Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator - Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement - Ethik und Militär
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KONTROVERSEN I N M I LI TÄ R E T H I K U N D SICHERHEITSPOLITIK AUSGABE 01/2021 Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator SPECIAL Neue Herausforderungen für das Militär und das Konfliktmanagement
INHALT DER KLIMAWANDEL ALS BEDROHUNGS MULTIPLIKATOR Editorial SPECIAL: Veronika Bock Seite 3 NEUE HERAUS Raus aus dem Treibhaus: FORDERUNGEN FÜR DAS Gemeinsam und global lässt sich MILITÄR UND DAS das Sicherheitsrisiko des Klimawandels noch verhindern KONFLIKTMANAGEMENT Michael Czogalla Seite 4 Der Klimawandel als Risikoverstärker: „Unseren Umgang mit Klima- Über die Zusammenhänge von Klima wandel und Nachhaltigkeit können veränderungen und Konflikten wir deutlich verbessern“ Michael Brzoska Seite 10 Interview mit Lieutenant General Richard Nugee, Autor des Climate Change and Wenn Du Frieden willst, Sustainability Strategic Approach des schütze das Klima! britischenVerteidigungsministeriums Seite 52 Andreas Lienkamp Seite 18 „Teile von Somalia werden in Klimagerechtigkeit und Klima Zukunft unbewohnbar“ konflikte als sicherheitspolitische Interview mit Christophe Hodder, Herausforderung des 21. Jahrhunderts Beauftragter für Umweltsicherheit im Angela Kallhoff/ Rahmen der Mission UNSOM Seite 56 Thomas Schulte-Umberg Seite 28 Impressum/Alle Ausgaben Seite 63 Warum wir eine grüne und ganzheit lichere internationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik brauchen François Bausch Seite 34 Mehr Aufgaben, mehr Ressourcen, mehr Inklusion: Anforderungen an die humanitäre Hilfe in Zeiten steigender Klimarisiken Oliver Müller Seite 44 2 ETHIKUNDMILITAER.DE ETHIK UND MILITÄR 01/21
EDITORIAL Die existenziellen Gefahren des globalen Klima- als eine Gefahr für internationalen Frieden und wandels für die Menschheit sind während der Sicherheit bezeichnet wurde, haben die USA, Corona-Pandemie etwas in den Hintergrund Russland und China verhindert. der Aufmerksamkeit geraten. Nun drängt das Dass die Auswirkungen des Klimawandels Thema mit Macht zurück. In den USA hat Prä- zwangsläufig in bewaffnete Konflikte münden, sident Biden noch am Tag seiner Amtseinfüh- wäre auch sicherlich eine Vereinfachung. Die rung die Rückkehr seines Landes zum Pariser zunehmende Fragilität in Weltregionen wie Klimaabkommen angeordnet und inzwischen der Subsahara oder am Horn von Afrika zeigen sehr engagierte Klimaziele gesetzt. In Deutsch- jedoch, dass sie als Bedrohungsmultiplikator land, wo der Klimaschutz auch während der ernst zu nehmen sind. Bei der Bedarfsermitt- Pandemie im Fokus der politischen Debatte lung und Ausrichtung von humanitärer und geblieben ist, gehört er zu den entscheidenden Katastrophenhilfe, internationaler Entwick- Themen der bevorstehenden Bundestagswahl. lungszusammenarbeit, der Friedens- und Resi- Gespannt sein darf man auf die wegen der Pan- lienzförderung sowie des Statebuilding ist dies demie verschobene UN-Klimakonferenz, die in Betracht zu ziehen. nun im November 2021 in Glasgow stattfindet Damit geraten die Aufgaben und Instrumen- (COP26). Wird die internationale Staatenge- te klassischer Sicherheitspolitik selbst in den meinschaft weitere Verbesserungen erreichen, Fokus. Der Druck, Krisenprävention und Kon- um die Erderwärmung auf deutlich unter zwei fliktvorsorge stärker in sicherheitspolitische Grad zu begrenzen? Konzepte zu integrieren, erhöht sich. Zugleich Fakt ist: Das vergangene Jahrzehnt war die steigen die Nachhaltigkeitsforderungen an wärmste Dekade seit Beginn der Wetterauf- das Militär angesichts dessen gewaltigen Ver- zeichnungen vor 140 Jahren. 2015 bis 2020 brauchs an finanziellen und ökologischen Res- waren die sechs wärmsten Jahre in diesem sourcen. Für unsere Streitkräfte bedeutet dies, Zeitraum. Der Klimawandel bedroht die Le- ihre Ausrüstung zu modernisieren und gleich- bensgrundlagen und die Gesundheit von zeitig ihre Fähigkeiten an potenzielle neue Ein- Millionen Menschen – insbesondere in den satzszenarien anzupassen. vulnerablen Regionen des globalen Südens. Ich freue mich, mit der neuen Ausgabe von Mögliche Folgen sind die Verschärfung ökono- Ethik und Militär ein überaus wichtiges Thema mischer Ungleichheit, Ressourcenkonflikte, Mi- zur Diskussion zu stellen. Den Autorinnen und grationsbewegungen aufgrund von Flucht und Autoren sei an dieser Stelle für ihre klugen und Vertreibung bis hin zur Destabilisierung und lesenswerten Beiträge gedankt. Ich wünsche zum Kollaps staatlicher Strukturen. Ihnen eine anregende Lektüre. Auf die Gefahren des Klimawandels hat 2015 auch Papst Franziskus mit Laudato si’ hingewie- sen, der ersten Umweltenzyklika überhaupt. Er bezeichnet darin den Klimawandel als „wich- tigste aktuelle Herausforderung an die Mensch- heit“ und ein „globales Problem mit […] erns- ten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Dimensionen“. Dr. Veronika Bock Wenn auch in der Weltgemeinschaft heute Direktorin des zebis weitgehend Konsens darüber besteht, dass der Klimawandel bedrohliche Auswirkungen auf die Lebensbedingungen vieler Menschen ha- ben kann, so ist sein Einfluss auf die Entstehung bewaffneter Konflikte umstritten. Eine Resolu- tion, die Deutschland während seiner Mitglied- schaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 2019/2020 einbrachte, in der der Klimawandel ETHIK UND MILITÄR 01/21 ETHIKUNDMILITAER.DE 3
RAUS AUS DEM TREIBHAUS Autor: Michael Czogalla GEMEINSAM UND GLOBAL Einleitung LÄSST SICH DAS Die meisten von uns denken beim Thema Klima- SICHERHEITSRISIKO DES wandel an Naturkatastrophen, schmelzende Eis- berge und mit einem schlechten Gewissen even- KLIMAWANDELS tuell noch an Urlaubsreisen mit dem Flugzeug. NOCH VERHINDERN Doch das Problem und seine Folgen gehen längst über steigende Meeresspiegel, brennende Wäl- der, Dürren und Überschwemmungen hinaus. Der Klimawandel ist heute ein internationales Sicherheitsrisiko, das jedes Land betrifft und nur gemeinsam verhindert bzw. eingedämmt werden kann. Die momentan auf das Pariser Klimaab- kommen von 2015 zurückgehenden Verpflichtun- gen der Staaten, ihre Emissionen zu reduzieren, würden das gleichzeitig gesteckte Ziel, die Erd- Abstract erwärmung nicht über 1,5 Grad Celsius steigen zu lassen, in absehbarer Zeit verfehlen. Die Vertrags- Die Fakten zum Klimawandel liegen auf dem Tisch, die Ziele parteien müssten die globalen Emissionen bis sind wissenschaftlich untermauert: Um die Erderwärmung auf 2030 jedes Jahr um 7,6 Prozent und damit um 45 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, müssen die Treibhausgasemissionen Prozent gegenüber dem Stand von 2010 senken, schon bis 2030 um rund 50 Prozent reduziert werden. Engagiertes um das 1,5-Grad-Ziel nicht zu überschreiten.1 „Die Handeln gerade von den größten Emittenten ist also gefragt. Seit Daten [...] zeigen, dass die globale Mitteltempera- dem Amtsantritt von US-Präsident Biden setzen viele auf dessen tur für das Jahr 2020 etwa 1,2 °C wärmer war als in vorindustrieller Zeit, was bedeutet, dass die klimapolitisches und -diplomatisches Engagement. Die jüngst von Zeit schnell abläuft, um die Ziele des Pariser Ab- vielen Hauptemittenten verschärften Reduktionsziele und das Be- kommens zu erreichen.“2 Sollte die globale Erwär- kenntnis Chinas zu Klimaneutralität und zum Kohleausstieg geben mung dann sogar auf 2 Grad Celsius oder mehr Anlass zur Hoffnung, dass eine Kooperation im Sinne der Ziele des steigen, dann steht die Weltgemeinschaft noch Pariser Klimaabkommens möglich ist. Nicht nur die USA, sondern vor ganz anderen Herausforderungen, nämlich auch der „Systemkonkurrent“ China müssen dafür eine Vorreiter- gigantischen Flüchtlingsströmen aus nicht mehr rolle einnehmen und trotz vieler Konfliktlinien und Streitpunkte bewohnbaren Regionen, enormen internatio- das gemeinsame Ziel Klimaschutz aus ihrer geopolitischen Rivalität nalen Hilfsaktionen bei Naturkatastrophen und ausklammern. Dafür braucht es: 1. die Bereitschaft zu hohen Investi- Hungersnöten und einer steigenden Bedrohung tionen in eine wirtschaftliche Transformation sowie zur Unter durch klimabedingte Konflikte. stützung derjenigen Länder, die diese nicht aus eigener Kraft leisten Die Politik kennt das Problem nicht erst seit können; 2. langfristige bindende Verpflichtungen und Abkommen, Paris, Wissenschaftler verweisen seit über drei die Regierungswechsel überstehen; und 3. ein Verständnis für die Jahrzehnten auf die zunehmende Erderwär- mung, die mit der Industrialisierung Mitte des zahlreichen mit dem Klimawandel verbundenen Sicherheitsrisiken. 19. Jahrhunderts stetig gestiegen ist. „Das letzte Die humanitären Folgekosten eines ungebremsten Klimawandels Mal, dass die atmosphärischen CO₂-Mengen so bzw. einer Erderwärmung über 2 °C würden die jetzt erforderlichen hoch waren, war vor mehr als 3 Millionen Jahren, Anstrengungen bei Weitem übersteigen. In Kombination mit einem als die Temperatur um 2°–3°C höher war als in noch zu schaffenden Anreiz- und Sanktionsmechanismus besteht die der vorindustriellen Ära und der Meeresspiegel Chance, auch diejenigen Staaten, die sich aus unterschiedlichen 15–25 Meter höher lag als heute.“3 Erwägungen dem Klimaschutz verweigern, in die Pflicht zu Das Problem der Erderwärmung ist ausrei- nehmen. Wesentliche Schritte in diese Richtung muss bereits der chend wissenschaftlich belegt und bekannt. Es Klimagipfel in Glasgow (COP26) erbringen. fehlt bis heute am geeinten Willen der Staaten- 4 ETHIKUNDMILITAER.DE ETHIK UND MILITÄR 01/21
gemeinschaft, dem Verstehen, dem Umdenken, Als Joe Biden dann zum virtuellen Klimagipfel den Versprechen und Verpflichtungen auch am 22. April 2021, dem Earth Day, einlud, nahmen messbare Taten folgen zu lassen. Fast 69 Prozent neben Papst Franziskus und Bundeskanzlerin An- der weltweiten Treibhausgase werden von nur gela Merkel auch der chinesische Präsident Xi Jin- zehn Ländern verursacht. Die USA liegen hier hin- ping, der russische Präsident Wladimir Putin und ter China auf einem unrühmlichen zweiten Platz, viele weitere Staats- und Regierungschefs teil. Die gefolgt von der Europäischen Union und Indien. USA überraschten gleich zu Beginn mit der Ver- Etwas abgeschlagen folgen Russland, Japan, Brasilien, Indonesien, Iran und Kanada.4 Gera- de sie müssen Beispiel sein, und doch wird die Joe B iden bezeichnet den Klima Schuld zu oft beim anderen gesucht. Industriell wandel als größte Bedrohung für die wachsende Länder wollen aufholen, und Indus trieländern fällt die Umstellung schwer, was etwa Sicherheit der Vereinigten Staaten der zwischenzeitliche Ausstieg der USA aus dem Pariser Abkommen deutlich machte. pflichtung, ihre Emissionen bis 2030 gegenüber dem Stand von 2005 halbieren zu wollen. Das ist Joe Biden setzt auf volle eine fast zweimal so hohe Reduktion im Vergleich Klimafahrt zur letzten Zusage unter Barack Obama.6 Zudem gab Biden bekannt, dass die USA ihre jährliche Nach vier verschwendeten Jahren einer an Klima- Klimaförderung für Entwicklungsländer bis 2024 fragen nicht einmal ansatzweise interessierten verdoppeln würden. Die USA haben außerdem US-Regierung unter Donald Trump besteht mit angekündigt, 30 Prozent der US-Land- und Was- Präsident Joe Biden im Weißen Haus eine große serflächen bis 2030 vor menschlicher Ausbeu- Chance, neue, internationale klimagerechte Ziele tung zu schützen. Damit schließen sie sich dem zu setzen. Klimawandel war schon vor den US- Ziel der der internationalen „30 by 30“-Initiative Präsidentschaftswahlen im November 2020 eines an, das auch im US-Kongress parteiübergreifen- der Hauptthemen auf dessen insgesamt ambitio- de Unterstützung findet.7 Und das ist nur einer nierter Agenda. Er stellt laut Biden „eine existen- der Punkte, bei denen die USA eine gemeinsame zielle Bedrohung“5 dar. Biden scheint den Ernst Verhandlungsgrundlage mit China finden kön- der Lage erkannt zu haben, denn er trat nicht nur nen. Für die im November geplante Klimakon- gleich am ersten Tag seiner Amtszeit dem Pariser ferenz der Vereinten Nationen in Glasgow (26th Klimaabkommen wieder bei und ordnete wenig Conference of the Parties, COP26) sind das ent- später die Dekarbonisierung der US-Wirtschaft scheidende Weichenstellungen. an (sie soll bis 2050 Netto-Null-Emissionen errei- chen), er bezeichnete den Klimawandel auch als Alle für einen Planeten? die größte Bedrohung für die nationale Sicher- heit der Vereinigten Staaten. Joe Biden berief den China kündigte beim virtuellen Treffen im April ehemaligen US-Außenminister John Kerry zum an, seine Kohlenstoffemissionen bis 2060 auf Sondergesandten, der sich der Klimadiplomatie Netto-Null herunterzufahren. Präsident Xi Jinping annehmen soll − ein wichtiges Signal, auch inter- versprach zudem, dass das Land ab 2026 und bis national vorankommen zu wollen. Gleichzeitig 2030 aus der Kohle aussteigen werde. Das ist an- ernannte er Gina McCarthy zur Klimabeauftrag- gesichts der sonst alles andere als harmonischen ten. Sie soll die Klimabemühungen der Regierung Beziehung zwischen China und den USA eine koordinieren, vom Militär über das diplomatische wichtige Ankündigung, die zeigt, dass auch China Korps bis hin zum Finanz- und Verkehrsministe- bereit scheint, die wichtigste globale Herausfor- rium. Zudem wird sie die Verhandlungen mit dem derung (mit-)bewältigen zu wollen. Kongress führen, um neue Klimagesetze zu ver- Konkurrenz und sogar Rivalität werden in den abschieden, die dauerhafter Bestand haben und Handelsbeziehungen, dem technischen und nicht einfach durch die nächste Regierung ver- digitalen Wachstum und dem Verständnis von wässert oder abgeschafft werden können. Demokratie und Menschenrechten weiterhin be- ETHIK UND MILITÄR 01/21 ETHIKUNDMILITAER.DE 5
DER KLIMAWANDEL ALS BEDROHUNGSMULTIPLIKATOR stehen bleiben. Nicht nur zwischen diesen beiden nische Präsident Jair Bolsonaro versprach, Brasi- Ländern, auch gegenüber Russland und anderen. lien werde bis 2050 Klimaneutralität erreichen − Dennoch muss bei aller Konkurrenz und auch zehn Jahre früher als bisher angegeben. Auch die Gegnerschaft beim Klimaschutz die Kooperation illegale Abholzung des Regenwaldes Brasiliens im Vordergrund stehen. Joe Biden hat den Klima- soll bis 2030 ein Ende finden. wandel bereits als infrastrukturelle Chance (von Gegenüber den bis dato gesteckten Emissions- Straßen, Häfen bis hin zu Energienetzen) verstan- minderungszielen sind dies zwar Entwicklungen, den und will die Wirtschaft seines Landes dahin- die in die richtige Richtung gehen, nach Meinung von Experten aber noch immer nicht ausreichen Der dramatische Wandel des Klimas werden, um das Gesamtziel zu erreichen und die bedroht nicht nur grenzübergreifend die Erderwärmung zu stoppen bzw. unter 1,5 Grad Celsius zu halten. Umwelt, sondern mit ihm gerät gleich- Geopolitische Rahmenbe zeitig die globale Finanz- und Wirtschafts dingungen und Auswirkungen architektur aus den Fugen Der Klimawandel ist mit den aktuellen globalen gehend umbauen. Damit folgt er der Erkenntnis, Herausforderungen wie der Pandemie, der Glo- dass der dramatische Wandel des Klimas nicht balisierung, der Bedrohung der Demokratie und nur grenzübergreifend die Umwelt bedroht, son- der Energieabhängigkeit verflochten. Seine Aus- dern dass mit ihm gleichzeitig die globale Finanz- wirkungen lassen sich heute in allen Regionen und Wirtschaftsarchitektur aus den Fugen gerät. der Welt nachweisen. Sie betreffen nicht nur die Als das deutsche Bundesverfassungsgericht im ärmsten Länder oder entlegene Regionen wie die April 2021 entschied, dass das Klimaschutzgesetz Arktis. Sie betreffen den kompletten Planeten. des Bundes unzureichend sei, reagierte die Bun- Der Klimawandel wirkt als Bedrohungsmultipli- desregierung zügig und besserte ambitioniert kator für politische Instabilität in einigen der un- nach. Bundesumweltministerin Svenja Schulze beständigsten Regionen der Welt. Negative Aus- und Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat wirkungen werden sich bei Gesundheitsrisiken, Olaf Scholz haben umgehend neue Ziele vorge- den Preisen und der Verfügbarkeit von Nahrungs- schlagen. Die bis dato bestehenden Klimaziele mitteln und der wirtschaftlichen Wettbewerbs- sehen nun statt der geplanten 55 Prozent Emis- fähigkeit zeigen. Unzählige Menschen werden sionsminderung bis 2030 65 Prozent vor und bis den Klimawandel mit dem Leben bezahlen. Und 2040 sogar 88 Prozent. Die Klimaneutralität soll nicht zuletzt wird er auch enorme Finanzmittel bis 2045 statt 2050 erreicht werden.8 Auf dem verschlingen. All das liegt nicht in ferner Zukunft, Petersberger Klimadialog, der ebenfalls im April es passiert bereits, und es wird sich exponentiell stattfand, brachte Bundeskanzlerin Angela Merkel verstärken. zusätzlich ein internationales CO2-Preis-System Nehmen wir das Beispiel Syrien, dessen an- ins Spiel, welches helfen würde, den weltweiten haltender Konflikt, klimatisch unterstützt, 2011 CO2-Ausstoß einzudämmen. Die Reaktionen auf seinen Anfang fand. Vor dem zivilen Aufstand gab den Preis-System-Vorschlag waren eher gemischt. es mehrere Faktoren, die zu den Spannungen in- Andere Top-10-Treibhausgas-Verursacher ha nerhalb der Gesellschaft beitrugen. Zwischen den ben ihre Emissionsreduktionsziele ebenfalls späten 1980er-Jahren und dem Ende des Jahr- erhöht. So will Japan bis 2030 von 26 Prozent hunderts plagten mehrere Dürren das Land, Flüs- auf 46 Prozent unter das Niveau von 2013 kom- se begannen auszutrocknen, und während des men. Auch Kanada änderte seine Ziele und gab Irak-Krieges kam ca. 1,2 bis 1,4 Millionen Flücht- bekannt, dass es die Emissionen bis 2030 um linge nach Syrien.9 Im Jahr 2005 begann eine fünf- 30 Prozent unter das Niveau von 2005 senken jährige, Rekorde brechende Dürre, die Wasser- werde. Premierminister Justin Trudeau unter- knappheit, wirtschaftliche Verluste und negative strich die bestehende Verpflichtung Kanadas, das soziale Folgen mit sich brachte. Die Kombination Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen. Der brasilia- aus der klimabedingten Dürre, den Migrations- 6 ETHIKUNDMILITAER.DE ETHIK UND MILITÄR 01/21
strömen aus dem Irak und den aus diesen beiden aber zunächst muss es von beiden Kammern des Faktoren entstandenen sozialen Spannungen Kongresses verabschiedet werden, bevor er es trugen zum Aufruhr in Syrien bei.10 unterschreiben kann. Gelingt dies, dann wäre es Geopolitische Rivalitäten können zusätzliche das Signal, welches nicht nur China, sondern der Hindernisse bei der Bekämpfung des Klimawan- gesamten internationalen Staatengemeinschaft dels sein. Die größten Länder der Welt stehen zeigt: Die USA sind in der Tat zurück. Nun müssen sich geopolitisch gesehen eher feindlich gegen- die USA und China ihre Beziehungen kategorisie- über. Zwischen Russland und den USA gab es zwar kurze Perioden der Annäherung – sie waren Europa und viele andere Länder sehen 1941–1945 Alliierte im Krieg gegen Nazi-Deutsch- land, und in der jüngeren Geschichte arbeiteten die USA in der Führungsposition, beide Länder an einer besseren Verständigung in der unmittelbaren postsowjetischen Zeit von doch es gibt zahlreiche andere Staaten, 1992 bis zum Ende des Jahrhunderts −, aber sie die eher auf China schauen werden fallen immer wieder zurück in eine konkurrieren- de Haltung. ren, anders kann der gemeinsame Kampf gegen Wie Russland ist auch Saudi-Arabien, ebenso den Klimawandel nicht funktionieren. Systemani- kein leichter Partner für die USA, in hohem Maße mositäten, Handelsstreitigkeiten, Menschenrech- auf den Verkauf fossiler Brennstoffe angewiesen. te, Taiwan, technische Konkurrenz und andere Sie bilden die Löwenanteile der Staatseinnahmen potenzielle Spannungsherde sollen ihre Relevanz beider Länder. Ihre Regierungen wissen, dass fos- nicht verlieren, müssen aber auf anderen diplo- sile Brennstoffe keine dauerhafte Einnahmequel- matischen Wegen angesprochen und verhandelt le sein können, ihre Auslaufzeit ist auf Jahrzehnte werden. Die Bekämpfung des Klimawandels darf absehbar. Bisher zeigen aber beide Länder nicht auf keinen Fall zum Spielball der Staaten werden, den nötigen politischen und mehr oder weniger der andere Punktrückstände ausgleichen oder wirtschaftlichen Willen, sich diesem Wandel, dem Vorteile verschaffen soll. Auf einer Pressekonfe- Umdenken zu stellen, was erhebliche Auswirkun- renz am 7. März verkündete Wang Yi, der rang- gen auf die Stabilität und Sicherheit ihrer Regio- höchste Diplomat Chinas, dass sein Land gewillt nen haben kann. sei, mit den USA beim Thema Klima offen zu ko- Für die internationale Sicherheit von großer operieren. Ein erstes Signal waren die verbesser- Bedeutung ist natürlich China. Die USA und China ten Zielankündigungen auf dem von Präsident sind die weltgrößten Ökonomien und verantwor- Biden einberufenen Leaders Summit on Climate ten gemeinsam 43 Prozent des globalen Koh- am Earth Day. Das bringt allein zwar noch keine lendioxidausstoßes.11 Europa und viele andere positiven Ergebnisse, birgt aber doch die Chance Länder sehen die USA in der Führungsposition, zu einer weiteren Kooperation auf diesem Gebiet. doch es gibt zahlreiche andere Staaten, die eher Wichtig wäre, dass China auch seine welt- auf China schauen werden, wenn es darum geht, weiten fossilen Industrieinvestitionen durch die die eigenen Ziele umzusetzen bzw. zu erhöhen. Belt and Road Initiative (BRI) stoppt oder auf er- China scheint bereit, nötige Schritte zur Emissi- neuerbare Energien umstellt. China hat seit der onsreduzierung im eigenen Land einzuleiten und Gründung der BRI weltweit Milliarden US-Dol- gleichzeitig eine Vorreiterposition einzunehmen. lar in fossile Brennstoffprojekte investiert.12 Das Beide Länder müssen die gesetzten Reduktions- ist ganz klar die entgegengesetzte Richtung im ziele nicht nur rigoros umsetzen, sie müssen sie Kampf gegen den Klimawandel. Ein erster posi- schrittweise erhöhen. Nur dann können die USA tiver Schritt war die 2019 gegründete Belt and und China die Beispiele sein, die andere Länder Road Initiative International Green Development ernst nehmen und dazu veranlassen werden, ihre Coalition (BRIGC), die eine nachhaltige, grüne selbst gesteckten Ziele auch tatsächlich umzu- Entwicklung entlang des BRI-Projekts und den setzen. beteiligten Staaten anstrebt und die 2030-Agen- Präsident Biden steht hinter seinem ambi- da der Vereinten Nationen für nachhaltige Ent- tionierten Zwei-Billionen-US-Dollar Klimapaket, wicklung unterstützt. ETHIK UND MILITÄR 01/21 ETHIKUNDMILITAER.DE 7
DER KLIMAWANDEL ALS BEDROHUNGSMULTIPLIKATOR Zudem werden die meisten Entwicklungs- Willen, globale Fragen ernst zu nehmen und sie länder enorme Hilfsmittel − nicht nur finanziel- langfristig – nicht befristet auf eine Amtszeit − zu ler Art − benötigen, um dem Klimawandel ent- verstehen. Die Präsidentschaft Donald Trumps gegentreten zu können. Hier braucht es die USA hat das deutlich gemacht. Die schiere Herkules- und China. Bestehende Instrumente (Adaptation aufgabe, das Problem Klimawandel anzugehen, Fund, Green Climate Fund) sollten langfristig aus- die damit verbundenen Kosten und die nicht zu gebaut und neue Strukturen entwickelt werden. unterschätzende Leichtigkeit, auf Ignoranz zu Biden hat in diesem Zusammenhang, die „Mo- setzen, könnten die auf Freiwilligkeit basierenden bilisierung von Finanzmitteln aus dem öffent- Klimaabkommen immer wieder behindern oder lichen und privaten Sektor [angekündigt], um gar zum Scheitern verurteilen. die Netto-Null-Umstellung voranzutreiben und Das Wissen, dass die Umstellung auf klimaneu- anfällige Länder bei der Bewältigung der Klima- trales Wirtschaften weltweit enorme Finanzmittel auswirkungen zu unterstützen“.13 verschlingen wird, lässt manche Staaten auf Zu- rückhaltung setzen, geringe Ziele verfolgen oder Die Rolle der Ziele schlicht ignorieren. Es fehlen die richtigen Vereinten Nationen Anreize, und es fehlen auch Strafen bei Nichtein- haltung. Joe Biden sieht den Klimawandel nicht Seit dem Inkrafttreten der UN-Klimarahmenkon- nur als Chance, den Planeten zu retten und, son- vention UNFCCC 1994 gilt als ihr oberstes Ziel, dern auch die Wirtschaft seines Landes neu auf- „[...] die Treibhausgaskonzentrationen in der At- zustellen, klimaneutral und gleichzeitig wachs- mosphäre auf einem Niveau zu stabilisieren, das tumsorientiert. Die Vereinten Nationen können eine gefährliche Störung des Klimasystems durch daraus lernen und die richtigen Anreize festlegen. den Menschen verhindert, und zwar in einem Sie müssen eine verbindliche Agenda setzen und Zeitrahmen, der es den Ökosystemen erlaubt, Instrumente schaffen, die global nicht nur koor- sich auf natürliche Weise anzupassen und eine diniert, sondern auch kontrolliert werden. Dazu nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen“.14 bedarf es zum Beispiel finanzieller Anreize und Seither trifft sich die internationale Staaten- eines Sanktionskatalogs. Beides könnte die kon- gemeinschaft unter dem Siegel der UNFCCC ein- tinuierliche und langfristige Partizipation der Ver- mal im Jahr für multilaterale Verhandlungen. Nur handlungsländer sicherstellen. 2020 fiel die Tagung pandemiebedingt aus und Der renommierter britische Naturforscher Sir findet nun im November 2021 in Glasgow unter David Attenborough wandte sich während einer dem Kürzel COP26 statt. Trotz der allseits ge- Debatte am 23. Februar 2021mit folgender er- rühmten Erfolge zum Beispiel des Pariser Klima- nüchternder Botschaft an die Mitglieder des UN- abkommens (COP21) sind bisher keine der in den Sicherheitsrates: „Wenn wir unseren derzeitigen letzten 26 Jahren verhandelten Ergebnisse, wie Weg fortsetzen, werden wir mit dem Zusammen- etwa die Emissionsreduktionsziele, vertraglich bruch all dessen konfrontiert, was uns unsere Si- bindend. Nicht nur fehlt es an international gel- cherheit gibt: Nahrungsmittelproduktion, Zugang tenden Rechtsmitteln, es fehlt oft am politischen zu Süßwasser, eine für Menschen erträgliche Um- gebungstemperatur und Nahrungsketten in den Der Autor Ozeanen“, sagte er und fügte hinzu: „Und wenn Michael Czogalla ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für die natürliche Welt unsere grundlegendsten Be- Außen- und Sicherheitspolitik im Büro der Friedrich-Ebert- dürfnisse nicht mehr erfüllen kann, dann wird ein Stiftung in Washington, DC. Bevor er sich der FES anschloss, Großteil des Rests der Zivilisation schnell zusam- lehrte er an der University of Nebraska, Lincoln, und menbrechen.“15 Die Folgen des Klimawandels, veröffentlichte das Buch „Behind the Laughter“, das sich mit sollten sie nicht verhindert werden, können zur gesellschaftlichen Kontroversen in der US-amerikanischen Populärkultur beschäftigt. Er schreibt regelmäßig über The- sozialen und politischen Instabilität führen, die men der Außen- und Sicherheitspolitik im transatlantischen internationale Wirtschaft beschädigen, demogra- Bereich. Seinen M. A. erhielt er in Amerikanistik, Politik- fische Veränderungen und Massenmigrationen wissenschaft und DaF an der Universität Leipzig. Er ist herbeiführen und zivile wie militärische Konflikte außerdem Absolvent des Center for Digital Imaging Arts (CDIA) an der Boston University. auslösen. Der UN-Sicherheitsrat, dem die Wah- 8 ETHIKUNDMILITAER.DE ETHIK UND MILITÄR 01/21
rung des internationalen Friedens und der Sicher- 1 Vgl. United Nations Framework Convention on Climate Change (2019): „Cut Global Emissions by 7.6 Percent heit zukommt, setzt sich daher seit 2007 mit den Every Year for Next Decade to Meet 1.5°C Paris Target klimabedingten Sicherheitsrisiken auseinander. – UN Report“. https://unfccc.int/news/cut-global-emissi- Sie spielen in den Debatten des Gremiums eine ons-by-76-percent-every-year-for-next-decade-to-meet- 15degc-paris-target-un-report (Stand aller Internet-Links: wichtige Rolle und resultierten seither in verschie- 28.5.2021). denen Resolutionen, die die negativen Auswir- 2 Guterres, António (2020): Foreword in: „The State of kungen des Klimawandels betonen und weitere the Global Climate 2020“. https://public.wmo.int/en/ our-mandate/climate/wmo-statement-state-of-global-cli- Schritte fordern. mate 3 Lindsey, Rebecca (2020): „Climate Change: Atmospheric Alle Hoffnung auf Glasgow? Carbon Dioxide“. https://www.climate.gov/news-fea- tures/understanding-climate/climate-change-atmospher- ic-carbon-dioxide Als Joe Biden das Ruder im Weißen Haus über- 4 Vgl. Friedrich, Johannes, Mengpin Ge und Andrew nommen hat, atmeten viele Klimaaktivisten auf. Pickens (2020): „World’s Top 10 Emitters“. https://www. wri.org/insights/interactive-chart-shows-changes- Mit seinem dargestellten klimapolitischen Engage- worlds-top-10-emitters ment wird in Glasgow eine wichtige Rolle spielen. 5 Busby, Joshua, Morgan Bazilian und Florian Krampe (2021): „Biden called climate change an ‘existential threat.’ Was Joe Biden jetzt prägt, muss aber auch Bestand Can the U.N. Security Council help?“. Washington Post, haben. Wie auch immer das Abkommen aussehen 2. März 2021. wird, welche neuen Ziele gesetzt werden, alles 6 Vgl. Sengupta, Somini, und Lisa Friedman (2021): „U.S. says it will sharply cut emissions and increase funds to muss rechtlich unterfüttert und bindend sein. Der vulnerable countries to fight climate change“. New York nächste US-Präsident kann nicht erneut per Feder- Times. https://www.nytimes.com/live/2021/04/22/us/ strich die Führungsrolle abgeben und den Globus biden-earth-day-climate-summit 7 Vgl. Pike, Lili (2021): „Biden wants to triple protected zum klimatischen Scheitern verurteilen. lands“. https://www.vox.com/22251851/joe-biden-execu- Bis 2030 müssten die globalen Treibhausgas- tive-orders-climate-change-conservation-30-by-2030 emissionen halbiert sein. Bis Mitte des Jahrhun- 8 Vgl. „Klimaschutzgesetz 2021 – Generationenvertrag für das Klima“. https://www.bundesregierung.de/ derts dürfte die Menschheit unter dem Strich breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzge- keine Klimagase mehr emittieren. Das ist das setz-2021-1913672 Ziel, aber die wirklich gesteckten Ziele gehen in- 9 Vgl. Kenyon Lischer, Sarah (2008): „Security and Displacement in Iraq: Responding to the Forced dividuell auseinander, nicht jeder Staat setzt die Migration Crisis“. Quarterly Journal: International gleichen Ziele, noch werden sie mit dem nötigen Security. https://www.belfercenter.org/publication/ Willen verfolgt. security-and-displacement-iraq-responding-forced-migra- tion-crisis Die Erwartungen an die COP26 in Glasgow 10 Vgl. Holleis, Jennifer (2021): „How climate change könnten kaum höher sein. Das Jahr 2020 gehör- paved the way to war in Syria“. https://www.dw.com/en/ how-climate-change-paved-the-way-to-war-in-syr- te zu den drei wärmsten Jahren, die jemals ge- ia/a-56711650 messen wurden. Die Erwärmung der Ozeane ist 11 Arvin, Jariel (2021): „How the US and China can so hoch wie nie. In einer von der London School jump-start cooperation on climate change“. https://www. vox.com/22319488/china-biden-alaska-blinken-climate- of Economics organisierten Vorlesung hat die UN- change Klimasekretärin Patricia Espinosa die vier wich- 12 Vgl. Hillman, Jennifer und Alex Tippett (2021): „The tigsten Ziele der COP26 zusammengefasst: die Climate Challenge and China's Belt and Road Initiative“. https://www.cfr.org/blog/climate-challenge-and-chinas- Versprechen an Entwicklungsländer einhalten belt-and-road-initiative (inklusive jährlich 100 Milliarden Dollar Klimahil- 13 U.S. Department of State (2021): „Leaders Summit fe); das Pariser Abkommen endgültig und voll- on Climate“. https://www.state.gov/leaders-sum- mit-on-climate/day-1/ ständig umsetzen; Emissionen weiter senken und 14 UNFCCC secretariat: „About the Secretariat“. https:// Klimaambitionen erhöhen; sowie die Einbindung unfccc.int/about-us/about-the-secretariat von Beobachtern und unparteiischen Interessen- 15 World Meteorological Organization (2021): „UN Security Council debates climate change“. https://public. vertretern.16 wmo.int/en/media/news/un-security-council-debates-cli- Glasgow kann kein zweites Paris sein, kein Wei- mate-change. (Eigene Übersetzung aus dem Englischen.) 16 Vgl. Espinosa, Patricia (2021): „Our Slim Window of ter-so. Glasgow muss neue, der Realität entspre- Opportunity – what the climate change agenda must chende Ziele setzen, die wesentlich höher und achieve in 2021“. Lecture, London School of Economics ambitionierter sein müssen als die, die aktuell im and Political Science. (Audio). https://www.lse.ac.uk/ lse-player?id=c490ba04-dfee-4205-aa82-01ef2a7bfb4c Raum stehen. ETHIK UND MILITÄR 01/21 ETHIKUNDMILITAER.DE 9
DER KLIMAWANDEL ALS RISIKO- Autor: Michael Brzoska VERSTÄRKER Einleitung ÜBER DIE ZUSAMMENHÄNGE Als im Jahre 2007 dem ehemaligen Vizeprä- VON KLIMAVERÄNDERUNGEN sident der USA Al Gore und dem Weltklimarat der Friedensnobelpreis verliehen wurde, fand UND KONFLIKTEN dies einerseits große Zustimmung, wurde an- dererseits aber auch heftig kritisiert. Die Kritik entzündete sich vor allem daran, dass zum Zeitpunkt der Verleihung kein genereller em- pirischer Zusammenhang zwischen dem An- stieg der Treibhausgase in der Atmosphäre und dem Konfliktgeschehen feststellbar war – im Gegenteil, verglichen mit den 1990er-Jahren hatte die Anzahl bewaffneter Konflikte deutlich abgenommen. Auch für die Zukunft waren die Kritiker skeptisch, ob der vom Nobelkomitee unterstellte enge Zusammenhang zwischen vom Klimawandel hervorgerufenen Umwelt- veränderungen und bewaffneten Konflikten be- stehe. Die Gegenseite verwies auf einige Kriege Abstract der jüngeren Vergangenheit, wie den in Darfur im Sudan, sowie auf die Konfliktträchtigkeit von Veränderungen der natürlichen Umwelt, die durch den Klima- knappen Ressourcen wie für Landwirtschaft wandel hervorgerufen werden, bleiben nicht ohne Rückwirkungen nutzbares Land und Wasser, deren Verfügbar- keit mit dem Klimawandel abnehmen werde.1 auf die Lebensbedingungen von Menschen und die Rahmenbedin- Seit 2007 ist die Frage nach den Zusammen- gungen für die Bearbeitung bzw. Lösung von Interessenkonflikten. hängen von Klimawandel und Konflikten Ge- Der Klimawandel ist somit auch ein Risikofaktor für Gewaltkon- genstand einer inzwischen in die viele Hunderte flikte, dessen Bedeutung aufgrund der Komplexität der Zusam- gehenden Zahl von wissenschaftlichen Unter- menhänge mit wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen suchungen und Veröffentlichungen geworden.2 Konflikttreibern nicht isoliert bestimmen lässt. Wichtiger als das Zwar streuen sowohl die Ergebnisse als auch Ausmaß der Umweltveränderungen ist dabei für die Konflikt die daraus gezogenen Schlussfolgerungen im- eskalation, zumindest auf absehbare Zeit, wie konfliktträchtig die mer noch breit, aber es lassen sich doch eine Lage ist, in der diese Veränderungen stattfinden. Besonders hoch Reihe von weit akzeptierten Erkenntnissen fest- ist das Konfliktrisiko generell auf lokaler Ebene, weil auch der stellen. Diese sollen im Folgenden dargestellt Klimawandel lokal die größten Auswirkungen hat, etwa in Extrem- werden. wetterereignissen oder durch den Anstieg des Meeresspiegels. Die enge Verquickung der Auswirkungen des Klimawandels auf die Klimawandel als Bedrohung Umwelt mit anderen Konfliktfaktoren eröffnet vielfältige Möglich- oder Risiko keiten, das Konfliktrisiko Klimawandel abzubauen. Allerdings Die unterschiedlichen Reaktionen auf den Frie- verschlechtern sich mit fortschreitendem Klimawandel auch die densnobelpreis von 2007 lassen sich auf zwei Bedingungen für erfolgreiche Eindämmung des Konfliktrisikos. Grundpositionen in der Analyse von Konflikten Risikofaktoren sind über den Klimawandel selbst hinaus auch die zurückführen. Die eine betont Umweltfaktoren, Gefahren einer Über- und Unterschätzung von dessen Bedeutung die andere die gesellschaftliche Dimension als für das Konfliktgeschehen. Übertreibung kann zu Militarisierung entscheidend für die Entstehung und Eskalation und Unterschätzung zum Unterbleiben sinnvoller Aktivitäten zur von Konflikten in Gewaltkonflikte. In der wissen- Eindämmung des Risikofaktors Klimawandel führen. schaftlichen Debatte um die Zusammenhänge 10 ETHIKUNDMILITAER.DE ETHIK UND MILITÄR 01/21
von Klimawandel und Konflikten sind diese der sudanesischen Zentralregierung in Khar- beiden Grundpositionen stark mit der diszipli- tum, die Kontrolle über Darfur zu bekommen, nären Herkunft von ForscherInnen verbunden: eine Provinz, in der sie bis dahin wenig präsent während aus der Klimaforschung oder der Öko- war. Möglich wurde dies durch die Beendigung logie kommende AutorInnen generell Umwelt- eines anderen Krieges, der bis dahin für die Re- faktoren als dominant ansehen, stellen Konflikt- gierung Priorität gehabt hatte. Die Rebellen im forscherInnen in der Regel den von Menschen Süden des Sudans hatten militärisch die Ober- gemachten Konfliktprozess in den Vordergrund. hand gewonnen, und die Regierung hatte im Die beiden Grundpositionen lassen sich gut Machakos-Protokoll von 2002 weitreichende am Beispiel der Auswirkung von Dürren auf den Zugeständnisse gemacht, die den Weg zu ei- Krieg in Darfur ab 2003 illustrieren.3 Vor dem nem Ende der Kämpfe und der Unabhängigkeit Ausbruch dieses Krieges mit mehreren Tausend des Südens öffneten. Wichtiges Instrument der Toten hatte es immer wieder gewalttätige Aus- Regierung zur Übernahme der Kontrolle in Dar- einandersetzungen um Land und Wasser insbe- sondere zwischen Ackerbauern und Viehhirten, aber auch zwischen verschiedenen ethnischen Klimabedingte Umweltveränderungen Gruppen gegeben. Bevölkerungswachstum, gehen bei Weitem nicht überall aber auch ein tendenziell geringer werdendes Volumen an jährlichen Niederschlägen, das mit einer Intensivierung von Konflikten sich vor allem in immer wiederkehrenden Dür- bis bin zu Kriegen einher ren bemerkbar machte, hatten die Konflikte über die Jahrzehnte verschärft, ohne dass es fur war die Rekrutierung und Ausrüstung von zu ähnlichen Zahlen an Opfern kam wie nach paramilitärischen Verbänden, den „Janjawid“, 2003. Nach 2007, als es zu Verhandlungen und die mit brutaler Gewalt vor allem gegen Zivilis- Abkommen kam, flauten die Kämpfe ab, nicht ten vorgingen. Die Eskalation des Konfliktes in zuletzt auch, weil eine mehrere Tausend Per- Darfur hatte also unmittelbar nichts mit Um- sonen umfassende Friedenstruppe stationiert weltveränderungen zu tun, sondern war Folge wurde. Aktuell ist die Situation in Darfur weit- politischer Entscheidungen. Andererseits fand gehend ruhig. Allerdings ist die Zahl der Ver- sie in einem Umfeld tendenziell zunehmender triebenen weiterhin sehr hoch, und immer wie- Knappheit an Land und Wasser statt. der gibt es lokale Gefechte unter bewaffneten Andere Beispiele, etwa die Bedeutung einer Gruppen und mit Verbänden der Regierung. Dürre im Nordosten des Landes für den noch Tendenziell sinkende Niederschlagsmengen laufenden Krieg in Syrien4 oder von Katastro- und wiederkehrende Dürren haben die Le- phen auf den Philippinen für lokale Kampf- benssituation der Menschen in Darfur über die handlungen5, zeigen ein ähnliches Bild: Zwar Jahrzehnte zunehmend belastet. Der Zusam- sind den bewaffneten Konflikten mit dem Kli- menhang dieser Verschlechterung der Umwelt- mawandel verbundene Umweltveränderungen bedingungen mit dem globalen Klimawandel vorausgegangen, aber die Konfliktlinien waren ist offensichtlich. Der Krieg ab 2003 war daher andere, insbesondere Auseinandersetzungen aus ökologischer Sicht eine Gewalteruption um politische Macht. infolge der Konflikte zwischen Gruppen über Zudem gehen klimabedingte Umweltverän- zunehmend knapper werdendes Wasser und derungen bei Weitem nicht überall mit einer nutzbares Land. Der damalige Generalsekretär Intensivierung von Konflikten bis bin zu Kriegen der Vereinten Nationen Ban Ki-mun nannte den einher. So sind etwa in Südamerika, obwohl Darfur-Konflikt den ersten Klimakrieg. auch dort, etwa in den Anden, der Klimawandel Allerdings folgte der Krieg keiner der vielen die Lebensverhältnisse der Menschen verän- Dürren, sondern einer Reihe von vergleichswei- dert, keine Zunahmen bewaffneter Auseinan- se niederschlagsreichen Jahren. Auslöser war dersetzungen zu verzeichnen. auch keine der häufigen lokalen Auseinander- Trotzdem sind die Wirkungen des Klimawan- setzungen, sondern die gezielte Anstrengung dels nicht irrelevant. Sie sind aber in zweifacher ETHIK UND MILITÄR 01/21 ETHIKUNDMILITAER.DE 11
DER KLIMAWANDEL ALS BEDROHUNGSMULTIPLIKATOR Hinsicht nicht determinierend.6 Zum einen sind schen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sie fast ausschließlich dort von Bedeutung, wo politischen Ausgangsbedingungen als auch bereits Interessenkonflikte zwischen verschie- der jeweils spezifische Konfliktprozess in der denen Gruppen bestehen. Hier können sie Konfliktregion ausschlaggebend. Auseinandersetzungen verstärken, etwa indem Diese enge Verquickung von Umweltver- Wasser oder fruchtbares Land knapp wird oder änderungen und anderen Risikofaktoren für deren Verteilung zwischen Gruppen durch Aus- die Eskalation von Konflikten macht es sehr wirkungen des Klimawandels verändert wird. schwer, den Einfluss des Klimawandels abzu- Zum anderen stehen den Betroffenen auch in schätzen oder gar zu quantifizieren. Das gilt solchen Konstellationen verschiedene Reak- sowohl für Fallstudien als auch für quantitati- tionsmuster offen. So können sie etwa um das ve Untersuchungen, in denen mit statistischen abnehmende fruchtbare Land kämpfen oder Methoden viele Fälle analysiert werden. Im sich auf gemeinsame Nutzung einigen. Wich- Gegensatz zu den Antworten auf die Frage, ob tig dafür, welche Reaktion sich durchsetzt, ist der Klimawandel überhaupt einen Einfluss auf neben der Intensität der Konflikte vor allem das Konfliktgeschehen in der Welt hat, fallen das Bestehen von Institutionen zur Bearbei- die auf die Frage nach der Bedeutung des Kli- tung und Bewältigung von Konflikten. Dort, mawandels für aktuelle und gar zukünftige Ent- wo es breit akzeptierte Möglichkeiten des In- wicklungen weiter unterschiedlich aus. teressenausgleiches zwischen verschiedenen Einen interessanten Ansatz, dieses Spekt- Gruppen gibt, sinkt die Wahrscheinlichkeit der rum auszuleuchten, haben vor einigen Jahren Eskalation von Konflikten. Auch andere Fak- ForscherInnen der Stanford Universität in Kali- toren beeinflussen die Reaktionsmuster, etwa fornien verfolgt.7 Sie luden WissenschaftlerIn- die relativen Veränderungen an Besitz und Ein- nen, die mit zum Teil sehr unterschiedlichen kommen, die mit Umweltveränderungen ver- Ergebnissen prominent zum Zusammenhang bunden sind, oder die Ausnutzung von Konflik- von Klimawandel und Konflikten veröffentlicht hatten, zu einem Retreat ein. Unter anderem Die enge Verquickung von Umwelt- ließen sie die Frage diskutieren, welche Bedeu- veränderungen und anderen Risikofaktoren tung der Klimawandel im Vergleich zu anderen Risikofaktoren nach ihrer Meinung für das Kon- für die Eskalation von Konflikten macht fliktgeschehen aktuell habe und in der Zukunft es sehr schwer, den Einfluss des Klimawandels haben werde. abzuschätzen oder gar zu quantifizieren Auch mit diesem Vorgehen lässt sich die relative Bedeutung des Klimawandels als Ri- ten durch politische Akteure, die sich dadurch sikofaktor für bewaffnete Konflikte nur grob einen Machtzuwachs versprechen. abschätzen. Aber es ist interessant, dass die Klimawandel ist in dieser Perspektive, auf Einschätzungen der ExpertInnen in einer Reihe die sich ForscherInnen mit unterschiedlichen von Punkten bei allen Unterschieden im Detail fachlichen Hintergründen einigen können, ein übereinstimmen. So waren sie sich einig, dass Risikofaktor für bewaffnete Konflikte unter vie- aktuell der Klimawandel weit weniger bedeu- len. Wie bedeutend er ist, hängt einerseits von tend ist als andere Risikofaktoren, wie etwa der relativen Bedeutung der Umweltverände- geringes Einkommen pro Kopf, das Vorhanden- rungen und den jeweiligen wirtschaftlichen, sein ethnischer Konflikte oder schwache Staat- gesellschaftlichen und politischen Kontexten lichkeit. Die Einschätzungen des Beitrages von ab und andererseits von den Entscheidungen Klimaveränderungen auf das Konfliktrisiko der zwischen Eskalation und Deeskalation von jüngeren Vergangenheit reichten von 3 Prozent Konflikten, die relevante Akteure treffen. Zur bis 20 Prozent, bei allerdings großer Unsicher- Erklärung, warum mit dem Klimawandel zu- heit bei allen ForscherInnen. Sie waren sich sammenhängende Umweltveränderungen ge- auch einig, dass die Bedeutung des Klimawan- legentlich für die Eskalation von Konflikten von dels in der Zukunft zunehmen wird, wobei die Bedeutung sind, sind also sowohl die ökologi- meisten einen schwachen bis moderaten Zu- 12 ETHIKUNDMILITAER.DE ETHIK UND MILITÄR 01/21
wachs bei einem globalen Temperaturanstieg Landes durch Meeresspiegelanstieg und Ver- von 2 Grad Celsius und einen moderaten in salzung oder durch Ausdehnung von Trocken- einem 4-Grad-Szenario erwarteten.8 gebieten, gilt, dass lokale Konflikte häufiger sind als nationale oder gar internationale. Ein Lokale, regionale und globale wichtiger Grund ist die relative Bedeutung von Zusammenhänge Umweltveränderungen, wie etwa geringerem Niederschlag, Katastrophen oder Meeresspie- Neben einem gewachsenen Konsens über gelanstieg, für die Lebensbedingungen der die generelle Bedeutung des Klimawandels Menschen. Während sie lokal sehr wichtig sein für Konflikte setzt sich auch immer mehr die können, sind sie dies, mit einigen Ausnahmen Erkenntnis durch, dass die Risiken des Klima- wie etwa kleinen pazifischen Inselstaaten, für wandels nicht nur in verschiedenen Regionen, größere geografische Einheiten selten. Ein an- sondern auch auf unterschiedlichen Ebenen derer ist, dass die Möglichkeiten, Probleme gesellschaftlicher Organisation voneinander durch klimabedingte Umweltveränderungen, abweichen. etwa in der landwirtschaftlichen Produktion, Letzteres lässt sich gut am Beispiel von Trink- auszugleichen, mit der Vielfältigkeit von Er- wasser zeigen. Anders als häufig in reißerischen Artikeln und Büchern behauptet, ist Wasser in Negative Folgen des Klimawandels der Vergangenheit sehr selten Anlass für Krie- ge zwischen Staaten gewesen. Zugleich ist die können sich an ganz anderen Wahrscheinlichkeit gering, dass sich dies in der Zukunft ändern wird9. Selbst dort, wo dies Orten zeigen als dort, wo die Umwelt möglich erscheint, etwa weil durch den Bau veränderungen auftreten von Staudämmen Wasserknappheit verschärft werden könnte, wie aktuell durch den Bau ei- werbsmöglichkeiten und Lebensbedingen nes Nil-Staudamms in Äthiopien, ist nach den zunehmen, was in der Regel in größeren Ein- Erfahrungen der Vergangenheit eine gütliche heiten eher der Fall ist. Schließlich sind auch Einigung weitaus wahrscheinlicher als ein be- Institutionen für Konfliktbearbeitung und -aus- waffneter Konflikt. Ein Grund dafür ist, dass gleich häufig lokal besonders schwach ausge- die Kosten eines Krieges weit höher wären als prägt. Lokale Konflikte können allerdings ins- was in Verhandlungen an Verlusten an Wasser, besondere in fragilen Staaten, in denen auch und damit Einkommen für Bauern und andere zentrale Institutionen nicht gut funktionieren, Nutzer des Wassers, zu erwarten wäre. Die Si- zugleich nationale und regionale Dimensionen tuation ist dort anders, wo es nicht mehr um entfalten. So wurden unzureichende Hilfslie- Verteilung des Wassers, sondern um absolute ferungen an Opfer des Taifuns Hayan, der im Knappheit geht oder wo Abmachungen über November 2013 einige Inseln der Philippinen Aufteilung nicht möglich sind, weil Institutio- getroffen hatte, zum Anlass für bewaffnete Aus- nen fehlen, die Verstöße ahnden könnten. Bei- einandersetzungen zwischen Regierungstrup- des ist besonders häufig auf lokaler Ebene. So pen und bewaffneten Gruppen.11 sind Auseinandersetzungen über Wassernut- Lokale Effekte können aber nicht nur durch zung in der Sahelzone vor allem dort häufig, wo lokale Umweltveränderungen hervorgerufen es keine traditionellen Institutionen, wie Ältes- werden. In unserer global vernetzten Welt kön- tenräte, oder moderne, wie Gerichte, gibt, die nen sich negative Folgen des Klimawandels an einen Interessenausgleich organisieren kön- ganz anderen Orten zeigen als dort, wo die Um- nen. Andererseits führt Wasserknappheit oft weltveränderungen auftreten. Wichtige Trans- auch zu mehr Vertrauen und Zusammenarbeit formationsriemen sind Migration und Preise. unter Bevölkerungsgruppen.10 Umweltveränderungen, insbesondere Katast- Nicht nur für Wasser, auch für andere Um- rophen, in einer Region können zu Konflikten in weltveränderungen, die mit dem Klimawan- den Zuwanderungsregionen führen. Allerdings del zusammenhängen, wie Verlust nutzbaren ist die Bedeutung dieses Konfliktfaktors in der ETHIK UND MILITÄR 01/21 ETHIKUNDMILITAER.DE 13
DER KLIMAWANDEL ALS BEDROHUNGSMULTIPLIKATOR wissenschaftlichen Literatur sehr umstritten.12 Einkommensniveau niedrig und der wichtigs- Ein Beispiel für die Bedeutung von Preisen für te Erwerbszweig die Landwirtschaft ist. Für die lokale Konflikte sind die wiederholten „Brotauf- Zukunft werden weitere Hotspots genannt, in stände“ in zahlreichen Ländern des Globalen denen der schleichende Klimawandel über Südens. Da auch die lokalen Preise für Brot- dauerhaften Rückgang von Niederschlägen getreide stark von Angebot und Nachfrage auf und Meeresspiegelanstieg zu Umweltverände- dem Weltmarkt abhängig sein können, kann rungen führt, so etwa im Mittelmeerraum und ein deutlicher Rückgang der Produktion in einer im südlichen Afrika.14 Weltregion erhebliche Auswirkungen in einer anderen haben. Genau dieser Mechanismus ist Konfliktminderung und von einigen AutorInnen als ein Faktor für den Friedensbildung „Arabischen Frühling“ im Jahre 2011 benannt worden. Aufgrund von Dürren in Russland, Chi- Die enge Verquickung von klimabedingten na und einigen anderen Ländern des Globalen Umweltveränderungen mit gesellschaftlichen Nordens waren die Weltmarktpreise für Brotge- und politischen Risikofaktoren bietet vielfältige treide im Herbst 2010 weit überdurchschnittlich Anknüpfungspunkte für Maßnahmen und Akti- angestiegen, was die Proteste in einer Reihe von vitäten, um die Konfliktträchtigkeit des Klima- arabischen Staaten befeuerte.13 wandels zu reduzieren.15 Eine gewichtige Ausnahme von diesem Fo- An erster Stelle stehen Maßnahmen, um das kus auf lokale Konflikte wird häufig in der Arktis Ausmaß des Klimawandels zu begrenzen. Die gesehen. Die Auswirkungen des Klimawandels Auswirkungen auf die Umwelt und die damit in der Arktis unterscheiden sich fundamen- einhergehenden Belastungen für den Zusam- tal von denen in den meisten Regionen der menhalt von Gesellschaften und Beziehungen Welt: Hier findet keine Verschlechterung der zwischen Staaten wachsen mit dem Grad der globalen Erwärmung. Entsprechend bedeut- Neben dem Sahel sind vor allem sam ist es auch für das zukünftige Konfliktge- schehen, ob die internationale Gemeinschaft in Regionen in Süd- und Südostasien der Lage ist, den globalen Temperaturanstieg bereits heute Konfliktrisiko- verglichen mit der Zeit vor dem Beginn der In- dustrialisierung auf 2 Grad oder sogar darunter Hotspots des Klimawandels zu begrenzen.16 Auch die Auswirkungen des Klimawandels Bedingungen für Einkommenserzielung statt, auf die physische Umwelt und die Verfügbar- sondern mit Ausnahme für die indigene Be- keit von Ressourcen wie Land und Wasser las- völkerung deren Verbesserung. Die verstärkte sen sich durch aktive Maßnahmen verändern. Nutzung von Schiffspassagen in der Arktis und Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Katas insbesondere die mögliche Ausbeutung von trophenvorsorge, denn auch der schleichende Rohstoffen bergen erhebliches Konfliktpoten Klimawandel, etwa im Bereich des Anstiegs des zial. Allerdings haben es die Anrainerstaaten Meeresspiegels, wird zunächst vor allem in Ex- der Arktis bisher geschafft, ihre Interessenge- tremsituationen – in diesem Fall Sturmfluten – gensätze durch Verträge zu regeln. zu Schäden führen. Anpassungsmaßnahmen Neben dem Sahel sind vor allem Regionen sind daher ein zweites Instrument, um die Aus- in Süd- und Südostasien bereits heute Kon- wirkungen des Klimawandels auf das Konflikt- fliktrisiko-Hotspots des Klimawandels. In sol- geschehen zu beeinflussen. chen treffen starke negative Auswirkungen auf Weiter als Anpassungsmaßnahmen gehen das Einkommen von Menschen durch Dürren, Vorhaben, mit denen die Resilienz von Gesell- Überschwemmungen, Stürme und andere Na- schaften gegen klimabedingte Umweltverän- turkatastrophen auf bereits bestehende wirt- derungen gestärkt werden soll. So kann eine schaftliche, gesellschaftliche oder politische schnelle wirtschaftliche Erholung nach einer Konfliktlinien. Gemeinsam ist ihnen, dass das Katastrophe verhindern, dass sich Konflikte 14 ETHIKUNDMILITAER.DE ETHIK UND MILITÄR 01/21
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