REDEN IN SCHWIERIGEN ZEITEN - Nächstenliebe verlangt Klarheit Bausteine und Materialien für die Arbeit gegen Rechtspopulismus in der Gemeinde - EKMD
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
EVANGELISCHE KIRCHE IN MITTELDEUTSCHLAND HANDREICHUNG REDEN IN SCHWIERIGEN ZEITEN Nächstenliebe verlangt Klarheit Bausteine und Materialien für die Arbeit gegen Rechtspopulismus in der Gemeinde
IMPRESSUM Herausgegeben vom Landeskirchenamt der EKM Dezernat Bildung und Gemeinde Michaelisstraße 39 99084 Erfurt AG Kirche und Rechtsextremismus Telefon 0361 51800-240 AG_KplusRE@ekmd.de Redaktion: Jürgen Reifarth, Katharina Passolt, Susanne Olbort-Pape, Iris Fischer Layout: EKM Grafikteam, Stephan Arnold Erfurt 2018 (2. unveränderte Auflage 2022)
Inhalt Vorwort................................................................................................................ 4 Salz der Erde. Andacht....................................................................................... 6 GRUNDLAGEN Rechtspopulismus als Herausforderung annehmen – Beschluss der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 15. November 2017 .......... 8 Wegschauen und schweigen gilt nicht! – Warum sich die Evangelische Kirche gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus engagieren muss. Eine theologische Perspektive............................................................................ 10 Im Gespräch bleiben, Grenzen setzen............................................................. 15 BAUSTEINE Der Bau einer Moschee in Erfurt-Marbach und eine zerrissene Gemeinde. . . 17 Unwidersprochen? Argumentieren gegen populistische Positionen ........... 22 Stark und sicher im Gespräch mit Andersdenkenden Aufruf zu mehr Zivilcourage............................................................................... 27 Merkposten für den öffentlichen Diskurs unter Beteiligung einer Kirchengemeinde............................................................................................. 30 Mit Populisten diskutieren? – Erfahrungen im Umgang mit Diskussions veranstaltungen. Eine Pro- und Kontra-Debatte.................................................. 32 Alter Wein in neuen Schläuchen Die extrem rechte Szene und ihre Symbolsprache.............................................. 36 Umgang mit rechtsextremem Verhalten von Haupt- und Ehrenamtlichen... 39 Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul? Hinweise für kirchliche Einrichtungen zum Umgang mit Spenden und Schen kungen aus dem rechtsextremen Umfeld ........................................................... 41 Häuser in rechter Hand Immobilien als Stützpfeiler rechtsextremer Aktivitäten ..................................... 44 Wie kann verhindert werden, dass kirchliche Immobilien in rechte Hände geraten?.............................................................................................................. 46 Meinungsbarometer Methodische Ideen für Gemeindegruppen zum Thema „Zivilcourage“ ............. 48 Noch Platz in der Arche? Impulse zu biblischen Geschichten Thematische Bausteine für Konfirmandengruppen und Junge Gemeinden........ 50 Adressen, Links und Abrufangebote .............................................................. 53 Handreichung Rechtspopulismus 3
Vorwort Martina Klein Seit 2008 machen sich unter dem Mot- » Die Zahl der Rechtsrock-Konzerte hat to „Nächstenliebe verlangt Klarheit“ in zugenommen. Thüringen gilt mittler- unserer Kirche zahlreiche Kirchenge- weile als Hochburg der Rechtsrock- meinden und kirchliche Einrichtungen Szene. auf den Weg, um für Mitmenschlich- » Von Mitgliedern der rechten Szene keit und Toleranz zu werben und sich werden zunehmend Immobilien auf- gegen Rechtsextremismus, Antisemi- gekauft, die als Zentren rechtsextre- tismus und Menschenfeindlichkeit zu mer Treffpunkte fungieren und so zu stellen1. Ein Engagement, das dringend Orten der ideologischen Indoktrinati- nötig ist angesichts des deutlichen An- on und Radikalisierung (junger) Men- stiegs rechtsextremer und menschen- schen werden. feindlicher Ansichten und Aktivitäten » Im Jahre 2011 wird der Nationalso- in der Gesellschaft. zialistische Untergrund (NSU) ent- tarnt. Laut Anklage der Bundesan- Was hat sich in den letzten zehn Jahren waltschaft hat der NSU in den Jahren verändert? 2000 bis 2006 zehn Menschen er- » Rechte Positionen finden immer mordet, die nicht in das Weltbild der mehr Anschluss bei Menschen, die rechtsextremen Terroristen passten. sich selbst nicht als rechts einstufen würden. Stand in den Anfängen unseres Engage- » Deutlich mehr Menschen vertreten ments noch der Gedanke „Wehret den öffentlich rechte Positionen und wäh Anfängen!“ im Vordergrund, so haben len rechte Parteien. mittlerweile viele das Gefühl, mit ihrem » Die Hasssprache im Internet hat ex- Engagement und Widerstand der ge- orbitant zugenommen. sellschaftlichen Entwicklung hinterher » Über soziale Netzwerke mobilisiert zu hinken. Mehr und mehr stellt sich sich eine breite rechte Szene. die Frage, wie wir unsere christliche » Es ist eine deutliche Zunahme rechter Botschaft der Nächstenliebe und des Gewalttaten zu verzeichnen (Über- Friedens wirksam in die Gesellschaft griffe auf Geflüchtete, Anschläge aus hineintragen können. dem rechten Spektrum etc.) 1 Im Rahmen der Dekade zur Überwindung von Gewalt wurde 2008 das Themenjahr „Nächsten- liebe verlangt Klarheit – Evangelische Kirche ge- gen Rechtsextremismus“ in der EKM ausgerufen. 4 Handreichung Rechtspopulismus
Grund für uns, die Handreichung mit vitäten Raum greifen. Kirche kann ein Bausteinen und Materialien für die Ar- Ort sein, an dem unterschiedliche po- beit in den Gemeinden zu überarbei- litische Positionen und ethische Orien- ten und neu herauszugeben. Denn ver- tierungen diskutiert und im Lichte des mehrt fragen engagierte Menschen in Evangeliums beleuchtet werden. Kir- der Kirche: che kann sich in lokale Bürgerbünd- Was können wir tun, wenn in der nisse einbringen und mit ihrer Haltung Gemeinde, bei einer Veranstaltung zeigen, was das Evangelium in der kon- oder in Kinder- und Jugendgruppen kreten Situation bedeutet. Nicht zu- rechtspopulistische oder fremdenfeind- letzt versammelt die Kirche Menschen liche Äußerungen auftauchen? im Gebet für Frieden, Versöhnung und wenn bekannt wird, dass ein Mit- Nächstenliebe vor Gott. glied der Gemeinde in einer rechtsex- Mit unserer Arbeitshilfe möchten wir tremistischen Organisation oder rech- Mut machen, die Themen aufzugreifen ten Partei engagiert ist? und nicht wegzuschauen, denn unse- wenn Aktivitäten von rechtspopulis- re Gesellschaft braucht Menschen, die tischen und rechtsextremistischen Per- sich für ein solidarisches und toleran- sonen oder Gruppen im Ort oder in der tes Miteinander einsetzen. Umgebung geplant sind? Das Thema zum Thema machen Solche und andere Situationen sind auf jeden Fall ein Grund, das Thema zum Thema zu machen, um Klarheit zu gewinnen und aktiv zu werden. Un- Martina Klein sere Erfahrungen zeigen, dass die Kir- Oberkirchenrätin che eine wichtige Akteurin ist, wenn Leiterin des Dezernates Bildung im vor Ort rechte bzw. rechtsextreme Akti- Landeskirchenamt der EKM Handreichung Rechtspopulismus 5
Salz der Erde. Andacht Ilse Junkermann Jesus Christus spricht: „Ihr seid das Ecken und prägen den „Geschmack“ Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht des Miteinanders. mehr salzt, womit soll man salzen? Es Schauen wir auf die Geschichte der ist zu nichts mehr nütze, als dass man Kirche, müssen wir gestehen: Dem dar- es wegschüttet und lässt es von den in enthaltenen Anspruch sind wir leider Leuten zertreten. Gottes oftmals nicht gerecht geworden. Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die In zu vielen Zeiten hat das Licht unter Stadt, die auf dem Berge liegt, nicht dem Scheffel gestanden, an zu vielen verborgen sein. Man zündet auch nicht Orten entfaltete das Salz keine ausrei- ein Licht an und setzt es unter einen chende Kraft. Ein Beispiel dafür ist die Scheffel, sondern auf einen Leuchter; Zeit des Nationalsozialismus mit dem so leuchtet es allen, die im Hause sind. Mord an mehr als 50 Millionen Men- So lasst euer Licht leuchten vor den schen. Warum nur war die Nächstenlie- Leuten.“ be nicht stärker? Als 1945 dem endlich (Mt 5,13-16a) ein Ende bereitet worden war, erklär- te die evangelische Kirche ihre Mitver- Das Licht ist Gottes erstes Schöpfungs- antwortung: „Wir klagen uns an, dass werk. Es ist das einzige, das nicht wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer durch Teilung aus etwas anderem ent- gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und steht. Es ist umfassend, leuchtet be- nicht brennender geliebt haben.“ ständig. Fehlt das Licht an einem Ort, Seitdem leben wir in Deutschland so schenkt es doch tausend anderen in einer mehr als 70-jährigen Zeit des Helligkeit und Wärme. Friedens. Doch Frieden und Demokra- Salz ist von alters her etwas ausge- tie sind wieder in Gefahr. Nationalis- sprochen Wertvolles. Einstmals diente tische Ideen werden laut. Der Wunsch es zur Reinigung. Noch heute werden nach Abgrenzung gegenüber Fremden Nahrungsmittel durch Salz konser- reicht bis in die Mitte der Gesellschaft. viert. Salz gibt Speisen Würze und ist Populistische, diskriminierende und für den menschlichen Organismus ge- sogar rassistische Parolen finden Wi- radezu lebensnotwendig. derhall in politischen Programmen. Jesu Bildworte vom Salz der Erde Ein „Gutmensch“ zu sein, gilt plötzlich und Licht der Welt sind ein starker Zu- als Schimpfwort. spruch. Jesus mutet uns Christinnen Was würde Jesus dazu sagen? Diese und Christen zu, für diese Welt lebens- Frage begleitete Martin Niemöller, ei- notwendig zu sein. Gäbe es uns nicht, nen der Väter der 1945er Schulderklä- drohte die Welt, fad und dunkel zu wer- rung, ein Leben lang. Sie ist auch für den. Weil es uns aber gibt, bringen wir uns noch eine geeignete Richtschnur. in seinem Namen Licht in alle finsteren Denn Jesus sagt, damals wie heute: 6 Handreichung Rechtspopulismus
„Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Klarheit. Nächstenliebe. Kirche gegen Licht der Welt.“ Das Salz verleiht den Rechtsextremismus. Als Christinnen Speisen Würze. Das Licht macht unser und Christen tragen wir Jesu Namen. Er Leben hell. Beides geschieht, indem es befähigt uns, mutig zu sein und hinein- sich hingibt. Salz löst sich in den Spei- zuwirken in die Verhältnisse, in denen sen auf. Licht verbreitet sich. wir leben. Er spricht uns zu: Lebens- Wir Jüngerinnen und Jünger Jesu notwendig seid ihr, für die Erde und für sind – so geht daraus hervor – niemals die Welt. Vergesst es nicht! nur für uns selbst da. Es ist unsere Be- stimmung, für ein gutes und helles Le- Ilse Junkermann ben aller Kinder Gottes einzutreten. Wo Landesbischöfin der Evangelischen verdunkelt wird durch lebensfeindli- Kirche in Mitteldeutschland che Werte, bringen wir Klarheit in wirre Parolen. Wo gottlose Welt- und entwür- digende Menschenbilder propagiert werden, stellen wir uns dagegen und leben nach dem Maßstab der Nächs- tenliebe. Das mutet uns Jesus zu. Das traut er uns zu. Handreichung Rechtspopulismus 7
GRUNDLAGEN Rechtspopulismus als Herausforderung annehmen Beschluss der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vom 15. November 20172 1. Die Synode der EKD stellt fest, dass Angriffen aus rechtsextremen oder rechtsp op ulistische, rechtsextreme, fremdenfeindlichen Motiven ausge- rassistische, frauenfeindliche und völ setzt sind und dies in der Öffentlich- kisch-nationalistische Einstellungen in keit offensiv vertreten; unserer Gesellschaft anwachsen und in » jeder Inanspruchnahme vermeint- allen gesellschaftlichen Schichten und lich christlicher Werte zur Begrün- Altersgruppen vertreten sind. Auch un dung einer Abschottung unserer Ge- ter Mitgliedern der Kirchen sind solche sellschaft entschieden zu widerspre- Einstellungen anzutreffen. Die Würde chen; eines jeden Menschen, begründet in » die bereits bestehenden kirchen der Ebenbildlichkeit Gottes, und das rechtlichen Möglichkeiten und Ver Gebot der Nächstenliebe sind unauf- fahrenswege auszuschöpfen, durch gebbare Grundlagen unseres Glaubens. die die Pers on en, die rechtsextre- Sie sind nicht vereinbar mit Haltungen mes, rass ist is ches oder fremden- und Ideologien, die Hass und Gewalt feindliches Gedankengut vertreten, verbreiten und eine Ungleichheit von von der Wahl zu einem kirchlichen Mens chen und daraus resultierende Amt ausgeschlossen werden; Ungleichbehandlungen, Ausgrenzun- » ihre bisherigen Anstrengungen zu ver gen und Feindschaft postulieren. stärken und neue Angebote zu ent wickeln, die Menschen ermöglichen, 2. Die Synode der EKD erkennt hinter ihren Glauben als befreiende Botschaft diesen Entwicklungen unterschiedliche zu erfahren, die den Nächsten in den Ursachen, die nach einer differenzier- Blick nimmt, Halt und Zuversicht gibt ten Antwort verlangen. Sie sieht hierin und so vor rechtsextremem Gedan eine Aufgabe für die Gliedkirchen, die kengut schützt; Diakonie und die Kirchengemeinden. » dass die Gliedkirchen insbesondere Sie dankt denjenigen, die sich seit Jah- in ihrem Bildungshandeln an unter- ren bereits in diesem Feld engagieren. schiedlichen Orten und mit verschie- Sie regt an und ermutigt dazu, denen Zielgruppen (Kindertages- » dass Kirchen und Gemeinden sich stätten und Jugendarbeit, Schulen, schützend vor Menschen stellen, die Erwachsenenbildung und Familien- bildung) ein deutliches Gewicht auf 2 Die EKD und auch die EKM behandeln diese Thematik regelmäßig, aktuelle Verlautbarun- das Einüben demokratischer und gen dazu finden Sie auf www.ekd.de und www. partizipatorischer Verfahrensweisen ekmd.de. 8 Handreichung Rechtspopulismus
und Gesprächsformen legen und in » sich als Kirche in eine konzeptionell ihrer Aus- und Fortbildung verstärkt durchdachte, inklusive Gemeinwe- zum Einsatz bringen; senarbeit einzubringen und von den » bereits bestehende Arbeitsmateria- politischen Amtsträgern größere An- lien und Handreichungen zum Um- strengungen für eine soziale Integra- gang mit Rechtsextremismus und tion einzufordern; Rechtspopulismus bekannt zu ma- » in Kirchengemeinden und kirchli- chen und zu verbreiten bzw. solche chen Einrichtungen Gesprächsmög- für den eigenen Bedarf neu zu erstel- lichkeiten für Menschen zu eröffnen, len. Hierzu gehört auch die Entwick- die unter Ängsten und Verunsiche- lung einer theologisch begründeten rung angesichts der Veränderungen Argumentation gegen rechtsextre- in unserer Gesellschaft leiden. Die mes Gedankengut; Gespräche sollen nicht als Podium » den interreligiösen Dialog insb e für das Schüren weiterer Ressenti- sondere mit den muslimischen Ge ments missbraucht werden können. sprächspartnern und den jüdischen Kirche kann und soll in solchen Di- Gemeinden als kirchliche Aufgabe zu alogen keine neutrale Position ver- verstehen und weiterzuentwickeln; treten. Sie kann aber dazu beitragen, » die interkulturelle Kompetenz von dass Gespräche gut geleitet und mo- Mitarbeitenden zu stärken und die deriert werden und sachliche Argu- interkulturelle Öffnung von Kirchen mente Gehör finden. und Gemeinden zu fördern; » sich in Kooperation mit zivilgesell- schaftlichen Organisationen, Wohl- Die Präses der Synode der Evange fahrtsverbänden und Kommunen lischen Kirche in Deutschland weiterhin nachdrücklich für eine soziale Integration von Menschen Dr. Irmgard Schwaetzer einzusetzen, die in Stadtteilen und Regionen leben, die unter Armut, fehlenden Beschäftigungs- und Bil- dungschancen und mangelnder In frastruktur leiden; Handreichung Rechtspopulismus 9
Wegschauen und schweigen gilt nicht! Warum sich die Evangelische Kirche gegen Rechts extremismus und Rechtspopulismus engagieren muss. Eine theologische Perspektive Michael Haspel Dass der christliche Glaube mit rechts- Wahl 1933 überproportional erfolgreich extremen Ideologien nicht vereinbar ist, war. Vergleicht man diese Regionen mit werden die meisten bejahen. Aber wie den Wahlergebnissen von rechtsextre- sieht es mit rechtspopulistischen Paro- men und rechtspopulistischen Partei- len aus? Und warum soll sich die Kir- en heute – und auch mit der Häufigkeit che auch in der Gesellschaft, gemein- rassistischer und rechtsextrem moti- sam mit anderen zivilgesellschaftlichen vierter Gewalttaten –, so lässt sich wie- Gruppen und dem Staat, aktiv gegen der eine, wenn auch schwächere, Über- Rechtsextremismus und Rechtspopu- einstimmung feststellen. lismus engagieren? Sogenannte Stammtischparolen gibt Wesentliche Elemente rechtsextre es nicht nur im Wirtshaus, auch in men Gedankenguts sind Fremdenfeind kirchlichen Zusammenhängen und Fa- lichkeit, Rassismus, Sexismus, Orien milien von Kirchengliedern begegnen tierung an autoritären Strukturen, wir ihnen. Wir müssen uns damit aus- Demokratie und Pluralitätsabwertung, einandersetzen, dass wir Teil des Pro- Bestreiten von Gleichheit etc. Im Fol- blems sind, um Teil der Lösung werden genden möchte ich zeigen, dass die- zu können. se Aspekte mit der Grundorientierung des christlichen Glaubens unvereinbar 1. Gottebenbildlichkeit und Men- sind und die Kirche zum Widerspruch schenwürde und Widerstand aufgefordert ist. In der Schöpfungserzählung am Be- Allerdings ist es ja keinesfalls so, dass ginn des biblischen Zeugnisses wird diese Einstellungen zum Teil nicht auch überliefert, dass Gott die Menschen, von Christinnen und Christen geteilt alle Menschen, als Bild seiner selbst werden. Es ist also nicht so, dass wir als erschafft: „Und Gott schuf den Men- Kirche per se Teil der Lösung sind. schen zu seinem Bilde, zum Bilde Got- Die evangelische Kirche steht hier in tes schuf er ihn; und schuf sie als Mann der Verantwortung, Konsequenzen aus und Weib“ (1. Mose 1,27). Alle Men- der eigenen Geschichte zu ziehen. In schen sind also nicht nur Gottes Ge- Mitteldeutschland waren es, wie in an- schöpfe, sondern seine Ebenbilder. deren Gebieten auch, gerade die sehr Dadurch ist die besondere Beziehung protestantisch geprägten Gebiete, in Gottes zu den Menschen zum Ausdruck denen die NSDAP 1932 und in der März- gebracht. Er setzt sich zu den Men- 10 Handreichung Rechtspopulismus
schen in Beziehung. Sie sind von Gott pe in der Alltagspraxis zu hinterfragen. gewollt. Sie sind nicht einfach zufällig Begegnungen in der Ökumene weltweit da, sondern stehen von Anfang an in und im eigenen Land können dazu bei- einer kommunikativen Beziehung, die tragen, eigene Einstellungen und Wer- Geschichte und Lebensgeschichte er- tungen zu überprüfen. Einige unse- öffnet und begleitet. Deshalb ist in der rer Partner-Kirchen haben dazu eigene Gottebenbildlichkeit nach christlichem Programme entwickelt, um unbewuss- Verständnis die Würde aller Menschen ten und institutionellen Rassismus und angelegt. Bei rechtsextremen Einstel- Sexismus offen zu legen und zu deren lungen und Ideologien spielt die Un- Überwindung beizutragen. gleichheit von Menschen aufgrund ih- rer Abstammung und Kultur eine große 3. Die bleibende Erwählung Rolle. Dies ist mit der Lehre von der der Jüdinnen und Juden Gottebenbildlichkeit aller Menschen Der ursprüngliche Bund Gottes galt nicht vereinbar. seinem erwählten Volk Israel, dem er sich offenbart hat. Nach christlichem 2. Die Kirche Jesu Christi ist multi- Verständnis hat Gott diesen Bund kulturell durch die Offenbarung in Jesus Chris- Schon Paulus hat theologisch geklärt, tus für alle Menschen geöffnet, die an dass die gute Nachricht von der Ge- ihn glauben. Der ursprüngliche Bund rechtsprechung der Sünderinnen und bleibt aber in seiner Besonderheit er- Sünder durch den Glauben an Jesus, halten: „Wenn aber nun etliche von den Christus, allen Menschen gilt: „Hier den Zweigen ausgebrochen sind und ist nicht Jude noch Grieche, hier ist du, der du ein wilder Ölbaum warst, nicht Knecht noch Freier, hier ist nicht bist unter sie gepfropft und teilhaftig Mann noch Weib; denn ihr seid allzu- geworden der Wurzel und des Saftes mal einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28). im Ölbaum, so rühme dich nicht wider Die christliche Kirche ist deshalb offen die Zweige. Rühmst du dich aber wider für alle Menschen, egal welcher Ab- sie, so sollst du wissen, dass nicht du stammung sie sind, unabhängig von ih- die Wurzel trägst, sondern die Wurzel rem Geschlecht, ihrer sozialen Stellung trägt dich“ (Röm 11,17f). Deshalb sind usw. Die christliche Kirche war von An- Christinnen und Christen dem Volk Is- fang an multikulturell. Das Evangelium rael in besonderer Weise verbunden. hat eine universale Tendenz: Auch in Jesus und die Glieder der Urgemeinde dieser Perspektive wird deutlich, dass waren Juden. Deshalb ist jede Form des das biblische Zeugnis im Gegensatz Antisemitismus vom biblischen Zeug- zu rassistischen und sexistischen In- nis und christlichen Glauben her abzu- halten rechtsextremer Überzeugungen lehnen. Dies gilt insbesondere vor dem steht. Die Herausforderung bleibt aber Hintergrund, dass es auch im Christen- bestehen, unterhalb der Oberfläche ei- tum verhängnisvolle Formen des Anti- ner liberalen Haltung, rassistische und judaismus gab und gibt. Gerade des- sexistische Einstellungen und Stereoty- halb wird sich die evangelische Kirche Handreichung Rechtspopulismus 11
gegen den Antisemitismus in der Ge- andere Völker und Fremde überliefert sellschaft wenden. sind, findet sich doch eine erstaunli- che Tendenz gerade zum Schutz frem- 4. Demokratische Kultur gehört zur der Menschen. Wohl aufgrund der ei- neuzeitlichen Gestalt des Protes genen Erfahrungen in Exilsituationen tantismus (Ägypten, Babylon) haben sich so in In Entsprechung zu diesem Verständ- der Rechtsordnung Israels besondere nis der Gleichheit aller hat sich mit der Formen des Schutzes von Ausländern Zeit in den evangelischen Kirchen die entwickelt: „Die Fremdlinge sollst du Überzeugung herausgebildet, dass die nicht bedrängen und bedrücken; denn angemessene Form der Kirchenleitung ihr seid auch Fremdlinge in Ägypten- nur geschwisterlich sein kann. Die cal- land gewesen“ (2. Mose 22,20). Die so vinistisch und freikirchlich geprägten genannten „Fremdlinge“ wurden den Kirchen in England und Nordamerika Einheimischen gleichgestellt. Beach- waren hier Vorreiter. In einer Kirche, tenswert ist dabei, dass diese Regelun- in der alle von gleichem Wert und glei- gen in die Rechtssammlungen des Al- cher Würde sind, auch wenn sie un- ten Testaments aufgenommen wurden, terschiedliche Funktionen ausüben, ihnen also eine besondere Form der geschieht die Kirchenleitung in presby- Verbindlichkeit und Bedeutung gege- terial-synodaler Weise. Immer wieder ben wurde: „Es soll ein und dasselbe sind von den demokratischen Struk- Recht unter euch sein, für den Fremd- turen und der demokratischen Kultur ling wie für den Einheimischen; ich bin evangelischer Kirchen – wie unvoll- der Herr, euer Gott“ (3. Mose 24,22). kommen sie auch gewesen sein mögen Zudem gehört es durch die schmerz- – Anstöße zur Demokratisierung von haften Erfahrungen der konfessionel- Gesellschaften ausgegangen. Die fried- len Spaltung und der Religionskriege liche Revolution 1989 in der damaligen des 16. und 17. Jahrhunderts zu den DDR ist ein eindrückliches Beispiel in grundlegenden Einsichten der euro- unserem eigenen Land. Aber auch die päischen Gesellschaften, dass rechts- Rolle der Schwarzen Kirchen in der staatlicher Schutz für alle unabhängig Bürgerrechtsbewegung der USA ist hier von ihrer Herkunft und Religionszu- zu nennen. Deshalb bejaht die evan- gehörigkeit eine Grundvoraussetzung gelische Kirche den demokratischen für die gewaltfreie Konfliktlösung und Rechtsstaat. Dies widerspricht den de- friedliches Zusammenleben ist. Die mokratiefeindlichen Positionen rechts- christlichen Kirchen engagieren sich extremer und rechtspopulistischer auch deshalb in der Gesellschaft für Ideologien und deren Bejahung einer den rechtsstaatlichen Schutz aller autoritären oder diktatorischen Regie- Menschen unabhängig von ihrer Her- rung durch einen „starken Mann“. kunft bzw. Religionszugehörigkeit. Die Friedensordnung am Ende des Drei- 5. Der rechtsstaatliche Schutz der ßigjährigen Krieges 1648 hat darüber „Fremdlinge“ hinaus zu einer politischen Kultur der Obwohl gerade im Alten Testament Toleranz sowie des Ausgleichs und vielfach Berichte von Gewalt gegen Kompromisses beigetragen, die gerade 12 Handreichung Rechtspopulismus
in einer vielfältiger werdenden Gesell- staltung des Gemeinwesens, in dem sie schaft von bleibender Bedeutung ist. leben, ergibt. Der Öffentlichkeitsauf- trag der Kirche folgt aus dem Öffent- 6. Orientierung auf Gerechtigkeit lichkeitsanspruch des Evangeliums. und Frieden Die Weltverantwortung gehört zum Der Prophet Jesaja entwirft eine große Evangelium ursprünglich dazu, sie Friedensvision, die er an die Erwartung kommt nicht erst hinzu. In diesem Sin- eines kommenden Messias bindet: „Ge- ne werden sich nicht nur evangelische rechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden Christinnen und Christen, sondern die sein und die Treue der Gurt seiner Hüf- Gemeinden und Kirchen gegen Rechts- ten. Da werden die Wölfe bei den Läm- extremismus und seine Elemente en- mern wohnen und die Panther bei den gagieren. Zum einen weil sie zu unmit- Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird telbarer Hilfe herausgefordert werden, Kälber und junge Löwen und Mastvieh wenn Menschen von Rechtsextremen miteinander treiben. Kühe und Bären in ihrem Leben beeinträchtigt werden werden zusammen weiden, dass ihre – und das fängt nicht erst bei der An- Jungen beieinander liegen, und Löwen drohung und Anwendung von Gewalt werden Stroh fressen wie Rinder. Und an. Zum zweiten müssen sie sich gegen ein Säugling wird spielen am Loch der den gesellschaftlichen und politischen Otter, und ein entwöhntes Kind wird Rechtsextremismus und Rechtspopu- seine Hand stecken in die Höhle der lismus wehren, weil er fundamental Natter“ (Jes 11,5-8). Mit gewaltlosen Mit- den christlichen Grundüberzeugungen teln Frieden und Gerechtigkeit in einem und Maßstäben widerspricht. Drittens Gemeinwesen und weltweit zu schaf- werden die Kirchen im Rahmen ihres fen, ist eine Grundorientierung des bib- Öffentlichkeitsauftrags die demokrati- lischen Zeugnisses, das durch die ver- sche und plurale Kultur- und Instituti- schiedenen Formen der Überlieferung onenordnung unseres Landes stärken, hindurch zunehmend deutlich wird. die Grundlage unseres Gemeinwesens Dies widerspricht einer Propagierung ist, gemäß dem Motto: „Suchet der des Rechts des vermeintlich Stärkeren, Stadt Bestes ... und betet für sie zum wie es in rechtsextremen und rechtspo- Herrn; denn wenn’s ihr wohlgeht, so pulistischen Weltbildern zu finden ist. geht’s auch euch wohl.“ (Jer 29,7) Dazu gehört viertens, zu erkennen, dass Ras- 7. Der Schutz von Demokratie, sismus, Sexismus, Antisemitismus und Rechtsstaat und Pluralismus ge- weitere Formen gruppenbezogener hört zur Weltverantwortung der Menschenfeindlichkeit nicht nur eine Kirche Frage individueller und kollektiver Ein- Die Bezeugung des Evangeliums ist stellungen ist, sondern gesellschaft- konstitutiv öffentlich (Augsburger Kon- lich-institutionelle Ursachen haben. fession, Art. 14). Dies gilt sowohl für Deshalb gehört es zur Weltverantwor- den Zuspruch des Evangeliums als tung der Kirche, nicht nur in direkter auch für den Anspruch, der sich dar- menschlicher Hilfe aktiv zu werden aus für die Lebensführung der Chris- und Nächstenliebe zu üben, sondern tinnen und Christen und ihre Mitge- auch die politischen, kulturellen und Handreichung Rechtspopulismus 13
wirtschaftlichen Mechanismen zu be- fähig. Besonders rassistische und se- kämpfen, die Ausgrenzung, Ausbeu- xistische Stereotype dienen dazu, die tung und Abwertung hervorbringen. Grenzen des Sagbaren zu testen und Dabei sind neben den offensichtli- schleichen sich in die Alltagskommu- chen Angriffen auf die Menschenwür- nikation ein. Bestimmte Positionen als de zwei Entwicklungen besonders be- falsch und menschenrechtsverletzend unruhigend. Zum einen gehört es zur zu bewerten heißt ja nicht, sie zu unter- Strategie des Rechtspopulismus, die drücken oder zu verbieten, wie von Po- Grenzen dessen, was als Teil des öffent- pulisten dann immer behauptet wird, lichen Diskurses akzeptabel ist, zu ver- um sich selbst in die Opferrolle zu be- schieben. Die Möglichkeiten der digita- geben. Wir erleben dieses Verschie- len Kommunikation ermöglichen hier ben von Grenzen auch in den kirchli- Entwicklungen, die noch vor kurzem chen Diskursen. Hier gilt es wachsam undenkbar waren. Meinungsfreiheit zu sein, um, was falsch ist, als falsch zu ist ein wichtiges Gut in der demokrati- markieren, und was menschenfeind- schen Gesellschaft. Und es sollen keine lich ist, als menschenfeindlich. Es ist Meinungen verboten oder unterdrückt die prophetische Aufgabe der Kirche werden, wenn sie nicht in strafrechtlich nach innen und außen, zu sagen, was relevanter Weise verletzend sind. Aber ist und darauf zu vertrauen, dass uns es sollte immer darum gehen, dass sol- die Wahrheit frei machen wird. che Positionen nach dem Motto „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ Prof. Dr. Michael Haspel lehrt an der nicht als normal oder richtig angesehen Forschungsstelle „Sprache. Kommuni- werden. Nicht alles, was man sagen kation. Religionsunterricht“ am Martin- darf, ist deshalb schon zustimmungs- Luther-Institut der Universität Erfurt. 14 Handreichung Rechtspopulismus
Im Gespräch bleiben, Grenzen setzen David Begrich Das Thema Flucht und Migration po- pen, die sich kritisch bis ablehnend larisiert die Gesellschaft seit 2015 so zu den Themen Flucht und Asyl äu- stark wie seit Beginn der 1990er-Jah- ßern, in breitem Umfang Aufmerksam- re nicht mehr. Rechtspopulistische keit. Ob in Leserbriefspalten der Tages- Stimmungen werden von der AfD als zeitungen oder in Talkshows: überall Wählerstimmen mobilisiert. Die offi- kommen diese Positionen zu Wort. zielle Haltung der Kirchen ist eindeu- Dass Gemeindeglieder dennoch den tig. Sie wehrt sich gegen rechtspopu- Eindruck haben, nicht gehört zu wer- listische Vereinnahmungsversuche im den, hängt vor allem daran, dass sich Namen des „christlichen Abendlan- diese Menschen aus sehr unterschied- des“ und unterstützt den Flüchtlings- lichen Gründen von Politikern und Kir- schutz. Doch wie andere gesellschaft- chenleitungen nicht mehr vertreten liche Großorganisationen ist Kirche sehen. Viele Faktoren spielen hier zu- in gewissem Umfang Spiegel der Ge- sammen: das Gefühl von Ohnmacht ge- sellschaft. Somit finden sich auch hier genüber als bedrohlich empfundenen skeptische, ablehnende und wohl auch Veränderungen in der eigenen Lebens- rassistische Auffassungen gegenüber welt, die zu einer kulturellen Entfrem- Flüchtlingen und Migranten. Kirchen- dung führt, der schwindende solidari- gemeinden sollten sich der Debatte sche Zusammenhalt in der Gesellschaft stellen. Aber wie? und der Umstand, dass Werte und Nor- men des Zusammenlebens nicht mehr Wahrnehmung schärfen wie scheinbar früher selbstverständ- Zunächst gilt es, die eigene Wahrneh- lich sind, sondern Teil eines Aushand- mung zu schärfen, wo Mitglieder in der lungsprozesses auch mit Minderheiten, Kirchengemeinde artikulieren, sie kä- die vor Jahren noch kein Gehör fanden. men mit ihren Ansichten zum Thema Dennoch ist die Kirchengemeinde ein Flüchtlinge nirgendwo, auch nicht in guter Ort, dem Eindruck des Nicht-Ge- ihrer Kirchengemeinde zu Wort. Dem hört-Werdens entgegenzutreten. Denn vielfach von Vertretern rechtspopulisti- anders als in anderen Arenen der ge- schen Positionen in Politik und Medien sellschaftlichen Debatte, in denen es vermittelten Eindruck, es gäbe keinen immerfort nur um die Konkurrenz der Raum für offene, kontroverse und kri- Ansprüche und der Aufmerksamkeit tische Diskussionen rund um Themen geht und zu meist jene Aufmerksam- wie Flucht und Asyl, gilt es ruhig und keit bekommen, die sich am lautesten sachlich entgegen zu treten. Denn das zu Wort melden, kann eine Kirchenge- Gegenteil ist richtig. Seit etwa drei Jah- meinde ein guter Ort für eine Kultur des ren schenken Politik und Medien Men- Zuhörens und des respektvollen, diffe- schen und politischen Interessengrup- renzierten Gesprächs sein. Handreichung Rechtspopulismus 15
Im Dialog bleiben listischen Positionen aufzuzeigen. Diese Um im Dialog mit Gemeindegliedern, die ist erreicht, wo Menschen pauschal dif- rechtspopulistische Positionen vertreten, famiert, beleidigt und diskriminiert oder zu bleiben, ist es wichtig, eine wertschät- ihnen die Existenzberechtigung abge- zende Zuhörens- und Gesprächsbereit- sprochen wird, Fragen durch scheinbar schaft gegenüber den Menschen zu sig- feststehende Antworten für unzulässig er- nalisieren, die die Bereitschaft zeigt, die klärt werden, und die Debatte um Inhalte eigenen Gewissheiten nicht zum Maß zu durch Vorurteile und Rassismus ersetzt erklären, sondern begründet zur Diskus- wird. Ob und wo diese Grenzen erreicht sion zu stellen. Es kann eine Arbeit des sind, können und sollten Kirchengemein- Aushaltens sein, sich mit Sichtweisen den immer wieder im Licht der biblischen zu konfrontieren, die den eigenen mo- Botschaft und der Bekenntnisschriften ralischen und ethischen Auffassungen ansehen, prüfen und diskutieren. widersprechen oder diese fundamen- tal in Frage stellen. Dialog mit Vertretern Handlungsempfehlung rechtspopulistischer Auffassungen ge- Dialogformate sollten zu selbstgewähl- lingt, wo Argumente wirklich abgewogen, ten Bedingungen stattfinden. Kirche ist ihre Gründe nachvollziehbar dargelegt gesprächsbereit, aber nicht um jeden werden und auf persönlich verletzende Preis. Anlass, Ort und Gesprächsformat Unterstellungen und Urteile moralischer sollten Gewähr für eine ausgewogene Abwertung verzichtet wird. Dialog setzt und faire Debattenkultur bieten, in der jedoch auch eine Kultur der Konfliktfä- auch Minderheitenmeinungen zu Wort higkeit voraus, die bereit ist, auf radikal kommen und gehört werden. Gemein- andere Sichtweisen wirklich einzugehen, den sollten prüfen, wem sie ein Forum statt sie nur zur Kenntnis zu nehmen. Die bieten. Jenen, die als Ideologieprodu- Schwierigkeit, die sich in den Formaten zenten des Rechtspopulismus agieren, des Bürgerdialogs im Umfeld von PEGIDA ist in der Regel nicht an einem wirkli- zeigten, erwuchsen zu einem nicht unwe- chen Austausch gelegen. sentlichen Teil aus dem Umstand, dass Pluralität sichtbar machen: Gegen ein Teil der Anhängerschaft rechter Posi- die Polarisierung der Meinungen gilt es, tionen gar keine anderen Argumente hö- die Pluralität der Stimmen und die Dif- ren wollte, sondern nur auf Bestätigung ferenziertheit verschiedener Perspekti- der eigenen Ansichten aus war. ven auf die Kontroverse um rechtspopu- listische Themensetzungen zu stärken. Grenzen setzen Motto: Wo andere laut werden, werden Zugleich gilt es, Grenzen zu setzen. Die wir leise. Wo andere generalisieren, dif- Auseinandersetzungen um die Dialog- ferenzieren wir. Wo andere endgültige fähigkeit der Demokratie führten in den Antworten geben, fragen wir nach. zurückliegenden Jahren zu einer Verro- hung der politischen Sprache und zu ei- David Begrich hat Evangelische Gemein- ner folgenreichen Gewaltaffinität. Daher depädagogik in Potsdam und Berlin stu- ist es ebenso wichtig, namens der eige- diert und ist Mitarbeiter der Arbeitsstel- nen Positionen die Grenzen der Dialog- le Rechtsextremismus bei Miteinander bereitschaft mit rechten und rechtspopu- e.V. in Magdeburg. 16 Handreichung Rechtspopulismus
BAUSTEINE Der Bau einer Moschee in Erfurt-Marbach und eine zerrissene Gemeinde Interview mit Pfarrer Ricklef Münnich Im Jahre 2016 wurde bekannt, dass die islamische Ahmadiyya-Gemeinde den Bau einer Moschee im Erfurter Stadtteil Marbach geplant hat. Es gab bald zum Teil heftige, abwehrende Reaktionen und Widerstand von verschiedenen Seiten. Un- ter anderem hatten sich die AfD und rechte Bewegungen in einer „Widerstands- gruppe“ namens „Bürger für Erfurt“ gegen den Bau positioniert. Demgegenüber haben sich der Evangelische Kirchenkreis Erfurt, die EKM, die katholische Kirche und auch die Jüdische Landesgemeinde für den Bau der Moschee ausgesprochen. In Marbach selbst ist die Bevölkerung seither gespaltener Meinung. Ricklef Münnich, Sie waren Orts- Kirche dürfe sich in dieser Sache nicht pfarrer in Marbach und Salomons- auf eine Seite schlagen, sie dürfe eine born. Wie hat die Kirchgemeinde islamische Expansion nicht gut heißen. reagiert, als der Bauantrag bekannt Nachdem eine Bürgerversammlung wurde? im Sport- und Freizeitzentrum recht Der Bauantrag wurde mir zunächst in- tumultartig und unergiebig verlaufen direkt bekannt, als mich mehrere Men- war, wurde am 7. Juni 2016 in das evan- schen anriefen und fragten, wie hoch gelische Gemeindehaus eingeladen zu denn der Marbacher Kirchturm sei. Das „Information und Gespräch“ unter dem habe ich dann selbst erst aus den Un- Titel „Muslime in unserer Nachbar- terlagen herausgesucht. Über die An- schaft“. Da es in der Gemeindeleitung gabe „22 Meter“ waren die Anrufer be- jedoch Vorbehalte und Fragen gab, ob ruhigt. Wie sich herausstellte, gab es sich die Kirchengemeinde überhaupt Befürchtungen, das geplante Minarett in die Auseinandersetzungen einbrin- einer Moschee in Marbach würde hö- gen solle, stand unter der Einladung: her als der christliche Kirchturm. „Eine Veranstaltung der Evangelischen Innerhalb des Gemeindekirchenra- Erwachsenenbildung Thüringen“. Man tes gab es immer kontroverse Ansichten traute sich nicht, Farbe zu bekennen. und Standpunkte zum Bauvorhaben. Der gut besuchte Abend selbst wurde Die Stellungnahme der Landesbischö- als sehr positiv empfunden, weil alle fin Ilse Junkermann wurde intern mehr- Anwesenden offen ihre Meinung sagen heitlich kritisiert, insbesondere die konnten, gleich wie sie lautete. Aussage: „Deshalb begrüßen wir als Für mich ist dies die eigentliche Auf- evangelische Kirche den Moscheeneu- gabe von Kirche, auch weil sie niemand bau in Erfurt.“ Die Meinung war, die sonst wahrnimmt, nämlich ein freies Handreichung Rechtspopulismus 17
Gespräch und offenen Meinungsaus- ten, sondern benutzt und unterwan- tausch zu ermöglichen, ohne dass je- dert wurden sie von zwei Gruppierun- mand deswegen in linke oder rechte gen, die der „Identitären Bewegung“ Ecken gestellt wird. nahestehen, nämlich der Bürgerinitia- Am besten gelang dies mit den Kon- tive „Ein Prozent“ und der „KontraKul- firmandinnen und Konfirmanden, die tur“ Halle. Diese hatten die Aufstellung vorgeschlagen hatten, sich selbst bes- der Kreuze organisiert und finanziert. ser zu informieren und das Gespräch Aber sie griffen ein Marbacher „Ge- mit der Ahmadiyya zu suchen. So fand fühl“ auf und verwandelten es in eine ein Konfirmandentag zusammen mit politische Aussage, für die ein christ- jungen Mitgliedern der Ahmadiyya liches Symbol eingesetzt wurde: Eine und Herrn Mohammad Suleman Malik Moschee an dieser Stelle bedroht unser statt. Dieser Tag war für alle Beteiligten „christliches Abendland“, aber wir ge- eine positive Erfahrung. ben es nicht kampflos auf, dafür stehen Hier kam zum Beispiel auch zur Spra- die Kreuze. che, was für viele Gegner eines Mo- Die Reaktionen auf meinen Protest, scheebaues als irrelevant angesehen dass hier ohne religiösen Hintergrund wurde, mir jedoch für das Verständnis das wesentliche Symbol der katho- nicht unerheblich zu sein scheint: Die lischen wie evangelischen Gemein- Ahmadiyya-Gemeinde stammt nicht de missbraucht würde, fielen erwar- aus der arabischen Kultur, sondern aus tungsgemäß gegensätzlich aus. Die Pakistan, wo sie verfolgt wird. Daher einen schüttelten den Kopf: Jetzt steht leben ihre Anhänger zum Teil seit Jahr- nicht einmal mehr der Pfarrer hinter zehnten als anerkannte Asylbewerber dem christlichen Kreuz und damit den in Deutschland. Diese haben zumeist christlichen Werten unserer abendlän- die deutsche Staatsbürgerschaft und dischen Kultur; andere spürten frei- müssen als integriert gelten. Im Ver- lich, dass das Kreuzsymbol – so gut hältnis zu den Hauptströmungen des wie ausschließlich von Nichtchristen – Islam werden sie – auch von diesen – für ihre eigenen Ziele und Zwecke be- als Sekte angesehen bzw. abgelehnt. nutzt werden sollte. Genau genommen handelt es sich dem- nach bei der geplanten Errichtung ei- Im Gemeindekirchenrat wurde dis- ner Moschee in Erfurt-Marbach nur ein- kutiert, später auch in öffentlichen geschränkt um einen islamischen Bau. Veranstaltungen in Marbach, mit Vertreterinnen und Vertretern von Neben dem Baugelände der Mo- Stadt, Kirchen und Kommune. Was schee wurden von der rechtskonser- waren entscheidende Punkte in die- vativen Gruppe demonstrativ Holz- sen Auseinandersetzungen? kreuze aufgestellt. Sie haben sich als Die hauptsächlichen Argumente – Pfarrer klar positioniert: Das christ- wenn man den Begriff verwenden will liche Symbol darf nicht missbraucht – waren: werden. Welche Reaktionen gab es? » In Marbach gibt es keine Muslime, Letztlich waren es nicht die „Bürger für und jetzt soll hier ein muslimisches Erfurt“, die die Kreuze aufgestellt hat- Zentrum entstehen, zu welchem die 18 Handreichung Rechtspopulismus
Besucher der Moschee aus ganz Thü- mischen Staaten darf man auch keine ringen nach Marbach angereist kom- Kirchen bauen. Wenn das einmal mög- men und den Ort vollständig über- lich werden sollte, können wir anfan- fremden werden. gen zu reden. » Wenn ich künftig aus Erfurt von der Gegen diese Sichtweise gab es kaum Arbeit nach Hause fahre, sehe ich Einspruch. Nicht, dass alle so dach- als erstes das Minarett. Das will ich ten. Aber in einer Zeit, in der tatsäch- nicht. Das wäre nicht mehr meine lich sehr viele Menschen den Eindruck Heimat. hatten, mit der Öffnung der Grenzen » Die Moschee kann durchaus irgend- für eine unkontrollierte Zuwanderung wo anders stehen, aber nicht hier bei nach Deutschland seien Gesetze min- uns. destens zeitweise außer Kraft gesetzt » Wir haben uns mit all unseren Er- worden, fruchtete der Verweis auf eine sparnissen unsere Grundstücke ge- Gesetzeslage beim Moscheebau in Er- kauft und Häuser gebaut. Kommt die furt argumentativ wenig. Moschee, wird unser Eigentum einen gewaltigen Wertverlust erleiden. Nur etwa vier Prozent3 der Thüringer » Der Islam gehört nicht zu Deutsch- haben einen Migrationshintergrund, land und darum eine Moschee nicht auch wenn sich deren Zahl seit 1999 zu Marbach. verdoppelt hat. Welche tieferen » Die Moschee ist Teil einer groß an- Ängste und Vorbehalte sind hinter gelegten Strategie, uns mit fremden den gefühlten Überfremdungs- und Werten und Vorstellungen zu unter- Bedrohungsszenarien zu vermuten? wandern. Wenn wir nicht aufpassen, Die Bürger der DDR haben infolge der wird der Islam bald ganz unsere Zu- „Wende“ einen immensen und um- kunft bestimmen und beherrschen. fassenden Verlust an Bedeutung aller Darum müssen wir der Anfänge in Werte erlebt, die bis 1989 galten. Bio- Marbach wehren. grafien wurden ganz neu bewertet, Orientierung in der neuen Bundesre- Besonders häufig wurde gesagt: „Die publik musste erst geübt werden. Ein Mehrheit der Marbacher ist gegen die gewisser Werteverlust hält tatsächlich Moschee. Darauf nimmt die Stadt Erfurt bis heute an, Konsum und Vermehrung jedoch keine Rücksicht.” Die gefühlte materieller Güter schaffen kein Gegen- und wahrscheinlich auch vorhandene, gewicht, das seelische Ausgeglichen- aber natürlich empirisch unbewiesene heit und Zufriedenheit mit sich bringt. Mehrheit galt in allen Gesprächen ge- Der Islam und die Ahmadiyya scheinen wichtiger als das Argument der grund- klare und eindeutige Werte und Verhal- gesetzlich geregelten Religionsfreiheit: tensweisen zu fordern und zu vermit- Auf uns hört ja niemand in Politik und teln. Dies wird vor dem geschilderten Verwaltung, darum interessieren uns Hintergrund als Bedrohung erlebt. auch nicht mögliche Auswirkungen der Religionsfreiheit, die wir nicht ver- 3 Daten vom Thüringer Landesamt für Statistik, treten. Das Grundgesetz wurde argu- 2018: https://statistik.thueringen.de/datenbank/ mentativ so beiseite gewischt: In isla- TabAnzeige.asp?tabelle=kr000102%7C%7C Handreichung Rechtspopulismus 19
Klare und eindeutige Werte zum Han- besonders unter den Einwohnern Mar- deln gegenüber anderen in Gemein- bachs. Kirchengemeinde hat dabei die de und Öffentlichkeit sowie gegenüber Zerrissenheiten, die Marbach schon Menschen in Not auf der Grundlage der vor dem Bauantrag für die Moschee Bibel haben natürlich auch die christ- prägten, immer wieder mit den Betrof- lichen Gemeinden. Aber Motive und fenen gemeinsam anzuschauen. So die Überlegungen wie „Wenn wir beten und Tatsache, dass seit 1945 wesentliche das in unserer Kirche tun, dann kön- Teile der Dorfbevölkerung aus Flücht- nen wir doch auch andere in ihrem Got- lingen bestehen und diese von Hilfs- teshaus beten lassen“, verfingen meist wie auch von Feindschaftserfahrungen nicht. Am Eindrücklichsten war mir der zu erzählen wissen. So die Tatsache, Einwand eines Gemeindeältesten: „Sie dass Marbach nach 1990 eine Zuwan- müssen ja so reden, Herr Pfarrer“. derung von bis heute dem Doppelten der alten Dorfbevölkerung erlebte – Der Bauantrag ist im Januar 2018 von nämlich in die Neubaugebiete, und die der Stadt genehmigt worden. Vorher „Neuen“ ebenfalls von Willkommens- gab es wieder Demos und Kundge- wie Ablehnungsbekundungen berich- bungen, und mit weiteren ist zu rech- ten können. nen. Wie beschreiben Sie die Lage im Kirchengemeinde lebt von Kommu- Moment? nikation, Kommunikation des Evan- Viele Menschen sind der Auseinander- geliums. Sie kommuniziert und lebt setzungen müde. Sie sind enttäuscht Inhalte des Evangeliums, wenn sie von der Erfurter Politik und Verwal- gegnerische Standpunkte moderiert tung, da sie nicht angehört würden. und auch wenn sie sich im Idealfall in Insofern herrscht derzeit Ruhe, wenn der gemeinsamen Kommunion, dem auch eine angespannte Ruhe. Sie wür- Abendmahl, von ihrem Herrn versöh- de sich im Moment einer Grundstein- nen lässt. legung womöglich in neuen Protesten Von den biblischen Grundlagen entladen. Man wird sehen, ob diese her sollten auch die „essentials“ ei- auch – von außen importiert – mit An- ner christlichen Gemeinde noch klarer wendung von Gewalt zum Ausdruck zum Ausdruck gebracht werden. Die gebracht würden. Geschwisterlichkeit mit der jüdischen Gemeinde zum Beispiel bringt eindeu- Welche Lösungen gibt es aus Ihrer tige Entscheidungsvorgaben mit sich. Sicht? Wir werden immer für einen Synago- Die Lösung aus der Sicht einer großen, genbau kämpfen, wir werden uns im- wenn nicht überwiegenden Zahl von mer für jüdische Religionsfreiheit bei Marbacherinnen und Marbachern ist Beschneidung und Schächtung einset- einfach: Keine Moschee in Marbach, zen. Das setzt Maßstäbe, die dann auch keine Moschee in Erfurt! in der Bewertung muslimischer Religi- Meine Lösung wäre, wieder und wie- onspraxis nicht mehr übersehen wer- der zu versuchen, miteinander zu re- den können. den. Auch mit den Mitgliedern der Wenn es also gelingt, die Zeit bis zur Ahmadiyya-Gemeinde. Aber zunächst Errichtung einer Moschee gewaltfrei 20 Handreichung Rechtspopulismus
und kommunikativ zu nutzen, gibt es ge aus den Folgen des Weltkrieges sind die Hoffnung, dass manche merken: oder die Neuzugezogenen. So schlimm sind „die“ ja gar nicht! Der eine oder die andere würde vielleicht so- Ricklef Münnich war von 2007 bis 2017 gar einen Tag der Offenen Tür in der Mo- evangelischer Pfarrer im Erfurter Orts- schee zu einem Besuch nutzen. Und ir- teil Marbach und Salomonsborn, er ist gendwann in einer fernen Zukunft wäre Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Kir- die Moschee Marbacher Normalität – so che und Judentum und wohnt in Erfurt. wie es heute schon längst die Flüchtlin- Das Interview führte Jürgen Reifarth. Handreichung Rechtspopulismus 21
Unwidersprochen? Argumentieren gegen populistische Positionen MOBIT Thüringen Vielfältige wissenschaftliche Unter- keine Option für Kirchengemeinden suchungen belegen, dass sich extrem und Christinnen und Christen sein! rechte Einstellungen quer durch alle Im Folgenden finden sich beispiel- Alters- und Teilgruppen der Gesell- haft kurze Anregungen für die konkrete schaft finden lassen.4 Sie sind somit Auseinandersetzung mit verallgemei- ein Problem in deren Mitte und nicht nernden Sprüchen und diskriminieren- wie oft behauptet an ihrem Rand, wo- den Vorurteilen, die oftmals komplexe bei sich vor allem bei rassistischen und Sachverhalte auf simple Freund-Feind- fremdenfeindlichen Einstellungen die Schemata reduzieren und damit ein- höchsten Zustimmungswerte in der Be- fache Lösungen suggerieren wollen. völkerung zeigen, wie die Ergebnisse Der Beitrag soll dazu ermutigen nicht des Sachsen-Anhalt-Monitors und glei- zu schweigen, sondern sich einzumi- chermaßen die des Thüringen-Moni- schen. tors belegen.5 Auch Christinnen und Christen blei- Parolen contra geben6 ben nicht verschont vor solchen Be- gegnungen und Erfahrungen mit „Die Ausländer nehmen uns die rechtsorientiertem Gedankengut und Arbeitsplätze weg!“ dementsprechenden Aussagen. Man Eine der geläufigsten Parolen, anhand wird damit im gesellschaftlichen Um- derer deutlich wird, dass eine Differen- feld, möglicherweise auch in der ei- zierung (wie bei allen Auseinander- genen Kirchengemeinde konfrontiert. setzungen mit solchen Parolen) not- Doch wegschauen, überhören und kei- wendig ist, um das verallgemeinernde nerlei Widerspruch zu leisten, sollte „die“ in Frage zu stellen. 4 Zick, Andreas/Küpper, Beate/Krause, Daniela: 5 Holtmann, Everhard/Jaeck, Tobias/Völkl, Kers- Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände. Recht- tin: Sachsen-Anhalt-Monitor 2018. Polarisierung extreme Einstellungen in Deutschland 2016, und Zusammenhalt, Halle 2018; Niehoff, Steffen/ Bonn 2016; Zick, Andreas/Klein, Anna: Fragi- Salheiser, Axel/Vogel, Lars: Thüringen-Monitor le Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme 2017. Thüringens ambivalente Mitte: Soziale La- Einstellungen in Deutschland 2014, Bonn 2014; gen und politische Einstellungen, Jena 2017 Brähler, Elmar/Decker, Oliver/Kiess, Johannes: Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstel- 6 Vgl. Hufer, Klaus-Peter: Argumente am Stamm- lungen in Deutschland 2012, Berlin 2012; Bräh- tisch. Erfolgreich gegen Parolen, Palaver, Po- ler, Elmar/Decker, Oliver/Weißmann, Marliese/ pulismus. Schwalbach/Ts. 2006 und Landes- Kiess, Johannes: Die Mitte in der Krise. Rechts- jugendring Thüringen: FAIR denken – Damit extreme Einstellungen in Deutschland 2010, Ber- Stammtischparolen nicht siegen. Erfurt 2009 lin 2010; Brähler, Elmar/Decker, Oliver: Bewe- gung in der Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2008, Berlin 2008 22 Handreichung Rechtspopulismus
Wer ist damit gemeint: die einst ange- nur vortäuschten. Auf einige prägnan worbenen und seit Jahren hier leben- te, reale Fakten gilt es hierbei zu ver- den so genannten Gast- oder Vertrags- weisen, um die Mär von dem Leben der arbeiter und deren Nachkommen? Die Flüchtlinge in Saus und Braus zu ent- südamerikanischen Fußballer in der kräften: Bundesliga? Die osteuropäischen Sai- » Unter dem Begriff „Flüchtlinge“ fas- sonarbeiter und Erntehelfer? Die Spät- sen Medien und Politik viele ver- aussiedler aus der ehemaligen Sow- schiedene Status zusammen. Die jetunion? Der Inhaber des türkischen Frage, ob Flüchtlinge arbeiten dür- Imbiss oder des griechischen Restau- fen, hängt nämlich von der genauen rants? Die Flüchtlinge aus Syrien oder Situation des Betroffenen ab. Afghanistan, die Asyl beantragen? » Flüchtlinge sind nicht gleich Flücht- Weitere gezielte Nachfragen, um ein- linge: Geduldet, Bewerber oder an- zelne Aspekte eines solch komplexen erkannter Status? Folgender Status (sozio-ökonomischen) Sachverhalts zu ist möglich: a) Neu angekommene thematisieren und der Parole das Fun- Flüchtlinge, die noch keinen Asyl- dament zu zerbröseln, könnten u.a. antrag gestellt haben; b) Asylbewer- sein: ber, bei welchen das Asylverfahren » Wieso ist dann ausgerechnet in den beim Bundesamt für Migration und Regionen der Bundesrepublik die Ar- Flüchtlinge (BAMF) eingeleitet wur- beitslosigkeit am höchsten, in denen de; c) Personen mit einem anerkann- die wenigsten Ausländer wohnen? ten Flüchtlings- oder Asylstatus oder » Was ist mit den Fachkräften, die in unter subsidiären Schutz; d) gedul- verschiedenen Gewerben und Berei- dete Ausländer. chen (IT, medizinische Versorgung, » Während der Erstaufnahme und für etc.) dringend benötigt werden? Flüchtlinge aus sicheren Herkunfts- » Was ist mit denjenigen ausländi- ländern gibt es allerdings kein Ar- schen Unternehmen, Investoren und beitsrecht. Für Asylbewerber, die ih- Selbstständigen, die neue Arbeits- ren Antrag bereits abgegeben haben plätze erst schaffen? und nicht aus einem als sicher einge- stuften Staat kommen, gilt die Drei- „Die Flüchtlinge kommen doch nur Monats-Regelung. hier her, um vom deutschen Wohl- » Während der ersten Monate gilt le- stand zu profitieren! Die legen sich diglich eine eingeschränkte Arbeits- faul in die Hängematte des Sozial- erlaubnis, nach 15 Monaten entfällt staates und leben auf unsere Kosten die Beschränkung jedoch in der Regel wie die Made im Speck!“ und die Rechte der Flüchtlinge wer- Auch diese Parole dürfte allseits be- den ausgeweitet. Eine selbständige kannt sein. Die Rede ist in diesem Zu- Tätigkeit ist jedoch für Menschen mit sammenhang von den so genannten einer Aufenthaltsgestattung grund- „Scheinasylanten“ und „Wirtschafts- sätzlich nicht erlaubt. Hierfür ist eine flüchtlingen“, die politische Verfolgung Aufenthaltserlaubnis notwendig. Handreichung Rechtspopulismus 23
Sie können auch lesen