Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator - Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement - Ethik und Militär

Die Seite wird erstellt Max Stephan
 
WEITER LESEN
Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator - Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement - Ethik und Militär
KONTROVERSEN
I N M I LI TÄ R E T H I K U N D
SICHERHEITSPOLITIK

AUSGABE 01/2021

Der Klimawandel als ­
Bedrohungsmultiplikator
SPECIAL

Neue Herausforderungen für das Militär
und das Konfliktmanagement
Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator - Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement - Ethik und Militär
INHALT

                     DER KLIMAWANDEL
                     ALS BEDROHUNGS­
                      MULTIPLIKATOR
         Editorial
                                                     SPECIAL:
         Veronika Bock                    Seite 3   NEUE HERAUS­
         Raus aus dem Treibhaus:                     FORDERUNGEN FÜR DAS
         Gemeinsam und global lässt sich             ­MILITÄR UND DAS
         das Sicherheitsrisiko des
         Klimawandels noch verhindern                 KONFLIKTMANAGEMENT
         Michael Czogalla                 Seite 4

         Der Klimawandel als Risikoverstärker:       „Unseren Umgang mit Klima­-
         Über die Zusammenhänge von Klima­           wandel und Nachhaltigkeit ­können
         veränderungen und Konflikten                wir deutlich verbessern“
         Michael Brzoska              Seite 10      Interview mit Lieutenant General Richard
                                                     ­Nugee, Autor des Climate Change and
         Wenn Du Frieden willst,                      ­Sustainability Strategic Approach des
         schütze das Klima!                            britischen­Verteidigungsministeriums Seite 52
         Andreas Lienkamp             Seite 18
                                                     „Teile von Somalia werden in
         Klimagerechtigkeit und Klima­               ­Zukunft unbewohnbar“
         kon­­flikte als sicherheitspolitische       Interview mit Christophe Hodder,
         ­Herausforderung des 21. Jahrhunderts       Beauftragter für Umweltsicherheit im
         Angela Kallhoff/                            Rahmen der Mission UNSOM            Seite 56
         Thomas Schulte-Umberg        Seite 28
                                                     Impressum/Alle Ausgaben               Seite 63
         Warum wir eine grüne und ganzheit­
         lichere internationale Sicherheits-
         und ­Verteidigungspolitik brauchen
         François Bausch              Seite 34

         Mehr Aufgaben, mehr Ressourcen,
         mehr Inklusion: Anforderungen
         an die humanitäre Hilfe in Zeiten
         steigender Klimarisiken
         Oliver Müller                Seite 44

                      2                    ETHIKUNDMILITAER.DE                      ETHIK UND MILITÄR 01/21
Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator - Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement - Ethik und Militär
EDITORIAL
Die existenziellen Gefahren des globalen Klima-     als eine Gefahr für internationalen Frieden und
wandels für die Menschheit sind während der         Sicherheit bezeichnet wurde, haben die USA,
Corona-Pandemie etwas in den Hintergrund            Russland und China verhindert.
der Aufmerksamkeit geraten. Nun drängt das             Dass die Auswirkungen des Klimawandels
Thema mit Macht zurück. In den USA hat Prä-         zwangsläufig in bewaffnete Konflikte münden,
sident Biden noch am Tag seiner Amtseinfüh-         wäre auch sicherlich eine Vereinfachung. Die
rung die Rückkehr seines Landes zum Pariser         zunehmende Fragilität in Weltregionen wie
Klimaabkommen angeordnet und inzwischen             der Subsahara oder am Horn von Afrika zeigen
sehr engagierte Klimaziele gesetzt. In Deutsch-     jedoch, dass sie als Bedrohungsmultiplikator
land, wo der Klimaschutz auch während der           ernst zu nehmen sind. Bei der Bedarfsermitt-
Pandemie im Fokus der politischen Debatte           lung und Ausrichtung von humanitärer und
geblieben ist, gehört er zu den entscheidenden      Katastrophenhilfe, internationaler Entwick-
Themen der bevorstehenden Bundestagswahl.           lungszusammenarbeit, der Friedens- und Resi-
Gespannt sein darf man auf die wegen der Pan-       lienzförderung sowie des Statebuilding ist dies
demie verschobene UN-Klimakonferenz, die            in Betracht zu ziehen.
nun im November 2021 in Glasgow stattfindet            Damit geraten die Aufgaben und Instrumen-
(COP26). Wird die internationale Staatenge-         te klassischer Sicherheitspolitik selbst in den
meinschaft weitere Verbesserungen erreichen,        Fokus. Der Druck, Krisenprävention und Kon-
um die Erderwärmung auf deutlich unter zwei         fliktvorsorge stärker in sicherheitspolitische
Grad zu begrenzen?                                  Konzepte zu integrieren, erhöht sich. Zugleich
   Fakt ist: Das vergangene Jahrzehnt war die       steigen die Nachhaltigkeitsforderungen an
wärmste Dekade seit Beginn der Wetterauf-           das Militär angesichts dessen gewaltigen Ver-
zeichnungen vor 140 Jahren. 2015 bis 2020           brauchs an finanziellen und ökologischen Res-
waren die sechs wärmsten Jahre in diesem            sourcen. Für unsere Streitkräfte bedeutet dies,
Zeitraum. Der Klimawandel bedroht die Le-           ihre Ausrüstung zu modernisieren und gleich-
bensgrundlagen und die Gesundheit von               zeitig ihre Fähigkeiten an potenzielle neue Ein-
Millionen Menschen – insbesondere in den            satzszenarien anzupassen.
vulne­rablen Regionen des globalen Südens.             Ich freue mich, mit der neuen Ausgabe von
Mögliche Folgen sind die Verschärfung ökono-        Ethik und Militär ein überaus wichtiges Thema
mischer Ungleichheit, Ressourcenkonflikte, Mi-      zur Diskussion zu stellen. Den Autorinnen und
grationsbewegungen aufgrund von Flucht und          Autoren sei an dieser Stelle für ihre klugen und
Vertreibung bis hin zur Destabilisierung und        lesenswerten Beiträge gedankt. Ich wünsche
zum Kollaps staatlicher Strukturen.                 Ihnen eine anregende Lektüre.
   Auf die Gefahren des Klimawandels hat 2015
auch Papst Franziskus mit Laudato si’ hingewie-
sen, der ersten Umweltenzyklika überhaupt. Er
bezeichnet darin den Klimawandel als „wich-
tigste aktuelle Herausforderung an die Mensch-
heit“ und ein „globales Problem mit […] erns-
ten sozialen, wirtschaftlichen und politischen
Dimensionen“.                                                                        Dr. Veronika Bock
   Wenn auch in der Weltgemeinschaft heute                                          Direktorin des zebis
weitgehend Konsens darüber besteht, dass der
Klimawandel bedrohliche Auswirkungen auf
die Lebensbedingungen vieler Menschen ha-
ben kann, so ist sein Einfluss auf die Entstehung
bewaffneter Konflikte umstritten. Eine Resolu-
tion, die Deutschland während seiner Mitglied-
schaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
2019/2020 einbrachte, in der der Klimawandel

ETHIK UND MILITÄR 01/21                         ETHIKUNDMILITAER.DE                                 3
Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator - Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement - Ethik und Militär
RAUS AUS DEM
                        TREIBHAUS                                          Autor: Michael Czogalla

                 GEMEINSAM UND GLOBAL                                      Einleitung
                         LÄSST SICH DAS                                    Die meisten von uns denken beim Thema Klima-
                  SICHERHEITSRISIKO DES                                    wandel an Naturkatastrophen, schmelzende Eis-
                                                                           berge und mit einem schlechten Gewissen even-
                         KLIMAWANDELS                                      tuell noch an Urlaubsreisen mit dem Flugzeug.

                      NOCH VERHINDERN                                      Doch das Problem und seine Folgen gehen längst
                                                                           über steigende Meeresspiegel, brennende Wäl-
                                                                           der, Dürren und Überschwemmungen hinaus.
                                                                           Der Klimawandel ist heute ein internationales
                                                                           Sicherheitsrisiko, das jedes Land betrifft und nur
                                                                           gemeinsam verhindert bzw. eingedämmt werden
                                                                           kann. Die momentan auf das Pariser Klimaab-
                                                                           kommen von 2015 zurückgehenden Verpflichtun-
                                                                           gen der Staaten, ihre Emissionen zu reduzieren,
                                                                           würden das gleichzeitig gesteckte Ziel, die Erd-
                                                         Abstract          erwärmung nicht über 1,5 Grad Celsius steigen zu
                                                                           lassen, in absehbarer Zeit verfehlen. Die Vertrags-
        Die Fakten zum Klimawandel liegen auf dem Tisch, die Ziele         parteien müssten die globalen Emissionen bis
       sind wissenschaftlich untermauert: Um die Erderwärmung auf          2030 jedes Jahr um 7,6 Prozent und damit um 45
 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, müssen die Treibhausgasemissionen          Prozent gegenüber dem Stand von 2010 senken,
   schon bis 2030 um rund 50 Prozent reduziert werden. Engagiertes         um das 1,5-Grad-Ziel nicht zu überschreiten.1 „Die
     Handeln gerade von den größten Emittenten ist also gefragt. Seit      Daten [...] zeigen, dass die globale Mitteltempera-
     dem Amtsantritt von US-Präsident Biden setzen viele auf dessen        tur für das Jahr 2020 etwa 1,2 °C wärmer war als
                                                                           in vorindustrieller Zeit, was bedeutet, dass die
   klimapolitisches und -diplomatisches Engagement. Die jüngst von
                                                                           Zeit schnell abläuft, um die Ziele des Pariser Ab-
    vielen Hauptemittenten verschärften Reduktionsziele und das Be-
                                                                           kommens zu erreichen.“2 Sollte die globale Erwär-
 kenntnis Chinas zu Klimaneutralität und zum Kohleausstieg geben
                                                                           mung dann sogar auf 2 Grad Celsius oder mehr
 Anlass zur Hoffnung, dass eine Kooperation im Sinne der Ziele des         steigen, dann steht die Weltgemeinschaft noch
  Pariser Klimaabkommens möglich ist. Nicht nur die USA, sondern           vor ganz anderen Herausforderungen, nämlich
   auch der „Systemkonkurrent“ China müssen dafür eine Vorreiter-          gigantischen Flüchtlingsströmen aus nicht mehr
    rolle einnehmen und trotz vieler Konfliktlinien und Streitpunkte       bewohnbaren Regionen, enormen internatio-
 das gemeinsame Ziel Klimaschutz aus ihrer geopolitischen Rivalität        nalen Hilfsaktionen bei Naturkatastrophen und
ausklammern. Dafür braucht es: 1. die Bereitschaft zu hohen Investi-       Hungersnöten und einer steigenden Bedrohung
      tionen in eine wirtschaftliche Transformation sowie zur Unter­       durch klimabedingte Konflikte.
stützung derjenigen Länder, die diese nicht aus eigener Kraft leisten          Die Politik kennt das Problem nicht erst seit
  können; 2. langfristige bindende Verpflichtungen und Abkommen,           ­Paris, Wissenschaftler verweisen seit über drei
    die Regierungswechsel überstehen; und 3. ein Verständnis für die        Jahrzehnten auf die zunehmende Erderwär-
                                                                            mung, die mit der Industrialisierung Mitte des
 zahlreichen mit dem Klimawandel verbundenen Sicherheitsrisiken.
                                                                            19. Jahrhunderts stetig gestiegen ist. „Das letzte
    Die humanitären Folgekosten eines ungebremsten Klimawandels
                                                                            Mal, dass die atmosphärischen CO₂-Mengen so
 bzw. einer Erderwärmung über 2 °C würden die jetzt erforderlichen
                                                                            hoch waren, war vor mehr als 3 Millionen Jahren,
  Anstrengungen bei Weitem übersteigen. In Kombination mit einem            als die Temperatur um 2°–3°C höher war als in
noch zu schaffenden Anreiz- und Sanktionsmechanismus besteht die            der vorindustriellen Ära und der Meeresspiegel
      Chance, auch diejenigen Staaten, die sich aus unterschiedlichen       15–25 Meter höher lag als heute.“3
          Erwägungen dem Klimaschutz verweigern, in die Pflicht zu             Das Problem der Erderwärmung ist ausrei-
     nehmen. Wesentliche Schritte in diese Richtung muss bereits der       chend wissenschaftlich belegt und bekannt. Es
                          Klimagipfel in Glasgow (COP26) erbringen.        fehlt bis heute am geeinten Willen der Staaten-

                           4                             ETHIKUNDMILITAER.DE                     ETHIK UND MILITÄR 01/21
Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator - Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement - Ethik und Militär
gemeinschaft, dem Verstehen, dem Umdenken,               Als Joe Biden dann zum virtuellen Klimagipfel
den Versprechen und Verpflichtungen auch              am 22. April 2021, dem Earth Day, einlud, nahmen
messbare Taten folgen zu lassen. Fast 69 Prozent      neben Papst Franziskus und Bundeskanzlerin An-
der weltweiten Treibhausgase werden von nur           gela Merkel auch der chinesische Präsident Xi Jin-
zehn Ländern verursacht. Die USA liegen hier hin-     ping, der russische Präsident Wladimir Putin und
ter China auf einem unrühmlichen zweiten Platz,       viele weitere Staats- und Regierungschefs teil. Die
gefolgt von der Europäischen Union und Indien.        USA überraschten gleich zu Beginn mit der Ver-
Etwas abgeschlagen folgen Russland, Japan,
Brasilien, Indonesien, Iran und Kanada.4 Gera-
de sie müssen Beispiel sein, und doch wird die
                                                            Joe B
                                                                ­ iden bezeichnet den Klima­
Schuld zu oft beim anderen gesucht. Industriell        wandel als größte Bedrohung für die
wachsende Länder wollen aufholen, und Indus­
trieländern fällt die Umstellung schwer, was etwa        ­Sicherheit der Vereinigten Staaten
der zwischenzeitliche Ausstieg der USA aus dem
Pariser Abkommen deutlich machte.                     pflichtung, ihre Emissionen bis 2030 gegenüber
                                                      dem Stand von 2005 halbieren zu wollen. Das ist
Joe Biden setzt auf volle                             eine fast zweimal so hohe Reduktion im Vergleich
­Klimafahrt                                           zur letzten Zusage unter Barack Obama.6 Zudem
                                                      gab Biden bekannt, dass die USA ihre jährliche
Nach vier verschwendeten Jahren einer an Klima-       Klimaförderung für Entwicklungsländer bis 2024
fragen nicht einmal ansatzweise interessierten        verdoppeln würden. Die USA haben außerdem
US-Regierung unter Donald Trump besteht mit           angekündigt, 30 Prozent der US-Land- und Was-
Präsident Joe Biden im Weißen Haus eine große         serflächen bis 2030 vor menschlicher Ausbeu-
Chance, neue, internationale klimagerechte Ziele      tung zu schützen. Damit schließen sie sich dem
zu setzen. Klimawandel war schon vor den US-          Ziel der der internationalen „30 by 30“-Initiative
Präsidentschaftswahlen im November 2020 eines         an, das auch im US-Kongress parteiübergreifen-
der Hauptthemen auf dessen insgesamt ambitio-         de Unterstützung findet.7 Und das ist nur einer
nierter Agenda. Er stellt laut Biden „eine existen-   der Punkte, bei denen die USA eine gemeinsame
zielle Bedrohung“5 dar. Biden scheint den Ernst       Verhandlungsgrundlage mit China finden kön-
der Lage erkannt zu haben, denn er trat nicht nur     nen. Für die im November geplante Klimakon-
gleich am ersten Tag seiner Amtszeit dem Pariser      ferenz der Vereinten Nationen in Glasgow (26th
Klimaabkommen wieder bei und ordnete wenig            Conference of the Parties, COP26) sind das ent-
später die Dekarbonisierung der US-Wirtschaft         scheidende Weichenstellungen.
an (sie soll bis 2050 Netto-Null-Emissionen errei-
chen), er bezeichnete den Klimawandel auch als        Alle für einen Planeten?
die größte Bedrohung für die nationale Sicher-
heit der Vereinigten Staaten. Joe Biden berief den    China kündigte beim virtuellen Treffen im April
ehemaligen US-Außenminister John Kerry zum            an, seine Kohlenstoffemissionen bis 2060 auf
Sondergesandten, der sich der Klimadiplomatie         Netto-Null herunterzufahren. Präsident Xi Jinping
annehmen soll − ein wichtiges Signal, auch inter-     versprach zudem, dass das Land ab 2026 und bis
national vorankommen zu wollen. Gleichzeitig          2030 aus der Kohle aussteigen werde. Das ist an-
ernannte er Gina McCarthy zur Klimabeauftrag-         gesichts der sonst alles andere als harmonischen
ten. Sie soll die Klimabemühungen der Regierung       Beziehung zwischen China und den USA eine
koordinieren, vom Militär über das diplomatische      wichtige Ankündigung, die zeigt, dass auch China
Korps bis hin zum Finanz- und Verkehrsministe-        bereit scheint, die wichtigste globale Herausfor-
rium. Zudem wird sie die Verhandlungen mit dem        derung (mit-)bewältigen zu wollen.
Kongress führen, um neue Klimagesetze zu ver-           Konkurrenz und sogar Rivalität werden in den
abschieden, die dauerhafter Bestand haben und         Handelsbeziehungen, dem technischen und
nicht einfach durch die nächste Regierung ver-        digitalen Wachstum und dem Verständnis von
wässert oder abgeschafft werden können.               Demokratie und Menschenrechten weiterhin be-

ETHIK UND MILITÄR 01/21                           ETHIKUNDMILITAER.DE                                  5
Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator - Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement - Ethik und Militär
DER KLIMAWANDEL ALS BEDROHUNGSMULTIPLIKATOR

                 stehen bleiben. Nicht nur zwischen diesen beiden       nische Präsident Jair Bolsonaro versprach, Brasi-
                 Ländern, auch gegenüber Russland und anderen.          lien werde bis 2050 Klimaneutralität erreichen −
                 Dennoch muss bei aller Konkurrenz und auch             zehn Jahre früher als bisher angegeben. Auch die
                 Gegnerschaft beim Klimaschutz die Kooperation          illegale Abholzung des Regenwaldes Brasiliens
                 im Vordergrund stehen. Joe Biden hat den Klima-        soll bis 2030 ein Ende finden.
                 wandel bereits als infrastrukturelle Chance (von           Gegenüber den bis dato gesteckten Emissions-
                 Straßen, Häfen bis hin zu Energienetzen) verstan-      minderungszielen sind dies zwar Entwicklungen,
                 den und will die Wirtschaft seines Landes dahin-       die in die richtige Richtung gehen, nach Meinung
                                                                        von Experten aber noch immer nicht ausreichen
Der dramatische Wandel des Klimas                                       werden, um das Gesamtziel zu erreichen und die

­bedroht nicht nur grenzübergreifend die                                Erderwärmung zu stoppen bzw. unter 1,5 Grad
                                                                        Celsius zu halten.
 Umwelt, sondern mit ihm gerät gleich-
                                                                        Geopolitische Rahmenbe­
 zeitig die globale Finanz- und Wirtschafts­                            dingungen und Auswirkungen
 architektur aus den Fugen                                              Der Klimawandel ist mit den aktuellen globalen
                 gehend umbauen. Damit folgt er der Erkenntnis,         Herausforderungen wie der Pandemie, der Glo-
                 dass der dramatische Wandel des Klimas nicht           balisierung, der Bedrohung der Demokratie und
                 nur grenzübergreifend die Umwelt bedroht, son-         der Energieabhängigkeit verflochten. Seine Aus-
                 dern dass mit ihm gleichzeitig die globale Finanz-     wirkungen lassen sich heute in allen Regionen
                 und Wirtschaftsarchitektur aus den Fugen gerät.        der Welt nachweisen. Sie betreffen nicht nur die
                    Als das deutsche Bundesverfassungsgericht im        ärmsten Länder oder entlegene Regionen wie die
                 April 2021 entschied, dass das Klimaschutzgesetz       Arktis. Sie betreffen den kompletten Planeten.
                 des Bundes unzureichend sei, reagierte die Bun-        Der Klimawandel wirkt als Bedrohungsmultipli-
                 desregierung zügig und besserte ambitioniert           kator für politische Instabilität in einigen der un-
                 nach. Bundesumweltministerin Svenja Schulze            beständigsten Regionen der Welt. Negative Aus-
                 und Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat             wirkungen werden sich bei Gesundheitsrisiken,
                 Olaf Scholz haben umgehend neue Ziele vorge-           den Preisen und der Verfügbarkeit von Nahrungs-
                 schlagen. Die bis dato bestehenden Klimaziele          mitteln und der wirtschaftlichen Wettbewerbs-
                 sehen nun statt der geplanten 55 Prozent Emis-         fähigkeit zeigen. Unzählige Menschen werden
                 sionsminderung bis 2030 65 Prozent vor und bis         den Klimawandel mit dem Leben bezahlen. Und
                 2040 sogar 88 Prozent. Die Klimaneutralität soll       nicht zuletzt wird er auch enorme Finanzmittel
                 bis 2045 statt 2050 erreicht werden.8 Auf dem          verschlingen. All das liegt nicht in ferner Zukunft,
                 Petersberger Klimadialog, der ebenfalls im April       es passiert bereits, und es wird sich exponentiell
                 stattfand, brachte Bundeskanzlerin Angela Merkel       verstärken.
                 zusätzlich ein internationales CO2-Preis-System           Nehmen wir das Beispiel Syrien, dessen an-
                 ins Spiel, welches helfen würde, den weltweiten        haltender Konflikt, klimatisch unterstützt, 2011
                 CO2-Ausstoß einzudämmen. Die Reaktionen auf            seinen Anfang fand. Vor dem zivilen Aufstand gab
                 den Preis-System-Vorschlag waren eher gemischt.        es mehrere Faktoren, die zu den Spannungen in-
                    Andere Top-10-Treibhausgas-Verursacher ha­          nerhalb der Gesellschaft beitrugen. Zwischen den
                 ben ihre Emissionsreduktionsziele ebenfalls            späten 1980er-Jahren und dem Ende des Jahr-
                 erhöht. So will Japan bis 2030 von 26 Prozent          hunderts plagten mehrere Dürren das Land, Flüs-
                 auf 46 Prozent unter das Niveau von 2013 kom-          se begannen auszutrocknen, und während des
                 men. Auch Kanada änderte seine Ziele und gab           Irak-Krieges kam ca. 1,2 bis 1,4 Millionen Flücht-
                 bekannt, dass es die Emissionen bis 2030 um            linge nach Syrien.9 Im Jahr 2005 begann eine fünf-
                 30 Prozent unter das Niveau von 2005 senken            jährige, Rekorde brechende Dürre, die Wasser-
                 werde. Premierminister Justin Trudeau unter-           knappheit, wirtschaftliche Verluste und negative
                 strich die bestehende Verpflichtung Kanadas, das       soziale Folgen mit sich brachte. Die Kombination
                 Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen. Der brasilia-   aus der klimabedingten Dürre, den Migrations-

                 6                             ETHIKUNDMILITAER.DE                             ETHIK UND MILITÄR 01/21
Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator - Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement - Ethik und Militär
strömen aus dem Irak und den aus diesen beiden        aber zunächst muss es von beiden Kammern des
Faktoren entstandenen sozialen Spannungen             Kongresses verabschiedet werden, bevor er es
trugen zum Aufruhr in Syrien bei.10                   unterschreiben kann. Gelingt dies, dann wäre es
   Geopolitische Rivalitäten können zusätzliche       das Signal, welches nicht nur China, sondern der
Hindernisse bei der Bekämpfung des Klimawan-          gesamten internationalen Staatengemeinschaft
dels sein. Die größten Länder der Welt stehen         zeigt: Die USA sind in der Tat zurück. Nun müssen
sich geopolitisch gesehen eher feindlich gegen-       die USA und China ihre Beziehungen kategorisie-
über. Zwischen Russland und den USA gab es
zwar kurze Perioden der Annäherung – sie waren                  Europa und viele andere Länder sehen
1941–1945 Alliierte im Krieg gegen Nazi-Deutsch-
land, und in der jüngeren Geschichte arbeiteten                     die USA in der Führungsposition,
beide Länder an einer besseren Verständigung
in der unmittelbaren postsowjetischen Zeit von
                                                                doch es gibt zahlreiche andere Staaten,
1992 bis zum Ende des Jahrhunderts −, aber sie                     die eher auf China schauen werden
fallen immer wieder zurück in eine konkurrieren-
de Haltung.                                           ren, anders kann der gemeinsame Kampf gegen
   Wie Russland ist auch Saudi-Arabien, ebenso        den Klimawandel nicht funktionieren. Systemani-
kein leichter Partner für die USA, in hohem Maße      mositäten, Handelsstreitigkeiten, Menschenrech-
auf den Verkauf fossiler Brennstoffe angewiesen.      te, Taiwan, technische Konkurrenz und andere
Sie bilden die Löwenanteile der Staatseinnahmen       potenzielle Spannungsherde sollen ihre Relevanz
beider Länder. Ihre Regierungen wissen, dass fos-     nicht verlieren, müssen aber auf anderen diplo-
sile Brennstoffe keine dauerhafte Einnahmequel-       matischen Wegen angesprochen und verhandelt
le sein können, ihre Auslaufzeit ist auf Jahrzehnte   werden. Die Bekämpfung des Klimawandels darf
absehbar. Bisher zeigen aber beide Länder nicht       auf keinen Fall zum Spielball der Staaten werden,
den nötigen politischen und mehr oder weniger         der andere Punktrückstände ausgleichen oder
wirtschaftlichen Willen, sich diesem Wandel, dem      Vorteile verschaffen soll. Auf einer Pressekonfe-
Umdenken zu stellen, was erhebliche Auswirkun-        renz am 7. März verkündete Wang Yi, der rang-
gen auf die Stabilität und Sicherheit ihrer Regio-    höchste Diplomat Chinas, dass sein Land gewillt
nen haben kann.                                       sei, mit den USA beim Thema Klima offen zu ko-
   Für die internationale Sicherheit von großer       operieren. Ein erstes Signal waren die verbesser-
Bedeutung ist natürlich China. Die USA und China      ten Zielankündigungen auf dem von Präsident
sind die weltgrößten Ökonomien und verantwor-         Biden einberufenen Leaders Summit on Climate
ten gemeinsam 43 Prozent des globalen Koh-            am Earth Day. Das bringt allein zwar noch keine
lendioxidausstoßes.11 Europa und viele andere         positiven Ergebnisse, birgt aber doch die Chance
Länder sehen die USA in der Führungsposition,         zu einer weiteren Kooperation auf diesem Gebiet.
doch es gibt zahlreiche andere Staaten, die eher         Wichtig wäre, dass China auch seine welt-
auf China schauen werden, wenn es darum geht,         weiten fossilen Industrieinvestitionen durch die
die eigenen Ziele umzusetzen bzw. zu erhöhen.         Belt and Road Initiative (BRI) stoppt oder auf er-
China scheint bereit, nötige Schritte zur Emissi-     neuerbare Energien umstellt. China hat seit der
onsreduzierung im eigenen Land einzuleiten und        Gründung der BRI weltweit Milliarden US-Dol-
gleichzeitig eine Vorreiterposition einzunehmen.      lar in fossile Brennstoffprojekte investiert.12 Das
Beide Länder müssen die gesetzten Reduktions-         ist ganz klar die entgegengesetzte Richtung im
ziele nicht nur rigoros umsetzen, sie müssen sie      Kampf gegen den Klimawandel. Ein erster posi-
schrittweise erhöhen. Nur dann können die USA         tiver Schritt war die 2019 gegründete Belt and
und China die Beispiele sein, die andere Länder       Road Initiative International Green Development
ernst nehmen und dazu veranlassen werden, ihre        Coalition (BRIGC), die eine nachhaltige, grüne
selbst gesteckten Ziele auch tatsächlich umzu-        Entwicklung entlang des BRI-Projekts und den
setzen.                                               beteiligten Staaten anstrebt und die 2030-Agen-
   Präsident Biden steht hinter seinem ambi-          da der Vereinten Nationen für nachhaltige Ent-
tionierten Zwei-Billionen-US-Dollar Klimapaket,       wicklung unterstützt.

ETHIK UND MILITÄR 01/21                           ETHIKUNDMILITAER.DE                                  7
Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator - Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement - Ethik und Militär
DER KLIMAWANDEL ALS BEDROHUNGSMULTIPLIKATOR

                                  Zudem werden die meisten Entwicklungs-                    Willen, globale Fragen ernst zu nehmen und sie
                               länder enorme Hilfsmittel − nicht nur finanziel-             langfristig – nicht befristet auf eine Amtszeit − zu
                               ler Art − benötigen, um dem Klimawandel ent-                 verstehen. Die Präsidentschaft Donald Trumps
                               gegentreten zu können. Hier braucht es die USA               hat das deutlich gemacht. Die schiere Herkules-
                               und China. Bestehende Instrumente (Adaptation                aufgabe, das Problem Klimawandel anzugehen,
                               Fund, Green Climate Fund) sollten langfristig aus-           die damit verbundenen Kosten und die nicht zu
                               gebaut und neue Strukturen entwickelt werden.                unterschätzende Leichtigkeit, auf Ignoranz zu
                               Biden hat in diesem Zusammenhang, die „Mo-                   setzen, könnten die auf Freiwilligkeit basierenden
                               bilisierung von Finanzmitteln aus dem öffent-                Klimaabkommen immer wieder behindern oder
                               lichen und privaten Sektor [angekündigt], um                 gar zum Scheitern verurteilen.
                               die Netto-Null-Umstellung voranzutreiben und                    Das Wissen, dass die Umstellung auf klimaneu-
                               anfällige Länder bei der Bewältigung der Klima-              trales Wirtschaften weltweit enorme Finanzmittel
                               auswirkungen zu unterstützen“.13                             verschlingen wird, lässt manche Staaten auf Zu-
                                                                                            rückhaltung setzen, geringe Ziele verfolgen oder
                               Die Rolle der                                                Ziele schlicht ignorieren. Es fehlen die richtigen
                               Vereinten ­Nationen                                          Anreize, und es fehlen auch Strafen bei Nichtein-
                                                                                            haltung. Joe Biden sieht den Klimawandel nicht
                               Seit dem Inkrafttreten der UN-Klimarahmenkon-                nur als Chance, den Planeten zu retten und, son-
                               vention UNFCCC 1994 gilt als ihr oberstes Ziel,              dern auch die Wirtschaft seines Landes neu auf-
                               „[...] die Treibhausgaskonzentrationen in der At-            zustellen, klimaneutral und gleichzeitig wachs-
                               mosphäre auf einem Niveau zu stabilisieren, das              tumsorientiert. Die Vereinten Nationen können
                               eine gefährliche Störung des Klimasystems durch              daraus lernen und die richtigen Anreize festlegen.
                               den Menschen verhindert, und zwar in einem                   Sie müssen eine verbindliche Agenda setzen und
                               Zeitrahmen, der es den Ökosystemen erlaubt,                  Instrumente schaffen, die global nicht nur koor-
                               sich auf natürliche Weise anzupassen und eine                diniert, sondern auch kontrolliert werden. Dazu
                               nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen“.14                   bedarf es zum Beispiel finanzieller Anreize und
                                  Seither trifft sich die internationale Staaten-           eines Sanktionskatalogs. Beides könnte die kon-
                               gemeinschaft unter dem Siegel der UNFCCC ein-                tinuierliche und langfristige Partizipation der Ver-
                               mal im Jahr für multilaterale Verhandlungen. Nur             handlungsländer sicherstellen.
                               2020 fiel die Tagung pandemiebedingt aus und                    Der renommierter britische Naturforscher Sir
                               findet nun im November 2021 in Glasgow unter                 David Attenborough wandte sich während einer
                               dem Kürzel COP26 statt. Trotz der allseits ge-               Debatte am 23. Februar 2021mit folgender er-
                               rühmten Erfolge zum Beispiel des Pariser Klima-              nüchternder Botschaft an die Mitglieder des UN-
                               abkommens (COP21) sind bisher keine der in den               Sicherheitsrates: „Wenn wir unseren derzeitigen
                               letzten 26 Jahren verhandelten Ergebnisse, wie               Weg fortsetzen, werden wir mit dem Zusammen-
                               etwa die Emissionsreduktionsziele, vertraglich               bruch all dessen konfrontiert, was uns unsere Si-
                               bindend. Nicht nur fehlt es an international gel-            cherheit gibt: Nahrungsmittelproduktion, Zugang
                               tenden Rechtsmitteln, es fehlt oft am politischen            zu Süßwasser, eine für Menschen erträgliche Um-
                                                                                            gebungstemperatur und Nahrungsketten in den
Der Autor                                                                                   Ozeanen“, sagte er und fügte hinzu: „Und wenn
                            Michael Czogalla ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für         die natürliche Welt unsere grundlegendsten Be-
                            Außen- und Sicherheitspolitik im Büro der Friedrich-Ebert-      dürfnisse nicht mehr erfüllen kann, dann wird ein
                            Stiftung in Washington, DC. Bevor er sich der FES anschloss,
                                                                                            Großteil des Rests der Zivilisation schnell zusam-
                            lehrte er an der University of Nebraska, Lincoln, und
                                                                                            menbrechen.“15 Die Folgen des Klimawandels,
                            ver­öffentlichte das Buch „Behind the Laughter“, das sich mit
                                                                                            sollten sie nicht verhindert werden, können zur
                            gesellschaftlichen Kontroversen in der US-amerikanischen
                            Populärkultur beschäftigt. Er schreibt regelmäßig über The-     sozialen und politischen Instabilität führen, die
                            men der Außen- und Sicherheitspolitik im transatlantischen      internationale Wirtschaft beschädigen, demogra-
                            Bereich. Seinen M. A. erhielt er in Amerikanistik, Politik-     fische Veränderungen und Massenmigrationen
                            wissenschaft und DaF an der Universität Leipzig. Er ist         herbeiführen und zivile wie militärische Konflikte
außerdem Absolvent des Center for Digital Imaging Arts (CDIA) an der Boston University.     auslösen. Der UN-Sicherheitsrat, dem die Wah-

                               8                                ETHIKUNDMILITAER.DE                                ETHIK UND MILITÄR 01/21
Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator - Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement - Ethik und Militär
rung des internationalen Friedens und der Sicher-      1 Vgl. United Nations Framework Convention on Climate
                                                       Change (2019): „Cut Global Emissions by 7.6 Percent
heit zukommt, setzt sich daher seit 2007 mit den
                                                       Every Year for Next Decade to Meet 1.5°C Paris Target
klimabedingten Sicherheitsrisiken auseinander.         – UN Report“. https://unfccc.int/news/cut-global-emissi-
Sie spielen in den Debatten des Gremiums eine          ons-by-76-percent-every-year-for-next-decade-to-meet-
                                                       15degc-paris-target-un-report (Stand aller Internet-Links:
wichtige Rolle und resultierten seither in verschie-   28.5.2021).
denen Resolutionen, die die negativen Auswir-          2 Guterres, António (2020): Foreword in: „The State of
kungen des Klimawandels betonen und weitere            the Global Climate 2020“. https://public.wmo.int/en/
                                                       our-mandate/climate/wmo-statement-state-of-global-cli-
Schritte fordern.                                      mate
                                                       3 Lindsey, Rebecca (2020): „Climate Change: Atmospheric
Alle Hoffnung auf Glasgow?                             Carbon Dioxide“. https://www.climate.gov/news-fea-
                                                       tures/understanding-climate/climate-change-atmospher-
                                                       ic-carbon-dioxide
Als Joe Biden das Ruder im Weißen Haus über-           4 Vgl. Friedrich, Johannes, Mengpin Ge und Andrew
nommen hat, atmeten viele Klimaaktivisten auf.         Pickens (2020): „World’s Top 10 Emitters“. https://www.
                                                       wri.org/insights/interactive-chart-shows-changes-
Mit seinem dargestellten klimapolitischen Engage-      worlds-top-10-emitters
ment wird in Glasgow eine wichtige Rolle spielen.      5 Busby, Joshua, Morgan Bazilian und Florian Krampe
                                                       (2021): „Biden called climate change an ‘existential threat.’
Was Joe Biden jetzt prägt, muss aber auch Bestand
                                                       Can the U.N. Security Council help?“. Washington Post,
haben. Wie auch immer das Abkommen aussehen            2. März 2021.
wird, welche neuen Ziele gesetzt werden, alles         6 Vgl. Sengupta, Somini, und Lisa Friedman (2021): „U.S.
                                                       says it will sharply cut emissions and increase funds to
muss rechtlich unterfüttert und bindend sein. Der      vulnerable countries to fight climate change“. New York
nächste US-Präsident kann nicht erneut per Feder-      Times. https://www.nytimes.com/live/2021/04/22/us/
strich die Führungsrolle abgeben und den Globus        biden-earth-day-climate-summit
                                                       7 Vgl. Pike, Lili (2021): „Biden wants to triple protected
zum klimatischen Scheitern verurteilen.                lands“. https://www.vox.com/22251851/joe-biden-execu-
   Bis 2030 müssten die globalen Treibhausgas-         tive-orders-climate-change-conservation-30-by-2030
emissionen halbiert sein. Bis Mitte des Jahrhun-       8 Vgl. „Klimaschutzgesetz 2021 – Generationenvertrag
                                                       für das Klima“. https://www.bundesregierung.de/
derts dürfte die Menschheit unter dem Strich           breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzge-
keine Klimagase mehr emittieren. Das ist das           setz-2021-1913672
Ziel, aber die wirklich gesteckten Ziele gehen in-     9 Vgl. Kenyon Lischer, Sarah (2008): „Security and
                                                       Displacement in Iraq: Responding to the Forced
dividuell auseinander, nicht jeder Staat setzt die     Migration Crisis“. Quarterly Journal: International
gleichen Ziele, noch werden sie mit dem nötigen        Security. https://www.belfercenter.org/publication/
Willen verfolgt.                                       security-and-displacement-iraq-responding-forced-migra-
                                                       tion-crisis
   Die Erwartungen an die COP26 in Glasgow             10 Vgl. Holleis, Jennifer (2021): „How climate change
könnten kaum höher sein. Das Jahr 2020 gehör-          paved the way to war in Syria“. https://www.dw.com/en/
                                                       how-climate-change-paved-the-way-to-war-in-syr-
te zu den drei wärmsten Jahren, die jemals ge-
                                                       ia/a-56711650
messen wurden. Die Erwärmung der Ozeane ist            11 Arvin, Jariel (2021): „How the US and China can
so hoch wie nie. In einer von der London School        jump-start cooperation on climate change“. https://www.
                                                       vox.com/22319488/china-biden-alaska-blinken-climate-
of Economics organisierten Vorlesung hat die UN-       change
Klimasekretärin Patricia Espinosa die vier wich-       12 Vgl. Hillman, Jennifer und Alex Tippett (2021): „The
tigsten Ziele der COP26 zusammengefasst: die           Climate Challenge and China's Belt and Road Initiative“.
                                                       https://www.cfr.org/blog/climate-challenge-and-chinas-
Versprechen an Entwicklungsländer einhalten            belt-and-road-initiative
(inklusive jährlich 100 Milliarden Dollar Klimahil-    13 U.S. Department of State (2021): „Leaders Summit
fe); das Pariser Abkommen endgültig und voll-          on Climate“. https://www.state.gov/leaders-sum-
                                                       mit-on-climate/day-1/
ständig umsetzen; Emissionen weiter senken und         14 UNFCCC secretariat: „About the Secretariat“. https://
Klimaambitionen erhöhen; sowie die Einbindung          unfccc.int/about-us/about-the-secretariat
von Beobachtern und unparteiischen Interessen-         15 World Meteorological Organization (2021): „UN
                                                       Security Council debates climate change“. https://public.
vertretern.16                                          wmo.int/en/media/news/un-security-council-debates-cli-
   Glasgow kann kein zweites Paris sein, kein Wei-     mate-change. (Eigene Übersetzung aus dem Englischen.)
                                                       16 Vgl. Espinosa, Patricia (2021): „Our Slim Window of
ter-so. Glasgow muss neue, der Realität entspre-
                                                       Opportunity – what the climate change agenda must
chende Ziele setzen, die wesentlich höher und          achieve in 2021“. Lecture, London School of Economics
ambitionierter sein müssen als die, die aktuell im     and Political Science. (Audio). https://www.lse.ac.uk/
                                                       lse-player?id=c490ba04-dfee-4205-aa82-01ef2a7bfb4c
Raum stehen.

ETHIK UND MILITÄR 01/21                            ETHIKUNDMILITAER.DE                                            9
Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator - Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement - Ethik und Militär
DER KLIMAWANDEL
                 ALS RISIKO-                                               Autor: Michael Brzoska

               VERSTÄRKER                                                  Einleitung

         ÜBER DIE ZUSAMMENHÄNGE                                            Als im Jahre 2007 dem ehemaligen Vizeprä-

         VON KLIMAVERÄNDERUNGEN                                            sident der USA Al Gore und dem Weltklimarat
                                                                           der Friedensnobelpreis verliehen wurde, fand
                   UND KONFLIKTEN                                          dies einerseits große Zustimmung, wurde an-
                                                                           dererseits aber auch heftig kritisiert. Die Kritik
                                                                           entzündete sich vor allem daran, dass zum
                                                                           Zeitpunkt der Verleihung kein genereller em-
                                                                           pirischer Zusammenhang zwischen dem An-
                                                                           stieg der Treibhausgase in der Atmosphäre und
                                                                           dem Konfliktgeschehen feststellbar war – im
                                                                           Gegenteil, verglichen mit den 1990er-Jahren
                                                                           hatte die Anzahl bewaffneter Konflikte deutlich
                                                                           abgenommen. Auch für die Zukunft waren die
                                                                           Kritiker skeptisch, ob der vom Nobelkomitee
                                                                           unterstellte enge Zusammenhang zwischen
                                                                           vom Klimawandel hervorgerufenen Umwelt-
                                                                           veränderungen und bewaffneten Konflikten be-
                                                                           stehe. Die Gegenseite verwies auf einige Kriege
                                                          Abstract         der jüngeren Vergangenheit, wie den in Darfur
                                                                           im Sudan, sowie auf die Konfliktträchtigkeit von
      Veränderungen der natürlichen Umwelt, die durch den Klima-           knappen Ressourcen wie für Landwirtschaft
  wandel hervorgerufen werden, bleiben nicht ohne Rückwirkungen            nutzbares Land und Wasser, deren Verfügbar-
                                                                           keit mit dem Klimawandel abnehmen werde.1
   auf die Lebensbedingungen von Menschen und die Rahmenbedin-
                                                                              Seit 2007 ist die Frage nach den Zusammen-
  gungen für die Bearbeitung bzw. Lösung von Interessenkonflikten.
                                                                           hängen von Klimawandel und Konflikten Ge-
  Der Klimawandel ist somit auch ein Risikofaktor für Gewaltkon-
                                                                           genstand einer inzwischen in die viele Hunderte
     flikte, dessen Bedeutung aufgrund der Komplexität der Zusam-          gehenden Zahl von wissenschaftlichen Unter-
   menhänge mit wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen       suchungen und Veröffentlichungen geworden.2
    Konflikttreibern nicht isoliert bestimmen lässt. Wichtiger als das     Zwar streuen sowohl die Ergebnisse als auch
       Ausmaß der Umweltveränderungen ist dabei für die Konflikt­          die daraus gezogenen Schlussfolgerungen im-
  eskalation, zumindest auf absehbare Zeit, wie konfliktträchtig die       mer noch breit, aber es lassen sich doch eine
    Lage ist, in der diese Veränderungen stattfinden. Besonders hoch       Reihe von weit akzeptierten Erkenntnissen fest-
      ist das Konfliktrisiko generell auf lokaler Ebene, weil auch der     stellen. Diese sollen im Folgenden dargestellt
Klimawandel lokal die größten Auswirkungen hat, etwa in Extrem-            werden.
   wetterereignissen oder durch den Anstieg des Meeresspiegels. Die
    enge Verquickung der Auswirkungen des Klimawandels auf die             Klimawandel als Bedrohung
 Umwelt mit anderen Konfliktfaktoren eröffnet vielfältige Möglich-
                                                                           oder Risiko
      keiten, das Konfliktrisiko Klimawandel abzubauen. Allerdings
                                                                           Die unterschiedlichen Reaktionen auf den Frie-
     verschlechtern sich mit fortschreitendem Klimawandel auch die
                                                                           densnobelpreis von 2007 lassen sich auf zwei
    Bedingungen für erfolgreiche Eindämmung des Konfliktrisikos.           Grundpositionen in der Analyse von Konflikten
  Risikofaktoren sind über den Klimawandel selbst hinaus auch die          zurückführen. Die eine betont Umweltfaktoren,
    Gefahren einer Über- und Unterschätzung von dessen Bedeutung           die andere die gesellschaftliche Dimension als
  für das Konfliktgeschehen. Übertreibung kann zu Militarisierung          entscheidend für die Entstehung und Eskalation
   und Unter­schätzung zum Unterbleiben sinnvoller Aktivitäten zur         von Konflikten in Gewaltkonflikte. In der wissen-
                Eindämmung des Risikofaktors Klimawandel führen.           schaftlichen Debatte um die Zusammenhänge

                           10                            ETHIKUNDMILITAER.DE                     ETHIK UND MILITÄR 01/21
von Klimawandel und Konflikten sind diese          der sudanesischen Zentralregierung in Khar-
beiden Grundpositionen stark mit der diszipli-     tum, die Kontrolle über Darfur zu bekommen,
nären Herkunft von ForscherInnen verbunden:        eine Provinz, in der sie bis dahin wenig präsent
während aus der Klimaforschung oder der Öko-       war. Möglich wurde dies durch die Beendigung
logie kommende AutorInnen generell Umwelt-         eines anderen Krieges, der bis dahin für die Re-
faktoren als dominant ansehen, stellen Konflikt-   gierung Priorität gehabt hatte. Die Rebellen im
forscherInnen in der Regel den von Menschen        Süden des Sudans hatten militärisch die Ober-
gemachten Konfliktprozess in den Vordergrund.      hand gewonnen, und die Regierung hatte im
   Die beiden Grundpositionen lassen sich gut      Machakos-Protokoll von 2002 weitreichende
am Beispiel der Auswirkung von Dürren auf den      Zugeständnisse gemacht, die den Weg zu ei-
Krieg in Darfur ab 2003 illustrieren.3 Vor dem     nem Ende der Kämpfe und der Unabhängigkeit
Ausbruch dieses Krieges mit mehreren Tausend       des Südens öffneten. Wichtiges Instrument der
Toten hatte es immer wieder gewalttätige Aus-      Regierung zur Übernahme der Kontrolle in Dar-
einandersetzungen um Land und Wasser insbe-
sondere zwischen Ackerbauern und Viehhirten,
aber auch zwischen verschiedenen ethnischen
                                                           Klimabedingte Umweltveränderungen
Gruppen gegeben. Bevölkerungswachstum,                              ­gehen bei Weitem nicht überall
aber auch ein tendenziell geringer werdendes
Volumen an jährlichen Niederschlägen, das
                                                          mit einer Intensivierung von Konflikten
sich vor allem in immer wiederkehrenden Dür-                              bis bin zu Kriegen einher
ren bemerkbar machte, hatten die Konflikte
über die Jahrzehnte verschärft, ohne dass es       fur war die Rekrutierung und Ausrüstung von
zu ähnlichen Zahlen an Opfern kam wie nach         paramilitärischen Verbänden, den „Janjawid“,
2003. Nach 2007, als es zu Verhandlungen und       die mit brutaler Gewalt vor allem gegen Zivilis-
Abkommen kam, flauten die Kämpfe ab, nicht         ten vorgingen. Die Eskalation des Konfliktes in
zuletzt auch, weil eine mehrere Tausend Per-       Darfur hatte also unmittelbar nichts mit Um-
sonen umfassende Friedenstruppe stationiert        weltveränderungen zu tun, sondern war Folge
wurde. Aktuell ist die Situation in Darfur weit-   politischer Entscheidungen. Andererseits fand
gehend ruhig. Allerdings ist die Zahl der Ver-     sie in einem Umfeld tendenziell zunehmender
triebenen weiterhin sehr hoch, und immer wie-      Knappheit an Land und Wasser statt.
der gibt es lokale Gefechte unter bewaffneten         Andere Beispiele, etwa die Bedeutung einer
Gruppen und mit Verbänden der Regierung.           Dürre im Nordosten des Landes für den noch
   Tendenziell sinkende Niederschlagsmengen        laufenden Krieg in Syrien4 oder von Katastro-
und wiederkehrende Dürren haben die Le-            phen auf den Philippinen für lokale Kampf-
benssituation der Menschen in Darfur über die      handlungen5, zeigen ein ähnliches Bild: Zwar
Jahrzehnte zunehmend belastet. Der Zusam-          sind den bewaffneten Konflikten mit dem Kli-
menhang dieser Verschlechterung der Umwelt-        mawandel verbundene Umweltveränderungen
bedingungen mit dem globalen Klimawandel           vorausgegangen, aber die Konfliktlinien waren
ist offensichtlich. Der Krieg ab 2003 war daher    andere, insbesondere Auseinandersetzungen
aus ökologischer Sicht eine Gewalteruption         um politische Macht.
infolge der Konflikte zwischen Gruppen über           Zudem gehen klimabedingte Umweltverän-
zunehmend knapper werdendes Wasser und             derungen bei Weitem nicht überall mit einer
nutzbares Land. Der damalige Generalsekretär       Intensivierung von Konflikten bis bin zu Kriegen
der Vereinten Nationen Ban Ki-mun nannte den       einher. So sind etwa in Südamerika, obwohl
Darfur-Konflikt den ersten Klimakrieg.             auch dort, etwa in den Anden, der Klimawandel
   Allerdings folgte der Krieg keiner der vielen   die Lebensverhältnisse der Menschen verän-
Dürren, sondern einer Reihe von vergleichswei-     dert, keine Zunahmen bewaffneter Auseinan-
se niederschlagsreichen Jahren. Auslöser war       dersetzungen zu verzeichnen.
auch keine der häufigen lokalen Auseinander-          Trotzdem sind die Wirkungen des Klimawan-
setzungen, sondern die gezielte Anstrengung        dels nicht irrelevant. Sie sind aber in zweifacher

ETHIK UND MILITÄR 01/21                        ETHIKUNDMILITAER.DE                               11
DER KLIMAWANDEL ALS BEDROHUNGSMULTIPLIKATOR

                 Hinsicht nicht determinierend.6 Zum einen sind     schen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und
                 sie fast ausschließlich dort von Bedeutung, wo     politischen Ausgangsbedingungen als auch
                 bereits Interessenkonflikte zwischen verschie-     der jeweils spezifische Konfliktprozess in der
                 denen Gruppen bestehen. Hier können sie            Konfliktregion ausschlaggebend.
                 Auseinandersetzungen verstärken, etwa indem           Diese enge Verquickung von Umweltver-
                 Wasser oder fruchtbares Land knapp wird oder       änderungen und anderen Risikofaktoren für
                 deren Verteilung zwischen Gruppen durch Aus-       die Eskalation von Konflikten macht es sehr
                 wirkungen des Klimawandels verändert wird.         schwer, den Einfluss des Klimawandels abzu-
                 Zum anderen stehen den Betroffenen auch in         schätzen oder gar zu quantifizieren. Das gilt
                 solchen Konstellationen verschiedene Reak-         sowohl für Fallstudien als auch für quantitati-
                 tionsmuster offen. So können sie etwa um das       ve Untersuchungen, in denen mit statistischen
                 abnehmende fruchtbare Land kämpfen oder            Methoden viele Fälle analysiert werden. Im
                 sich auf gemeinsame Nutzung einigen. Wich-         Gegensatz zu den Antworten auf die Frage, ob
                 tig dafür, welche Reaktion sich durchsetzt, ist    der Klimawandel überhaupt einen Einfluss auf
                 neben der Intensität der Konflikte vor allem       das Konfliktgeschehen in der Welt hat, fallen
                 das Bestehen von Institutionen zur Bearbei-        die auf die Frage nach der Bedeutung des Kli-
                 tung und Bewältigung von Konflikten. Dort,         mawandels für aktuelle und gar zukünftige Ent-
                 wo es breit akzeptierte Möglichkeiten des In-      wicklungen weiter unterschiedlich aus.
                 teressenausgleiches zwischen verschiedenen            Einen interessanten Ansatz, dieses Spekt-
                 Gruppen gibt, sinkt die Wahrscheinlichkeit der     rum auszuleuchten, haben vor einigen Jahren
                 Eskalation von Konflikten. Auch andere Fak-        ForscherInnen der Stanford Universität in Kali-
                 toren beeinflussen die Reaktionsmuster, etwa       fornien verfolgt.7 Sie luden WissenschaftlerIn-
                 die relativen Veränderungen an Besitz und Ein-     nen, die mit zum Teil sehr unterschiedlichen
                 kommen, die mit Umweltveränderungen ver-           Ergebnissen prominent zum Zusammenhang
                 bunden sind, oder die Ausnutzung von Konflik-      von Klimawandel und Konflikten veröffentlicht
                                                                    hatten, zu einem Retreat ein. Unter anderem
Die enge Verquickung von Umwelt-                                    ließen sie die Frage diskutieren, welche Bedeu-
ver­än­derungen und anderen Risikofaktoren                          tung der Klimawandel im Vergleich zu anderen
                                                                    Risikofaktoren nach ihrer Meinung für das Kon-
für die Eskalation von Konflikten macht                             fliktgeschehen aktuell habe und in der Zukunft
es sehr schwer, den Einfluss des Klimawandels                       haben werde.
­abzuschätzen oder gar zu quantifizieren                               Auch mit diesem Vorgehen lässt sich die
                                                                    relative Bedeutung des Klimawandels als Ri-
                 ten durch politische Akteure, die sich dadurch     sikofaktor für bewaffnete Konflikte nur grob
                 einen Machtzuwachs versprechen.                    abschätzen. Aber es ist interessant, dass die
                   Klimawandel ist in dieser Perspektive, auf       Einschätzungen der ExpertInnen in einer Reihe
                 die sich ForscherInnen mit unterschiedlichen       von Punkten bei allen Unterschieden im Detail
                 fachlichen Hintergründen einigen können, ein       übereinstimmen. So waren sie sich einig, dass
                 Risikofaktor für bewaffnete Konflikte unter vie-   aktuell der Klimawandel weit weniger bedeu-
                 len. Wie bedeutend er ist, hängt einerseits von    tend ist als andere Risikofaktoren, wie etwa
                 der relativen Bedeutung der Umweltverände-         geringes Einkommen pro Kopf, das Vorhanden-
                 rungen und den jeweiligen wirtschaftlichen,        sein ethnischer Konflikte oder schwache Staat-
                 gesellschaftlichen und politischen Kontexten       lichkeit. Die Einschätzungen des Beitrages von
                 ab und andererseits von den Entscheidungen         Klimaveränderungen auf das Konfliktrisiko der
                 zwischen Eskalation und Deeskalation von           jüngeren Vergangenheit reichten von 3 Prozent
                 Konflikten, die relevante Akteure treffen. Zur     bis 20 Prozent, bei allerdings großer Unsicher-
                 Erklärung, warum mit dem Klimawandel zu-           heit bei allen ForscherInnen. Sie waren sich
                 sammenhängende Umweltveränderungen ge-             auch einig, dass die Bedeutung des Klimawan-
                 legentlich für die Eskalation von Konflikten von   dels in der Zukunft zunehmen wird, wobei die
                 Bedeutung sind, sind also sowohl die ökologi-      meisten einen schwachen bis moderaten Zu-

                 12                         ETHIKUNDMILITAER.DE                         ETHIK UND MILITÄR 01/21
wachs bei einem globalen Temperaturanstieg          Landes durch Meeresspiegelanstieg und Ver-
von 2 Grad Celsius und einen moderaten in           salzung oder durch Ausdehnung von Trocken-
einem 4-Grad-Szenario erwarteten.8                  gebieten, gilt, dass lokale Konflikte häufiger
                                                    sind als nationale oder gar internationale. Ein
Lokale, regionale und globale                       wichtiger Grund ist die relative Bedeutung von
Zusammenhänge                                       Umweltveränderungen, wie etwa geringerem
                                                    Niederschlag, Katastrophen oder Meeresspie-
Neben einem gewachsenen Konsens über                gelanstieg, für die Lebensbedingungen der
die generelle Bedeutung des Klimawandels            Menschen. Während sie lokal sehr wichtig sein
für Konflikte setzt sich auch immer mehr die        können, sind sie dies, mit einigen Ausnahmen
Erkenntnis durch, dass die Risiken des Klima-       wie etwa kleinen pazifischen Inselstaaten, für
wandels nicht nur in verschiedenen Regionen,        größere geografische Einheiten selten. Ein an-
sondern auch auf unterschiedlichen Ebenen           derer ist, dass die Möglichkeiten, Probleme
gesellschaftlicher Organisation voneinander         durch klimabedingte Umweltveränderungen,
abweichen.                                          etwa in der landwirtschaftlichen Produktion,
  Letzteres lässt sich gut am Beispiel von Trink-   auszugleichen, mit der Vielfältigkeit von Er-
wasser zeigen. Anders als häufig in reißerischen
Artikeln und Büchern behauptet, ist Wasser in                   Negative Folgen des Klimawandels
der Vergangenheit sehr selten Anlass für Krie-
ge zwischen Staaten gewesen. Zugleich ist die                         können sich an ganz anderen
Wahrscheinlichkeit gering, dass sich dies in
der Zukunft ändern wird9. Selbst dort, wo dies
                                                              Orten zeigen als dort, wo die Umwelt­
möglich erscheint, etwa weil durch den Bau                               veränderungen auftreten
von Staudämmen Wasserknappheit verschärft
werden könnte, wie aktuell durch den Bau ei-        werbsmöglichkeiten und Lebensbedingen
nes Nil-Staudamms in Äthiopien, ist nach den        zunehmen, was in der Regel in größeren Ein-
Erfahrungen der Vergangenheit eine gütliche         heiten eher der Fall ist. Schließlich sind auch
Einigung weitaus wahrscheinlicher als ein be-       Institutionen für Konfliktbearbeitung und -aus-
waffneter Konflikt. Ein Grund dafür ist, dass       gleich häufig lokal besonders schwach ausge-
die Kosten eines Krieges weit höher wären als       prägt. Lokale Konflikte können allerdings ins-
was in Verhandlungen an Verlusten an Wasser,        besondere in fragilen Staaten, in denen auch
und damit Einkommen für Bauern und andere           zentrale Institutionen nicht gut funktionieren,
Nutzer des Wassers, zu erwarten wäre. Die Si-       zugleich nationale und regionale Dimensionen
tuation ist dort anders, wo es nicht mehr um        entfalten. So wurden unzureichende Hilfslie-
Verteilung des Wassers, sondern um absolute         ferungen an Opfer des Taifuns Hayan, der im
Knappheit geht oder wo Abmachungen über             November 2013 einige Inseln der Philippinen
Aufteilung nicht möglich sind, weil Institutio-     getroffen hatte, zum Anlass für bewaffnete Aus-
nen fehlen, die Verstöße ahnden könnten. Bei-       einandersetzungen zwischen Regierungstrup-
des ist besonders häufig auf lokaler Ebene. So      pen und bewaffneten Gruppen.11
sind Auseinandersetzungen über Wassernut-              Lokale Effekte können aber nicht nur durch
zung in der Sahelzone vor allem dort häufig, wo     lokale Umweltveränderungen hervorgerufen
es keine traditionellen Institutionen, wie Ältes-   werden. In unserer global vernetzten Welt kön-
tenräte, oder moderne, wie Gerichte, gibt, die      nen sich negative Folgen des Klimawandels an
einen Interessenausgleich organisieren kön-         ganz anderen Orten zeigen als dort, wo die Um-
nen. Andererseits führt Wasserknappheit oft         weltveränderungen auftreten. Wichtige Trans-
auch zu mehr Vertrauen und Zusammenarbeit           formationsriemen sind Migration und Preise.
unter Bevölkerungsgruppen.10                        Umweltveränderungen, insbesondere Katast-
  Nicht nur für Wasser, auch für andere Um-         rophen, in einer Region können zu Konflikten in
weltveränderungen, die mit dem Klimawan-            den Zuwanderungsregionen führen. Allerdings
del zusammenhängen, wie Verlust nutzbaren           ist die Bedeutung dieses Konfliktfaktors in der

ETHIK UND MILITÄR 01/21                         ETHIKUNDMILITAER.DE                             13
DER KLIMAWANDEL ALS BEDROHUNGSMULTIPLIKATOR

                 wissenschaftlichen Literatur sehr umstritten.12      Einkommensniveau niedrig und der wichtigs-
                 Ein Beispiel für die Bedeutung von Preisen für       te Erwerbszweig die Landwirtschaft ist. Für die
                 lokale Konflikte sind die wiederholten „Brotauf-     Zukunft werden weitere Hotspots genannt, in
                 stände“ in zahlreichen Ländern des Globalen          denen der schleichende Klimawandel über
                 Südens. Da auch die lokalen Preise für Brot-         dauerhaften Rückgang von Niederschlägen
                 getreide stark von Angebot und Nachfrage auf         und Meeresspiegelanstieg zu Umweltverände-
                 dem Weltmarkt abhängig sein können, kann             rungen führt, so etwa im Mittelmeerraum und
                 ein deutlicher Rückgang der Produktion in einer      im südlichen Afrika.14
                 Weltregion erhebliche Auswirkungen in einer
                 anderen haben. Genau dieser Mechanismus ist          Konfliktminderung und
                 von einigen AutorInnen als ein Faktor für den        ­Friedensbildung
                 „Arabischen Frühling“ im Jahre 2011 benannt
                 worden. Aufgrund von Dürren in Russland, Chi-        Die enge Verquickung von klimabedingten
                 na und einigen anderen Ländern des Globalen          Umweltveränderungen mit gesellschaftlichen
                 Nordens waren die Weltmarktpreise für Brotge-        und politischen Risikofaktoren bietet vielfältige
                 treide im Herbst 2010 weit überdurchschnittlich      Anknüpfungspunkte für Maßnahmen und Akti-
                 angestiegen, was die Proteste in einer Reihe von     vitäten, um die Konfliktträchtigkeit des Klima-
                 arabischen Staaten befeuerte.13                      wandels zu reduzieren.15
                    Eine gewichtige Ausnahme von diesem Fo-              An erster Stelle stehen Maßnahmen, um das
                 kus auf lokale Konflikte wird häufig in der Arktis   Ausmaß des Klimawandels zu begrenzen. Die
                 gesehen. Die Auswirkungen des Klimawandels           Auswirkungen auf die Umwelt und die damit
                 in der Arktis unterscheiden sich fundamen-           einhergehenden Belastungen für den Zusam-
                 tal von denen in den meisten Regionen der            menhalt von Gesellschaften und Beziehungen
                 Welt: Hier findet keine Verschlechterung der         zwischen Staaten wachsen mit dem Grad der
                                                                      globalen Erwärmung. Entsprechend bedeut-
Neben dem Sahel sind vor allem ­                                      sam ist es auch für das zukünftige Konfliktge-
                                                                      schehen, ob die internationale Gemeinschaft in
Regionen in Süd- und Südostasien                                      der Lage ist, den globalen Temperaturanstieg

bereits heute Konflikt­risiko-                                        verglichen mit der Zeit vor dem Beginn der In-
                                                                      dustrialisierung auf 2 Grad oder sogar darunter
Hotspots des Klimawandels                                             zu begrenzen.16
                                                                         Auch die Auswirkungen des Klimawandels
                 Bedingungen für Einkommenserzielung statt,           auf die physische Umwelt und die Verfügbar-
                 sondern mit Ausnahme für die indigene Be-            keit von Ressourcen wie Land und Wasser las-
                 völkerung deren Verbesserung. Die verstärkte         sen sich durch aktive Maßnahmen verändern.
                 Nutzung von Schiffspassagen in der Arktis und        Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Katas­
                 insbesondere die mögliche Ausbeutung von             trophenvorsorge, denn auch der schleichende
                 Rohstoffen bergen erhebliches Konfliktpoten­         Klimawandel, etwa im Bereich des Anstiegs des
                 zial. Allerdings haben es die Anrainerstaaten        Meeresspiegels, wird zunächst vor allem in Ex-
                 der Arktis bisher geschafft, ihre Interessenge-      tremsituationen – in diesem Fall Sturmfluten –
                 gensätze durch Verträge zu regeln.                   zu Schäden führen. Anpassungsmaßnahmen
                    Neben dem Sahel sind vor allem Regionen           sind daher ein zweites Instrument, um die Aus-
                 in Süd- und Südostasien bereits heute Kon-           wirkungen des Klimawandels auf das Konflikt-
                 fliktrisiko-Hotspots des Klimawandels. In sol-       geschehen zu beeinflussen.
                 chen treffen starke negative Auswirkungen auf           Weiter als Anpassungsmaßnahmen gehen
                 das Einkommen von Menschen durch Dürren,             Vorhaben, mit denen die Resilienz von Gesell-
                 Überschwemmungen, Stürme und andere Na-              schaften gegen klimabedingte Umweltverän-
                 turkatastrophen auf bereits bestehende wirt-         derungen gestärkt werden soll. So kann eine
                 schaftliche, gesellschaftliche oder politische       schnelle wirtschaftliche Erholung nach einer
                 Konfliktlinien. Gemeinsam ist ihnen, dass das        Katastrophe verhindern, dass sich Konflikte

                 14                          ETHIKUNDMILITAER.DE                           ETHIK UND MILITÄR 01/21
Sie können auch lesen