REDEN IN SCHWIERIGEN ZEITEN - Nächstenliebe verlangt Klarheit Bausteine und Materialien für die Arbeit gegen Rechtspopulismus in der Gemeinde - EKMD

Die Seite wird erstellt Klara Schubert
 
WEITER LESEN
EVANGELISCHE KIRCHE IN MITTELDEUTSCHLAND
                              HANDREICHUNG

          REDEN IN
SCHWIERIGEN ZEITEN
Nächstenliebe verlangt Klarheit
  Bausteine und Materialien für die Arbeit
gegen Rechtspopulismus in der Gemeinde
IMPRESSUM
Herausgegeben vom
Landeskirchenamt der EKM
Dezernat Bildung und Gemeinde
Michaelisstraße 39
99084 Erfurt

AG Kirche und Rechtsextremismus
Telefon 0361 51800-240
AG_KplusRE@ekmd.de

Redaktion: Jürgen Reifarth, Katharina Passolt,
Susanne Olbort-Pape, Iris Fischer
Layout: EKM Grafikteam, Stephan Arnold
Erfurt 2018 (2. unveränderte Auflage 2022)
Inhalt
Vorwort................................................................................................................ 4
Salz der Erde. Andacht....................................................................................... 6

GRUNDLAGEN
Rechtspopulismus als Herausforderung annehmen – Beschluss der 12.
Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 15. November 2017 .......... 8
Wegschauen und schweigen gilt nicht! – Warum sich die Evangelische
Kirche gegen Rechts­extremismus und Rechtspopulismus engagieren muss.
Eine theologische Perspektive............................................................................ 10
Im Gespräch bleiben, Grenzen setzen............................................................. 15

BAUSTEINE
Der Bau einer Moschee in Erfurt-Marbach und eine zerrissene Gemeinde. . . 17
Unwidersprochen? Argumentieren gegen populistische Positionen ........... 22
Stark und sicher im Gespräch mit Andersdenkenden
Aufruf zu mehr Zivilcourage............................................................................... 27
Merkposten für den öffentlichen Diskurs unter Beteiligung einer
Kirchengemeinde............................................................................................. 30
Mit Populisten diskutieren? – Erfahrungen im Umgang mit Diskussions­
veranstaltungen. Eine Pro- und Kontra-Debatte.................................................. 32
Alter Wein in neuen Schläuchen
Die extrem rechte Szene und ihre Symbolsprache.............................................. 36
Umgang mit rechtsextremem Verhalten von Haupt- und Ehrenamtlichen... 39
Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul?
Hinweise für kirchliche Einrichtungen zum Umgang mit Spenden und Schen­
kungen aus dem rechtsextremen Umfeld ........................................................... 41
Häuser in rechter Hand
Immobilien als Stützpfeiler rechtsextremer Aktivitäten ..................................... 44
Wie kann verhindert werden, dass kirchliche Immobilien in rechte Hände
geraten?.............................................................................................................. 46
Meinungsbarometer
Methodische Ideen für Gemeindegruppen zum Thema „Zivilcourage“ ............. 48
Noch Platz in der Arche? Impulse zu biblischen Geschichten
Thematische Bausteine für Konfirmandengruppen und Junge Gemeinden........ 50
Adressen, Links und Abrufangebote .............................................................. 53

                                                                           Handreichung Rechtspopulismus               3
Vorwort
Martina Klein

Seit 2008 machen sich unter dem Mot-                    » Die Zahl der Rechtsrock-Konzerte hat
to „Nächstenliebe verlangt Klarheit“ in                   zugenommen. Thüringen gilt mittler-
unserer Kirche zahlreiche Kirchenge-                      weile als Hochburg der Rechtsrock-
meinden und kirchliche Einrichtungen                      Szene.
auf den Weg, um für Mitmenschlich-                      » Von Mitgliedern der rechten Szene
keit und Toleranz zu werben und sich                      werden zunehmend Immobilien auf-
gegen Rechtsextremismus, Antisemi-                        gekauft, die als Zentren rechtsextre-
tismus und Menschenfeindlichkeit zu                       mer Treffpunkte fungieren und so zu
stellen1. Ein Engagement, das dringend                    Orten der ideologischen Indoktrinati-
nötig ist angesichts des deutlichen An-                   on und Radikalisierung (junger) Men-
stiegs rechtsextremer und menschen-                       schen werden.
feindlicher Ansichten und Aktivitäten                   » Im Jahre 2011 wird der Nationalso-
in der Gesellschaft.                                      zialistische Untergrund (NSU) ent-
                                                          tarnt. Laut Anklage der Bundesan-
Was hat sich in den letzten zehn Jahren                   waltschaft hat der NSU in den Jahren
verändert?                                                2000 bis 2006 zehn Menschen er-
» Rechte Positionen finden immer                          mordet, die nicht in das Weltbild der
  mehr Anschluss bei Menschen, die                        rechtsextremen Terroristen passten.
  sich selbst nicht als rechts einstufen
  würden.                                               Stand in den Anfängen unseres Engage-
» Deutlich mehr Menschen vertreten                      ments noch der Gedanke „Wehret den
  öffentlich rechte Positionen und wäh­                 Anfängen!“ im Vordergrund, so haben
  len rechte Parteien.                                  mittlerweile viele das Gefühl, mit ihrem
» Die Hasssprache im Internet hat ex-                   Engagement und Widerstand der ge-
  orbitant zugenommen.                                  sellschaftlichen Entwicklung hinterher
» Über soziale Netzwerke mobilisiert                    zu hinken. Mehr und mehr stellt sich
  sich eine breite rechte Szene.                        die Frage, wie wir unsere christliche
» Es ist eine deutliche Zunahme rechter                 Botschaft der Nächstenliebe und des
  Gewalttaten zu verzeichnen (Über-                     Friedens wirksam in die Gesellschaft
  griffe auf Geflüchtete, Anschläge aus                 hineintragen können.
  dem rechten Spektrum etc.)

1   Im Rahmen der Dekade zur Überwindung von
    Gewalt wurde 2008 das Themenjahr „Nächsten-
    liebe verlangt Klarheit – Evangelische Kirche ge-
    gen Rechtsextremismus“ in der EKM ausgerufen.

4    Handreichung Rechtspopulismus
Grund für uns, die Handreichung mit       vitäten Raum greifen. Kirche kann ein
Bausteinen und Materialien für die Ar-    Ort sein, an dem unterschiedliche po-
beit in den Gemeinden zu überarbei-       litische Positionen und ethische Orien-
ten und neu herauszugeben. Denn ver-      tierungen diskutiert und im Lichte des
mehrt fragen engagierte Menschen in       Evangeliums beleuchtet werden. Kir-
der Kirche:                               che kann sich in lokale Bürgerbünd-
   Was können wir tun, wenn in der        nisse einbringen und mit ihrer Haltung
Gemeinde, bei einer Veranstaltung         zeigen, was das Evangelium in der kon-
oder in Kinder- und Jugendgruppen         kreten Situation bedeutet. Nicht zu-
rechtspopulistische oder fremdenfeind-    letzt versammelt die Kirche Menschen
liche Äußerungen auftauchen?              im Gebet für Frieden, Versöhnung und
   wenn bekannt wird, dass ein Mit-       Nächstenliebe vor Gott.
glied der Gemeinde in einer rechtsex-        Mit unserer Arbeitshilfe möchten wir
tremistischen Organisation oder rech-     Mut machen, die Themen aufzugreifen
ten Partei engagiert ist?                 und nicht wegzuschauen, denn unse-
   wenn Aktivitäten von rechtspopulis-    re Gesellschaft braucht Menschen, die
tischen und rechtsextremistischen Per-    sich für ein solidarisches und toleran-
sonen oder Gruppen im Ort oder in der     tes Miteinander einsetzen.
Umgebung geplant sind?

Das Thema zum Thema machen
Solche und andere Situationen sind
auf jeden Fall ein Grund, das Thema
zum Thema zu machen, um Klarheit
zu gewinnen und aktiv zu werden. Un-      Martina Klein
sere Erfahrungen zeigen, dass die Kir-    Oberkirchenrätin
che eine wichtige Akteurin ist, wenn      Leiterin des Dezernates Bildung im
vor Ort rechte bzw. rechtsextreme Akti-   Landeskirchenamt der EKM

                                                  Handreichung Rechtspopulismus   5
Salz der Erde. Andacht
Ilse Junkermann

Jesus Christus spricht: „Ihr seid das      Ecken und prägen den „Geschmack“
Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht     des Miteinanders.
mehr salzt, womit soll man salzen? Es         Schauen wir auf die Geschichte der
ist zu nichts mehr nütze, als dass man     Kirche, müssen wir gestehen: Dem dar-
es wegschüttet und lässt es von den        in enthaltenen Anspruch sind wir leider
Leuten zertreten.                          Gottes oftmals nicht gerecht geworden.
Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die   In zu vielen Zeiten hat das Licht unter
Stadt, die auf dem Berge liegt, nicht      dem Scheffel gestanden, an zu vielen
verborgen sein. Man zündet auch nicht      Orten entfaltete das Salz keine ausrei-
ein Licht an und setzt es unter einen      chende Kraft. Ein Beispiel dafür ist die
Scheffel, sondern auf einen Leuchter;      Zeit des Nationalsozialismus mit dem
so leuchtet es allen, die im Hause sind.   Mord an mehr als 50 Millionen Men-
So lasst euer Licht leuchten vor den       schen. Warum nur war die Nächstenlie-
Leuten.“                                   be nicht stärker? Als 1945 dem endlich
(Mt 5,13-16a)                              ein Ende bereitet worden war, erklär-
                                           te die evangelische Kirche ihre Mitver-
Das Licht ist Gottes erstes Schöpfungs-    antwortung: „Wir klagen uns an, dass
werk. Es ist das einzige, das nicht        wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer
durch Teilung aus etwas anderem ent-       gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und
steht. Es ist umfassend, leuchtet be-      nicht brennender geliebt haben.“
ständig. Fehlt das Licht an einem Ort,        Seitdem leben wir in Deutschland
so schenkt es doch tausend anderen         in einer mehr als 70-jährigen Zeit des
Helligkeit und Wärme.                      Friedens. Doch Frieden und Demokra-
   Salz ist von alters her etwas ausge-    tie sind wieder in Gefahr. Nationalis-
sprochen Wertvolles. Einstmals diente      tische Ideen werden laut. Der Wunsch
es zur Reinigung. Noch heute werden        nach Abgrenzung gegenüber Fremden
Nahrungsmittel durch Salz konser-          reicht bis in die Mitte der Gesellschaft.
viert. Salz gibt Speisen Würze und ist     Populistische, diskriminierende und
für den menschlichen Organismus ge-        sogar rassistische Parolen finden Wi-
radezu lebensnotwendig.                    derhall in politischen Programmen.
   Jesu Bildworte vom Salz der Erde        Ein „Gutmensch“ zu sein, gilt plötzlich
und Licht der Welt sind ein starker Zu-    als Schimpfwort.
spruch. Jesus mutet uns Christinnen        Was würde Jesus dazu sagen? Diese
und Christen zu, für diese Welt lebens-    Frage begleitete Martin Niemöller, ei-
notwendig zu sein. Gäbe es uns nicht,      nen der Väter der 1945er Schulderklä-
drohte die Welt, fad und dunkel zu wer-    rung, ein Leben lang. Sie ist auch für
den. Weil es uns aber gibt, bringen wir    uns noch eine geeignete Richtschnur.
in seinem Namen Licht in alle finsteren    Denn Jesus sagt, damals wie heute:
6   Handreichung Rechtspopulismus
„Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das   Klarheit. Nächstenliebe. Kirche gegen
Licht der Welt.“ Das Salz verleiht den      Rechtsextremismus. Als Christinnen
Speisen Würze. Das Licht macht unser        und Christen tragen wir Jesu Namen. Er
Leben hell. Beides geschieht, indem es      befähigt uns, mutig zu sein und hinein-
sich hingibt. Salz löst sich in den Spei-   zuwirken in die Verhältnisse, in denen
sen auf. Licht verbreitet sich.             wir leben. Er spricht uns zu: Lebens-
   Wir Jüngerinnen und Jünger Jesu          notwendig seid ihr, für die Erde und für
sind – so geht daraus hervor – niemals      die Welt. Vergesst es nicht!
nur für uns selbst da. Es ist unsere Be-
stimmung, für ein gutes und helles Le-      Ilse Junkermann
ben aller Kinder Gottes einzutreten. Wo     Landesbischöfin der Evangelischen
verdunkelt wird durch lebensfeindli-        Kirche in Mitteldeutschland
che Werte, bringen wir Klarheit in wirre
Parolen. Wo gottlose Welt- und entwür-
digende Menschenbilder propagiert
werden, stellen wir uns dagegen und
leben nach dem Maßstab der Nächs-
tenliebe. Das mutet uns Jesus zu. Das
traut er uns zu.

                                                    Handreichung Rechtspopulismus   7
GRUNDLAGEN
Rechtspopulismus als Herausforderung
annehmen
Beschluss der 12. Synode der Evangelischen Kirche
in Deutschland (EKD) vom 15. November 20172
1. Die Synode der EKD stellt fest, dass               An­grif­fen aus rechtsextremen oder
rechts­­p o­p ulistische, rechtsextreme,              frem­den­feindlichen Motiven ausge-
ras­sis­tische, frauenfeindliche und völ­             setzt sind und dies in der Öffentlich-
kisch-nationalistische Einstellungen in               keit of­fen­siv vertreten;
un­­se­rer Gesellschaft anwachsen und in          »   jeder Inanspruchnahme vermeint-
al­len gesellschaftlichen Schichten und               lich christ­li­cher Werte zur Begrün-
Al­ters­gruppen vertreten sind. Auch un­              dung ei­ner Abschottung unserer Ge-
ter Mitgliedern der Kirchen sind solche               sellschaft ent­schieden zu widerspre-
Ein­­stellungen anzutreffen. Die Würde                chen;
eines jeden Menschen, begründet in                »   die bereits bestehenden kirchen­
der Eben­bildlichkeit Gottes, und das                 recht­lichen Möglichkeiten und Ver­
Gebot der Nächstenliebe sind unauf-                   fah­rens­wege auszuschöpfen, durch
gebbare Grund­la­gen unseres Glaubens.                die die Per­s o­n en, die rechtsextre-
Sie sind nicht vereinbar mit Haltungen                mes, ras­s is­t i­s ches oder fremden-
und Ide­ol­o­gien, die Hass und Gewalt                feindliches Ge­dan­ken­gut vertreten,
ver­brei­ten und eine Ungleichheit von                von der Wahl zu ei­nem kirchlichen
Men­s chen und daraus resultierende                   Amt ausgeschlossen wer­den;
Un­gleich­be­hand­lun­gen, Ausgrenzun-            »   ihre bisherigen Anstrengungen zu ver­
gen und Feindschaft postulieren.                      stär­ken und neue Angebote zu ent­
                                                      wickeln, die Menschen er­mög­li­chen,
2. Die Synode der EKD erkennt hinter                  ih­ren Glauben als befreiende Bot­schaft
die­sen Entwicklungen unterschiedliche                zu erfahren, die den Nächsten in den
Ur­sa­chen, die nach einer differenzier-              Blick nimmt, Halt und Zuversicht gibt
ten Ant­wort verlangen. Sie sieht hierin              und so vor rechtsextremem Ge­dan­
ei­ne Aufgabe für die Gliedkirchen, die               kengut schützt;
Dia­ko­nie und die Kirchengemeinden.              »   dass die Gliedkirchen insbesondere
Sie dankt den­je­ni­gen, die sich seit Jah-           in ihrem Bildungshandeln an unter-
ren bereits in die­sem Feld engagieren.               schiedlichen Orten und mit verschie-
Sie regt an und er­mutigt dazu,                       denen Zielgruppen (Kindertages-
» dass Kirchen und Gemeinden sich                     stätten und Jugendarbeit, Schulen,
   schüt­zend vor Menschen stellen, die               Erwachsenenbildung und Familien-
                                                      bildung) ein deutliches Gewicht auf
2   Die EKD und auch die EKM behandeln diese
    Thematik regelmäßig, aktuelle Verlautbarun-       das Einüben demokratischer und
    gen dazu finden Sie auf www.ekd.de und www.       partizipatorischer Verfahrensweisen
    ekmd.de.
8    Handreichung Rechtspopulismus
und Gesprächsformen le­gen und in        » sich als Kirche in eine konzeptionell
    ihrer Aus- und Fortbildung verstärkt       durchdachte, inklusive Gemeinwe-
    zum Einsatz bringen;                       senarbeit einzubringen und von den
»   bereits bestehende Arbeitsmateria-         politischen Amtsträgern größere An-
    lien und Handreichungen zum Um-            strengungen für eine soziale Integra-
    gang mit Rechtsextremismus und             tion einzufordern;
    Rechts­po­pu­lis­mus bekannt zu ma-      » in Kirchengemeinden und kirchli-
    chen und zu ver­breiten bzw. solche        chen Einrichtungen Gesprächsmög-
    für den eigenen Be­darf neu zu erstel-     lichkeiten für Menschen zu eröffnen,
    len. Hierzu gehört auch die Entwick-       die unter Ängsten und Verunsiche-
    lung einer theologisch begründeten         rung angesichts der Veränderungen
    Argumentation gegen rechtsextre-           in unserer Gesellschaft leiden. Die
    mes Gedankengut;                           Gespräche sollen nicht als Podium
»   den interreligiösen Dialog ins­b e­        für das Schüren weiterer Ressenti-
    son­dere mit den muslimischen Ge­          ments missbraucht werden können.
    sprächs­partnern und den jüdischen         Kirche kann und soll in solchen Di-
    Ge­mein­den als kirchliche Aufgabe zu      alogen keine neutrale Position ver-
    ver­stehen und weiterzuentwickeln;         treten. Sie kann aber dazu beitragen,
»   die interkulturelle Kompetenz von          dass Gespräche gut geleitet und mo-
    Mit­ar­beitenden zu stärken und die        deriert werden und sachliche Argu-
    inter­kul­turelle Öffnung von Kirchen      mente Gehör finden.
    und Gemeinden zu fördern;
»   sich in Kooperation mit zivilgesell-
    schaftlichen Organisationen, Wohl-       Die Präses der Synode der Evange­
    fahrtsverbänden und Kommunen             lischen Kirche in Deutschland
    weiterhin nachdrücklich für eine
    soziale Integration von Menschen         Dr. Irmgard Schwaetzer
    einzusetzen, die in Stadtteilen und
    Regionen leben, die unter Armut,
    fehlenden Beschäftigungs- und Bil-
    dungschancen und mangelnder In­
    fra­struktur leiden;

                                                     Handreichung Rechtspopulismus   9
Wegschauen und schweigen gilt nicht!
Warum sich die Evangelische Kirche gegen Rechts­
extremismus und Rechtspopulismus engagieren muss.
Eine theologische Perspektive
Michael Haspel

Dass der christliche Glaube mit rechts-        Wahl 1933 überproportional erfolgreich
extremen Ideologien nicht vereinbar ist,       war. Vergleicht man diese Regionen mit
werden die meisten bejahen. Aber wie           den Wahlergebnissen von rechtsextre-
sieht es mit rechtspopulistischen Paro-        men und rechtspopulistischen Partei-
len aus? Und warum soll sich die Kir-          en heute – und auch mit der Häufigkeit
che auch in der Gesellschaft, gemein-          rassistischer und rechtsextrem moti-
sam mit anderen zivilgesellschaftlichen        vierter Gewalttaten –, so lässt sich wie-
Gruppen und dem Staat, aktiv gegen             der eine, wenn auch schwächere, Über-
Rechtsextremismus und Rechtspopu-              einstimmung feststellen.
lismus engagieren?                                Sogenannte Stammtischparolen gibt
   Wesentliche Elemente rechtsextre­           es nicht nur im Wirtshaus, auch in
men Gedankenguts sind Fremdenfeind­            kirchlichen Zusammenhängen und Fa-
lichkeit, Rassismus, Sexismus, Orien­          milien von Kirchengliedern begegnen
tierung an autoritären Strukturen,             wir ihnen. Wir müssen uns damit aus-
De­mo­kratie und Pluralitätsabwertung,         einandersetzen, dass wir Teil des Pro-
Bestreiten von Gleichheit etc. Im Fol-         blems sind, um Teil der Lösung werden
genden möchte ich zeigen, dass die-            zu können.
se Aspekte mit der Grundorientierung
des christlichen Glaubens unvereinbar          1. Gottebenbildlichkeit und Men-
sind und die Kirche zum Widerspruch               schenwürde
und Widerstand aufgefordert ist.               In der Schöpfungserzählung am Be-
   Allerdings ist es ja keinesfalls so, dass   ginn des biblischen Zeugnisses wird
diese Einstellungen zum Teil nicht auch        überliefert, dass Gott die Menschen,
von Christinnen und Christen geteilt           alle Menschen, als Bild seiner selbst
werden. Es ist also nicht so, dass wir als     erschafft: „Und Gott schuf den Men-
Kirche per se Teil der Lösung sind.            schen zu seinem Bilde, zum Bilde Got-
   Die evangelische Kirche steht hier in       tes schuf er ihn; und schuf sie als Mann
der Verantwortung, Konsequenzen aus            und Weib“ (1. Mose 1,27). Alle Men-
der eigenen Geschichte zu ziehen. In           schen sind also nicht nur Gottes Ge-
Mitteldeutschland waren es, wie in an-         schöpfe, sondern seine Ebenbilder.
deren Gebieten auch, gerade die sehr           Dadurch ist die besondere Beziehung
protestantisch geprägten Gebiete, in           Gottes zu den Menschen zum Ausdruck
denen die NSDAP 1932 und in der März-          gebracht. Er setzt sich zu den Men-
10 Handreichung Rechtspopulismus
schen in Beziehung. Sie sind von Gott      pe in der Alltagspraxis zu hinterfragen.
gewollt. Sie sind nicht einfach zufällig   Begegnungen in der Ökumene weltweit
da, sondern stehen von Anfang an in        und im eigenen Land können dazu bei-
einer kommunikativen Beziehung, die        tragen, eigene Einstellungen und Wer-
Geschichte und Lebensgeschichte er-        tungen zu überprüfen. Einige unse-
öffnet und begleitet. Deshalb ist in der   rer Partner-Kirchen haben dazu eigene
Gottebenbildlichkeit nach christlichem     Programme entwickelt, um unbewuss-
Verständnis die Würde aller Menschen       ten und institutionellen Rassismus und
angelegt. Bei rechtsextremen Einstel-      Sexismus offen zu legen und zu deren
lungen und Ideologien spielt die Un-       Überwindung beizutragen.
gleichheit von Menschen aufgrund ih-
rer Abstammung und Kultur eine große       3. Die bleibende Erwählung
Rolle. Dies ist mit der Lehre von der         der Jüdinnen und Juden
Gottebenbildlichkeit aller Menschen        Der ursprüngliche Bund Gottes galt
nicht vereinbar.                           seinem erwählten Volk Israel, dem er
                                           sich offenbart hat. Nach christlichem
2. Die Kirche Jesu Christi ist multi-      Verständnis hat Gott diesen Bund
   kulturell                               durch die Offenbarung in Jesus Chris-
Schon Paulus hat theologisch geklärt,      tus für alle Menschen geöffnet, die an
dass die gute Nachricht von der Ge-        ihn glauben. Der ursprüngliche Bund
rechtsprechung der Sünderinnen und         bleibt aber in seiner Besonderheit er-
Sünder durch den Glauben an Jesus,         halten: „Wenn aber nun etliche von
den Christus, allen Menschen gilt: „Hier   den Zweigen ausgebrochen sind und
ist nicht Jude noch Grieche, hier ist      du, der du ein wilder Ölbaum warst,
nicht Knecht noch Freier, hier ist nicht   bist unter sie gepfropft und teilhaftig
Mann noch Weib; denn ihr seid allzu-       geworden der Wurzel und des Saftes
mal einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28).   im Ölbaum, so rühme dich nicht wider
Die christliche Kirche ist deshalb offen   die Zweige. Rühmst du dich aber wider
für alle Menschen, egal welcher Ab-        sie, so sollst du wissen, dass nicht du
stammung sie sind, unabhängig von ih-      die Wurzel trägst, sondern die Wurzel
rem Geschlecht, ihrer sozialen Stellung    trägt dich“ (Röm 11,17f). Deshalb sind
usw. Die christliche Kirche war von An-    Christinnen und Christen dem Volk Is-
fang an multikulturell. Das Evangelium     rael in besonderer Weise verbunden.
hat eine universale Tendenz: Auch in       Jesus und die Glieder der Urgemeinde
dieser Perspektive wird deutlich, dass     waren Juden. Deshalb ist jede Form des
das biblische Zeugnis im Gegensatz         Antisemitismus vom biblischen Zeug-
zu rassistischen und sexistischen In-      nis und christlichen Glauben her abzu-
halten rechtsextremer Überzeugungen        lehnen. Dies gilt insbesondere vor dem
steht. Die Herausforderung bleibt aber     Hintergrund, dass es auch im Christen-
bestehen, unterhalb der Oberfläche ei-     tum verhängnisvolle Formen des Anti-
ner liberalen Haltung, rassistische und    judaismus gab und gibt. Gerade des-
sexistische Einstellungen und Stereoty-    halb wird sich die evangelische Kirche
                                                   Handreichung Rechtspopulismus 11
gegen den Antisemitismus in der Ge-         andere Völker und Fremde überliefert
sellschaft wenden.                          sind, findet sich doch eine erstaunli-
                                            che Tendenz gerade zum Schutz frem-
4. Demokratische Kultur gehört zur          der Menschen. Wohl aufgrund der ei-
   neuzeitlichen Gestalt des Protes­        genen Erfahrungen in Exilsituationen
   tantismus                                (Ägypten, Babylon) haben sich so in
In Entsprechung zu diesem Verständ-         der Rechtsordnung Israels besondere
nis der Gleichheit aller hat sich mit der   Formen des Schutzes von Ausländern
Zeit in den evangelischen Kirchen die       entwickelt: „Die Fremdlinge sollst du
Überzeugung herausgebildet, dass die        nicht bedrängen und bedrücken; denn
angemessene Form der Kirchenleitung         ihr seid auch Fremdlinge in Ägypten-
nur geschwisterlich sein kann. Die cal-     land gewesen“ (2. Mose 22,20). Die so
vinistisch und freikirchlich geprägten      genannten „Fremdlinge“ wurden den
Kirchen in England und Nordamerika          Einheimischen gleichgestellt. Beach-
waren hier Vorreiter. In einer Kirche,      tenswert ist dabei, dass diese Regelun-
in der alle von gleichem Wert und glei-     gen in die Rechtssammlungen des Al-
cher Würde sind, auch wenn sie un-          ten Testaments aufgenommen wurden,
terschiedliche Funktionen ausüben,          ihnen also eine besondere Form der
geschieht die Kirchenleitung in presby-     Verbindlichkeit und Bedeutung gege-
terial-synodaler Weise. Immer wieder        ben wurde: „Es soll ein und dasselbe
sind von den demokratischen Struk-          Recht unter euch sein, für den Fremd-
turen und der demokratischen Kultur         ling wie für den Einheimischen; ich bin
evangelischer Kirchen – wie unvoll-         der Herr, euer Gott“ (3. Mose 24,22).
kommen sie auch gewesen sein mögen             Zudem gehört es durch die schmerz-
– Anstöße zur Demokratisierung von          haften Erfahrungen der konfessionel-
Gesellschaften ausgegangen. Die fried-      len Spaltung und der Religionskriege
liche Revolution 1989 in der damaligen      des 16. und 17. Jahrhunderts zu den
DDR ist ein eindrückliches Beispiel in      grundlegenden Einsichten der euro-
unserem eigenen Land. Aber auch die         päischen Gesellschaften, dass rechts-
Rolle der Schwarzen Kirchen in der          staatlicher Schutz für alle unabhängig
Bürgerrechtsbewegung der USA ist hier       von ihrer Herkunft und Religionszu-
zu nennen. Deshalb bejaht die evan-         gehörigkeit eine Grundvoraussetzung
gelische Kirche den demokratischen          für die gewaltfreie Konfliktlösung und
Rechtsstaat. Dies widerspricht den de-      friedliches Zusammenleben ist. Die
mokratiefeindlichen Positionen rechts-      christlichen Kirchen engagieren sich
extremer und rechtspopulistischer           auch deshalb in der Gesellschaft für
Ideologien und deren Bejahung einer         den rechtsstaatlichen Schutz aller
autoritären oder diktatorischen Regie-      Menschen unabhängig von ihrer Her-
rung durch einen „starken Mann“.            kunft bzw. Religionszugehörigkeit. Die
                                            Friedensordnung am Ende des Drei-
5. Der rechtsstaatliche Schutz der          ßigjährigen Krieges 1648 hat darüber
   „Fremdlinge“                             hinaus zu einer politischen Kultur der
Obwohl gerade im Alten Testament            Toleranz sowie des Ausgleichs und
vielfach Berichte von Gewalt gegen          Kompromisses beigetragen, die gerade
12 Handreichung Rechtspopulismus
in einer vielfältiger werdenden Gesell-      staltung des Gemeinwesens, in dem sie
schaft von bleibender Bedeutung ist.         leben, ergibt. Der Öffentlichkeitsauf-
                                             trag der Kirche folgt aus dem Öffent-
6. Orientierung auf Gerechtigkeit            lichkeitsanspruch des Evangeliums.
   und Frieden                               Die Weltverantwortung gehört zum
Der Prophet Jesaja entwirft eine große       Evangelium ursprünglich dazu, sie
Friedensvision, die er an die Erwartung      kommt nicht erst hinzu. In diesem Sin-
eines kommenden Messias bindet: „Ge-         ne werden sich nicht nur evangelische
rechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden      Christinnen und Christen, sondern die
sein und die Treue der Gurt seiner Hüf-      Gemeinden und Kirchen gegen Rechts-
ten. Da werden die Wölfe bei den Läm-        extremismus und seine Elemente en-
mern wohnen und die Panther bei den          gagieren. Zum einen weil sie zu unmit-
Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird        telbarer Hilfe herausgefordert werden,
Kälber und junge Löwen und Mastvieh          wenn Menschen von Rechtsextremen
miteinander treiben. Kühe und Bären          in ihrem Leben beeinträchtigt werden
werden zusammen weiden, dass ihre            – und das fängt nicht erst bei der An-
Jungen beieinander liegen, und Löwen         drohung und Anwendung von Gewalt
werden Stroh fressen wie Rinder. Und         an. Zum zweiten müssen sie sich gegen
ein Säugling wird spielen am Loch der        den gesellschaftlichen und politischen
Otter, und ein entwöhntes Kind wird          Rechtsextremismus und Rechtspopu-
seine Hand stecken in die Höhle der          lismus wehren, weil er fundamental
Natter“ (Jes 11,5-8). Mit gewaltlosen Mit-   den christlichen Grundüberzeugungen
teln Frieden und Gerechtigkeit in einem      und Maßstäben widerspricht. Drittens
Gemeinwesen und weltweit zu schaf-           werden die Kirchen im Rahmen ihres
fen, ist eine Grundorientierung des bib-     Öffentlichkeitsauftrags die demokrati-
lischen Zeugnisses, das durch die ver-       sche und plurale Kultur- und Instituti-
schiedenen Formen der Überlieferung          onenordnung unseres Landes stärken,
hindurch zunehmend deutlich wird.            die Grundlage unseres Gemeinwesens
Dies widerspricht einer Propagierung         ist, gemäß dem Motto: „Suchet der
des Rechts des vermeintlich Stärkeren,       Stadt Bestes ... und betet für sie zum
wie es in rechtsextremen und rechtspo-       Herrn; denn wenn’s ihr wohlgeht, so
pulistischen Weltbildern zu finden ist.      geht’s auch euch wohl.“ (Jer 29,7) Dazu
                                             gehört viertens, zu erkennen, dass Ras-
7. Der Schutz von Demokratie,                sismus, Sexismus, Antisemitismus und
   Rechtsstaat und Pluralismus ge-           weitere Formen gruppenbezogener
   hört zur Weltverantwortung der            Menschenfeindlichkeit nicht nur eine
   Kirche                                    Frage individueller und kollektiver Ein-
Die Bezeugung des Evangeliums ist            stellungen ist, sondern gesellschaft-
konstitutiv öffentlich (Augsburger Kon-      lich-institutionelle Ursachen haben.
fession, Art. 14). Dies gilt sowohl für      Deshalb gehört es zur Weltverantwor-
den Zuspruch des Evangeliums als             tung der Kirche, nicht nur in direkter
auch für den Anspruch, der sich dar-         menschlicher Hilfe aktiv zu werden
aus für die Lebensführung der Chris-         und Nächstenliebe zu üben, sondern
tinnen und Christen und ihre Mitge-          auch die politischen, kulturellen und
                                                     Handreichung Rechtspopulismus 13
wirtschaftlichen Mechanismen zu be-        fähig. Besonders rassistische und se-
kämpfen, die Ausgrenzung, Ausbeu-          xistische Stereotype dienen dazu, die
tung und Abwertung hervorbringen.          Grenzen des Sagbaren zu testen und
   Dabei sind neben den offensichtli-      schleichen sich in die Alltagskommu-
chen Angriffen auf die Menschenwür-        nikation ein. Bestimmte Positionen als
de zwei Entwicklungen besonders be-        falsch und menschenrechtsverletzend
unruhigend. Zum einen gehört es zur        zu bewerten heißt ja nicht, sie zu unter-
Strategie des Rechtspopulismus, die        drücken oder zu verbieten, wie von Po-
Grenzen dessen, was als Teil des öffent-   pulisten dann immer behauptet wird,
lichen Diskurses akzeptabel ist, zu ver-   um sich selbst in die Opferrolle zu be-
schieben. Die Möglichkeiten der digita-    geben. Wir erleben dieses Verschie-
len Kommunikation ermöglichen hier         ben von Grenzen auch in den kirchli-
Entwicklungen, die noch vor kurzem         chen Diskursen. Hier gilt es wachsam
undenkbar waren. Meinungsfreiheit          zu sein, um, was falsch ist, als falsch zu
ist ein wichtiges Gut in der demokrati-    markieren, und was menschenfeind-
schen Gesellschaft. Und es sollen keine    lich ist, als menschenfeindlich. Es ist
Meinungen verboten oder unterdrückt        die prophetische Aufgabe der Kirche
werden, wenn sie nicht in strafrechtlich   nach innen und außen, zu sagen, was
relevanter Weise verletzend sind. Aber     ist und darauf zu vertrauen, dass uns
es sollte immer darum gehen, dass sol-     die Wahrheit frei machen wird.
che Positionen nach dem Motto „Das
wird man ja wohl noch sagen dürfen!“       Prof. Dr. Michael Haspel lehrt an der
nicht als normal oder richtig angesehen    Forschungsstelle „Sprache. Kommuni-
werden. Nicht alles, was man sagen         kation. Religionsunterricht“ am Martin-
darf, ist deshalb schon zustimmungs-       Luther-Institut der Universität Erfurt.

14 Handreichung Rechtspopulismus
Im Gespräch bleiben, Grenzen setzen
David Begrich

Das Thema Flucht und Migration po-           pen, die sich kritisch bis ablehnend
larisiert die Gesellschaft seit 2015 so      zu den Themen Flucht und Asyl äu-
stark wie seit Beginn der 1990er-Jah-        ßern, in breitem Umfang Aufmerksam-
re nicht mehr. Rechtspopulistische           keit. Ob in Leserbriefspalten der Tages-
Stimmungen werden von der AfD als            zeitungen oder in Talkshows: überall
Wählerstimmen mobilisiert. Die offi-         kommen diese Positionen zu Wort.
zielle Haltung der Kirchen ist eindeu-       Dass Gemeindeglieder dennoch den
tig. Sie wehrt sich gegen rechtspopu-        Eindruck haben, nicht gehört zu wer-
listische Vereinnahmungsversuche im          den, hängt vor allem daran, dass sich
Namen des „christlichen Abendlan-            diese Menschen aus sehr unterschied-
des“ und unterstützt den Flüchtlings-        lichen Gründen von Politikern und Kir-
schutz. Doch wie andere gesellschaft-        chenleitungen nicht mehr vertreten
liche Großorganisationen ist Kirche          sehen. Viele Faktoren spielen hier zu-
in gewissem Umfang Spiegel der Ge-           sammen: das Gefühl von Ohnmacht ge-
sellschaft. Somit finden sich auch hier      genüber als bedrohlich empfundenen
skeptische, ablehnende und wohl auch         Veränderungen in der eigenen Lebens-
rassistische Auffassungen gegenüber          welt, die zu einer kulturellen Entfrem-
Flüchtlingen und Migranten. Kirchen-         dung führt, der schwindende solidari-
gemeinden sollten sich der Debatte           sche Zusammenhalt in der Gesellschaft
stellen. Aber wie?                           und der Umstand, dass Werte und Nor-
                                             men des Zusammenlebens nicht mehr
Wahrnehmung schärfen                         wie scheinbar früher selbstverständ-
Zunächst gilt es, die eigene Wahrneh-        lich sind, sondern Teil eines Aushand-
mung zu schärfen, wo Mitglieder in der       lungsprozesses auch mit Minderheiten,
Kirchengemeinde artikulieren, sie kä-        die vor Jahren noch kein Gehör fanden.
men mit ihren Ansichten zum Thema            Dennoch ist die Kirchengemeinde ein
Flüchtlinge nirgendwo, auch nicht in         guter Ort, dem Eindruck des Nicht-Ge-
ihrer Kirchengemeinde zu Wort. Dem           hört-Werdens entgegenzutreten. Denn
vielfach von Vertretern rechtspopulisti-     anders als in anderen Arenen der ge-
schen Positionen in Politik und Medien       sellschaftlichen Debatte, in denen es
vermittelten Eindruck, es gäbe keinen        immerfort nur um die Konkurrenz der
Raum für offene, kontroverse und kri-        Ansprüche und der Aufmerksamkeit
tische Diskussionen rund um Themen           geht und zu meist jene Aufmerksam-
wie Flucht und Asyl, gilt es ruhig und       keit bekommen, die sich am lautesten
sachlich entgegen zu treten. Denn das        zu Wort melden, kann eine Kirchenge-
Gegenteil ist richtig. Seit etwa drei Jah-   meinde ein guter Ort für eine Kultur des
ren schenken Politik und Medien Men-         Zuhörens und des respektvollen, diffe-
schen und politischen Interessengrup-        renzierten Gesprächs sein.
                                                     Handreichung Rechtspopulismus 15
Im Dialog bleiben                             listischen Positionen aufzuzeigen. Diese
Um im Dialog mit Gemeindegliedern, die        ist erreicht, wo Menschen pauschal dif-
rechtspopulistische Positionen vertreten,     famiert, beleidigt und diskriminiert oder
zu bleiben, ist es wichtig, eine wertschät-   ihnen die Existenzberechtigung abge-
zende Zuhörens- und Gesprächsbereit-          sprochen wird, Fragen durch scheinbar
schaft gegenüber den Menschen zu sig-         feststehende Antworten für unzulässig er-
nalisieren, die die Bereitschaft zeigt, die   klärt werden, und die Debatte um Inhalte
eigenen Gewissheiten nicht zum Maß zu         durch Vorurteile und Rassismus ersetzt
erklären, sondern begründet zur Diskus-       wird. Ob und wo diese Grenzen erreicht
sion zu stellen. Es kann eine Arbeit des      sind, können und sollten Kirchengemein-
Aushaltens sein, sich mit Sichtweisen         den immer wieder im Licht der biblischen
zu konfrontieren, die den eigenen mo-         Botschaft und der Bekenntnisschriften
ralischen und ethischen Auffassungen          ansehen, prüfen und diskutieren.
widersprechen oder diese fundamen-
tal in Frage stellen. Dialog mit Vertretern   Handlungsempfehlung
rechtspopulistischer Auffassungen ge-         Dialogformate sollten zu selbstgewähl-
lingt, wo Argumente wirklich abgewogen,       ten Bedingungen stattfinden. Kirche ist
ihre Gründe nachvollziehbar dargelegt         gesprächsbereit, aber nicht um jeden
werden und auf persönlich verletzende         Preis. Anlass, Ort und Gesprächsformat
Unterstellungen und Urteile moralischer       sollten Gewähr für eine ausgewogene
Abwertung verzichtet wird. Dialog setzt       und faire Debattenkultur bieten, in der
jedoch auch eine Kultur der Konfliktfä-       auch Minderheitenmeinungen zu Wort
higkeit voraus, die bereit ist, auf radikal   kommen und gehört werden. Gemein-
andere Sichtweisen wirklich einzugehen,       den sollten prüfen, wem sie ein Forum
statt sie nur zur Kenntnis zu nehmen. Die     bieten. Jenen, die als Ideologieprodu-
Schwierigkeit, die sich in den Formaten       zenten des Rechtspopulismus agieren,
des Bürgerdialogs im Umfeld von PEGIDA        ist in der Regel nicht an einem wirkli-
zeigten, erwuchsen zu einem nicht unwe-       chen Austausch gelegen.
sentlichen Teil aus dem Umstand, dass            Pluralität sichtbar machen: Gegen
ein Teil der Anhängerschaft rechter Posi-     die Polarisierung der Meinungen gilt es,
tionen gar keine anderen Argumente hö-        die Pluralität der Stimmen und die Dif-
ren wollte, sondern nur auf Bestätigung       ferenziertheit verschiedener Perspekti-
der eigenen Ansichten aus war.                ven auf die Kontroverse um rechtspopu-
                                              listische Themensetzungen zu stärken.
Grenzen setzen                                Motto: Wo andere laut werden, werden
Zugleich gilt es, Grenzen zu setzen. Die      wir leise. Wo andere generalisieren, dif-
Auseinandersetzungen um die Dialog-           ferenzieren wir. Wo andere endgültige
fähigkeit der Demokratie führten in den       Antworten geben, fragen wir nach.
zurückliegenden Jahren zu einer Verro-
hung der politischen Sprache und zu ei-       David Begrich hat Evangelische Gemein-
ner folgenreichen Gewaltaffinität. Daher      depädagogik in Potsdam und Berlin stu-
ist es ebenso wichtig, namens der eige-       diert und ist Mitarbeiter der Arbeitsstel-
nen Positionen die Grenzen der Dialog-        le Rechtsextremismus bei Miteinander
bereitschaft mit rechten und rechtspopu-      e.V. in Magdeburg.
16 Handreichung Rechtspopulismus
BAUSTEINE
Der Bau einer Moschee in Erfurt-Marbach
und eine zerrissene Gemeinde
Interview mit Pfarrer Ricklef Münnich

Im Jahre 2016 wurde bekannt, dass die islamische Ahmadiyya-Gemeinde den Bau
einer Moschee im Erfurter Stadtteil Marbach geplant hat. Es gab bald zum Teil
heftige, abwehrende Reaktionen und Widerstand von verschiedenen Seiten. Un-
ter anderem hatten sich die AfD und rechte Bewegungen in einer „Widerstands-
gruppe“ namens „Bürger für Erfurt“ gegen den Bau positioniert. Demgegenüber
haben sich der Evangelische Kirchenkreis Erfurt, die EKM, die katholische Kirche
und auch die Jüdische Landesgemeinde für den Bau der Moschee ausgesprochen.
In Marbach selbst ist die Bevölkerung seither gespaltener Meinung.

Ricklef Münnich, Sie waren Orts-         Kirche dürfe sich in dieser Sache nicht
pfarrer in Marbach und Salomons-         auf eine Seite schlagen, sie dürfe eine
born. Wie hat die Kirchgemeinde          islamische Expansion nicht gut heißen.
reagiert, als der Bauantrag bekannt         Nachdem eine Bürgerversammlung
wurde?                                   im Sport- und Freizeitzentrum recht
Der Bauantrag wurde mir zunächst in-     tumultartig und unergiebig verlaufen
direkt bekannt, als mich mehrere Men-    war, wurde am 7. Juni 2016 in das evan-
schen anriefen und fragten, wie hoch     gelische Gemeindehaus eingeladen zu
denn der Marbacher Kirchturm sei. Das    „Information und Gespräch“ unter dem
habe ich dann selbst erst aus den Un-    Titel „Muslime in unserer Nachbar-
terlagen herausgesucht. Über die An-     schaft“. Da es in der Gemeindeleitung
gabe „22 Meter“ waren die Anrufer be-    jedoch Vorbehalte und Fragen gab, ob
ruhigt. Wie sich herausstellte, gab es   sich die Kirchengemeinde überhaupt
Befürchtungen, das geplante Minarett     in die Auseinandersetzungen einbrin-
einer Moschee in Marbach würde hö-       gen solle, stand unter der Einladung:
her als der christliche Kirchturm.       „Eine Veranstaltung der Evangelischen
   Innerhalb des Gemeindekirchenra-      Erwachsenenbildung Thüringen“. Man
tes gab es immer kontroverse Ansichten   traute sich nicht, Farbe zu bekennen.
und Standpunkte zum Bauvorhaben.         Der gut besuchte Abend selbst wurde
Die Stellungnahme der Landesbischö-      als sehr positiv empfunden, weil alle
fin Ilse Junkermann wurde intern mehr-   Anwesenden offen ihre Meinung sagen
heitlich kritisiert, insbesondere die    konnten, gleich wie sie lautete.
Aussage: „Deshalb begrüßen wir als          Für mich ist dies die eigentliche Auf-
evangelische Kirche den Moscheeneu-      gabe von Kirche, auch weil sie niemand
bau in Erfurt.“ Die Meinung war, die     sonst wahrnimmt, nämlich ein freies
                                                 Handreichung Rechtspopulismus 17
Gespräch und offenen Meinungsaus-            ten, sondern benutzt und unterwan-
tausch zu ermöglichen, ohne dass je-         dert wurden sie von zwei Gruppierun-
mand deswegen in linke oder rechte           gen, die der „Identitären Bewegung“
Ecken gestellt wird.                         nahestehen, nämlich der Bürgerinitia-
   Am besten gelang dies mit den Kon-        tive „Ein Prozent“ und der „KontraKul-
firmandinnen und Konfirmanden, die           tur“ Halle. Diese hatten die Aufstellung
vorgeschlagen hatten, sich selbst bes-       der Kreuze organisiert und finanziert.
ser zu informieren und das Gespräch          Aber sie griffen ein Marbacher „Ge-
mit der Ahmadiyya zu suchen. So fand         fühl“ auf und verwandelten es in eine
ein Konfirmandentag zusammen mit             politische Aussage, für die ein christ-
jungen Mitgliedern der Ahmadiyya             liches Symbol eingesetzt wurde: Eine
und Herrn Mohammad Suleman Malik             Moschee an dieser Stelle bedroht unser
statt. Dieser Tag war für alle Beteiligten   „christliches Abendland“, aber wir ge-
eine positive Erfahrung.                     ben es nicht kampflos auf, dafür stehen
   Hier kam zum Beispiel auch zur Spra-      die Kreuze.
che, was für viele Gegner eines Mo-             Die Reaktionen auf meinen Protest,
scheebaues als irrelevant angesehen          dass hier ohne religiösen Hintergrund
wurde, mir jedoch für das Verständnis        das wesentliche Symbol der katho-
nicht unerheblich zu sein scheint: Die       lischen wie evangelischen Gemein-
Ahmadiyya-Gemeinde stammt nicht              de missbraucht würde, fielen erwar-
aus der arabischen Kultur, sondern aus       tungsgemäß gegensätzlich aus. Die
Pakistan, wo sie verfolgt wird. Daher        einen schüttelten den Kopf: Jetzt steht
leben ihre Anhänger zum Teil seit Jahr-      nicht einmal mehr der Pfarrer hinter
zehnten als anerkannte Asylbewerber          dem christlichen Kreuz und damit den
in Deutschland. Diese haben zumeist          christlichen Werten unserer abendlän-
die deutsche Staatsbürgerschaft und          dischen Kultur; andere spürten frei-
müssen als integriert gelten. Im Ver-        lich, dass das Kreuzsymbol – so gut
hältnis zu den Hauptströmungen des           wie ausschließlich von Nichtchristen –
Islam werden sie – auch von diesen –         für ihre eigenen Ziele und Zwecke be-
als Sekte angesehen bzw. abgelehnt.          nutzt werden sollte.
Genau genommen handelt es sich dem-
nach bei der geplanten Errichtung ei-        Im Gemeindekirchenrat wurde dis-
ner Moschee in Erfurt-Marbach nur ein-       kutiert, später auch in öffentlichen
geschränkt um einen islamischen Bau.         Veranstaltungen in Marbach, mit
                                             Vertreterinnen und Vertretern von
Neben dem Baugelände der Mo-                 Stadt, Kirchen und Kommune. Was
schee wurden von der rechtskonser-           waren entscheidende Punkte in die-
vativen Gruppe demonstrativ Holz-            sen Auseinandersetzungen?
kreuze aufgestellt. Sie haben sich als       Die hauptsächlichen Argumente –
Pfarrer klar positioniert: Das christ-       wenn man den Begriff verwenden will
liche Symbol darf nicht missbraucht          – waren:
werden. Welche Reaktionen gab es?            » In Marbach gibt es keine Muslime,
Letztlich waren es nicht die „Bürger für       und jetzt soll hier ein muslimisches
Erfurt“, die die Kreuze aufgestellt hat-       Zentrum entstehen, zu welchem die
18 Handreichung Rechtspopulismus
Besucher der Moschee aus ganz Thü-      mischen Staaten darf man auch keine
    ringen nach Marbach angereist kom-      Kirchen bauen. Wenn das einmal mög-
    men und den Ort vollständig über-       lich werden sollte, können wir anfan-
    fremden werden.                         gen zu reden.
»   Wenn ich künftig aus Erfurt von der        Gegen diese Sichtweise gab es kaum
    Arbeit nach Hause fahre, sehe ich       Einspruch. Nicht, dass alle so dach-
    als erstes das Minarett. Das will ich   ten. Aber in einer Zeit, in der tatsäch-
    nicht. Das wäre nicht mehr meine        lich sehr viele Menschen den Eindruck
    Heimat.                                 hatten, mit der Öffnung der Grenzen
»   Die Moschee kann durchaus irgend-       für eine unkontrollierte Zuwanderung
    wo anders stehen, aber nicht hier bei   nach Deutschland seien Gesetze min-
    uns.                                    destens zeitweise außer Kraft gesetzt
»   Wir haben uns mit all unseren Er-       worden, fruchtete der Verweis auf eine
    sparnissen unsere Grundstücke ge-       Gesetzeslage beim Moscheebau in Er-
    kauft und Häuser gebaut. Kommt die      furt argumentativ wenig.
    Moschee, wird unser Eigentum einen
    gewaltigen Wertverlust erleiden.        Nur etwa vier Prozent3 der Thüringer
»   Der Islam gehört nicht zu Deutsch-      haben einen Migrationshintergrund,
    land und darum eine Moschee nicht       auch wenn sich deren Zahl seit 1999
    zu Marbach.                             verdoppelt hat. Welche tieferen
»   Die Moschee ist Teil einer groß an-     Ängste und Vorbehalte sind hinter
    gelegten Strategie, uns mit fremden     den gefühlten Überfremdungs- und
    Werten und Vorstellungen zu unter-      Bedrohungsszenarien zu vermuten?
    wandern. Wenn wir nicht aufpassen,      Die Bürger der DDR haben infolge der
    wird der Islam bald ganz unsere Zu-     „Wende“ einen immensen und um-
    kunft bestimmen und beherrschen.        fassenden Verlust an Bedeutung aller
    Darum müssen wir der Anfänge in         Werte erlebt, die bis 1989 galten. Bio-
    Marbach wehren.                         grafien wurden ganz neu bewertet,
                                            Orientierung in der neuen Bundesre-
Besonders häufig wurde gesagt: „Die         publik musste erst geübt werden. Ein
Mehrheit der Marbacher ist gegen die        gewisser Werteverlust hält tatsächlich
Moschee. Darauf nimmt die Stadt Erfurt      bis heute an, Konsum und Vermehrung
jedoch keine Rücksicht.” Die gefühlte       materieller Güter schaffen kein Gegen-
und wahrscheinlich auch vorhandene,         gewicht, das seelische Ausgeglichen-
aber natürlich empirisch unbewiesene        heit und Zufriedenheit mit sich bringt.
Mehrheit galt in allen Gesprächen ge-       Der Islam und die Ahmadiyya scheinen
wichtiger als das Argument der grund-       klare und eindeutige Werte und Verhal-
gesetzlich geregelten Religionsfreiheit:    tensweisen zu fordern und zu vermit-
Auf uns hört ja niemand in Politik und      teln. Dies wird vor dem geschilderten
Verwaltung, darum interessieren uns         Hintergrund als Bedrohung erlebt.
auch nicht mögliche Auswirkungen
der Religionsfreiheit, die wir nicht ver-
                                            3   Daten vom Thüringer Landesamt für Statistik,
treten. Das Grundgesetz wurde argu-             2018: https://statistik.thueringen.de/datenbank/
mentativ so beiseite gewischt: In isla-         TabAnzeige.asp?tabelle=kr000102%7C%7C

                                                       Handreichung Rechtspopulismus 19
Klare und eindeutige Werte zum Han-      besonders unter den Einwohnern Mar-
deln gegenüber anderen in Gemein-        bachs. Kirchengemeinde hat dabei die
de und Öffentlichkeit sowie gegenüber    Zerrissenheiten, die Marbach schon
Menschen in Not auf der Grundlage der    vor dem Bauantrag für die Moschee
Bibel haben natürlich auch die christ-   prägten, immer wieder mit den Betrof-
lichen Gemeinden. Aber Motive und        fenen gemeinsam anzuschauen. So die
Überlegungen wie „Wenn wir beten und     Tatsache, dass seit 1945 wesentliche
das in unserer Kirche tun, dann kön-     Teile der Dorfbevölkerung aus Flücht-
nen wir doch auch andere in ihrem Got-   lingen bestehen und diese von Hilfs-
teshaus beten lassen“, verfingen meist   wie auch von Feindschaftserfahrungen
nicht. Am Eindrücklichsten war mir der   zu erzählen wissen. So die Tatsache,
Einwand eines Gemeindeältesten: „Sie     dass Marbach nach 1990 eine Zuwan-
müssen ja so reden, Herr Pfarrer“.       derung von bis heute dem Doppelten
                                         der alten Dorfbevölkerung erlebte –
Der Bauantrag ist im Januar 2018 von     nämlich in die Neubaugebiete, und die
der Stadt genehmigt worden. Vorher       „Neuen“ ebenfalls von Willkommens-
gab es wieder Demos und Kundge-          wie Ablehnungsbekundungen berich-
bungen, und mit weiteren ist zu rech-    ten können.
nen. Wie beschreiben Sie die Lage im        Kirchengemeinde lebt von Kommu-
Moment?                                  nikation, Kommunikation des Evan-
Viele Menschen sind der Auseinander-     geliums. Sie kommuniziert und lebt
setzungen müde. Sie sind enttäuscht      Inhalte des Evangeliums, wenn sie
von der Erfurter Politik und Verwal-     gegnerische Standpunkte moderiert
tung, da sie nicht angehört würden.      und auch wenn sie sich im Idealfall in
Insofern herrscht derzeit Ruhe, wenn     der gemeinsamen Kommunion, dem
auch eine angespannte Ruhe. Sie wür-     Abendmahl, von ihrem Herrn versöh-
de sich im Moment einer Grundstein-      nen lässt.
legung womöglich in neuen Protesten         Von den biblischen Grundlagen
entladen. Man wird sehen, ob diese       her sollten auch die „essentials“ ei-
auch – von außen importiert – mit An-    ner christlichen Gemeinde noch klarer
wendung von Gewalt zum Ausdruck          zum Ausdruck gebracht werden. Die
gebracht würden.                         Geschwisterlichkeit mit der jüdischen
                                         Gemeinde zum Beispiel bringt eindeu-
Welche Lösungen gibt es aus Ihrer        tige Entscheidungsvorgaben mit sich.
Sicht?                                   Wir werden immer für einen Synago-
Die Lösung aus der Sicht einer großen,   genbau kämpfen, wir werden uns im-
wenn nicht überwiegenden Zahl von        mer für jüdische Religionsfreiheit bei
Marbacherinnen und Marbachern ist        Beschneidung und Schächtung einset-
einfach: Keine Moschee in Marbach,       zen. Das setzt Maßstäbe, die dann auch
keine Moschee in Erfurt!                 in der Bewertung muslimischer Religi-
  Meine Lösung wäre, wieder und wie-     onspraxis nicht mehr übersehen wer-
der zu versuchen, miteinander zu re-     den können.
den. Auch mit den Mitgliedern der        Wenn es also gelingt, die Zeit bis zur
Ahmadiyya-Gemeinde. Aber zunächst        Errichtung einer Moschee gewaltfrei
20 Handreichung Rechtspopulismus
und kommunikativ zu nutzen, gibt es         ge aus den Folgen des Weltkrieges sind
die Hoffnung, dass manche merken:           oder die Neuzugezogenen.
So schlimm sind „die“ ja gar nicht! Der
eine oder die andere würde vielleicht so-   Ricklef Münnich war von 2007 bis 2017
gar einen Tag der Offenen Tür in der Mo-    evangelischer Pfarrer im Erfurter Orts-
schee zu einem Besuch nutzen. Und ir-       teil Marbach und Salomonsborn, er ist
gendwann in einer fernen Zukunft wäre       Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Kir-
die Moschee Marbacher Normalität – so       che und Judentum und wohnt in Erfurt.
wie es heute schon längst die Flüchtlin-    Das Interview führte Jürgen Reifarth.

                                                    Handreichung Rechtspopulismus 21
Unwidersprochen? Argumentieren
gegen populistische Positionen
MOBIT Thüringen

Vielfältige wissenschaftliche Unter-                 keine Option für Kirchengemeinden
suchungen belegen, dass sich extrem                  und Christinnen und Christen sein!
rechte Einstellungen quer durch alle                   Im Folgenden finden sich beispiel-
Alters- und Teilgruppen der Gesell-                  haft kurze Anregungen für die konkrete
schaft finden lassen.4 Sie sind somit                Auseinandersetzung mit verallgemei-
ein Problem in deren Mitte und nicht                 nernden Sprüchen und diskriminieren-
wie oft behauptet an ihrem Rand, wo-                 den Vorurteilen, die oftmals komplexe
bei sich vor allem bei rassistischen und             Sachverhalte auf simple Freund-Feind-
fremdenfeindlichen Einstellungen die                 Schemata reduzieren und damit ein-
höchsten Zustimmungswerte in der Be-                 fache Lösungen suggerieren wollen.
völkerung zeigen, wie die Ergebnisse                 Der Beitrag soll dazu ermutigen nicht
des Sachsen-Anhalt-Monitors und glei-                zu schweigen, sondern sich einzumi-
chermaßen die des Thüringen-Moni-                    schen.
tors belegen.5
   Auch Christinnen und Christen blei-               Parolen contra geben6
ben nicht verschont vor solchen Be-
gegnungen und Erfahrungen mit                        „Die Ausländer nehmen uns die
rechtsorientiertem Gedankengut und                   Arbeits­plätze weg!“
dementsprechenden Aussagen. Man                      Eine der geläufigsten Parolen, anhand
wird damit im gesellschaftlichen Um-                 derer deutlich wird, dass eine Differen-
feld, möglicherweise auch in der ei-                 zierung (wie bei allen Auseinander-
genen Kirchengemeinde konfrontiert.                  setzungen mit solchen Parolen) not-
Doch wegschauen, überhören und kei-                  wendig ist, um das verallgemeinernde
nerlei Widerspruch zu leisten, sollte                „die“ in Frage zu stellen.
4 Zick, Andreas/Küpper, Beate/Krause, Daniela:       5   Holtmann, Everhard/Jaeck, Tobias/Völkl, Kers-
  Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände. Recht-        tin: Sachsen-Anhalt-Monitor 2018. Polarisierung
  extreme Einstellungen in Deutschland 2016,             und Zusammenhalt, Halle 2018; Niehoff, Steffen/
  Bonn 2016; Zick, Andreas/Klein, Anna: Fragi-           Salheiser, Axel/Vogel, Lars: Thüringen-Monitor
  le Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme         2017. Thüringens ambivalente Mitte: Soziale La-
  Einstellungen in Deutschland 2014, Bonn 2014;          gen und politische Einstellungen, Jena 2017
  Brähler, Elmar/Decker, Oliver/Kiess, Johannes:
  Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstel-       6 Vgl. Hufer, Klaus-Peter: Argumente am Stamm-
  lungen in Deutschland 2012, Berlin 2012; Bräh-       tisch. Erfolgreich gegen Parolen, Palaver, Po-
  ler, Elmar/Decker, Oliver/Weißmann, Marliese/        pulismus. Schwalbach/Ts. 2006 und Landes-
  Kiess, Johannes: Die Mitte in der Krise. Rechts-     jugendring Thüringen: FAIR denken – Damit
  extreme Einstellungen in Deutschland 2010, Ber-      Stammtischparolen nicht siegen. Erfurt 2009
  lin 2010; Brähler, Elmar/Decker, Oliver: Bewe-
  gung in der Mitte. Rechtsextreme Einstellungen
  in Deutschland 2008, Berlin 2008

22 Handreichung Rechtspopulismus
Wer ist damit gemeint: die einst ange-     nur vortäuschten. Auf einige präg­nan­
worbenen und seit Jahren hier leben-       te, reale Fakten gilt es hierbei zu ver-
den so genannten Gast- oder Vertrags-      weisen, um die Mär von dem Leben der
arbeiter und deren Nachkommen? Die         Flüchtlinge in Saus und Braus zu ent-
südamerikanischen Fußballer in der         kräften:
Bundesliga? Die osteuropäischen Sai-       » Unter dem Begriff „Flüchtlinge“ fas-
sonarbeiter und Erntehelfer? Die Spät-       sen Medien und Politik viele ver-
aussiedler aus der ehemaligen Sow-           schiedene Status zusammen. Die
jetunion? Der Inhaber des türkischen         Frage, ob Flüchtlinge arbeiten dür-
Imbiss oder des griechischen Restau-         fen, hängt nämlich von der genauen
rants? Die Flüchtlinge aus Syrien oder       Situation des Betroffenen ab.
Afghanistan, die Asyl beantragen?          » Flüchtlinge sind nicht gleich Flücht-
   Weitere gezielte Nachfragen, um ein-      linge: Geduldet, Bewerber oder an-
zelne Aspekte eines solch komplexen          erkannter Status? Folgender Status
(sozio-ökonomischen) Sachverhalts zu         ist möglich: a) Neu angekommene
thematisieren und der Parole das Fun-        Flüchtlinge, die noch keinen Asyl-
dament zu zerbröseln, könnten u.a.           antrag gestellt haben; b) Asylbewer-
sein:                                        ber, bei welchen das Asylverfahren
» Wieso ist dann ausgerechnet in den         beim Bundesamt für Migration und
  Regionen der Bundesrepublik die Ar-        Flüchtlinge (BAMF) eingeleitet wur-
  beitslosigkeit am höchsten, in denen       de; c) Personen mit einem anerkann-
  die wenigsten Ausländer wohnen?            ten Flüchtlings- oder Asylstatus oder
» Was ist mit den Fachkräften, die in        unter subsidiären Schutz; d) gedul-
  verschiedenen Gewerben und Berei-          dete Ausländer.
  chen (IT, medizinische Versorgung,       » Während der Erstaufnahme und für
  etc.) dringend benötigt werden?            Flüchtlinge aus sicheren Herkunfts-
» Was ist mit denjenigen ausländi-           ländern gibt es allerdings kein Ar-
  schen Unternehmen, Investoren und          beitsrecht. Für Asylbewerber, die ih-
  Selbstständigen, die neue Arbeits-         ren Antrag bereits abgegeben haben
  plätze erst schaffen?                      und nicht aus einem als sicher einge-
                                             stuften Staat kommen, gilt die Drei-
„Die Flüchtlinge kommen doch nur             Monats-Regelung.
hier her, um vom deutschen Wohl-           » Während der ersten Monate gilt le-
stand zu profitieren! Die legen sich         diglich eine eingeschränkte Arbeits-
faul in die Hängematte des Sozial-           erlaubnis, nach 15 Monaten entfällt
staates und leben auf unsere Kosten          die Beschränkung jedoch in der Regel
wie die Made im Speck!“                      und die Rechte der Flüchtlinge wer-
Auch diese Parole dürfte allseits be-        den ausgeweitet. Eine selbständige
kannt sein. Die Rede ist in diesem Zu-       Tätigkeit ist jedoch für Menschen mit
sammenhang von den so genannten              einer Aufenthaltsgestattung grund-
„Scheinasylanten“ und „Wirtschafts-          sätzlich nicht erlaubt. Hierfür ist eine
flüchtlingen“, die politische Verfolgung     Aufenthaltserlaubnis notwendig.
                                                    Handreichung Rechtspopulismus 23
Sie können auch lesen