Für öffentliche und private Fürsorge e. V. NDVISSN 21416 - Deutscher Verein
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NDV ISSN 21416 Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V. Deutscher Verein und NDV: ein Streifzug durch die gemeinsame Geschichte Einheitlichkeit, Gleichwer tigkeit und Zusammenhalt Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung des Mehr bedarfs bei kostenauf 11/2020 wändiger Ernährung
Impressum NDV Wussten Sie schon? 100. Jahrgang 11/2020 In unserem Mitgliederportal können Herausgeber Sie bereits am 1. eines Monats den Michael Löher, NDV digital lesen und herunterladen. Vorstand des Deutschen Vereins ! Schriftleitung MITGLIEDER Ralf Mulot Schauen Sie rein: Tel. (030) 6 29 80-3 13 E-Mail: mulot@deutscher-verein.de www.deutscher-verein.de/de/ WISSEN MEHR mitgliederportal Sachbearbeitung und Anzeigen Mitgliederportal des Deutschen Vereins Tatjana Hally M. A. Tel. (030) 6 29 80-3 16 E-Mail: hally@deutscher-verein.de Mediengestaltung Barbara Schmeißner Tel. (030) 6 29 80-3 15 E-Mail: schmeissner@deutscher-verein.de Abonnementverwaltung Marie Ertmer Tel. (030) 6 29 80-5 02 E-Mail: ertmer@deutscher-verein.de Druck Druckerei Joh. Walch GmbH & Co. KG Im Gries 6, 86179 Augsburg Verlag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V. Michaelkirchstraße 17/18 10179 Berlin Fax (030) 6 29 80-3 51 Internet: www.deutscher-verein.de Deutsche Bank Literatur IBAN: DE23 1007 0000 0723 3943 00 Bleiben Sie informiert! BIC (SWIFT): DEUTDEBBXXX ISSN 0012–1185 Mit unserem Informationsservice zu für die Soziale Arbeit Der Nachrichtendienst des Deutschen Vereins Neuerscheinungen unseres Verlages für öffentliche und private Fürsorge e. V. verpassen Sie keine Entwicklungen erscheint in monatlicher Folge. Die Lieferung im Sozialrecht, der Sozialpolitik und eines Exemplares der Zeitschrift an unse- re Mitglieder ist durch den Jahresbeitrag der Sozialen Arbeit. abgegolten. Weitere Hefte für den eigenen Gebrauch im Dauerbezug jährlich 36 Euro (inklusive Mehrwertsteuer, zuzüglich Jetzt anmelden: Versandkosten). www.deutscher-verein.de/de/ Der Einzelheftpreis für Mitglieder und Nicht buchshop-neuerscheinungen mitglieder des Deutschen Vereins beträgt BUCHSHOP 3,30 Euro zuzüglich Porto. Anmeldungen zur Mitgliedschaft nimmt die Geschäftsstelle des Deutschen Vereins entgegen. Reklamatio- des Deutschen Vereins nen wegen unregelmäßiger Lieferung bitten wir bei der Geschäftsstelle vorzubringen. – Alle Rechte, auch das der Übersetzung, sind vorbehalten. Veröffentlicht mit Förderung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).
INHALT NDV 11/2020 AKTUELLES Informationen aus der Mitgliedschaft 507 Veranstaltungen des Deutschen Vereins 509 140 JAHRE DEUTSCHER VEREIN – 100 JAHRE NDV Michael Löher und Ralf Mulot: Deutscher Verein und NDV: ein Streifzug durch die gemeinsame Geschichte 510 Sabine Schmitt: „Tatsachenmaterial, das für die Praxis von Wichtigkeit ist“ 515 Manfred Kappeler: Zustimmung und Übereinstimmung: der „Nachrichtendienst des Deutschen Vereins“ im Jahr 1933 521 Bernd Halfar: 100 Jahre Nachrichtendienst: Persönliche Lesegeschichte(n) 528 IM FOKUS Holger Backhaus-Maul: Einheitlichkeit, Gleichwertigkeit und Zusammenhalt 530 Georg Cremer: Marktordnungsfragen klären – eine bisher vernachlässigte Aufgabe des Deutschen Vereins 534 AUS DEM DEUTSCHEN VEREIN Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung des Mehrbedarfs bei kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII 540 Arbeitsgruppe der Örtlichen Betreuungsbehörden beim Deutschen Verein (DV AGöB) 549 Fachausschuss Jugend und Familie 550 Persönliche Nachrichten 551 LESENSWERT Rezensionen 552 Stellenmarkt 554
AKTUELLES NDV 11/2020 Wussten Sie schon? 1 … dass der NDV im Jahre 1922 für Nichtmitglieder 10 Mark pro Ausgabe kostete? 2 ... der Deutsche Verein viermal zwischen Berlin und Frankfurt a. M. hin- und her- 3 gezogen ist? ... dass das frühere Kürzel „N. D.“ wegen der Verwechslungsgefahr mit dem „Neuen Deutschland“ aufgegeben wurde? 4 ... der Deutsche Verein bisher nur zwei Frauen als Vorsitzende hatte – und 15 Männer? Interview mit Johannes Fuchs Herr Fuchs, Sie scheiden im November fahrt, der Länder und Kommunen und 2020 nach sechs Jahren als Präsident zahlreichen Verantwortungsträgern im des Deutschen Vereins aus diesem Amt Sozialbereich. Die stets sachorientierte aus. Was hat Sie in dieser Zeit am meis Unterstützung durch die Führung und ten bewegt? Mitarbeiter des Deutschen Vereins. Die enge Vernetzung zu allen relevanten Akteuren des Sozialwesens wie auch Der Deutsche Verein wird in diesem das hohe fachliche Niveau des gesam- Jahr 140 Jahre alt. Welche guten Wün ten DV-Teams. Der vorwärts gerichtete sche möchten Sie ihm mit auf den Weg Dialog über alle aktuellen Themen der geben? sozialen Arbeit und Sicherung. Der Deutsche Verein möge auch in Zu- kunft als Seismograph agieren, damit Sie haben den Deutschen Verein, seine die traditionellen Werte sozialer Für- Gremien und die Geschäftsstelle in sorge in einem modernen Sozialstaat Johannes Fuchs, Landrat a. D., Ihrer Amtszeit gut kennengelernt. Was mit zeitgemäßen und notwendigen In- Präsident des Deutschen Vereins werden Sie am meisten vermissen? halten und Instrumenten gewahrt und Das vertrauensbasierte Zusammenspiel weiterentwickelt werden. mit Persönlichkeiten der Freien Wohl- 506
NDV 11/2020 AKTUELLES Informationen aus der Mitgliedschaft Brot für die Welt und weiblich. In Parlamenten und wirtschaft- vergeben. Eingebettet war die Ver- lichen Führungspositionen sind Frauen leihung der Preise in das BAGFW-Politik- Diakonie Deutschland: unterrepräsentiert“, so Loheide weiter. forum, in dem auch das politische Der Frauenfeindlichkeit Thema „Deutschland in Europa – gesell entgegentreten Auch wenn die Staaten die Forderungen schaftlicher Zusammenhalt vor europä der Aktionsplattform von Peking nicht ischer Kulisse“ angesprochen und dis- konsequent umgesetzt haben, bleibt kutiert wurde. 25 Jahre nach der Pekinger Weltfrauen- sie ein wichtiger Meilenstein der Ge konferenz hat noch keiner der 189 be- schlech terpolitik. Zusammen mit der Die Preisträgerinnen und Preisträger teiligten Staaten die dort verabschie UN-Frauenrechtskonvention von 1979 sind: deten Verpflichtungen erfüllt. Weltweit und der UN-Resolution 1325 aus dem stellen heute rechtsradikale und frauen- Jahr 2000 stellt sie das wichtigste multi ► Mareike Nieberding (Sparte Print) feindliche Strömungen Frauenrechte in laterale Abkommen zur Einforderung mit einem Beitrag zum Thema Frage. von Frauenrechten dar. Zu den zwölf Geschlechtergerechtigkeit „Was benannten Handlungsfeldern gehören Frauen krank macht“ im SZ-Magazin; Daher ist es umso wichtiger, die Staaten etwa die Beseitigung aller Formen von ► Joachim Palutzki (Sparte Hörfunk), an ihre Verpflichtungen von Peking und Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die der im Deutschlandfunk unter dem die Kirchen und die Gesellschaft an ihre Sicherstellung der Chancengleichheit Titel „Die Pop-Inklusion“ das 30-jäh- Verantwortung zur Verteidigung der im politischen, wirtschaftlichen und rige Jubiläum der Band „Station 17“ Rechte und der körperlichen und seeli- öffentlichen Leben und gleiche Rechte begangen hat; schen Unversehrtheit von Frauen zu auf wirtschaftliche Ressourcen. Welt- ► Marie Löwenstein und Julian erinnern. Brot für die Welt und die weit nutzen Frauen, besonders aus der Amershi (Sparte Fernsehen), die das Diakonie Deutschland setzen sich in Zivilgesellschaft, diese in der Plattform Thema Wohnen und Obdachlosig- Deutschland und den Ländern des glo- festgelegten Ziele und Forderungen, keit mit einem Film „Urlaub von der balen Südens für eine nachhaltige Ver- um ungleiche Machtverhältnisse und Straße – Die Obdachlosenreise“ im besserung der Situation von Frauen und männ liche Privilegien zu hinterfragen NDR behandelt haben; Mädchen ein und fordern weltweit die und die Gleichberechtigung der Ge- ► Pia Rauschenberger (Sparte Online) rechtliche Verankerung und konsequen schlechter einzufordern. für eine sechsteilige Podcast-Serie te Durchsetzung von Frauenrechten. zum Thema Psychotherapie unter dem Titel „Therapieland“ in Deutsch- „Die Gleichberechtigung der Geschlech- Deutscher landfunk Kultur Online. ter ist ein Kernelement unserer Demo- kratie. Der Antifeminismus geht mit Sozialpreis 2020 Der Sonderpreis „30 Jahre Deutsche dem Rechtspopulismus Hand in Hand Einheit“ wurde Jan Niklas Lorenzen und und ist ein Vehikel, um rechtes Ge- Sieben Journalistinnen und Journalis- Markus Stein für einen Beitrag „Wer be- dankengut auch dort zu verbreiten, wo ten wurden am 26. Oktober 2020 für ihre herrscht Deutschland? – Was den Osten ohnehin Vorbehalte gegen genderpoli herausragenden Arbeiten zu sozialen anders macht“ im MDR-Fernsehen zu- tische Argumente bestehen. Frauen Themen mit dem Deutschen Sozialpreis gesprochen. werden deutlich häufiger Opfer von 2020 ausgezeichnet. Die Preisverleihung häuslicher Gewalt“, sagt Maria Loheide, fand im Rahmen des BAGFW-Politik Die Spitzenverbände der Freien Wohl- Vorstand Sozialpolitik der Diakonie forums der Bundesarbeitsgemeinschaft fahrtspflege loben den Preis jährlich seit Deutschland. Auch in Deutschland gibt der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) in 1971 aus, um herausragende Beiträge es erheblichen Nachholbedarf bei der Berlin. der Sozialberichterstattung zu ehren. Geschlechtergerechtigkeit. „Noch immer Der Preis ist mit 5.000,– € pro Sparte verdienen Frauen deutlich weniger als Der Preis wurde in den Sparten Print, dotiert. Eine unabhängige Fachjury er Männer. Die schlechter bezahlten Care- Hörfunk, Fernsehen, Online und als mittelte die Preisträger/innen aus insge Berufe sind nach wie vor überwiegend Sonderpreis „30 Jahre Deutsche Einheit“ samt 230 eingereichten Arbeiten. 507
AKTUELLES NDV 11/2020 Mehr zu den Preisträger/innen und den Nähere Informationen sind erhältlich den neuen Bundesländern wird Alters- ausgezeichneten Arbeiten erfahren Sie unter https://digitaleslernzentrum.fb. armut in den kommenden Jahren deut- auf der Website der BAGFW zum Deut- com/de/seniorinnen/ lich steigen.“ schen Sozialpreis 2020: www.bagfw.de/ ueber-uns/deutscher-sozialpreis/preis- Wolfgang Stadler fordert: „Wir brauchen traeger-2020. AWO fordert stärkeren in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik verstärkte Anstrengungen: Hierzu zäh- Einsatz gegen Altersarmut len, gesamtdeutsche Lösungen, die Lernvideos für Seniorin- Arbeitslosigkeit, Niedriglohn und Alters- Anlässlich des 30. Jubiläums der deut- armut in den alten wie neuen Bundes- nen und Senioren schen Wiedervereinigung stellt der AWO ländern in den Blick nehmen. Gerade in Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler Fragen der Altersarmut sind Maßnah Zusammen mit dem Verein Wege aus fest: „Bei aller Freude über die Wieder- men dringender denn je: In den kom- der Einsamkeit e. V. Wade Hamburg, vereinigung sollten wir nicht vergessen, menden Jahren kommen immer mehr Facebook und weiteren Partnern hat dass viele Menschen die Nachwende- Menschen ins Rentenalter, die nach der die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in zeit nicht zu einer persönlichen Erfolgs- Wende auf dem Arbeitsmarkt nicht Deutschland e. V. (ZWST) „Lernvideos“ geschichte ummünzen konnten und mehr Fuß fassen konnten. Hier erwarten für Seniorinnen und Senioren entwickelt. Brüche erleben mussten. Diese Brüche wir von der Bundesregierung weitere Ziel des Projekts ist es, alle Menschen zu wirken bis heute nach. Die Arbeitslosig- Schritte zur Bekämpfung von Alters- unterstützen, sich in der digitalen Welt keit in den neuen Bundesländern liegt armut.“ von heute zurechtzufinden und sich höher als im Westen und der Abstand auszutauschen. Die Video-Tutorials er- bei den Löhnen in Ost und West ist auch klären Seniorinnen und Senioren ein- bei gleicher Qualifikation immer noch fach und verständlich, wie sie digitale beträchtlich. Eine Spätfolge dieses sehr Inhalte in ihrem Alltag nutzen können. langsamen Angleichungsprozesses: In 508
NDV 11/2020 AKTUELLES Veranstaltungen des Deutschen Vereins Datum Veranstaltung Hinweis 01.12.2020 30 Jahre Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) – Beratung und Intervention in Fällen Weitere Informationen F 1740/20 internationaler Kindesentführung und Anmeldung unter: Fachtagung zur Beratung und Intervention in Fällen internationaler Kindesentführung mit Beiträgen der https://bit.ly/3nEejdA Zentralen Behörde (Bundesamt für Justiz) und des Internationalen Sozialdiensts (Deutscher Verein). Digitale Fachveranstaltung, 10:00 Uhr bis 11:30 Uhr; M: 19,00 €, NM: 24,00 € Digital 01. und Migrantenorganisationen und muslimische Organisationen als Akteure der Wohlfahrtspflege Weitere Informationen 02.12.2020 Die Veranstaltung greift Herausforderungen und Lösungen für bessere Beteiligung von Migrantenorgani und Anmeldung unter: F 3312/20 sationen und muslimischen Organisationen bei der Erbringung von Angeboten der Wohlfahrtspflege auf. https://bit.ly/31i7x3V Digitale Fachveranstaltung, jeweils 13:30 Uhr bis 15:30 Uhr; M: 27,00 €, NM: 34,00 € Digital 03. und Reform des SGB VIII – das kommt auf uns zu Weitere Informationen 04.12.2020 Die digitale Fachveranstaltung bietet einen Überblick zu den zentralen Inhalten des KJSG. In und Anmeldung unter: F 2288/20 Diskussionsforen können sich die Teilnehmenden zu verschiedenen Schwerpunktthemen austauschen. https://bit.ly/3m8NSeu Digitale Fachveranstaltung, am 03.12.: 10:00 Uhr bis 13:00 Uhr, am 04.12.: 10:00 Uhr bis 12.30 Uhr; Digital M: 38,00 €, NM: 47,00 € 04.12.2020 Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf – generationsübergreifendes Wohnen und neue Weitere Informationen F 4511/20 Wohnformen in der Quartieren und Anmeldung unter: Zukunftsorientierte Wohnungspolitik erfordert neue Wohnformen und eine wohnortnahe soziale Infra https://bit.ly/3iVpGdu struktur. Konzepte für generationenübergreifendes und gemeinschaftliches Wohnen sind die Antwort. Digital Digitale Fachveranstaltung, 10:00 Uhr bis 12:40 Uhr; M: 47,00 €, NM: 59,00 € 09.12.2020 Soziale Arbeit über Grenzen hinweg – eine Einführung in Besonderheiten und Herausforderungen Weitere Informationen F 1741/20 sowie in die Arbeit des Internationalen Sozialdienstes und Anmeldung unter: Gegenstand der Veranstaltung sind die Herausforderungen von Jugendhilfefällen mit Auslandsbezug https://bit.ly/3kuo4JC und eine Vorstellung der Arbeit des ISD als möglichem Unterstützer in Fallarbeit und Beratung Digitale Fachveranstaltung, 10:30 Uhr bis 11:45 Uhr; kostenfrei Digital 14. und Aktuelle fachliche, fachpolitische und rechtliche Entwicklungen in der Sozialhilfe Weitere Informationen 15.12.2020 Fachveranstaltung für Sozialamtsleiter/innen: Aktuelle Entwicklung SGB XII und angrenzende Gesetze, und Anmeldung unter: F 3309/20 Brennpunkt: Kosten der Unterkunft, Grundrente und ihre Umsetzung, Ausblick auf das neue SGB XIV. https://bit.ly/3jVBlKC Digitale Fachveranstaltung, am 14.12.: 13:30 Uhr bis 16:15 Uhr, am 15.12.: 09:00 Uhr bis 14:00 Uhr; Digital M: 38,00 €, NM: 47,00 € M = Mitglieder, NM = Nichtmitglieder Kommunale Integrationspolitik: Strukturen, Akteure, Praxiserfahrungen Herausgegeben von Tillmann Löhr 2020, 160 Seiten, kart.; 19,80 €, für Mitglieder des Deutschen Vereins 16,80 € ISBN 978-3-7841- 3265-5 Kommunen spielen praktisch und konzeptionell eine zentrale Rolle in der Integrationspolitik. Dieser Band ana- lysiert strukturelle Rahmenbedingungen, Gestaltungsmöglichkeiten und Erfahrungen bei der Organisation von Integration als Querschnittsaufgabe, Dialog- und Beteiligungsformaten, Zusammenarbeit mit zivilgesellschaft- lichen Akteuren u.v.m. Bestellungen versandkostenfrei in unserem Online-Buchshop: www.verlag.deutscher-verein.de 509
140 JAHRE DEUTSCHER VEREIN – 100 JAHRE NDV NDV 11/2020 Michael Löher und Ralf Mulot Deutscher Verein und NDV: ein Streif- zug durch die gemeinsame Geschichte Der Deutsche Verein wurde im Jahre 1880 gegründet, der NDV erst 40 Jahre später – im Jahre 1920 – ins Leben gerufen. In einem kurzen Ritt durch die gemeinsame Geschichte sollen einige historische Marksteine betrachtet und der Wandel des Erscheinungsbildes dargestellt werden. Das Jahr 2020 steht für den Deutschen Verein im Zeichen klei- ner und großer Feierlichkeiten. Neben dem 140-jährigen Gründungsjubiläum können wir den 100. Geburtstag des Michael Löher Nachrichtendienstes, das 50-jährige Bestehen des Archivs für ist Vorstand des Deutschen Vereins für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit und das 25-jährige öffentliche und private Fürsorge e. V., des Rechtsprechungsdienstes NDV-RD begehen. Berlin. Das 140-jährige Jubiläum des Deutschen Vereins haben wir Ralf Mulot seit Anfang des Jahres auf ganz unterschiedliche Weise be- ist Leiter des Verlags des Deutschen gangen: auf unserer Homepage, in den sozialen Medien, mit Vereins für öffentliche und private Beiträgen im NDV und mit einer Anzeigenkampagne, in der wir Fürsorge e. V., Berlin. Mitglieder, Wegbegleiter und Kooperationspartner gebeten haben, ein kurzes Statement zum Jubiläum und zu ihrer persönlichen Haltung zum bzw. zur Wahrnehmung des Deut- schen Vereins abzugeben. Im NDV haben wir die Gründungs- geschichte noch einmal Revue passieren lassen und sind auf einige wichtige Persönlichkeiten in Form von biografischen 1. Gründung und Anfangsjahre Beiträgen näher eingegangen. Der Deutsche Verein ist vor 140 Jahren sozusagen als „Selbst- Die Beschäftigung mit der 140-jährigen wechselvollen Ge- hilfegruppe“ führender Persönlichkeiten auf dem Gebiet der schichte gibt allen, denen der Deutschen Verein am Herzen Armenfürsorge entstanden – „Selbsthilfegruppe“ insofern, als liegt – nicht zuletzt den Mitgliedern, Förderern, Gremien die Fachkräfte vor Ort sich organisierten, weil ihnen ein vertreter/innen und Mitarbeiter/innen der Geschäftsstelle –, Steuerungsinstrument fehlte, um die vielfältigen und zum Teil Gelegenheit, Diskurse der Vergangenheit nachzuvollziehen, divergierenden armenpolitischen Bestrebungen zu koor di Brüche und Kontinuitäten wahrzunehmen und den eigenen nieren. Mit dem Deutschen Verein hoben Albert Döll, Wolfgang Standpunkt kritisch zu reflektieren. Straßmann und viele andere im Jahre 1880 einen „Centralver- ein für Armenpflege“ aus der Taufe, der sich im Laufe der Jahre zu einem anerkannten und einflussreichen Verband des Für- sorgewesens entwickelte.1 1 Zur Gründungsgeschichte vgl. Schmitt 2020 und Sachße/Tennstedt 2005. 510
NDV 11/2020 140 JAHRE DEUTSCHER VEREIN – 100 JAHRE NDV Das Jahr 1919 war mit der Verabschiedung einer demo Mitarbeiter/innen der Geschäftsstelle unter einem Namens- kratischen Verfassung, dem Übergang zu einer föderativen kürzel verfasste Beiträge aus der Fürsorgepraxis. Die Gestal Republik und der Einführung des Frauenwahlrechts nicht nur tung orientierte sich an der Funktion und dem Informations- für die Entwicklung der Demokratie in Deutschland bedeut- bedürfnis der Leserschaft. Als Herausgeber fungierte der sam. Auch der Deutsche Verein unterzog sich einer um- Vorsitzende des Deutschen Vereins, Wilhelm Polligkeit; eine fassenden Reform.2 Neben einer Satzungsänderung wurde Redaktion oder Schriftleitung wird nur in den Anfangsmonaten eine hauptamtliche Geschäftsführung bestellt, die Geschäfts- nach der Gründung erwähnt stelle von Berlin nach Frankfurt am Main verlegt und der Name des DV geändert (Mulot 2019). Nachdem die Wohlfahrtspflege im Jahre 1933 „gleichgeschal tet“ und der „NS-Volkswohlfahrt“ unterworfen wurde, verlor Diese Neuorganisation und Modernisierung wurde maßgeb- auch der Deutsche Verein an Einfluss und spielte in der Zeit lich von Wilhelm Polligkeit (1876–1960), dem damaligen des Nationalsozialismus nur eine unbedeutende Rolle. Der Geschäftsführer und späteren Vorsitzenden des DV, betrieben, NDV unter Herausgeberschaft des Leiters der Abteilung dem zu seinem Glück nur noch eines fehlte: ein eigenes Ver- Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe der „NS-Volkswohlfahrt“, einsorgan. Bis 1920 wurden verbandliche Informationen in Hermann Althaus (1899–1966), erschien jedoch weiter. Prof. anderen Medien veröffentlicht, die Frage einer eigenen Zeit- Manfred Kappeler hat sich dankenswerterweise der Mühe schrift stand schon bald auf der Agenda. Im Februar 1920 gab unterzogen, in dieser Ausgabe des NDV die Rolle und Bedeu der Fachausschuss für städtisches Fürsorgewesen erstmals tung des NDV im Jahre 1933 zu untersuchen. einen „Nachrichtendienst“ auf besserem Butterbrotpapier he- raus, der die Grundlage für den ab 1922 in gedruckter Form erscheinenden NDV bildete.3 3. Neubeginn nach 1945 Am Ende des Krieges kam die Arbeit des Deutschen Vereins 2. Weimarer Republik und zum Erliegen – und auch der NDV erschien 1945 zum ersten und einzigen Mal seit 1920 nicht (Willing 2005, 121). Nachdem Nationalsozialismus die bisherige Führungsspitze aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP gemäß den Bestimmungen des Alliierten Kontroll- Die Themen des NDV ergaben sich aus der Not der unmittel- rats ihre Funktionen nicht mehr ausüben konnte, war der baren Nachkriegszeit: Die materielle Versorgung der älteren Deutsche Verein bis zum Frühjahr 1946 nicht mehr handlungs- Menschen („Kleinrentnerfürsorge“) und der ehemaligen fähig. Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg schlug die Stunde Kriegs teilnehmer („Militärrentner“) sowie deren Hinterblie von Wilhelm Polligkeit, der im März 1946 bei der US-Militär- benen, die Finanznot der öffentlichen Haushalte und der regierung die „Wiederingangsetzung“ des Deutschen Vereins freien Träger standen im Vordergrund. Die Geldentwertung und die Erlaubnis zur Herausgabe des NDV beantragte. Nur 1922/23 stellte aber nicht nur für die Wohlfahrtseinrichtungen wenige Wochen später – im Mai 1946 – bezog Polligkeit als Vor- eine existenzielle Bedrohung dar, sondern auch für den Deut- sitzender mit einer Handvoll Mitarbeiter/innen die neue Ge- schen Verein, sodass der NDV kaum zwei Jahre nach seiner schäftsstelle im Soziographischen Institut in Frankfurt am Main.4 Gründung fast schon wieder vor dem Aus stand (Deutscher Verein 1922). Nach der Stabilisierung der Währung durch die Im August 1946 erscheint unter dem Titel „Rundschreiben an Einführung der Rentenmark etablierte sich der NDV jedoch in die Mitglieder und Förderer des Deutschen Vereins für öffent der Weimarer Republik als Mitteilungsorgan des Deutschen liche und private Fürsorge“ die erste, provisorische Ausgabe Vereins und begleitete die großen Reformen der ersten deut- des NDV nach dem Krieg, wobei der Name „Nachrichten- schen Republik – die Verabschiedung des Reichsjugendwohl- dienst“ nur als Untertitel aufgeführt war. Hintergrund für diese fahrtsgesetzes 1922, der Reichsfürsorgepflichtverordnung und ungewöhnliche Bezeichnung ist die fehlende Lizenz zur der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der Herausgabe des NDV, was durch den Hinweis „Publication öffentlichen Fürsorge 1924. authorized by Publications Section, Frankfurt/M, Det. Informa- tion Control Branch, OMG for Greater Hesse“ kenntlich ge Ein Blick in eine Ausgabe des NDV der damaligen Zeit zeigt ein macht wurde. Der Neuanfang wurde mit dem Hinweis „I. Jahr- geradezu spartanisches Layout und zahlreiche, zumeist von gang“ verdeutlicht. 2 Zum Folgenden: Schmitt 2019. 3 Die Gründung des NDV wird ausführlich geschildert von Sabine Schmitt in diesem Heft. 4 Hierzu Willing 2005, 126 ff. 511
140 JAHRE DEUTSCHER VEREIN – 100 JAHRE NDV NDV 11/2020 Nachdem der Deutsche Verein anfangs nur in den Ländern Von ihm gingen entscheidende Impulse zur Novellierung des Hessen und Bayern, ab Oktober 1946 auch in Württemberg- Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (RJWG) und zur Verabschie Baden zugelassen war, erfolgte Anfang 1947 die Zulassung dung des Gesetzes über die Änderung und Ergänzung für auch für die Länder der britischen Zone (Polligkeit 1947). In sorgerechtlicher Bestimmungen aus, die im NDV dokumen- der Ausgabe April/Mai 1947 verkündet Wilhelm Polligkeit vol- tiert wurden. ler Stolz: Anlässlich des 75. Geburtstages von Wilhelm Polligkeit, der ein „Wir freuen uns, den Mitgliedern unseres Vereins von nun Jahr zuvor das Amt des Vorsitzenden an Hans Muthesius ab- an den Nachrichtendienst wieder in der gewohnten Form gegeben hatte, widmete der NDV seinem Gründer im Mai 1951 überreichen zu können, die ihm seit seiner Begründung eine eigene Ausgabe, der wir einen instruktiven Bericht von im Jahre 1919 den anerkannten Ruf eines unentbehr- Hildegard Schräder über die Redaktionsarbeit der damaligen lichen Ratgebers für die Praxis der öffentlichen und priva- Zeit verdanken: ten Fürsorge eingetragen hat … Nachdem mir unter der Herrschaft des Nationalsozialismus der Vorsitz in unserem „In der ‚ND-Sitzung‘, wie die Redaktionssitzungen all- Verein und die Herausgabe des Nachrichtendienstes ent- gemein genannt wurden, sehen wir Polligkeit an einem zogen worden war, ist es mir als dem Begründer dieser Ende des großen Tisches in seinem Arbeitszimmer, um ihn Zeitschrift nun eine besondere Genugtuung, an die be- herum seine Mitarbeiter, etwa 5 bis 10, häufig wechselnd währte Tradition der früheren Jahre anknüpfen zu kön- (es sollten immer wieder Neue bei Polligkeit lernen), alle nen, in der Hoffnung, daß hierdurch wieder eine leben im Alter von 25 bis 35 Jahren (wer würde heute es wagen dige und fruchtbare Verbindung mit unseren Mitgliedern mit so jungen Menschen?). Jeder kam mit seinen Ent- hergestellt wird.“ (Polligkeit 1947a) würfen für die nächste Nummer, jeder mußte sie selbst vorlesen. Wir haben oft dabei gezittert. Polligkeit, der Die provisorische Titelzeile mit dem Namenszug „Rundschrei immer, sowohl seinen eigenen wie den Arbeiten seiner ben“ gehörte damit der Vergangenheit an. Mitarbeiter gegenüber, äußerst kritisch war, war hier ein unnachsichtiger Kritiker. Hier wurde jedes Wort, jede For- Der NDV, der anfangs mit 16, später wieder mit 32 Seiten er- mulierung, jeder Gedanke gewogen; häufig wurde ge- schien, widmete sich anfangs den drängenden Themen der meinsam geändert und gestaltet, manchmal wurde das Nachkriegszeit, die auch im Rahmen des ersten Deutschen Ganze verdammt und mußte neu gearbeitet werden. Fürsorgetages nach dem Krieg diskutiert wurden: der Ein- Diese öffentliche Kritik, bei welcher jeder auch wieder gliederung der Flüchtlinge, „Ernährungshilfe für unsere Ju- vom anderen lernte, war ein sehr harter Teil unserer Lehre gend“, die „Not der Alten“ (Deutscher Verein 1947). Die Redak- und hat uns – auch uns selbst gegenüber – sehr kritisch tion konzentrierte sich dabei auf knappe Informationen aus gemacht.“ (Schräder 1951, 173) der Praxis, Hinweise auf gesetzliche Reformen und Berichte aus den Bundesländern. Grundlegende Beiträge zur Neu- gestaltung des sozialen Sicherungssystems nach dem Krieg 4. Modernisierung und Kontinuität finden sich zumeist nur in Beiträgen zu den Fürsorgetagen und Sitzungen des Hauptausschusses. Eine Ausnahme war eine In der Zeit nach Polligkeit zeigte sich der NDV kaum verändert – ausführliche Darstellung der „Bestrebungen zu einer Fürsorge- das Layout blieb gleich, lediglich kleine typographische rechtsreform“, die der Deutsche Verein mit zwei Gutachten Eingriffe lockerten die „Bleiwüste“ etwas auf. Erst Mitte der 1946 (Deutscher Verein 1946) und 1947 (Deutscher Verein 1960er-Jahre – nachdem Hans Muthesius in den Ruhestand 1948) angestoßen hatte. Die meisten Beiträge sind nicht getreten und nicht mehr Vorsitzender des DV und Herausgeber namentlich gekennzeichnet, mitunter erfolgt bei externen des NDV war – vollzog sich eine Modernisierung. Rubriken wie Autor/innen ein Hinweis auf die Urheberschaft. Im Laufe des „Abhandlungen“, „Berichte“ und „Aus der Arbeit des Deut- Jahres 1948 werden auch die Namenskürzel wieder verwendet, schen Vereins“ wurden eingeführt, die viele Jahre lang die die in der unmittelbaren Nachkriegszeit verschwunden waren. systematische Gliederung der Zeitschrift bestimmen sollten. Verantwortlich für diese Neuausrichtung war ein junger Ver- Nach der Konsolidierung Ende der 1940er-Jahre entwickelte waltungsbeamter, dem als stellvertretender Geschäftsführer sich der Deutsche Verein in der Adenauer-Zeit zu einem wich- 1963 der Aufbau des Eigenverlages übertragen worden war: tigen Akteur des sozialpolitischen Diskurses und schaltete Walter Schellhorn.5 Das Impressum führte neben dem Heraus- sich immer wieder in die Debatten um eine Sozialreform ein. geber Hans Achinger den Schriftleiter und DV-Geschäftsführer 5 Vgl. die Würdigung anlässlich des Todes von Walter Schellhorn im Jahre 2019: Mulot 2019a. 512
NDV 11/2020 140 JAHRE DEUTSCHER VEREIN – 100 JAHRE NDV Titelseiten des NDVs aus den Jahren 1964, 1965. und 1995 Rudolf Pense sowie Walter Schellhorn auf, der „für die Redak- Die endgültige Öffnung des NDV – auch für von der Vereins- tion verantwortlich“ zeichnete. Walter Schellhorn ist es auch politik abweichende Meinungen, andere wissenschaftliche zu verdanken, dass das alte, aus dem Jahre 1922 stammende Ansichten, kritische Stimmen und Methoden – erfolgte erst Logo des NDV6 im Jahre 1976 durch das Logo des DV ersetzt nach der „Ära Schellhorn“ in den 1990er-Jahren. Auch wenn wurde. der NDV den Charakter als Mitgliederzeitschrift beibehielt, stieg der Anteil externer Autor/innen an, die verstärkt neue Die Arbeit des Deutschen Vereins und die Berichterstattung Themen und interdisziplinäre Ansätze einbrachten. Was un- des NDV wurde zu Beginn der 1960er-Jahre wesentlich von der verändert blieb, war die hohe Fachlichkeit der Beiträge und Verabschiedung des Bundessozialhilfe- und des Jugendwohl- die Dokumentation der Arbeit des Deutschen Vereins: Emp- fahrtsgesetzes geprägt, an deren Erarbeitung der DV maß fehlungen, Stellungnahmen, Gutachten, Berichte über die Mit- geblich beteiligt war. Da die Bundesregierung bemüht war, gliederversammlungen, den Hauptausschuss und über den Fachkräfte der Sozialen Arbeit zur Umsetzung des neuen Deutschen Fürsorgetag. Regelwerks zu schulen, wurde ein zentrales Fortbildungswerk beim Deutschen Verein eingerichtet, im Zuge dessen neue Ideen, Methoden und Gesichter Einzug hielten. Die intensiven 5. Der NDV im neuen Gewand gesellschaftspolitischen Diskussionen Ende der 1960er-/An- fang der 1970er-Jahre, die innerhalb und außerhalb des Deut- Abgesehen von kleineren Eingriffen veränderte sich das Er- schen Vereins mit großer Leidenschaft und oft nicht ohne scheinungsbild des NDV lange Zeit nur unwesentlich. Die Hybris geführt wurden, schlugen sich jedoch kaum einmal im Übernahme der Herausgeberschaft durch Michael Löher, seit NDV nieder. Der NDV als offizielles Organ des Deutschen Ver- 2000 Geschäftsführer, seit 2007 Vorstand des Deutschen Ver- eins verstand sich in dieser Zeit als Medium, das die Positio- eins, und der Schriftleitung durch Ralf Mulot ging mit einem nen der Vereinsgremien zu dokumentieren habe, und nicht als Relaunch einher: Ab der April-Ausgabe 2002 präsentierte sich Fachzeitschrift, in der unterschiedliche und kontroverse Mei- die Zeitschrift freundlicher und das traditionelle „DV-Grün“ nungen zu Wort kommen sollen. Der NDV war überdies auf die hielt als Farbe Einzug in den Innenteil. Später kamen Fotos der Bedürfnisse der Verwaltungspraxis und der Leistungserbringer Autorinnen und Autoren sowie neue grafische Elemente hinzu. ausgerichtet.7 Im November 2002 wurde dem NDV erstmals der Newsletter 6 Vgl. die Abbildung in dem Beitrag von Sabine Schmitt in dieser Ausgabe. 7 Vgl. dazu Mulot 2020. 513
140 JAHRE DEUTSCHER VEREIN – 100 JAHRE NDV NDV 11/2020 Literatur Deutscher Verein (1922): An unsere Mitglieder!, in: NDV 31, S. 272. Deutscher Verein (1946): Einheitliche Reform der Fürsorgepflicht verordnung, in: NDV 4, S. 49–51. Deutscher Verein (1947): Deutscher Fürsorgetag 1947, in: NDV 4, S. 49 ff. Deutscher Verein (1948): Stand und Entwicklungs-Tendenzen der Bestrebungen zu einer Fürsorgerechtsreform, in: NDV 14/5, S. 61–69. Löher, M. (2002): Neues Erscheinungsbild des NDV, in: NDV 4, S. 113. Mulot, R. (2019): Sollte der Name des Deutschen Vereins geändert werden? Antiquierte Begriffe, Missverständnisse und mögliche Alternativen, in: NDV 10, S. 440–446. Mulot, R. (2019a): Walter Schellhorn und der Deutsche Verein, in: Titelseite des NDVs aus dem Jahr 2000 NDV 12, S. 535–542. Mulot, R. (2020): Zwischen Restauration und Revolte: der Deutsche Verein 1960 bis 1970, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der „dv-aktuell“ beigeheftet, der „in knapper Form aktuelle Nach- Sozialen Arbeit, 4, S. 44–50. richten aus der Arbeit des Deutschen Vereins“ enthielt (Löher 2002, 113). Seit 2017 wird der Newsletter monatlich digital ver- Polligkeit, W. (1947): An unsere Mitglieder!, in: NDV 2, S. 17. sandt. Polligkeit, W. (1947a): An unsere Mitglieder!, in: NDV 3, S. 33. Anlässlich seines 100-jährigen Jubiläums war die Zeit reif, den Sachße, C./Tennstedt, F. (2005): Der Deutsche Verein von seiner NDV bunter, moderner und lesefreundlicher zu präsentieren. Gründung bis 1945, in: Deutscher Verein (Hrsg.): Forum für Die alten, nicht mehr zeitgemäßen Titel der Rubriken wurden Sozialreformen. 125 Jahre Deutscher Verein für öffentliche und gründlich überarbeitet, eine neue Systematik geschaffen, at- private Fürsorge, Berlin, S. 17–115. traktive grafische Elemente eingeführt und eine Anpassung an die Corporate Identity des Deutschen Vereins vorgenommen. Schmitt, S. (2019): Vor Jahren: Der Deutsche Verein wird modern!, in: NDV 10, S. 433–439. Gleichzeitig war es uns wichtig, den Charakter des NDV als Mit- glieder- und Fachzeitschrift beizubehalten. Schmitt, S. (2020): „Es fehlt uns ein Centralorgan für deutsche Armenpflege!“ Die Gründung des Deutschen Vereins vor 140 Jahren, Mit diesem Heft halten Sie eine neugestaltete Ausgabe des in: NDV 8, S. 377–380. NDV in Händen, mit der wir inhaltlich in mehreren Beiträgen die Jubiläen und die gemeinsame Geschichte von Deutschem Schraeder, H. (1951): Was wir bei Polligkeit gelernt haben, in: Verein und NDV Revue passieren lassen. Wir hoffen, dass Ihnen NDV 5-6, S. 172 f. der runderneuerte NDV gefällt, und sind gespannt auf Ihre Re- Willing, M. (2005): Der Deutsche Verein von 1945 bis 2005, in: aktion. Besonders freuen wir uns, wenn Sie uns Ihre Rückmel Deutscher Verein (Hrsg.): Forum für Sozialreformen. 125 Jahre dung unter mulot@deutscher-verein.de zukommen lassen. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Berlin, S. 117–264. 514
NDV 11/2020 140 JAHRE DEUTSCHER VEREIN – 100 JAHRE NDV Sabine Schmitt „Tatsachenmaterial, das für die Praxis von Wichtigkeit ist“ Die Gründung des NDV im Jahre 1920 Die Gründung eines eigenen Vereinsorgans vor 100 Jahren stand im Kontext einer umfassenden Reform des Deutschen Vereins hin zu einem modernen, professionellen Fachverband. In diesem Beitrag sollen die Umstände nachgezeichnet werden, unter de- nen der „Nachrichtendienst des Deutschen Vereins“ das Licht der Welt erblickte.1 1. Die Reform des Deutschen Vereins im Jahre 1919 Dr. Sabine Schmitt ist Historikerin und Redakteurin im Verlag des Deutschen Vereins für öffentliche und Der Deutsche Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit war private Fürsorge e. V., Berlin. seit seiner Gründung im Jahre 1880 ein typischer Honoratioren- verein im Spektrum der bürgerlichen Sozialreform. Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Konstituierung eines demo- kratischen Staatswesens mit sozialem Verfassungsauftrag im Jahre 1919 ging mit tiefgreifenden Reformen im Deutschen 2. Das Publikationswesen in den Verein einher: Er siedelte nach Frankfurt a. M. um, baute dort eine professionell arbeitende Geschäftsstelle mit hauptamt- Anfängen des Deutschen Vereins licher Geschäftsführung auf und gab sich den bis heute gül tigen Namen „Deutscher Verein für öffentliche und private Seit 1880 waren Publikationen das wichtigste Medium des Fürsorge“ (vgl. ausführlich Sachße/Tennstedt 2005, 46–99; Deutschen Vereins, um die Fachöffentlichkeit zu erreichen. Schmitt 2019). Von Beginn an wurden die stenografischen Wortprotokolle der jährlichen Jahresversammlungen veröffentlicht. Hinzu kamen Maßgeblich wurde die Modernisierung durch Wilhelm Pollig- umfassende empirische Untersuchungen, die von prominen- keit (1876–1960) gestaltet und vorangetrieben (zu Polligkeit ten Fürsorgefachleuten im Auftrag des Deutschen Vereins er- und seiner ambivalenten Rolle in der Geschichte der Sozialen stellt und auf den Jahresversammlungen diskutiert wurden. Arbeit siehe ausführlich Stein 2019). Er wurde 1920 Geschäfts- Die Themen deckten das weite Feld der Armenpflege und ihre führer und 1922 auch Vorsitzender des Deutschen Vereins. Die dringend notwendige Neuorganisation im deutschen Kaiser- Gründung einer eigener Fachzeitschrift war ihm ein beson reich ab (eine vollständige Bibliografie findet sich bei Sachße/ deres Anliegen, das er kontinuierlich verfolgte. Tennstedt 2005, 711–759). 1 Im Archiv des Deutschen Vereins sind keine Quellen aus der fraglichen Zeit erhalten. Daher kann sich der Beitrag nur auf die Berichte im NDV selbst und anderen Publikationen sowie auf historiografische Darstellungen stützen. 515
140 JAHRE DEUTSCHER VEREIN – 100 JAHRE NDV NDV 11/2020 Die teilweise mehrere hundert Seiten umfassenden Bände er- selbst verfasst, sowie über dessen Veröffentlichungen. Ab dem schienen von 1881 bis 1883 im Carl Heymanns Verlag, Berlin. 10. Jahrgang 1909 enthielt sie ein systematisches Verzeichnis Ab 1886 wurden sie als „Schriften des Deutschen Vereins für aller bisher erschienenen Hauptartikel. Armenpflege und Wohlthätigkeit“ durchgehend nummeriert bei Duncker & Humblot, Leipzig veröffentlicht. 1917 endete die Nach Münsterbergs Tod beschloss der Deutsche Verein, die Reihe mit dem Band 107. Ab 1921 erschienen im Verlag Zentralstelle und die Zeitschrift für das Armenwesen in eigener G. Braun, Karlsruhe, die „Schriften des Deutschen Vereins für Regie zu übernehmen. Entsprechende Verhandlungen habe öffentliche und private Fürsorge, Neue Folge“, deren Numme- es bereits mit Münsterberg selbst gegeben, die nun in seinem rierung wieder bei 1 begann. Ab 1924 wurde sie durch die Sinne abgeschlossen worden seien („An die Leser und Mit- Schriftenreihe „Aufbau und Ausbau der Fürsorge“ ergänzt. arbeiter!“ 1912). Die Redaktion der monatlich erscheinenden „Zeitschrift für das Armenwesen“ übernahm 1912 Christian Jasper Klumker (1862–1942), Geschäftsführer der Centrale für 3. Vorläufer des Nachrichtendienstes private Fürsorge in Frankfurt a. M., Gründer des Archivs deut- scher Berufsvormünder und Autor wichtiger Expertisen des Ein eigenes Vereinsorgan hatte der Deutsche Verein zunächst Deutschen Vereins. nicht. Allerdings konnte er nicht nur die Expertise, sondern auch die publizistische Infrastruktur eines seiner wichtigsten Akteure, Emil Münsterberg (1855–1911) nutzen. Münsterberg war seit 1886 im Zentralausschuss und von 1892 bis 1911 Vor- standsmitglied und Schriftführer des Deutschen Vereins. Weni- ge Tage vor seinem Tod am 25. Januar 1911 wurde er zu d essen Vorsitzenden ernannt. Der DV-Vorstand würdigte Müns ter bergs Verdienste in einem Nachruf: „Seitdem er im Jahre 1892 das Schriftführeramt des Ver- eines übernommen hatte, war er unbestritten der wissen- schaftliche Leiter, die Seele der ganzen Vereinstätigkeit geworden.“ (Der Deutsche Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit 1912, 36) Emil Münsterberg war seit 1898 Stadtrat und Vorsitzender der Armendirektion in Berlin. Er galt als der beste Kenner des Armenwesens im Deutschen Reich und war auch international gut vernetzt (ebd., 36 f.; vgl. Landes 2016). 1897 gründete er in Berlin die Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen (später: Zentralstelle für Volkswohlfahrt). An der Einrichtung von deren Abteilung für Armenpflege und Wohltätigkeit waren auch der Deutsche Verein und das Institut für Gemeinwohl beteiligt („Zum Eintritt in das zweite Jahrzehnt“ 1910, 1). Aus ihr ging die Zentralstelle für Armenpflege und Wohltätigkeit hervor, eine Auskunfts- und Dokumentationsstelle, die seit 1900 die „Zeitschrift für das Armenwesen“ herausgab. Seit 1906 diente diese als informelles Vereinsorgan des Deutschen Vereins. Die „Zeitschrift für das Armenwesen“ mit einer eingeklebten Abbildung ihres verstorbenen Gründers Emil Münsterberg 3.1 Die „Zeitschrift für das Armenwesen“ Für die redaktionelle Arbeit war aber Münsterbergs bisherige Die „Zeitschrift für das Armenwesen“ erschien als „Organ der Mitarbeiterin Dorothea Hirschfeld (1877–1966) weiterhin zu- Zentralstelle für Armenpflege und Wohltätigkeit und des ständig. So berichtete der neue Vorsitzende Heinrich Ruland Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit“. Sie (1852–1930) der Jahresversammlung des Deutschen Vereins veröffentlichte ausführliche Berichte über die Jahresver- am 17./18. September 1912 in Braunschweig von dem Be- sammlungen des Deutschen Vereins, häufig von Münsterberg schluss, die „Zentralstelle für Armenpflege und Wohltätigkeit“ 516
NDV 11/2020 140 JAHRE DEUTSCHER VEREIN – 100 JAHRE NDV und die „Zeitschrift für das Er wollte die Zeitschrift in diesem Sinne umgestalten: Armenwesen“ zu übernehmen (Stenographischer Bericht 1913, „Statt Berichten von Tagungen, Verhandlungen u. dgl. 7). Beides werde aktuell von und der Erörterung praktischer Tagesfragen, die schon Dorothea Hirschfeld erfolg- der beschränkte Raum verbietet, sollen künftig Aufsätze reich geleitet (ebd., 9 f.; vgl. erscheinen, die möglichst jenen Untersuchungen den Schmitt 2012). Mit der Über- Weg weisen. (…) Statt der zerstreuten Literaturangaben nahme erhielt der Deutsche und Besprechungen sollen kleine Beiträge über wichtige Verein also nicht nur eine eige- Arbeiten von wissenschaftlicher und praktischer Be- ne Zeitschrift, sondern erst- deutung berichten. Ein vierteljährliches Erscheinen, wie mals eine Geschäftsstelle und es die Zeitverhältnisse erfordern, zwingt zur Begrenzung eine Geschäftsführerin – der Dorothea Hirschfeld (1877–1966) des Stoffes“ (ebd., 3). Anfang jener Professionalisie- (©LABO Abt I – Entschädigungsbehörde) rung, die dann ab 1919 in Frankfurt a. M. forciert werden sollte. Klumker hatte keinen Erfolg mit seinem Konzept. Der ganze Jahrgang umfasste nur 166 Seiten und Ende 1921 wurde die Seit dem 20. Jahrgang 1919 enthielt die Zeitschrift eine eigen- Zeitschrift für das Armenwesen eingestellt. ständige Rubrik „Nachrichten des Deutschen Vereins für öf- fentliche und private Fürsorge“, im 21. Jahrgang 1920 war diese auf dem Titel jedes Heftes ausgewiesen. Allerdings hatte 3.2 Die „Soziale Praxis“ der Erste Weltkrieg die „Zeitschrift für das Armenwesen“ in eine Krise gestürzt. Statt monatlich erschien sie 1918 und 1919 Der neue agile Geschäftsführer und bald auch Vorstand des nur noch alle drei, 1920 zunächst alle zwei Monate, dann wie- Deutschen Vereins, Wilhelm Polligkeit, scheint sich nicht der monatlich. Dennoch mussten in diesem Zeitraum dreimal sonderlich für den Fortbestand der Zeitschrift für das Armen- die Bezugspreise erhöht werden. wesen engagiert zu haben. Seine Vorstellung einer Vereinszeit- schrift wich vermutlich erheblich von Klumkers gediegener Dorothea Hirschfeld hatte 1919 die Zentralstelle und den Vierteljahresschrift ab. Parallel zum Niedergang der „Zeitschrift Deutschen Verein verlassen, um eine beeindruckende Karriere für das Armenwesen“ nahm er allerdings zunächst das An- in der Ministerialverwaltung der Weimarer Republik zu begin- gebot der Zeitschrift „Soziale Praxis“ an, Nachrichten des nen (vgl. Schmitt 2012). Ab 1919 nannte das Impressum neben Deutschen Vereins dort zu publizieren. Christian Jasper Klumker (für die Redaktion verantwortlich) Hermann Hog (1881–1937), den neuen Geschäftsführer des Die 1895 gegründete Wochenzeitschrift „Soziale Praxis“ galt Deutschen Vereins, als für die Nachrichten verantwortlich. als zentrales Organ der bürgerlichen Sozialreform im deut- 1920 erschien an dieser Stelle Wilhelm Polligkeit, der Hog als schen Kaiserreich (Sachße/Tennstedt 2005, 58). Sie wurde seit Geschäftsführer abgelöst hatte. 1897 von Ernst Francke (1852–1921), dem Mitbegründer der „Gesellschaft für Soziale Reform“ herausgegeben. Er hatte Pol- Der 22. Jahrgang 1921 bedeutete das Ende der „Zeitschrift für ligkeit das Angebot gemacht, Berichte aus dem Deutschen das Armenwesen“. In der ersten Ausgabe, die wieder drei Mo- Verein aufzunehmen. Im Doppeljahrgang 1919/1920 finden nate umfasste, fragte Herausgeber Klumker: „Was ist unsere sich noch keinerlei Hinweise auf den Deutschen Verein. Ab nächste Aufgabe?“ Unter Bezug auf Münsterberg beklagte er, dem Jahrgang 1921 veröffentlichten Polligkeit und die DV- „daß wir für theoretische Fragen des Armenwesens keinen Referentin und 1922 stellvertretende Geschäftsführerin Hilde rechten Sinn mehr haben; unsere Erörterungen gehen auf Eiserhardt (1888–1955; siehe dazu Willing 2003) hingegen Arbeitsformen und -einrichtungen“ (Klumker 1921, 1). Ange- Fachartikel in der „Sozialen Praxis“, etwa zur „Zur gesetzlichen sichts der Aufbruchstimmung zur Reorganisation des Für- Reform der öffentlichen Armenpflege“ (Polligkeit 1921) oder sorgewesens in den Anfangsjahren der Weimarer Republik „Unterstützungswohnsitz oder Aufenthaltsprinzip?“ (Eiser- mahnte Klumker die fachliche Gründlichkeit an, mit der der hardt 1921). Interessanterweise finden sich dort auch Beiträge Deutsche Verein 40 Jahre zuvor angetreten war: von Dorothea Hirschfeld und Henni Lehmann, die Tochter des ersten DV-Vorsitzenden Wolfgang Straßmann – allerdings „Es fehlt an wissenschaftlicher Arbeit, die die tieferen Zu- ohne inhaltlich Bezug auf den Deutschen Verein zu nehmen. sammenhänge aufgedeckt hätte, es fehlt eine gründliche Ab 1921 enthielt die „Soziale Praxis“ in unregelmäßigen Ab- Erforschung der Armutszustände, es fehlt eine eingehende ständen die Rubrik „Deutscher Verein für öffentliche und priva- Schilderung der Fürsorgearbeit selbst und ihrer Wirkun te Fürsorge“ neben Rubriken zu verschiedenen Arbeitsfeldern gen“ (ebd., 2). und der Rubrik „Gesellschaft für Soziale Reform“ in jeder Aus- gabe. In der Rubrik wurde zunehmend ausführlich über die 517
140 JAHRE DEUTSCHER VEREIN – 100 JAHRE NDV NDV 11/2020 Tagungen des Deutschen Vereins und seine Konzepte etwa zur Nachrichtendienst zur Kenntnis zu bringen. Die heutige Reform des Reichsjugendwohlfahrtgesetzes berichtet. Nummer ist die erste dieser Art. Nach dem Tod Ernst Franckes am 23. Dezember 1921 wurde Es ist uns sehr damit gedient, wenn wir dauernd über Wilhelm Polligkeit in ein Herausgeberteam aufgenommen. ähnliche Fragen unterrichtet werden, auch für Anre Der Titel der „Sozialen Praxis“ weist ab Heft 2.1922 Ludwig gungen zu Ergänzungen und Aenderungen sind wir sehr Heyde (1881–1961) als Schriftleitung und Herausgeber aus: „In zu Dank verpflichtet“ (Nachrichtendienst Nr. 1, 1). Verbindung mit Dr. Käthe Gaebel – Dr. Heinz Marx – Dr. Wil- helm Polligkeit – Dr. Hans Heinrich Zissler“. Dies schien aber Polligkeits Aktivismus, mit dem er den Deutschen Verein nach seinen Vorstellungen entscheidend umgestaltete, nicht zu ge- nügen. Auch konzeptionell entsprach die „Soziale Praxis“ nicht seinen Ideen einer Vereinszeitschrift. Daher arbeitete er paral- lel am Aufbau eines eigenen Organs. Dass die Zusammen- arbeit mit der „Sozialen Praxis“ eine Übergangslösung war und nicht Polligkeits eigentlichen Ambitionen entsprach, geht aus seiner Erläuterung hervor, mit der er zwei Jahre später die erste gedruckte Nummer des „Nachrichtendienstes des Deut- schen Vereins“ einleitete: „Gegenüber der ‚Soz. Praxis‘, die in enger Arbeitsgemein- schaft mit unserem Verein neben Aufsätzen sozialpoli Die erste Ausgabe des Nachrichtendienstes (1920) tischen Inhalts seit längerer Zeit auch solche aus dem Ge- biete der Wohlfahrtspflege bringt und als das führende wissenschaftliche Organ für das Gesamtgebiet der Wohl- Die Ausgaben Nr. 1 vom Februar 1920 bis Nr. 12 vom März 1921 fahrtspflege betrachtet werden kann, grenzt sich der N. D. waren auf dünnem Durchschlagpapier eng mit der Schreib- so ab, daß er die wissenschaftliche Erörterung der Proble- maschine beschrieben und hatten einen Umfang zwischen me der ‚Soz. Praxis‘ überläßt und selbst Tatsachen- sechs und sechzehn Seiten. Die Ausgabe Nr. 13 vom April 1921 material, das für die Praxis von Wichtigkeit ist, veröffent- erschien hektografiert auf dickerem, doppelseitig eng be- licht“ („Zur Einleitung“ 1922, 206 f.) schriebenen Papier. Diese Ausgabe enthielt bereits ein Inhalts- verzeichnis des ersten Jahrgangs. Nr. 14 war hektografiert, aber wiederum nur einseitig. Nr. 15 und 16 hingegen liegen nur 4. Die Gründung des auf Durchschlagpapier vor, erstmals mit durchlaufender Seitenzählung. Ab der Nr. 18 vom September 1921 wurde der „Nachrichtendienstes“ Nachrichtendienst wieder einseitig, ab der Nr. 22 doppelseitig hektografiert. Dies stieß aber auf Protest der Leser/innen, die 4.1 Der „Nachrichtendienst“ des Fachausschusses aufgrund des doppelseitigen Drucks nicht mehr einzelne Arti- für städtisches Fürsorgewesen (1920–1922) kel ausschneiden und archivieren konnten. Ihnen wurde an- geboten, zum „Selbstkostenpreis von M. 5. – zuzügl. Porto“ ein Parallel zur Nutzung der „Zeitschrift für das Armenwesen“ und zweites Exemplar zu beziehen (Nachrichtendienst Nr. 25, 165). der „Sozialen Praxis“ für die Veröffentlichung von Vereins Der Ausgabe Nr. 24 war ein Inhaltsverzeichnis des „Jahrgangs nachrichten gab der Fachausschuss für städtisches Fürsorge- 1921/22“ beigegeben, also der ersten 24 Ausgaben, die seit wesen – unter Wilhelm Polligkeits Vorsitz – ab Februar 1920 dem ersten Erscheinen fortlaufend gezählt wurden – ungeach einen eigenen monatlichen Nachrichtendienst heraus. In der tet der Kalenderjahre. ersten Ausgabe wurden dessen Aufgaben umrissen: Die Ausgabe Nr. 21 vom Januar 1922 war eine gedruckte klein- „Um den dem Fachausschuss für städtisches Fürsorge- formatige Sonderausgabe zum Thema „Notstandsmaßnah wesen angeschlossenen Stadtverwaltungen Mitteilungen men für Sozialrentner und Kleinrentner“. Sie wurde zum Preis über wichtige Nachrichten auf dem Gebiete des städt. von 4,50 Mark vertrieben. Fürsorgewesens machen zu können, um zwischen ihnen einen anregenden Erfahrungsaustausch zu ermöglichen, Im Nachrichtendienst Nr. 25 vom Mai 1922 erschien schließlich beabsichtigen wir, das uns durch Umfragen zugehende die entscheidende Ankündigung: Material zu einem, in zwangloser Folge erscheinenden 518
NDV 11/2020 140 JAHRE DEUTSCHER VEREIN – 100 JAHRE NDV Der erste gedruckte Nachrichtendienst (1922) „An unsere Bezieher! Den Kopf der Zeitschrift zierte nun ein Logo. Es bestand aus den Buchstaben N – D – V, allerdings blieb das Kürzel „N. D.“ Mit der nächsten Nummer wird der N. D. des Fachaus- noch lange gebräuchlich. Erst infolge der Verwechslungs- schusses für städtisches Fürsorgewesen zu erscheinen gefahr mit dem 1946 gegründeten „Neuen Deutschland“ setz- aufhören und mit der dann folgenden Nummer der be- te sich das Kürzel „NDV“ durch. Die Zählung der Ausgaben des reits angekündigte Ausbau beginnen. Als ‚Nachrichten- „Nachrichtendienstes“ des Fachausschusses für städtisches dienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorgewesen wurde bis auf Weiteres fortgesetzt. Auch die Fürsorge‘ werden diese Mitteilungen künftig aktuelle Fra- Seitenzahlen wurden zunächst durchgezählt, über den Jahres- gen und Aufgaben aus allen Arbeitsgebieten des Ver- wechsel 1922/23 hinweg. Erst die Nr. 45 vom Januar 1924 be- eins behandeln und damit, wie wir hoffen, eine wesentli gann wieder mit einer Seite 1. che Bereicherung erfahren.“ (Nachrichtendienst Nr. 25, 165). Der Nachrichtendienst wurde den Mitgliedern des Deutschen Die letzte Ausgabe dieser Folge vom Juni 1922 enthielt schließ- Vereins unentgeltlich geliefert, allerdings mit Ausnahme der lich noch eine Mahnung an die Bezieher, einer beschlossenen Einzelmitglieder, die einen Vorzugspreis von 25 Mark viertel- Beitragserhöhung zuzustimmen: „Wir erinnern daher noch jährlich zahlen mussten. Für Nichtmitglieder betrug der Preis einmal daran, dass die weitere Zustellung des N. D. von der 30 Mark vierteljährlich – immerhin 10 Mark pro Ausgabe! Beitragsbewilligung abhängig gemacht werden muss.“ Eine gestalterische Besonderheit wurde den Beziehern gleich auf der ersten Seite präsentiert: Der Nutzung des Nachrichten- 4.2 Der „Nachrichtendienst des Deutschen Vereins dienstes als „Archivzeitschrift“ sollte Rechnung getragen, zu- für öffentliche und private Fürsorge“ (ab 1922) gleich aber die Seiten zweiseitig bedruckt werden. Die techni- sche Lösung wurde wie folgt erläutert: Die Nr. 27 vom Juli 1922 war die erste gedruckte und unter dem Namen „Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öf- „Jede Seite wird durch Abschlußstriche in genau gleiche fentliche und private Fürsorge“ firmierende Ausgabe der Zeit- Drittel geteilt. Ein Artikel setzt sich immer in demselben schrift. Die professionell gestaltete und in Frakturschrift ge- Drittel fort, in dem er begonnen ist. Umfaßt er beispiels- setzte Titelseite wies Wilhelm Polligkeit als Herausgeber und weise den Raum von zweidrittel Seiten und beginnt er im Hermann Habicht als verantwortlichen Schriftleiter aus. Be- obersten Drittel der dritten Seite, so steht seine erste Hälf- reits ab der Nr. 32 vom Dezember 1922 wurde nur noch Pollig- te auf der dritten Seite, die zweite Hälfte auf der vierten keit als Herausgeber und als „Schriftleitung und Geschäfts- Seite und zwar gleichfalls im obersten Drittel. Beim Zer- stelle“ die Adresse des Deutschen Vereins in der Frankfurter schneiden der Hefte ist stets genau den Abtrennungslinien Stiftstraße 30 genannt. entlang zu schneiden“ (Nachrichtendienst Nr. 27, 205). 519
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