Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 2021 - SVLFG
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Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1 2021 In diesem Heft Selina Schönenborn Gesundheitliche Prävention in der Ausbildungspraxis der Grünen Berufe - Evaluation einer Qualifizierungsstrategie der SVLFG für Lehrkräfte an DEULA-Schulen Dr. Ludger Michels Dritte Europäische Unternehmensbefragung über neue und aufkommende Risiken (ESENER-3) Karl Friedrich Köhler Weg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII oder Betriebsweg? Ass. jur. Jan Steven Pabst, Ass. jur. Sabine Büntig Der europarechtliche Gleichstellungsgrundsatz und seine möglichen Auswirkungen bei der Versicherungsfreiheit nach § 2 Nr. 1 Buchst. c ALG Herausgeber Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau www.svlfg.de
Herausgeber Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau www.svlfg.de Weißensteinstraße 70-72 34131 Kassel Telefon: 0561 785-16014 E-Mail: kommunikation@svlfg.de Redaktion Martina Opfermann-Kersten, Kathrin Hußfeldt, Karin Colletto Die mit Namen gekennzeichneten Beiträge geben die Auffassung der Verfasser wieder. Der Nachdruck ist nur mit Einwilligung des Herausgebers gestattet. Für unverlangte Manuskripte und Besprechungsexemplare wird keine Gewähr übernommen.
Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1 2021 In diesem Heft Selina Schönenborn Gesundheitliche Prävention in der Ausbildungspraxis der Grünen Berufe - Evaluation einer Qualifizierungsstrategie der SVLFG für Lehrkräfte an DEULA-Schulen Seite 5 Dr. Ludger Michels Dritte Europäische Unternehmensbefragung über neue und aufkommende Risiken (ESENER-3) Seite 25 Karl Friedrich Köhler Weg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII oder Betriebsweg? Seite 39 Ass. jur. Jan Steven Pabst, Ass. jur. Sabine Büntig Der europarechtliche Gleichstellungsgrundsatz und seine möglichen Auswirkungen bei der Versicherungsfreiheit nach § 2 Nr. 1 Buchst. c ALG Seite 57
Prävention in der Ausbildungspraxis 1 I 2021 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 5 Gesundheitliche Prävention in der Ausbildungspraxis der Grünen Berufe - Evaluation einer Qualifizierungsstrategie der SVLFG für Lehrkräfte an DEULA-Schulen Selina Schönenborn Der Artikel greift die Ergebnisse einer Masterarbeit zum Thema Sensibilisierung von Auszubildenden der Grünen Berufe für Gesundheitsthemen auf. Die Strategie der SVLFG, Lehrkräfte an DEULA-Bildungszentren zu sogenann- ten Rückenbeauftragten zu qualifizieren, war dabei Evaluationsgegenstand. Es wurde untersucht, ob damit ein geeigneter Präventionsansatz gewählt wurde und der beabsichtigte Transfer über Lehrkräfte funktioniert. Um heraus- zufinden, wie gut sich die Inhalte in den Unterricht der überbetrieblichen Ausbildung (ÜBA) integrieren lassen, wie der Wirkungsgrad ist und ob sich die Strategie auch für andere Bildungs- und/oder Themenbereiche eignet, wurden mithilfe von qualitativen Leitfadeninterviews Lehrkräfte an DEULA-Schulen befragt. 1 Einleitung Aus Fehltagen resultieren hohe volkswirtschaftliche Kosten, des Weiteren leiden Betroffene teilweise lebens- Präventive Gesundheitsförderung spielt in der Arbeits- lang unter Beeinträchtigungen [4]. welt eine zunehmende Rolle. Dies gilt insbesondere für die Themen Rückengesundheit und psychische Belas- Für den Wirtschaftszweig Land-, Forstwirtschaft und tungen. Im Bereich der Arbeitsunfähigkeit (AU) handelt Fischerei gilt nichts anderes. Auch hier lässt sich mit den es sich bei den Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) um entsprechend volkswirtschaftlichen Folgen eine hohe die bedeutsamste Krankheitsgruppe mit fast 25 Prozent Zahl an AU-Tagen (25,7 Prozent) auf MSE zurückführen. aller AU-Tage [1]. Ebenso steigen die Fehlzeiten, die auf Tabelle 2 (siehe folgende Seite) zeigt zudem, dass mit psychische Belastungen zurückgeführt werden können Fehlzeiten aus diesem Bereich ein erheblicher Produk- [2]. Sie verursachen die höchste Anzahl an Fehltagen je tionsausfall verbunden ist. Vor allem Rückenschmerzen Fall (siehe Tabelle 1). zählen nicht nur zu den häufigsten Diagnosen inner- halb der MSE, sie führen seit langem auch die Liste der bedeutendsten Einzeldiagnosen im gesamten Arbeitsun- Tabelle 1: A rbeitsunfähigkeit – AU-Kennzahlen der fähigkeitsgeschehen an [5]. MSE-Erkrankungen gehören beschäftigten Mitglieder (BKK) für die drei ferner zu den Krankheitsgruppen, die mit zunehmendem wichtigsten Diagnosehauptgruppen im Jahr Alter nicht nur häufiger auftreten, sondern auch länger 2018, eigene Darstellung [3] andauern [6]. Gerade im Bereich Rückengesundheit gewinnen deshalb präventive Maßnahmen in der Arbeits- welt zunehmend an Bedeutung. AU-Fälle AU-Tage Tage Diagnose- Rang je 1.000 beschäftigte je Gleichzeitig ist ein starker Fehlzeitenanstieg zu verzeich- hauptgruppen Mitglieder Fall nen – bei Auszubildenden seit dem Jahr 2000 um 108 Prozent –, der auf Diagnosen im Bereich der psychi- Muskel-Skelett- schen Störungen zurückzuführen ist [8]. Aufgrund des 1 224 4.414 19,7 System Anstiegs der Fehltage wird vermehrt gefordert, präven- tive Maßnahmen u. a. auf psychosoziale Faktoren, wie bspw. Zeitdruck, auszurichten [9]. 2 Atmungssystem 437 3.028 6,9 Im Zeitraum von 2013 bis 2018 arbeiteten die Träger Psychische der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie 3 79 2.914 37,0 (GDA) diesen Erkenntnissen folgend, an drei Arbeits- Störungen schutzzielen, darunter das Programm zur Verringerung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefährdungen und Erkrankungen im Muskel-Skelett-Bereich sowie das Pro- gramm zum Schutz und zur Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung [10].
6 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1 I 2021 Prävention in der Ausbildungspraxis Tabelle 2: Volkswirtschaftliche Ausfälle im Wirtschaftszweig Land-, Forstwirtschaft und Fischerei nach Diagnose- gruppen 2017 [7] Ausfall an Produktions- Bruttowert- ICD 10 Diagnosegruppe Arbeitsunfähigskeitstage ausfall schöpfung Mio. % Mrd. € Mrd. € F00-F99 Psychische und Verhaltensstörungen 0,4 7,6 0,03 0,05 I00-I99 Krankheiten des Kreislaufsystems 0,4 7,0 0,02 0,04 J00-J99 Krankheiten des Atmungssystems 0,6 10,3 0,04 0,07 K00-K93 Krankheiten des Verdauungssystems 0,3 5,2 0,02 0,03 Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems M00-M99 und des Bindegewebes 1,5 25,7 0,09 0,16 S00-T98, Verletzungen, Vergiftungen und Unfälle V01-X59 1,0 17,8 0,06 0,11 alle Übrige Krankheiten 1,5 26,5 0,09 0,17 anderen I-XXI Alle Diagnosegruppen 5,7 100,0 0,36 0,64 2 Arbeitsbedingte Gefahren für Muskel-Skelett-Erkrankungen in den Grünen Berufen Der Begriff „arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren“ meint Tabelle 3: A rbeitsbezogene Risikofaktoren, eigene Dar- alle Gefahren, die sich bei Beschäftigten im Zusammen- stellung, nach [11] hang mit der Arbeit negativ auf die Gesundheit auswirken können. Dabei wird der Gesundheitsbegriff ganzheitlich Physische Psychische Risikofaktoren betrachtet. Er berücksichtigt sowohl physische, psychi- Risikofaktoren Risikofaktoren aus der Umwelt sche als auch soziale Aspekte [11]. Daraus sind die in Tabelle 3 zusammengestellten Hauptrisikofaktoren in ■K nieende, ■H ohes ■ Gefahrstoffe den Grünen Berufen abzuleiten. hockende Arbeitsauf- (Chemika- Tätigkeiten kommen lien, Staub) Die Tabelle zeigt das große Spektrum der Risikofakto- ren, die für Beschäftigte in Grünen Berufen bestehen, ■S chwere ■ Zeitdruck ■ Lärm wobei MSE häufig durch ein Zusammenwirken unter- körperliche ■ Multitasking ■ Witterungs- schiedlicher Faktoren (z. B. nicht ergonomische Bewe- Arbeit/ einflüsse gungen unter Zeitdruck und bei Kälte) hervorgerufen schweres ■G eringer (Luftfeuchte, werden [12]. In Berufen der Grünen Branche gehören Heben Handlungs- Temperatur) körperlich belastende Arbeiten (schweres Heben, repe- spielraum ■S tatische titive Bewegungen, Zwangshaltungen, Nutzung von ■ UV-Strah- Belastungen ■A rbeits- Vibrationswerkzeugen) unter wechselnden Tempera- lung der Nacken/ unterbre- tur- und Witterungseinflüssen zum Arbeitsalltag. Das Schulter- chungen Zusammenwirken von Kraft und Wiederholungen wird Muskulatur als stärkster Faktor bei der Entstehung von MSE genannt ■F ehlende [13]. Auch Liebers et al. verdeutlichen das Arbeitsunfä- ■A rbeiten Unterstüt- higkeitsrisiko für Beschäftigte in Agrar- sowie manuellen in Zwangs- zung Berufen [14]. Gefordert werden wirkungsvolle Maßnah- haltungen men zur Gesundheitsförderung und zur Reduktion der
Prävention in der Ausbildungspraxis 1 I 2021 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 7 Exposition [15], zumal durch die Konkurrenz mit weniger 3 Interventionsstrategien und körperlich belastenden Branchen ein Nachwuchspro- Zuordnung der SVLFG-Maßnahme blem oder Arbeitskräftemangel entstehen könnte [16]. Bei der Prävention wird zu einem Zeitpunkt (primär) ein- Wissenschaftliche Erkenntnisse verdeutlichen, dass gegriffen, zu dem Risikofaktoren oder erste Krankheits- arbeitsbezogene Risikofaktoren für Rückenschmerzen zeichen bereits klar festgestellt werden können. Ziel ist nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische die Verhinderung eines (erwartbaren) Krankheitsgesche- Komponente haben, der Bewegungsapparat also auch hens. Bei der Gesundheitsförderung geht es hingegen durch stressbedingte Belastungen beeinflusst werden darum, so früh wie möglich den Verlauf eines gesunden kann [17], wie z. B. durch Zeitdruck oder ein hohes Zustandes so zu beeinflussen, dass das Gesundheitspo- Arbeitsaufkommen (siehe Tabelle 3). Umgekehrt können tenzial erhalten bleibt oder ein noch höheres Niveau chronische Schmerzen selbst zu psychischen Erkran- erreicht [20]. kungen führen oder mit diesen in Wechselwirkung treten (siehe Abbildung 1). Das in der Abbildung 2 (siehe nachfolgende Seite) gesetzte Kreuz zeigt die von der Verfasserin angenom- Die Abbildung zeigt, dass die alleinige Betrachtung der mene Verortung der Maßnahme der SVLFG hinsichtlich somatischen Ursache unzureichend ist. Die Einbezie- Zielgruppe und Interventionszeitpunkt. Die Maßnahme hung weiterer Faktoren in die Präventionsarbeit sollte ist schwerpunktmäßig im Bereich der Prävention anzu- das Ziel sein, damit das Stadium der Chronifizierung siedeln. Beschäftigte der Grünen Branche unterliegen nicht erreicht wird [18]. In der GDA werden bereits ent- tätigkeitsbedingt vermehrt dem Risiko, akut behandlungs- sprechende Arbeitsschutzziele formuliert. Zwischen bedürftige oder chronifizierte Erkrankungen des Skeletts 2008 und 2012 ging es bspw. um die Reduktion von oder der Muskeln zu erleiden, also sekundäre oder gar Belastungen und Erkrankungen im Bereich des Muskel- tertiäre Interventionen zu benötigen. Da die Maßnahme Skelett-Systems unter Einbeziehung der Psyche [19]. der SVLFG bei den Auszubildenden, also einer zumeist Abbildung 1: D er Schmerzkreislauf bei chronischen Rückenschmerzen [18] Somatische Faktoren Soziale Faktoren (genetisch, traumatisch etc.) (Arbeitsplatz etc.) Schädigung des Band- scheiben- und Stützapparates Gestörte Krank- Rücken- Erhöhter Dauertonus heitsverarbeitung schmerzen der Rückenmuskulatur Depression, Angst Belastende Lebenssituationen, Psychische Traumen, aktuelle psychische Konflikte Persönlichkeitsfaktoren
8 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1 I 2021 Prävention in der Ausbildungspraxis Abbildung 2: Interventionsform im Gesundheits-Krankheits-Kontinuum (nach [20]) Primordiale Primäre Sekundäre Tertiäre Intervention Intervention Intervention Intervention Gesundheits- förderung x Prävention Kuration und Behandlung Rehabilitation und Pflege Gesunde Mit Risikofak- Erkrankte Mit Erkrankungs- Population toren belastete Population folgen belastete Population Population noch gesunden, aber (zukünftig vermehrt) mit Risikofak- Die Verhältnisprävention befasst sich mit den äußeren toren belasteten Gruppe ansetzt, handelt es sich um eine Belastungen im Bereich der Arbeitsbedingungen und primäre Intervention, die Präventionscharakter im Sinne -aufgaben, den zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln einer frühen Intervention erreicht. Gleichzeitig erschöpft usw. Diese Belastungen sollen durch Präventionsmaß- sich die Maßnahme nicht vollständig in der Prävention. nahmen möglichst gering gehalten werden [22]. Ein Bei- Denn sie verfolgt auch die allgemeine Sensibilisierung spiel für die Verhältnisprävention ist die ergonomische der Auszubildenden für Gesundheitsthemen, richtet sich Gestaltung des Arbeitsplatzes, um Rückenbeschwerden also ebenso auf salutogen basierte Wirkungen und die vorzubeugen [23]. Diese kann bspw. hinsichtlich der ver- Steigerung der allgemeinen Gesundheitskompetenz. schiedenen Arbeitsabläufe, Hilfsmittel und Maschinen Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Gesundheits- bei den Betriebszweigen differieren, bei der Frage rü- förderung und Prävention ist nicht möglich, da beide ckengerechter Sitzeinstellung oder Hebetechniken aber Prinzipien ineinandergreifen. Wegen des Schwerpunk- auch übereinstimmen. tes der Maßnahme im Bereich der Prävention wird hier überwiegend dieser Begriff verwendet. Bei der Verhaltensprävention geht es demgegenüber zunächst um die Verhaltensweisen und Konsummuster des Individuums [23], damit zusammenhängend dann 3.1 Verhaltens- und Verhältnisprävention auch um Bewältigungsstrategien des einzelnen Men- schen, der sogenannten Resilienz. Das eigene Verhal- Eine Herausforderung der Präventionsmaßnahme Rü- ten in Bezug auf Gesundheit soll so gestärkt werden, ckengesundheit ist, dass aus den einzelnen Betriebs- dass auch schwierige Situationen gemeistert werden zweigen bzw. Grünen Berufen unterschiedliche können. Die gesetzlichen Unfallversicherungen wollen Belastungen und Beanspruchungen resultieren [21], die dies u. a. umsetzen, indem sie die Aspekte Sicherheit Differenzierungen in der praktischen Präventionsarbeit und Gesundheit frühzeitig im Kontext der Bildungsein- erfordern. Andererseits gibt es bei Themen zum Bereich richtungen fördern, insbesondere auch in Berufsschulen Rückengesundheit auch eine Reihe fachbereichs- und beruflichen Weiterbildungsstätten [24]. Ein sichtba- übergreifender Ansätze. Dies gilt insbesondere für die rer Erfolg wird allerdings erst durch die Kombination von Verhaltensprävention, während im Rahmen der Verhält- verhaltens- und verhältnispräventiven Interventionen nisprävention eher Differenzierungen erforderlich wären. erreicht [25]. Gesundheitliche Prävention beinhaltet also Auf die Begriffe Verhältnis- und Verhaltensprävention beides. wird abgrenzend näher eingegangen.
Prävention in der Ausbildungspraxis 1 I 2021 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 9 3.2 Zugang zu Präventionsmaßnahmen über 4. Präventionsauftrag der SVLFG Lernorte Die SVLFG unterliegt dem Präventionsauftrag nach dem Die Grüne Branche ist durch Klein- und Kleinstbetriebe Sozialgesetzbuch (SGB) VII und damit der Forderung, mit zumeist wenigen Beschäftigten dezentral geprägt arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu reduzieren. [26]. Wie aber können Präventionsmaßnahmen und Der auf den §§ 1 Nr. 1 und 14 Absatz 1 Satz 1 SGB VII deren Bedeutung abseits großer Unternehmen vermittelt basierende Auftrag der Unfallversicherungsträger bein- werden? Und warum nutzen kleine und mittlere Unter- haltet die Aufgabe, die Betriebe zu unterstützen, die nehmen die Möglichkeiten einer betrieblichen Gesund- wechselnden Anforderungen der Arbeitswelt zu mei- heitsförderung bislang nur selten? Die größte Barriere stern und angemessene Arbeitsbedingungen zu schaf- scheinen Wissensdefizite zu sein. Viele Betriebe kennen fen [33]. Die SVLFG setzt sich zunehmend mit weiteren die Möglichkeiten nicht und sind mit der Umsetzung Themen der Prävention auseinander und kooperiert mit überfordert, da ihnen nur wenige Ressourcen zur Ver- unterschiedlichen anderen Institutionen, darunter auch fügung stehen oder mögliche Kooperationspartner nicht mit Bildungseinrichtungen der Grünen Berufe wie den bekannt sind [27]. Zudem ist der Erreichungsgrad von DEULA- oder Berufsschulen. Präventionsarbeit in kleinen Betrieben vor Ort wesentlich geringer als in großen Unternehmen, allein schon durch die Zahl der Beschäftigten. Denn viele Betriebe der 4.1 Umsetzung der Präventionsmaßnahme Grünen Branche sind trotz Strukturwandel immer noch „Rückengesundheit“ durch eine geringe Anzahl von Beschäftigten geprägt [28]. Eine Möglichkeit der Prävention über Bildungseinrichtun- gen ist das Programm der Rückenbeauftragten, das Teil Es ist also wichtig, diese Themen an anderen geeigneten des AzubiAktiv-Konzeptes der SVLFG ist. Lernorten – wie z. B. in Bildungseinrichtungen – inten- siver aufzugreifen, um Wissensdefizite zu überwinden Das Programm AzubiAktiv - fit for green wurde 2009 und den Erreichungsgrad zu erhöhen. Menschen der von der SVLFG ins Leben gerufen und steht unter der jungen Generation, die während ihrer Berufsausbildung Prämisse „Multichannel“. Ziel des Programms ist es, Wissen zu Gesundheitsthemen wie Rückengesundheit, das Thema Gesundheitsförderung in die Ausbildung Stress, Arbeitsbelastung etc. erwerben, können dies in der Grünen Berufe zu integrieren – und das möglichst den Betrieben und später selbst als Ausbildende oder an auf allen Ebenen: konkret in den Berufsschulen, in den Mitarbeitende weitergeben. überbetrieblichen Bildungsstätten (DEULA-Schulen, Lehr- und Versuchsanstalten) sowie in den Ausbildungs- In den Grünen Berufen standen im Jahr 2018 immerhin betrieben selbst. Der multifaktorielle Ansatz, der im 32.493 Auszubildende in einem Ausbildungsverhältnis Rahmen des AzubiAktiv-Programms angestrebt wird, [30]. Hinzu kommen Teilnehmende an Weiterbildungen. findet Rückhalt in wissenschaftlichen Arbeiten. So präfe- rieren Kirkhorn et al. die Einbeziehung unterschiedlicher Während der betrieblichen Ausbildung haben die Aus- Agierender in die Präventionsstrategie, um die ergono- zubildenden regelmäßigen Berufsschulunterricht sowie mischen Risiken der Beschäftigten der Grünen Branche blockweise Unterricht an den überbetrieblichen Ausbil- zu verringern [34]. dungsstätten, die die DEULA-Bildungszentren und die Lehr- und Versuchsanstalten umfassen. Die jeweilige Aufteilung ist abhängig vom Bundesland, vom Rah- 4.2 Auszubildende als Zielgruppe des menlehrplan sowie vom Ausbildungsberuf. Allen Ausbil- Programms dungsgängen ist gemeinsam, dass mit Ausnahme von Arbeitsschutzfragen das Thema Gesundheit in Lehr- Wissenschaftliche Untersuchungen über das Gesund- plänen wenig Beachtung findet. Gesundheitserziehung heitsverhalten von Auszubildenden liefern wichtige wird nur als Querschnittsaufgabe der Schulen gesehen, Erkenntnisse. Die starke Nutzung digitaler Medien und die sich auf verschiedene Fächer oder Aktivitäten ver- der Beginn eines neuen Lebensabschnitts mit unbe- teilt und dadurch oft in den Hintergrund gerät [31]. So kannten Aufgaben und Herausforderungen kann zu ließ sich auch bei der Sichtung von Lehrplänen für den Belastungen und einer Beeinträchtigung der Gesund- Ausbildungsberuf Landwirt nicht feststellen, ob und in heit führen [35]. Die Erhebung von Betz et al. kommt zu welchem Umfang Themen wie Stressprävention oder dem Ergebnis, dass das Verhalten in Gesundheitsfragen Gesundheitsförderung einen Stellenwert im schulischen wenig ausgeprägt ist. So leidet bspw. mehr als ein Fünf- Alltag einnehmen und platziert werden [32]. tel der Auszubildenden häufig an Rückenschmerzen, die von fast 57 Prozent der Betroffenen mit dem Arbeitsplatz in Verbindung gebracht werden [36]. Gesundheitliche Probleme von Auszubildenden werden u. a. auch mit
10 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1 I 2021 Prävention in der Ausbildungspraxis Defiziten in den Bereichen Ernährung, Schlaf und digita- 4.3 Ausbildung der Rückenbeauftragten len Medien in Verbindung gesetzt [36]. Teilweise lassen sich bei Jugendlichen bereits erhebliche körperliche und Die SVLFG hat vor etwa drei Jahren erneut damit begon- psychische Beschwerden feststellen [37]. In der Grünen nen, Lehrkräfte an DEULA-Schulen zu Rückenbeauf- Branche kommt hinzu, dass etwa 75 Prozent der Aus- tragten aus- und fortzubilden. Die Themen und Inhalte zubildenden männlich sind [38] und bei Männern nach der Ausbildung sind in Tabelle 4 zusammengefasst. Untersuchungen die häufig geringere Inanspruchnahme präventiver Gesundheitsangebote bekannt ist [39]. Die Bislang sind bundesweit nach dem neu aufgelegten Pro- SVLFG hat diesen Aspekt im AzubiAktiv-Konzept bereits gramm 42 DEULA-Lehrkräfte von der SVLFG zu Rü- berücksichtigt [40]. ckenbeauftragten ausgebildet worden. Das Konzept „Multichannel“ bildet das Grundgerüst des Für die zu Rückenbeauftragten ausgebildeten Lehrkräfte Programms AzubiAktiv - fit for green, das auf unter- soll alle zwei Jahre eine Fortbildung stattfinden, in der schiedlichen Ebenen ansetzt (DEULA, Berufsschule, zum einen die Ausbildungsinhalte aufgefrischt und zum Lehr- und Versuchsanstalten, Ausbildende, digitale anderen neue Aspekte wie bspw. Fuß- und Kniegesund- Medien). Die Auszubildenden sind über mehrere „Chan- heit oder das Erkennen von schädlichen Körperhaltun- nel“ und damit auch wiederholt erreichbar. gen thematisiert werden. Für das konkrete Programm (Rückengesundheit) wurde als Kanal der Lernort DEULA-Bildungszentren ausge- Tabelle 4: Ü bersicht zu Inhalten der Ausbildung zu wählt. Hier verbringen Auszubildende eine Woche im Rückenbeauftragten, eigene Darstellung, Block in der überbetrieblichen Ausbildungsstätte. Eine nach [43] Zielformulierung für dortige Lehrgänge ist: „den Transfer neuer Technologien in kleine und mittlere Unternehmen [zu] unterstützen“ [41]. Zumeist sind für die Rückenschu- Themen Inhalte lung im Lehrplan zwei Unterrichtsstunden vorgesehen. Die konkreten Lernziele, die aus dem Programm hervor- gehen, sind wie folgt definiert [42]: Grundlagenwissen Zahlen, Daten, Fakten; Aufbau & Funktion des Bewegungsapparates ■ D ie Auszubildenden sind über die an ihrem Arbeits- platz auftretenden Belastungen und die daraus resul- tierenden Beanspruchungen im Bereich Arbeitsplatzbezogene Arbeitsorganisation, Rückengesundheit informiert. Rückenschule Hilfsmittel ■ D ie Auszubildenden kennen Handlungsstrategien, Basiswissen Bücken, Heben, Belastungen und Beanspruchungen und lernen diese Tragen, Sitzen, Stehen positiv zu verändern. ■ D ie Auszubildenden lernen den Transfer der Praxistraining Arbeitstechnik und Seminarinhalte in den privaten und beruflichen Alltag. Ausgleichsbewegungen Transfer Übertragung der Inhalte auf ÜBA
Prävention in der Ausbildungspraxis 1 I 2021 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 11 5 Gegenstand und Methodik der 5.2 Expertensuche Untersuchung Der erste Kontakt zu den Interviewten wurde über die Die SVLFG verfolgt mit ihrem Programm zur Qualifizie- SVLFG hergestellt. Nach dem Aufbau des Gesprächs- rung der Lehrkräfte das Ziel, Auszubildende der Grünen leitfadens und der Erstellung eines kurzen Abstracts Branche für Gesundheitsthemen und den eigenen wurde das Vorhaben auf einer Veranstaltung mit den Körper zu sensibilisieren. Es gibt bisher keine Daten- Geschäftsführenden der DEULA-Schulen vorgestellt. sammlungen zur Wirksamkeit des Programms und der Als Zielgruppe passender Experten wurden Lehrkräfte damit verfolgten Transferstrategie. Für die Erforschung genannt, die zum einen sogenannte Rückenbeauftragte bot sich deshalb eine qualitativ orientierte Untersuchung sind und zum anderen die alltägliche Praxis in den auf der Basis leitfadengestützter Interviews an, da sich DEULA-Bildungszentren mitgestalten. Es wurde weder explorative Methodiken generell sehr gut zur Untersu- eine Vorauswahl getroffen noch darauf geachtet, eine chung in Bereichen eignen, für die bis dato noch wenig möglichst gleichmäßige regionale Verteilung abzubil- Forschungsergebnisse vorliegen [44]. Die Expertise der den. Es konnten letztlich neun Interviews durchgeführt Lehrkräfte und ihre Sichtweise auf das Programm stan- werden. den dabei im Fokus der Befragung. 5.3 Vorbereitung und Durchführung der 5.1 Der Gesprächsleitfaden Interviews Der Gesprächsleitfaden für die Befragung wurde nach Um die Qualität des Leitfragebogens zu überprüfen, dem sogenannten SPSS-Prinzip (Sammeln, Prüfen, wurde im Vorhinein ein Pretest durchgeführt. Vor den Sortieren, Subsumieren) entwickelt [45]. Die Frage- Interviews wurde allen Interviewten ein Aufklärungsbo- stellungen ergaben sich nach Auswertung der Litera- gen und eine Einwilligungserklärung vorgelegt, da ein turrecherchen zum theoretischen Hintergrund und den qualitatives Interview ohne Einwilligungserklärung keine Gesprächen mit der SVLFG zur bisherigen Praxis. Die Verwendung finden kann [46]. Fragetechnik orientierte sich daran, einen zwar struk- turierten, aber möglichst natürlichen Gesprächsverlauf Alle Interviews waren im Januar 2020 abgeschlos- herzustellen, mit dem über offene Fragen (Erzähl-)Mate- sen und wurden mittels Aufnahmegerät aufgezeichnet. rial gewonnen werden kann. Sechs wurden persönlich, drei telefonisch durchgeführt. Der Befragungsort war bei allen Interviews – auch den Strukturiert wurde der Leitfaden grob nach folgenden telefonischen – die jeweilige DEULA-Schule, da eine Themenbereichen (gekürzt): vertraute Umgebung aufgrund der bereits ungewohnten Interviewsituation empfohlen wird [47]. ■ Warum haben Sie sich dazu entschieden, an der Aus-/Fortbildung zur/zum Rückenbeauftragten teilzu- Die Interviews haben eine Gesamtlänge von knapp nehmen? (Motivation) sechs Stunden. Insgesamt konnte durch die Methode des qualitativen Experteninterviews eine Fülle themen- ■ Inwieweit fühlen Sie sich inhaltlich/methodisch gut bezogenen Materials generiert werden. ausgebildet? (Kompetenz) ■ Wie funktioniert der Transfer der Inhalte in den Unter- 5.4 Auswertung der Interviews richt? (Umsetzung) Die aufgezeichneten Interviews wurden mit Hilfe von ■ Inwieweit nehmen Sie wahr, ob die Inhalte von den easytranscript wörtlich transkribiert, währenddessen Auszubildenden angenommen werden? (Sensibilisie- wurde bereits eine Anonymisierung vorgenommen. rung) Die Auswertung fand mithilfe der Software MAXQDA statt. Dort wurden die Transkripte eingelesen und im ■ Allgemein (Relevanz)/(Verantwortung) Anschluss eine inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse nach Kuckartz [48] durchgeführt. Diese Form der qua- ■ Visionen litativen Inhaltsanalyse unterteilt sich - ausgehend von der Forschungsfrage - in mehrere Phasen entsprechend dem nachfolgenden Ablaufschema in Abbildung 3.
12 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1 I 2021 Prävention in der Ausbildungspraxis Abbildung 3: Ablaufschema einer inhaltlich strukturierenden 7. Einfache und Inhaltsanalyse [48]. komplexe Analysen, Visualisierungen 1. Initiierende Text- arbeit: Markieren wichtiger Textstellen, Schreiben von Memos 6. Codieren des kom- pletten Materials mit dem ausdifferenzierten Kategoriensystem 2. Entwickeln von Forschungs- thematischen Haupt- frage kategorien 5. Induktives Bestim- men von Subkatego- rien am Material 3. Codieren des gesamten Materials mit den Hauptkategorien 4. Zusammenstellen aller mit der gleichen Hauptkategorie codier- ten Textstellen Tabelle 5: H aupt- und Subkategorien, eigene Darstellung Hauptkategorie Subkategorie Beschreibung Motivation Rücken- Befragte haben bereits selbst negative Erfahrungen mit Rückenproble- probleme men gemacht. „Weil wir kommen alle aus Berufen, also ich habe GaLa-Bau auch gelernt, ich weiß auch, was es heißt, wenn man sich den Rücken ver- renkt.“ (#5:6) Interesse Die Motivation liegt im generellen Interesse an dem Thema. „Ja allein für mich persönlich, man kommt mit sehr vielen Impulsen wieder und ist ja auch Vorbild.“ (#6:33) Relevanz des Aussagen dazu, dass es generell ein wichtiges Thema ist. Themas „Kommt leider – glaube ich – erst im reiferen Alter. Leider, dabei bei Gesundheit müsste man viel früher ansetzen.“ (#6:49) Auszubildende Die Gesundheit und Sensibilisierung der Auszubildenden werden in den Fokus der Motivation gestellt. „(…) die Ausbildung wichtig, dass sie das mitnehmen (…), dass sie es später mal besser machen sollen.“ (#3:46) DEULA Es gab die Vorgabe oder Anfrage seitens der DEULA-Schule. "Und dann musste auch jemand sich bereit erklären, sich da ein biss- chen weiterzubilden und das dann hinterher auch unterrichtsmäßig umzusetzen.“ (#7:2)
Prävention in der Ausbildungspraxis 1 I 2021 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 13 Hauptkategorie Subkategorie Beschreibung Kompetenz Authentizität Einstellung, dass entscheidend ist, wie und von wem es vermittelt wird. „Naja ganz allgemein, dass wir das eben als Vorbilder eben auch vor- leben müssen und es darf nicht aufgesetzt sein, es muss authentisch sein.“ (#4:54) (Themen-) Inhalte/Methoden, die sich positiv auf die Kompetenz auswirken würden Wünsche bzw. bislang noch fehlen. „Cool wären natürlich immer so aktuelle Filme.“ (#5:40) Fortbildungen Beschreibungen zum Stattfinden [und zur Sinnhaftigkeit] der Fortbildungen. „Diese Geschichte mit den Weiterbildungen finde ich schon mal sehr gut.“ (#9:42). Eigene Inwieweit werden die Kompetenzen auf die eigenen Erfahrungen zurück- Erfahrungen geführt? "Ich meine, jeder, der hier arbeitet, hat irgendwo schon mal eine Erfah- rung selbst gemacht im Krankheitsbild mit Rücken. Das glaube ich, dass das ganz gut funktioniert.“ (#5:18) Ausbildungs- Meinungen über die Ausbildungsinhalte und -methoden. rahmen „Und was mir gut gefallen hat, waren diese einzelnen Stationen.“ (#3:14) „Das war schon klasse gemacht.“ (#1:43) Umsetzung Eigene Alles, was in den Präventionsunterricht einfließt und auf eigenen Erfah- Erfahrungen rungen, d. h. nicht auf den Ausbildungsinhalten, beruht. "... was man so im Laufe des eigenen Arbeitslebens so als Handwer- ker sich irgendwie mal angeeignet hat oder gehört oder gesehen hat.“ (#7:36) Umfang/Lehr- Aussagen dazu, inwieweit das Thema bereits Teil des Lehrplans ist oder pläne/Zeit sein sollte. „Es besteht da durchaus ein Zeitplan, wie diese Woche eben stattzu- finden hat“ (#9:32) und ob genügend Zeit zur Verfügung steht, um die Inhalte zu vermitteln. „Wäre schön, wir hätten mehr Zeit dafür. Das stimmt, aber wir haben jetzt eine Woche, dann müsste man das wirklich ausweiten.“ (#6:63) Handlungs- Unterricht nach Vorgaben oder flexibel und individuell gestalten können. spielraum „Ich muss ja von dem System abweichen können, damit ich die holen kann.“ (#2:50) Weitere Alle Aussagen darüber, inwieweit noch andere Gesundheitsthemen von Gesundheits- Bedeutung sind und/oder umgesetzt werden. themen "Hautkrebs ist ja auch jetzt großes Thema, Sonnenschutz, wo kann man darauf achten“ (#5:8), „Also Sucht ist ab und zu ein Problem.“ (#1:18)
14 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1 I 2021 Prävention in der Ausbildungspraxis Hauptkategorie Subkategorie Beschreibung Sensibilisierung Fehlende Aussagen dazu, in welchem Maß sich Auszubildende bereits mit der der Auszu- Auseinander- Thematik auseinandergesetzt haben bzw. offen für eine solche sind. bildenden setzung „Die sind nicht alle gleich, da gibt es deutliche Unterschiede, einige wissen wirklich gar nichts.“ (#7:44) Effektive Einschätzungen dazu, was zu einer effektiven Wissensvermittlung Wissensver- gehört (Wiederholungen, Praxisbezug, praktische Übungen) und wie sie mittlung sich auf die Sensibilisierung auswirkt. „Ich muss denen das visualisieren, ich muss denen das zeigen, die nehmen das mit, wenn die selbst ausprobiert haben.“ (#5:36) Rücken- Aussagen dazu, inwieweit die SuS (Schüler und Schülerinnen) bereits probleme der selbst Erfahrungen mit Rückenproblemen gemacht haben und wie sich Auszubildenden das auf die Sensibilisierung auswirkt. „Also ich denke schon, wenn jemand mal Rückenprobleme schon hatte, ist eine Sensibilisierung durchaus überhaupt kein Problem.“ (#4:18) Interesse der Alles dazu, inwieweit die SuS am Thema interessiert sind. Auszubildenden „Aber die Masse ist doch interessiert“ (#9:24), „Weiß nicht, ob das jetzt einen Jugendlichen direkt so interessiert.“ (#3:14) „Power- Problematik, dass sich die SuS stark und fit fühlen und die „Gefahr“ Problem“ und noch nicht erkennen. Geschlechter- „Das heißt derjenige muss schon erst unten sein, um dann wirklich von differenz sich aus zu sagen, ne ich ändere das jetzt. Und ein 17-jähriger (…), da ist der Druck noch nicht groß genug.“ (#1:18) Sowie geschlechtsdifferente Äußerungen. Umsetzung in Inwieweit können die Auszubildenden, nach Einschätzung der Lehr- die Praxis der kräfte, das Gelernte tatsächlich in die Praxis umsetzen? Betriebe „Ganz viele sagen, das kann ich im Betrieb nicht.“ (#6:35) Verantwortung Verantwortung Meinungen dazu, inwieweit die oben genannten Agierenden [mit-]verant- für eine anderer wortlich für die Umsetzung der Themen sind. bessere Agierender „Ich weiß nicht, ob das jetzt Aufgabe von so einer Berufsschule ist, kann Sensibilisierung ich nicht sagen“ (#7:44), „Das denen mit auf den Weg geben und dann wünschen, dass das auch in den Betrieben umgesetzt wird.“ (#3:44) Verantwortung Wer hätte die Verantwortung, diese Themen in die Lehrpläne zu integrieren? für Lehrpläne „Letztendlich bei den Berufsschulen wäre es ja die Politik.“ (#8:17) Vorgabe oder Inwieweit funktioniert ein solches Vorhaben auf freiwilliger Basis? Freiwilligkeit „Man muss sie darauf stoßen, dass Themen interessant sind.“ (#5:40)
Prävention in der Ausbildungspraxis 1 I 2021 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 15 Hauptkategorie Subkategorie Beschreibung Forderungen/ Gruppengröße Alles, was zur Relevanz der Gruppengröße geäußert wurde. Visionen „Die Gruppengröße sollte nicht allzu groß sein.“ (#4:56) Umfang/Lehr- Forderungen und Visionen, die mit dem bisherigen Umfang der Aus- pläne/Zeit bildung, dem Lehrplan und der verfügbaren Zeit genannt wurden. „Das wäre so die Vision, dass man doch mehr Zeit hätte dafür.“ (#6:71) Zusammen- Was gibt es für Forderungen an die Berufsschulen, Betriebe und Berufs- wirken aller genossenschaften und welche Visionen werden diesbezüglich genannt. Agierenden und "Also es muss wirklich auch in den Betrieben da was besser gemacht Institutionen werden.“ (#3:44) Stress/Psyche Umsetzung Aussagen darüber, inwieweit dieses Thema im Unterricht bereits angesprochen wird. Tabuthema Einschätzungen zur Tabuisierung des Themas. „Das sind natürlich so Themen, wo die meisten nicht gerne drüber reden.“ (#5:22) Mögliche Aussagen zu möglichen [Stress-] Auslösern. Auslöser „Zeitdruck ist ja häufig ein Stressfaktor.“ (#9:28) Kombination Einschätzungen dazu, inwieweit die Rückenprävention mit dem Thema mit dem Stress zusammenhängt bzw. zukünftig kombiniert werden könnte. Rückenthema „Als nächstes hätte ich jetzt zum Beispiel gedacht, dass die (…) Psyche, die ja durchaus auch eine wichtige Rolle bei der Prävention von Rückenschmerzen spielt, dass dann als nächstes vielleicht solch ein Thema aufkommen könnte.“ (#8:9) Ideen Alle Ideen, die genannt wurden, wie das Thema angegangen werden könnte. „Es müsste zugänglich sein (…) spontan würden mir hier irgendwelche Tests oder Spielchen einfallen, wo sich die Leute selbst ertappen.“ (#2:32) Restekategorie Rückentrolley Alles, was gesagt wurde und sich nicht in das aufgestellte Codiersystem einfügen ließ. Erzählungen zu anderen Themen Statistik Alter Beruflicher Werdegang „Fächer- kombination“
16 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1 I 2021 Prävention in der Ausbildungspraxis 6 Ergebnisse Für eine Mehrheit der Befragten steht bei der Frage ihrer Motivation ebenfalls die Sensibilisierung der Auszubil- Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Gesprä- denden im Fokus, vor allem der Wunsch, dass sie frühzei- che im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Kate- tig auf Gefahren aufmerksam gemacht werden sollen. Es gorien beleuchtet. Die Darstellung orientiert sich an den wird deutlich, dass die meisten ihre Berufs- und Lebens- in Tabelle 5 aufgeführten Kategorienkomplexen. Insge- erfahrung in Kombination mit den Ausbildungsinhalten samt wurden in den neun Interviews 566 Codings vor- an die Schüler und Schülerinnen weitergeben wollen, genommen. damit sie es (später als zukünftige Ausbildende) besser machen können. Die Lehrkräfte sehen den Mehrwert, Dabei wird auch darauf eingegangen, ob eine Auswei- dass sich ein Schulungsprogramm bei den Teilnehmen- tung des Programms aus Sicht der Befragten sinnvoll den bspw. positiv auf das Bewusstsein für Risikofaktoren wäre (siehe Abbildung 4). für Rückenverletzungen auswirkt [49] oder eine ergo- nomische Arbeitsgestaltung sinnvoll bei der Prävention von MSE sein kann [50]. Diese Motivationslage ist sehr 6.1 Motivation der Lehrkräfte nachhaltig, da die Lehrkräfte die langfristigen Vorteile der Maßnahme sehen und auch die spätere Funktion der Im Rahmen des Interviews wurde erfragt, aus welcher Auszubildenden als Multiplikatoren im Blick haben. Motivation heraus die Lehrkräfte an der Ausbildung zu Rückenbeauftragten teilgenommen haben. Diese Haupt- kategorie wurde 55-mal codiert. 6.2 Kompetenz der Lehrkräfte Es wurden unterschiedliche Gründe genannt, von denen Alle Befragten äußern sich zu den Inhalten und Metho- im Folgenden die wichtigsten aufgeführt werden. Die den der Ausbildung der Rückenbeauftragten positiv. Sie Mehrheit der Befragten klagt selbst über Erfahrungen mit fühlen sich in den meisten Bereichen, in denen sie als Rückenproblemen, zwei mussten deshalb den erlernten Rückenbeauftragte gefordert sind, gut aufgestellt. Der Beruf in der Grünen Branche aufgeben. Es werden inso- Inhalt, Umfang und das Konzept der Ausbildung zu Rü- weit auch private Gründe für die Teilnahme genannt, um ckenbeauftragten lassen sich danach als ausreichend z. B. Tipps zur Rückengesundheit zu bekommen. Das und angemessen einstufen. generelle Interesse sowie die Relevanz des Themas sind zusätzliche Gründe, an der Ausbildung teilzuneh- Hinsichtlich der eigenen Vermittlungskompetenz wird als men. Das zeigen Aussagen wie „Ich bin für Personal wesentlich für den Erfolg angesehen, dass die jeweilige hier zuständig in der DEULA, … und sehe ja wie die Lehrkraft selbst von dem Thema und den Inhalten über- Krankmeldungen eingehen zu diesem Thema“. Die „Ver- zeugt ist und diese authentisch vermitteln kann. Dabei pflichtung“ der DEULA oder die eigene gegenüber der spielt auch die bereits bei der Frage nach der Motivation jeweiligen DEULA wird in fast allen Interviews genannt. genannte Berufs- und Lebenserfahrung nach Ansicht fast „(…) das gehört mit zu unserem Aufgabenbereich“. Auch der Hälfte der Interviewten eine entscheidende Rolle, sie der finanzielle Anreiz wird von einigen geäußert, da die wird als erfolgreiche Vermittlungsstrategie genannt. DEULA-Schulen Geld von der SVLFG erhalten, wenn sie an dem Programm teilnehmen. Abbildung 4: S chaubild des Zusammenwirkens der Kategorien, eigene Darstellung Lehrkräfte Forderungen/Visionen Motivation (Übertragung auf) andere Kompetenz Sensibilisierung der (Gesundheits-) Themen; Auszubildenden Stress/Psyche Umsetzung Verantwortung
Prävention in der Ausbildungspraxis 1 I 2021 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 17 Zur leichteren Wissensvermittlung und Motivation der heitsthemen verdeutlichen, dass diese den zeitlichen SuS wünschen sich die Lehrkräfte aktualisiertes Material Rahmen überschreiten würden oder Themen wie z. B. und unterstützende Anleitungen (neue Filme, Terrabän- Ernährung nur schwierig an die SuS zu vermitteln sind. der, professionelle Anleitungen für praktische Übungen, Einige Befragte haben sich dazu geäußert, ob und wenn Videoclips, eine App). So äußert z. B. eine interviewte ja, welche weiteren Gesundheitsthemen in ihrem Unter- Person: „Und das mache ich nicht mit einem theoreti- richt bereits von Bedeutung sind. Genannt wurden: schen Vortrag, da kriege ich die nicht. Cool wären natür- lich immer so aktuelle Filme (…) kommt hoffentlich mal ■ Kniegesundheit ein neuer.“ ■ Augen- und Gehörschutz In den Interviews wurde die Frage nach der Relevanz der Fortbildungen gestellt, die regelmäßig alle zwei ■ Hautkrebs/Sonnenschutz Jahre angeboten werden sollen. In fünf Interviews wird dieses Weiterbildungsangebot positiv eingeordnet und ■ (Gesunde) Ernährung/Übergewicht der Mehrwert gesehen. Um das Gelernte regelmäßig aufzufrischen, sich auszutauschen und Raum für neue ■ Sucht Themen zu schaffen wird der Zyklus von zwei Jahren als angemessen und unterstützend, aber auch als notwen- ■ Biostoffe z. B. in Kot, Eichenprozessionsspinner dig eingestuft. ■ Spritzen 6.3 Umsetzung ■ Psychische Gesundheit / Stress Zum Thema Umsetzung konnte durch die Interviews viel Datenmaterial gesammelt werden. Unter dieser Katego- 6.4 Sensibilisierung der Auszubildenden rie wurden mit insgesamt 122 Codes die meisten gezählt. Die Interviews zeigen, dass die Sensibilisierung der Alle Befragten setzen Inhalte aus der Ausbildung zur/ Auszubildenden für Gesundheitsthemen von unter- zum Rückenbeauftragten um, da sie jeweils konkrete schiedlichen Faktoren abhängt. Insgesamt wurden 111 Themen und/oder Methoden genannt haben, die sie in Aussagen in dieser Kategorie codiert. ihren Unterricht einbringen. Die Befragten haben das Gefühl, dass die Auszubildenden zumindest etwas davon Die Aussagen darüber, wie viele der Auszubildenden mitnehmen bzw. dass das Interesse für solche Themen durch den Präventionsunterricht erreicht und langfristig geweckt werden kann. sensibilisiert werden, differieren. So gut wie alle Befrag- ten gehen aber davon aus, dass sich zumindest einige Die Einschätzungen der Lehrkräfte decken sich mit Auszubildende von der Relevanz des Themas überzeu- den Ausführungen von Faltermaier, dass pädagogisch gen lassen, dass ferner das Rückenthema an sich ein bewusst oder informell vermittelte Inhalte die Einstel- guter Einstieg in den Präventionsbereich ist und das lung zur Gesundheit wesentlich mitprägen und das Set- erreicht werden kann, was gewollt ist. ting der Schule einen organisatorischen Rahmen bietet, in dem Jugendliche unmittelbar und langfristig erreicht Deutlich wird der Aspekt der im Jugendalter oft thema- werden [51]. tisch noch „fehlenden Auseinandersetzung“, da viele Auszubildende einigen Lehrkräften zufolge eine eher In Bezug auf die nachhaltige Wirkung, setzen einige geringe Vorbildung im Bereich der Gesundheit bzw. der Experten auf den Wiederholungsaspekt. Sie versuchen, Anatomie des menschlichen Körpers besitzen, „Kommt die Inhalte immer wieder in ihren Unterricht einfließen leider, glaube ich, erst im reiferen Alter. Leider, dabei zu lassen. Als wichtigen Aspekt nennen die Befragten bei Gesundheit müsste man viel früher ansetzen“. Der hier die Bedeutsamkeit des eigenen Handlungsspielrau- Beitrag, den Rückenbeauftragte für eine frühe Interven- mes. Für eine effektive Umsetzung ist dieser aus ihrer tion leisten oder leisten können, wird noch deutlicher Sicht entscheidend, um unterschiedlichen Lerngruppen bei folgenden im Kern in Literatur und nach den Befra- und Dynamiken gerecht zu werden. Flexibles Vorgehen gungsergebnissen übereinstimmenden Aussagen: Die erhöht nach den Befragungsergebnissen die Möglichkei- SuS haben sehr wenige Vorkenntnisse, betreiben Raub- ten, Inhalte während eines DEULA-Lehrgangs mehrfach bau am eigenen Körper und zeigen von sich aus wenig einfließen zu lassen. Gleichzeitig wird allerdings betont, Eigeninteresse, gehören aber einer Branche an, in der dass die Zeit meist (zu) knapp bemessen ist, obwohl das Rücken- und MSE-Erkrankungen sehr häufig auftreten. Thema der Rückengesundheit teilweise fest im Lehrplan Nach Betz et al. leidet sogar bereits mehr als ein Fünftel verankert ist. Auch die Äußerungen zu weiteren Gesund- aller Auszubildenden häufig an Rückenschmerzen [52].
18 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1 I 2021 Prävention in der Ausbildungspraxis Rückenbeauftragten ist dies bewusst: „Also sagen wir Hinsichtlich Fragen der Geschlechterdifferenz liegt für es mal so, wir sind hier in den Grünen Berufen und da detaillierte Schlussfolgerungen aber kein ausreichendes kann man auch davon ausgehen, dass da jetzt hier mitt- Material vor. Die Aussagen gehen vage dahin, dass „die lerweile schon junge Leute sind, die Bandscheibenpro- Erreichbarkeit für Gesundheitsthemen bei den Frauen bleme haben“. Fünf der Befragten äußern auch, dass der eventuell etwas höher ist“. Allerdings wurde deutlich, Zugang zu diesem Thema erleichtert wird, wenn Auszu- dass bei männlichen Auszubildenden häufiger ein bildende selbst schon Erfahrungen mit Rückenproble- demonstratives „Powerverhalten“ vorherrscht, welches men gemacht haben. den Zugang zu den Themen erschwert. Insoweit dürfte es sehr sinnvoll sein, dass die SVLFG bereits ein Augen- Das Rückenthema eignet sich nach Aussage der Lehr- merk auf das Thema Männergesundheit legt, wie dies kräfte sehr gut zum Einstieg in Gesundheitsthemen: bereits auch in der Forschung gefordert wird [56]. „Beim Rücken habe ich sie alle“. Die Rückenbeauftragten sind davon überzeugt, dass eine frühe Sensibilisierung Bei der Frage der Nachhaltigkeit gehen die Rückenbe- und aktive Gesundheitsförderung wichtig sind. Dement- auftragten davon aus, dass die Auszubildenden etwas sprechend verstehen sie ihren Auftrag: „Dass die nicht aus den Inhalten mitnehmen. Ob aber die Sensibilisie- gleich abblocken und sagen, habe ich doch sowieso rung soweit gelingt, dass die Schüler und Schülerin- schon“. Solche Einstellungen der Schüler und Schüle- nen Erlerntes in der alltäglichen Praxis ihrer Betriebe rinnen finden sich in der Annahme von Hartmann: „Da umsetzen, ist eher kritisch zu sehen. Die Lehrkräfte MSE die Lebenserwartung nicht einschränkt, werden sie weisen darauf hin, dass Auszubildende verschiedene als schicksalhafte Begleiterscheinung wahrgenommen“ Hinderungsgründe anführen, wie Zeitmangel infolge [53] wieder. Gerade bei Heranwachsenden ist es des- des Arbeitspensums, fehlendes Verständnis im Betrieb halb wichtig, ihnen zu vermitteln, dass sie selbst etwas für aktive Pausen oder Hilfsgeräte. Lehnen Betriebslei- verändern oder wie sie vorbeugen können. Laut der tende bspw. aus Bequemlichkeit eine regelmäßige Ver- Experten spielt dabei eine effektive Wissensvermittlung änderung der Sitzeinstellung oder aus Kostengründen (Wiederholungen, praktische Übungen, Praxisrelevanz) die Anschaffung ergonomisch angepasster Arbeitsge- eine entscheidende Rolle. So zielt eine Forderung der räte ab, fehlen Umsetzungsmöglichkeiten und Gelern- befragten Lehrkräfte darauf ab, vergleichbare Inhalte tes gerät schnell in Vergessenheit. Damit zeigt sich, wie auch an anderen Lernorten, wie den Berufsschulen wichtig eine Vernetzung oder ein Informationsaustausch sowie den Lehr- und Versuchsanstalten, an die Auszu- mit den Ausbildungsbetrieben wäre, um eine nachhaltige bildenden bzw. Ausbildenden zu transportieren. Dies Wirkung der erreichten Sensibilisierung zu erzielen. Ide- erscheint im Hinblick auf die aus präventiver Sicht wich- alerweise wäre sogar ein abgestimmtes Vorgehen anzu- tigste Zielgruppe der Gesundheitsförderung [54] sowie streben. unter dem Gesichtspunkt der wiederholenden Einübung sehr berechtigt. DEULA-Schulen bieten als Lernorte eine der wenigen Chancen, in der Grünen Branche präventive Gesund- Die Erhebung von Betz et al. zeigt, dass das Verhalten heitsförderung in der Fläche zu betreiben und die aus bei Auszubildenden in Gesundheitsfragen wenig ausge- präventiver Sicht wichtige Zielgruppe der Heranwachsen- prägt ist [55]. Nach den Interviewaussagen fühlen sich den anzusprechen, die während der Ausbildungsphase Jugendliche bei Gesundheitsthemen aufgrund ihrer früh und wohl letztmalig vollständig erreicht werden kann „Power“ nicht betroffen, zeigen erst Interesse, „wenn [57]. Vor diesem Hintergrund sollte das Programm fort- sie darauf gestoßen werden“ und nutzen freiwillige gesetzt werden, auch wenn nicht alle Jugendlichen von Angebote kaum. Um hier eine Veränderung zu erzielen, der Relevanz des Themas überzeugt bzw. ausreichend scheint der in den Interviews genannte Aspekt geeignet, sensibilisiert werden können. gesundheitsbezogene, präventive Maßnahmen eher verpflichtend umzusetzen und nicht als freiwilliges Ange- bot. Körperliche Kraft und demonstrative „Power“ ist ein 6.5 Verantwortung für eine verbesserte altersspezifischer, stärker das männliche Geschlecht Sensibilisierung betreffender Punkt, der die Sensibilisierung laut der Experten erschwert. Hier könnte mit Hilfe von kleineren Um den präventiven Gesundheitsschutz zu stärken, ist Gruppen Abhilfe geschaffen werden. So würden sich zu diskutieren, durch wen oder was die Sensibilisierung nach Angaben einiger Experten Auszubildende in einem der Auszubildenden hierfür verbessert werden kann. Ins- geschützteren Rahmen leichter öffnen können. Zudem gesamt wurde hierzu 39-mal codiert. hätte eine geringere Klassenstärke positive Auswirkun- gen auf geschlechtsspezifische Verhaltensweisen, ins- Die Notwendigkeit eines multifaktoriellen Ansatzes zur besondere bei sensiblen Themen. verstärkten Sensibilisierung wird in der Theorie klar ver- treten, spielt also bei der Vernetzung der unterschied- lichen Verantwortlichen eine wichtige Rolle. So sollten
Prävention in der Ausbildungspraxis 1 I 2021 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 19 Ausbildungsbetriebe und die Berufsschulen in regel- Für den Fall der Einbeziehung neuer Gesundheitsthe- mäßigem Austausch stehen, um die Integrierbarkeit in men: die betriebliche Praxis zu sichern [58]. Die Aussagen der Befragten stimmen hiermit weitgehend überein. Der ■ A ufnahme in die Lehrpläne mit entsprechendem Ansatz der SVLFG, Auszubildende durch das Programm Zeitbudget „Multichannel“ auf vielen Kanälen zu erreichen, dürfte deshalb auch nach den Ergebnissen der Interviews ein ■ Und/oder Einbeziehung der Berufsschulen sehr vielversprechender, richtiger Ansatz sein. ■ Evtl. Austausch mit den Lehr- und Versuchsanstalten Konkret wird von einigen Interviewten eine [Mit-]Verant- wortung bei den Betrieben gesehen, schließlich seien sie am Ende diejenigen, die vom Fachkräftemangel betrof- 6.7 Stress/Psyche fen sind. Deren [Mit-]Verantwortung wird klar benannt, Vorschläge, wie diese praktisch eingefordert werden Als ein weiteres Gesundheitsthema wurde in den Inter- kann, fehlen allerdings. Außerdem äußern zwei der Inter- views der Bereich Stress/Psyche angesprochen. Diese viewten, dass die Berufsschulen ihrer Meinung nach bei Hauptkategorie wurde insgesamt 67-mal codiert. Es diesem Thema [mit-]verantwortlich sind. Ein Versuch, wurde geäußert, dass das Thema bislang zwar kein die Sensibilisierung auch an diesem Lernort voranzu- Bestandteil des Lehrplans sei, es während des Unter- treiben, wird als sinnvoll bzw. notwendig erachtet. Auch richtes aber bei einigen Befragten bereits zur Sprache die Berufsgenossenschaft wird von drei der neun Exper- kommt. Bspw. werden bestimmte Themen wie repetitive ten als besonders wichtige Säule der Präventionsarbeit Bewegungen während der Erntezeit, Bandarbeit usw., benannt. Bei der konkreten Frage, welche Institutionen die zu Stress führen können, oder zu lange Arbeitszeiten eine Ausweitung der Lehrpläne vorantreiben können, nebenher angesprochen. Zum Ausdruck kommt in den liefern die Interviews keine weiterführenden Hinweise. Befragungsergebnissen, dass die Themen als wichtig Die Ergebnisse erschöpfen sich in der Nennung unter- angesehen, im Unterricht aber nur am Rande aufgegrif- schiedlicher Stellen (Politik, BIBB, Landwirtschafts- und fen werden. Die vielfältigen Gründe hierfür erscheinen Kultusministerien, Kammer). plausibel. Genannt werden (bisher) fehlende Fachkom- petenz, Mangel an Zeit schon für die Pflichtinhalte, Zweifel daran, dass die DEULA der richtige Ort hierfür 6.6 Forderungen/Visionen ist, sowie keine Erreichbarkeit der Jugendlichen bei Tabuthemen. Ein Zusammenhang von Stress und Rü- Hinsichtlich der gesetzlich verankerten und in der Lite- ckenproblemen wird als Auslöser bzw. bei der Präven- ratur bereits umfangreich diskutierten Forderungen tionsfrage durchaus gesehen. Insoweit drängt sich die gesundheitlicher Präventionsarbeit lassen die Ergeb- Frage auf, ob die Ausbildung zum Rückenbeauftragten nisse der Interviews kein Detailwissen der Befragten hierzu noch ergänzt werden müsste. erkennen. Es wurden eher Gesichtspunkte aus dem Berufsalltag genannt und kaum eigene Visionen zur zukünftigen Handhabung dargestellt. Die Forderun- Mögliche Auslöser gen der Lehrkräfte betreffen im Wesentlichen folgende Aspekte: Es wurde bereits herausgestellt, dass gesundheitliche Probleme von Auszubildenden u. a. mit Defiziten in den ■ Mehr Zeit Bereichen Ernährung, Schlaf und digitale Medien in Verbindung gesetzt werden [59]. Dies findet sich in den ■ Kleinere Gruppen (Klassenstärke von höchstens Interviews für den Bereich der Medien bestätigt. So wird 15 SuS) als ein erkennbarer Hauptauslöser von Stress bei Auszu- bildenden die Handy-Nutzung erwähnt. Auffällig ist, dass ■ Aktualisierte, digitale Medien fast alle Lehrkräfte dem Thema Stress/Psyche schon in der Ausbildung hohe Relevanz beimessen und dies nicht ■ Nach Sparten differenzierte Leitfäden/Broschüren nur im Zusammenhang mit Rückenbeschwerden. Deut- lich wahrgenommen werden von den Lehrkräften bei den ■ Ausbildung weiterer Lehrkräfte zu Rücken- Auszubildenden insoweit auch Stress durch Zeitdruck, beauftragten Leistungsdruck oder fehlende Übersicht mit unstruktu- rierter Aufgabenerledigung. ■ Austausch mit anderen Rückenbeauftragten ■ Fortbildungen
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