Sächsisches Archivblatt - Heft 2 / 2017 SÄCHSISCHES STAATSARCHIV

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Sächsisches Archivblatt - Heft 2 / 2017 SÄCHSISCHES STAATSARCHIV
SÄCHSISCHES
                STAATSARCHIV

Sächsisches Archivblatt
Heft 2 / 2017
Sächsisches Archivblatt - Heft 2 / 2017 SÄCHSISCHES STAATSARCHIV
Inhalt
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         Vorab
         Bestände des Landtagsarchivs künftig im Sächsischen Staatsarchiv
   1     Peter Wiegand

         Aus den Beständen
         Von der „Landlade“ zum „Landes-Archiv“ – Zur Geschichte des sächsischen landständischen Archivs bis 1831
   2     Jörg Ludwig

         Der „Schönburgische Brudermord“ 1617 im Spiegel der archivalischen Überlieferung
   5     Michael Wetzel

         Neue Quellen zur Heimatgeschichte des Vogtlandes der Öffentlichkeit zugänglich gemacht –
         Bestand Grundherrschaft Dorfstadt
   6     Carsten Voigt

         Die Inverlagnahme russischer und sowjetischer Komponisten
   8     Elisabeth Posnjakow

         Forstakten – wichtige Quellen für den Vermessungstechniker, Teil 1
  10     Gunter Biele

         Die DDR aus der Vogelperspektive – Ein Konzept zur Erschließung von analogen Luftbildern
  12     Konstantin Batury

         Papier, elektronisch oder beides? – Hybridakten als Herausforderung für die Archivierung
  14     Jelena Steigerwald

         Meldungen/ Berichte
         Digitalisierung audiovisueller Medien – Selbstverständnis und Werkstattbericht
  16     Stefan Gööck

         Ehrenamtliches Engagement in der Heimatforschung
  18     Klaus Reichmann

         Kölner Vorhaben im Archivzentrum Hubertusburg – Vom Einsturz in Köln zur Bearbeitung von Großformaten in Wermsdorf
  19     Jana Wichmann / Nikolai Krippner

         Nach fast 150 Jahren: Tagebuch eines Chemnitzer Soldaten restauriert
 22      Gudrun Dudek / Birgit Schubert

         Von der Kürzung zu 7-Zip
  24     Christian Treu

         Archivierte Diktaturen: Gedächtnis der Demokratie – Eine tagungsbegleitende Ausstellung zum Umgang der DDR
         mit der NS-Vergangenheit
  26     Annette Zehnter
         „Die industrielle Stadt. Lokale Repräsentationen von Industriekultur im urbanen Raum seit dem ausgehenden
         19. Jahrhundert“ – Kolloquium des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. (ISGV) am 15./16. Juni 2017
         im Staatsarchiv Chemnitz
  28     Sönke Friedreich

         „Industriekultur. Erforschen – Bewahren – Nutzen“ – Kolloquium am 24. / 25. Januar 2017 im Staatsarchiv Chemnitz
 30      Torsten Bäz

         Rezensionen
         Michael Schäfer, Eine andere Industrialisierung. Die Transformation der sächsischen Textilexportgewerbe 1790–1890
  31     Jörg Ludwig

         Clementine von Breitenbuch / Asta von Breitenbuch / Matthias Donath / Lars-Arne Dannenberg,
         Rote Sparren auf blauem Grund – Die Familie von Breitenbuch (Breitenbauch) in Sachsen und Thüringen
  32     Jens Kunze
Sächsisches Archivblatt - Heft 2 / 2017 SÄCHSISCHES STAATSARCHIV
Bestände des Landtagsarchivs künftig
im Sächsischen Staatsarchiv

Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler, Innenminister Markus Ulbig und Dr. Andrea           Bei der Betrachtung historischer Landtagsarchivalien aus dem Bestand des Haupt-
Wettmann (Direktorin des Sächsischen Staatsarchivs) (v. r. n. l.) bei der Unterzeichnung   staatsarchivs Dresden mit dessen Leiter Dr. Guntram Martin
des Vertrags zur Übergabe des Landtagsarchivs an das Sächsische Staatsarchiv am                                                                      (Fotos Sylvia Reinhardt)
24. Mai 2017

Für die Archivierung der Unterlagen des Säch-                 dem 16. Jahrhundert, der Ständeversamm-                  nigreichs Sachsen oder des Sächsischen Land-
sischen Landtags ist künftig das Hauptstaats-                 lung des Königreichs Sachsen (1831–1918), des            tags zur Zeit der Weimarer Republik.“
archiv Dresden zuständig. Innenminister                       Landtags des Freistaats Sachsen (1918–1933)
Markus Ulbig, Landtagspräsident Dr. Matthias                  sowie des Landes Sachsen (1945–1952). Mit                Im Anschluss an die Unterzeichnung hatten die
Rößler und die Direktorin des Sächsischen                     Blick auf das Staatsarchiv fuhr Ulbig fort:              Anwesenden die besondere Gelegenheit, his-
Staatsarchivs, Dr. Andrea Wettmann, unter-                    „Mein Dank gilt den engagierten Mitarbeite-              torische Landtagsarchivalien aus dem Bestand
zeichneten am 24. Mai 2017 die entsprechen-                   rinnen und Mitarbeitern, die mit ihrer Kompe-            des Hauptstaatsarchivs Dresden in Augen-
de Vereinbarung. Diese sieht vor, dass die Ar-                tenz und langjährigen Erfahrung dazu beitra-             schein zu nehmen. Neben den Originalen der
chivalien des Landtags innerhalb der nächsten                 gen, bedeutende Unterlagen einer zentralen               sächsischen Verfassungsurkunden von 1831,
sechs Monate an das Sächsische Staatsarchiv,                  Institution unserer Demokratie zu sichern.               1919, 1920, 1947 und 1992 waren unter an-
Hauptstaatsarchiv Dresden übergeben wer-                      Die Mitarbeiter verfügen über die Fähigkeit,             derem Landtagsakten aus dem Frühjahr 1555
den. Die elektronischen Unterlagen folgen ab                  Archivgut auf Papier und als Datei zu erhalten           und eine großformatige Ahnenprobe für einen
dem Jahre 2027. Mit dem Übergang wird eine                    und können moderne Magazine nutzen, die                  adligen Vertreter der Landstände von 1776 zu
Personalstelle des Landtags zum Staatsarchiv                  höchste Sicherheitsstandards erfüllen.“                  sehen. Die chronologische Reihe vervollstän-
umgesetzt. Deren Stelleninhaber wird künftig                                                                           digten Dokumente aus der Sitzungsperiode
für die Archivierung der Landtagsunterlagen                   Landtagspräsident Dr. Rößler erklärte seiner-            der ersten Kammer der Ständeversammlung
auf der Grundlage des Sächsischen Archiv-                     seits: „Der Sächsische Landtag vertraut dem              von 1833, Aufzeichnungen über Vorgänge im
gesetzes zuständig sein. Das Landtagsarchiv                   Staatsarchiv das parlamentarische Gedächtnis             Landtag während der nationalsozialistischen
selbst bestand seit 1992.                                     des Freistaats an, damit es der Nachwelt für die         Machtergreifung (1933) und die Geschäfts-
                                                              Ewigkeit erhalten bleibt. Wir übergeben nicht            ordnung des Landtags vom 20. März 1947.
Bei der Unterzeichnung erläuterte Innenmi-                    einfach ein paar Akten, sondern historische
nister Ulbig: „Das Sächsische Staatsarchiv                    Zeugnisse, wie etwa die umfangreiche Doku-               In einem symbolischen Akt zum Abschluss der
verwahrt künftig alle Landtagsarchivalien,                    mentation zur Erarbeitung unserer Sächsischen            Veranstaltung brachten Innenminister Ulbig,
Dokumente und Akten. So gehen nun histo-                      Verfassung nach der friedlichen Revolution               Landtagspräsident Dr. Rößler und Dr. Wett-
risch wertvolle Dokumente, wie beispielsweise                 1989 und der Wiedergründung des Freistaats               mann das älteste Dokument des neuen Land-
die Urschriften der Gesetze und die Landtags-                 1990. Die Unterlagen belegen, warum sich un-             tagsarchivs, ein Protokoll der ersten Landtags-
protokolle, in den Bestand des Staatsarchivs                  sere Verfassungsväter und der Gesetzgeber für            sitzung vom 27. Oktober 1990, in das sonst
über. Im Staatsarchiv befindet sich bereits                   und gegen bestimmte Regelungen entschie-                 nicht öffentlich zugängliche Magazin des
das Archiv­gut der Vorgängerinstitutionen des                 den haben und welche Leit­linien ihr Handeln             Hauptstaatsarchivs.
Landtags. Mit der heutigen Übergabe knüpfen                   bestimmten. Das Landtagsarchiv ist nicht nur
wir an eine jahrhundertelange Tradition an.“                  für Juristen und Historiker interessant. Eines                Sächsisches Staatsministerium des
Bei den bereits im Staatsarchiv verwahrten                    Tages werden kommende Generationen diese                      Innern: Medieninformation vom
historischen Unterlagen handelt es sich um                    Dokumente so fasziniert betrachten, wie wir                   24. Mai 2017 / Peter Wiegand
die Überlieferung der älteren Landtage seit                   heute Papiere der Ständeversammlung des Kö-                   (Hauptstaatsarchiv Dresden)

                                                                                                                           Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 1
Sächsisches Archivblatt - Heft 2 / 2017 SÄCHSISCHES STAATSARCHIV
Von der „Landlade“ zum „Landes-Archiv“ –
Zur Geschichte des sächsischen landständischen
Archivs bis 1831
Unter den Behördenregistraturen bzw. Behör-        zu einem gewissen Abschluss kamen. Die in               Hinzu kam, dass Schloss Pretzsch nicht mehr
denarchiven, die nach 1834 zu Beständen des        den 1560er Jahren entstandene, später fort-             als Verwahrort zur Verfügung stand, weil die
Hauptstaatsarchivs Dresden wurden, dürfte          geschriebene Landtagsordnung wurde um                   Familie Löser die überschuldete Herrschaft im
das der vorkonstitutionellen Landstände ei-        1600 durch eine Regelung zur landschaft­                Jahr 1640 verkaufen musste.
nes der ältesten und interessantesten sein. Es     lichen „haubtlade“ ergänzt, wonach der Erb-
reicht mit einzelnen Stücken bis ins 15. Jahr-     marschall verantwortlich für die Verwahrung             Zwischen 1640 und 1683 erfolgten in Dres-
hundert zurück und beansprucht durch die           und Erfassung der darin verwahrten Unter­               den mehrfach Inventuren des Akten- und
verfassungsrechtliche Stellung der Landstän-       lagen sowie für weitere Übernahmen war.                 Urkundenbestandes, in der Regel nach dem
de und ihre Mitwirkung an der Landespolitik        Außerdem sollten unter seiner Aufsicht in den           Tod des bisherigen Erbmarschalls. Durchge-
besondere Aufmerksamkeit, auch weil die            kursächsischen Kreisen drei „wohlvorwartte              führt wurden sie 1646 und 1660 in der großen
Landstände ohne ein eigenes Archiv und die                                                                 Appellationsstube, 1683 im Haus des Ober-
dort erfolgende geordnete Aufbewahrung von                                                                 steuerdirektors Haubold von Miltitz in der Mo-
Urkunden und Akten ihre Mitwirkungsrechte                                                                  ritzstraße. Die dabei erwähnte Verwahrung in
gegenüber den Machtansprüchen der Landes-                                                                  drei eisernen Kästen diente dem Schutz der
herren nicht hätten behaupten können.                                                                      Archivalien und machte sie im Notfall schnell
                                                                                                           transportbereit. Ein solcher Transport erfolg-
Erste Informationen über Umfang und Be-                                                                    te 1699, als das „Landes archivum“ zu seiner
schaffenheit der landständischen Überliefe-                                                                Sicherung teils nach Scharfenberg, teils nach
rung liegen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts                                                             Altenburg gebracht wurde. Scharfenberg
vor. Sie zeigen einen zunächst kleinen, zuvor                                                              (im Besitz der Familie von Miltitz) war auch
offensichtlich nicht systematisch bewahrten                                                                während der schwedischen Invasion im Nor-
Bestand an Urkunden und Akten, der abge-                                                                   dischen Krieg Auslagerungsort.
sehen von den Urkunden zeitlich erst 1547
einsetzt. Wegen der ein- oder mehrjährigen                                                                 Ab den 1690er Jahren kam für die histori-
Abstände der ständischen Zusammenkünfte                                                                    schen Unterlagen der Stände die Bezeichnung
und der im Vergleich mit späterer Zeit gerin-                                                              „Archiv“ auf, was fachliche Institutionalisie-
geren Schriftlichkeit erhielt die landständische   Abdruck des landschaftlichen Archivstempels, 1770       rungsprozesse und das Bewusstwerden neuer,
                                                   (Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden,
Registratur zunächst nur wenig Zuwachs: Von        10015 Landtag, Nr. 319)                                 damit zusammenhängender Probleme signa-
13 Landtagsakten, die ein Inventar 1556 auf-                                                               lisiert. Auf dem Ausschusstag von 1694 und
listete, stieg ihre Zahl bis 1582 auf lediglich                                                            dem Landtag von 1699/1700 problematisierte
29. Obwohl die ständischen Zusammenkünfte          laden“ mit beglaubigten Kopien der Landtags-            Erbmarschall Hans Löser die Verknüpfung der
zwischen 1555 und 1628 durchgängig in Tor-         akten eingerichtet und feuersicher verwahrt             Archivaufsicht mit dem seiner Familie zuste-
gau stattfanden, wurde das Schriftgut nicht        werden, womit offenbar dem Informations-                henden Erbmarschallamt, da durch Todesfälle
dort aufbewahrt. Zwischen 1565 und 1588            bedürfnis der Kreisstände entsprochen und               und Vormundschaften das Archiv leicht in un-
befanden sich der „Landschafft Händel“ nach-       außerdem befürchteten Informationsdefiziten             geeignete Hände geraten könne. Gleichzeitig
einander bei Hans von Schleinitz, Haubold          bei einem eventuellen Verlust von Akten und             erbat er im Februar 1700 (kurz vor Ausbruch
von Starschedel, Hans Georg von Ponickau           Urkunden in Pretzsch entgegengewirkt wer-               des Nordischen Krieges) eine Entscheidung
und Hildebrand von Einsiedel. Diese Aufbe-         den sollte.                                             über die Verlagerung des Archivs, falls es in
wahrungspraxis bei verschiedenen adligen                                                                   Dresden nicht bleiben könne. Trotz mehr­
Landständen endete in den 1590er Jahren,           Soweit ersichtlich, blieben die landständischen         facher Nachfragen fällten die Landstände
und auf dem Landtag 1595 wurde schriftlich         Unterlagen von ca. 1590 bis 1640 in Pretzsch            keine Entscheidung. Informell wurde dem
festgehalten, dass sich alle Landtagsakten         und überstanden die Wirren des Dreißig­                 Erbmarschall vorgeschlagen, die Archivnöte
nun in einer verschlossenen „Landlade“ beim        jährigen Krieges wohl gut. (Zur Zeit siehe auch         „public“ werden zu lassen, wozu er sich freilich
kursächsischen Erbmarschall Hans Löser in          Beitrag Wetzel in diesem Heft.) Sie befanden            nicht entschließen konnte.
Pretzsch befänden und dort auch wieder ab-         sich in einer eisernen Lade und zwei hölzernen
zulegen seien.                                     Kästen in der „Bücher-Kammer“ des Schlosses             Die Verknüpfung der Archivaufsicht mit dem
                                                   und umfassten 1635 reichlich 100 Akten und              Erbmarschallamt war nicht das einzige fach-
Dass den Erbmarschällen aus der Adels­familie      Urkunden, von denen letztere bis in das Jahr            lich-institutionelle Problem. Nach Auffassung
Löser damit direkt das ständische Akten- und       1423 zurückreichten. 1640 wurden sie nach               des 18. Jahrhunderts erlangte ein herrschaft­
Archivwesen oblag, entsprach ihrer generel-        Dresden überführt, wo sie, von einzelnen Aus-           liches Archiv erst durch fortdauernde Verwah-
len Zuständigkeit für die Leitung der land-        lagerungen abgesehen, seitdem verblieben.               rung an einem bestimmten Ort öffentlichen
ständischen Versammlungen. Zugleich wer-           Grund für die Umlagerung dürfte gewesen                 Glauben, und gerade an dieser Ortsfestigkeit
den organisatorische Ausformungsprozesse           sein, dass die Landtage seit 1631 nicht mehr            fehlte es dem Landtagsarchiv. Zwar besaßen
der Landtage deutlich, die in der Torgauer Zeit    in Torgau, sondern in Dresden stattfanden.              die Erbmarschälle jeweils Unterkünfte in Dres-

Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 2
Sächsisches Archivblatt - Heft 2 / 2017 SÄCHSISCHES STAATSARCHIV
erkollegiums über das landständische Archiv
                                                                                                         bestand. Zugleich wurde Bertholds Eingreifen
                                                                                                         zum Ausgangspunkt für mehrere fachliche
                                                                                                         Neuerungen, die ab 1763 zu deutlichen ar-
                                                                                                         chivpraktischen Veränderungen führten.

                                                                                                         Diese fügen sich ein in das sächsische Wie-
                                                                                                         deraufbau- und Reformprogramm nach dem
                                                                                                         Siebenjährigen Krieg (das sogenannte Rétab-
                                                                                                         lissement), das auch auf eine effektiver, nach
                                                                                                         aufgeklärt-rationalen Prinzipien arbeitende
                                                                                                         Verwaltung abzielte und damit das Feld von
                                                                                                         Schriftgut- und Archivverwaltung berührte.
                                                                                                         Kurz nach Beginn des Landtags von 1763 wur-
                                                                                                         de Berthold beauftragt, ein Inventar des land-
                                                                                                         ständischen Archivs zu erstellen, auf dessen
                                                                                                         Grundlage eine mehrtägige Bestands­prüfung
                                                                                                         des Archivs erfolgte – die erste seit 1721.
                                                                                                         Nachdem diese zur Zufriedenheit ausgefallen
                                                                                                         war, wurde das Archiv am 26. November 1763
                                                                                                         auch offiziell unter die Aufsicht von Berthold
                                                                                                         und damit erstmals unter die Leitung eines
                                                                                                         Archivars gestellt (wobei die Oberaufsicht
                                                                                                         des Erbmarschalls fortbestand). Berthold, der
                                                                                                         hauptamtlich Archivar im Obersteuerkollegi-
                                                                                                         um blieb, kümmerte sich ab 1763 nachhaltig
                                                                                                         um Defizite bei der Unterbringung, Ordnung
                                                                                                         und Verzeichnung des landständischen Ar-
Schloss Pretzsch, Torhaus Hofseite (Foto Tnemtsoni, Vorlage Wikimedia Commons)                           chivs. Aus der kriegsbeschädigten Unterkunft
                                                                                                         in der Rampischen Gasse zog es 1765 zu-
                                                                                                         nächst in das Steuer-Kanzlei-Haus am Alt-
den, in denen auch die landständischen Archi-          neue Unterlagen nach Schluss des Landtages        markt, bevor es seinen dauernden Verwahrort
valien aufbewahrt wurden, doch dürfte es sich          wieder zu reponieren. Seit dem Landtag von        im Neubau des Land- und Steuerhauses fand.
dabei um wechselnde Mietobjekte gehandelt              1742, als nach längerer Zeit der Stellvertre-     In diesem Gebäude, wo ab 1776 die Landstän-
haben. Nach dem Tod des Erbmarschalls Tham             tung wieder ein Erbmarschall der Familie Löser    de tagten und in das auch das Obersteuer­
Löser 1721 wurde daher von einer ständischen           amtierte, wurde auf die aufwändige protokol-      kollegium zog, standen gesonderte Räume
Deputation beschlossen, das Archiv künftig             larische, anfangs sogar notariell beglaubigte     für das Steuerarchiv, das landständische
an einem festen Ort unterzubringen, wozu               Form der Archivöffnungen verzichtet. Auffäl-      Archiv und die gemeinsame Archivleitung
zunächst ein Haus am Altmarkt, später das              lig ist, dass die Landtagsordnung von 1728 im     zur Verfügung. Der Umzug der landständi-
Miltitzsche Haus in der Rampischen Gasse               Unterschied zur Vorgängerversion keine Fest-      schen Akten, Protokollbücher und Urkunden in
diente. Die Deputation stellte bei der Inven-          legungen zum Archiv mehr enthielt: Dies ist       das neue Gebäude erfolgte am 2. Oktober 1775.
tarisierung des Archivs außerdem einen er-             wohl so zu verstehen, dass die Zuständigkeit
heblichen Erschließungsrückstau, besonders             der auch für die Aktenführung des Landtags        Zwischen 1766 und 1769 verbesserte Berthold
bei neueren, nicht formierten Akten, fest (bei         verantwortlichen Erbmarschalls für das Archiv     auch den Erschließungszustand des Archivs.
denen es übrigens auch zu einer Vermischung            als selbstverständlich galt.                      Da die vor allem zum rechtlichen Bestands-
mit privaten Unterlagen der Erbmarschälle                                                                nachweis angefertigten älteren Inventare den
gekommen war). Eine Betreuung des Archivs              Aus dem durch einzelne Aktenbenutzungen,          neuen fachlichen Anforderungen nicht mehr
durch einen Archivar zog die Deputation noch           -reponierungen bzw. -neueinlagerungen nur         genügen konnten, erstellte er nach Abarbei-
nicht in Betracht, sondern wollte die Erschlie-        in mehrjährigen Abständen unterbrochenen          tung der Erschließungsrückstände ein Reper-
ßungsarbeiten durch einige ihrer Mitglieder            Schlummermodus wurde das Landständische           torium über den gesamten Archivbestand, den
vornehmen lassen.                                      Archiv gerissen, als Dresden im Juli 1760 von     er zugleich nach einem rationalen Schema mit
                                                       preußischen Truppen belagert und bombar-          sachlichen und inhaltlichen Gesichtspunkten
In den Jahrzehnten bis zum Siebenjährigen              diert wurde. Das Miltitzsche Haus fing Feuer,     gliederte. Dieses Schema sollte fast 250 Jahre
Krieg änderte sich wenig am Umgang mit                 das Archiv geriet in höchste Gefahr, konnte       lang Bestand haben. Berthold initiierte außer­
dem durch Zugänge langsam, doch stetig                 durch den Einsatz des Archivars des Ober-         dem Bestandsergänzungen, ließ vom im Archiv
anwachsenden Archivbestand. Er lagerte im              steuerkollegiums, Johann Immanuel Berthold,       fehlenden Landtagsakten Abschriften anfer-
Miltitzschen Haus in einem mit einer eisernen          jedoch gerettet und bis zum Kriegsende provi-     tigen und erwarb ergänzend verschiedene
Tür verschlossenen und mit Regalen ausge-              sorisch an anderer Stelle untergebracht wer-      Druckschriften.
statteten Gewölbe, welches zu den Landtagen            den. Bertholds Rettungstat war insofern nicht
jeweils von einer Deputation geöffnet wurde,           zufällig, als wahrscheinlich schon vor dem Sie-   Unter seiner Leitung war die Betreuung des
um Akten und Protokolle der vorangegange-              benjährigen Krieg eine Mitaufsicht des von        landständischen Archivs rationeller und
nen Landtage zu entnehmen und diese sowie              den Landständen mitverwalteten Obersteu-          professioneller geworden. Durch die Nähe

                                                                                                            Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 3
Sächsisches Archivblatt - Heft 2 / 2017 SÄCHSISCHES STAATSARCHIV
Altes Landhaus in Dresden; heute Museum für Stadtgeschichte (Foto Jörg Blobelt, Vorlage Wikimedia Commons)

zum Tagungsort der Landstände und zu den               und die Einführung einer repräsentativen              dischen Unterlagen für das neue Parlament
Diensträumen des Obersteuerarchivars ge-               Landesvertretung erzwungen wurden, en-                keinen aktuellen praktischen und rechtlichen
stalteten sich Verwahrung, Überlieferungs-             dete die jahrhundertealte Tätigkeit der säch-         Nutzen mehr. Sie blieben zunächst weiter im
bildung und Benutzung des Archivs deutlich             sischen Landstände, und an ihre Stelle trat           ständischen Archiv im Landhaus, bis schließ-
einfacher als zuvor. Auf dem von Berthold              ein neues, auf Grundlage der Verfassung von           lich auf Initiative des Landtagsarchivars Edu-
erreichten Stand konnten seine Nachfolger,             1831 gewähltes Zwei-Kammer-Parlament. In              ard Gottwald und des Staatsarchivdirektors
die Obersteuerarchivare Andreas Gotthelf Fin-          feierlichem Zug wurde die vom König und               Karl von Weber die Abgabe jener Akten an
cke († 1796) und Carl Gottlob Voigt († 1843),          Mit­regenten unterzeichnete Verfassung am             das 1834 gegründete Hauptstaatsarchiv
aufbauen und sahen vielleicht auch deswegen            4. September in das Landhaus gebracht und             beschlossen wurde, die Gottwald als nicht
kaum Veranlassung zu wesentlichen Neue-                unter Abfeuerung von 24 Kanonenschüssen in            zum ständischen Archiv zugehörig ansah. Sie
rungen.                                                eine im landschaftlichen Archiv bereitstehen-         wurden 1865 vom Hauptstaatsarchiv wegen
                                                       de eiserne Kiste abgelegt, wobei der Archivar         ihres historischen Werts und ihrer besseren
Die unruhigen Jahre der französischen Revo-            Voigt dem Landtagsmarschall versprechen               Benutzbarkeit übernommen, allerdings unter
lutions- und Koalitionskriege überstand das            musste, „diese Urkunde treulich aufzube-              Pertinenzgesichtspunkten auf verschiedene
Archiv ohne große Einschnitte, sieht man von           wahren“.                                              vorhandene Bestände verteilt (besonders auf
der Abgabe von Unterlagen der Neustädter,                                                                    den Bestand 10024 Geheimer Rat). Der zwei-
Thüringer und Wittenberger Kreisstände an              Im selben Augenblick, in dem die neue Ver-            te, größere Teil des Archivbestands der alten
Preußen bzw. Sachsen-Weimar-Eisenach nach              fassung im landständischen Archiv depo-               Landstände folgte in den Jahren 1935/37 nach
der Landesteilung von 1815 ab. Der von der             niert wurde, verwandelte sich dieses in einen         der Auflösung des Landtags und wurde später
Revolution von 1789 ausgehende, epocha-                historischen Bestand. Die Tätigkeit der alten         zum Grundstock für die Bildung des heutigen
le Bruch mit dem Ancien Régime ging am                 Landstände erlosch, ihre Aktenproduktion              Archivbestands 10015 Landtag.
sächsischen landständischen Archiv jedoch              kam zum Abschluss, und aus den Unterlagen
nicht spurlos vorbei, sondern wirkte sich mit          der neuen konstitutionellen Landstände ent-
zeitlicher Verzögerung aus. Als in Sachsen             stand eine neue, gesonderte Überlieferung.
1830/31 nach revolutionären Unruhen der                Aufgrund der geänderten politischen und                   Jörg Ludwig
Übergang zur konstitutionellen Monarchie               Verfassungsverhältnisse hatten die altstän-               (Hauptstaatsarchiv Dresden)

Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 4
Sächsisches Archivblatt - Heft 2 / 2017 SÄCHSISCHES STAATSARCHIV
Der „Schönburgische Brudermord“ 1617 im Spiegel
der archivalischen Überlieferung
Was vor genau 400 Jahren, am 28. November               bar die zerrütteten Vermögensverhältnisse der      Seine eigentliche Brisanz erhielt das Delikt
1617, auf Schloss Hinterglauchau geschah,               Herren von Schönburg. Durch zahlreiche Erb-        jedoch weniger aus der Schuldfrage. Als viel
zählt zu den spektakulärsten Kriminalfällen             teilungen geschwächt standen am Vorabend           bedeutsamer erwies sich das Ringen darum,
des südwestsächsischen Raumes in der frü-               des Dreißigjährigen Krieges gleich mehrere ih-     welches Gericht für den Fall zuständig sei.
hen Neuzeit. Am Abend jenes Novembertags                rer Herrschaften vor dem Bankrott. Besonders       Als souveräner Reichsstand beanspruchten
erstach der als jähzornig und gewalttätig gel-          dramatisch stellte sich die Lage unter den acht    die Schönburger ihren Gerichtsstand vor den
tende Wolf Ernst von Schönburg (1582–1623)              erbberechtigten Söhnen Wolfs III. von Schön-       Reichsgerichten, weshalb Kaiser Matthias
seinen Bruder Otto Wilhelm (1587–1617) im               burg (1556–1612) dar, von denen Wolf Ernst         (1557–1619) die klagenden Brüder Wolf Ernsts
Streit. Die Bluttat ging als „Schönburgischer           der älteste war. Für sich und seine Geschwister    an seine Kanzlei in Prag verwies. In dem tra-
Brudermord“ in die Geschichte ein.                      verwaltete Wolf Ernst die Herrschaften Pe-         gischen Unglücksfall erkannte jedoch auch
                                                        nig, Wechselburg und Rochsburg, zu denen er        Kursachsen seine Chance, die landeshoheit-
Dank einer breiten Überlieferung im Staats- 1615 noch Glauchau und Remse aus dem Erbe                      lichen Rechte der Schönburger zu unter­
archiv Chemnitz und im Hauptstaatsarchiv seines kinderlos verstorbenen Onkels Augus-                       graben. Gegen den Widerspruch des Kaisers
Dresden sind die Umstände des wohl richti- tus von Schönburg (1583–1610) für 150.000                       zog Kurfürst Johann Georg I. (1585–1656)
ger als Totschlag zu bezeichnenden Vorgangs, Gulden übernahm. Damit beendete er zwar ei-                   den Prozess an sich und behauptete damit
aber auch seine weitreichenden Folgen gut re- nen langwierigen Erbstreit, häufte jedoch zu-                oberrichterliche Ansprüche über die Schön-
konstruierbar. Anlass zu der Tat gaben offen­ gleich eine fast untragbare Schuldenlast auf.                burgischen Herrschaften. Das Verfahren fand
                                                                        Wie die Prozessakten belegen,      1618 auch tatsächlich in Zwickau statt. Dem
                                                                        wurde an jenem denkwürdigen        dortigen Amtmann Sebastian Metzsch erteil-
                                                                        28. November 1617 zwischen         te der Kurfürst den Auftrag, die Leiche Otto
                                                                        den schönburgischen Brüdern        Wilhelms in Glauchau untersuchen und Wolf
                                                                        und ihren Beamten unter fort-      Ernst auf Schloss Osterstein vorladen zu las-
                                                                        gesetztem Alko­holgenuss die       sen. Angesichts der politischen Schwäche der
                                                                        Vermögenslage erörtert. Als        Schönburger und nur halbherziger kaiserli-
                                                                        Veruntreuungsvorwürfe im           cher Unterstützung setzte Metzsch den Auf-
                                                                        Raum standen, kam es zum           trag ungehindert um. Die Aktenüberlieferung
                                                                        Handgemenge, bei dem das           bildet das ungleiche Verhältnis deutlich ab.
                                                                        spätere Opfer Otto Wilhelm         Während die schönburgischen Archivbestän-
                                                                        zunächst einen Schlichtungs-       de nur die kaiserlichen und familiären Korre-
                                                                        versuch unternahm und dabei        spondenzen sowie abschriftliche Prozessfrag-
                                                                        von Wolf Ernst verletzt wurde.     mente enthalten, finden sich die voluminösen
                                                                        Danach, so die Zeugenproto-        Prozessakten selbst im Bestand 30023 Amt
                                                                        kolle, sei Wolf Ernst abgereist,   Zwickau.
                                                                        auf dem Glauchauer Markt-
                                                                        platz aber umgekehrt und ins       Den Brüdern Wolf Ernsts schien die sächsi-
                                                                        Schloss zurückgekommen.            sche Intervention übrigens recht gelegen zu
                                                                        Dort sei er von Otto Wilhelm       kommen, strebten sie doch eine Enterbung
                                                                        mit einem Hirschfänger ange-       des Angeklagten an. Ihr Eigennutz verstellte
                                                                        griffen worden und habe dem        ihnen freilich den Blick für die langfristigen
                                                                        Bruder in Notwehr einen töd-       Nachteile, die darin lagen, dass Kursachsen
                                                                        lichen Stich in die Lunge bei-     einen Präzedenzfall geschaffen hatte und
                                                                        gebracht. Einige Bedienstete       fortan mit weiteren Eingriffen in die schön-
                                                                        Otto Wilhelms jedoch sagten        burgischen Hoheitsrechte den Weg zum Ver-
                                                                        gegenteilig aus, dass Wolf         lust der schönburgischen Landeshoheit durch
                                                                        Ernst der Angreifer gewesen        die Rezesse von 1740 vorzeichnete. Auch ging
                                                                        sei. Der Sachverhalt ließ sich     ihr Kalkül nicht auf. Wolf Ernst erschien 1620
                                                                        nie aufklären, wohl aber mach-     unter Zusicherung freien Geleits in Zwickau
                                                                        te sich Wolf Ernst durch seine     und brachte eine Verteidigungsschrift ein.
                                                                        unmittelbare Flucht außer Lan-     Noch während des Prozesses verfiel er einer
                                                                        des nach Gräfenthal (Thüringer     krankhaften Melancholie, an deren Folgen er
                                                                        Wald) den schönburgischen          1623 starb. Das Verfahren wurde daraufhin
                                                                        Geschichtsschreibern derart        gegen den Protest der Brüder eingestellt.
Auszug aus der Verteidigungsschrift des Wolf Ernst von Schönburg        verdächtig, dass ihm fortan
(Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Chemnitz, 30023 Amt Zwickau,    der Makel des Brudermörders            Michael Wetzel
Nr. 2588, Bl. 165)                                                      anhing.                                (Staatsarchiv Chemnitz)

                                                                                                              Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 5
Sächsisches Archivblatt - Heft 2 / 2017 SÄCHSISCHES STAATSARCHIV
Neue Quellen zur Heimatgeschichte des
Vogtlandes der Öffentlichkeit zugänglich gemacht –
Bestand Grundherrschaft Dorfstadt
2015 und 2016 wurde im Staatsarchiv Chem-              Dorfstadt selbst war ursprünglich ein Vor-            An dieser Stelle lohnt sich ein kleiner Exkurs
nitz der Bestand 30633 Grundherrschaft                 werk, welches nachweisbar seit dem 15. Jahr-          in die Bestandsgeschichte, die erst im Nach-
Dorfstadt bearbeitet, der zum größten Teil             hundert zur Burg Falkenstein gehörte. Im              hinein durch umfangreiche Recherchen im
bislang nicht benutzbar war. Bei den Erschlie-         Laufe des 17. Jahrhunderts entstand aus dem           Hauptstaatsarchiv Dresden und durch eine
ßungsarbeiten zeichnete sich schnell ab, dass          Vorwerk ein selbstständiger Rittersitz, der sich      Auskunft des Stadtarchivs Falkenstein ermit-
es sich hier um keinen durchschnittlichen              aber bis 1710, mit einer kurzen Unterbrechung         telt werden konnte:
Grundherrschaftsbestand handelte. Der Groß-            Ende des 16. /Anfang des 17. Jahrhunderts, als        Der letzte Besitzer des Ritterguts Dorfstadt,
teil der Akten gehörte zum Familienarchiv der          Dorfstadt Caspar Trützschler auf Oberlauter-          Hans von Trützschler Freiherr zum Falkenstein,
Trützschler und umfasste deshalb weit mehr             bach gehörte, immer im Besitz der Trützschler         besaß eine große Menge Unterlagen, die im
als nur die Grundherrschaft Dorfstadt.                 auf Falkenstein befand.                               Dorfstädter Schloss lagerte. Er entschloss sich
                                                                                                             1937, einen Teil davon, es handelte sich vor
Die adelige Familie Trützschler, die das Adels-        Auf den zu erschließenden Akten waren zwar            allem um Akten der Patrimonialgerichtsbarkeit
prädikat „von“ erst seit dem 19. Jahrhundert           römische und arabische Ziffern kombiniert             des Ritterguts Dorfstadt, in ein Archiv abzu-
regelmäßig im Namen führte, war eines der              mit Bleistift verzeichnet, die auf die vormali-       geben. Fritz Groh, dem Stadtarchivar von Fal-
wichtigsten Adelsgeschlechter im Vogtland              ge Existenz einer Abgabeliste schließen ließen,       kenstein, gelang es, diese Akten für sein Archiv
mit einer langen und kontinuierlichen Prä-             jedoch konnte diese nicht aufgefunden wer-            zu sichern. Darüber kam es zu einem Streit mit
senz in der Region über Jahrhunderte hin-              den. Die Erschließungsarbeiten erwiesen sich          der Gemeinde Dorfstadt, welche die für die
weg. Bereits Anfang des 15. Jahrhunderts               als mühsam, da oft nur Teile von Akten oder           Heimatgeschichte außerordentlich wertvollen
saß die Familie auf der Burg Falkenstein, ihrem        Einzelblätter vorhanden waren. Dabei konnte           Quellen selbst haben wollte. Das Hauptstaats-
Stammsitz. In den folgenden Jahrhunderten              es passieren, dass inhaltlich zusammenge-             archiv in Dresden intervenierte zu Gunsten
erwarben die Trützschlers eine Reihe von Be-           hörende Aktenteile weit verstreut in anderen          von Groh, da die Gemeinde Dorfstadt weder
sitzungen, die meisten davon im Vogtland in            Kartons lagen und dadurch erst viel später            adäquate Lagerungsmöglich­keiten noch ge-
der Nähe von Falkenstein/ V. Dazu gehörten             auftauchten. Groß war der Schock, als im letz-        eignetes Personal hatte, um die Unterlagen
die Rittergüter Oberlauterbach, Mühlberg,              ten Karton zwei Ordner mit dem kompletten             sachgerecht aufzubewahren. So gelangte
Bergen, Ellefeld, Mechelgrün (oberer Teil) und         Verzeichnis des Dorfstädter Rittergutsarchivs         dann ein Großteil der Akten, die Hans von
eben Dorfstadt.                                        auftauchten.                                          Trützschler abgeben wollte, im Frühjahr 1937
                                                                                                             in das Stadtarchiv Falkenstein. Die Gemeinde
                                                                                                             Dorfstadt konnte sich nur einen kleineren, un-
                                                                                                             bedeutenden Rest sichern.

                                                                                                             Jedoch wollte sich von Trützschler nicht von
                                                                                                             allen Akten trennen. Besonders jene Unter-
                                                                                                             lagen, die Familienangelegenheiten betrafen,
                                                                                                             blieben in seinem Besitz. Die Familie Trützschler
                                                                                                             wurde im Herbst 1945 enteignet und vertrie-
                                                                                                             ben, das Dorfstädter Schloss zunächst von
                                                                                                             sowjetischen Besatzungstruppen genutzt.
                                                                                                             Schon am 20. September 1945 machte Groh,
                                                                                                             der nun auch als Archivpfleger für das Landes­
                                                                                                             hauptarchiv tätig war, den Archivdirektor
                                                                                                             Helmut Kretzschmar auf den wertvollen Ak-
                                                                                                             tenbestand aufmerksam. Es konnte zu diesem
                                                                                                             Zeitpunkt jedoch nichts zu seiner Sicherung
                                                                                                             unternommen werden. Erst als die sowjeti-
                                                                                                             schen Besatzungstruppen 1946 das Schloss
                                                                                                             verließen, konnten entsprechende Maßnah-
                                                                                                             men ergriffen werden. Groh stellte in einem
                                                                                                             Bericht vom März 1947 an das Landeshaupt-
                                                                                                             archiv fest, dass der Kommodenkasten mit
                                                                                                             den Trützschlerschen Akten verschwunden
                                                                                                             war. Angeblich hätte ihn der Bürgermeister
                                                                                                             von Dorfstadt Hans von Trützschler zuge-
Ahnenprobe August Heinrich Trützschler auf Dorfstadt, 18. Jh. (Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv   schickt, der inzwischen nach Plauen verzogen
Dresden, 10015 Landtag, Nr. 732)                                                                             sei. 1949 konnte ein Mitarbeiter des Landes-

Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 6
Sächsisches Archivblatt - Heft 2 / 2017 SÄCHSISCHES STAATSARCHIV
Erbvergleich zwischen den Brüdern Trützschler über Dorf-     Plan zur Gemeinheitsteilung eines Gemeindegrundstücks in Dorfstadt, 1844–1855 (Sächsisches Staatsarchiv,
stadt und Bergen, 1601 (Sächsisches Staatsarchiv, Staats-    Staatsarchiv Chemnitz, 30633 Grundherrschaft Dorfstadt, Nr. 923)
archiv Chemnitz, 30633 Grundherrschaft Dorfstadt, Nr. 751)

hauptarchivs berichten, dass sich das Dorf-                  viele Prozesse vor dem Oberhofgericht mit             und Dorfstadt haben (z. B. Grundsteuer­
städter Schlossarchiv in einem gesonderten                   den Untertanen der verschiedenen Trützsch-            angelegenheiten), zum Teil aber wohl einfach
Schrank im Stadtarchiv Falkenstein befindet.                 lerschen Rittergüter vorhanden.                       über die Stadtratstätigkeit von Franz Oswald
Vom ehemaligen Stadtarchivar Fritz Groh                                                                            von Trützschler Freiherr zum Falkenstein und
wurden die Unterlagen verzeichnet und nun                    Neben dem Rittergut Dorfstadt befinden sich           seinen Sohn Hans Erik in das Familienarchiv
als Bestand „Ritterguts- und Gerichtsherr-                   besonders zahlreiche Akten zu den Ritter­             gelangten.
schaft Trützschler zu Dorfstadt“ bezeichnet.                 gütern Oberlauterbach und Falkenstein im
1967 wurde der Bestand an das Staatsarchiv                   Bestand. Alle drei Rittergüter gehörten durch-        Die Überlieferung enthält jedoch nicht nur
Dresden abgegeben. Zusammen mit 33 Akten                     gängig bis 1945 der Familie Trützschler, grenz-       Akten des Familienarchivs, sondern auch des
der Dorfstädter Patrimonialgerichtsherrschaft                ten aneinander und die Besitzer waren immer           Patrimonialgerichts Dorfstadt, welche nicht
aus der Lagerungsgemeinschaft Amtsgerichte                   Mitbelehnte an dem jeweilig anderen Besitz.           an die Justizbehörden abgegeben worden
und Amtshauptmannschaften wurde virtuell                     Zudem waren sowohl die Gerichtsbarkeit als            sind, sondern im Privatbesitz verblieben. Im
der Bestand Grundherrschaft Dorfstadt for-                   auch die Abgaben- und Fronpflichten der               Vergleich zu anderen Grundherrschaftsbe-
miert. Zwei Jahre später wurden noch einige                  Untertanen innerhalb der Dörfer im Umfeld             ständen sind recht viele Fälle vorhanden, die
Unterlagen der ehemaligen Forstrevierverwal-                 der Rittergüter sehr zersplittert, so dass oft        zum Bereich der Strafgerichtsbarkeit gehören,
tung Dorfstadt vom Staatsbetrieb Sachsen-                    zwei oder gar alle drei Rittergüter Anteile an        etwa Delikte wie Beleidigung und Körperver-
forst abgeben.                                               einem Ort besaßen. In Dorfstadt selbst be-            letzung oder außereheliche Beziehungen.
                                                             saßen Mitte des 18. Jahrhunderts die Ritter-          Neben den klassischen Wirtshausschlägereien
Trotz des späten Fundes des alten Verzeich-                  güter Dorfstadt, Falkenstein, Oberlauterbach,         stößt man hier auf einige sozialgeschichtlich
nisses hat sich die Arbeit gelohnt, da eine er-              Mühlberg und Ellefeld Anteile an der Gerichts-        besonders interessante Fälle. So zeigte 1792
hebliche Verbesserung der Erschließung des                   barkeit. Alle fünf Rittergüter waren zu diesem        ein Mann die Stiefmutter seiner Enkelkinder
umfangreichen Bestandes erreicht werden                      Zeitpunkt im Besitz der Familie Trützschler.          an, da diese ihre Stiefkinder fortwährend
konnte. Als Lehre aus den Erschließungsarbei-                Neben den schon genannten Rittergütern                schlug und misshandelte (Nr. 101).
ten bleibt: Immer in den letzten Karton schau-               befinden sich auch zu den vogtländischen
en, falls bei einem unerschlossenen Bestand                  Rittergütern Bergen und Mechelgrün (oberer            Gerade zusammen mit der Überlieferung
keinerlei Abgabeverzeichnisse oder sonstigen                 Teil) Dokumente im Bestand. Zum Rittergut             des Stadtarchivs Falkenstein sowie den ent-
Hilfsmittel vorhanden sind.                                  Kleinhermsdorf bei Borna, welches ebenfalls           sprechenden Grundherrschaftsbeständen
                                                             zeitweise im Trützschlerschen Besitz war, gibt        (z. B. 30647 Grundherrschaft Falkenstein
Insgesamt umfasst der Bestand Unterlagen                     es ebenfalls einige Unterlagen. Sie betreffen         bei Auerbach / V., 30701 Grundherrschaft
aus einem Zeitraum von 1502 bis 1945 mit                     vor allem Jagd- und Grenzstreitigkeiten vor           Lauter­bach bei Oelsnitz/V.) und den Akten
989 Akteneinheiten. 29 Akteneinheiten frem-                  dem Oberhofgericht in Leipzig. Zusätzlich             des Lehnhofs im Hauptstaatsarchiv Dresden
der Provenienz wurden aus dem Bestand he-                    sind im Familienarchiv der Trützschlers eini-         zu den Trützschlerschen Rittergütern bietet
rausgelöst und entsprechend ihrer Provenienz                 ge Akten zu Erb- und Besitzangelegenheiten            der Bestand 30633 Grundherrschaft Dorf-
anderen Beständen zugeordnet. Es handelt                     des Ritterguts Schloditz (bei Plauen) aus der         stadt wertvolle Quellen zur vogtländischen
sich dabei meist um Patrimonialgerichts­akten                Mitte des 18. Jahrhunderts überliefert. Dieses        Regionalgeschichte und zur Trützschlerschen
anderer Grundherrschaften. Thematisch deckt                  Ritter­gut gehörte zwar nie der Familie Trütz-        Familiengeschichte.
die Überlieferung ein breites Spektrum ab.                   schler, aber Charlotte Erd­muthe von Wolfers-
Dominierend sind aber Prozesse, welche die                   dorff, die 1757 mit dem Besitz belehnt wurde,             Carsten Voigt
Familie Trützschler vor dem Oberhofgericht                   war eine geborene Trützschler.                            (Hauptstaatsarchiv Dresden)
in Leipzig führte. Das betrifft Streitigkeiten
innerhalb der Familie Trützschler, mit anderen               Die Überlieferung zur Familie Trützschler auf         Die Erschließungsinformationen des Bestands
Adeligen oder mit Behörden. Bei den Ausein-                  Dorfstadt ist besonders für das 18. Jahrhun-          finden Sie online unter folgender Adresse:
andersetzungen handelt es sich meist um Erb-                 dert relativ dicht. Eine Besonderheit des Be-         http://www.archiv.sachsen.de/archiv/bestand.
und Grenzstreitigkeiten, Schuldforderungen                   standes sind Akten, die Angelegenheiten der           jsp?oid=06.02&bestandid=30633. Sie können
sowie Auseinandersetzungen über Jagd- und                    Stadt Falkenstein betreffen, welche teilweise         den Bestand aber auch über die Beständeüber-
Waldnutzungsrechte. Darüber hinaus sind                      einen Bezug zu den Rittergütern Falkenstein           sicht oder die Suche unserer Website aufrufen.

                                                                                                                      Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 7
Sächsisches Archivblatt - Heft 2 / 2017 SÄCHSISCHES STAATSARCHIV
Die Inverlagnahme russischer und
sowjetischer Komponisten
Archivarbeit – ein Begriff, für den die meisten    bestand von Anfang an reger Kontakt und            Nun mag es nicht überraschen, dass ein
Studierenden nichts als ein müdes Gähnen oder      in Leipzig produzierte Noten wurden schon          Komponist der UdSSR mit einem Verlag der
ein Achselzucken übrig haben. Assoziiert wer-      1953 in deren Katalog aufgeführt. Selbst nach      DDR eng zusammenarbeitete, geht man von
den damit in der Regel die Adjektive: alt, ver-    dem Mauerbau 1961 wurden die Handels­              der Annahme aus, die beiden Staaten seien
staubt, überladen, unübersichtlich, langweilig,    beziehungen nach Frankfurt weiter ausgebaut        bedingungslose Verbündete gewesen. Wird
leblos. Als Studierende*r einer Geisteswissen-     und sogar von der Regierung gefördert. Der         aller­dings Denissows Ruf innerhalb der UdSSR
schaft mit historischem Schwerpunkt kommt          Petersverlag trug aufgrund seiner internati-       berücksichtigt, stellt sich die Frage, warum
man jedoch nicht an der Auseinandersetzung         onalen Anerkennung einen beachtlichen Teil         dieser nicht bis zur Spitze der DDR durchge-
mit Archiven vorbei, da neues Wissen nicht         zur Exportwirtschaft der DDR im Verlagswe-         drungen ist. Beim näheren Blick in die Akten
aus der Standardliteratur generiert werden         sen bei. Hierbei wird deutlich, dass finanzielle   wird ersichtlich, dass der Petersverlag unter
kann. Für frische wissenschaftliche Erkennt-       Interessen auch in einem angeblich antikapi-       der Direktion Bernd Pachnickes geschickt
nisse ist es notwendig, sich dem „Mysterium        talistischen Staat nicht unbedeutend waren.        agierte. Dem Ministerium für Kultur wurde
Archiv“ zu stellen. Studiert man in Leipzig, hat                                                      sowjetische Musik grundsätzlich als förder-
man die Möglichkeit, vor Ort eine Abteilung        Die Entwicklung in der Musik in der Sowjet-        lich für den Sozialismus verkauft, sodass eine
des Sächsischen Staatsarchivs (SächsStA-L)         union verlief im dialektischen Wechsel zwi-        Inverlagnahme dieser Komponisten keine
aufzusuchen. Aufgrund der enormen Musik-           schen Repressalien und Liberalisierungen. In       weiteren Fragen aufwarf. Argumentiert wurde
verlagsbestände besteht seit Jahren eine Ko-       den 1930er Jahren wurde der „Sozialistische        vor allem mit der „Fortschrittlichkeit“ derarti-
operation mit dem Musik­wissenschaftlichen         Realismus“ als ästhetische Vorgabe für die         ger Musik. Bei der Aufstellung einer Statistik
Institut der Universität Leipzig. Als historisch   Künste formuliert. Die kreativen Köpfe soll-       verlegter Werke konnte ich feststellen, dass
orientierte Master­studentin am genannten          ten in diesem Sinne Werke schaffen, welche         zwar die mit dem sozialistischen Realismus
Institut beschloss ich, im Staatsarchiv Leipzig    den Sozialismus als Ideal propagieren. Doch        verbundenen Komponisten wie die „sowje-
ein Forschungspraktikum zu absolvieren, aus        das Konzept war von Anfang an brüchig und          tischen Klassiker“ Dmitri Schostakowitsch,
welchem sich letztendlich die Fragestellung        spätestens nach dem Tod Stalins 1953 setz-         Sergej Prokofjew und Aram Chatschaturjan
für meine Masterarbeit entwickeln sollte. Auf-     te das „Tauwetter“ ein, welches den Kompo-         mit Abstand am häufigsten verlegt wurden,
grund meiner Russischkenntnisse kam schon          nisten mehr Freiheiten einräumte. Beim seit        allerdings ausschließlich in Form populärer
im Vorfeld die Idee auf, mich mit bisher un-       1956 jährlich veranstalteten Musikfestival         Massen­werke für Klavier, Taschenpartituren
zureichend erschlossenen Akten des Bestands        Warschauer Herbst trafen Komponisten aus           und kleiner Kammerbesetzungen. Dieses
des Musikverlags VEB Edition Peters ausei-         Ost und West zum ersten Mal aufeinander.           Vorgehen sicherte eine beständige Einnah-
nanderzusetzen, welche die Inverlagnahme           Viele sowjetische Komponisten wurden da-           mequelle und so konnte sich der erfolgrei-
russischer und sowjetischer Komponisten zu         mals durch diese Begegnung inspiriert, so-         che Verlag bedeutenderen Projekten widmen.
DDR-Zeiten betreffen.                              dass sie – im Westen bereits lange etablierte      Umfangreiche Sinfonien, Opern, Konzerte
                                                   – „neue“ Kompositionstechniken aufnahmen.          und andere große Werke findet man ab den
Ähnlich wie bei den oben erwähnten Assozia­        Unter dem Begriff „Avantgarde“ wurden die-         1970er Jahren bei jungen Komponisten der
tionen mit Archiven rufen die Wörter „DDR“         se Komponisten im Osten diffamiert und im          „Avantgarde“.
oder „Sowjetunion“ Erinnerungen an die             Westen wiederum für eigene Propaganda-
Schulzeit hervor, in welcher man einst ge-         zwecke gegen die UdSSR missbraucht.                Die einzige größere Hürde stellte die 1974
lernt hatte, dass zwischen Ost und West ein                                                           gegründete Allunionsagentur zur Wahrung
massiver „Eiserner Vorhang“ bestand. Diese         Die zentrale Figur war dabei der Komponist         der Urheberrechte auf dem Gebiet der Sow-
Metapher suggeriert eine strikte Trennung          Edison Denissow, welcher als konsequentester       jetunion, abgekürzt aus dem Russischen als
zweier Weltteile und eine „Abschottung“ des        Vertreter der „Avantgarde“ gilt. Die Repres-       WAAP, dar. Diese verwaltete die Rechtever-
„Ostens“ vom Rest der Welt. Diese dichoto-         salien, mit welchen er zu kämpfen hatte, er-       gabe sowjetischer Werke an Verlage aus dem
me, im gesellschaftlichen Diskurs weit ver-        schwerten seinen Schaffensprozess zwar ein         Ausland. Verfolgt man die Korrespondenz
breitete Sichtweise ist vor allem simpel. Da-      wenig, allerdings wurde das Ausmaß durch           zwischen dem Verlag und der WAAP, erweist
raus ergeben sich zunächst zwei Annahmen:          die „Neue Musik“-Szene übertrieben darge-          sich die Kommunikation als problematisch.
1. Kontakt zwischen Ost(-Deutschland) und          stellt. Seine Karriere florierte im Westen durch   Pachnicke verlangte hartnäckig die Weltrech-
West(-Deutschland) war nicht oder nur un-          den Ruf des „unterdrückten Rebellen“, wo er        te für sowjetische Werke, die außerhalb der
ter extrem schweren Bedingungen möglich.           erfolgreicher wurde als im eigenen Land. Im        UdSSR vertrieben werden sollten und wurde
2. Die UdSSR und die DDR hielten zusammen          Bestand VEB Edition Peters des Staatsarchivs       von der WAAP immer wieder hingehalten,
wie Pech und Schwefel.                             Leipzig sind mehrere Korrespondenzmappen           bis schließlich herauskam, dass die Rechte
                                                   zu Denissow erhalten. Der Briefwechsel zeugt       an Hans Sikorski verkauft worden waren –
Setzt man sich nun mit der Geschichte des          nicht nur von geschäftlichen Absprachen zur        einen Hamburger Verlag. Über die Gründe für
in Leipzig ansässigen Petersverlags auseinan-      Inverlagnahme seiner Kompositionen und             dieses Vorgehen der WAAP kann nur speku-
der, kann bereits die erste Annahme wider-         sogar Auftragswerken, sondern auch von ei-         liert werden; es ist jedoch wahrscheinlich,
legt werden: Mit der 1950 in Frankfurt/Main        nem ausgesprochen freundschaftlichen und           dass finanzielle Interessen dahinter steck-
gegründeten Niederlassung von C. F. Peters         persönlichen Ton.                                  ten. Ein Verlag aus Westdeutschland brachte

Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 8
Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, 21109 VEB Edition Peters, Leipzig, Nr. 3431

schlichtweg mehr Geld ein. Die Unklarheiten             Die gescheiterte Kommunikation sorgte bei             ner Zeiten geht. Der „Eiserne Vorhang“ offen­
bezüglich der Rechtsfragen dauerten noch                Pachnicke für Frustration. So formulierte er          bart sich in diesem Beispiel als ausgesprochen
bis in die späten 1980er Jahre an. Nach einem           am 21. Mai 1976 einen kritischen Brief [s. Ab-        löchrig, was das gängige Geschichtsbild in
gegen Pachnicke geführten Gerichtsprozess               bildung] an Julia Gaidukowa von der WAAP,             Frage stellt. Verstaubt ist eher der gesell-
in anderer Sache fand die WAAP in ihm einen             der jedoch nie abgeschickt wurde – vermutlich         schaftliche Diskurs – vor allem in den Lehr-
perfekten Sündenbock, ebenso in Denissow.               aus diplomatischen Gründen, um die ohnehin            plänen der allgemeinbildenden Schulen – und
Es wurde unterstellt, der Komponist habe der            spannungsgeladene Beziehung zur WAAP                  nicht die Archive, aus denen noch einiges an
Edition Peters Werke angeboten, die von der             nicht endgültig eskalieren zu lassen.                 Leben herauszuholen ist.
WAAP nicht freigegeben waren. Der Brief-
wechsel jedoch belegt, dass Denissow den                Das Archiv erweist sich durch derartige For-              Elisabeth Posnjakow
Verlag immer wieder auf Absprachen mit der              schung als eine wahre Schatzkammer, wenn                  (Universität Leipzig,
WAAP hinwies.                                           es um den Einblick in Lebenswelten vergange-              Institut für Musikwissenschaft)

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Forstakten – wichtige Quellen für den
Vermessungstechniker
Teil 1                                            graphischen Katasternachweise. Für den Ver-           Prozent nicht überstieg. Überschritt die Dif-
                                                  messer ist hierbei auch die Kenntnis über die         ferenz 3 1/3 Prozent, wurde die Vermessung
Informationen über bestimmte Sachverhalte         Ursprünge des überlieferten Vermessungs­              der entsprechenden Vermessungsabschnitte
werden oftmals nicht in den Archivalien           materials und deren entstehungsgeschicht-             wiederholt. Dies ist ein deutlicher Beleg für
gefunden, wo sie eigentlich enthalten sein        liche Zusammenhänge von Bedeutung, da                 die Genauigkeit, mit der die Flurkarten ge-
müssten. Sei es, dass die Angaben in den          es sonst zu falschen Interpretationen von             zeichnet wurden. Für das Aufnahmeverfah-
entsprechenden Dokumenten nicht vermerkt          Abweichungen zwischen den örtlichen Ge-               ren war allein der Zweck der Katastrierung,
wurden oder aber durch den Verlust von Un-        gebenheiten und grafisch ermittelten Maßen            und zwar die Ermittlung der Flächeninhalte für
terlagen die Information verloren ging. In        kommen kann.                                          die Steuererhebung, von Bedeutung. Eine al-
solchen Fällen kann nur durch eine Recher-                                                              ternative Weiternutzung der Messtischblätter
che in alternativen Quellen versucht werden,      In den Jahren 1835 bis 1841 wurde in Sachsen          war nicht beabsichtigt. Daher wurde auf den
die Lücke zu füllen. Ein interessanter Fall ist   zwecks Einführung eines neuen Grundsteuer-            Flurkarten auch nur das eingezeichnet, was
in diesem Zusammenhang die Überlieferung          systems eine allgemeine Landesvermessung              für die Parzellenflächenberechnung und die
von Grenzverhältnissen in den Katasterunter-      durchgeführt. Das geschah unter Aufsicht der          Steuer­ermittlung unbedingt notwendig war.
lagen. Da das Zahlenwerk der Landesvermes-        am 7. März 1835 errichteten „Königlichen Zen-         Die Katasterkarten enthalten die Bezeichnung
sung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts    tralkommission zur Vorbereitung eines neuen           der Gemarkung, die Flurstücksnummer, den
nicht überliefert ist und die Katasterkarten      Grundsteuersystems“, die dem Finanzministe-           Parzellengrundriss, und in der Regel wird
(Vermessungsrisse) nicht all die Angaben          rium unterstellt war. Diese Landesvermessung          auch der Maßstab genannt. Es wurden keine
enthalten, die ein Vermesser für seine Arbeit     bestand grundsätzlich aus zwei unabhängig             Grenzsteinnummern eingetragen und ebenso
benötigt, besteht die Notwendigkeit einer         voneinander ausgeführten Vermessungs-                 wenig die Steinbreiten, also die Entfernung
Recherche nach Ersatzunterlagen. In diesem        maßnahmen. Von den Detailgeodäten wurde               zweier benachbarter Grenzsteine voneinander.
Beitrag wird auf Archivalien hingewiesen, die     die Detailaufnahme durchgeführt und durch             Das sind aber gerade die Zahlenangaben, die
vermessungstechnische Informationen über          Flurgrenzgeodäten erfolgte die Flurgrenz-             der Vermesser heute für seine Arbeit dringend
Gemarkungsgrenzen enthalten, aber in Be-          aufnahme. Durch die Detailaufnahme sind               benötigt. Mit dem Gesetz zur „Einführung ei-
ständen von Forstbehörden überliefert sind.       die Flächeninhalte der einzelnen Flurstü-             nes neuen Grundsteuersystems“ vom 9. Sep-
                                                  cke für die spätere Bonitierung vermessen             tember 1843 wurde die neue Grundsteuer
Die rechtmäßige Grenze eines Flurstücks wird      worden. Die Flurgrenzaufnahme wurde nur               eingeführt. Das Gesetz schrieb vor, dass für
in der Regel im graphischen, numerischen und      durchgeführt, um die bei der Detailaufnah-            jeden Flurbezirk neben dem Flurbuch ein Ka-
registrativen Teil des Liegenschaftskatasters     me ermittelten Maße durch die Berechnung              taster aufzustellen sei. Grundlage für künftige
nachgewiesen. Im Laufe der Zeit sind infolge      des Gesamtflächeninhaltes zu kontrollieren.           Zergliederungen und der damit verbundenen
von Flächenveränderungen bestimmte Ab-            Der Vergleich wurde von der Zentralkommis-            Fortführung der Messtischblätter bildete das
schnitte von Gemeindeflurgrenzen zum Teil         sion vorgenommen, die die Vermessung als              Gesetz vom 30. November 1843. Die ehemals
mehr oder weniger unkenntlich geworden.           richtig anerkannte, wenn die Differenz 3 1/3          nur als Grundlage für die Flächenberechnung
Eigentumsprobleme bei Grund und Boden,
auch Unklarheiten über Flurstücksgrenzen,
die oft mit der Bodennutzung zu DDR-Zeiten
zusammenhängen, verhindern den Grund-
stücksverkehr und behindern die Ansiedlung
von Investoren. Lässt sich eine Flurgrenze
nach dem Liegenschaftskataster nicht wie-
derherstellen, erfolgt eine Grenzfeststellung
unter Beteiligung der Grundstückseigen-
tümer. Kann eine bestehende Grenze nicht
festgestellt werden und bleibt „streitig“, weil
die Beteiligten sich nicht einigen, macht sich
eine vermessungstechnische Grenzermittlung
der Flurgrenze durch die öffentlich bestell-
ten Vermessungsingenieure erforderlich. In
der Katastervermessungsvorschrift wird der
Vermessungstechniker angewiesen, Wider­
sprüche im Katasternachweis durch sachge-
mäße Auswertung aller Unterlagen zu klären.
Das bezieht auch die aus dem 19. Jahrhundert
überlieferten Katasterunterlagen mit ein. Die     Ausschnitt aus der Flurkarte der Gemarkung Langebrück, 1865 (Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv
Grenzermittlung stützt sich vor allem auf die     Dresden, 13657 Katasterkarten, Nr. B 442)

Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 10
Die Spezialkarten enthalten eine Gesamtüber-
                                                                                                             sicht des Forst­reviers. Eingezeichnet wurden
                                                                                                             die forstlichen Außengrenzen mit allen Grenz-
                                                                                                             zeichen sowie die Sektions- bzw. Abteilungs-
                                                                                                             grenzen. Die Spezialkarten waren aber wegen
                                                                                                             ihres unhandlichen Formates während der
                                                                                                             Arbeit im Gelände, z. B. bei den Forstgrenz-
                                                                                                             revisionen, praktisch schlecht verwendbar.
                                                                                                             Darum wurde die Spezialkarte in Sektionen
                                                                                                             eingeteilt und wurden davon Sektionsblätter
                                                                                                             angefertigt. Die Sektionskarten, oder auch
                                                                                                             Forstkartenblätter genannt, sind also Kopien
                                                                                                             der Spezialkarte entlang ihrer Außengrenze.
                                                                                                             Gezeichnet wurden die Karten im Maßstab
                                                                                                             1: 4 853 1/3 bzw. bei Neuaufnahmen im
                                                                                                             Maßstab 1: 5 000. Da die Grenzzeichennum-
                                                                                                             merierung auf den Karten enthalten ist, lässt
                                                                                                             sich die Zugehörigkeit der im Gelände vor-
                                                                                                             handenen Grenzsteine zur Forstkarte feststel-
Ausschnitt aus der Spezialkarte des Forstreviers Langebrück, o. D. (SächsStA-D,10859 Forsteinrichtungsamt,   len. Die Abstände der einzelnen Grenzsteine
Reihe A, Mappe 26/1)                                                                                         zueinander (Steinbreiten) sind in die Karten
                                                                                                             nicht eingezeichnet worden. Weshalb diese
erstellten Messtischblätter erlangten so-              sammenhang eine zahlenmäßige sowie auch               nicht mit eingetragen wurden, darüber ist in
mit im Nachhinein für die Fortführung des              graphische Grenzdokumentation angelegt, die           einer Akte der Oberforstmeisterei Bärenfels
Katasters eine enorme Bedeutung. Was die               nahezu lückenlos überliefert ist.                     eine Begründung überliefert. Am 28. Februar
Verwahrung der Karten der Flurgrenzaufnah-                                                                   1858 wendet sich der Oberforstmeister von
me betrifft, so wurde in der Anweisung zur             Bis 1809 hat die Forstvermessung in Sach-             Klotz in seinem Hauptjahresbericht mit der
Führung der Grundsteuerbücher festgelegt:              sen der Hauptmann des Ingenieurkorps Carl             Frage an die Direktion der Forstvermessung,
„Die Flurkarten (Menselblätter, Koordinaten-           Friedrich Schelling geleitet. Im Jahre 1811           ob es als zweckmäßig anzusehen sei, bei der
aufnahmen der Steuervermessung) werden                 übernahm der Forstrat Heinrich Cotta die              Herstellung der Sektionskarten die Grenz­
nebst den zugehörigen Messungshandrissen               Direktion der Forstvermessung. Speziell für           maße, damit waren die Abstände zwischen
und Rechnungsnachweisen beim Zentral­                  die Durchführung der Vermessung und Kar-              den Grenzsteinen gemeint, mit in die Karten
büro für Steuervermessung aufbewahrt.“ Das             tierung der königlichen Waldungen wurde               aufzunehmen. Ihm wird von Seiten der Di-
Zentralbüro für Steuervermessung (ab 1918              im Jahre 1812 die Forstvermessungsanstalt             rektion mitgeteilt: „Was die […] Frage betrifft,
Landesvermessungsamt) hatte seine Dienst-              (später in Forsteinrichtungsamt umbenannt)            ob es für zweckmäßig zu erachten sei, bei der
räume im Finanzministerialgebäude, das am              gegründet. Abgeschlossen wurde die Vermes-            Erneuerung der Specialkarten die Grenzmaße
13. Februar 1945 völlig zerstört wurde. Die            sung der sächsischen Wälder im Jahre 1831.            auf diesen selbst anzuschreiben, so erlaubt
darüber hinaus überlieferten Karten der De-            Bei den Forstvermessungsarbeiten sind die             sich die Direktion hierüber Folgendes zu be-
tailvermessung sind heute in dem im Haupt-             bis dahin vorhandenen Karten der Landes-              denken. Das Anschreiben der Grenzmaße auf
staatsarchiv Dresden verwahrten Bestand                vermessung nicht mit einbezogen worden. In            den Specialkarten kann dieselbe nicht für an-
13657 Katasterkarten enthalten.                        seinem Vortrag vom 19. Februar 1810 weist             gemessen, öfters nicht einmal für ausführbar
                                                       der Kabinetts-Sekretär Johann Kriebitzsch             erachten. Häufig ist nämlich bei dem kleinen
Bei Grenzermittlungsverfahren sind neben den           ausdrücklich darauf hin: „Von den Karten              Maßstabe, welcher den Forstvermessungen zu
zentralen Ortslagen auch die am Rande der              der Landesvermessung sei, nach Schellings             Grunde liegt, der Raum zwischen den Grenz-
Gemarkung liegenden Feld- und Waldlagen                Gutachten, bei der Forstvermessung kein               punkten gar nicht ausreichend, um die aus
des Gemeindegebietes von Bedeutung. Somit              Gebrauch zu machen.“                                  Ruthen, Füßen und Zollen, mithin aus we-
fällt meist ein hoher Prozentsatz der Verfah-                                                                nigstens drei Ziffern bestehenden Grenzmaße
rensgebietsgrenze mit den Gemarkungs-                  Die Forstgrenzkarten sollten unterschiedli-           deutlich anbringen zu können, es leidet ferner
grenzen zusammen. Aufgrund des geringen                chen Zwecken dienen. Sie sollten die Grenzen          durch das Anschreiben der Zahlen die Deut-
Grundstücksverkehrs an den Ortsrändern sind            richtig darstellen und den Revierverwalter            lichkeit der Karten und durch das Nachbrin-
kaum Grenzveränderungen eingetreten und                in den Stand versetzen, undeutlich gewor-             gen von Grenzveränderungen, die […] zu viel­
daher auch nur sehr wenig Zahlennachweise              dene Grenzlinien wieder herzustellen sowie            fachen Rasuren führen, welche letztere auch
entstanden. Für den Vermessungstechniker               verloren gegangene Grenzpunkte wieder                 die Dauer der Karten beeinträchtigen würden.“
bietet sich hier alternativ die Nutzung von            aufzufinden. Da unterschiedliche Ansprüche            Neben den Grenzkarten ist in den Beständen
Akten und Karten aus den Beständen der                 an die Karten auch das Zeichnen der Karten            der Forstbehörden auch ein umfangreiches
Forstverwaltungseinrichtungen an. Über-                in unterschiedlichen Maßstäben erforderte,            Zahlenwerk über die Grenzvermessung über-
wiegend grenzen Gemeindegemarkungen an                 wurden separat zu den forstwirtschaftlichen           liefert.
Forstreviere und haben daher abschnittwei-             Karten zwei Arten an Forstgrenzkarten ange-
se mit den Forstarealen einen gemeinsamen              fertigt. Es handelt sich hierbei um die Spe-              Gunter Biele
Grenzverlauf. Von Seiten der Forstbehörden             zialkarten und die Sektionskarten, die heute              (Hauptstaatsarchiv Dresden)
wurde an den Außengrenzen eine permanente              im Hauptstaatsarchiv Dresden im Bestand
Grenzpflege durchgeführt und in diesem Zu-             10859 Forsteinrichtungsamt überliefert sind.          (Der Beitrag wird fortgesetzt.)

                                                                                                               Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 11
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