RUNDBRIEF - Forum Umwelt & Entwicklung
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4 / 2018 RUNDBRIEF Forum Umwelt & Entwicklung Lebensadern unserer Erde Flüsse – begradigt, gestaut, zerstört. Seite 4 Seite 10 Seite 14 Seite 22 Verdammt gefährdet: Der Flüsse und Konflikte – Zur Salzig und braun: Wie die Ökologische Grenzen und Kampf um Europas letzte strategischen Bedeutung Kohle unserem Wasser Fehlinvestitionen in der Wildflüsse von Wasserläufen schadet Binnenschifffahrt ISSN 1864-0982
RUNDBRIEF 4/2018 SCHWERPUNKT AKTUELLES Lebensadern der Erde 2 COP24 in Kattowitz 25 Flüsse sind Biotop und Psychotop gleichermaßen Klimapolitische Spurensuche im Herz Sonja Bettel des polnischen Kohlereviers Elisabeth Staudt Verdammt gefährdet 4 Der Kampf um Europas letzte Wildflüsse Einmal Meeresrettung, bitte! 26 Christian Stielow Verhandlungsbeginn für ein neues Abkommen zum Artenschutz auf der Hohen See Die dunkle Seite der Wasserkraft 6 Marie-Luise Abshagen Staudämme zerstören die Lebensgrundlage tausender Menschen Nichts gelernt aus TTIP 28 Dr. Thilo F. Papacek Über die anstehenden Handelsabkommen der EU mit Japan, Singapur und Vietnam Kampf um Kenias Ressourcen 8 Anne Bundschuh Flüsse als Zündfunke und Lebensader Tim Bunke Umweltschutz ist auch Heimatschutz? 30 Was rechtsextreme Ideologien mit Flüsse und Konflikte 10 Natur- und Umweltschutz zu tun haben Zur strategischen Bedeutung von Wasserläufen Yannick Passeick Tobias von Lossow Geben die Staaten die Biodiversitätsziele 32 Die purpurnen Flüsse 12 für 2020 auf? Welche Rolle spielt die Textilindustrie bei der Verschmutzung Die Biodiversitätskonvention in der Wüste von Flüssen? Christian Schwarzer Alexandra Caterbow Salzig und braun 14 THEMEN AUS DEM FORUM Wie die Kohle unserem Wasser schadet Greta Pallaver Bauen mit Holz oder Stein? 35 Flüsse sind auf dieser Welt einfach unersetzlich 16 Welcher Werkstoff das Klima besser schont Warum beschleunigen wir den Artentod mit László Maráz Staudämmen und Kraftwerksbau? Am Scheideweg: Reform, Reförmchen oder ein Aus 36 Tobias Schäfer Retten die „Freunde des Systems“ Unsere Flüsse und Seen sind in Gefahr 18 die Welthandelsorganisation? Finger weg von der Wasserrahmenrichtlinie! Jürgen Knirsch Beatrice Claus Steht die Kommerzialisierung des Wassers bevor? 38 Blaues Band Deutschland 20 Tendenzen und Entwicklungen in Politik und Zivilgesellschaft Auf dem Weg zu einem Biotopverbund? Dr. Durmus Ünlü Laura von Vittorelli Europäische Agrarpolitik nach 2020 40 Binnenschifffahrt ja, aber wo und wie? 22 Klima- und Umweltschutz: Alles freiwillig? Über ökologische Grenzen und Mireille Remesch ökonomische Fehlinvestitionen Schöne Neue Welt – ein Blick ins Jahr 2048 42 Sebastian Schönauer Eine Konferenz als Zeitreise Jürgen Maier Schwerpunkt – Publikationen 24 Der Agrarindustrie den Geldhahn abdrehen! 44 Wir haben es satt! demonstriert im Januar für klimagerechte Landwirtschaft und eine zukunftsfähige EU-Agrarreform Christian Rollmann Neueste Publikationen Forum Umwelt & Entwicklung 45 Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Ent- wicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e. V. Die nächste Ausgabe des Rundbriefs erscheint im März 2019. IMPRESSUM HERAUSGEBER: Forum Umwelt & Entwicklung, Marienstraße 19 – 20, 10117 Berlin, Telefon: 030 / 678 17 75 910, E-Mail: info@forumue.de, Internet: www.forumue.de Twitter: @ForumUE VERANTWORTLICH: Jürgen Maier REDAKTION: Marijana Todorovic und Josephine Koch MITARBEIT: Lena Frowerk KORREKTORAT: Julia Rintz LAYOUT: STUDIO114.de | Michael Chudoba TITELBILD: Lode Lagrainge / Unsplash DRUCKEREI: Knotenpunkt Offsetdruck GmbH REDAKTIONSSCHLUSS: 25. November 2018 Forum Umwelt & Entwicklung
FLÜSSE Liebe Leserinnen, liebe Leser, Flüsse sind die Lebensadern unserer Erde, das ökologische Rück- grat unserer Landschaften. Sie schaffen seit Jahrtausenden lebens- werte Umfelder sowohl für Tiere und Pflanzen, als auch für uns Menschen. Gleichzeitig stehen sie ganz oben auf der Liste der Öko- systeme mit dem größten Artenverlust. Zudem werden Menschen auf der ganzen Welt aus ihrer gewohnten Umgebung vertrieben, um Platz für Wasserkraftwerke zu schaffen, oder sie werden krank von den Industrieabwässern, die die Flüsse und damit das Trinkwasser verunreinigen. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes flussabwärts: Auf dem Balkan, dem „Blauen Herz Europas“, wo die letzten wilden Flüsse unseres Kontinents die Landschaften prägen, sind über 3.000 neue Wasserkraftprojekte in Planung, mit katastropha- len Folgen für die Natur. Anderorts werden Mega-Staudämme entgegen anhaltender Proteste der Zivilgesellschaft errichtet, teils begleitet von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen seitens der Regierungen. In Gebieten, in denen Wasserknappheit herrscht, entstehen auch zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen Konflikte um die Nutzung von Flüssen. Im Norden Kenias ist ein Bünd- nis zivilgesellschaftlicher Organisationen mit einer Kamel-Karawane entlang des Ewaso-Nyrio- Flusses gewandert, um auf die Bedrohungen des Flusses aufmerksam zu machen. Als strategische „Waffe“ in Konflikten werden Flüsse missbraucht, um die Wasserversorgung der Gegner zu verknappen, Überschwemmungen auszulösen oder (Trink-)Wasser zu verun- reinigen. Giftige Chemikalien landen aber auch beispielsweise durch die Textil- und Lederindustrie in den Gewässern, wo sie besonders Frauen, Kinder und die ärmsten Bevölkerungsschichten treffen. Auch hierzulande, z. B. in der Lausitz, verschmutzt der Abbau von Braunkohle unser Trinkwasser und zerstört den Lebensraum von Tieren und Pflanzen. Politische Programme wie die Wasserrahmenrichtlinie in der Europäischen Union oder das Blaue Band in Deutschland sollen dazu dienen, unsere Flüsse vor schädlichen Einträgen, Be- gradigungen, Stauungen, Wasserkraft und zu hoch frequentiertem Schiffverkehr zu schützen und Fließgewässer und Auen zu renaturieren, um wieder einen natürlichen Biotopverbund mitsamt der wertvollen Ökosystemfunktionen zurückzugewinnen. Doch bei der Umsetzung hakt es gewaltig. Dass Flusslandschaften komplexe Ökosysteme sind, die vielfältige, für eine intakte Umwelt und die Lebensräume von Menschen essenzielle Funktionen erfüllen, ist leider noch nicht ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit durchgedrungen. Mit dieser Ausgabe möchten wir den Flüssen nicht nur den Respekt und die Aufmerksamkeit schenken, die ihnen gebührt, sondern auch dem Abwärtstrend etwas entgegensetzen, indem wir Möglichkeiten aufzeigen, um diese Schätze der Natur und ihren Artenreichtum zu schützen. Ich wünsche eine sprudelnde Lektüre Marijana Todorovic Rundbrief 4 / 2018
SCHWERPUNKT ©© Drew Coffman/Unsplash Flüsse sind Lebensadern, deshalb haben sich an großen Flüssen auch die ersten Hochkulturen der Menschheitsgeschichte entwickelt. LEBENSADERN DER ERDE Flüsse sind Biotop und Psychotop gleichermaßen Wasser ist die Grundlage des Lebens. Flüsse sind die Adern, die das Wasser Kein Wunder also, dass viele Mu- zu allen Zellen bringen. Es wundert also nicht, dass die ersten Hochkul- sikerInnen sich von Flüssen inspirie- turen an bedeutenden Flüssen der Erde entstanden sind, aber ebenso ren ließen. In den Dörfern entlang wenig, dass Flüsse zum Dreh- und Angelpunkt vieler Konflikte werden. der Vjosa in Albanien, die als Europas letzter Wildfluss gilt, ist der iso-poly- F lüsse sind Lebensadern, sagte der Schweizer Forstingenieur und Ökologe Mario Broggi im Sommer 2017 im Interview für die Sendung ‚Wilde Wasser‘ von Radio Flüsse, die frei fließen dürfen, die Mäander bilden, Schotterbänke auf- häufen und wieder abtragen, Auwäl- der fluten, Nebenarme bilden und so vielfältig und dynamisch sind, wie die phone Gesang, der von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe erklärt wurde, jeweils an die Fließgeschwin- digkeit des Flusses angepasst und hat oft die Schönheit der Landschaft zum Ö1. Im Sommer 2018 sollte sich das Moldau in Bedřich Smetanas gleich- Inhalt. auf schmerzliche Weise bestätigen, als namiger sinfonischer Dichtung. Wenn die Vjosa – wie geplant – für in weiten Teilen Europas extreme Tro- Weil Menschen in Europa solche Wasserkraftwerke gestaut würde und ckenheit herrschte, der Rhein deshalb Flüsse kaum noch erleben können, damit ihre Dynamik und Schönheit so wenig Wasser führte, dass Schiffe außer am Tagliamento in Friaul, an verloren ginge, würden die Bäuerin- nicht mehr passieren konnten, und der Vjosa in Albanien und an anderen nen und Bauern von Kuta, Pocem aus manchen Bächen Fische gerettet naturbelassenen Flüssen am Balkan, und anderen Dörfern nicht nur das werden mussten. haben sie einen Quell für Erholung Wasser für ihre Tiere und Felder ver- Flüsse sind Lebensadern, weil es und Inspiration verloren, bedauert lieren, sondern auch die Grundlage ohne Wasser kein Leben gibt. Sie der Ökologe. Ein geradliniger Kanal ihrer Kultur. sind ein wichtiger Teil des Wasser- mit betonierten Seitenwänden wirkt kreislaufs auf der Erde. Wasser dient eintönig und abweisend, ein spru- Quelle der Hochkulturen Mensch und Tier zum Trinken, in und delnder Gebirgsbach oder der Tagli- Flüsse sind Lebensadern, deshalb ha- am Wasser eines Flusses gedeiht reich- amento mit seinen mächtigen Schot- ben sich an großen Flüssen auch die haltiges Leben. terbänken sind nicht nur ökologisch ersten Hochkulturen der Mensch- „Flüsse sind aber nicht nur Biotop, wertvoll, sondern auch schön. Den heitsgeschichte entwickelt. also Lebensraum für Tiere und Pflan- Unterschied zwischen einem regulier- In Mesopotamien, dem Zweistrom- zen“, sagt Mario Broggi, „sie sind ten Fluss und einem natürlichen kann land zwischen Euphrat und Tigris, auch Psychotop für das Wohlbefinden man auch hören und den Klang zur ließen sich ab dem 12. Jahrtausend v. des Menschen und seine Lebensquali- Analyse seines ökologischen Zustands Chr. Menschen nieder. Sie begannen, tät“. Broggi sieht dabei aber nicht die nutzen, wie der Ökohydrologe Diego den fruchtbaren Boden zu bebauen großteils regulierten Flüsse Europas Tonolla 2011 mit seiner Doktorarbeit und Vorräte anzulegen. Die Sumerer vor seinem geistigen Auge, sondern festgestellt hat. 1 im Süden Mesopotamiens errichte- 2 Forum Umwelt & Entwicklung
SCHWERPUNKT ten im 4. Jahrtausend die erste Stadt Nicht zuletzt haben Flüsse vielfach zur Stromerzeugung, die die Türkei und gelten als das erste Volk, das den auch spirituelle oder religiöse Bedeu- bauen möchte. Übergang zur Hochkultur vollzog. tung. Die berühmteste ist wohl jene ForscherInnen der Michigan Sta- Sie schufen Regeln für die Bewässe- des Ganges, dem zweitgrößten Fluss te University schreiben im Wissen- rung der Felder und die Verwaltung von Indien und Bangladesch. Den schaftsjournal ‚Proceedings of the der Vorräte und erfanden dafür die meisten indischen Religionen ist die National Acadamy of Sciences‘, dass Schrift. Da sie wenig Rohstoffe hat- Ganga heilig, das Bad im Ganges soll große Wasserkraftprojekte häufig ten, begannen sie, Handel zu treiben. von Sünden reinigen und Vergebung zur Zerstörung von Dörfern und zur Am Nil entstand ab 4000 v. Chr. bringen. Viele Hindus möchten sogar Zwangsumsiedlung der BewohnerIn- das ägyptische Reich, am Indus 2800 am Ganges sterben und als Asche mit nen bei mangelnder Entschädigung v. Chr. die Harappa-Kultur und am dem Fluss eins werden. geführt haben und weiterhin führen. 2 Gelben Fluss die chinesischen Reiche Am Amazonas wie auch am Balkan (ab etwa 1900 v. Chr.). Konflikte unausweichlich kämpfen Menschen deshalb gegen Bei so vielen Interessen und großem geplante Wasserkraftprojekte – und Vielfacher Nutzen und Gefahr Nutzungsdruck ist es kein Wunder, damit gegen rücksichtslose Investo- Flüsse waren für die Entstehung von dass es rund um Flüsse immer wieder rInnen und korrupte PolitikerInnen. Hochkulturen nicht zwingend not- zu Konflikten kommt. Das können Dass man Flüsse auch gemeinsam wendig, doch die Besiedlung einer lokale Konflikte sein, wie die Frage, nutzen kann, ohne sich gegenseitig Flusslandschaft hatte viele Vorteile: welche AnrainerInnen wann und den Krieg zu erklären, zeigt die 1950 Die Verfügbarkeit von Wasser zum wieviel Wasser zur Bewässerung der gegründete Internationale Kommissi- Trinken und Waschen, für die Land- eigenen Felder ableiten oder wer wo on zum Schutz des Rheins. Nach dem wirtschaft und Tierzucht und die Her- fischen darf. Es können Konflikte Unfall in der Chemiefabrik Sandoz stellung verschiedenster Güter. Flüsse mit der Natur sein, wie: Sollen Kor- bei Basel 1986, in dessen Folge auf lieferten Fische, Muscheln, Krebse morane oder Fischotter abgeschossen hunderten Kilometern alle Lebewe- und Vögel als Nahrung, Auwälder bo- werden dürfen, weil sie angeblich den sen im Rhein starben, wurde klar, dass ten Wildpflanzen, Wildtiere und Holz. FischerInnen die Fische wegfressen? ein grenzüberschreitender Fluss nur Holz, das bei Hochwasser mitgerissen Dürfen Biber getötet werden, weil sie dann zum Wohle aller genutzt wer- wurde, war ebenfalls wertvoll. Am Al- Bäume fällen und mit ihren Dämmen den kann, wenn alle Anliegerstaaten penrhein beispielsweise sind aus dem Wasser aufstauen? zusammenarbeiten. 19. Jahrhundert spezielle Werkzeuge Konflikte um die Nutzung von Flüsse sind Lebensadern, und ein überliefert, mit denen man Treibholz Flüssen entstehen aber auch zwischen Staudamm, so pflegt Ulrich Eichel- aus dem Wasser fischen konnte, und Regionen oder Staaten: Im Nahen mann von der Nichtregierungsorga- Regeln, welches Holz man behalten Osten, einer der regenärmsten Re- nisation Riverwatch zu sagen, sei wie und welches man dem oder der Be- gionen der Welt, wird der politische ein Blutgerinnsel im menschlichen sitzerIn, dem es flussaufwärts vom und religiöse Konflikt zwischen Israel Körper, der zum Herzinfarkt führt. Hochwasser entwendet worden war, und seinen Nachbarstaaten noch da- Flüsse als Lebensgrundlage, aber zurückgeben musste. Für das Fischen durch verschärft, dass Israel für seine auch als Quelle der Inspiration und mit Netzen und Reusen gab es bereits exportträchtige Landwirtschaft rund Erholung zu erhalten oder wieder- im Mittelalter Regeln, wer wo wie viel 90 Prozent des Wassers des Jordan herzustellen, sei deshalb die große fangen durfte und welcher Zins dafür ableitet und Syrien, Jordanien und Aufgabe unserer Tage. zu bezahlen war. Nachdem die ersten die Palästinensergebiete sich mit dem Kraftwerke am Rhein gebaut waren, Rest begnügen müssen. Sonja Bettel war es jedoch vorbei mit dem Segen, Ägypten betrachtet sich als Haupt- weil die Fische nicht mehr wandern eigner des Nilwassers und möchte Die Autorin ist Wissenschaftsjournalistin konnten. Viele Fischarten, die einst zur landwirtschaftlichen Nutzung für Radio Ö1 und andere Medien die Mägen der Rhein-Anwohner füll- der Wüste im Südwesten des Landes, und betreibt das Online-Magazin ten, gibt es heute gar nicht mehr. dem Toshka-Projekt, noch mehr Was- Flussreporter. Das fließende Wasser wurde und ser entnehmen. Doch der (neben dem wird auch als Antriebskraft genutzt: Amazonas) längste Fluss der Erde hat Für Schiffsmühlen zum Mahlen von 6 weitere Anrainerstaaten, die Wasser 1 Diego Tonolla (2011): Acoustic and Getreide, zum Antrieb von Maschi- benötigen. Wenn es der 1999 einge- Thermal Characterization of River nen, zur Erzeugung von Strom und richteten ‚Nile Basin Initiative‘ (Nil- Landscapes. Diss. FU Berlin. http://www. für den Transport von Waren und beckeninitiative) nicht gelingt, eine eqcharta.ch/index_htm_files/Tonolla_ Menschen, wie auch zum Kühlen und Einigung zu finden, könnte das die Dissertation2011_FU.pdf. Waschen und zur Entsorgung von Ab- Konflikte in einer ohnehin unruhigen 2 Emilio F. Moran/Maria Claudia Lopez/ wässern und Müll. Region verhärten. Nathan Moore/Norbert Müller/David Flüsse boten und bieten aber Ähnliches gilt für Euphrat und W. Hyndman (20.11.2018): Sustainable auch Gefahren: Durch Hochwässer Tigris, wo bereits vielfältige Konflik- hydropower in the 21st century. PNAS, und Überschwemmungen, durch te herrschen und die Türkei, Syrien 115 (47) 11891-11898, http://www.pnas. Geschiebe von Felsen, Schotter und und der Irak noch kein gemeinsames org/content/115/47/11891. Sand, durch das Erodieren der Ufer, Konzept zur Wassernutzung gefun- durch giftige Abwässer, oder durch den haben. Dabei geht es nicht nur Krankheiten, die von Mücken und um Trinkwasser und Wasser für die Würmern übertragen werden, die am Landwirtschaft, sondern auch um 22 und im Wasser leben. Staudämme und 19 Wasserkraftwerke Rundbrief 4 / 2018 3
SCHWERPUNKT ©© Gregor Subic Die Vjosa in Albanien, die „Königin der Flüsse“, ist als einer der letzten großen Wildflüsse Europas nun auch von Staudämmen bedroht. VERDAMMT GEFÄHRDET Der Kampf um Europas letzte Wildflüsse Europas Blaues Herz schlägt auf dem Balkan: Nirgendwo sonst in Europa Kleinwasserkraftwerken. Sie leiten gibt es eine vergleichbare Vielfalt unberührter Flusslandschaften. Doch das Flusswasser über in den Fels ge- diese Vielfalt ist bedroht. An die 3.000 Wasserkraftwerke sind zwischen sprengte Pipelines ab, um an anderer Slowenien und Griechenland derzeit geplant – würden sie alle realisiert, Stelle Strom zu erzeugen. Unterhalb wären die Folgen für die Natur katastrophal. Die Menschen vor Ort be- der Ableitung verbleibt dann höchs- ginnen, sich gegen die wahnwitzigen Pläne zu wehren. tens ein Rinnsal im Flussbett, in dem Fische und andere Lebewesen kaum W enn Sie sich eine Traumland- schaft vorstellen, wie würde diese aussehen? Vielleicht so: hohe Berge mit schneebedeckten Gipfeln, geheimnisvolle Wälder mit Prozent sind dagegen stark reguliert. Wer hierzulande meint, einen unbe- rührten Fluss vor sich zu haben, war noch nicht auf dem Balkan. Das Blaue Herz Europas ist eine kaum bekann- eine Chance zum Überleben haben. In den Sommermonaten trocknen die betroffenen Flussläufe dann meist vollständig aus – eine ökologische Ka- tastrophe. Aufgrund ihrer geringen dichtem Unterholz, saftige Wiesen, te Perle in der europäischen Natur- Größe ist oftmals keine Umweltver- über die im Herbst der Nebel wabert schatzkiste und noch weitestgehend träglichkeitsprüfung für den Bau der und klare, smaragdgrün leuchtende unerforschtes Terrain. Erste systema- Kleinwasserkraftwerke vorgeschrie- Flüsse, die ungebremst durch schrof- tische Untersuchungen ganzer Fluss ben. Selbst vor Schutzgebieten ma- fe Schluchten und liebliche Täler flie- einzugsgebiete zeigen: Die Wildflüsse chen die Bauarbeiten keinen Halt, mit ßen? Solch eine Bilderbuchlandschaft des Balkans zählen zu den Hotspots all den negativen Begleiterscheinun- gibt es wirklich, in Europa! In zahlrei- biologischer Vielfalt in Europa. gen der für den Bau benötigten Inf- chen Staaten der Balkanhalbinsel hat Dies scheint die PolitikerInnen der rastruktur (Straßen, Stromleitungen, sich durch jahrzehntelange Abschot- Balkanstaaten jedoch nicht zu inter- Pipelines etc.). tung und aufgrund fehlender politi- essieren; sie vergeben – oftmals an Das Absurde daran: Die Energiebi- scher Stabilität nach der Wendezeit ausländische InvestorInnen – bereit- lanz von Kleinwasserkraftwerken ist eine in weiten Teilen intakte Natur willig Konzessionen für den Bau von mehr als ernüchternd. Auf der Seite erhalten können. Insbesondere die Wasserkraftwerken. Nach aktuellem des Umweltbundesamtes heißt es: Flusslandschaften sind von faszinie- Stand sind annähernd 3.000 Wasser- „Typisch für den Kraftwerksbestand render Ursprünglichkeit. kraftprojekte im Südosten Europas in Deutschland […] ist die große geplant. Sollten alle diese Pläne um- Anzahl an Kleinwasserkraftanlagen. Bedrohte Schönheit gesetzt werden, würde Europas blaues Sie dominieren zwar den Anlagenbe- Rund 80 Prozent der Balkanflüsse sind Herz aufhören zu schlagen. stand, die wenigen großen Anlagen in einem guten oder sogar sehr guten erzeugen jedoch weit über 80 Prozent Zustand. Zum Vergleich: In Deutsch- Kleine Kraftwerke, große Zerstörung des Stroms […] in Deutschland.“ 1 land gelten nur noch weniger als 10 Ein Großteil des „Staudamm-Tsu- Der Anteil von Strom aus Kleinwas- Prozent der Flüsse als naturnah, 60 namis“ besteht aus sogenannten serkraftwerken am gesamtdeutschen 4 Forum Umwelt & Entwicklung
SCHWERPUNKT Energiemix beträgt gerade einmal „No Money – No Dams“ (Kein Geld – größten erhaltenen, sprich noch un- 0,07 Prozent. Ähnlich stellt sich die Keine Staudämme) lautet der Name verbauten Wildfluss auf dem Balkan. Situation auf dem Balkan dar. einer Petition des amerikanischen Der ‚Fall Vjosa‘ war das erste Gerichts- Outdoor-Unternehmens Patagonia verfahren zu einem Umweltprojekt in Verheerende Folgen gegen die Finanzierung von Stau- Albanien überhaupt, auch ein Zeichen auch für die Menschen dammprojekten in Südosteuropa. dafür, dass die Zivilgesellschaft der „Was nützt der erzeugte Strom, wenn Bis zum Frühsommer hatten schon Region im Wandel begriffen ist. die Menschen kein Brot mehr zu mehr als 120.000 Menschen ihren „Es steht außer Frage, dass die Be- essen haben?“, fragt sich Xhevahir Namen unter die Petition gesetzt. wohnerInnen der Balkanstaaten ein Shkurti. Der ältere Herr aus einem Die ausgedruckte Unterschriftenliste Anrecht auf die Verbesserung ihrer kleinen Dorf in Albanien ist wütend; übergaben VertreterInnen der Blue Lebensumstände haben. Aber es gibt wütend auf das Kraftwerk, durch das Heart-Kampagne sowie von Patago- Lösungsansätze zur Energieerzeu- seine Getreidemühle nicht mehr mit nia im Juni an hochrangige Mitarbei- gung, die nicht die letzten Wildflüs- Wasser versorgt wird und wütend auf terInnen der EBWE in London. Diese se unseres Kontinents zerstören. Bei die Regierung in Tirana, die den Bau signalisierten, sich aus der finanziel- 300 Sonnentagen im Jahr wäre Solar- genehmigt hat. Es ist noch nicht lan- len Unterstützung für Wasserkraftpro- energie eine sinnvolle Alternative zur ge her, da mahlten Xhevahir Shkurti jekte zurückzuziehen – zumindest in Wasserkraft in Albanien“, erläutert und sein Sohn Preparim das Getreide geschützten Gebieten. 2 Ulrich Eichelmann, Geschäftsführer von 15 Gemeinden. Die Mühle wur- Die Geldflüsse auszutrocknen, ist von Riverwatch. de durch das Wasser des Flusses Ra- eine Möglichkeit, die Staudammflut Die NaturschützerInnen der Kam- puni angetrieben – eine nachhaltige auf dem Balkan zu verhindern. Doch pagne ‚Save the Blue Heart of Euro- Nutzung von Wasserkraft, wie sie seit auch die lokale Bevölkerung muss pe‘ geben sich keinen illusorischen Jahrhunderten betrieben wird. Dann ihren Unwillen gegen die Zerstörung Hoffnungen hin. Ihnen ist klar, dass kam das Kraftwerk. Seitdem steht die ihrer Heimat bekunden. Der von Pa- sie nicht alle 3.000 geplanten Wasser- Mühle still. Die Staumauer hat dafür tagonia in Auftrag gegebene Doku- kraftwerke verhindern können. „Des- gesorgt, dass das Flussbett unterhalb mentarfilm „Blue Heart“ erzählt mit halb haben wir einen Ökomasterplan der Anlage vollkommen ausgetrock- eindrücklichen Bildern und bewegen- erarbeitet, der Tabuzonen für Wasser- net ist. den Geschichten von Europas letzten kraftprojekte an den Balkanflüssen Verantwortlich für den Bau ist un- wilden Flusslandschaften und ihrer definiert. Wir wollen erreichen, dass ter anderem die iC-Group, laut eige- Bedrohung durch den Ausbau der sich internationale Finanzinstitute nem Selbstbild „die Expertengruppe Wasserkraft. Im Sommer 2018 tourte selbst verpflichten, keine Kraftwer- für komplexe Ingenieur-Projekte und der Film quer über den Balkan und ke in solchen Tabuzonen zu fördern. technisch-interdisziplinäre Gesamtlö- konnte dank eines solarbetriebenen, Für rund ein Drittel der geplanten sungen“. Ihren Sitz hat die Firma in mobilen Kinos auch in abgelegenen Wasserkraftprojekte gibt es noch kei- Wien. Fast alle Ingenieurbüros, Bau- Dörfern gezeigt werden. Also genau ne InvestorInnen, darin liegt unsere firmen und GeldgeberInnen, die mit dort, wo die betroffenen BürgerInnen Chance“, sagt Theresa Schiller. Sie Wasserkraft auf dem Balkan Geld ver- leben und durch die naturzerstöreri- und ihre MitstreiterInnen der Blue dienen wollen, kommen aus dem Aus- schen Projekte ihre Lebensgrundlage Heart-Kampagne sind überzeugt da- land. Insbesondere Entwicklungsban- verlieren. Der Film zeigt Menschen, von, die traumhaften Flusslandschaf- ken – im Falle des Rapuni-Kraftwerks die sich mutig den Interessen der Stau- ten auch für kommende Generationen die Europäische Bank für Wiederauf- dammlobby entgegenstellen und den bewahren zu können. bau und Entwicklung (EBWE) – aber ZuschauerInnen somit inspirierende auch Geschäftsbanken vor allem aus Vorbilder sind. Ein Beispiel: Die tap- Christian Stielow Österreich und Italien machen gute feren Frauen von Kruščica. Seit dem Geschäfte mit der Errichtung von Sommer 2017 besetzen sie eine Brücke Der Autor arbeitet in der Presse- Staudämmen auf der Balkanhalbin- über den gleichnamigen Fluss, der die und Öffentlichkeitsarbeit der sel. „Bei den Banken herrscht eine Art BewohnerInnen des bosnischen Dor- Naturschutzstiftung EuroNatur. Goldgräberstimmung“, sagt Theresa fes mit frischem Trinkwasser versorgt. Schiller von der international tätigen Sie widersetzten sich bereits 2 Räu- Naturschutzstiftung EuroNatur. Sie mungsaktionen des Investors; bei der 1 https://www.umweltbundesamt. koordiniert die gemeinsam mit der ersten Aktion waren die Frauen bru- de/themen/wasser/fluesse/nutzung- NGO Riverwatch und zahlreichen lo- taler Polizeigewalt ausgeliefert. Mitt- belastungen/nutzung-von-fluessen- kalen Organisationen durchgeführte lerweile hat ein bosnisches Gericht die wasserkraft#textpart-3 Kampagne „Save the Blue Heart of Baugenehmigung aufgehoben – die 2 https://balkanrivers.net/sites/default/files/ Europe“ zum Schutz der Balkanflüs- tapferen Frauen von Kruščica haben Financing-hydropower-southeast-Europe- se. „Viele der von den ausländischen einen Etappensieg erreicht. web-fin.pdf. Geldinstituten finanzierten Kraftwer- ke würden in ihren Heimatländern Hoffnungszeichen für die Balkanflüsse aus Umweltschutzgründen keine Be- Die Entscheidung des Kantonsge- willigung erhalten“, so Schiller weiter. richts im Fall Kruščica ist nicht das erste Gerichtsurteil im Sinne der Der Kampf nimmt Fahrt auf FlussschützerInnen auf dem Balkan. Die Finanzierung durch internatio- Im Mai 2017 stoppte das albanische nale Banken zu stoppen, ist einer der Verwaltungsgericht ein großes Stau- Hebel, an dem die Kampagne ansetzt. dammprojekt an der Vjosa, dem Rundbrief 4 / 2018 5
SCHWERPUNKT cc Pedro Vásquez Colmenares (CC BY-NC 2.0) Für den Drei-Schluchten-Damm in China mussten über 1,2 Millionen Menschen umgesiedelt werden. DIE DUNKLE SEITE DER WASSERKRAFT Staudämme zerstören die Lebensgrundlage tausender Menschen Wasserkraft gilt oft immer noch als nachhaltige Energiequelle. Die In- quelle eine attraktive Möglichkeit, dustrie bewirbt die Technologie als ideales Mittel, um Klimaschutz und günstig umweltfreundlichen Strom Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (UN) zu erreichen. Doch zu erzeugen. Die weltweit bisher in- Erfahrungen mit den menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen stallierte Kapazität von etwa 1.300 Folgen von Staudämmen sprechen gegen diese Erzählung. Gigawatt könne um weitere 4.000 Gi- gawatt Kapazität erweitert werden, so D ie Wasserkraft spielt eine entscheidende Rolle bei der nachhaltigen und umwelt- freundlichen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und ist welt- So propagiert die International Hydropower Association (IHA), in der sich Konzerne und InvestorInnen aus aller Welt organisieren, die im Ge- schäft mit der Wasserkraft aktiv sind, Uwe Wehnhardt, Geschäftsführer von Voith Hydro. Gigantische Kraftwerke – für die Nachhaltigkeit? weit die größte erneuerbare Quelle ihre Technologie als geeignetstes Mit- Nach Aussagen der Industrie und für die Stromerzeugung. So steht es tel zum Erreichen der UN-Nachhal- ihrer Interessenvertretung ist also in mehreren Pressemitteilungen des tigkeitsziele (SDGs) und des Pariser Wasserkraft das hervorragendste deutschen Konzerns Voith Hydro, der Abkommens zum Klimaschutz von Instrument, um den Klimawandel zu den Marktführern bei der Produk- 2015 und stellt den Welt-Wasserkraft- zu bekämpfen (SDG 13: Klima um- tion von Turbinen und anderer Aus- Kongress im Mai 2019 in Paris unter fassend schützen) und auch andere stattung für Wasserkraftwerke gehört. das Motto „Die Kraft des Wassers in UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG) zu Die Argumentation scheint schlüs- einer nachhaltigen und miteinander erreichen. So schreibt Seleshi Bekele, sig: Das Wasser treibt Turbinen an, verbundenen Welt“. 1 der äthiopische Minister für Wasser, ohne verbraucht zu werden; es wer- Bewässerung und Elektrizität, in ei- den weder Erdöl, Gas oder Kohle Globaler Staudammboom nem Beitrag für die IHA, Wasserkraft verbrannt noch radioaktive Elemen- Wasserkraftwerke können riesige Men- wirke als Katalysator und Anfangs- te eingesetzt. So erscheint Wasserkraft gen Energie erzeugen. Von den welt- punkt für Industrialisierung und als älteste regenerative Energiequelle. weit 10 Kraftwerken mit der größten ökonomische Entwicklung. Deshalb Gerade angesichts der Herausforde- Kapazität sind 9 Wasserkraftwerke. forciere die äthiopische Regierung rungen des Klimawandels erscheint Insbesondere für Länder des Globa- den Bau von Wasserkraftwerken: Mit Wasserkraft daher als eine notwendige len Südens, so die FürsprecherInnen der Grand-Ethiopian-Renaissance- und wichtige Technologie. der Wasserkraft, biete diese Energie- Talsperre am Blauen Nil und dem 6 Forum Umwelt & Entwicklung
SCHWERPUNKT Gilgel-Gibe-IV-Damm am Omo-Fluss In Brasilien, der anderen aufstei- rem Bau beteiligt sind oder am Export an der Grenze zu Kenia befinden sich genden Macht im Staudammgeschäft, des Stroms verdienen, sowie ener- dort die derzeit größten Wasserkraft- sieht die Situation kaum besser aus. gieintensive Industrien wie Bergbau projekte Afrikas im Bau. Durch diese Für den Bau des mit einer Nennleis- und Aluminiumverhüttung – nicht Projekte, so Bekele, entstünden Wirt- tung von 14.000 Megawatt zweitgröß- die lokale Bevölkerung. Mit Staudäm- schaftswachstum und Arbeitskräfte ten Wasserkraftwerks der Welt, dem men können auch Stromschnellen (SDG 8: Nachhaltiges Wirtschafts- auf der Grenze zwischen Paraguay überflutet werden, um Flüsse für die wachstum und faire Arbeit schaffen), und Brasilien am Paraná-Fluss gele- Schifffahrt zu erschließen, wie es bei mit der geschaffenen Infrastruktur gene Itaipu-Damm, wurden in den Staudämmen am Tapajós geplant ist. könnten sich andere Industrien an- 1980er Jahren etwa 1.500 indigene So will die brasilianische Regierung siedeln (SDG 9: Industrialisierung Guaraní umgesiedelt. Sowohl in Bra- entlegene Regionen für die expandie- sozial verträglich gestalten). Da- silien als auch in Paraguay regierten rende Agrarindustrie erschließen. durch würde die grassierende Armut damals Militärdiktaturen und bei der Der Bau von Staudämmen zieht im Land gemindert (SDG 1: Armut Umsiedelung der Indigenen kam es also nicht nur unmittelbare, lokale bekämpfen). 2 zu psychologischen und physischen Folgen nach sich, sondern ist gleich- Aggressionen gegen die betroffenen zeitig auch Katalysator für weitere China und Brasilien, Indigenen, und sogar Morden, wie Landkonflikte in der gesamten Ama- 2 Hauptländer der Wasserkraft eine Wahrheitskommission zum Stau- zonasregion. Dem Jahresreport der Der äthiopische Minister Bekele hegt dammbau in diesem Jahr dokumentie- Nichtregierungsorganisation Global hohe Erwartungen an die Wasserkraft ren konnte. Im Jahr 1981 ließen sich Witness zufolge wurden im vergan- für sein Land. Doch kann die Tech- MitarbeiterInnen der binationalen genen Jahr in Brasilien 57 Menschen- nologie sie einhalten? Es lohnt sich, Itaipu-Gesellschaft sogar dabei foto- rechtsverteidigerInnen ermordet, einen Blick nach Brasilien und China grafieren, wie sie Dörfer von Indige- mehr als in jedem anderen Land. zu werfen, wo viel Erfahrung mit Was- nen abbrannten. 4 Die meisten dieser Morde erfolgten serkraftwerken besteht. China ist mit Solche schwerwiegenden sozialen im Kontext von Landkonflikten im 341.000 Megawatt installierter Kapa- und menschenrechtlichen Probleme Zusammenhang mit Agrarindustrie, zität eindeutiger Spitzenreiter bei der von Wasserkraftwerken sind keine Bergbau oder Wasserkraftprojekten Nutzung von Wasserkraft, auf Platz 2 Ausnahmen, sondern die Regel. Nach in der Amazonasregion. Die men- folgen die USA (102.900 Megawatt) Schätzungen von International Rivers schenrechtlichen, sozialen und öko- und Platz 3 belegt Brasilien (100.300 wurden weltweit zwischen 40 und logischen Kosten von Staudämmen Megawatt). In den USA werden 80 Millionen Menschen für Dämme sind nicht zu rechtfertigen. mehr Staudämme ab- als neu gebaut, umgesiedelt, für die meisten bedeu- da deren Lebensdauer aufgrund von tete dies eine Verschlechterung ihrer Dr. Thilo F. Papacek Sedimentablagerungen begrenzt ist Lebenssituation. und die Kosten für das Ausbaggern Beim Bau des drittgrößten Stau- Der Autor ist Projektreferent bei der Stauseen bis zu 3mal höher sind, damms der Welt, Belo Monte in Bra- der Initiative GegenStrömung, die als der Bau des Damms selbst. China silien, kam es ebenfalls zu massiven sich mit den menschenrechtlichen, und Brasilien dagegen planen den menschenrechtlichen Problemen. Die sozialen und ökologischen Folgen von Bau weiterer Anlagen. zuständige Staatsanwaltschaft von Al- Wasserkraftwerken beschäftigt. In China steht unter anderem der tamira ermittelt in dem Zusammen- größte Staudamm der Welt. Gleich- hang wegen Ethnozids, da betroffe- zeitig ist der Drei-Schluchten-Damm nen Indigenen die Lebensgrundlage 1 http://congress.hydropower.org/. mit einer Nennleistung von 22.400 genommen wurde. Dabei verdienten 2 International Hydropower Association Megawatt auch das größte Kraftwerk auch europäische Konzerne an dem (2018): 2018 Hydropower Status der Welt. Doch der Damm brach auch Bau mit, da sie Turbinen lieferten Report. IHA London, S. 16f. https:// einen anderen Rekord: Über 1,2 Mil- oder die (Rück-)Versicherung für das www.hydropower.org/download/file/ lionen Menschen mussten für das Projekt übernahmen. 5 Am Tapajós- nojs/18956. Kraftwerk umgesiedelt werden, mehr Fluss plant die neue brasilianische als bei jedem anderen Kraftwerk der Regierung den Bau mehrerer weiterer 3 International Rivers (2003): Human Rights Welt. Doch wie eine Studie der US- Staudämme, die katastrophale Folgen Dammed Off at Three Gorges. https:// amerikanischen Naturschutzorga- für den amazonischen Regenwald und www.internationalrivers.org/resources/ nisation International Rivers zeigt, die dort lebenden Indigenen hätten. human-rights-dammed-off-at-three- gab es bei der Umsiedlung massive Bereits seit vielen Jahren leisten indi- gorges-4032. Probleme. Entschädigungszahlun- gene Munduruku Widerstand gegen 4 https://theintercept.com/2018/06/12/ gen kamen teilweise nicht bei den diese Zerstörung und besetzen immer fotos-funcionarios-itaipu-incendio- Betroffenen an, das Projekt war von wieder Baustellen von Staudämmen indigenas/. Beginn an mit massiver Korruption und verzögern so empfindlich deren 5 GegenStrömung (2014): Der Belo-Monte- verbunden und Proteste von Betrof- Bauzeiten. Staudamm und die Rolle europäischer fenen dagegen wurden unterdrückt. 3 Konzerne. http://www.gegenstroemung. Trotz dieser negativen Bilanz für das Profite auf Kosten der Bevölkerung org/web/wp-content/uploads/2014/07/ Projekt plant die chinesische Regie- Wasserkraftprojekte sind oft die Tür- GegenStr%C3%B6mung_Belo-Monte- rung den Bau weiterer Staudämme im öffner für andere Industrien in entle- und-Europ-Konzerne_2014.pdf. Land und chinesische Firmen beteili- genen Regionen und gehen mit dem gen sich am Ausbau der Wasserkraft Bau von Straßen einher. In erster Li- in anderen Teilen der Welt. nie profitieren diejenigen, die an ih- Rundbrief 4 / 2018 7
SCHWERPUNKT ©© Karte: Andreas Langner; Foto: Tim Bunke Im 5. Jahr in Folge zog eine Kamel-Karawane von kenianischen AktivistInnen entlang des Ewaso-Nyrio-Fluss, um so auf die vielfältigen Bedro- hungen für den Fluss aufmerksam zu machen. KAMPF UM KENIAS RESSOURCEN Flüsse als Zündfunke und Lebensader Kenia war lange Zeit als Safariland bekannt. In den letzten Jahren be- einer bestimmten Ethnie, wer Land herrschten jedoch Ausschreitungen zwischen Ethnien, islamistischer Terror besitzt. und Korruption die Schlagzeilen. Eine außergewöhnliche Aktion wirbt für Die für die PastoralistInnen ver- die nachhaltige Nutzung eines Flusses im trockenen Norden Kenias und fügbare Landfläche verringert sich die friedliche Koexistenz seiner AnrainerInnen. stetig durch raumgreifende Infra- strukturprojekte, Umweltzerstörung F rüher führte der Fluss 10 Mo- nate im Jahr Wasser. Heute nur noch 2, er trocknet einfach aus, klagt der Viehhirte Adan Moham- med. Der Fluss Ewaso Nyrio ist die des Landes – oft auch über ethnische und staatliche Grenzen hinweg – im Vordergrund. Wo für das westliche Auge weite Landflächen brachliegen, sind dies für PastoralistInnen oftmals und Dürren, aber auch durch prin- zipiell sinnvolle Umweltschutzmaß- nahmen, die jedoch oft die lokale Bevölkerung nicht einbeziehen. Der Norden Kenias war lange vernach- Lebensader von etwa 3,6 Millionen traditionelle Weidegründe, die nur lässigt und soll nun durch zahlreiche Menschen. Er entspringt der West- saisonal genutzt werden. Bauprojekte gefördert werden. Heute flanke des Mount Kenya und bringt versucht die kenianische Regierung wertvolles Wasser in die häufig von Konflikte um Wasser und Weideland im Rahmen breit angelegter Investiti- Dürren bedrohten ariden Regionen Doch das lebenswichtige Wasser ist onsprogramme den dünn besiedelten im Norden Kenias. Das Land ist zu zunehmend Grund für Konflikte, Norden infrastrukturell und vor allem karg, um dauerhaft Felder zu bestel- die immer wieder zwischen den lo- touristisch zu fördern: neue Wildtier- len. An den Ufern des Ewaso Nyrio kalen Gemeinden und zwischen den reservate, geteerte Highways, eine erwirtschaften die meisten Menschen verschiedenen ethnischen Gruppen Pipeline von der Küste zu den neu ihre Lebensgrundlage als nomadi- entstehen, die um den Fluss als Res- entdeckten Ölfeldern im Nordwesten, sche ViehhirtInnen. Auf der Suche source für Wasser und Weideland eine Eisenbahnlinie, ein Schlachthaus nach frischen Weiden und Wasser für konkurrieren. Aber nicht nur der und eine Retortenstadt für Touris- ihr Vieh ziehen sie durch die Land- Zugang zu Wasser und Weide, auch tInnen. Einer der größten Flughäfen schaft. Viele pflegen seit Jahrhun- Viehdiebstahl oder die Besetzung po- Kenias und ein Staudamm werden derten einen pastoralen Lebensstil, litischer Positionen vor dem Hinter- gebaut. Infrastrukturmaßnahmen bei dem die Haltung von Nutztieren grund einer ethnisierten politischen wurden zwar von vielen Menschen wie Kamelen, Rindern, Schafen und Landschaft sorgen für Streit und lange ersehnt, mit ihnen verschärfen Ziegen zur Nahrungsgewinnung im gewaltsame Auseinandersetzungen. sich jedoch bestehende Konflikte um Vordergrund steht. Landbesitz in sei- Oft sind auch Landrechte unklar und Ressourcen weiter. Insbesondere die ner europäischen Form ist hier nicht dadurch strittig. Häufig entscheidet entstehende Talsperre Crocodile Jaw existent, vielmehr steht die Nutzung Korruption und die Zugehörigkeit zu wird von AnwohnerInnen sehr kri- 8 Forum Umwelt & Entwicklung
SCHWERPUNKT tisch betrachtet, da die Aufstauung spielsweise steht auf der einen Seite Mal zu einer Kamel-Karawane 2 für des Ewaso Nyiro zu einer sich weiter oft unverhältnismäßige Gewaltan- den Fluss Ewaso Nyrio im trockenen verschlimmernden Wasserknappheit wendung durch die Polizei, auf der Norden Kenias auf. Viele ansässige führen würde. Der Nutzungsdruck anderen Seite das offene Misstrauen Nomaden, wie Adan Mohammed, wird noch verstärkt, indem großflä- der Jugendlichen. Zunächst ist es begleiteten die kenianischen Aktivis- chig wasserintensive Exportgüter am unerlässlich, Vertrauen aufzubauen, tInnen. Mit 15 Kamelen wanderte die Oberlauf des Ewaso Nyrio angebaut damit Informationen und Erfahrun- Kamel-Karawane 300 Kilometer ent- werden, etwa Rosen für europäische gen ausgetauscht werden können. lang des Ewaso-Nyrio-Flusses. Auf VerbraucherInnen. Direkte Auswir- Teil eines partizipativen Aktionsplans diese Weise machten 50 Menschen kungen auf die Pegelstände flussab- können gemeinsame Sportveranstal- während der 6 Tage dauernden Akti- wärts sind die Folge. tungen, beispielsweise Fußballturnie- on auf die vielfältigen Bedrohungen Geeignetes Weideland ist rar im re mit Jugendlichen und der Polizei, für den Fluss aufmerksam. Norden Kenias. Die Herden der sein. Die AktivistInnen konnten mit den PastoralistInnen beanspruchen die Dieser verbesserte Zusammenhalt Menschen entlang des Flusses direkt krautige Pflanzendecke einer Weide kann auch in Bezug auf die Was- und außerhalb von Konferenzräumen oft stärker, als diese sich regenerieren serressourcen in Isiolo County eine über die Probleme, Befürchtungen kann. Die ökologische Tragfähigkeit doppelte Funktion spielen. So hängt und Nöte sprechen und diese unmit- der Weide kommt durch die Dauer die voranschreitende Radikalisierung telbar begreifen. Die multi-ethnische und Intensität der Beweidung bald an nach Meinung unserer Partnerorgani- Zusammensetzung der Kamel-Kara- ihre Grenze. Die Folgen sind Über- sationen 1 stark mit dem Wegbrechen wane erleichterte zudem den direk- weidung und Bodendegradation. In von (traditionellen) Lebensgrund- ten Erfahrungsaustausch und brachte stark überweideten Gebieten kön- lagen zusammen und ist damit eng Anrainer des Ewaso Nyrio zusammen, nen nur noch Ziegen leben, die die mit der Wasserknappheit verknüpft. um gemeinsam für den Fluss einzutre- Vegetation jedoch noch stärker schä- Zudem sind die Sensibilisierung von ten. Zeitungen und das kenianische digen. Überweidung jedoch führt zu Konfliktparteien und die anhaltende Fernsehen berichteten über die Akti- Desertifikation, also zu Versteppung Beziehungsarbeit ebenso zentral für on. Einige richtungsweisende Gesprä- oder fortschreitender Wüstenbildung. einen gemeinsamen Einsatz für Was- che über Folgeaktivitäten haben die Diese schränkt den Zugang der Hir- serressourcen wie auch gegen Radika- AktivistInnen bereits mit Behörden- tInnen zu alternativen Weideflächen lisierung. und RegierungsverterInnen führen und Wasserstellen erheblich ein. können. Der Vize-Gouverneur eines Indigenes Ressourcenmanagement Counties am Oberlauf des Ewaso Ny- Gewalt und Extremismus vorbeugen Unklare Nutzungsrechte von Wasser iro berief eine Tagung aller umliegen- Die Verknappung von natürlichen und Weideland sind weit verbreitete den Counties ein, um ein faires Res- Ressourcen und die historische Ver- Konfliktursachen in der Region. Auch sourcenmanagement zu fördern und nachlässigung Nordkenias führen zu hier können traditionelle Autoritäten den Zugang zu Wasser und Weideland Perspektivlosigkeit in der Bevölke- dabei gestärkt werden, Konflikte gerecht zu regeln. rung. Kombiniert mit der Nähe zu schneller zu lösen, wenn über ethni- Die Kamel-Karawane gibt den Pas- Somalia begünstigt dies eine voran- sche Grenzen hinausgehende Mecha- toralistInnen wie Adan Mohammed schreitende islamistische Radikalisie- nismen des Ressourcenmanagements Hoffnung, dass ihre Probleme gese- rung. Die hauptsächlich in Somalia unterstützt und wiederbelebt werden. hen und von allen Beteiligten gemein- agierende Islamistenorganisation Ein Beispiel sind sogenannte Weide- sam bearbeitet werden können. Al-Shabaab ist zunehmend auch in und Wasserkomitees, die regeln, wes- Kenia aktiv: Terroranschläge erreich- sen Herden wann, wo und wie lange Tim Bunke ten in der Vergangenheit bereits die grasen. In diesen Komitees können Hauptstadt Nairobi sowie die tou- oftmals langjährig verfeindete Grup- Der Autor ist promovierter Ethnologe ristisch wichtigen Küstengebiete. In pen wieder miteinander ins Gespräch mit Erfahrung in Tansania und Sambia. Nordkenia verstärkte Al-Shabaab in gebracht werden und gemeinsam eine Er arbeitet seit Oktober 2016 als den letzten Jahren die Rekrutierungs- Lösung für ihren Streit finden. Die Kooperant und Friedensfachkraft des tätigkeit. Komitees rekrutieren sich aus der Weltfriedensdienst e. V. mit Isiolo Peace Isiolo County beispielsweise (sie- Bevölkerung und oftmals nehmen Link in Kenia. 3 he Karte) gilt vor dem Hintergrund traditionelle Autoritäten daran teil, schwieriger Lebensumstände und his- um an einer gemeinsamen Lösung torischer Ungleichheiten als wichtiges zu arbeiten. So werden zukünftige 1 Informationen zur Partner-NGO Isiolo Rekrutierungsgebiet für radikal-isla- Konflikte entschärft, die etwa bei der Peace Link, Kenia: www.facebook.com/ mistische Organisationen. Um einer Landverteilung, im Rahmen entste- IPLcbo2017. voranschreitenden Radikalisierung hender Infrastruktur oder beim Zu- 2 2 kurze Videos zur Kamel-Karawane: vorzubeugen, ist es wichtig, diese gang zu verknappenden Wasserres- www.weltfriedensdienst.de/kenia-eine- früh zu erkennen und zu verhindern. sourcen drohen. kamel-karawane-fuer-den-fluss. Dazu muss die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung gegen Gewalt und Ein Bündnis für den Fluss 3 Informationen zum Projekt des Extremismus gestärkt und die Bezie- Um das Management von Ressourcen Weltfriedensdienst e. V.: www. hungen zwischen Bevölkerung und wie Wasser und Weideland nachhal- weltfriedensdienst.de/kenia-gemeinsam- Sicherheitsbehörden sowie zwischen tig zu stärken, rief ein Bündnis von fuer-eine-gerechte-landverteilung. der Zivilgesellschaft und der (Lokal-) zivilgesellschaftlichen kenianischen Regierung verbessert werden. Bei- Organisationen dieses Jahr zum 5. Rundbrief 4 / 2018 9
SCHWERPUNKT cc NASA/Unsplash Ein großer Teil des Nahen Ostens hat in den letzten 10 Jahren rapide an Süßwasserreserven verloren (Bild: Qadisiyah, Baghdad, Irak). FLÜSSE UND KONFLIKTE Zur strategischen Bedeutung von Wasserläufen Flüsse decken einen wesentlichen Teil der weltweiten Wasserversorgung aktuell prominentes Beispiel ist der ab, was zu Verteilungs- und Nutzungskonflikten zwischen den unter- Nil, an dem Ägypten fürchtet, dass schiedlichen NutzerInnen führt. Darüber hinaus haben Flüsse aber auch sich die Wasserzufuhr am Unterlauf einen besonderen strategischen Stellenwert in bewaffneten Auseinan- durch den Bau des ‚Grand Ethiopian dersetzungen und Kriegen. So ist es beispielsweise möglich, mithilfe von Renaissance Dam‘ am Oberlauf in Wasserinfrastruktureinrichtungen wie Dämmen oder Leitungsnetzen die Äthiopien verringern könnte. Versorgungssituation maßgeblich zu beeinträchtigen. Ein solcher Einsatz von Wasser als Waffe verstößt zwar gegen Völkerrecht und Kriegsrecht, Natürliche Grenze und wird aber weiter angewendet – wie zuletzt in den Konflikten in Syrien und grenzüberschreitender Einfluss im Irak. Um diese Praxis zu unterbinden oder wenigstens zu erschweren, Aufgrund ihrer hydrologischen, so- bedarf es unter anderem höherer Sicherheitsstandards für diese kritischen zio-ökonomischen und kulturellen Infrastrukturen. Bedeutung spielen Flüsse auch eine wesentliche Rolle in politischen Kon- D a Oberflächengewässer – Flüsse und Seen – leicht und kostengünstig zugänglich sind, bilden sie zusammen mit weniger tief- liegenden Grundwasserressourcen abwärts, was Konflikte um die Ver- teilung und Nutzung der Ressourcen zwischen Anrainern am Oberlauf und Anrainern am Unterlauf mit sich bringt, die sich häufig beim Bau von flikten, bewaffneten Auseinanderset- zungen und Kriegen – insbesondere unter strategischen und (militär-) taktischen Gesichtspunkten. Flüsse bilden zunächst eine natürliche Gren- das Rückgrat der globalen Süßwas- Staudämmen oder Bewässerungsan- ze, deren Verlauf nicht selten Staaten serversorgung. Dennoch kann die lagen zuspitzen. Da sich Flüsse nicht über längere Abschnitte voneinander Wassermenge nach Jahreszeit stark an Ländergrenzen halten, führt dies abgrenzt, wie der Mekong Laos und variieren, Hochwasser und Über- auch zu zwischenstaatlichen Konflik- Thailand, der Jordan Israel und Jorda- schwemmungen die Versorgungslage ten in den weltweit 286 grenzüber- nien oder die Donau unter anderem ebenso beeinträchtigen wie Nied- schreitenden Flussbecken, darunter die Slowakei und Ungarn sowie Bul- rigwasser. Auch die Wasserqualität der Amazonas, der Rhein, die Donau, garien und Rumänien. Auch bei ter- unterliegt Schwankungen bedingt der Kongo, der Jordan, der Indus ritorialen Neuordnungen nach Kon- durch Schadstoffeinträge und Ab- oder der Mekong. So hat im Euph- flikten und Kriegen dienen Flüsse als wässer aus Industrie, Landwirtschaft rat-Tigris-Becken der türkische Aus- Grenze, wie z. B. die Oder-Neiße Li- und Haushalten. Flüsse interagieren bau der Bewässerungslandwirtschaft nie als deutsche Ostgrenze nach dem mit anderen Ökosystemen, indem sie und der Hydroenergieerzeugung im Zweiten Weltkrieg oder die Save, die z. B. Sümpfen, Mangroven oder dem Rahmen des Südostanatolien-Pro- nach dem Zerfall Jugoslawiens Teile Regenwald Wasser zuführen oder ent- jekts maßgeblich dazu beigetragen, der Grenze zwischen Kroatien und nehmen. dass sich die Wasserzufuhr Iraks Bosnien und Herzegowina bildet. Grundsätzlich transportieren seit den 1980er Jahren um etwa 30 Während militärischer Ausein- Flüsse Wasser über ihr Gefälle fluss- Prozent reduziert hat. Ein anderes, andersetzungen sind Flussufer ver- 10 Forum Umwelt & Entwicklung
SCHWERPUNKT gleichsweise gut zu verteidigen und matischen Folgen für die Zivilbevölke- Weltkrieg, im Zweiten Weltkrieg und schwierig zu erobern, weshalb Front- rung, wie zuletzt wiederholt in Syrien im Vietnam-Krieg eingesetzt. Schon linien in einem Kriegsverlauf häufig oder im Jemen. Cyrus der Große ließ am Vorabend an Flüssen verlaufen. Da diese na- Der eher strategische Einsatz von der Eroberung Babylons 539 v. Chr. türlichen Grenzlinien nur per Schiff, Wasser als Waffe zielt demgegenüber das Wasser des Euphrat oberhalb der über Brücken oder durch Tunnel nicht auf die Zerstörung der Anlagen Stadt umleiten und senkte damit den passiert werden können, ist auch die per se ab. Stattdessen wird Wasser Pegel des Flusssystems, das die Stadt Kontrolle solch strategisch wichtiger zum Mittel, um andere strategisch- umgab. In den frühen Morgenstun- Nadelöhre meist stark umkämpft. Im politische oder taktisch-militärische den am Folgetag durchschritten seine Kalten Krieg wurde für den Fall ei- Ziele zu erreichen. Dabei wird ent- Truppen das Flussbett und eroberten ner nuklearen Eskalation das Halten weder (a) künstlich eine Wasserver- eine darauf unvorbereitete Stadt, die der Rheinlinie zu einem Kernpunkt knappung herbeigeführt, indem bis dahin als uneinnehmbar galt. der NATO-Strategien – weshalb Wasser umgeleitet, zurückgehalten wichtige militärische Einrichtungen oder aufgestaut wird; oder (b) eine Prävention und Intervention westlich des Flusses liegen, wie das Überschwemmung ausgelöst, wenn Flüssen kommt weiterhin eine be- geo-strategische Informationszent- größere Wassermengen gezielt abge- sondere strategische Bedeutung in rum der Bundeswehr in Euskirchen lassen oder in eine bestimmte Regi- bewaffneten Auseinandersetzungen oder der US-Luftwaffenstützpunkt in on geleitet werden; oder (c) Wasser und Kriegen zu. Zahlreiche Beispiele Rammstein. verunreinigt, indem Ressourcen ver- der jüngeren Vergangenheit haben ge- Neben einer natürlichen Grenzlinie schmutzt oder vergiftet werden. zeigt, dass Wasserinfrastrukturen un- entfalten Flüsse ihre geographische In diesem Zusammenhang erhielt zureichend geschützt sind. Im Irak ge- Dimension auch grenzüberschrei- zuletzt vor allem der so genannte lang es dem IS 2014, die Großdämme tend – in Fließrichtung und in Form Islamische Staat (IS) breitere Auf- an Euphrat und Tigris buchstäblich einer Oberlauf-Unterlauf-Konstella- merksamkeit, wenngleich nahezu alle zu überrennen und zu erobern. Einzig tion. Analog zu Streitfragen um die AkteurInnen in den Konflikten in Sy- der Haditha-Damm konnte mit massi- Wasserverteilung und -nutzung ist rien und im Irak regelmäßig auf die- vem Aufwand und Luftunterstützung das Ungleichgewicht zwischen Ober- se Praxis zurückgegriffen haben und der internationalen Anti-IS-Koalition lieger- und Unterliegerparteien auch weiter zurückgreifen. Die Eroberung verteidigt werden. in bewaffneten Auseinandersetzun- und Kontrolle wichtiger Wasserinf- Weltweit zählen Staudämme zu gen entscheidend. Wer die Wasser- rastruktureinrichtungen, vor allem den kritischen Infrastrukturen, weisen ressourcen am Oberlauf eines Flus- Dämme an Euphrat und Tigris, waren aber in vielen Fällen laxe Sicherheits- ses kontrolliert, hat die Möglichkeit, ein wesentlicher Baustein der Expan- standards auf. Hier besteht dringen- die Wasserversorgung und die Hyd- sionsstrategie des IS. Welche multip- der Handlungsbedarf in ganz unter- roenergieerzeugung am Unterlauf len Effekte der Einsatz von Wasser als schiedlichen Bereichen, denn neben zu steuern und zu beeinträchtigen. Waffe haben kann, lässt sich gut am den beschriebenen (a) physischen Dadurch wird die militärische Kont- Beispiel des Falludscha-Damms am Angriffen besteht auch das Risiko rolle des Oberlaufs, beziehungsweise Euphrat illustrieren, wo der IS gleich (b) chemischer Attacken oder von (c) der dortigen Wasserinfrastrukturen, mehrfach Wasser als Waffe einsetzte. Cyber-Angriffen auf die Steuerungs- zu einem strategisch bedeutsamen Nach der Eroberung der Talsper- module. Investitionen in einen besse- Machtfaktor, vor allem in wasserar- re im April 2014 schloss der IS die ren Schutz von Wasserinfrastrukturen men Regionen. Über Flüsse lassen Schleusen, um die Wasserversorgung sind ein effektiver, aber vergleichswei- sich zudem Nachschub an Kriegsge- in flussabwärts überwiegend von se günstiger Ansatzpunkt, um Situati- rät und Truppen transportieren. Schiiten bewohnten Gebiete zu be- onen wie an Euphrat und Tigris in den einträchtigen. Dabei stieg der Pegel letzten Jahren künftig zu vermeiden. Wasser als Ziel und Waffe hinter der Staumauer und setzte Ein- An sich verstoßen sowohl die Zer- richtungen der irakischen Regierung Tobias von Lossow störung von Wasserinfrastrukturen und Armee am anderen Flussufer als auch der Einsatz von Wasser als unter Wasser. 2 Tage später ließ der Der Autor arbeitet als Wissenschaftler Waffe gegen humanitäres Völkerrecht IS Wasser über einen Bewässerungs- am Clingendael-Institut (Netherlands und Kriegsrecht, wie unter anderem kanal in ein Seitental ab und flutete Institute of International Relations in der Haager Landkriegsordnung weite Areale in bis zu 100 Kilometer Clingendael) zu Wasser und Konflikten (1907) und insbesondere den Zusatz- Entfernung – 200 Quadratkilometer im Nahen Osten und in Afrika. Er ist protokollen der Genfer Konvention Ackerland und 10.000 Häuser wur- zudem Lehrbeauftragter an der Freien (1977) festgehalten. Aufgrund der den zerstört, die Ernte vernichtet, Universität Berlin. zentralen Bedeutung von Flüssen wer- der Viehbestand getötet, mehr als den Wasserinfrastruktureinrichtungen 60.000 Menschen mussten fliehen. wie Staudämme, Verteilersysteme, Gleichzeitig erschwerte der IS damit Pump- oder Aufbereitungsanlagen das Vorrücken irakischer Truppen in bewaffneten Konflikten dennoch auf eigene Stellungen und sabotierte gezielt angegriffen, teilweise im Zuge die Parlamentswahlen, da infolge der von Kampfhandlungen auch unbeab- Flutschäden nur ein Drittel der Wahl- sichtigt beschädigt oder zerstört. Vor lokale in der Region öffnen konnten. allem Luftschläge können wichtige Der Einsatz von Wasser als Waffe Anlagen mit vergleichsweise gerin- ist jedoch keinesfalls neu, sondern gem Aufwand demolieren – mit dra- wurde unter anderem im Ersten Rundbrief 4 / 2018 11
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