeinträchtigungen durch
                                                           Lärm gezählt werden. Geschlechtsneutrale Kri-
Dass Frauen die falschen Berufe wählen und                 terien, nicht männerfreundlich und nicht frau-
schlecht verhandeln, ist zu kurz gedacht. Die              enfreundlich. Das nimmt Zündstoff aus der
Zukunft sieht düster aus, wenn alle Frauen                 Diskussion, die oft Gefahr läuft, in unsachli-
nur noch in gut bezahlten MINT-Berufen ar-                 ches Männer- und Frauenbashing auszuarten.
beiten. Frauen fragen genauso oft nach mehr
Gehalt, wie eine Studie aus Australien1 zeigt,

1 Vgl. URL: https://warwick.ac.uk/fac/soc/economics/
news/2016/9/new_study_suggests_women_do_ask_for_           2 Vgl. URL: https://www.boeckler.de/wsi_54336.htm (auf-
pay_rises_but_dont_get_them/ (aufgerufen am 10.11.2019).   gerufen am 10.11.2019).

                                                                                                                                                   13
HC APRIL 2020            FRAUEN UND ARBEIT

                         Für jedes Kriterium gibt es Punkte entspre-
                         chend den beruflichen Anforderungen. Je
                         mehr Punkte, desto höher sollte die Bezahlung
                         sein. Gleiche Punktzahl – gleiche Bezahlung.
                         Klingt einleuchtend.

                         Dass frauentypische Berufe nach diesen Kri-
                         terien unterbewertet sind, wie übrigens ei-
                         nige männertypische Berufe auch, überrascht
                         nicht. Ein konkretes Beispiel: Eine Lehrkraft
                         im Primar- und Vorschulbereich (Frauenanteil
                         94 Prozent) müsste so viel verdienen wie ein
                         Elektroingenieur (Frauenanteil 8 Prozent). Die
                         Lehrkraft geht mit einem durchschnittlichen
                         Bruttostundenlohn von knapp 18 Euro nach
                         Hause und der Elektroingenieur mit etwas
                         mehr als 30 Euro.

                         Löhne und Gehälter, wie sie zurzeit – auch
                         nach Tarifverträgen! – gezahlt werden, basie-
                         ren häufig nicht auf den tatsächlichen Anfor-
                         derungen der Berufe. Die tradierten Bewer-
                         tungssysteme von Arbeit sind überholt, denn
                         sie spiegeln den geringeren Status wider, den
                         Frauen in der Gesellschaft hatten, und werten
                         so frauentypische Berufe ab. Doch wollen wir
                         wirklich so leben? Ist Produktivität der ein-
                         zige Faktor, der in Wirtschaft und Gesellschaft
                         zählt? Können wir uns das leisten angesichts                die zwölf Monate in Elternzeit waren. Für Väter
                         fehlender Erziehungs- und Pflegekräfte?                     hat es keine Auswirkungen auf ihr berufliches
                                                                                     Fortkommen, ob sie zwölf oder zwei Monate
                                                                                     Elternzeit nehmen. Im Gegenteil. Sie erhalten
         „Die tradierten B­ ewertungssysteme                                         durchschnittlich höhere Gehälter und haben
                                                                                     bessere Aufstiegschancen. Ermutigend für Vä-
                von Arbeit sind überholt, …                                          ter, ernüchternd für Mütter.

                                                                                     Niemand unterstellt Personalverantwortlichen
                         Niemand ist unfehlbar                                       in Unternehmen, dass sie bewusst Mütter be-
                                                                                     nachteiligen oder Frauen schlechter bezahlen.
                         Wo fangen wir an, wenn wir neu und fair be-                 Doch nur wer sensibilisiert ist für Rollenkli-
                         werten wollen? Am besten bei uns selbst. Rol-               schees, kann bewusst etwas dagegen tun.
                         lenstereotype – keine und keiner ist frei davon.
                         Stellenausschreibungen, Beurteilungen und                   Maßnahmen ausbauen
                         Beförderungen – zählt hier wirklich nur Kom-
                         petenz? Eine Experimentalstudie von Lena                    Die Politik hat in den letzten Jahren Gesetze
                         Hipp3 macht deutlich: In Deutschland werden                 auf den Weg gebracht, die Chancengleichheit
                         Mütter zum Vorstellungsgespräch gar nicht                   unterstützen. Maßnahmen, die weiter ausge-
                         erst eingeladen. Auch wenn sie die gleiche                  baut werden müssen. Der Mindestlohn kommt
                         Qualifikation, gleiches Engagement und glei-                überwiegend Frauen zugute, da hauptsächlich
                         che Arbeitsmarkterfahrung vorweisen können                  Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen arbei-
                         wie Väter oder kinderlose Frauen. Mütter, die               ten. Die Quote bringt Frauen in die Aufsichts-
                         nur zwei Monate in Elternzeit gehen und so si-              räte, wenn auch nur von 104 Pilotunternehmen,
                         gnalisieren, dass sie möglichst schnell wieder              die börsennotiert und mitbestimmungspflich-
                         ins Berufsleben zurückkehren wollen, werden                 tig sind. Sie muss ausgeweitet werden auf Un-
                         als egoistische Rabenmütter wahrgenommen                    ternehmen, die börsennotiert oder mitbestim-
                         und haben noch weniger Chancen als Mütter,                  mungspflichtig sind. Glücklich der Tag, an
                                                                                     dem der erste Mann die Quote für sich fordert!
                         3 Vgl. URL: https://osf.io/preprints/socarxiv/qsm4x (auf-   Das Elternzeitgesetz bestärkt Väter, Familien-
                         gerufen am 10.11.2019).                                     arbeit zu übernehmen. Zurzeit sind es meist

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                                                   FR AU EN U ND A R BEI T          HC APRIL 2020

                                                 Schwarzarbeit wird so hinfällig, neue Unter-
                                                 nehmen in dieser Branche werden hauptsäch-
                                                 lich von Frauen gegründet, Renten- und Sozial-
                                                 kassen füllen sich. Eine Win-win-Situation für
                                                 alle Beteiligten.

                                                 Ausgemustert werden sollte auch das Ehegat-
                                                 tensplitting. Das hatte seine Berechtigung, als
                                                 die Alleinernährer-Ehe noch das gängige Fami-
                                                 lienmodell war. Höchste Zeit ist es, es durch
                                                 ein Besteuerungssystem zu ersetzen, das Fa-
                                                 milien und alleinerziehende Mütter und Väter
                                                 unterstützt.

                                                 Nicht heulen, machen.

                                                 Unternehmen, die behaupten, es gäbe keine
                                                 Frauen, die Führungsverantwortung überneh-
                                                 men wollen, müssen ihre Zielvorgabe ändern:
                                                 Nicht Frauen suchen, sondern finden – so wie
                                                 es seit Einführung der Quote in den Aufsichts-
                                                 räten gehandhabt wird.

                                                 Gleichstellungspolitisch und juristisch müs-
                                                 sen etablierte Verfahren zur Arbeitsbewertung
                                                 auf den Prüfstand gestellt werden. Gleichzeitig
                                                 müssen wir uns als Gesellschaft fragen, ob Pro-
                                                 duktivität tatsächlich „allein selig machend“ ist.
zwei Monate. Eine Aufteilung in paritätische
sieben Monate für jedes Elternteil ist die Ge-
währleistung, dass kein Elternteil völlig aus
dem Berufsleben aussteigt. Damit der abschät-        … denn sie s­ piegeln den geringeren Status
zende Blick der Personalverantwortlichen: „Ge-
bärfähiges Alter?“ in Zukunft obsolet wird, da
                                                    wider, den ­Frauen in der Gesellschaft hatten,
Männer und Frauen gleichermaßen schwanger            und w­ erten so frauentypische Berufe ab.“
werden. Noch besser wäre die Einführung der
Familienarbeitszeit, wie sie Manuela Schwesig
als Familienministerin gefordert hat. Beide      Frauen müssen aktiv werden. Machen Sie
Elternteile arbeiten 30 oder 32 Stunden, der     sich vor dem Vorstellungsgespräch im Inter-
Staat unterstützt mit einem Zuschuss. So kön-    net schlau, welches Gehalt für Ihre Position
nen Familienarbeit und Erwerbsarbeit partner-    gezahlt wird. Warten Sie nicht, bis Sie gefragt
schaftlich geteilt werden.                       werden, fragen Sie selbst. Nach Lohntranspa-
                                                 renz, nach Gehaltserhöhung, nach Beförde-
Längst überfällig schafft das Pflegeberufege-    rung. Und gehen Sie in die Politik. Wer prä-
setz das Schulgeld ab und verpflichtet Aus-      sent ist, entscheidet, welche Prioritäten gesetzt
bildungsbetriebe zu einer Vergütung. Nicht       werden und wie die Lösungen aussehen.
im Fokus der Politik sind die haushaltsnahen
Dienstleistungen. Schwarzarbeit gilt als Ka-     Der nächste EPD ist am 14. März 2021
valiersdelikt und Löhne, von denen niemand
leben kann, als angemessen. Fassen wir uns       Solange es einen Gehaltsunterschied zwischen
an die eigene Nase, um dann nach Belgien zu      Männern und Frauen gibt, solange wird es den
schauen, wo ein einfaches Gutscheinsystem        Equal Pay Day geben, der symbolisch den ge-
haushaltsnahe Dienstleistungen monetär und       schlechtsspezifischen Entgeltunterschied mar-
in der Reputation aufwertet. Dort kann jeder     kiert. Rot ist am Equal Pay Day die Farbe der
und jede pro Jahr eintausend Neun-Euro-Gut-      Entgeltgleichheit. Tragen Sie einen roten Schal,
scheine erwerben. Diese können bei Unter-        spannen Sie rote Schirme auf! Gehen Sie auf
nehmen eingelöst werden, die haushaltsnahe       die Straße, zu Diskussionen, sprechen Sie über
Dienstleistungen versicherungspflichtig an-      faire Bezahlung. Und nehmen Sie Ihre Partner
bieten. Die Mehrkosten übernimmt der Staat.      mit. Denn Gleichstellung geht nur gemeinsam.

                                                                                                                15
HC APRIL 2020                       FRAUEN UND ARBEIT

                                        Geschlechtergerechtigkeit:
                                        Viel erreicht und weit entfernt 1

                                        Von einer echten Geschlechtergerechtigkeit sind wir immer noch weit entfernt. Wirkmächtige Stereotype,
                                        Rollenklischees, strukturelle Diskriminierungen und eine fehlende soziale Infrastruktur führen dazu,
                                        dass Frauen nach wie vor weniger verdienen als Männer und nicht die gleichen Chancen haben, ihr
                                        Leben selbstbestimmt zu gestalten.

                                        In unserem täglichen Leben unterrichten wir                Fakten
                                        viele Studentinnen und betreuen Doktoran-
                                        dinnen, die meisten zeigen ausgezeichnete                  Nüchterne Zahlen zeigen: Der Frauenanteil bei
                                        Leistungen. In den Spitzenämtern der Wissen-               W3-Professuren, den höchsten akademischen
                                        schaft und Wissenschaftsverwaltung begegnen                Positionen, liegt 2016 in Deutschland bei 19
                                        wir dagegen nur wenigen Frauen, unsere Lau-                Prozent. Alle vier Spitzenorganisationen der
                                        dationes halten wir meist für Männer, auf Kon-             außeruniversitären Forschung werden von
                                        ferenzen folgen wir vielen Manels, also Panel-             Männern geführt.
                                        diskussionen, die nur unter Männern geführt
                                        werden. Wir leben in einem Land, das poli-                 Die Wissenschaft ist keine Ausnahme, Politik
                                        tisch überwiegend von Männern repräsentiert                und Wirtschaft bieten ein ähnlich erschre-
                                        wird und dessen Wirtschaft nach wie vor fest               ckendes Bild. Der Frauenanteil im deutschen
                                        in Männerhand liegt. In einem Land, in dem                 Parlament ist mit knapp 31 Prozent so gering
Prof.in Dr.in h.c. Jutta Allmendinger   Männer deutlich mehr als Frauen verdienen                  wie seit 1998 nicht mehr. In der Wirtschaft
Präsidentin des Wissenschaftszen-       und sich Frauen deutlich mehr als Männer um                liegt der Frauenanteil in den Vorständen der
trums Berlin für Sozialforschung        andere kümmern. Wir haben beide die Erfah-                 160 Unternehmen, die in den Börsenindi-
(WZB) und Soziologin                    rung gemacht, hochgelobt zu werden und doch                zes Dax, MDax und SDax verzeichnet sind,
                                        in der zweiten Reihe zu landen. In Gremien                 bei 8,6 Prozent. Die Chefetagen dieser Kon-
                                        berufen und erst nach einer Weile geschätzt                zerne sind zu 67 Prozent ausschließlich mit
                                        und integriert zu werden. In Gehaltsverhand-               Männern besetzt. Betrachtet man nur die 30
                                        lungen zu stecken, ohne zu wissen, was unsere              Dax-Unternehmen, liegt der Frauenanteil bei
                                        Vorgänger verdient haben. Intransparenz ist                14,5 Prozent. In den Aufsichtsräten dieser
                                        das Gegenteil von Ermächtigung und der Dün-                Konzerne sind deutlich mehr Frauen vertre-
                                        ger für Stereotype. Oft haben wir Stereotype               ten, 2019 sind es knapp 30 Prozent. Doch ih-
                                        selbst befördert. Freiwillig und ohne Murren               nen fehlt es an der Hebelwirkung, die so viele
                                        Arbeit in Gremien übernommen, anstatt zu                   erhofft haben.
                                        forschen. Zu viele Dinge parallel gemacht, weil
                                        wir immer für unser Multitasking gelobt wur-               Die Präsenz von Frauen in hohen Positionen
                                        den, ohne diese Fähigkeit in besonderem Maße               mag für viele Frauen relativ unerheblich sein.
                                        zu haben. Gewehrt haben wir uns nicht.                     Ganz anders ist das bei dem, was Frauen und
                                                                                                   Männer verdienen. Im Jahr 2018 haben Frauen
Prof.in Dr.in Dorothea Kübler           Aber wir verändern auch Dinge. Oft sind wir                pro Stunde 21 Prozent weniger verdient als
Direktorin der Abteilung „Verhalten     ein Vorbild, ohne es zu wissen. Wir fördern                Männer. Im Vergleich zu den Unterschieden
auf Märkten“ am WZB                     Frauen, sind Mentorinnen. Hier und da kön-                 zwischen Frauen und Männern im Monats-,
                                        nen wir die Spielregeln ändern, Frauen sicht-              Jahres- und Lebenseinkommen sind diese
Fotos: WZB/David Ausserhofer
                                        bar machen.                                                21 Prozent geradezu trivial. Da Frauen sehr
                                                                                                   häufig in Teilzeit arbeiten (müssen), ihre Er-
                                                                                                   werbstätigkeit aufgrund der Erziehung von
                                                                                                   Kindern und der Pflege von Eltern immer wie-
                                                                                                   der unterbrechen und zudem oft in Branchen
                                        1 Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des gleichna-   und Betrieben tätig sind, die ein niedrigeres
                                        migen Beitrags der Autorinnen in: Allmendinger, Jutta/     Lohnniveau als Männerbranchen und große
                                        Jarren, Otfried/Kaufmann, Christine/Kriesi, Hanspeter/     internationale Konzerne haben, kumulieren
                                        Kübler, Dorothea (Hg.) (2019): Zeitenwende. Kurze Ant-     die Unterschiede im Bruttostundenverdienst
                                        worten auf große Fragen der Gegenwart. Zürich: Orell       über den Lebensverlauf. Dies zeigt die Höhe
                                        Füssli Verlag, S. 123–132.                                 der Renten aus eigener Erwerbstätigkeit. Der

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                                                   FR AU EN U ND A R BEI T        HC APRIL 2020

Gender Pension Gap liegt 2016 bei 53 Prozent.      mittlerweile Untersuchungen, die auf ent-
Bis zum Jahr 2015 konnte man zugespitzt for-       scheidende strukturelle Hindernisse eines sol-
mulieren, dass eine durch Heirat von Männern       chen Kulturwandels hinweisen. Sie zeigen zu-
abgeleitete Rente wesentlich höher ist als die     nächst, dass Frauen dazu tendieren, Aufgaben
eigene Altersrente der Frauen. Der Heirats-        zu übernehmen, die nicht karriereförderlich
markt war damit für Frauen finanziell lukrati-     sind. Wir beide haben das selbst allzu oft ge-
ver als der Arbeitsmarkt.                          tan. Aber machen Sie doch selbst den Test: Wer
                                                   meldet sich auf die Frage, wer das Protokoll
Diese Fakten beschreiben die positionale           schreibt? Frauen neigen auch eher als Männer
und finanzielle Lage von Frauen. Die Frage         dazu, Situationen aus dem Weg zu gehen, in
nach den Ursachen beantworten sie zunächst         denen sie im Wettbewerb stehen oder Risiko
nicht. Eine umfangreiche Literatur beschäftigt     ausgesetzt sind. Schon bei Schülerinnen zeigt
sich genau damit. So wird beim Gender Pay          sich das (Vgl. Niederle/Vesterlund 2010). Und
Gap der erklärte und der unerklärte Anteil         Frauen vermeiden es im Vergleich zu Män-
der Lohnunterschiede beschrieben. Je mehr          nern, über ihr Gehalt zu verhandeln. Auch das
Merkmale des Berufs- und Lebensverlaufs von        kennen wir beide aus eigener Erfahrung.
Frauen und Männern man in diese Berech-
nungen steckt, umso höher wird der erklärte        Begründet werden diese Verhaltensunter-
und umso niedriger der unerklärte Anteil.          schiede gerne mit Argumenten à la „Frauen
Entsprechend beziffern einige den unerklär-        sind ‚von Natur aus‘ risikoscheuer und har-
ten Anteil auf sechs Prozent, andere dagegen       moniebedürftiger als Männer“. Biologistische
auf nur zwei Prozent.                              Erklärungen dieser Art sind jedoch Teil des
                                                   Problems. Um geschlechtsspezifische Verhal-
An der Lebenswirklichkeit der Frauen ändern        tensmuster besser zu verstehen, ist vielmehr
diese statistischen Finessen nichts. Man geht      ein Blick auf gesellschaftliche Zuschreibungen
zwar gemeinhin davon aus, dass allein der          und Stereotype notwendig. Es erweist sich,
unerklärte Anteil der Lohndifferenz zwischen       dass das Geschlecht einen Einfluss darauf hat,
Männern und Frauen das Ausmaß der Dis-             wie Menschen eingeschätzt werden. Gemein-
kriminierung bezeichnet. Dieses Argument           same Publikationen von Männern und Frauen
kaufen wir jedoch so nicht. Der deutsche So-       werden eher den Männern zugerechnet. (Wir
zialstaat geht vom Ein-Verdiener-Haushalt aus;     vermuten, dass es bei einem gemeinsam ge-
das Ehegattensplitting und die beitragsfreie       kochten Abendessen oder gut erzogenen Kin-
Mitversicherung der Partnerin in der gesetzli-     dern umgekehrt ist.) Auch Diskriminierung ist
chen Krankenversicherung sprechen für sich.        oft Ausdruck von Stereotypen. Damit könnte
Die unterschiedliche Bezahlung von Männer-         man erklären, dass Bewerberinnen für Ausbil-
und Frauenberufen ist als solche erklärungs-       dungsplätze in männerdominierten Berufen
bedürftig. Weiterhin verhindern fehlende           gegenüber männlichen Bewerbern benachtei-
Kitas und Ganztagsschulen oft, dass Eltern –       ligt werden (Vgl. Kübler et al. 2018).
und hier wiederum in der Mehrheit der Fälle
­Mütter – Vollzeit arbeiten. Der erklärte Anteil   Für Frauen ergibt sich daraus oft eine No-
 des Pay Gaps ist damit keineswegs frei von Dis-   win-Situation. Ein Experiment von Lena Hipp
 kriminierungen, und die unerklärte Lohnlücke      (2018) hat das eindrücklich gezeigt. Unter-
 kann ihrerseits nicht mit Entgeltdiskriminie-     sucht wurde, ob die Wahrscheinlichkeit, zu
 rung gleichgesetzt werden.                        einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu
                                                   werden, von der Dauer der Elternzeit abhängt.
Erklärungen                                        Entsprechend wurden Bewerbungsschreiben
                                                   entworfen, in denen sich nur das Geschlecht
Erst seit 60 Jahren müssen Frauen ihre Ehe-        der Bewerber (Frau, Mann) und die Dauer der
männer nicht mehr darum bitten, wenn sie           Elternzeit (zwei Monate, zehn Monate) unter-
erwerbstätig sein wollen. Das Recht auf einen      schieden. Bei Männern zeigten sich keine Un-
Kitaplatz für Kinder ab drei Jahren besteht seit   terschiede nach der Dauer der Elternzeit, wohl
1996, seit 2013 ab dem ersten Lebensjahr. Ein      aber bei Frauen. Hatten diese zehn Monate
Recht auf einen Ganztagsschulplatz gibt es bis     ausgesetzt, so wurden sie deutlich häufiger
heute nicht.                                       eingeladen als Frauen, die nur zwei Monate
                                                   unterbrochen hatten. Mütter, die nur kurz un-
Vor diesem Hintergrund meinen Viele, dass          terbrechen, werden als überambitionierte Ra-
die Gleichstellung von Männern und Frauen          benmütter wahrgenommen, das sorgende em-
nur eine Frage der Zeit ist. Kulturen sind ver-    pathische Moment wird ihnen abgesprochen.
änderungsträge, soviel ist klar. Aber es gibt      Solche Mitarbeiterinnen will man nicht.

                                                                                                              17
HC APRIL 2020                          FRAUEN UND ARBEIT

                                       Meistens wird nicht bewusst diskriminiert,        pflichtigen 400-Euro-Jobs, all das setzt falsche
                                       sondern es handelt sich um eine implizite Dis-    Anreize für ein Verhalten, das mittel- und
                                       kriminierung, also um eine, die auf unbewuss-     langfristig Frauen in die Abhängigkeit von
                                       ten Voreinstellungen und Stereotypen beruht.      Männern und dem Staat führt.
                                       Wir ertappen uns regelmäßig dabei, davon aus-
                                       zugehen, dass eine Gruppe uns unbekannter         Auch die Auswahl von neuen Mitarbeiterin-
                                       Personen von einem der anwesenden Männer          nen und Mitarbeitern lässt sich gerechter ge-
                                       geleitet wird, nicht von einer der Frauen. Ste-   stalten. Wenn Stellen einzeln besetzt werden,
                                       reotype Erwartungen produzieren die entspre-      noch dazu durch unterschiedliche Personen,
                                       chenden Verhaltensweisen. Die Erwartungen         passiert es oft, dass ein Mann nach dem ande-
                                       an Frauen und Männer und ihr Verhalten sta-       ren ausgewählt wird, jedes Mal nur einer, aber
                                       bilisieren sich auf unheilige Weise gegenseitig   am Ende ist der Anteil von Frauen mager. Ein
                                       und zementieren den Status quo.                   ungünstiges Verhältnis zwischen Frauen und
                                                                                         Männern fällt aber sofort auf, wenn gruppen-
                                       Handlungsansätze                                  weise eingestellt wird. Seit wir beispielsweise
                                                                                         für Doktorand*innenprogramme alle Einstel-
                                       Es ist schwer, Stereotype und Verhalten direkt    lungen gesammelt nur noch einmal im Jahr
                                       zu beeinflussen. Dagegen lassen sich die Insti-   vornehmen, konnten wir dort spürbar den
                                       tutionen und die Regeln des Zusammenlebens        Frauenanteil erhöhen.
                                       gut verändern.
                                                                                         Quoten für Frauen können eine wirksame
                                       Einige Maßnahmen sind wichtig und in aller        Maßnahme sein. Sie verändern, was als Nor-
                                       Munde, aber immer noch nicht umgesetzt. Die       malität empfunden wird, etablieren neue
                                       ausreichende Bereitstellung von qualitativ gu-    Rollenmodelle und helfen, Stereotype abzu-
                                       ten Kitaplätzen sowie die Ganztagsbetreuung       bauen. Sie können Frauen die Chance geben,
                                       von jüngeren Schulkindern gehören dazu.           sich zu beweisen. Aber Quoten für jede noch
                                       Warum erhöhen wir nicht die Zahl von Väter-       so unwichtige Aufgabe und Kommission sind
                                       monaten bei der Elternzeit, die dann verfallen,   kontraproduktiv, wenn sie dazu führen, dass
                                       wenn sie der Vater nicht in Anspruch nimmt?       Frauen weniger Zeit für ihre Kernarbeit haben.
                                       Das Ehegattensplitting, die Mitversicherung       Quoten müssen an strategisch wichtigen Stel-
                                       von (meist) Frauen, die nicht versicherungs-      len eingesetzt werden, nicht immer und über-
                                                                                         all.

                                                                                         Betriebe sollten Beförderungen nicht davon
     Literatur                                                                           abhängig machen, ob Frauen ihren Hut in den
                                                                                         Ring werfen, sondern alle infrage kommenden
     Allmendinger, Jutta (2018): Sind die Besten wirklich die Besten?                    Personen für die Beförderung berücksichtigen.
     Wettbewerb und Chancengerechtigkeit auf dem Prüfstand, in: Blam-                    Dann erhalten auch Frauen eine Chance, die
     berger, Günter/Freimuth, Axel/Strohschneider, Peter (Hg.): Vom                      den Wettbewerb scheuen oder einer sozialen
     Umgang mit Fakten. Antworten aus Natur-, Sozial- und Geisteswis-
                                                                                         Norm folgen, sich nicht zu exponieren und
     senschaften, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, S. 91–98.
                                                                                         gegen Männer anzutreten. Ein weiterer Nach-
                                                                                         teil für Frauen bei Beförderungen besteht in
     Hipp, Lena (2018): Damned If You Do, Damned If You Don’t? Ex-
     perimental Evidence on Hiring Discrimination against Parents with
                                                                                         der gängigen Praxis, die Selbstbeurteilung der
     Differing Lengths of Family Leave. URL: https://osf.io/preprints/so-                Angestellten einzuholen, bevor die Vorgesetz-
     carxiv/qsm4x (aufgerufen am 27.08.2018)                                             ten ein Urteil fällen. Frauen schätzen sich im
                                                                                         Durchschnitt schlechter ein als Männer, bei
     Kübler, Dorothea/Schmid, Julia/Stüber, Robert (2018): Gender                        gleichen Fähigkeiten. Besser ist es, wenn die
     Discrimination in Hiring across Occupations: A Nationally-Repre-                    Vorgesetzten ihre Meinung bilden, bevor sie
     sentative Vignette Study. Labour Economics, 55, S. 215–229.                         die Selbsteinschätzung kennen. Auch das ist
                                                                                         leicht umsetzbar.
     Niederle, Muriel/Vesterlund, Lise (2010): Explaining the Gender Gap
     in Math Test Scores: The Role of Competition. Journal of Economic
                                                                                         Gerechtigkeit der Geschlechter ist ein großes
     Perspectives, 24(2), S. 129–144.
                                                                                         Ziel. Es gibt mächtige Hindernisse, von der
                                                                                         fehlenden sozialen Infrastruktur bis zu Vorur-
                                                                                         teilen und Geschlechterstereotypen. Wir kön-
                                                                                         nen die Regeln so gestalten, dass Mädchen und
                                                                                         Jungen die gleichen Chancen haben, Lebens-
                                                                                         pläne zu entwickeln und zu verwirklichen. Wir
                                                                                         müssen es nur auch tun.

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