Sächsisches Archivblatt - Heft 2 / 2017 SÄCHSISCHES STAATSARCHIV
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Inhalt Seite Vorab Bestände des Landtagsarchivs künftig im Sächsischen Staatsarchiv 1 Peter Wiegand Aus den Beständen Von der „Landlade“ zum „Landes-Archiv“ – Zur Geschichte des sächsischen landständischen Archivs bis 1831 2 Jörg Ludwig Der „Schönburgische Brudermord“ 1617 im Spiegel der archivalischen Überlieferung 5 Michael Wetzel Neue Quellen zur Heimatgeschichte des Vogtlandes der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – Bestand Grundherrschaft Dorfstadt 6 Carsten Voigt Die Inverlagnahme russischer und sowjetischer Komponisten 8 Elisabeth Posnjakow Forstakten – wichtige Quellen für den Vermessungstechniker, Teil 1 10 Gunter Biele Die DDR aus der Vogelperspektive – Ein Konzept zur Erschließung von analogen Luftbildern 12 Konstantin Batury Papier, elektronisch oder beides? – Hybridakten als Herausforderung für die Archivierung 14 Jelena Steigerwald Meldungen/ Berichte Digitalisierung audiovisueller Medien – Selbstverständnis und Werkstattbericht 16 Stefan Gööck Ehrenamtliches Engagement in der Heimatforschung 18 Klaus Reichmann Kölner Vorhaben im Archivzentrum Hubertusburg – Vom Einsturz in Köln zur Bearbeitung von Großformaten in Wermsdorf 19 Jana Wichmann / Nikolai Krippner Nach fast 150 Jahren: Tagebuch eines Chemnitzer Soldaten restauriert 22 Gudrun Dudek / Birgit Schubert Von der Kürzung zu 7-Zip 24 Christian Treu Archivierte Diktaturen: Gedächtnis der Demokratie – Eine tagungsbegleitende Ausstellung zum Umgang der DDR mit der NS-Vergangenheit 26 Annette Zehnter „Die industrielle Stadt. Lokale Repräsentationen von Industriekultur im urbanen Raum seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert“ – Kolloquium des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. (ISGV) am 15./16. Juni 2017 im Staatsarchiv Chemnitz 28 Sönke Friedreich „Industriekultur. Erforschen – Bewahren – Nutzen“ – Kolloquium am 24. / 25. Januar 2017 im Staatsarchiv Chemnitz 30 Torsten Bäz Rezensionen Michael Schäfer, Eine andere Industrialisierung. Die Transformation der sächsischen Textilexportgewerbe 1790–1890 31 Jörg Ludwig Clementine von Breitenbuch / Asta von Breitenbuch / Matthias Donath / Lars-Arne Dannenberg, Rote Sparren auf blauem Grund – Die Familie von Breitenbuch (Breitenbauch) in Sachsen und Thüringen 32 Jens Kunze
Bestände des Landtagsarchivs künftig im Sächsischen Staatsarchiv Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler, Innenminister Markus Ulbig und Dr. Andrea Bei der Betrachtung historischer Landtagsarchivalien aus dem Bestand des Haupt- Wettmann (Direktorin des Sächsischen Staatsarchivs) (v. r. n. l.) bei der Unterzeichnung staatsarchivs Dresden mit dessen Leiter Dr. Guntram Martin des Vertrags zur Übergabe des Landtagsarchivs an das Sächsische Staatsarchiv am (Fotos Sylvia Reinhardt) 24. Mai 2017 Für die Archivierung der Unterlagen des Säch- dem 16. Jahrhundert, der Ständeversamm- nigreichs Sachsen oder des Sächsischen Land- sischen Landtags ist künftig das Hauptstaats- lung des Königreichs Sachsen (1831–1918), des tags zur Zeit der Weimarer Republik.“ archiv Dresden zuständig. Innenminister Landtags des Freistaats Sachsen (1918–1933) Markus Ulbig, Landtagspräsident Dr. Matthias sowie des Landes Sachsen (1945–1952). Mit Im Anschluss an die Unterzeichnung hatten die Rößler und die Direktorin des Sächsischen Blick auf das Staatsarchiv fuhr Ulbig fort: Anwesenden die besondere Gelegenheit, his- Staatsarchivs, Dr. Andrea Wettmann, unter- „Mein Dank gilt den engagierten Mitarbeite- torische Landtagsarchivalien aus dem Bestand zeichneten am 24. Mai 2017 die entsprechen- rinnen und Mitarbeitern, die mit ihrer Kompe- des Hauptstaatsarchivs Dresden in Augen- de Vereinbarung. Diese sieht vor, dass die Ar- tenz und langjährigen Erfahrung dazu beitra- schein zu nehmen. Neben den Originalen der chivalien des Landtags innerhalb der nächsten gen, bedeutende Unterlagen einer zentralen sächsischen Verfassungsurkunden von 1831, sechs Monate an das Sächsische Staatsarchiv, Institution unserer Demokratie zu sichern. 1919, 1920, 1947 und 1992 waren unter an- Hauptstaatsarchiv Dresden übergeben wer- Die Mitarbeiter verfügen über die Fähigkeit, derem Landtagsakten aus dem Frühjahr 1555 den. Die elektronischen Unterlagen folgen ab Archivgut auf Papier und als Datei zu erhalten und eine großformatige Ahnenprobe für einen dem Jahre 2027. Mit dem Übergang wird eine und können moderne Magazine nutzen, die adligen Vertreter der Landstände von 1776 zu Personalstelle des Landtags zum Staatsarchiv höchste Sicherheitsstandards erfüllen.“ sehen. Die chronologische Reihe vervollstän- umgesetzt. Deren Stelleninhaber wird künftig digten Dokumente aus der Sitzungsperiode für die Archivierung der Landtagsunterlagen Landtagspräsident Dr. Rößler erklärte seiner- der ersten Kammer der Ständeversammlung auf der Grundlage des Sächsischen Archiv- seits: „Der Sächsische Landtag vertraut dem von 1833, Aufzeichnungen über Vorgänge im gesetzes zuständig sein. Das Landtagsarchiv Staatsarchiv das parlamentarische Gedächtnis Landtag während der nationalsozialistischen selbst bestand seit 1992. des Freistaats an, damit es der Nachwelt für die Machtergreifung (1933) und die Geschäfts- Ewigkeit erhalten bleibt. Wir übergeben nicht ordnung des Landtags vom 20. März 1947. Bei der Unterzeichnung erläuterte Innenmi- einfach ein paar Akten, sondern historische nister Ulbig: „Das Sächsische Staatsarchiv Zeugnisse, wie etwa die umfangreiche Doku- In einem symbolischen Akt zum Abschluss der verwahrt künftig alle Landtagsarchivalien, mentation zur Erarbeitung unserer Sächsischen Veranstaltung brachten Innenminister Ulbig, Dokumente und Akten. So gehen nun histo- Verfassung nach der friedlichen Revolution Landtagspräsident Dr. Rößler und Dr. Wett- risch wertvolle Dokumente, wie beispielsweise 1989 und der Wiedergründung des Freistaats mann das älteste Dokument des neuen Land- die Urschriften der Gesetze und die Landtags- 1990. Die Unterlagen belegen, warum sich un- tagsarchivs, ein Protokoll der ersten Landtags- protokolle, in den Bestand des Staatsarchivs sere Verfassungsväter und der Gesetzgeber für sitzung vom 27. Oktober 1990, in das sonst über. Im Staatsarchiv befindet sich bereits und gegen bestimmte Regelungen entschie- nicht öffentlich zugängliche Magazin des das Archivgut der Vorgängerinstitutionen des den haben und welche Leitlinien ihr Handeln Hauptstaatsarchivs. Landtags. Mit der heutigen Übergabe knüpfen bestimmten. Das Landtagsarchiv ist nicht nur wir an eine jahrhundertelange Tradition an.“ für Juristen und Historiker interessant. Eines Sächsisches Staatsministerium des Bei den bereits im Staatsarchiv verwahrten Tages werden kommende Generationen diese Innern: Medieninformation vom historischen Unterlagen handelt es sich um Dokumente so fasziniert betrachten, wie wir 24. Mai 2017 / Peter Wiegand die Überlieferung der älteren Landtage seit heute Papiere der Ständeversammlung des Kö- (Hauptstaatsarchiv Dresden) Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 1
Von der „Landlade“ zum „Landes-Archiv“ – Zur Geschichte des sächsischen landständischen Archivs bis 1831 Unter den Behördenregistraturen bzw. Behör- zu einem gewissen Abschluss kamen. Die in Hinzu kam, dass Schloss Pretzsch nicht mehr denarchiven, die nach 1834 zu Beständen des den 1560er Jahren entstandene, später fort- als Verwahrort zur Verfügung stand, weil die Hauptstaatsarchivs Dresden wurden, dürfte geschriebene Landtagsordnung wurde um Familie Löser die überschuldete Herrschaft im das der vorkonstitutionellen Landstände ei- 1600 durch eine Regelung zur landschaft Jahr 1640 verkaufen musste. nes der ältesten und interessantesten sein. Es lichen „haubtlade“ ergänzt, wonach der Erb- reicht mit einzelnen Stücken bis ins 15. Jahr- marschall verantwortlich für die Verwahrung Zwischen 1640 und 1683 erfolgten in Dres- hundert zurück und beansprucht durch die und Erfassung der darin verwahrten Unter den mehrfach Inventuren des Akten- und verfassungsrechtliche Stellung der Landstän- lagen sowie für weitere Übernahmen war. Urkundenbestandes, in der Regel nach dem de und ihre Mitwirkung an der Landespolitik Außerdem sollten unter seiner Aufsicht in den Tod des bisherigen Erbmarschalls. Durchge- besondere Aufmerksamkeit, auch weil die kursächsischen Kreisen drei „wohlvorwartte führt wurden sie 1646 und 1660 in der großen Landstände ohne ein eigenes Archiv und die Appellationsstube, 1683 im Haus des Ober- dort erfolgende geordnete Aufbewahrung von steuerdirektors Haubold von Miltitz in der Mo- Urkunden und Akten ihre Mitwirkungsrechte ritzstraße. Die dabei erwähnte Verwahrung in gegenüber den Machtansprüchen der Landes- drei eisernen Kästen diente dem Schutz der herren nicht hätten behaupten können. Archivalien und machte sie im Notfall schnell transportbereit. Ein solcher Transport erfolg- Erste Informationen über Umfang und Be- te 1699, als das „Landes archivum“ zu seiner schaffenheit der landständischen Überliefe- Sicherung teils nach Scharfenberg, teils nach rung liegen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts Altenburg gebracht wurde. Scharfenberg vor. Sie zeigen einen zunächst kleinen, zuvor (im Besitz der Familie von Miltitz) war auch offensichtlich nicht systematisch bewahrten während der schwedischen Invasion im Nor- Bestand an Urkunden und Akten, der abge- dischen Krieg Auslagerungsort. sehen von den Urkunden zeitlich erst 1547 einsetzt. Wegen der ein- oder mehrjährigen Ab den 1690er Jahren kam für die histori- Abstände der ständischen Zusammenkünfte schen Unterlagen der Stände die Bezeichnung und der im Vergleich mit späterer Zeit gerin- „Archiv“ auf, was fachliche Institutionalisie- geren Schriftlichkeit erhielt die landständische Abdruck des landschaftlichen Archivstempels, 1770 rungsprozesse und das Bewusstwerden neuer, (Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, Registratur zunächst nur wenig Zuwachs: Von 10015 Landtag, Nr. 319) damit zusammenhängender Probleme signa- 13 Landtagsakten, die ein Inventar 1556 auf- lisiert. Auf dem Ausschusstag von 1694 und listete, stieg ihre Zahl bis 1582 auf lediglich dem Landtag von 1699/1700 problematisierte 29. Obwohl die ständischen Zusammenkünfte laden“ mit beglaubigten Kopien der Landtags- Erbmarschall Hans Löser die Verknüpfung der zwischen 1555 und 1628 durchgängig in Tor- akten eingerichtet und feuersicher verwahrt Archivaufsicht mit dem seiner Familie zuste- gau stattfanden, wurde das Schriftgut nicht werden, womit offenbar dem Informations- henden Erbmarschallamt, da durch Todesfälle dort aufbewahrt. Zwischen 1565 und 1588 bedürfnis der Kreisstände entsprochen und und Vormundschaften das Archiv leicht in un- befanden sich der „Landschafft Händel“ nach- außerdem befürchteten Informationsdefiziten geeignete Hände geraten könne. Gleichzeitig einander bei Hans von Schleinitz, Haubold bei einem eventuellen Verlust von Akten und erbat er im Februar 1700 (kurz vor Ausbruch von Starschedel, Hans Georg von Ponickau Urkunden in Pretzsch entgegengewirkt wer- des Nordischen Krieges) eine Entscheidung und Hildebrand von Einsiedel. Diese Aufbe- den sollte. über die Verlagerung des Archivs, falls es in wahrungspraxis bei verschiedenen adligen Dresden nicht bleiben könne. Trotz mehr Landständen endete in den 1590er Jahren, Soweit ersichtlich, blieben die landständischen facher Nachfragen fällten die Landstände und auf dem Landtag 1595 wurde schriftlich Unterlagen von ca. 1590 bis 1640 in Pretzsch keine Entscheidung. Informell wurde dem festgehalten, dass sich alle Landtagsakten und überstanden die Wirren des Dreißig Erbmarschall vorgeschlagen, die Archivnöte nun in einer verschlossenen „Landlade“ beim jährigen Krieges wohl gut. (Zur Zeit siehe auch „public“ werden zu lassen, wozu er sich freilich kursächsischen Erbmarschall Hans Löser in Beitrag Wetzel in diesem Heft.) Sie befanden nicht entschließen konnte. Pretzsch befänden und dort auch wieder ab- sich in einer eisernen Lade und zwei hölzernen zulegen seien. Kästen in der „Bücher-Kammer“ des Schlosses Die Verknüpfung der Archivaufsicht mit dem und umfassten 1635 reichlich 100 Akten und Erbmarschallamt war nicht das einzige fach- Dass den Erbmarschällen aus der Adelsfamilie Urkunden, von denen letztere bis in das Jahr lich-institutionelle Problem. Nach Auffassung Löser damit direkt das ständische Akten- und 1423 zurückreichten. 1640 wurden sie nach des 18. Jahrhunderts erlangte ein herrschaft Archivwesen oblag, entsprach ihrer generel- Dresden überführt, wo sie, von einzelnen Aus- liches Archiv erst durch fortdauernde Verwah- len Zuständigkeit für die Leitung der land- lagerungen abgesehen, seitdem verblieben. rung an einem bestimmten Ort öffentlichen ständischen Versammlungen. Zugleich wer- Grund für die Umlagerung dürfte gewesen Glauben, und gerade an dieser Ortsfestigkeit den organisatorische Ausformungsprozesse sein, dass die Landtage seit 1631 nicht mehr fehlte es dem Landtagsarchiv. Zwar besaßen der Landtage deutlich, die in der Torgauer Zeit in Torgau, sondern in Dresden stattfanden. die Erbmarschälle jeweils Unterkünfte in Dres- Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 2
erkollegiums über das landständische Archiv bestand. Zugleich wurde Bertholds Eingreifen zum Ausgangspunkt für mehrere fachliche Neuerungen, die ab 1763 zu deutlichen ar- chivpraktischen Veränderungen führten. Diese fügen sich ein in das sächsische Wie- deraufbau- und Reformprogramm nach dem Siebenjährigen Krieg (das sogenannte Rétab- lissement), das auch auf eine effektiver, nach aufgeklärt-rationalen Prinzipien arbeitende Verwaltung abzielte und damit das Feld von Schriftgut- und Archivverwaltung berührte. Kurz nach Beginn des Landtags von 1763 wur- de Berthold beauftragt, ein Inventar des land- ständischen Archivs zu erstellen, auf dessen Grundlage eine mehrtägige Bestandsprüfung des Archivs erfolgte – die erste seit 1721. Nachdem diese zur Zufriedenheit ausgefallen war, wurde das Archiv am 26. November 1763 auch offiziell unter die Aufsicht von Berthold und damit erstmals unter die Leitung eines Archivars gestellt (wobei die Oberaufsicht des Erbmarschalls fortbestand). Berthold, der hauptamtlich Archivar im Obersteuerkollegi- um blieb, kümmerte sich ab 1763 nachhaltig um Defizite bei der Unterbringung, Ordnung und Verzeichnung des landständischen Ar- Schloss Pretzsch, Torhaus Hofseite (Foto Tnemtsoni, Vorlage Wikimedia Commons) chivs. Aus der kriegsbeschädigten Unterkunft in der Rampischen Gasse zog es 1765 zu- nächst in das Steuer-Kanzlei-Haus am Alt- den, in denen auch die landständischen Archi- neue Unterlagen nach Schluss des Landtages markt, bevor es seinen dauernden Verwahrort valien aufbewahrt wurden, doch dürfte es sich wieder zu reponieren. Seit dem Landtag von im Neubau des Land- und Steuerhauses fand. dabei um wechselnde Mietobjekte gehandelt 1742, als nach längerer Zeit der Stellvertre- In diesem Gebäude, wo ab 1776 die Landstän- haben. Nach dem Tod des Erbmarschalls Tham tung wieder ein Erbmarschall der Familie Löser de tagten und in das auch das Obersteuer Löser 1721 wurde daher von einer ständischen amtierte, wurde auf die aufwändige protokol- kollegium zog, standen gesonderte Räume Deputation beschlossen, das Archiv künftig larische, anfangs sogar notariell beglaubigte für das Steuerarchiv, das landständische an einem festen Ort unterzubringen, wozu Form der Archivöffnungen verzichtet. Auffäl- Archiv und die gemeinsame Archivleitung zunächst ein Haus am Altmarkt, später das lig ist, dass die Landtagsordnung von 1728 im zur Verfügung. Der Umzug der landständi- Miltitzsche Haus in der Rampischen Gasse Unterschied zur Vorgängerversion keine Fest- schen Akten, Protokollbücher und Urkunden in diente. Die Deputation stellte bei der Inven- legungen zum Archiv mehr enthielt: Dies ist das neue Gebäude erfolgte am 2. Oktober 1775. tarisierung des Archivs außerdem einen er- wohl so zu verstehen, dass die Zuständigkeit heblichen Erschließungsrückstau, besonders der auch für die Aktenführung des Landtags Zwischen 1766 und 1769 verbesserte Berthold bei neueren, nicht formierten Akten, fest (bei verantwortlichen Erbmarschalls für das Archiv auch den Erschließungszustand des Archivs. denen es übrigens auch zu einer Vermischung als selbstverständlich galt. Da die vor allem zum rechtlichen Bestands- mit privaten Unterlagen der Erbmarschälle nachweis angefertigten älteren Inventare den gekommen war). Eine Betreuung des Archivs Aus dem durch einzelne Aktenbenutzungen, neuen fachlichen Anforderungen nicht mehr durch einen Archivar zog die Deputation noch -reponierungen bzw. -neueinlagerungen nur genügen konnten, erstellte er nach Abarbei- nicht in Betracht, sondern wollte die Erschlie- in mehrjährigen Abständen unterbrochenen tung der Erschließungsrückstände ein Reper- ßungsarbeiten durch einige ihrer Mitglieder Schlummermodus wurde das Landständische torium über den gesamten Archivbestand, den vornehmen lassen. Archiv gerissen, als Dresden im Juli 1760 von er zugleich nach einem rationalen Schema mit preußischen Truppen belagert und bombar- sachlichen und inhaltlichen Gesichtspunkten In den Jahrzehnten bis zum Siebenjährigen diert wurde. Das Miltitzsche Haus fing Feuer, gliederte. Dieses Schema sollte fast 250 Jahre Krieg änderte sich wenig am Umgang mit das Archiv geriet in höchste Gefahr, konnte lang Bestand haben. Berthold initiierte außer dem durch Zugänge langsam, doch stetig durch den Einsatz des Archivars des Ober- dem Bestandsergänzungen, ließ vom im Archiv anwachsenden Archivbestand. Er lagerte im steuerkollegiums, Johann Immanuel Berthold, fehlenden Landtagsakten Abschriften anfer- Miltitzschen Haus in einem mit einer eisernen jedoch gerettet und bis zum Kriegsende provi- tigen und erwarb ergänzend verschiedene Tür verschlossenen und mit Regalen ausge- sorisch an anderer Stelle untergebracht wer- Druckschriften. statteten Gewölbe, welches zu den Landtagen den. Bertholds Rettungstat war insofern nicht jeweils von einer Deputation geöffnet wurde, zufällig, als wahrscheinlich schon vor dem Sie- Unter seiner Leitung war die Betreuung des um Akten und Protokolle der vorangegange- benjährigen Krieg eine Mitaufsicht des von landständischen Archivs rationeller und nen Landtage zu entnehmen und diese sowie den Landständen mitverwalteten Obersteu- professioneller geworden. Durch die Nähe Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 3
Altes Landhaus in Dresden; heute Museum für Stadtgeschichte (Foto Jörg Blobelt, Vorlage Wikimedia Commons) zum Tagungsort der Landstände und zu den und die Einführung einer repräsentativen dischen Unterlagen für das neue Parlament Diensträumen des Obersteuerarchivars ge- Landesvertretung erzwungen wurden, en- keinen aktuellen praktischen und rechtlichen stalteten sich Verwahrung, Überlieferungs- dete die jahrhundertealte Tätigkeit der säch- Nutzen mehr. Sie blieben zunächst weiter im bildung und Benutzung des Archivs deutlich sischen Landstände, und an ihre Stelle trat ständischen Archiv im Landhaus, bis schließ- einfacher als zuvor. Auf dem von Berthold ein neues, auf Grundlage der Verfassung von lich auf Initiative des Landtagsarchivars Edu- erreichten Stand konnten seine Nachfolger, 1831 gewähltes Zwei-Kammer-Parlament. In ard Gottwald und des Staatsarchivdirektors die Obersteuerarchivare Andreas Gotthelf Fin- feierlichem Zug wurde die vom König und Karl von Weber die Abgabe jener Akten an cke († 1796) und Carl Gottlob Voigt († 1843), Mitregenten unterzeichnete Verfassung am das 1834 gegründete Hauptstaatsarchiv aufbauen und sahen vielleicht auch deswegen 4. September in das Landhaus gebracht und beschlossen wurde, die Gottwald als nicht kaum Veranlassung zu wesentlichen Neue- unter Abfeuerung von 24 Kanonenschüssen in zum ständischen Archiv zugehörig ansah. Sie rungen. eine im landschaftlichen Archiv bereitstehen- wurden 1865 vom Hauptstaatsarchiv wegen de eiserne Kiste abgelegt, wobei der Archivar ihres historischen Werts und ihrer besseren Die unruhigen Jahre der französischen Revo- Voigt dem Landtagsmarschall versprechen Benutzbarkeit übernommen, allerdings unter lutions- und Koalitionskriege überstand das musste, „diese Urkunde treulich aufzube- Pertinenzgesichtspunkten auf verschiedene Archiv ohne große Einschnitte, sieht man von wahren“. vorhandene Bestände verteilt (besonders auf der Abgabe von Unterlagen der Neustädter, den Bestand 10024 Geheimer Rat). Der zwei- Thüringer und Wittenberger Kreisstände an Im selben Augenblick, in dem die neue Ver- te, größere Teil des Archivbestands der alten Preußen bzw. Sachsen-Weimar-Eisenach nach fassung im landständischen Archiv depo- Landstände folgte in den Jahren 1935/37 nach der Landesteilung von 1815 ab. Der von der niert wurde, verwandelte sich dieses in einen der Auflösung des Landtags und wurde später Revolution von 1789 ausgehende, epocha- historischen Bestand. Die Tätigkeit der alten zum Grundstock für die Bildung des heutigen le Bruch mit dem Ancien Régime ging am Landstände erlosch, ihre Aktenproduktion Archivbestands 10015 Landtag. sächsischen landständischen Archiv jedoch kam zum Abschluss, und aus den Unterlagen nicht spurlos vorbei, sondern wirkte sich mit der neuen konstitutionellen Landstände ent- zeitlicher Verzögerung aus. Als in Sachsen stand eine neue, gesonderte Überlieferung. 1830/31 nach revolutionären Unruhen der Aufgrund der geänderten politischen und Jörg Ludwig Übergang zur konstitutionellen Monarchie Verfassungsverhältnisse hatten die altstän- (Hauptstaatsarchiv Dresden) Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 4
Der „Schönburgische Brudermord“ 1617 im Spiegel der archivalischen Überlieferung Was vor genau 400 Jahren, am 28. November bar die zerrütteten Vermögensverhältnisse der Seine eigentliche Brisanz erhielt das Delikt 1617, auf Schloss Hinterglauchau geschah, Herren von Schönburg. Durch zahlreiche Erb- jedoch weniger aus der Schuldfrage. Als viel zählt zu den spektakulärsten Kriminalfällen teilungen geschwächt standen am Vorabend bedeutsamer erwies sich das Ringen darum, des südwestsächsischen Raumes in der frü- des Dreißigjährigen Krieges gleich mehrere ih- welches Gericht für den Fall zuständig sei. hen Neuzeit. Am Abend jenes Novembertags rer Herrschaften vor dem Bankrott. Besonders Als souveräner Reichsstand beanspruchten erstach der als jähzornig und gewalttätig gel- dramatisch stellte sich die Lage unter den acht die Schönburger ihren Gerichtsstand vor den tende Wolf Ernst von Schönburg (1582–1623) erbberechtigten Söhnen Wolfs III. von Schön- Reichsgerichten, weshalb Kaiser Matthias seinen Bruder Otto Wilhelm (1587–1617) im burg (1556–1612) dar, von denen Wolf Ernst (1557–1619) die klagenden Brüder Wolf Ernsts Streit. Die Bluttat ging als „Schönburgischer der älteste war. Für sich und seine Geschwister an seine Kanzlei in Prag verwies. In dem tra- Brudermord“ in die Geschichte ein. verwaltete Wolf Ernst die Herrschaften Pe- gischen Unglücksfall erkannte jedoch auch nig, Wechselburg und Rochsburg, zu denen er Kursachsen seine Chance, die landeshoheit- Dank einer breiten Überlieferung im Staats- 1615 noch Glauchau und Remse aus dem Erbe lichen Rechte der Schönburger zu unter archiv Chemnitz und im Hauptstaatsarchiv seines kinderlos verstorbenen Onkels Augus- graben. Gegen den Widerspruch des Kaisers Dresden sind die Umstände des wohl richti- tus von Schönburg (1583–1610) für 150.000 zog Kurfürst Johann Georg I. (1585–1656) ger als Totschlag zu bezeichnenden Vorgangs, Gulden übernahm. Damit beendete er zwar ei- den Prozess an sich und behauptete damit aber auch seine weitreichenden Folgen gut re- nen langwierigen Erbstreit, häufte jedoch zu- oberrichterliche Ansprüche über die Schön- konstruierbar. Anlass zu der Tat gaben offen gleich eine fast untragbare Schuldenlast auf. burgischen Herrschaften. Das Verfahren fand Wie die Prozessakten belegen, 1618 auch tatsächlich in Zwickau statt. Dem wurde an jenem denkwürdigen dortigen Amtmann Sebastian Metzsch erteil- 28. November 1617 zwischen te der Kurfürst den Auftrag, die Leiche Otto den schönburgischen Brüdern Wilhelms in Glauchau untersuchen und Wolf und ihren Beamten unter fort- Ernst auf Schloss Osterstein vorladen zu las- gesetztem Alkoholgenuss die sen. Angesichts der politischen Schwäche der Vermögenslage erörtert. Als Schönburger und nur halbherziger kaiserli- Veruntreuungsvorwürfe im cher Unterstützung setzte Metzsch den Auf- Raum standen, kam es zum trag ungehindert um. Die Aktenüberlieferung Handgemenge, bei dem das bildet das ungleiche Verhältnis deutlich ab. spätere Opfer Otto Wilhelm Während die schönburgischen Archivbestän- zunächst einen Schlichtungs- de nur die kaiserlichen und familiären Korre- versuch unternahm und dabei spondenzen sowie abschriftliche Prozessfrag- von Wolf Ernst verletzt wurde. mente enthalten, finden sich die voluminösen Danach, so die Zeugenproto- Prozessakten selbst im Bestand 30023 Amt kolle, sei Wolf Ernst abgereist, Zwickau. auf dem Glauchauer Markt- platz aber umgekehrt und ins Den Brüdern Wolf Ernsts schien die sächsi- Schloss zurückgekommen. sche Intervention übrigens recht gelegen zu Dort sei er von Otto Wilhelm kommen, strebten sie doch eine Enterbung mit einem Hirschfänger ange- des Angeklagten an. Ihr Eigennutz verstellte griffen worden und habe dem ihnen freilich den Blick für die langfristigen Bruder in Notwehr einen töd- Nachteile, die darin lagen, dass Kursachsen lichen Stich in die Lunge bei- einen Präzedenzfall geschaffen hatte und gebracht. Einige Bedienstete fortan mit weiteren Eingriffen in die schön- Otto Wilhelms jedoch sagten burgischen Hoheitsrechte den Weg zum Ver- gegenteilig aus, dass Wolf lust der schönburgischen Landeshoheit durch Ernst der Angreifer gewesen die Rezesse von 1740 vorzeichnete. Auch ging sei. Der Sachverhalt ließ sich ihr Kalkül nicht auf. Wolf Ernst erschien 1620 nie aufklären, wohl aber mach- unter Zusicherung freien Geleits in Zwickau te sich Wolf Ernst durch seine und brachte eine Verteidigungsschrift ein. unmittelbare Flucht außer Lan- Noch während des Prozesses verfiel er einer des nach Gräfenthal (Thüringer krankhaften Melancholie, an deren Folgen er Wald) den schönburgischen 1623 starb. Das Verfahren wurde daraufhin Geschichtsschreibern derart gegen den Protest der Brüder eingestellt. Auszug aus der Verteidigungsschrift des Wolf Ernst von Schönburg verdächtig, dass ihm fortan (Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Chemnitz, 30023 Amt Zwickau, der Makel des Brudermörders Michael Wetzel Nr. 2588, Bl. 165) anhing. (Staatsarchiv Chemnitz) Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 5
Neue Quellen zur Heimatgeschichte des Vogtlandes der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – Bestand Grundherrschaft Dorfstadt 2015 und 2016 wurde im Staatsarchiv Chem- Dorfstadt selbst war ursprünglich ein Vor- An dieser Stelle lohnt sich ein kleiner Exkurs nitz der Bestand 30633 Grundherrschaft werk, welches nachweisbar seit dem 15. Jahr- in die Bestandsgeschichte, die erst im Nach- Dorfstadt bearbeitet, der zum größten Teil hundert zur Burg Falkenstein gehörte. Im hinein durch umfangreiche Recherchen im bislang nicht benutzbar war. Bei den Erschlie- Laufe des 17. Jahrhunderts entstand aus dem Hauptstaatsarchiv Dresden und durch eine ßungsarbeiten zeichnete sich schnell ab, dass Vorwerk ein selbstständiger Rittersitz, der sich Auskunft des Stadtarchivs Falkenstein ermit- es sich hier um keinen durchschnittlichen aber bis 1710, mit einer kurzen Unterbrechung telt werden konnte: Grundherrschaftsbestand handelte. Der Groß- Ende des 16. /Anfang des 17. Jahrhunderts, als Der letzte Besitzer des Ritterguts Dorfstadt, teil der Akten gehörte zum Familienarchiv der Dorfstadt Caspar Trützschler auf Oberlauter- Hans von Trützschler Freiherr zum Falkenstein, Trützschler und umfasste deshalb weit mehr bach gehörte, immer im Besitz der Trützschler besaß eine große Menge Unterlagen, die im als nur die Grundherrschaft Dorfstadt. auf Falkenstein befand. Dorfstädter Schloss lagerte. Er entschloss sich 1937, einen Teil davon, es handelte sich vor Die adelige Familie Trützschler, die das Adels- Auf den zu erschließenden Akten waren zwar allem um Akten der Patrimonialgerichtsbarkeit prädikat „von“ erst seit dem 19. Jahrhundert römische und arabische Ziffern kombiniert des Ritterguts Dorfstadt, in ein Archiv abzu- regelmäßig im Namen führte, war eines der mit Bleistift verzeichnet, die auf die vormali- geben. Fritz Groh, dem Stadtarchivar von Fal- wichtigsten Adelsgeschlechter im Vogtland ge Existenz einer Abgabeliste schließen ließen, kenstein, gelang es, diese Akten für sein Archiv mit einer langen und kontinuierlichen Prä- jedoch konnte diese nicht aufgefunden wer- zu sichern. Darüber kam es zu einem Streit mit senz in der Region über Jahrhunderte hin- den. Die Erschließungsarbeiten erwiesen sich der Gemeinde Dorfstadt, welche die für die weg. Bereits Anfang des 15. Jahrhunderts als mühsam, da oft nur Teile von Akten oder Heimatgeschichte außerordentlich wertvollen saß die Familie auf der Burg Falkenstein, ihrem Einzelblätter vorhanden waren. Dabei konnte Quellen selbst haben wollte. Das Hauptstaats- Stammsitz. In den folgenden Jahrhunderten es passieren, dass inhaltlich zusammenge- archiv in Dresden intervenierte zu Gunsten erwarben die Trützschlers eine Reihe von Be- hörende Aktenteile weit verstreut in anderen von Groh, da die Gemeinde Dorfstadt weder sitzungen, die meisten davon im Vogtland in Kartons lagen und dadurch erst viel später adäquate Lagerungsmöglichkeiten noch ge- der Nähe von Falkenstein/ V. Dazu gehörten auftauchten. Groß war der Schock, als im letz- eignetes Personal hatte, um die Unterlagen die Rittergüter Oberlauterbach, Mühlberg, ten Karton zwei Ordner mit dem kompletten sachgerecht aufzubewahren. So gelangte Bergen, Ellefeld, Mechelgrün (oberer Teil) und Verzeichnis des Dorfstädter Rittergutsarchivs dann ein Großteil der Akten, die Hans von eben Dorfstadt. auftauchten. Trützschler abgeben wollte, im Frühjahr 1937 in das Stadtarchiv Falkenstein. Die Gemeinde Dorfstadt konnte sich nur einen kleineren, un- bedeutenden Rest sichern. Jedoch wollte sich von Trützschler nicht von allen Akten trennen. Besonders jene Unter- lagen, die Familienangelegenheiten betrafen, blieben in seinem Besitz. Die Familie Trützschler wurde im Herbst 1945 enteignet und vertrie- ben, das Dorfstädter Schloss zunächst von sowjetischen Besatzungstruppen genutzt. Schon am 20. September 1945 machte Groh, der nun auch als Archivpfleger für das Landes hauptarchiv tätig war, den Archivdirektor Helmut Kretzschmar auf den wertvollen Ak- tenbestand aufmerksam. Es konnte zu diesem Zeitpunkt jedoch nichts zu seiner Sicherung unternommen werden. Erst als die sowjeti- schen Besatzungstruppen 1946 das Schloss verließen, konnten entsprechende Maßnah- men ergriffen werden. Groh stellte in einem Bericht vom März 1947 an das Landeshaupt- archiv fest, dass der Kommodenkasten mit den Trützschlerschen Akten verschwunden war. Angeblich hätte ihn der Bürgermeister von Dorfstadt Hans von Trützschler zuge- Ahnenprobe August Heinrich Trützschler auf Dorfstadt, 18. Jh. (Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv schickt, der inzwischen nach Plauen verzogen Dresden, 10015 Landtag, Nr. 732) sei. 1949 konnte ein Mitarbeiter des Landes- Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 6
Erbvergleich zwischen den Brüdern Trützschler über Dorf- Plan zur Gemeinheitsteilung eines Gemeindegrundstücks in Dorfstadt, 1844–1855 (Sächsisches Staatsarchiv, stadt und Bergen, 1601 (Sächsisches Staatsarchiv, Staats- Staatsarchiv Chemnitz, 30633 Grundherrschaft Dorfstadt, Nr. 923) archiv Chemnitz, 30633 Grundherrschaft Dorfstadt, Nr. 751) hauptarchivs berichten, dass sich das Dorf- viele Prozesse vor dem Oberhofgericht mit und Dorfstadt haben (z. B. Grundsteuer städter Schlossarchiv in einem gesonderten den Untertanen der verschiedenen Trützsch- angelegenheiten), zum Teil aber wohl einfach Schrank im Stadtarchiv Falkenstein befindet. lerschen Rittergüter vorhanden. über die Stadtratstätigkeit von Franz Oswald Vom ehemaligen Stadtarchivar Fritz Groh von Trützschler Freiherr zum Falkenstein und wurden die Unterlagen verzeichnet und nun Neben dem Rittergut Dorfstadt befinden sich seinen Sohn Hans Erik in das Familienarchiv als Bestand „Ritterguts- und Gerichtsherr- besonders zahlreiche Akten zu den Ritter gelangten. schaft Trützschler zu Dorfstadt“ bezeichnet. gütern Oberlauterbach und Falkenstein im 1967 wurde der Bestand an das Staatsarchiv Bestand. Alle drei Rittergüter gehörten durch- Die Überlieferung enthält jedoch nicht nur Dresden abgegeben. Zusammen mit 33 Akten gängig bis 1945 der Familie Trützschler, grenz- Akten des Familienarchivs, sondern auch des der Dorfstädter Patrimonialgerichtsherrschaft ten aneinander und die Besitzer waren immer Patrimonialgerichts Dorfstadt, welche nicht aus der Lagerungsgemeinschaft Amtsgerichte Mitbelehnte an dem jeweilig anderen Besitz. an die Justizbehörden abgegeben worden und Amtshauptmannschaften wurde virtuell Zudem waren sowohl die Gerichtsbarkeit als sind, sondern im Privatbesitz verblieben. Im der Bestand Grundherrschaft Dorfstadt for- auch die Abgaben- und Fronpflichten der Vergleich zu anderen Grundherrschaftsbe- miert. Zwei Jahre später wurden noch einige Untertanen innerhalb der Dörfer im Umfeld ständen sind recht viele Fälle vorhanden, die Unterlagen der ehemaligen Forstrevierverwal- der Rittergüter sehr zersplittert, so dass oft zum Bereich der Strafgerichtsbarkeit gehören, tung Dorfstadt vom Staatsbetrieb Sachsen- zwei oder gar alle drei Rittergüter Anteile an etwa Delikte wie Beleidigung und Körperver- forst abgeben. einem Ort besaßen. In Dorfstadt selbst be- letzung oder außereheliche Beziehungen. saßen Mitte des 18. Jahrhunderts die Ritter- Neben den klassischen Wirtshausschlägereien Trotz des späten Fundes des alten Verzeich- güter Dorfstadt, Falkenstein, Oberlauterbach, stößt man hier auf einige sozialgeschichtlich nisses hat sich die Arbeit gelohnt, da eine er- Mühlberg und Ellefeld Anteile an der Gerichts- besonders interessante Fälle. So zeigte 1792 hebliche Verbesserung der Erschließung des barkeit. Alle fünf Rittergüter waren zu diesem ein Mann die Stiefmutter seiner Enkelkinder umfangreichen Bestandes erreicht werden Zeitpunkt im Besitz der Familie Trützschler. an, da diese ihre Stiefkinder fortwährend konnte. Als Lehre aus den Erschließungsarbei- Neben den schon genannten Rittergütern schlug und misshandelte (Nr. 101). ten bleibt: Immer in den letzten Karton schau- befinden sich auch zu den vogtländischen en, falls bei einem unerschlossenen Bestand Rittergütern Bergen und Mechelgrün (oberer Gerade zusammen mit der Überlieferung keinerlei Abgabeverzeichnisse oder sonstigen Teil) Dokumente im Bestand. Zum Rittergut des Stadtarchivs Falkenstein sowie den ent- Hilfsmittel vorhanden sind. Kleinhermsdorf bei Borna, welches ebenfalls sprechenden Grundherrschaftsbeständen zeitweise im Trützschlerschen Besitz war, gibt (z. B. 30647 Grundherrschaft Falkenstein Insgesamt umfasst der Bestand Unterlagen es ebenfalls einige Unterlagen. Sie betreffen bei Auerbach / V., 30701 Grundherrschaft aus einem Zeitraum von 1502 bis 1945 mit vor allem Jagd- und Grenzstreitigkeiten vor Lauterbach bei Oelsnitz/V.) und den Akten 989 Akteneinheiten. 29 Akteneinheiten frem- dem Oberhofgericht in Leipzig. Zusätzlich des Lehnhofs im Hauptstaatsarchiv Dresden der Provenienz wurden aus dem Bestand he- sind im Familienarchiv der Trützschlers eini- zu den Trützschlerschen Rittergütern bietet rausgelöst und entsprechend ihrer Provenienz ge Akten zu Erb- und Besitzangelegenheiten der Bestand 30633 Grundherrschaft Dorf- anderen Beständen zugeordnet. Es handelt des Ritterguts Schloditz (bei Plauen) aus der stadt wertvolle Quellen zur vogtländischen sich dabei meist um Patrimonialgerichtsakten Mitte des 18. Jahrhunderts überliefert. Dieses Regionalgeschichte und zur Trützschlerschen anderer Grundherrschaften. Thematisch deckt Rittergut gehörte zwar nie der Familie Trütz- Familiengeschichte. die Überlieferung ein breites Spektrum ab. schler, aber Charlotte Erdmuthe von Wolfers- Dominierend sind aber Prozesse, welche die dorff, die 1757 mit dem Besitz belehnt wurde, Carsten Voigt Familie Trützschler vor dem Oberhofgericht war eine geborene Trützschler. (Hauptstaatsarchiv Dresden) in Leipzig führte. Das betrifft Streitigkeiten innerhalb der Familie Trützschler, mit anderen Die Überlieferung zur Familie Trützschler auf Die Erschließungsinformationen des Bestands Adeligen oder mit Behörden. Bei den Ausein- Dorfstadt ist besonders für das 18. Jahrhun- finden Sie online unter folgender Adresse: andersetzungen handelt es sich meist um Erb- dert relativ dicht. Eine Besonderheit des Be- http://www.archiv.sachsen.de/archiv/bestand. und Grenzstreitigkeiten, Schuldforderungen standes sind Akten, die Angelegenheiten der jsp?oid=06.02&bestandid=30633. Sie können sowie Auseinandersetzungen über Jagd- und Stadt Falkenstein betreffen, welche teilweise den Bestand aber auch über die Beständeüber- Waldnutzungsrechte. Darüber hinaus sind einen Bezug zu den Rittergütern Falkenstein sicht oder die Suche unserer Website aufrufen. Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 7
Die Inverlagnahme russischer und sowjetischer Komponisten Archivarbeit – ein Begriff, für den die meisten bestand von Anfang an reger Kontakt und Nun mag es nicht überraschen, dass ein Studierenden nichts als ein müdes Gähnen oder in Leipzig produzierte Noten wurden schon Komponist der UdSSR mit einem Verlag der ein Achselzucken übrig haben. Assoziiert wer- 1953 in deren Katalog aufgeführt. Selbst nach DDR eng zusammenarbeitete, geht man von den damit in der Regel die Adjektive: alt, ver- dem Mauerbau 1961 wurden die Handels der Annahme aus, die beiden Staaten seien staubt, überladen, unübersichtlich, langweilig, beziehungen nach Frankfurt weiter ausgebaut bedingungslose Verbündete gewesen. Wird leblos. Als Studierende*r einer Geisteswissen- und sogar von der Regierung gefördert. Der allerdings Denissows Ruf innerhalb der UdSSR schaft mit historischem Schwerpunkt kommt Petersverlag trug aufgrund seiner internati- berücksichtigt, stellt sich die Frage, warum man jedoch nicht an der Auseinandersetzung onalen Anerkennung einen beachtlichen Teil dieser nicht bis zur Spitze der DDR durchge- mit Archiven vorbei, da neues Wissen nicht zur Exportwirtschaft der DDR im Verlagswe- drungen ist. Beim näheren Blick in die Akten aus der Standardliteratur generiert werden sen bei. Hierbei wird deutlich, dass finanzielle wird ersichtlich, dass der Petersverlag unter kann. Für frische wissenschaftliche Erkennt- Interessen auch in einem angeblich antikapi- der Direktion Bernd Pachnickes geschickt nisse ist es notwendig, sich dem „Mysterium talistischen Staat nicht unbedeutend waren. agierte. Dem Ministerium für Kultur wurde Archiv“ zu stellen. Studiert man in Leipzig, hat sowjetische Musik grundsätzlich als förder- man die Möglichkeit, vor Ort eine Abteilung Die Entwicklung in der Musik in der Sowjet- lich für den Sozialismus verkauft, sodass eine des Sächsischen Staatsarchivs (SächsStA-L) union verlief im dialektischen Wechsel zwi- Inverlagnahme dieser Komponisten keine aufzusuchen. Aufgrund der enormen Musik- schen Repressalien und Liberalisierungen. In weiteren Fragen aufwarf. Argumentiert wurde verlagsbestände besteht seit Jahren eine Ko- den 1930er Jahren wurde der „Sozialistische vor allem mit der „Fortschrittlichkeit“ derarti- operation mit dem Musikwissenschaftlichen Realismus“ als ästhetische Vorgabe für die ger Musik. Bei der Aufstellung einer Statistik Institut der Universität Leipzig. Als historisch Künste formuliert. Die kreativen Köpfe soll- verlegter Werke konnte ich feststellen, dass orientierte Masterstudentin am genannten ten in diesem Sinne Werke schaffen, welche zwar die mit dem sozialistischen Realismus Institut beschloss ich, im Staatsarchiv Leipzig den Sozialismus als Ideal propagieren. Doch verbundenen Komponisten wie die „sowje- ein Forschungspraktikum zu absolvieren, aus das Konzept war von Anfang an brüchig und tischen Klassiker“ Dmitri Schostakowitsch, welchem sich letztendlich die Fragestellung spätestens nach dem Tod Stalins 1953 setz- Sergej Prokofjew und Aram Chatschaturjan für meine Masterarbeit entwickeln sollte. Auf- te das „Tauwetter“ ein, welches den Kompo- mit Abstand am häufigsten verlegt wurden, grund meiner Russischkenntnisse kam schon nisten mehr Freiheiten einräumte. Beim seit allerdings ausschließlich in Form populärer im Vorfeld die Idee auf, mich mit bisher un- 1956 jährlich veranstalteten Musikfestival Massenwerke für Klavier, Taschenpartituren zureichend erschlossenen Akten des Bestands Warschauer Herbst trafen Komponisten aus und kleiner Kammerbesetzungen. Dieses des Musikverlags VEB Edition Peters ausei- Ost und West zum ersten Mal aufeinander. Vorgehen sicherte eine beständige Einnah- nanderzusetzen, welche die Inverlagnahme Viele sowjetische Komponisten wurden da- mequelle und so konnte sich der erfolgrei- russischer und sowjetischer Komponisten zu mals durch diese Begegnung inspiriert, so- che Verlag bedeutenderen Projekten widmen. DDR-Zeiten betreffen. dass sie – im Westen bereits lange etablierte Umfangreiche Sinfonien, Opern, Konzerte – „neue“ Kompositionstechniken aufnahmen. und andere große Werke findet man ab den Ähnlich wie bei den oben erwähnten Assozia Unter dem Begriff „Avantgarde“ wurden die- 1970er Jahren bei jungen Komponisten der tionen mit Archiven rufen die Wörter „DDR“ se Komponisten im Osten diffamiert und im „Avantgarde“. oder „Sowjetunion“ Erinnerungen an die Westen wiederum für eigene Propaganda- Schulzeit hervor, in welcher man einst ge- zwecke gegen die UdSSR missbraucht. Die einzige größere Hürde stellte die 1974 lernt hatte, dass zwischen Ost und West ein gegründete Allunionsagentur zur Wahrung massiver „Eiserner Vorhang“ bestand. Diese Die zentrale Figur war dabei der Komponist der Urheberrechte auf dem Gebiet der Sow- Metapher suggeriert eine strikte Trennung Edison Denissow, welcher als konsequentester jetunion, abgekürzt aus dem Russischen als zweier Weltteile und eine „Abschottung“ des Vertreter der „Avantgarde“ gilt. Die Repres- WAAP, dar. Diese verwaltete die Rechtever- „Ostens“ vom Rest der Welt. Diese dichoto- salien, mit welchen er zu kämpfen hatte, er- gabe sowjetischer Werke an Verlage aus dem me, im gesellschaftlichen Diskurs weit ver- schwerten seinen Schaffensprozess zwar ein Ausland. Verfolgt man die Korrespondenz breitete Sichtweise ist vor allem simpel. Da- wenig, allerdings wurde das Ausmaß durch zwischen dem Verlag und der WAAP, erweist raus ergeben sich zunächst zwei Annahmen: die „Neue Musik“-Szene übertrieben darge- sich die Kommunikation als problematisch. 1. Kontakt zwischen Ost(-Deutschland) und stellt. Seine Karriere florierte im Westen durch Pachnicke verlangte hartnäckig die Weltrech- West(-Deutschland) war nicht oder nur un- den Ruf des „unterdrückten Rebellen“, wo er te für sowjetische Werke, die außerhalb der ter extrem schweren Bedingungen möglich. erfolgreicher wurde als im eigenen Land. Im UdSSR vertrieben werden sollten und wurde 2. Die UdSSR und die DDR hielten zusammen Bestand VEB Edition Peters des Staatsarchivs von der WAAP immer wieder hingehalten, wie Pech und Schwefel. Leipzig sind mehrere Korrespondenzmappen bis schließlich herauskam, dass die Rechte zu Denissow erhalten. Der Briefwechsel zeugt an Hans Sikorski verkauft worden waren – Setzt man sich nun mit der Geschichte des nicht nur von geschäftlichen Absprachen zur einen Hamburger Verlag. Über die Gründe für in Leipzig ansässigen Petersverlags auseinan- Inverlagnahme seiner Kompositionen und dieses Vorgehen der WAAP kann nur speku- der, kann bereits die erste Annahme wider- sogar Auftragswerken, sondern auch von ei- liert werden; es ist jedoch wahrscheinlich, legt werden: Mit der 1950 in Frankfurt/Main nem ausgesprochen freundschaftlichen und dass finanzielle Interessen dahinter steck- gegründeten Niederlassung von C. F. Peters persönlichen Ton. ten. Ein Verlag aus Westdeutschland brachte Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 8
Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, 21109 VEB Edition Peters, Leipzig, Nr. 3431 schlichtweg mehr Geld ein. Die Unklarheiten Die gescheiterte Kommunikation sorgte bei ner Zeiten geht. Der „Eiserne Vorhang“ offen bezüglich der Rechtsfragen dauerten noch Pachnicke für Frustration. So formulierte er bart sich in diesem Beispiel als ausgesprochen bis in die späten 1980er Jahre an. Nach einem am 21. Mai 1976 einen kritischen Brief [s. Ab- löchrig, was das gängige Geschichtsbild in gegen Pachnicke geführten Gerichtsprozess bildung] an Julia Gaidukowa von der WAAP, Frage stellt. Verstaubt ist eher der gesell- in anderer Sache fand die WAAP in ihm einen der jedoch nie abgeschickt wurde – vermutlich schaftliche Diskurs – vor allem in den Lehr- perfekten Sündenbock, ebenso in Denissow. aus diplomatischen Gründen, um die ohnehin plänen der allgemeinbildenden Schulen – und Es wurde unterstellt, der Komponist habe der spannungsgeladene Beziehung zur WAAP nicht die Archive, aus denen noch einiges an Edition Peters Werke angeboten, die von der nicht endgültig eskalieren zu lassen. Leben herauszuholen ist. WAAP nicht freigegeben waren. Der Brief- wechsel jedoch belegt, dass Denissow den Das Archiv erweist sich durch derartige For- Elisabeth Posnjakow Verlag immer wieder auf Absprachen mit der schung als eine wahre Schatzkammer, wenn (Universität Leipzig, WAAP hinwies. es um den Einblick in Lebenswelten vergange- Institut für Musikwissenschaft) Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 9
Forstakten – wichtige Quellen für den Vermessungstechniker Teil 1 graphischen Katasternachweise. Für den Ver- Prozent nicht überstieg. Überschritt die Dif- messer ist hierbei auch die Kenntnis über die ferenz 3 1/3 Prozent, wurde die Vermessung Informationen über bestimmte Sachverhalte Ursprünge des überlieferten Vermessungs der entsprechenden Vermessungsabschnitte werden oftmals nicht in den Archivalien materials und deren entstehungsgeschicht- wiederholt. Dies ist ein deutlicher Beleg für gefunden, wo sie eigentlich enthalten sein liche Zusammenhänge von Bedeutung, da die Genauigkeit, mit der die Flurkarten ge- müssten. Sei es, dass die Angaben in den es sonst zu falschen Interpretationen von zeichnet wurden. Für das Aufnahmeverfah- entsprechenden Dokumenten nicht vermerkt Abweichungen zwischen den örtlichen Ge- ren war allein der Zweck der Katastrierung, wurden oder aber durch den Verlust von Un- gebenheiten und grafisch ermittelten Maßen und zwar die Ermittlung der Flächeninhalte für terlagen die Information verloren ging. In kommen kann. die Steuererhebung, von Bedeutung. Eine al- solchen Fällen kann nur durch eine Recher- ternative Weiternutzung der Messtischblätter che in alternativen Quellen versucht werden, In den Jahren 1835 bis 1841 wurde in Sachsen war nicht beabsichtigt. Daher wurde auf den die Lücke zu füllen. Ein interessanter Fall ist zwecks Einführung eines neuen Grundsteuer- Flurkarten auch nur das eingezeichnet, was in diesem Zusammenhang die Überlieferung systems eine allgemeine Landesvermessung für die Parzellenflächenberechnung und die von Grenzverhältnissen in den Katasterunter- durchgeführt. Das geschah unter Aufsicht der Steuerermittlung unbedingt notwendig war. lagen. Da das Zahlenwerk der Landesvermes- am 7. März 1835 errichteten „Königlichen Zen- Die Katasterkarten enthalten die Bezeichnung sung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts tralkommission zur Vorbereitung eines neuen der Gemarkung, die Flurstücksnummer, den nicht überliefert ist und die Katasterkarten Grundsteuersystems“, die dem Finanzministe- Parzellengrundriss, und in der Regel wird (Vermessungsrisse) nicht all die Angaben rium unterstellt war. Diese Landesvermessung auch der Maßstab genannt. Es wurden keine enthalten, die ein Vermesser für seine Arbeit bestand grundsätzlich aus zwei unabhängig Grenzsteinnummern eingetragen und ebenso benötigt, besteht die Notwendigkeit einer voneinander ausgeführten Vermessungs- wenig die Steinbreiten, also die Entfernung Recherche nach Ersatzunterlagen. In diesem maßnahmen. Von den Detailgeodäten wurde zweier benachbarter Grenzsteine voneinander. Beitrag wird auf Archivalien hingewiesen, die die Detailaufnahme durchgeführt und durch Das sind aber gerade die Zahlenangaben, die vermessungstechnische Informationen über Flurgrenzgeodäten erfolgte die Flurgrenz- der Vermesser heute für seine Arbeit dringend Gemarkungsgrenzen enthalten, aber in Be- aufnahme. Durch die Detailaufnahme sind benötigt. Mit dem Gesetz zur „Einführung ei- ständen von Forstbehörden überliefert sind. die Flächeninhalte der einzelnen Flurstü- nes neuen Grundsteuersystems“ vom 9. Sep- cke für die spätere Bonitierung vermessen tember 1843 wurde die neue Grundsteuer Die rechtmäßige Grenze eines Flurstücks wird worden. Die Flurgrenzaufnahme wurde nur eingeführt. Das Gesetz schrieb vor, dass für in der Regel im graphischen, numerischen und durchgeführt, um die bei der Detailaufnah- jeden Flurbezirk neben dem Flurbuch ein Ka- registrativen Teil des Liegenschaftskatasters me ermittelten Maße durch die Berechnung taster aufzustellen sei. Grundlage für künftige nachgewiesen. Im Laufe der Zeit sind infolge des Gesamtflächeninhaltes zu kontrollieren. Zergliederungen und der damit verbundenen von Flächenveränderungen bestimmte Ab- Der Vergleich wurde von der Zentralkommis- Fortführung der Messtischblätter bildete das schnitte von Gemeindeflurgrenzen zum Teil sion vorgenommen, die die Vermessung als Gesetz vom 30. November 1843. Die ehemals mehr oder weniger unkenntlich geworden. richtig anerkannte, wenn die Differenz 3 1/3 nur als Grundlage für die Flächenberechnung Eigentumsprobleme bei Grund und Boden, auch Unklarheiten über Flurstücksgrenzen, die oft mit der Bodennutzung zu DDR-Zeiten zusammenhängen, verhindern den Grund- stücksverkehr und behindern die Ansiedlung von Investoren. Lässt sich eine Flurgrenze nach dem Liegenschaftskataster nicht wie- derherstellen, erfolgt eine Grenzfeststellung unter Beteiligung der Grundstückseigen- tümer. Kann eine bestehende Grenze nicht festgestellt werden und bleibt „streitig“, weil die Beteiligten sich nicht einigen, macht sich eine vermessungstechnische Grenzermittlung der Flurgrenze durch die öffentlich bestell- ten Vermessungsingenieure erforderlich. In der Katastervermessungsvorschrift wird der Vermessungstechniker angewiesen, Wider sprüche im Katasternachweis durch sachge- mäße Auswertung aller Unterlagen zu klären. Das bezieht auch die aus dem 19. Jahrhundert überlieferten Katasterunterlagen mit ein. Die Ausschnitt aus der Flurkarte der Gemarkung Langebrück, 1865 (Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Grenzermittlung stützt sich vor allem auf die Dresden, 13657 Katasterkarten, Nr. B 442) Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 10
Die Spezialkarten enthalten eine Gesamtüber- sicht des Forstreviers. Eingezeichnet wurden die forstlichen Außengrenzen mit allen Grenz- zeichen sowie die Sektions- bzw. Abteilungs- grenzen. Die Spezialkarten waren aber wegen ihres unhandlichen Formates während der Arbeit im Gelände, z. B. bei den Forstgrenz- revisionen, praktisch schlecht verwendbar. Darum wurde die Spezialkarte in Sektionen eingeteilt und wurden davon Sektionsblätter angefertigt. Die Sektionskarten, oder auch Forstkartenblätter genannt, sind also Kopien der Spezialkarte entlang ihrer Außengrenze. Gezeichnet wurden die Karten im Maßstab 1: 4 853 1/3 bzw. bei Neuaufnahmen im Maßstab 1: 5 000. Da die Grenzzeichennum- merierung auf den Karten enthalten ist, lässt sich die Zugehörigkeit der im Gelände vor- handenen Grenzsteine zur Forstkarte feststel- Ausschnitt aus der Spezialkarte des Forstreviers Langebrück, o. D. (SächsStA-D,10859 Forsteinrichtungsamt, len. Die Abstände der einzelnen Grenzsteine Reihe A, Mappe 26/1) zueinander (Steinbreiten) sind in die Karten nicht eingezeichnet worden. Weshalb diese erstellten Messtischblätter erlangten so- sammenhang eine zahlenmäßige sowie auch nicht mit eingetragen wurden, darüber ist in mit im Nachhinein für die Fortführung des graphische Grenzdokumentation angelegt, die einer Akte der Oberforstmeisterei Bärenfels Katasters eine enorme Bedeutung. Was die nahezu lückenlos überliefert ist. eine Begründung überliefert. Am 28. Februar Verwahrung der Karten der Flurgrenzaufnah- 1858 wendet sich der Oberforstmeister von me betrifft, so wurde in der Anweisung zur Bis 1809 hat die Forstvermessung in Sach- Klotz in seinem Hauptjahresbericht mit der Führung der Grundsteuerbücher festgelegt: sen der Hauptmann des Ingenieurkorps Carl Frage an die Direktion der Forstvermessung, „Die Flurkarten (Menselblätter, Koordinaten- Friedrich Schelling geleitet. Im Jahre 1811 ob es als zweckmäßig anzusehen sei, bei der aufnahmen der Steuervermessung) werden übernahm der Forstrat Heinrich Cotta die Herstellung der Sektionskarten die Grenz nebst den zugehörigen Messungshandrissen Direktion der Forstvermessung. Speziell für maße, damit waren die Abstände zwischen und Rechnungsnachweisen beim Zentral die Durchführung der Vermessung und Kar- den Grenzsteinen gemeint, mit in die Karten büro für Steuervermessung aufbewahrt.“ Das tierung der königlichen Waldungen wurde aufzunehmen. Ihm wird von Seiten der Di- Zentralbüro für Steuervermessung (ab 1918 im Jahre 1812 die Forstvermessungsanstalt rektion mitgeteilt: „Was die […] Frage betrifft, Landesvermessungsamt) hatte seine Dienst- (später in Forsteinrichtungsamt umbenannt) ob es für zweckmäßig zu erachten sei, bei der räume im Finanzministerialgebäude, das am gegründet. Abgeschlossen wurde die Vermes- Erneuerung der Specialkarten die Grenzmaße 13. Februar 1945 völlig zerstört wurde. Die sung der sächsischen Wälder im Jahre 1831. auf diesen selbst anzuschreiben, so erlaubt darüber hinaus überlieferten Karten der De- Bei den Forstvermessungsarbeiten sind die sich die Direktion hierüber Folgendes zu be- tailvermessung sind heute in dem im Haupt- bis dahin vorhandenen Karten der Landes- denken. Das Anschreiben der Grenzmaße auf staatsarchiv Dresden verwahrten Bestand vermessung nicht mit einbezogen worden. In den Specialkarten kann dieselbe nicht für an- 13657 Katasterkarten enthalten. seinem Vortrag vom 19. Februar 1810 weist gemessen, öfters nicht einmal für ausführbar der Kabinetts-Sekretär Johann Kriebitzsch erachten. Häufig ist nämlich bei dem kleinen Bei Grenzermittlungsverfahren sind neben den ausdrücklich darauf hin: „Von den Karten Maßstabe, welcher den Forstvermessungen zu zentralen Ortslagen auch die am Rande der der Landesvermessung sei, nach Schellings Grunde liegt, der Raum zwischen den Grenz- Gemarkung liegenden Feld- und Waldlagen Gutachten, bei der Forstvermessung kein punkten gar nicht ausreichend, um die aus des Gemeindegebietes von Bedeutung. Somit Gebrauch zu machen.“ Ruthen, Füßen und Zollen, mithin aus we- fällt meist ein hoher Prozentsatz der Verfah- nigstens drei Ziffern bestehenden Grenzmaße rensgebietsgrenze mit den Gemarkungs- Die Forstgrenzkarten sollten unterschiedli- deutlich anbringen zu können, es leidet ferner grenzen zusammen. Aufgrund des geringen chen Zwecken dienen. Sie sollten die Grenzen durch das Anschreiben der Zahlen die Deut- Grundstücksverkehrs an den Ortsrändern sind richtig darstellen und den Revierverwalter lichkeit der Karten und durch das Nachbrin- kaum Grenzveränderungen eingetreten und in den Stand versetzen, undeutlich gewor- gen von Grenzveränderungen, die […] zu viel daher auch nur sehr wenig Zahlennachweise dene Grenzlinien wieder herzustellen sowie fachen Rasuren führen, welche letztere auch entstanden. Für den Vermessungstechniker verloren gegangene Grenzpunkte wieder die Dauer der Karten beeinträchtigen würden.“ bietet sich hier alternativ die Nutzung von aufzufinden. Da unterschiedliche Ansprüche Neben den Grenzkarten ist in den Beständen Akten und Karten aus den Beständen der an die Karten auch das Zeichnen der Karten der Forstbehörden auch ein umfangreiches Forstverwaltungseinrichtungen an. Über- in unterschiedlichen Maßstäben erforderte, Zahlenwerk über die Grenzvermessung über- wiegend grenzen Gemeindegemarkungen an wurden separat zu den forstwirtschaftlichen liefert. Forstreviere und haben daher abschnittwei- Karten zwei Arten an Forstgrenzkarten ange- se mit den Forstarealen einen gemeinsamen fertigt. Es handelt sich hierbei um die Spe- Gunter Biele Grenzverlauf. Von Seiten der Forstbehörden zialkarten und die Sektionskarten, die heute (Hauptstaatsarchiv Dresden) wurde an den Außengrenzen eine permanente im Hauptstaatsarchiv Dresden im Bestand Grenzpflege durchgeführt und in diesem Zu- 10859 Forsteinrichtungsamt überliefert sind. (Der Beitrag wird fortgesetzt.) Sächsisches Archivblatt Heft 2-2017 | 11
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