Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern e. V - Band 27 - Symposium
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Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern e. V. Band 27 Symposium des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V. und der Bayerischen Akademie für Jagd und Natur Jagd und Tierschutz 3. Juli 2019 in Grub bei München
Impressum: Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e. V. Band 27 3. Symposium „Jagd und Tierschutz“ Landesjagdverband Bayern – Bayerischer Jagdverband e. V., Hohenlindner Str. 12, 85622 Feldkirchen Schriftleitung: Dr. Joachim Reddemann, Hauptgeschäftsführer des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e. V. Gestaltung: Michael Berwanger/Tausendblauwerk, Dachau Druck: bonitasprint, Würzburg Titelbild: Reinhard Siegel / Piclease Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Eine Verviel- fältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der Fassung vom 13. September 2003 zulässig. ISBN-Nr.: 978-3-9819514-4-8
Symposium des Bayerischen Jagdverbandes und der Bayerischen Akademie für Tierschutz, Umwelt- und Jagdwissenschaften Jagd und Tierschutz 3. Juli 2019 in Grub bei München Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V. Band 27 Schriftleitung: Dr. Joachim Reddemann
Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e. V. herausgegeben vom Landesjagdverband Bayern – Bayerischer Jagdverband e. V. im Auftrag von Thomas Schreder, Vizepräsident des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e. V. und Mechtild Michaela Maurer, Landesschatzmeisterin im Landesjagdverband Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V. mit finanzieller Förderung durch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aus Mitteln der Jagdabgabe
Herausgeber und Verfasser Unter Schriftleitung von Dr. Joachim Reddemann Hauptgeschäftsführer des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e. V. mit Beiträgen von Prof. Dr. rer. nat. Walter Arnold Veterinärmedizinische Universität Wien Wien (A) Dr. Josef Bauer Leitender Landwirtschaftsdirektor a. D. Landshut (D) Univ. Doz. Dr. med. vet. Armin Deutz Sachverständiger für Veterinärwesen, Jagd, Fütterung, Tierschutz, Tierhaltung, Milch und Milchprodukte, Wildbret St. Lambrecht (A) Gerhard Gruber RUAG Ammotec GmbH Fürth (D) Steffen Guber Rechtsanwalt Berlin (D) Prof. Dr. forest. Dr. med. Sven Herzog Dozentur für Wildökologie u. Jagdwirtschaft, TU Dresden Tharandt (D) Dr. Matthias Müller Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit Erlangen (D) wHR Prof. Dr. med. vet. Rudolf Winkelmayer Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e. V. Pachfurth (A) 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 5
Inhalt Vorwort: „Waidgerechte Jagd verwirklicht den Tierschutzgedanken“ Thorsten Glauber, MdL Bayerischer Staatsminister für Umwelt und Verbraucherschutz 9 Vorwort: „Tierschutz bei der Jagd – unverzichtbar und verpflichtend“ Alexander Flierl, MdL BJV-Regierungsbezirksvorsitzender der Oberpfalz, zuständiges Präsidiumsmitglied für den Ausschuss Wildkrankheiten, Wildernährung, Tierschutz 11 Vorwort: „Tierschutz ist im sozial-ethischen Verständnis der Gesellschaft tief verankert“ Dr. med. vet. Armin Gangl Vorsitzender BJV-Fachausschuss „Wildkrankheiten, Wildernährung und Tierschutz“ 13 Vorwort: „Verantwortungsvolles Jagen berücksichtigt stets den Tierschutz“ Dr. Joachim Reddemann Hauptgeschäftsführer des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e. V. 14 Fachbeiträge Tierschutz im Lichte jagdlicher Nachhaltigkeit Prof. Dr. Dr. Sven Herzog 19 Diagnostik von Wildkrankheiten – ein wichtiger Beitrag zum Tierschutz Dr. Matthias Müller 29 Angewandte Ethik auf der Jagd Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer 35 Umfang tierschutzrechtlicher Handlungspflichten des Jagdausübungsberechtigten bei schwer verletzten wildlebenden Tieren RA Steffen Guber 43 Moderne Jagdzeiten – effiziente Regulation mit Rücksicht auf die saisonale Physiologie des Wildes Prof. Dr. Walter Arnold 57 Notzeitfütterung – dargestellt am Reh Dr. Josef Bauer 65 Fütterungshygiene und fütterungsbedingte Krankheiten Dr. Armin Deutz 71 Tötungswirkung von Jagdmunition Gerhard Gruber 79 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 7
Vorwort „Waidgerechte Jagd verwirklicht den Tierschutzgedanken“ Staatsminister Thorsten Glauber, MdL Liebe Jägerinnen und Jäger! Die gesellschaftliche Debatte um das Thema Jagd und Tierschutz reißt nicht ab. Immer wieder werden Jagd und Tierschutz als Gegensätze bezeichnet. Umso mehr ist zu begrüßen, dass die bayerische Jägerschaft sich dieser Debatte sach- lich und offen stellt und sich auch mit gewandelten gesellschaftlichen Erwar- tungen und Sichtweisen konstruktiv auseinandersetzt. Das 3. Symposium „Jagd und Tierschutz“ hat dafür ein wertvolles Forum geboten, für das ich gerne die Schirmherrschaft übernommen habe. Der BJV zeigt hier, dass die bayerische Jägerschaft zu dem hohen Stellenwert steht, der dem Tierschutz in unserer Gesellschaft generell und insbesondere bei der Jagd zukommt! Für mich als Umwelt- und Tierschutzminister ist die waidgerechte Jagdaus- übung seit jeher ein wichtiger Baustein für erfolgreichen Natur- und Tierschutz im Wald. Jägerinnen und Jäger erhalten den Lebensraum der Wildtiere. Sie re- gulieren die Populationen bei Reh, Hirsch und Wildschwein und tragen so dazu bei, Schäl- und Verbissschäden zu vermindern – alles Leistungen, die dem Öko- system Wald zugutekommen! „Nebenbei“ produzieren sie hochwertige regio- nale Lebensmittel – von Tieren, die ein Leben in freier Wildbahn genießen durf- ten. Artgerechter geht es kaum! Als Minister für Lebensmittelsicherheit treibt mich dabei freilich die Frage nach der bleihaltigen Munition um. Einerseits soll der Schuss sicher wirken, das Tier nicht leiden. Andererseits sind Bleirückstände im feinen Wildbret eine gesundheitlich höchst unerwünschte Zutat. Weniger Blei bei weiterhin sicherer Wirkung muss daher die Devise sein – gestützt auf valide wissenschaftliche Erkenntnis! Auch die übrigen Leistungen waidgerechter Jagdausübung in Sachen Tier- schutz können sich sehen lassen. Ich nenne die jagdliche Erlösung kranker, ver- letzter oder verunglückter Tiere; wertvolle Verdienste um den Schutz von Wild- tieren erwirbt sich die Jägerschaft auch mit ihrem engagierten Einsatz gegen den „Mähtod“ auf unseren Feldern oder mit der Fütterung in Notzeiten. Und, nicht zuletzt, leisten unsere Jägerinnen und Jäger einen wichtigen Beitrag zur effektiven Bekämpfung von Tierkrankheiten und Tierseuchen. Das Wissen um Tierkrankheiten und der richtige Umgang mit ihnen schützt Wild- und Nutztiere und auch uns Menschen! Dazu gehört die Früherkennung durch Beprobung von Fallwild, der professionelle Umgang mit Fallwild, um die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern, und im Ernstfall auch eine verstärkte Bejagung wie zu- letzt der Wildschweine zur Verhütung der Afrikanischen Schweinepest. Für die wertvolle Unterstützung beim Kampf gegen die ASP bin ich den bayerischen Jägerinnen und Jägern verbunden, ebenso dem BJV für die Auszahlung der Prämien! 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 9
Vorwort Mit alledem sind die bayerischen Jägerinnen und Jäger wichtige Partner in Sachen Tierschutz und Nachhaltigkeit. Sie leisten einen bedeutenden Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität in Bayern und sind wertvolle Helfer, wenn es um die Eindämmung von Tierseuchen geht. Dafür sage ich Ihnen allen meinen herzlichen Dank! Als Minister für die Artenvielfalt bin ich der bayerischen Jägerschaft eben- so dankbar für die klare Positionierung gegen die illegale Tötung geschützter Wildtiere. Hier geht es nicht um „Wilderer-Romantik“, sondern schlicht und einfach um kriminelles Handeln, dem wir entschieden die Stirn bieten müssen. Lassen Sie uns in diesem Sinne auch weiterhin gemeinsam eintreten für ein gesundes Ökosystem Wald, für gesunde Wildtiere und eine reiche Artenvielfalt! Herzliche Grüße Thorsten Glauber, MdL Bayerischer Staatsminister für Umwelt und Verbraucherschutz Seite 10 I Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V.
Vorwort Tierschutz bei der Jagd – unverzichtbar und verpflichtend Alexander Flierl, MdL N icht erst seit der Tierschutz 1998 als Staatsziel in die Bayerische Ver- fassung eingefügt wurde und die Bundesrepublik Deutschland mit der Änderung von Art. 20 a des Grundgesetzes vier Jahre später nachzog, diskutiert die Gesellschaft die Frage des verantwortungsvollen Umgangs der Menschen mit den Tieren. Dabei formuliert Art. 141 Abs. 1 S. 2 der Bayerischen Verfassung treffend das Verhältnis und die Beziehung zu den Tieren: „Tiere werden als Lebewesen und Mitgeschöpfe geachtet und geschützt.“ Diese ver- fassungsrechtliche Wertentscheidung und Wertung hat der Gesetzgeber zu beachten und bindet die Verwaltung, vor allem bei der Auslegung und Anwen- dung des geltenden Rechts. Neben der formaljuristischen Bedeutung des Tierschutzes ist mit der eindeu- tigen Einordnung der Tiere als Mitgeschöpfe eine moralisch-ethische Verpflich- tung verbunden. Für uns Jägerinnen und Jäger nichts Neues, seit jeher ist der Tierschutz elementar und entscheidend für das jagdliche Handeln. Die wesent- lichen Aspekte finden sich bereits in dem 1880 erschienenen Gedicht „Waid- mannsheil“ von Oskar v. Riesenthal: Das ist des Jägers Ehrenschild, daß er beschützt und hegt sein Wild, waidmännisch jagt, wie sich’s gehört, den Schöpfer im Geschöpfe ehrt. Das Kriegsgeschoß der Haß regiert, Die Lieb’ zum Wild den Stutzen führt: Drum denk’ bei Deinem täglich Brot Ob auch Dein Wild nicht leidet Noth? Behüt’s vor Mensch und Thier zumal! Verkürze ihm die Todesqual! Sei außen rauh, doch innen mild, Dann bleibet blank Dein Ehrenschild! Achtung des Wildes, Hege, sauberes, schnelles Erlegen, der Schutz vor Wilde- rern, Futternot und Wildseuchen sind wichtige Gesichtspunkte des Tierschutzes und der Waidgerechtigkeit; ein Begriff der keinesfalls antiquiert, sondern damit moderner denn je ist. Das 3. Tierschutzsymposium trägt dem Rechnung mit fundierten Vorträgen versierter Referenten zu allen Aspekten des Tierschutzes bei der Jagd. Die Bei- träge besitzen eine deutliche Signalwirkung in die Jägerschaft hinein mit wich- tigen Erkenntnissen für die Jagdausübung und setzen wertvolle Impulse nach außen in die Gesellschaft für die anstehenden politischen Diskussionen und – sicher nicht ausbleibenden – Auseinandersetzungen um die Jagd. 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 11
Vorwort Diesen gesellschaftlichen Diskurs werden wir nur bestehen können, wenn der Tierschutz weiter zentralen Raum im jägerischen Handeln einnimmt und eingehalten wird. Tierschutz war, ist und bleibt daher für alle Waidmänner und -frauen unver- zichtbar bei unserem Tun und verpflichtet uns – insbesondere dem Wild gegen- über. Gerade denjenigen ist dies entgegenzuhalten, die die Jagd ablehnen und nur auf das Töten von Tieren reduzieren (wollen). Mit Waidmannsheil Ihr Alexander Flierl, MdL BJV-Regierungsbezirksvorsitzender der Oberpfalz, zuständiges Präsidiumsmitglied für den Ausschuss Wildkrankheiten, Wildernährung, Tierschutz Seite 12 I Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V.
Vorwort „Tierschutz ist im sozial-ethischen Verständnis der Gesellschaft tief verankert“ Dr. Armin Gangl D er Wandel der Zeit bringt selbstverständlich viele Änderungen alt her- gebrachter Überzeugungen und Einstellungen mit sich. Einem stetigen Wandlungsprozess sind beispielsweise die Mensch-Tier-Beziehungen unterworfen. Aus reinen „Nutztieren“ sind bis heute Mitgeschöpfe geworden. Ihr Schutz ist im sozial-ethischen Verständnis der Gesellschaft tief verankert, und ungeachtet der Tatsache, dass Tierschutz polarisiert, ist er zu „Jedermann’s Sache“ geworden. Die Berührungspunkte zum Tierschutz sind dabei für unterschiedliche Bevöl- kerungsgruppen ganz verschieden. Aber alle Personen, die Tiere nutzen oder in deren Obhut sich Tiere befinden, sind dem Tierschutz verpflichtet. Das gilt auch für die Jägerschaft. Der verantwortungsvolle und tiergerechte Umgang mit Tie- ren betrifft sowohl „unsere“ Wildtiere im Sinne der Hege und der Nutzung als auch unsere „tierischen“ Jagdhelfer. Obwohl uns allen bewusst ist, dass Jagd und Tierschutz untrennbar miteinander verbunden sind, gibt es noch viele Themenbereiche, die beleuchtet und diskutiert werden müssen. Inwieweit kön- nen wir nachhaltig jagen ohne Tierschutzaspekte aus den Augen zu verlieren? Inwieweit ist die Jagd noch zeitgemäß und ist sie mit den heutigen Vorstellung von Tierschutz und Tierethik vereinbar? Wie sehen moderne Jagdzeiten aus, wie füttern wir Tiere tierschutzkonform? Um auf diese und einige weitere Fragen Antworten geben zu können, sind auch im Jahr 2019 namhafte Fachleute auf Einladung des BJV in Grub bei München zu einem „Tierschutz-Symposium“ zusammengekommen. Die Vor- träge im Rahmen dieses 3. Symposiums „Jagd und Tierschutz“ hatten dem interessierten Hörerkreis Wissen transferiert und die Grundlage für angeregte Diskussionen geliefert. Alle Vorträge der Veranstaltung können nun über die in diesem Band der Schriftenreihe abgedruckten Beiträge „nachgelesen“ werden. Die Organisatoren bedanken sich bei allen Beteiligten und wünschen den Lesern der Schriftenreihe des Landesjagdverbandes viel Vergnügen. Dr. med. vet. Armin Gangl Vorsitzender BJV-Fachausschuss „Wildkrankheiten, Wildernährung und Tierschutz“ 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 13
Vorwort „Verantwortungsvolles Jagen berücksichtigt stets den Tierschutz“ Dr. Joachim Reddemann D er Bayerische Jagdverband sieht es als seine Aufgabe an, aktuelle Ent- wicklungen in Sachen Tierschutz zu verfolgen, zu bewerten und diese selbstverständlich auch der Jägerschaft zu kommunizieren. Deshalb hat er im vergangenen Jahr zum 3. Tierschutzsymposium eingeladen und konnte erneut zahlreiche Experten begrüßen. Für uns Jäger ist Tierschutz Gesetz und wir haben eine besonders große Verantwortung gegenüber allen Wildtieren, und dabei geht es nicht nur um das Bewahren, sondern eben gerade auch um das tierschutzgerechte Töten. Die Jagd steht vor einer Reihe ethischer Herausforderungen wie schwindende Wildtierlebensräume, technische Entwicklungen, Hundeausbildung oder Jagd- schutz. Wir Jäger verstehen uns als Anwälte des Wildes und wir müssen auch als solche tätig werden und uns präsentieren. In der Kritik bei der Jagdausübung stehen insbesondere Drück-Stöber-Jagden sowie die Nachtjagd. Professor Herzog widmet sich in seinem Beitrag diesem Thema und hebt hervor, dass insbesondere schlecht vorbereitete Bewegungs- jagden oft nicht den Gedanken des Tierschutzes ausreichend berücksichtigen. So sollte bei Bewegungsjagden grundsätzlich geprüft werden, welches Wild freigegeben ist. Außerdem muss bei der Auswahl der Schützen auf Disziplin und Erfahrung Wert gelegt wird. Der gleichen Meinung ist auch Professor Winkelmayer. Er hebt hervor, dass die Jäger in der Gesamtbevölkerung eine verschwindend kleine Minderheit sind und daher zum Akzeptanzerhalt ethische Aspekte berücksichtigt werden müs- sen. Tierschutz geht nach Winkelmayer vom Individualtierschutz aus. Und In- dividualtierschutz geht vor Artenschutz. Das heißt, es zählt nur, was in diesem Moment für das einzelne Tier am besten ist, und nicht, ob die Art erhalten bleibt oder nicht. Unter diesem Aspekt sind insbesondere gewisse Jagdarten und Jagdzeiten auf Raubwild zu bewerten. Eine deutliche Verkürzung der Jagd- zeiten empfiehlt Professor Arnold von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Besonders im Winter brauchen die Tiere Ruhe. Spätestens ab Weihnach- ten sollte die Jagd ruhen, da die Tiere in der kalten Jahreszeit ihren Stoffwechsel herunterfahren. Mit dem Thema Notzeitfütterung von Wildtieren befassen sich zwei Vorträ- ge. Dr. Armin Deutz, Amtstierarzt aus Murau in Österreich, zeigt anschaulich, was für gravierende Folgen es haben kann, wenn die Fütterungshygiene nicht streng beachtet wird, und wie fütterungsbedingte Krankheiten entstehen. Und Dr. Josef Bauer, Leitender Landwirtschaftsdirektor a. D. und ehemaliger langjäh- riger Vorsitzender des BJV-Ausschusses Wildkrankheiten, Wildernährung und Tierschutz, stellt die Notzeitfütterung am Beispiel des Rehwildes dar. Was ist aber unter Notzeit zu verstehen? Und wann tritt sie ein? Seite 14 I Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V.
Vorwort Veterinärdirektor Dr. Matthias Müller vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) Nord geht in seinem Vortrag auf die Diagnostik von Wildkrankheiten ein, die ebenso einen wichtigen Beitrag zum Tierschutz darstellt. Er stellt die einzelnen Monitoring-Programme vor und zeigt, anhand welcher Symptome Schweinepest, Aujeszky, Tuberkulose, Tularämie oder Bru- cellose bei Wildtieren zu erkennen sind, wie diese Krankheiten übertragen wer- den, und wie vorgebeugt werden kann. Tierschutzgesichtspunkte sind auch bei der Auswahl der geeigneten Ge- schosse wichtig. Diesem Thema widmet sich Gerhard Gruber von der RUAG. Bereits seit etlichen Jahren beschäftigt sich die Forschung mit Alternativen zur bleihaltigen Büchsenmunition. Diese sind aber laut Gruber bisher sehr über- schaubar, da alternative Materialien hinsichtlich erforderlicher Energie, Härte und Dichte im Vergleich zu Blei durchwegs schlechter abschneiden. Von der rechtlichen Seite betrachtet den Tierschutz Rechtsanwalt Steffen Guber aus Berlin, der den Umfang rechtlicher Handlungspflichten des Jagd- ausübungsberechtigten bei schwerverletzten wildlebenden Tieren in den Fokus nimmt. In der Ihnen vorliegenden Ausgabe der Schriftenreihe finden Sie eine Zu- sammenstellung der Referentenbeiträge vom Symposium. Ich hoffe, dass Sie mit diesem Tagungsband viele neue Eindrücke gewinnen können und wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Feldkirchen, Mai 2020 Dr. Joachim Reddemann Hauptgeschäftsführer des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V. 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 15
Seite 16 I Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V.
Fachbeiträge FOTO: GÖTZ ELLWANGER / PICLEASE 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 17
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Tierschutz im Lichte jagdlicher Nachhaltigkeit Prof. Dr. Dr. Sven Herzog 1. Einleitung finden sich viele Produkte tierischen Ursprungs in der Volks- und Naturheilkunde, die häufig nicht Die Einstellung zum Tier in einer Gesellschaft ist evidenzbasiert und damit bezüglich der Wirksam- unter anderem abhängig vom historischen, sozi- keit der verwendeten Substanzen als fragwürdig alen oder religiösen Hintergrund der jeweiligen bezeichnet werden muss. Epoche und den ebenfalls damit zusammenhän- genden gesellschaftlichen, insbesondere ethi- Die Nutzung des Felles, etwa als Kleidung, ist von schen Normen. vielen (aber keineswegs von allen) Menschen eben- falls noch akzeptiert. Die Kampagnen der 1970er Die Geschichte des Tierschutzes, also letztlich Jahre gegen das Tragen von Pelzen wildlebender Tie- der Sorge für und um das Wohl der Tiere, währt re, die wenige bzw. fragliche Erfolge im Artenschutz bereits lange und beginnt bei den griechischen mit sich brachten, aber zu großen Tierschutzproble- Philosophen, wurde im Mittelalter immer wieder men (Pelztierfarmen) führten, beginnen im kollekti- aufgegriffen (der Heilige Franziskus von Assisi ist ven Gedächtnis langsam zu verblassen. hier sicher das prominenteste Beispiel) und entwi- ckelte mit der Epoche der Aufklärung die grund- Handelt es sich nur um die Haut eines Tieres legenden Gedanken, die bis heute das fachliche ohne Fell, etwa im Falle der Lederjacke, so ist die und ethische Konzept des Tierschutzes bestim- Akzeptanz deutlich größer. men. Strittig ist auch die Frage, ob und unter welchen In unserer Gesellschaft ist es eine weitestgehend Bedingungen der Schutz anderer (Haus- oder anerkannte ethische Norm, andere (zumindest Wild-)Tiere oder der Schutz der Vegetation das empfindungsfähige) Lebwesen nicht ohne ver- Töten rechtfertigt (Problematik Raubwild, Raub- nünftigen Grund zu töten oder diesen über das zeug, wildernde Hunde und Katzen, Land- und vermeidbare Maß hinaus Leid zuzufügen. Beide Forstwirtschaft). Unstrittig hingegen ist dies beim „Regeln“ können allerdings leicht in Widerspruch Schutz menschlicher Gesundheit oder mensch- zueinander geraten (s. u.), was den Umgang mit lichen Lebens (Notstand, Notwehr). Das reine diesem Thema nicht einfacher macht. Das Empfin- „Jagderlebnis“ wird als Grund für das Töten kaum den von Mitleid mit anderen Lebewesen als eine mehr akzeptiert. typische Persönlichkeitseigenschaft des Menschen ist ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammen- Das Töten eines Tieres ist auch gerechtfertigt hang. oder sogar geboten, wenn es schweres Leiden die- ses Tieres beendet oder verhindert. Hier gerät man Über die vernünftigen Gründe, welche das Tö- leicht in Konflikte mit anderen Rechtskreisen, etwa ten rechtfertigen, herrscht keineswegs Einigkeit dem Eigentumsrecht oder dem Artenschutzrecht. in der Gesellschaft. So ist die Nutzung von Tieren als Nahrung üblicherweise ein akzeptierter Recht- In der Praxis am bedeutendsten ist wohl der tier- fertigungsgrund, den allerdings Vegetarier oder schutzinterne Konflikt: soll ein verletztes Tier zum gar Veganer in dieser Form nicht oder nur einge- Tierarzt gebracht und dort therapiert oder vor Ort schränkt gelten lassen. Eine Gruppe, die sich aus möglichst schnell und möglichst schmerz- und den Veganern entwickelt hat, die „Jäganer“, wie- angstfrei getötet und damit von seinem Leiden derum akzeptieren Wildbret, welches aus waid- erlöst werden? In engem Zusammenhang dazu ALLE ABB.: S. HERZOG gerechter nachhaltiger Jagd stammt, sehr wohl steht die Frage, ob bei einem Wildtier bereits das als Nahrungsmittel. Auch die Nutzung tierischer Einfangen durch den Menschen oder die Verbrin- Produkte als Heilmittel wird grundsätzlich wenig gung in Gefangenschaft ein nicht vertretbares in Frage gestellt, stellt sich aber komplexer dar. So Leid auslösen kann, ist in diesem Kontext wichtig. 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 19
Prof. Dr. Dr. Sven Herzog 2. Grundsätze nachhaltiger Jagd Naturschutz wiederum beruht auf einer ethi- schen Verpflichtung zur Erhaltung der natürli- Jagd (im Sinne menschlicher Jagd) ist eine der chen Lebensgrundlagen des Menschen als Wert ältesten Formen der Landnutzung. Ein zentraler an sich oder „für die kommenden Generationen“ Aspekt menschlicher Jagd ist das Aufsuchen, das (antropozentrischer, altruistischer Ansatz) oder Verfolgen und das Töten von freilebenden Wirbel- auch um sich an der Natur zu erfreuen (anthro- tieren, d.h. Tieren, welche dem Menschen evoluti- pozentrischer, egoistischer Ansatz). Naturschutz onsbiologisch vergleichsweise nahestehen und zu ist (zumindest in den letztgenannten Fällen) im- bestimmten Empfindungen fähig sind. mer auch eine Naturnutzung. Naturschutz ist grundsätzlich nicht dem Individuum verpflichtet, Jagd hat das Ziel, Beute zu machen und setzt sondern einem „Ganzen“, also etwa einer Art, gleichzeitig eine Entkommenschance für das Tier einem Ökosystem, einer Landschaft. Letztlich voraus. Fehlt letztere, spricht man von „schlach- können wir Naturschutz, ähnlich wie die Jagd, ten“, im angelsächsischen auch von „cropping“. ebenfalls als ein sehr extensive – und im Unter- schied zur Jagd – nichtkonsumtive Form der Na- Jagd hat unterschiedliche Erscheinungsformen: turnutzung betrachten. Subsistenzjagd, Marktjagd und Freizeitjagd. Der Stellenwert des Tieres ist jeweils unterschiedlich – Nachhaltigkeit einer jeden Nutzung impliziert in Deutschland gelten jedoch hier grundsätzlich die ökologische, ökonomische und sozio-kulturelle gleichen Nachhaltigkeits- und Tierschutzstandards. Aspekte. Nachhaltiges Handeln in diesem Sinne Letztlich ist der gesetzlich verankerte Grundsatz der bedeutet auch ethisches Handeln (aus individuel- „Waidgerechtigkeit“ ein umfassendes Bekenntnis ler ebenso wie aus ganzheitlicher Sicht). der Jagd zu Nachhaltigkeit und zum Tierschutz. Der Jäger wird damit sowohl der Arterhaltung, der Be- Die ökonomische Nachhaltigkeit der Jagd spie- wahrung des Ökosystems, aber auch dem Wohle gelt sich in der klugen und schonenden Nutzung des Individuums verpflichtet. einer nachwachsenden Ressource „Wild“ wieder. Abb. 1: Ausgeräumte Agrarlandschaften schaffen für viele Tiere ab Herbst einen massi- ven Nahrungsengpass. Seite 20 I Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V.
Tierschutz im Lichte jagdlicher Nachhaltigkeit Die Übernutzung wird durch das Ausnutzen der Individuelle Verstöße gegen Grundsätze des „kompensatorischen Mortalität“ verhindert, d. h. Tierschutzes können in leichtsinnigem und wenig es muss grundsätzlich darauf geachtet werden, verantwortungsbewusstem Handeln, aber auch dass durch Jagd die Gesamtmortalität nicht er- in pathologischen Persönlichkeitsstrukturen Ein- höht wird. Dies steht allerdings in deutlichem Wi- zelner begründet sein. Letzteres wird seitens fun- derspruch zu Bestrebungen, Jagd als Methode zur damentalistischer Tierschutzorganisationen gerne Reduktion von Wildbeständen einzusetzen, um überbewertet und auf Jagd und Jäger in toto pro- andere – jagdfremde – ökonomische Ziele (etwa jiziert. landwirtschaftlicher oder forstlicher Art) zu errei- chen. In diesen Fällen ist klar zu definieren, auf Diese Probleme sollten durch geeignete recht- welches Niveau, in welchem Zeitraum und mit liche Regelungen einerseits, welche auch durch- welchen Methoden die Reduktion zu bewerkstel- gesetzt werden, andererseits durch geeignete, ligen ist, um eine nicht nachhaltige Exploitation zu entsprechend strenge Zugangskriterien zur Jäger- verhindern. Jagdzeiten und Abschusspläne dienen prüfung beherrschbar sein. Letzteres wurde und dem Ziel, eine solche Übernutzung zu verhindern. wird hierzulande leider schon zu lange vernach- lässigt. Volkswirtschaftlich gesehen bereitet Jagd kaum gesellschaftliche Kosten, sie generiert stattdes- Problematischer sind gruppendynamische Phä- sen Einnahmen aus Steuern und schafft Ersparnis nomene, oftmals ausgelöst durch bestimmte äu- durch kostenlose positive „externe Effekte“ in an- ßere Rahmenbedingungen. Ein Problem entsteht deren Sektoren (insbes. Land- und Forstwirtschaft, dann, wenn diese zu einer partiellen emotionalen Naturschutz, Verkehr etc.). Verrohung größerer Teile einer Gruppe, also etwa bestimmter Teile der Jägerschaft, führen. Die ökologische Dimension jagdlicher Nachhal- tigkeit findet sich in der Sicherung und Erhaltung 4. Risiken für die Nachhaltigkeit: von Lebensräumen, der Verpflichtung zur Erhal- einige Beispiele tung von artenreichen und gesunden (an ihre Umwelt angepassten) Wildbeständen in ihren Le- 4.1. Forderung der Reduktion von bensräumen wieder. Nicht umsonst stellt nachhal- Paarhuferbeständen tige Nutzung auch international wohl die bedeu- tendste Säule des Artenschutzes dar. Von verschiedenen Lobbygruppen wird regel- mäßig seit Jahrzehnten eine deutliche Redukti- Die soziokulturelle Nachhaltigkeit schließlich um- on bestimmter Schalenwildarten gefordert. Dies fasst die Verpflichtung zur Waidgerechtigkeit ein- geschieht im Wesentlichen aus ökonomischen, schließlich der Beachtung ethischer Grundsätze, ins- möglicherweise aber auch aus anderen – teils in- besondere hinsichtlich des Tierschutzes. Hier spielt teressenegoistisch-partikulären – Beweggründen auch das Jagdhundewesen eine nicht unerhebliche heraus. Rolle. Auch das jagdliche Brauchtum ist Bestandteil der soziokulturellen Nachhaltigkeit der Jagd. Ein geradezu lehrbuchhaftes Beispiel für die Verfolgung sachfremder Ziele ist das Auftreten Wir sehen, dass das Thema „Tierschutz“ bzw. der Afrikanischen Schweinepest in einigen Staa- „Tierwohl“ ein ganz entscheidender und histo- ten der EU und die reflexhaft folgende und ste- risch sehr alter Bestandteil nachhaltiger Jagd, ge- tig wiederholte Forderung nach einer intensiven nauer gesagt, der sozio-kulturellen Nachhaltigkeit Schwarzwildbejagung, ja –bekämpfung. Land- der Jagd darstellt. wirtschaftliche Interessengruppen und – durch diese offenbar beeinflusst- Behörden und Politik 3. Konflikte zwischen Naturschutz, – befürworten eine weitgehende Aufgabe der jagdlichem Handeln und Nachhaltigkeits- einschließlich fundamentaler Anforderungen des Tierwohls Tierschutzkriterien bei der Schwarzwildbejagung. Dies geschieht entgegen besserem Wissen, denn Konflikte zwischen Jagd und Tierschutz treten der Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest trotz Verpflichtung der Jäger auf den Grundsatz ist weitestgehend unabhängig von der lokalen der Waidgerechtigkeit immer wieder auf. Sie kön- Schwarzwilddichte. Hat ein Ausbruch stattge- nen (a) individuell oder (b) gruppendynamisch be- funden, besteht das Risiko, dass sich als Folge dingt sein. der vorangegangenen intensiven und großflächi- 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 21
Prof. Dr. Dr. Sven Herzog Abb. 2: Weil Menschen natürliche Anpassungs- vorgänge der Wildtiere verhindern, ist eine artgerechte Winterfüt- terung ein wichtiges Managementinstrument. gen Schwarzwildbejagung die Streifgebiete der Schließlich kommt es auch von Seiten des Na- Schwarzwildrotten vergrößert haben und so eine turschutzes – oftmals in Unkenntnis biologischer lokale Bekämpfung eines Ausbruches deutlich er- Sachverhalte – zu Forderungen, welche nachhal- schwert wird. tiges jagdliches Handeln konterkarieren. Das Fest- halten an überkommenen Ideologien verstellt den Dass hohe Schwarzwildbestände in der Land- Blick auf Fakten. So wird z. B. Winterfütterung oft wirtschaft ökonomische Schäden verursachen, als „unnatürlich“ abgelehnt, Wildtiere sollen ver- ist eine Tatsache. Könnte es daher sein, dass we- hungern, das sei „natürlich“. niger die Sorge um die Ausbreitung der afrikani- schen Schweinepest, sondern diese – im Übrigen Falschverstandener Artenschutz liegt zahlrei- durch die Industrialisierung der Landwirtschaft chen Regelungen, z.B. in Managementplänen für im Wesentlichen mitverursachten – Wildschäden große Prädatoren, zugrunde. Ein schwerverletz- der eigentliche Grund für die politischen Forde- tes nach Naturschutzrecht geschütztes Tier darf rungen sind? nicht getötet werden, vielmehr soll man seinem Leiden tatenlos zusehen. Auch der Umgang mit Eine recht ähnliche Situation finden wir derzeit Neozoen, insbesondere Ausrottungsgebote für bei der Bejagung der Wildwiederkäuer in Forstbe- vom Menschen eingeschleppte Tiere sind aus Tier- trieben. Auch hier erkennen wir das Phänomen, schutzsicht hochproblematisch und stehen im Ge- dass zunehmend jagdliche Nachhaltigkeits- und gensatz zu soziokulturell nachhaltigem Handeln. Tierschutzaspekte verlassen werden, ohne dass die immer wieder geforderte Reduktion des Wil- 4.2 Jagd zur Nachtzeit des erreicht oder gar Fraßeinwirkungen im Wald dadurch verringert würden. Im Gegenteil: intel- An einem derzeit viel diskutierten Beispiel, näm- ligente und auf waldbauliche Ziele abgestimmte lich der Jagd zur Nachtzeit, sollen drei dieser vier Bejagungsstrategien werden ignoriert, während Aspekte einmal dargestellt werden: einer unreflektierten, flächenhaften Reduktion des Wildes das Wort geredet wird. Hier fällt es Gemäß Bundesjagdgesetz besteht ein Nacht- zunehmend schwer, hinter dieser Strategie nicht jagdverbot auf wiederkäuendes Schalenwild. Der auch sachfremde Motive zu vermuten. ursprüngliche Grund für dieses Nachtjagdverbot Seite 22 I Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V.
Tierschutz im Lichte jagdlicher Nachhaltigkeit ist dabei vermutlich weniger der Tierschutzgedan- Lichtquellen oder von aktiven Nachtsichtgeräten ke, sondern vor allem die eingeschränkte Mög- und ist daher gesetzlich untersagt. lichkeit, nach bestimmten Kriterien zum Zwecke des Wahlabschusses anzusprechen. So erklärt sich Interessant ist dabei, dass in Berichten alter Jä- unter anderem, warum dieses Verbot nicht für das ger immer wieder auch die Nutzung eines Ziel- Schwarzwild gilt. fernrohres als nicht waidgerecht erwähnt wird. Die Begründung für diese Sachverhalte ist schon Letztlich handelt es sich dabei um Artenschut- komplizierter: aus Gründen des Tierschutzes kann züberlegungen, etwa die Verhinderung von man nämlich argumentieren, dass Nachtjagd ei- Übernutzung durch Schaffung einer bestimmten nerseits grundsätzlich abzulehnen ist, dass man Sozialstruktur in der Population. Inwieweit diese aber andererseits, sobald sie aus welchen Grün- Vorstellungen heute noch gültig sind, steht auf den auch immer durchgeführt wird (ggf. werden einem anderen Blatt und soll hier nicht diskutiert muss), sich aller Möglichkeiten der Technik bedie- werden. nen sollte (einschl. Nachtsichttechnik), um nicht nur ein sauberes Ansprechen, sondern auch einen Die Nachtjagd galt bzw. gilt daher aus eben die- präzisen Schuss zu ermöglichen. sem Grunde als nicht waidgerecht. Ob sie damit gleichzeitig ein jagdlich unethisches Handeln ein- 4.3 Jagd im Frühsommer und Hochwinter schließt, sei zunächst einmal dahingestellt. Derzeit treten verschiedene Initiativen an die Öf- Da nun die „Interessen der Landeskultur“ sehr fentlichkeit, welche eine Ausdehnung der Jagd- hoch bewertet werden, können die Bundesländer zeiten auf wildbiologisch kritische Zeiträume (Jagd aus diesem Grunde auch Ausnahmen zulassen. auf Wildwiederkäuer im Frühjahr und Frühsom- mer sowie im Spätwinter, ganzjährige Bejagung Dies führte dazu, dass in vielen Bundesländern des Schwarzwildes) fordern. heute die Nachtjagd auf Rotwild oder auf Kahlwild de facto zulässig ist. Nachtjagd wäre in diesem Nachhaltige und tierschutzgerechte Bejagung Falle also waidgerecht unter der Voraussetzung, bedeutet letztlich auch artgerechte Bejagung. dass sie tatsächlich der Wahrung der Interessen Insbesondere aus wildbiologischen und wildöko- der Landeskultur dient und damit auch einen Teil logischen Erwägungen heraus gibt es klare Emp- waidgerechten Handelns darstellt. fehlungen. So wird einerseits von einer Bejagung im Spätwinter (nach Ende Dezember) ebenso wie Doch damit nicht genug der Widersprüche: von einer Bejagung im Frühjahr und Frühsommer Heute mehren sich die Stimmen aus Wissen- dringend abgeraten. schaft und Praxis, dass vor allem aus Gründen des Tierschutzes, um nämlich einen „zeitlichen Ersteres ist deshalb wichtig, um wiederkäuen- Ruhraumes“ in der übernutzten Kulturlandschaft den Schalenwildarten den Eintritt in die Phase der (Stressvermeidung beim Wild) zu schaffen, die winterlichen Stoffwechselreduktion zu ermögli- Nachtjagd abzulehnen ist. Somit wäre die Nacht- chen. Dadurch würde die Aktivität ebenso wie der jagd als jagdlich unethisch abzulehnen und folg- Äsungsbedarf deutlich gesenkt und so Schäden lich auch nicht waidgerecht. an der Waldvegetation vermieden. Neben jagdli- chen Störungen können allerdings auch Störun- Ein weiteres Argument betrifft ebenfalls den gen durch Freizeitnutzung der Landschaft diese Tierschutz: Schwierigkeiten beim Ansprechen und physiologische Anpassung verhindern. Schießen in der Nacht bergen die Gefahr, dass in der Nacht mehr führende Tiere erlegt werden und Eine Bejagung im Frühjahr und Frühsommer gilt dass schlechtere Schüsse angebracht werden. als problematisch, da hier ein extrem hoher Äs- ungsbedarf herrscht und jagdliche Störungen dazu Dieses Beispiel zeigt, dass eine klare hierarchi- führen, dass das Wild nicht lange genug auf Offen- sche Abstufung jagdlicher Werte bisher fehlt und flächen äsen kann, sondern einen Großteil dieses wohl auch nicht immer einfach herzuleiten, aber erheblichen Nahrungsbedarfes in Dickungen und im Grunde erforderlich ist. auf Verjüngungsflächen im Wald decken muss. Ebenfalls als nicht waidgerecht gilt der (aktive) Aus Tierschutzsicht stellt vor allem die verse- Einsatz oder die (passive) Nutzung künstlicher hentliche Erlegung führender Muttertiere ein 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 23
Prof. Dr. Dr. Sven Herzog Reh-, Rot- oder Schwarzwild. Demenstprechend müssen dann z.B. die Hunde oder die Größe des Treibens gewählt werden. Auf Rot- und Schwar- zwildjagden ist zu hinterfragen, welches Wild (Ba- chen? Alttiere? Rehwild?) freizugeben ist. Auch hinsichtlich der Auswahl der Schützen werden nach wie vor Fehler gemacht. Mangelnde persön- liche Disziplin ist dabei noch problematischer als mangelnde Schießfertigkeit; letztere kann durch Zurückhaltung ausgeglichen werden. Und die Praxis zeigt, dass diejenigen, die regelmäßig im Schießkino enorme Berge leerer Patronenhülsen produzieren, keineswegs immer die richtigen Jä- ger für diese Jagdmethode sind. Das Problem der fehlenden Meldung (vermeint- Abb. 3: Das Vorhalten licher) Fehlschüsse oder gar krankgeschossenen einer hinreichenden Problem der Frühjahrs- und Frühsommerbeja- Wildes durch die Schützen und die falsche Orga- Zahl Nachsuchegespan- gung dar. Für das Schwarzwild ist der ganzjäh- nisation von Nachsuchen stellen ein weiteres Pro- ne ist Pflicht bei jeder rige Verzicht auf Schonzeiten das falsche Signal. blem dieser Jagdmethode dar. Drück-Stöber-Jagd. Auch wenn der gesetzliche Muttertierschutz noch greift, so würde eine klar definierte Schonzeit für Schließlich ist zu hinterfragen, wo genau die Bachen eine gewisse Rechtssicherheit zumindest Grenze zwischen einer misslungenen Drück-Stö- während eines Teils des Jahres bedeuten. ber-Jagd und einer (verbotenen) Hetzjagd liegt. Diese kann nicht alleine in der Intention des Jagd- 4.4 Probleme einzelner Jagdmethoden leiters gesucht werden. Vielmehr ist hier auf die tatsächliche Art und Weise der Durchführung ab- Aus Tierschutzsicht sind es vor allem die sog. „Be- zustellen. So ist die Frage zu stellen, welche Hun- wegungsjagden“, ein etwas unglücklich geratener de (Größe?, Ausbildung?) eingesetzt werden, ob Begriff für Treib-, Drück- und Drück-Stöber-Jag- den, welche nicht selten Probleme bereiten. Während Drückjagden i.e.S., also das Beun- ruhigen durch wenige Treiber im allgemeinen problemlos sind, stehen heute zunehmend die Drück-Stöber-Jagden, bei denen zusätzlich Hun- de eingesetzt werden, in der öffentlichen Kritik. So gab es 2019 in Luxemburg eine Initiative, der- artige Jagden generell zu verbieten. Auch wenn diese vorerst nicht erfolgreich war, werden ähn- liche Forderungen auch in Zukunft immer wieder auftauchen. Die Probleme der Drück-Stöber-Jagden liegen nicht in der Jagdmethode an und für sich, son- dern vor allem in der fehlerhaften Planung und Durchführung. Eigene Untersuchungen und Er- fahrungen zeigen, dass die große Mehrzahl dieser Jagden grobe handwerkliche Fehler in der Durch- führung aufweist, darunter auch solche, die zu eklatanten Tierschutzproblemen führen. Das Spektrum der Probleme beginnt mit der Planung. Drück-Stöber-Jagden sollten spezifisch Abb. 4 und 5: Wenn die Strecke einer Drück-Stöber-Jagd so auf eine Wildart ausgerichtet werden, etwa auf aussieht, ist einiges schiefgelaufen. Seite 24 I Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V.
Tierschutz im Lichte jagdlicher Nachhaltigkeit das Wild mehrere Schützenketten passieren muss, um zu entkommen und anderes mehr. Andere Jagdmethoden, etwa die Fangjagd, ber- gen ebenfalls Risiken für das Tierwohl. So werden zunehmend Totfangfallen verboten. Es stellt sich aber die Frage, ob Lebendfallen im Vergleich zu korrekt arbeitenden und gestellten Totfangfallen nicht größere Tierschutzprobleme (Angst, Verletzungen) bergen. 4.5 Fütterung und nicht erfolgte Fütterung in der Notzeit Während wir beim Niederwild das Thema Fütte- rung (noch) vergleichsweise sachbasiert diskutie- Abb. 6: Tourismus und ren, geraten wir bei der Debatte um Fütterung sche Anpassungen im Sinne einer Drosselung des Wintersport sind neben des Schalenwildes sehr schnell in ein hochemoti- Energiestoffwechsels auf. Diese funktionieren al- der Jagd selbst wichtige onales Fahrwasser, welches sich Außenstehenden lerdings nur, wenn die Tiere weitestgehende Ruhe tierschutzrelevante als eine unselige Melange aus Neid, Ideologie und genießen, z.B. in kaum oder unbesiedelten Regio- Faktoren. Gewinnstreben darstellt. nen wie wir sie heute allenfalls noch in Nordame- rika oder Nord- bzw. Osteuropa finden. In unserer Die Frage, warum wir überhaupt Schalenwild dicht besiedelten Zivilisationslandschaft erlebt ein füttern, und ob und ggf. wann Fütterung wich- Stück Schalenwild täglich eine Vielzahl von Stö- tig oder gar notwendig ist, wird bis heute immer rungen, etwa durch Jagd und Forstwirtschaft, vor wieder diskutiert. allem aber durch die in Deutschland außerordent- lich liberal geregelte Freizeitnutzung der Natur. Der Begriff „notwendig“ sagt es bereits: meist meinen wir, wenn wir von Wildfütterung spre- Diese Störungen führen dazu, dass die natürli- chen, die Notzeitfütterung. Daneben kennen wir chen Anpassungsvorgänge (Stoffwechselregulati- aber weitere, davon klar zu unterscheidende An- on) nicht wirken. Die Reserven der Tiere, die unter lässe für Futtergaben. natürlichen Bedingungen bis zum Frühjahr ausrei- chen, werden vorzeitig aufgebraucht. Notzeitfütterung ist ein Managementinstru- ment, welches dem Wild helfen soll, eine defi- Wenn dann nicht hinreichend Nahrung in Wald nierte, typischerweise durch den Menschen verur- oder Feld verfügbar ist, ist eine Notzeitfütterung sachte, Notsituation zu überstehen. erforderlich. Eine ausschließliche Dichtereduktion des Wildes, wie sie aus unterschiedlichen Vorstel- Es gibt durchaus unterschiedliche Notzeitsituati- lungen heraus immer wieder gerne propagiert onen für Wildtiere, man denke etwa an die Situ- wird (nicht selten auch nur, um Futterkosten zu ation unmittelbar nach der Ernte großer landwirt- sparen), reicht hier nicht aus, da es sich typischer- schaftlicher Schläge. weise um ein qualitatives, nicht um ein quantita- tives Problem handelt: ein einzelnes Tier, das am Meist wird der Begriff allerdings synonym mit Verhungern ist, kann deutlich größere Schäden im demjenigen der Winterfütterung verwendet, stellt Wald verursachen, als ein sachgerecht überwin- doch der Winter in unseren Breiten oftmals (nicht terter Bestand. immer) eine typische Notzeit für die Schalenwild- arten dar. Dieser nahrungsarmen Zeit wird durch Eine Alternative wären etwa hinreichend große, unterschiedliche Anpassungsmechanismen be- echte Wildruhezonen, wie sie in den vergange- gegnet, der bekannteste ist das Anlegen von Fett- nen Jahren teilweise in Graubünden eingerichtet reserven im Sommer und Herbst. wurden. Solche Ruhezonen existieren derzeit in Deutschland leider nirgends. Unter unserem ex- Wildwiederkäuer weisen darüber hinaus weite- trem liberalen Waldbetretungsrecht werden sie re, morphologisch-anatomische und physiologi- auch kaum eingerichtet werden können. Solche 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 25
Prof. Dr. Dr. Sven Herzog Abb. 7: Das Vorlegen naturnaher Äsungsmög- lichkeit (hier Spiegel- rinde bei Kiefer für das Rotwild) hilft, den Winter zu überstehen. Ruhezonen erfordern zumindest während der 4.6. Kirrung Wintermonate ein absolutes Betretungsverbot für jeden, ob Jäger, Förster oder Waldbesucher und Eine von der Winter- oder Notzeitfütterung gleichzeitig entsprechend drastische Sanktionen grundsätzlich zu unterscheidende Form der Fut- bei Zuwiderhandlung. Diese Konstellation ist bei tergabe an Wildtiere stellt die Kirrung dar. Sie uns nicht einmal in den Nationalparken gegeben. dient a priori weder dem Tierschutz noch der unmittelbaren Schadensvermeidung, sondern Weiterhin weist gerade das Rotwild noch eine soll das Wild anlocken, damit es leichter erlegt Besonderheit auf: unter natürlichen Bedingungen werden kann. Damit gehört die Kirrung sicher wandert es zwischen Sommereinständen (oft im zu den umstrittensten Formen der Futtergabe an Mittel- oder Hochgebirge) und Wintereinständen. Wildtiere. Von den einen wird sie als unfair und Dabei wandern die Tiere einzeln bzw. in kleinen unethisch verteufelt, von den anderen als unum- Sozialverbänden, sodass diese Bewegungen nicht gänglich angesehen, um eine bestimmte Jahres- so eindrucksvoll verlaufen, wie wir es etwa von strecke, etwa beim Schwarzwild, zu erreichen. Huftieren in afrikanischen Savannenlandschaften An dieser Stelle sei auf eine vertiefende Diskussi- kennen. on der Fragen jagdlicher Ethik verzichtet. Große Probleme der Kirrung liegen allerdings einerseits Winterlebensräume des Rotwildes lagen früher beim Tierschutz, andererseits in der Provokation in den Niederungen, typischerweise in den aus- von Schäden. Ersteres deshalb, da die Kirrung gedehnten Auwäldern entlang der Flüsse. Diese typischerweise auch mit dem Ende der Jagdzeit Flächen fehlen den Tieren heute völlig, sind meist endet. So besteht das Risiko, dass das Wild an schon seit vielen Jahrhunderten zu Siedlungs- oder geringe, aber regelmäßige Futtergaben gewöhnt Agrarflächen umgewandelt und damit endgültig wird, welche dann abrupt und zum ökologisch verloren. Demzufolge muss das Rotwild heute ungünstigsten Zeitpunkt im Winter enden. Kir- meist in seinen Sommereinständen (oft identisch rung im Wald provoziert darüber hinaus nicht mit den Rotwildgebieten) überwintern, was meist selten hohe Schäden, wenn sie das Wild gera- nur durch den Einsatz dezentraler Fütterungen de in jene Flächen lockt, aus denen es – etwa oder von Wintergattern ohne größere Schäden im im Rahmen von Schwerpunktjagdkonzepten – Wald funktioniert. durch Jagddruck vergrämt werden soll. Seite 26 I Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V.
Tierschutz im Lichte jagdlicher Nachhaltigkeit 4.7. Bleifreie Munition Damit sind derartige Handlungen allerdings nicht zwangsläufig unethisch; hinsichtlich ihrer ethischen Die Forderung nach bleifreier Munition begründet Rechtfertigung werfen sie allerdings ganz spezielle sich im Wesentlichen durch Argumente aus Sicht Fragen auf. Sie sollten aber auch in der Begrifflich- des Verbraucherschutzes, ggf. auch des Tierschut- keit deutlich von der Jagd unterschieden werden. zes (Greifvögel). Artenschutzargumente greifen hier allerdings nicht, da beispielsweise Seeadler Entscheidend ist allerdings die Minimierung von in den vergangenen Jahren gerade dort in ihrer Tierleid, d. h. die Vermeidung von Stress, Angst Abundanz zugenommen haben, wo intensiv (und und Schmerzen. Dies sollte zumindest gleichran- mit bleihaltiger Munition) gejagt wurde. Mögli- gig etwa mit Sicherheitsaspekten gesehen werden cherweise ist die bessere Nahrungsversorgung im und dementsprechend zunehmend in die fachli- Winter (z. B. durch Aufbrüche) dafür mitverant- che Praxis der Jagd einfließen. wortlich. Wie wir bereits aus dieser kurzen Übersicht er- Solange jedoch keine hinsichtlich der Tötungs- kennen, sind Waidgerechtigkeit und jagdliche wirkung (und zwar in der Hand des Durchschnitts- Nachhaltigkeit im Sinne soziokultureller Nachhal- jägers) eindeutigen Ergebnisse für bleifreie Mu- tigkeit wesentliche Garanten des Tierwohls im nition vorliegen, muss weiter nach technischen jagdlichen Kontext. Diese Konzepte sollten zu- Lösungen zur Minimierung toxischer Bestandteile künftig (einschließlich freiwilliger Zertifizierungs- gesucht werden. Ein allgemeiner Verzicht auf be- systeme) intensiv weiterentwickelt werden, sodass währte bleihaltige Geschosstypen wäre aus Tier- sie den auf sie zukommenden Aufgaben gewach- schutzsicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher sen sind. kontraproduktiv. 5. Fazit Adresse: Prof. Dr. forest. Dr. med. Sven Herzog Warmblütige Wirbeltiere stehen uns Menschen Dozentur für Wildökologie u. Jagdwirtschaft, evolotionsbiologisch und damit auch emotional TU Dresden sehr nahe, sodass wir ihnen gegenüber auch Ver- Piennerstr. 8 antwortlichkeit für ihr individuelles Wohlergehen 01737 Tharandt empfinden, vom Prinzip her durchaus vergleichbar Tel.: 035203 / 3831232 mit den Empfindungen im zwischenmenschlichen E-Mail: herzog@forst.tu-dresden.de Bereich. Das Tierschutzrecht, aber auch Bestimmungen im Jagdrecht, regeln in Deutschland diese Inter- aktion und geben ein Mindestmaß an Normen vor. Wesentliche Grundlage ist hierbei die dem Humanismus entstammende Vorstellung, dass das Töten von Tieren eines wichtigen Grundes bedarf und dass Tieren Schmerzen und Leiden nur in einem absolut unvermeidbaren Ausmaß zugefügt werden dürfen. Diese Regeln sind tra- ditionell im Begriff der Waidgerechtigkeit subsu- miert, welche ihrerseits einen wesentlicher Teil jagdlicher (soziokultureller) Nachhaltigkeit dar- stellt. Zur nachhaltigen Jagd gehört das Töten von Tie- ren, um diese zu nutzen. Einen Fuchs oder den gestreiften Frischling zu erlegen, um ihn zu ver- graben oder Kormorane zu töten und in Tierkör- perbeseitigungsanstalten zu entsorgen ist in die- sem Sinne keine (nachhaltige) Jagd, sondern steht eher der Schädlingsbekämpfung nahe. 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 27
Seite 28 I Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern – Bayerischer Jagdverband e.V.
Diagnostik von Wildkrankheiten – ein wichtiger Beitrag zum Tierschutz Dr. Matthias Müller Einleitung Beim Wildtier können wie beim Haus- und untersucht, da neben akuten Krankheitsverläufen Nutztier zahlreiche Krankheiten auftreten und auch milde oder subklinische Verläufe zu erwarten Schäden, Leiden und Schmerzen verursachen. sind. Sämtliche auf ASP und KSP in den vergange- Außerdem beherbergen Wildtiere mitunter Krank- nen Jahren am LGL untersuchten Wildschweinpro- heitserreger, die auf den Menschen übertragbar ben erbrachten ausschließlich negative Ergebnisse. sind (Zoonosen) oder solche, die bei Nutztieren schwerwiegende Erkrankungen mit Folgen für Der Erreger der Aujeszkyschen Krankheit ist in Tiergesundheit und Tierhaltung hervorrufen kön- der deutschen Wildschweinepopulation seit vielen nen (anzeigepflichtige Tierseuchen). Die Diagnos- Jahren vorhanden und kann über den Kontakt mit tik von Wildkrankheiten ist somit aus der Sicht des infizierten Tieren auf Hausschweine, Rinder und Tierschutzes und der Tiergesundheit von großer Hunde übertragen werden. Für die Diagnostik der Bedeutung. Aus diesem Grund werden in Bayern AK werden Blutproben gesund erlegter Wildschwei- Wildtiere am Bayerischen Landesamt für Gesund- ne untersucht. In den letzten Jahren wurden in ca. heit und Lebensmittelsicherheit (LGL) verstärkt 10-12 % der Blutproben Antikörper gegen das AK- in sogenannten Monitoring-Programmen unter- Virus festgestellt, wobei die regionale Verteilung in- sucht, von denen einige näher dargestellt werden nerhalb Bayerns sehr unterschiedlich ist. Das Risiko sollen. Der Fokus der Monitoring-Untersuchungen der Übertragung auf Hunde ist nach wie vor hoch. liegt dabei auf der Diagnostik von Zoonose- und Dies zeigt der Fall eines Jagdhundes aus Unterfran- Tierseuchenerregern. ken, der zwei Tage nach dem Kampf mit einer an- geschossenen Wildsau heftigen Juckreiz, Speicheln Schwarzwild-Monitoring und Krämpfe entwickelt hat und euthanasiert wer- ALLE ABB.: DR. MATTHIAS MÜLLER / BAYERISCHES LANDESAMT FÜR GESUNDHEIT UND LEBENSMITTELSICHERHEIT den musste. Die Sektion am LGL erbrachte eine Das Schwarzwild-Monitoring umfasst die Dia- nicht-eitrige Gehirn- und Rückenmarkentzündung; gnostik der Klassischen (Europäischen) Schweine- molekularbiologisch wurde ein AK-spezifisches pest (KSP), der Afrikanischen Schweinepest (ASP) Herpesvirus nachgewiesen. Die Tiere infizieren sich und der Aujeszkyschen Krankheit (AK). über die Aufnahme von ungenügend erhitztem er- regerhaltigem Fleisch und Organen sowie den Kon- Während die Klassische Schweinepest zum takt mit Wildschweinen, die das Virus beherbergen letzten Mal 2006 in Deutschland aufgetreten ist, und unter Stresssituationen ausscheiden. gab es hierzulande bislang noch keinen Fall von Afrikanischer Schweinepest. Nachdem die Er- Brucellose-Monitoring krankung in 2019/2020 innerhalb der EU zahl- reiche Länder wie Belgien, Serbien, Slowenien, Rumänien, Ungarn und das Baltikum erfasst hat und sich zuletzt mehrere Ausbrüche unweit der deutschen Grenze in Polen ereignet haben, ist das Ausbreitungsrisiko der ASP nach Deutschland wei- ter gestiegen. Für die Diagnostik der ASP werden Abb. 1: Hoden, Wild- überwiegend Tupferproben krank erlegter oder tot schwein, Brucellose aufgefundener Wildschweine untersucht, da davon (Brucella suis): eitrige auszugehen ist, dass die Erkrankung beim ersten und mit Gewebsunter- Auftreten deutliche klinische Erscheinungen her- gang einhergehende vorruft. Demgegenüber werden für die Diagnostik Hodenentzündung der KSP Blutproben gesund erlegter Wildschweine (Orchitis) 3. Symposium Jagd und Tierschutz I Seite 29
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