STEPHAN BÖCKENFÖRDE Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik

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STEPHAN BÖCKENFÖRDE
      Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik

      M     ilitäroperationen stellen für die Vereinigten
            Staaten die Fortsetzung der Politik mit ande-
      ren Mitteln dar. Sie dienen zur Durchsetzung des
                                                                                                   des Militärs, und indem er die materiellen Voraus-
                                                                                                   setzungen kontrolliert, bestimmt er auch indirekt
                                                                                                   über die militärischen Einsatzmöglichkeiten mit.
      nationalen Interesses. Seit 1947 besteht dieses für                                          Konkreten Entscheidungen über Militäreinsätze
      die Vereinigten Staaten nun nicht mehr nur aus                                               geht der Kongress aber in der Regel aus dem Weg
      einem klassischen »genuin nationalen« Interesse,                                             und überlässt der Regierung die alleinige Verant-
      sondern ist untrennbar gepaart mit der selbstauf-                                            wortung für Wohl und Wehe – beispielsweise im
      erlegten Übernahme der Verantwortung für den                                                 Falle der Resolutionen, mit denen der Kongress
      Erhalt globaler Stabilität. Die Vereinigten Staaten                                          am 12.1.1991 dem Präsidenten das Recht gab, am
      nehmen seitdem die Rolle einer Weltordnungs-                                                 Persischen Golf Krieg zu führen. Lediglich fünf-
      macht wahr. An dieser Aufgabe orientiert haben                                               mal kam der Kongress seiner in der Verfassung ver-
      sie – in Abkehr von dem zuvor praktizierten welt-                                            ankerten Aufgabe nach, formal selbst einen Krieg
      politischen Isolationismus – ihr militärisches Poten-                                        zu erklären – zum letzten Mal 1941 (davor 1812,
      zial seit den späten 40er Jahren aufgebaut. Sie                                              1846 und 1917; 1898 geschah dies sogar gegen den
      haben seitdem die Verantwortung für die Siche-                                               Willen des damaligen Präsidenten McKinley).
      rung der Weltordnung nicht an Dritte – andere                                                Zum Stopp eines Einsatzes – der War Powers Act
      Staaten oder internationale Organisationen – abge-                                           schafft dafür die rechtliche Grundlage – ist es bis-
      treten, und eine solche Entwicklung ist auch für                                             her dagegen noch niemals gekommen.
      die Zukunft nicht zu erwarten; stattdessen ver-                                                  So sehr sich also die Mehrheit der Kongress-
      folgen die Vereinigten Staaten konsequent die                                                mitglieder im Ernstfall bei Entscheidungen zurück-
      Politik eines globalen »leadership«.                                                         hält oder sogar explizit die Prärogative des Präsi-
          Sicherlich wird jede US-Regierung von ihrem                                              denten in außen- und sicherheitspolitischen Fragen
      militärischen Potenzial Gebrauch machen, wenn                                                verteidigt, so gering ist letzten Endes auch der Ein-
      das Überleben der Nation oder zentrale Pfeiler der                                           fluss der öffentlichen Meinung bei Entscheidun-
      Weltordnung auf dem Spiel stehen. Unterhalb                                                  gen zu Militäreinsätzen. Denn sobald US-Soldaten
      dieses Interesses von »höchstem vitalen Wert«                                                in einen Kampfeinsatz geschickt werden, trägt eine
      aber basieren die Entscheidungen zu militärischen                                            Bevölkerungsmehrheit – von einem patriotischen
      Einsätzen auf der Abwägung der politischen Kos-                                              »rally-around-the-flag«-Gefühl beseelt – für einen
      ten und des zu erwartenden Nutzens. So kann                                                  gewissen Zeitraum eine solche Entscheidung der
      unter Umständen der Einsatz militärischer Mittel                                             Regierung mit. (So war es beispielsweise für Clin-
      gerade auch in solchen Fällen opportun erscheinen,                                           ton möglich, 1994 den Haiti-Einsatz selbst gegen
      in denen offensichtlich weniger drängende Interes-                                           die Ablehnung durch eine Mehrheit in der Bevöl-
      sen durchgesetzt werden sollen. Militäreinsätze                                              kerung anzuordnen.)
      sind also nicht unbedingt immer das »letzte Mit-                                                 Diese weitgehende Autonomie bei Entschei-
      tel«, sondern ein Mittel unter anderen im Katalog                                            dungen über Militäreinsätze besitzt die Regie-
      machtpolitischer Möglichkeiten.                                                              rungsspitze auch gegenüber einzelnen Interessen-
          Jeder Militäreinsatz steht in den Vereinigten                                            gruppen. Gerade der Einfluss, den »die Wirt-
      Staaten unter einem innenpolitischen Vorbehalt.                                              schaft« auf diese Entscheidungen angeblich haben
      Dieser wird allerdings oft überschätzt: Zwar be-                                             soll, wird gemeinhin überschätzt. Auch hier gilt:
      sitzt der Kongress über seine Haushaltskompeten-                                             Die Regierung entscheidet weitgehend selbststän-
      zen einen großen Einfluss auf den Alltagsbetrieb                                             dig. Sicherlich gibt es oft deutliche Konvergenzen

398   Stephan Böckennförde, Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik                                              IPG 4/2001
zwischen dem »nationalen« Interesse, das die                Kämpfen um lokale bzw. regionale Gewaltmono-
Regierung wahrzunehmen hat, und demjenigen                  pole, einem Nebeneinander von nationalen und
verschiedener gesellschaftlicher Akteure. Es ist            post-nationalen Strukturen sowie von nationalen
zudem nur natürlich, dass einige dieser Akteure             und transnationalen Bedrohungen geprägt werden
unmittelbar von den Folgen militärischer Einsätze           wird.
profitieren. Das bedeutet aber nicht, dass Mili-                Auf der traditionellen nationalstaatlichen und
täreinsätze nun primär zur Durchsetzung von Parti-          geostrategischen Ebene wird der Brennpunkt des
kularinteressen durchgeführt würden. Nach wie               Weltordnungskonfliktes in Zukunft nicht mehr in
vor hat Stephen Krasners Feststellung von 1978              Europa liegen (um zahlreiche »Stellvertreter-
Bestand, dass Militäreinsätze nur nachgeordnet              kriege« in Afrika, Asien und Lateinamerika er-
der Wahrnehmung von Sonderinteressen dienen.                gänzt), sondern in Asien. Die sich abzeichnenden
    Zugleich gibt es nach dem Ende des Ost-West-            Spannungen werden dabei einerseits durch die
Konfliktes aber auch ein neues Phänomen: Den                Konsequenzen von Bevölkerungswachstum und
Einfluss des öffentlichen Diskurses auf Entschei-           den Ressourcen- (im Wesentlichen: Energie-)
dungen zu Militäreinsätzen. So kann man feststel-           Bedarf der neuen Wirtschaftszentren Ostasiens,
len, dass sich Partikularinteressen dann auf diese          andererseits durch die zu erwartenden Folgen der
Entscheidungen auswirken, wenn ihnen über einen             Großmachtambitionen Chinas bestimmt werden.
längeren Zeitraum hinweg im innenpolitischen                In den Szenarien vieler »Realisten« in den Verei-
Diskurs eine besondere Prominenz verliehen wor-             nigten Staaten wird in der Zukunft China als neue,
den ist und dabei die Regierung möglicherweise              expansive Weltmacht gegenüber den Vereinigten
unter Handlungszwang geriet oder diese Interes-             Staaten diejenige Rolle spielen, die früher die
sen im Verlauf der öffentlichen Debatte äußerlich           Sowjetunion eingenommen hatte. (Voraussetzung
den Charakter von »nationalen« Interessen ange-             dafür ist allerdings, dass China in den kommenden
nommen haben. In solchen Fällen sind die Opera-             Jahren im Zuge der wirtschaftlichen und gesell-
tionen weniger außenpolitisch als vielmehr innen-           schaftlichen Öffnung an seinen inneren Wider-
politisch motiviert. Dieses Phänomen hat vor                sprüchen nicht zerbricht.) Russland wiederum wird
allem bei den Operationen in Somalia, in Haiti, in          in der näheren Zukunft allenfalls durch seine Atom-
Bosnien und im Kosovo eine maßgebliche Rolle                waffen und seinen Beitrag bei der Verbreitung von
gespielt.                                                   Massenvernichtungswaffen noch bedeutsam sein.
                                                                Außerdem wird erwartet, dass auch Indien in
                                                            der Zukunft einen Großmachtstatus erreicht.
Der Bedrohungskatalog: Das Nebeneinander von alten          Daneben könnte Japan seine Bedeutung durch
und neuen Konfliktformen                                    den Ausbau seiner Streitmacht deutlich erhöhen,
                                                            sollte dazu der politische Wille (möglicherweise
Ein wesentliches Problem für jede US-Regierung              sogar die innenpolitische Notwendigkeit) vorhan-
besteht darin, die (globale) Reichweite der von ihr         den sein. Unklar ist noch, welche Entwicklung die
wahrgenommenen nationalen Interessen und ihre               beiden Koreas nehmen werden und welche Rolle
Fähigkeiten zur Machtprojektion in Übereinstim-             ein sich zunehmend öffnender Iran spielen wird,
mung zu bringen. Das betrifft zum einen die geo-            aber auch diese Staaten können ihre Bedeutung
graphischen Dimensionen, zum anderen aber auch              vergrößern.
die Mittel, über die sie für denkbare Militär-                  Neben der Herausbildung dieser Machtzentren
einsätze rechtzeitig verfügen muss. Dem zweiten             werden im asiatischen Raum auf der anderen Seite
Punkt wird in der näheren Zukunft ein besonderes            auch Regionen großer Instabilität entstehen, vor
Gewicht zukommen: Es geht nicht mehr nur                    allem im indonesisch-philippinischen Raum, aber
darum, wie bisher das bestehende militärische               auch in Pakistan/Afghanistan und schließlich im
Inventar zu modernisieren und gegebenenfalls                schwach besiedelten östlichen Teil Russlands. So
auszubauen, sondern es auch durch neue Plattfor-            wird es zu einem unmittelbaren, den Kontinent
men und darauf abgestimmte Einsatzstrategien zu             unter Umständen stark destabilisierenden Neben-
ergänzen. Man wird Herausforderungen in einer               einander von neuen Machtzentren und ausge-
Umwelt begegnen müssen, die zunehmend von                   sprochen schwachen Regionen kommen.

IPG 4/2001                                            Stephan Böckennförde, Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik   399
Die sich anbahnenden zentralen Umwälzun-                                             die Drohung mit biologischen, chemischen oder
        gen im internationalen System werden die Verei-                                          sogar nuklearen Waffen die Regionen zu destabili-
        nigten Staaten fast zwangsläufig zum Eingreifen                                          sieren oder – mittels Raketen oder durch terroristi-
        herausfordern. Denn zum einen ist es für große                                           sche Akte – die US-Alliierten in Europa und in
        Teile der politischen Elite in den Vereinigten Staa-                                     Asien, am Ende gar die Vereinigten Staaten selbst
        ten unvorstellbar, den Aufstieg einer antagonis-                                         zu treffen. Darüber hinaus sind der Irak und der
        tischen Großmacht – im Klartext: vor allem den                                           Iran unmittelbar in der Lage, den Zugang zu den
        Aufstieg Chinas zu einer militärischen Weltmacht                                         Ölquellen des Nahen Ostens zu versperren, womit
        – widerstandslos hinzunehmen. Entsprechend                                               diesen beiden Staaten eine besondere Rolle zu-
        wird man Chinas (geopolitische) Rolle so stark wie                                       kommt.
        möglich einzuschränken versuchen. Zum anderen                                                Neben diese Bedrohungen traditioneller geo-
        werden die Vereinigten Staaten angesichts der                                            politischer Natur – wenn auch mit neuen Akteuren
        wachsenden Spannungen und möglichen Verwer-                                              und an anderen Schauplätzen – treten zunehmend
        fungen ihre Rolle als stabilitätssichernde Weltord-                                      »transnationale« bzw. »post-nationale« Gefahren.
        nungsmacht an wesentlichen Brennpunkten –                                                War es bis vor einigen Jahren in erster Linie noch
        wenn auch nicht an allen – erfüllen wollen.                                              die internationale Kriminalität, vor allem in der
            Dabei kommt es zusätzlich zwischen den Verei-                                        Form der Drogenkriminalität, der man in der
        nigten Staaten und den aufsteigenden geostrate-                                          außenpolitischen Diskussion in den Vereinigten
        gischen Mächten zu einer – aus dem Ost-West-                                             Staaten besondere Bedeutung beimaß, so tritt seit
        Konflikt nicht bekannten – unmittelbaren Konkur-                                         einigen Jahren der internationale Terrorismus an
        renz um Märkte und Ressourcen. Dies betrifft vor                                         diese Stelle. Mittlerweile ist eine Vielzahl von
        allem die Verfügung über die endlichen Weltener-                                         Institutionen in den Vereinigten Staaten entstan-
        giereserven und wird die Vereinigten Staaten (und                                        den, mit denen man auf den internationalen Ter-
        ihre Konkurrenten) zu einer besonderen Beach-                                            rorismus reagiert, etwa die große Gruppe staat-
        tung aller Entwicklungen veranlassen, die sich in                                        licher Zivilschutz-Agenturen, die in das Netz der
        den erdölreichen Regionen am Persischen Golf                                             Nationalen Sicherheitsstruktur eingebunden sind,
        und im Kaukasus sowie entlang der wichtigen See-                                         oder der vor zwei Jahren gebildete »Senatsunter-
        wege anbahnen.                                                                           ausschuss zur Behandlung entstehender Gefahren«
            Schließlich wird auch der erdnahe Weltraum                                           (Senate Subcommittee on Emerging Threats), der
        verstärkt ins Blickfeld der Geostrategen geraten.                                        sich bisher besonders diesen neuen Bedrohungen
        Er besitzt für die technologische Infrastruktur der                                      – von biologischen und chemischen Waffen bis
        industrialisierten Welt eine elementare Bedeutung,                                       zum »Cyber-Terrorismus« – widmete.
        und im Weltraum stationierte Waffensysteme bie-                                              Auch wenn diese »neuen« Gefahren zum Teil
        ten heute schon unverzichtbare, in der Zukunft                                           noch – etwa als »asymmetrische Bedrohungen« –
        praktisch ungeahnte neue Möglichkeiten zur                                               von (»Schurken«-)Staaten ausgehen oder zumin-
        Kriegsführung auf der Erde. Entsprechend wird                                            dest von ihnen geduldet werden (z. B. von Afgha-
        der Weltraum in Zukunft militarisiert werden und                                         nistan im Falle Osama bin Ladens), so besteht
        einen neuen potenziellen Kriegsschauplatz für die                                        ihre neuartige Qualität doch darin, dass sie sich
        Technologiemächte darstellen – Militärs in den                                           zunehmend der staatenweltlichen Sphäre entzie-
        Vereinigten Staaten gehen davon aus, dass es ab                                          hen. Entsprechend sind sie mit den herkömm-
        2015 zu militärischen Auseinandersetzungen im All                                        lichen diplomatischen Mitteln nicht mehr in den
        kommen könnte.                                                                           Griff zu bekommen. Und auch die klassischen
            Neben den »neuen Großmächten« und der                                                militärischen Mittel aus der Zeit des Ost-West-
        sich ergebenden Verschiebung der Konfliktregio-                                          Konfliktes sind weitgehend ungeeignet in diesen
        nen werden die »Sorgenstaaten« (»states of con-                                          Auseinandersetzungen.
        cern« bzw. »rogue states«) – z. B. der Irak, der                                             Ein wichtiger Herd für die neuen Gefahren
        Iran, Nordkorea oder Libyen – bis auf weiteres                                           sind neben den »Schurkenstaaten« auch die »kolla-
        ihre prominente Rolle in den sicherheitspoli-                                            bierenden Staaten« – Nationen also, in denen
        tischen Konzeptionen der Vereinigten Staaten                                             die staatliche Ordnung stark eingeschränkt oder
        behalten. Ihnen traut man gemeinhin zu, durch                                            bereits weitgehend zusammengebrochen ist. Als

400 Stephan Böckennförde, Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik                                             IPG 4/2001
Ausgangspunkt für Bedrohungen werden diese                      waffe getragen, aber möglicherweise auch als
»geschwächten« Länder in den Vereinigten Staa-                  Landkrieg geführt. In den Katalog möglicher
ten als mindestens so gefährlich eingeschätzt wie               Kriegsschauplätze wird dabei in den kommen-
die »starken« Staaten.                                          den Jahren zunehmend der Weltraum einbe-
     Zivile/politische Krisenprävention, wie sie von            zogen werden. Diese militärischen Einsätze
den Europäern seit einiger Zeit konzipiert wird, ist            dienen den Vereinigten Staaten zum Erhalt
in den Vereinigten Staaten eher unpopulär – hier                des geopolitischen Systems und/oder dem
wird Krisenprävention nach wie vor vor allem als                Schutz überragender eigener Interessen. Mögli-
Systemumbau und Reduzierung von Waffen in                       che zukünftige Gegner sind China, eventuell
»starken« Staaten verstanden (etwa in Form der                  auch der Irak oder Nordkorea.
Sicherung von Nuklearwaffen in der ehemaligen                 Der »kleine Krieg«, der entweder mit dem

Sowjetunion). Entsprechend fehlt den Vereinigten                Ziel der Wiederherstellung regionaler Stabilität
Staaten weitgehend das außenpolitische Instru-                  geführt wird (möglicherweise in Kolumbien u. a.)
mentarium, um jenseits von militärischen Maß-                   oder der im Wesentlichen auf innenpolitische
nahmen auf die Bedrohungen zu reagieren, die                    Faktoren in den Vereinigten Staaten zurückzu-
von kollabierenden Staaten ausgehen.                            führen ist und der in diesen Fällen stark huma-
     Schließlich wird auch von einigen amerika-                 nitär motiviert sein wird (z. B. ein mögliches
nischen Beobachtern auf die Gefahren hingewie-                  Eingreifen im Sudan).
sen, die sich langfristig aus nicht-traditionellen            Kriege »niedriger Intensität« und Einsätze von

Krisen ergeben können. Diese Krisen resultieren                 Spezialeinheiten in Unruhezonen.
vor allem aus Umweltproblemen, aus dem Fehlen                 Kommandoeinsätze oder isolierte Luftschläge

von sauberem Wasser, aus Epidemien und Hun-                     zur Bekämpfung von Terrorismus, Drogenhan-
gersnöten. Die entstehenden Gefahren wirken eben-               del oder der Verbreitung von Massenvernich-
falls transnational, und schleichend können sie                 tungswaffen; möglicherweise auch Vergeltungs-
große Weltregionen destabilisieren. Im Vorder-                  schläge.
grund wird hier in der Zukunft sicherlich Afrika              Kommando-Operationen         zum Schutz von
stehen. Lösen lassen sich solche Krisen nur mit                 Staatsbürgern oder US-Einrichtungen im Aus-
großen lang anhaltenden Kraftanstrengungen,                     land.
in denen das Militär allenfalls eine untergeord-             Insgesamt ist bemerkenswert, dass die Vereinigten
nete, assistierende Rolle bei der vorübergehenden            Staaten auch nach dem Ende des Ost-West-Kon-
Stabilisierung von Unruheregionen spielen kann.              fliktes für die »großen Kriege« am besten gerüstet
Da sich diese Regionen zugleich – bis auf Ostafrika          bleiben, während diese Konflikte zugleich auf-
– weit entfernt von den geopolitisch brisanten               grund der hohen politischen Kosten für alle Betei-
Räumen befinden, besitzen sie – wie etwa der                 ligten am unwahrscheinlichsten erscheinen. Ein
Sudan zur Zeit – allenfalls das Potenzial, über              wesentlicher Grund für das langsame Reagieren
lange Zeit die innenpolitische Diskussion in den             auf die veränderte Lage liegt in der Schwerfäl-
Vereinigten Staaten zunehmend zu beeinflussen                ligkeit des militärischen Apparates und in der
und gegebenenfalls über den Weg der Innen-                   Fähigkeit der politischen Eliten in den Vereinigten
politik schließlich auch militärische Einsätze zu            Staaten, zum Schutz ihrer Pfründe weitgehend
provozieren.                                                 reformresistent die bestehenden Strukturen zu
     Aus den unterschiedlichen perzipierten Bedro-           erhalten. In diesem Zusammenhang spielt der
hungen für das geopolitische System in seiner der-           Kongress eine herausragende Rolle, dessen Mit-
zeitigen Gestalt und den Gefahren für die Verei-             glieder zugunsten ihrer Wahlkreise – »all politics
nigten Staaten sowie für ihre nationalen Interessen          is local« – im Verteilungskampf um die Mittel
ergeben sich fünf unterschiedliche Formen mili-              oft noch über die Forderungen der Militärs
tärischer Einsätze, zu denen sich die US-Regierun-           hinausgehen und so grundlegende Veränderun-
gen in den kommenden Jahren veranlasst sehen                 gen, Neuausrichtungen und Umstrukturierungen
könnten:                                                     behindern.
 Traditionelle Kriege auf einer nationalstaat-

   lichen Ebene, im Wesentlichen von der Luft-

IPG 4/2001                                             Stephan Böckennförde, Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik   401
Die sicherheitspolitischen Vorstellungen in der neuen                                        genheit wiederholt unmissverständlich gefordert,
      Regierung unter Präsident Bush                                                               dass militärische Operationen nur unter sehr klar
                                                                                                   definierten Umständen durchgeführt werden
      Der – für neue US-Regierungen durchaus normale                                               dürften. Damit wird sich die Führung im Außen-
      – außen- und sicherheitspolitische Schlingerkurs                                             ministerium in der näheren Zukunft gegen neue
      der ersten Monate ist mittlerweile einem ruhi-                                               Einsätze aussprechen – zumindest solange keine
      geren außenpolitischen Alltagsgeschäft gewichen,                                             unmittelbare Bedrohung vitaler Interessen vor-
      und der Alarmismus der Anfangszeit ist verklun-                                              liegt. Das bedeutet, dass auch die Zeit der »huma-
      gen. Einige Überprüfungen des von Clintons                                                   nitären Falken« vorbei ist, die in den 1990er Jahren
      Regierung Hinterlassenen sind beendet, erste kon-                                            zur Durchsetzung nobler Ziele schnell zu Waffen
      krete Planungsstudien im Umlauf. Bei Formulie-                                               griffen. Gleichzeitig wird Powell – aus diploma-
      rung und Umsetzung sind unterschiedliche Strö-                                               tischen Gründen – an bestehenden Missionen,
      mungen in der Regierungsspitze zu identifizieren.                                            etwa auf dem Balkan, festhalten wollen, solange
      Im Weißen Haus selbst erweist sich Präsident Bush                                            die Verbündeten die Vereinigten Staaten nicht aus
      als kompromissloser Befürworter der Raketen-                                                 ihrer (moralischen) Pflicht entlassen, zumindest
      abwehr; darüber hinaus sind seine Positionen                                                 symbolische Beiträge zu leisten.
      relativ ungenau, gar widersprüchlich und damit                                                   Die Falkenfraktion besteht im Wesentlichen aus
      wenig analysezugänglich geblieben. Alle Vorhaben                                             Vizepräsident Richard Cheney, Verteidigungsmi-
      müssen sich jedoch seiner Hauptmission – der                                                 nister Donald Rumsfeld, seinem Stellvertreter Paul
      großangelegten Steuerreform – unterordnen.                                                   Wolfowitz und zunehmend Sicherheitsberaterin
          Im Übrigen weisen die personellen Konstella-                                             Condoleezza Rice. Ihre härtere Haltung äußert
      tionen in der Regierungsspitze für die Zukunft auf                                           sich vor allem in dem konfrontativeren Auftreten
      ein militärisches »selective engagement« hin. Zwar                                           gegenüber Russland und China. Mit dieser Kon-
      gibt es in der Regierung die typische Spannung                                               zentration auf »das Wesentliche« geht einher,
      zwischen den »Falken« und »Tauben«, wobei –                                                  trotz einer eigentlich interventionistischen Grund-
      untypisch für US-Regierungen – die »Tauben« vor-                                             haltung die im Ausland stationierten Truppen
      wiegend im Außen- und die »Falken« eher an der                                               zunächst in die Vereinigten Staaten zurückzuver-
      Spitze des Verteidigungsministeriums zu finden                                               legen und nach Möglichkeit keine neuen Einsätze
      sind. Aber die Differenzen zwischen beiden Seiten                                            mehr durchzuführen. Dies hat nicht nur mit
      betreffen bislang eher die Frage, welchen Stellen-                                           einer neuen Schwerpunktsetzung zu tun, sondern
      wert man der internationalen Diplomatie geben                                                ist zum Teil auch auf den Zustand des durch
      und wie man den Umgang mit Verbündeten und                                                   die vielen Auslandseinsätze strapazierten Militärs
      Konkurrenten (je nach Sichtweise auch: Gegnern)                                              zurückzuführen. Zwar kann man die Streitkräfte
      gestalten soll. In der Frage militärischer Einsätze                                          noch nicht als »ausgehöhlt« bezeichnen (ein
      gibt es deutliche Übereinstimmungen zwischen                                                 Zustand, der in den Anfangsjahren der Präsident-
      beiden Lagern: so wenig, wie nur eben möglich.                                               schaft Ronald Reagans immer wieder beklagt
          Außenminister Colin Powell steht Militärein-                                             wurde). Aber vor allem, seit in Folge der guten
      sätzen grundsätzlich reserviert gegenüber, solange                                           konjunkturellen Lage der vergangenen Jahre der
      keine unumstößlichen Argumente für derartige                                                 Arbeitsmarkt in den Vereinigten Staaten eng
      Einsätze vorliegen. Man kann auch sicher sein,                                               geworden ist und die Löhne in der freien Wirt-
      dass er den Grundsätzen folgen wird, die er als                                              schaft den Soldatenberuf unattraktiv gemacht
      Generalstabschef Anfang der 1990er Jahre auf-                                                haben, ist die Personaldecke dünn geworden.
      stellte und in denen er die Schwellen für militäri-                                          Häufiger Dienst in Krisengebieten macht die
      sche Operationen sehr hoch legte. Das Militär soll                                           Rekrutierung noch schwieriger. Neben der Belas-
      nicht unnötig als diplomatisches Druckmittel miss-                                           tung für die Mannschaften wird kritisiert, dass
      braucht werden. In dieser Haltung wird er von                                                das Material oft nicht erneuert werde und Moder-
      seinem Planungschef Richard Haass sicherlich                                                 nisierungen seltener als erhofft stattfänden (die
      bestärkt werden: Haass könnte zwar militärischen                                             Luftwaffe klagt über Überalterung, und von der
      Einsätzen etwas weniger ablehnend gegenüber-                                                 unter Reagan angepeilten 600-Schiff-Marine sind
      stehen als Powell, aber auch er hat in der Vergan-                                           noch rund 230 Schiffe übriggeblieben). Schon

402   Stephan Böckennförde, Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik                                             IPG 4/2001
vor diesem Hintergrund wird die Spitze im Ver-               kretär für inter-amerikanische Angelegenheiten,
teidigungsministerium »zweitrangige« Auslandsein-            Elliott Abrams, leitete, bevor dieser Anfang Juli
sätze weitgehend beenden wollen.                             zum Direktor des »Büros für Demokratie, Men-
    Allenfalls Operationen der Spezialeinheiten              schenrechte und internationale Operationen« des
oder isolierte Luftschläge wie 1998 gegen den                Nationalen Sicherheitsrates ernannt wurde. Ab-
Sudan und Afghanistan oder die wiederholten                  rams’ Einflussmöglichkeiten sind bislang schwer
Angriffe auf die irakischen Luftabwehranlagen im             zu bestimmen, ist doch die gesamte Frage der
Zusammenhang mit dem »stillen Krieg« gegen                   Rolle religiöser Gruppen bislang eher nebulös ge-
den Irak könnte man bewusst verfolgen. Gerade                blieben. Aber Abrams ist durchaus als ein Inter-
für solche Operationen bestehen relativ geringe              ventionist einzuschätzen, für den Religionsfreiheit
Risiken, während der vordergründige Nutzen                   im Katalog der Menschenrechte einen besonderen
dagegen unter Umständen als hoch angesehen                   Rang einnimmt. Daher kann man davon ausgehen,
werden kann. Ein Indiz könnte in diesem Zusam-               dass die neue Konstellation sich vor allem in
menhang sein, dass man unter Präsident Bush im               den Fällen sicherheitspolitisch auswirken wird, in
Weißen Haus die Abteilungen für die Kontrolle                denen Konfliktlinien in Unruhegebieten vorder-
der Nicht-Verbreitung von Massenvernichtungs-                gründig entlang von Religionszugehörigkeiten ver-
waffen (Non-Proliferation) und für die aktive                laufen. In diesen Fällen könnte der Präsident –
Bekämpfung dieser Waffen (Counterproliferation)              unterstützt von Abrams und religiösen Gruppen –
zusammengelegt hat. Möglicherweise will man                  eine aktive Rolle für die Vereinigten Staaten
also in Zukunft die Nichtverbreitung von Mas-                suchen wollen und möglicherweise auch an den
senvernichtungswaffen verstärkt mit militärischen            Einsatz von Militär denken – nicht unbedingt in
Mitteln durchsetzen. Beispiele für ein solches Vor-          Form von Kampfeinsätzen, aber beispielsweise
gehen sind der unter Clinton durchgeführte                   durch die militärische Absicherung international
Angriff auf eine pharmazeutische Fabrik im Sudan             durchgeführter Maßnahmen.
1998, in der möglicherweise chemische Kampf-                     Im Übrigen wird die neue Regierung vor allem
stoffe produziert worden waren, oder die offenbar            bemüht sein, während der Phase der Einsatzredu-
ebenfalls angedachten Bombardierungen von                    zierung die großen Weichen zu stellen. Dieses
Nuklearanlagen in Nordkorea 1994. Eine solche                betrifft die Erneuerung des bestehenden Materi-
Politik würde zudem einer neueren Tendenz in                 als, vor allem aber den Einstieg in die Militarisie-
der amerikanischen Sicherheitspolitik entsprechen,           rung des Weltraums, als deren wichtigster Fürspre-
der klassischen Rüstungskontrolle aus den Zeiten             cher Verteidigungsminister Rumsfeld gelten kann.
des Kalten Krieges zunehmend weniger Wert bei-               Der Aufbau einer Raketenabwehr, die unter Clin-
zumessen und statt dessen militärische Wege zu               ton als »begrenzte« Raketenabwehr ins Leben
beschreiten. Isolierte Luftschläge könnten auch              gerufen wurde und deren Pläne mittlerweile aus-
eine Rolle bei möglichen Vergeltungsmaßnahmen                gewachsene Abwehrsysteme auf unterschiedlichen
(wie im April 1986 gegen Libyen) spielen. Ziele              Ebenen vorsehen, die aber letztlich eine Wieder-
wären in diesen Fällen vor allem Staaten, die im             geburt (wenn auch mit vollkommenen anderen
Verdacht stehen, Stützpunkte für den internatio-             geostrategischen Voraussetzungen) von Reagans
nalen Terrorismus zu sein (etwa Afghanistan, wie             Strategic Defense Initiative und Bushs Brilliant
bereits im Jahr 1998).                                       Pebbles ist, stellt dabei nur den Anfang der ange-
    Ein besonderes, in seiner Bedeutung noch                 strebten Neuorientierung dar.
nicht einzuschätzendes Element bringt Präsident                  Hinter dieser Neuorientierung steht neben
Bush mit seiner Betonung weltweiter Religions-               Rumsfeld vor allem das Team um Andrew Mar-
freiheit – natürlich de facto die Öffnung der »Reli-         shall, Chef des Office of Net Assessment (ONA). So
gionsmärkte« für christliche Gruppen aus den Ver-            gibt es einen deutlichen Konflikt zwischen dem
einigten Staaten – in den außenpolitischen Diskurs           Rumsfeld/Marshall-Flügel und dessen Gegnern aus
ein. Bereits kurz nach der Amtsübernahme hatte               Militär und Kongress, an dessen Ende ein Kom-
er im Weißen Haus eine »Regierungskommission                 promiss steht: Auf der einen Seite setzt sich Mar-
zur Internationalen Religionsfreiheit« einrichten            shall mit wesentlichen Elementen seines Konzep-
lassen, die zunächst Reagans ehemaliger Staatsse-            tes durch – Verlagerung der Aufmerksamkeit von

IPG 4/2001                                             Stephan Böckennförde, Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik   403
Europa nach Asien, vor allem auf China und                                               Mega-Städte Asiens, Ostafrikas oder Lateinameri-
        Südostasien, Kriegsführung aus der Distanz, Ent-                                         kas hingewiesen. Auf diese neuen Herausforderun-
        wicklung von High-Tech-Waffen, Einstieg in die                                           gen, denen sich das Militär zusätzlich zu den tradi-
        Raketenabwehr und allmähliche Militarisierung                                            tionellen Bedrohungen stellen muss, hat die Mili-
        des Weltraums. Auf der anderen Seite bleibt viel                                         tärführung reagiert und strebt nun eine »Überle-
        von dem Alten bestehen (Finanzierung des F-22-                                           genheit auf der ganzen Linie« an (»full spectrum
        Kampfflugzeugs, Erhalt von Auslandsbasen u. a.).                                         dominance«): Der Katalog der Joint Vision 2020
            Dennoch bekommt die Regierung Bush insge-                                            umfasst Einsätze, die von Hilfsoperationen nach
        samt genug Ressourcen, um den militärtechni-                                             Naturkatastrophen über humanitär motivierte
        schen Vorsprung der Vereinigten Staaten vor dem                                          Einsätze, die Übernahme von Polizeiaufgaben,
        Rest der Welt immer größer werden zu lassen.                                             »friedensschaffende« Operationen bis zu atomar
        Keine andere Nation wird sie bremsen können.                                             geführten Kriegen reichen.
        Entsprechend erklärt Verteidigungsminister Rums-                                             Diese umfangreiche Erweiterung des Einsatz-
        feld, dass man schon mittelfristig seine militä-                                         spektrums geht einher mit der Abkehr von der
        rischen Strategien nicht mehr an möglichen                                               alten »Zwei-Kriege«-Doktrin. Danach sollten die
        Bedrohungen (also externen Faktoren), sondern                                            US-Streitkräfte in der Lage sein, zwei regionale
        vor allem an den eigenen Fähigkeiten (damit inter-                                       Kriege praktisch simultan zu führen und nachein-
        nen Faktoren) ausrichten wird.                                                           ander zu gewinnen (»Win-Hold-Win«-Modell).
                                                                                                 Als mögliches Szenario galt ein Parallelkrieg am
                                                                                                 Persischen Golf und auf der koreanischen Halb-
        Die Anpassung des Militärs an die neuen Bedingungen                                      insel. Dieses Szenario war aber bereits seit länge-
                                                                                                 rem von vielen Seiten als unwahrscheinlich kriti-
        Unabhängig von den konkreten politischen Ent-                                            siert worden; statt dessen wurde die Vorstellung
        scheidungen zu militärischen Einsätzen geht es                                           mehrerer unterschiedlich großer Einsätze mit
        im Augenblick vor allem darum, das Militär auf                                           divergierenden Zielen als zeitgemäßer propagiert –
        die Bedingungen der Zukunft vorzubereiten. So                                            beispielsweise ein großer Landkrieg mit der zeit-
        befindet sich das Militär derzeit – neben dem                                            gleichen Eindämmung eines Gegners und dem
        bereits lange laufenden Versuch, die klassische                                          Einsatz weiterer Truppenkontingente in einem
        Konkurrenz zwischen den vier Diensten Heer,                                              lokalen Konflikt. Diese Neuorientierung hat man
        Marine, Luftwaffe und Marines zu beenden und                                             an der Spitze des Verteidigungsministeriums nun
        eine weitgehende Interoperabilität herzustellen –                                        vollzogen. Der Paradigmenwechsel geht einher
        im Prozess, die globalen Interessen der Vereinig-                                        mit dem wahrscheinlichen Verzicht auf zahlreiche
        ten Staaten und die Machtprojektionsmöglich-                                             teure Großprojekte: Der Bau neuer Flugzeugträ-
        keiten wieder in Übereinstimmung zu bringen.                                             ger, die Entwicklung einer neuen Generation von
        Neben den klassischen Abnutzungskrieg, wie er                                            Kampfflugzeugen und anderes werden in Zukunft
        die Planungen während des Ost-West-Konfliktes                                            noch umstrittener sein als bisher, auch wenn der
        bestimmte, sind neue Formen getreten: Zunächst                                           Kongress gerade ein (allerdings gegenüber den
        die asymmetrische Kriegsführung, bei der ein                                             ursprünglichen Planungen deutlich reduziertes)
        technologisch und/oder zahlenmäßig unterlegener                                          Programm zur Beschaffung der neuen F-22-
        Gegner seine Schwäche beispielsweise durch den                                           Kampfflugzeuge beschlossen hat und die Entschei-
        Einsatz von Massenvernichtungswaffen auszuglei-                                          dungen zum Joint-Strike Fighter bevorstehen.
        chen versucht. Dies macht einen passiven und akti-                                           Neben der grundsätzlichen Modernisierung
        ven Schutz für die US-Soldaten erforderlich. Dazu                                        dieser im Grunde »alten Waffen« betreibt man ver-
        kommen Bedrohungen durch transnational agie-                                             stärkt die Entwicklung neuartiger Plattformen.
        rende Gruppen. Unterhalb von staatlichen Struk-                                          Der Grundstein dafür wurde in den 1990er Jahren
        turen häufen sich die Kämpfe um das lokale oder                                          mit der »Revolution in Military Affairs« gelegt:
        regionale Gewaltmonopol; als besondere militä-                                           Begünstigt durch die Firmenzusammenlegungen
        rische Problematik wird in diesem Zusammenhang                                           in der Rüstungsindustrie wurden neue, auf Hoch-
        immer wieder auf das Szenario möglicher Kriegs-                                          technologie basierende Waffen konzipiert, die eine
        führung im städtischen Raum der künftigen                                                bis dahin unerreichte datentechnische Vernetzung

404 Stephan Böckennförde, Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik                                             IPG 4/2001
und gleichzeitige Autonomie der Kampfeinheiten                auch der Bau unbemannter Kampfflugzeuge, die
erlauben. Diese Neuerungen machen tiefgreifende               aus der Ferne und vom Boden navigiert werden.
Veränderungen in der Einsatzstrategie erforder-                   Zugleich wird man versuchen, die eigenen
lich. Am Ende werden kleine, hochmobile Kampf-                Truppen am Boden und die eigene Bevölkerung
einheiten stehen, die – gegenüber ihren Gegnern               (sowie die der Alliierten) durch Raketenabwehr-
mit einem Informationsvorsprung versehen und                  systeme zu schützen. Dabei wird das Spektrum
über Datenaustausch miteinander vernetzt – in                 von Gefechtsfeldwaffen (wie dem Patriotsystem)
der Form von »Expeditionsstreitkräften« in allen              bis hin zu Kontinente überspannenden Systemen
Umgebungen und unter allen Bedingungen ein-                   reichen. Dahinter steht die strategische Überle-
gesetzt werden können. Gleichzeitig müssen sich               gung, dass die weitgehende Stabilität aus der Zeit
die US-Truppen aufgrund der Abhängigkeit von                  des Ost-West-Konfliktes, die für die Kernregionen
Hochtechnologie vor dann möglichen »Cyber-                    der Blöcke im Wesentlichen durch Abschreckungs-
War«-Attacken schützen können, außerdem müs-                  politik in Form gegenseitig gesicherter Zerstörung
sen die unverzichtbaren Satellitensysteme gesichert           aufrechterhalten wurde, seit längerem durch die
werden, um die notwendige Datenübertragung zu                 enorme Weiterverbreitung von Massenvernich-
garantieren. Andernfalls droht eine «Blendung«.               tungswaffen und Raketen in Frage gestellt wird.
    Um die geforderte Beweglichkeit der Truppen               Ohne einen Schutz vor raketengestützten Massen-
zu erreichen, werden neue Transportmittel wie                 vernichtungswaffen würden sich die großen
der V-22 Osprey entwickelt, der mit Schwenkro-                Mächte zur Tatenlosigkeit verdammt sehen. Rake-
toren die Transportkapazität und Schnelligkeit                tenabwehrsysteme sollen den Vereinigten Staaten
eines Flugzeugs mit den vertikalen Start- und                 eine Handlungsfähigkeit auch gegenüber denje-
Landeeigenschaften eines Hubschraubers verbin-                nigen Staaten erhalten, die auf eine asymmetrische
det. Schweres Gerät wie der Kampfpanzer Abrams,               Kriegsführung setzen. Dieses betrifft im Augen-
das sich (ursprünglich für den Landkrieg in                   blick vor allem die »Sorgenstaaten« Nordkorea,
Europa entwickelt) zwar im Wüstenterrain des                  Irak, Iran, aber auch Syrien und Libyen. Darüber
Irak bewährt hat, aber beispielsweise in den                  hinaus werden diese Waffen langfristig eine
Bergen des Kosovo nur eingeschränkt einsetzbar                wesentliche Rolle in Konflikten zwischen den
gewesen wäre, wird durch die verstärkte Ein-                  Großmächten selbst spielen, beispielsweise in
führung leichter Fahrzeuge ergänzt werden. Die                einem künftigen Konflikt mit China über Taiwan.
technologische Entwicklung wird dahin gehen,                      Die Entwicklung der Raketenabwehr ist aber
später auch unbemannte Fahrzeuge einzusetzen.                 nur ein erster Schritt in der umfassenden Militari-
    Luftangriffe werden in Zukunft aus großer                 sierung des Weltraums. Auf der einen Seite befin-
Höhe und von weit entfernt liegenden Basen aus-               det sich hier die gewaltige Achillesferse der zivilen
geführt werden. Solche Angriffe bieten die                    und der militärischen Informationsinfrastruktur
Chance, die Zahl der eigenen Opfer gering zu                  der Vereinigten Staaten (und der westlichen Welt).
halten und so die innenpolitische Akzeptanz für               Ein Ausfall ziviler Satelliten hätte unabsehbare
militärische Operationen über einen langen Zeit-              Folgen für die modernen, auf Informationsüber-
raum zu gewährleisten. Ein Beispiel dafür war der             tragung angewiesenen Gesellschaften. Ein erfolg-
Einsatz der B-2-Bomber während des Kosovo-                    reicher Angriff auf Militärsatelliten der Vereinigten
Krieges, die – über dem Atlantik betankt – aus den            Staaten würde weite Teile ihres militärischen
Vereinigten Staaten heraus operierten und ihre                Apparates lahmlegen – entsprechend warnte Ver-
Bomben außerhalb der Reichweite der serbischen                teidigungsminister Rumsfeld, der maßgeblich hin-
Luftabwehr abwarfen. Ein solches Konzept wird                 ter der Weltraummilitarisierung steht, vor einem
gerade für den pazifischen Raum von Bedeutung                 »space Pearl Harbor«. Satelliten – militärische wie
sein, in dem die Entfernungen weit und die Basen              zivile – gelte es zu schützen. Auf der anderen Seite
politisch umstritten und zusätzlich ein leichtes Ziel         bietet der Weltraum auch militärische Potenziale:
für politische Gegner sind. Der nächste Schritt               Praktisch lückenlose Bodenaufklärung wird mög-
wird im Einsatz von unbemannten Flugzeugen                    lich, Tarnungsversuche des Gegners weitgehend
bestehen. Diese werden derzeit in erster Linie für            nutzlos. Satellitensteuerung erlaubt es, Geschosse
Aufklärungszwecke entwickelt, aber geplant ist                exakt ins Ziel lenken. Schaltet man gleichzeitig die

IPG 4/2001                                              Stephan Böckennförde, Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik   405
gegnerischen Satellitensysteme aus, ist der Gegner                                       Im Ergebnis kommt es vielfach zu einer Parallel-
        selbst »geblendet«. Darüber hinaus erlaubt der                                           diplomatie, in der die Special Operation Forces –
        Weltraum die Stationierung von Waffensystemen.                                           der Kontrolle durch den Kongress weitgehend
            Im Januar 2001 fand ein erstes »Weltraum-                                            entzogen – Aufgaben des Außenministeriums
        Manöver« statt: Dabei wurde der Versuch einer                                            wahrnehmen (vor allen in Lateinamerika und in
        feindlichen Macht (mit deutlichen Parallelen zu                                          Zentralafrika) und zu einer schleichenden Militari-
        China) simuliert, als Vorstufe zu einem Boden-                                           sierung der US-Außenpolitik beitragen.
        krieg US-Satelliten auszuschalten. Bis 2015 – so die                                         Darüber hinaus bedient sich die US-Regierung
        Vorhersage der Planer – könnten sich die Vereinig-                                       zur Durchführung »semi«-militärischer Aufgaben
        ten Staaten mit einer rivalisierenden Macht                                              in diesen Ländern zunehmend privater Unter-
        tatsächlich in einer kriegerischen Auseinanderset-                                       nehmen. Deren Mitarbeiter sind vielfach ehema-
        zung im Weltraum befinden.                                                               lige Militärs, die nach dem Erreichen des niedrigen
            Jenseits der Vorbereitung auf solch – im weite-                                      Pensionsalters ihre Kenntnisse, Fähigkeiten und
        sten Sinne noch – traditionelle Einsätze im Rah-                                         nicht zuletzt Kontakte auf dem Arbeitsmarkt
        men der Staatenwelt sieht sich das US-Militär                                            anbieten. Durch das Einschalten dieser Unterneh-
        mit der Frage konfrontiert, wie man in Zukunft                                           men kann die US-Regierung als notwendig
        in »post-nationale« Konflikte eingreifen kann,                                           betrachtete politisch-militärische Aufgaben ausla-
        die in ihrer Form der ungelösten Krise auf dem                                           gern und wird zugleich nicht mehr unmittelbar
        Balkan, der Intifada in Israel/Palästina, dem                                            mit Auslandsoperationen in Verbindung gebracht.
        Krieg in Kolumbien oder den unübersichtlichen                                            Vor allem aber: Damit kann die US-Regierung dem
        Gewaltausbrüchen in einigen Teilen Afrikas glei-                                         Kongress die Kontrolle ihrer Auslandsaktivitäten
        chen werden. Bislang fehlt dem US-Militär das                                            erschweren – eine Lehre, die sie vor allem aus der
        nötige Instrumentarium, um mit diesen Konflik-                                           innenpolitischen Krise nach dem Bekanntwerden
        ten angemessen umzugehen. Da Mittel und Stra-                                            der Iran-Contra-Verwicklungen gezogen hat. Die
        tegien sich bislang im Rahmen der staatenwelt-                                           Einsatzbereiche der privaten Unternehmen sind
        lichen Kriege bewegen, sind allenfalls die Sonder-                                       relativ weit gefächert und reichen von Bau und
        einheiten (Special Operation Forces) für solche                                          Wartung elektronischer Anlagen über das Be-
        Einsätze geeignet.                                                                       sprühen von Coca-Plantagen in Kolumbien mit
            Diese Kräfte – in den 60er Jahren für Opera-                                         Pflanzengiften bis hin zur Ausbildung von Sol-
        tionen in der Dritten Welt aufgestellt – sind heute                                      daten in Entwicklungsländern. Damit nehmen
        trotz ihrer geringen zahlenmäßigen Größe und                                             die Vereinigten Staaten unterhalb der Schwelle
        ihres begrenzten Haushalts in über einhundert                                            militärischer Einsätze Einfluss in lokale und regio-
        Staaten der Welt im Einsatz. Offiziell bilden sie in                                     nale Konflikte.
        den meisten Fällen lokale Partner in der Bekämp-
        fung von Drogenproduktion und –handel aus.
        Tatsächlich aber geht ihr Einsatz viel weiter: In                                        Regionale Konfliktszenarien
        zahlreichen Staaten sind die Grenzen zwischen
        dem Drogensektor – und der Kriminalität im all-                                          In den Vereinigten Staaten kursiert unter den
        gemeinen – und dem »politischen Untergrund« so                                           Planern und Strategen eine Vielzahl von Konflikt-
        fließend, dass die Ausbildung durch die Special                                          szenarien. Einige Probleme – der Umgang mit
        Operation Forces in der Regel auf die Vermittlung                                        dem Irak beispielsweise – sind drängend. Andere
        von Techniken der Unterdrückung politischer                                              krisenhafte Veränderungen werden in aller Wahr-
        Unruhen und damit sehr stark auf ein Eingreifen                                          scheinlichkeit nicht mehr die Amtszeit von George
        in die inneren Auseinandersetzungen der jewei-                                           W. Bush betreffen, aber sie bestimmen das Den-
        ligen Staaten hinausläuft. Gleichzeitig haben die                                        ken der Planer und Strategen, was die Frage von
        USA nach 1990 das diplomatische Personal in vielen                                       Militäreinsätzen betrifft. Im Überblick besitzen
        Regionen der Welt so drastisch reduziert, dass                                           folgende Entwicklungen eine relativ große Wahr-
        häufig die örtlichen Kommandeure der Special                                             scheinlichkeit für die unterschiedlichen Weltre-
        Operation Forces die unmittelbaren Ansprech-                                             gionen:
        partner für ihre Gastgeberregierungen darstellen.

406 Stephan Böckennförde, Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik                                             IPG 4/2001
Europa                                                     Asien

Europa wird in den Planungen der amerikanischen            Für die Entwicklung in Asien existiert eine große
Militärstrategen eine zunehmend untergeordnete             Zahl unterschiedlicher Szenarien. Im Vordergrund
Rolle spielen. Es wird den Europäern überlassen,           steht meist China, mit dem sich die Vereinigten
für die Sicherheit und Stabilität in Europa und in         Staaten schon kurzfristig in einem regionalen Kon-
den angrenzenden Gebieten selbst zu sorgen. In             flikt befinden könnten.
der Spannung zwischen dem amerikanischen Kon-                  Die größte unmittelbare Gefahr geht zunächst
troll- und Dominanzbedürfnis gegenüber den                 von einer möglichen Taiwankrise aus. Zwar wird
Alliierten einerseits und dem geostrategischen             China auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein,
Prioritätenwechsel andererseits könnte am Ende             Taiwan militärisch zu erobern. Denkbar ist aber,
angesichts der auch für die USA – gerade nach den          dass China versuchen könnte, die »abtrünnige Pro-
Steuersenkungen – knappen Ressourcen der weit-             vinz« durch einen massiven Beschuss mit Kurz-
gehende Rückzug aus Europa stehen. Zwar wird               streckenraketen in Verbindung mit einer Seeblocka-
oft, gerade im Kongress, auf die Wichtigkeit               de zu einem Anschluss zu zwingen. Es wird
der europäischen Alliierten und die Pflege dieser          weder für die gegenwärtige noch für die kom-
Beziehungen hingewiesen, doch zumindest unter              menden chinesischen Führungen möglich sein,
der Regierung von George W. Bush werden diese              ihren Anspruch auf Taiwan aufzugeben. Ein
Argumente wenig gelten. Wirtschaftlich sind die            solcher Schritt würde zu einer innenpolitischen
Westeuropäer ohnedies schon lange zu Konkur-               Krise nicht mehr kalkulierbaren Ausmaßes führen,
renten der USA geworden, so dass die Übernahme             das durch die Folgen der wirtschaftlichen und
militärischer Aufgaben für das »wohlhabende«               gesellschaftlichen Öffnung zusätzlich verstärkt
Europa für die jeweilige amerikanische Regie-              würde. Darüber hinaus wäre eine Aufgabe Tai-
rung schon seit längerem innenpolitisch immer              wans ein mögliches Signal an andere Problemre-
schwerer zu vertreten gewesen ist. Mit der Ver-            gionen in China (Tibet, Xinjiang), dass der Griff
lagerung der Schwerpunkte in den asiatisch-pazi-           der Zentralregierung schwächer werden könnte.
fischen Raum und der Entwicklung von                       Diesen Eindruck wird die Regierung in Peking
Langstrecken- und Weltraumwaffen wird Europa               vermeiden müssen, um keine Sezessionskrisen zu
darüber hinaus viel von seiner Bedeutung als               provozieren. Auf der anderen Seite fühlen sich
Drehscheibe und Standort für Militärbasen ein-             die USA verpflichtet, eine durch militärische
büßen. Konflikte wie der auf dem Balkan spielen            Mittel herbeigeführte Veränderung von Taiwans
für die Vereinigten Staaten allenfalls noch des-           Status auf keinen Fall hinzunehmen. So dürfte
halb eine Rolle, weil die Verbündeten weitgehend           jede Verschärfung der Situation in der Straße von
unvorbereitet davon getroffen wurden und es                Taiwan – wie bei den Spannungen im Jahr 1996 –
zugleich einen starken innenpolitischen Druck              mit der Entsendung von Marineeinheiten beant-
zugunsten eines Einschreitens gegeben hatte. Im            wortet werden. Bei einem tatsächlichen Ausbruch
weltweiten Vergleich und mit Blick auf die mittel-         von Feindseligkeiten würden die Vereinigten Staa-
fristig erwarteten Konflikte im asiatischen Raum           ten damit unweigerlich in den Konflikt hinein-
kann der Balkankonflikt für die Vereinigten Staa-          gezogen.
ten aber nur ein Nebenschauplatz sein. Ent-                    Am Verhalten der USA gegenüber China wird
sprechend werden sie ihre Kräfte in Europa nicht           ihre Glaubwürdigkeit als globale Ordnungsmacht
mehr unnötig binden; vor allem Sicherheitsbera-            gemessen werden. Es ist beispielsweise vorstell-
terin Rice und Minister Rumsfeld drängen in                bar, dass bei etwaigen Zweifeln (so in dem Fall,
diesem Zusammenhang schon lange offen auf den              dass die Vereinigten Staaten zögerten, Taiwan vor
weitgehenden Rückzug.                                      einem militärischen Zugriff Chinas zu schützen)
                                                           die Regierung in Tokio angesichts der sino-japa-
                                                           nischen Rivalitäten dazu verleitet werden könnte,
                                                           ihre eigenen militärischen Kapazitäten dramatisch
                                                           auszubauen (bis zu einem Aufbau von Atomstreit-
                                                           kräften).

IPG 4/2001                                           Stephan Böckennförde, Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik   407
Ungeachtet der speziellen Taiwanproblematik                                              allem ihre bewährten Koalitionen (mit Japan, Süd-
      gibt es eine generelle Skepsis in den Vereinigten                                            korea und Australien) aufrechterhalten. Gleich-
      Staaten gegenüber China, die in der Vergangen-                                               zeitig wird man sich aber auch nach möglichen
      heit ständig gewachsen ist: Im letzten Jahr wurde                                            neuen Standorten für etwaige weitere Basen um-
      Chinas Regierung im Cox-Bericht (an dessen Ent-                                              sehen (sofern man nicht vollkommen auf Ab-
      stehen Cheneys Stabschef und Sicherheitsberater                                              standswaffen vertrauen wollte – eine Vorstellung,
      I. Lewis Libby maßgeblich beteiligt war) beschul-                                            die einigen »traditionellen« Militärs sehr unsympa-
      digt, umfangreiche Militärspionage in den Verei-                                             thisch ist). Eine Rückkehr auf die Philippinen wäre
      nigten Staaten vor allem auf dem Gebiet der                                                  eine Option, eine mögliche Öffnung Vietnams
      Nuklear- und Raketentechnologie betrieben zu                                                 eine andere.
      haben. Der Umgang mit den Anhängern des                                                          Vor allem aber böte sich Indonesien an. Bereits
      Falun-Gong-Kultes, die Verhaftungen chinesischer                                             heute ist die ganze Region eine Unruhezone: Die
      Wissenschafter, die ihren ersten Wohnsitz in den                                             Straße von Malakka, die für die Energieversorgung
      Vereinigten Staaten besitzen, und die Vorgänge                                               des gesamten pazifischen Raums von enormer
      um das amerikanische EP-3-Aufklärungsflugzeug                                                Bedeutung ist, ist zu einem Zentrum der Piraterie
      haben das Misstrauen der Amerikaner nur gestei-                                              geworden; Indonesien als Anrainerstaat – immer-
      gert. Trotz ihrer Verhandlungsbereitschaft über                                              hin die viertgrößte Nation der Welt und der bevöl-
      den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation                                              kerungsreichste muslimische Staat – kommt seit
      ist die US-Regierung sicherheitspolitisch kompro-                                            dem Sturz von Suharto nicht zur Ruhe. Ein weite-
      misslos.                                                                                     rer Zerfall der staatlichen Ordnung in Indonesien
          Das hat Auswirkungen auf die Entwicklung des                                             könnte die Vereinigten Staaten zu einem Eingrei-
      Verhältnisses. Denn es wird angenommen, dass                                                 fen bewegen, um die Lage zu stabilisieren und die
      China langfristig – sofern es nicht vorher an seinen                                         eigene Position in der Region zu stärken (gleiches
      inneren Widersprüchen im Rahmen der wirtschaft-                                              gilt für die Philippinen). Entsprechend haben die
      lichen Öffnung zerbrochen ist – über einen                                                   Vereinigten Staaten die Veränderungen, die sich
      Anschluss Taiwans hinaus die Stellung als die ent-                                           mit der Amtsübernahme von Megawati Sukarno-
      scheidende Großmacht Asiens anstreben wird. Das                                              putri ergaben, genutzt, um ihre Verbindungen
      beträfe zunächst den Raum des Südchinesischen                                                zum indonesischen Militär aufzufrischen.
      Meeres, der mit seinen Seewegen für die Energie-                                                 Neben China wird Indien zu einer nuklearen
      versorgung des gesamten pazifischen Wirtschafts-                                             Großmacht aufsteigen, während die innenpoli-
      raumes von größter Bedeutung ist. Es beträfe auch                                            tische Stabilität des benachbarten Nuklearstaates
      die alte Konkurrenz mit Indien. Möglicherweise                                               Pakistan weiter abnehmen wird. Denkbar wäre
      könnte China sogar in die schwach bevölkerten                                                ein Krieg zwischen den beiden Nationen um die
      Regionen des ostsibirischen Teils Russlands vorzu-                                           umkämpfte Kaschmirregion, vorstellbar in der
      dringen versuchen. Eine derartige Entwicklung, zu                                            mittelfristigen Perspektive aber auch ein Absinken
      der es im Laufe der bevorstehenden zehn bis zwan-                                            des gesamten pakistanisch-afghanischen Raumes in
      zig Jahre kommen könnte, müsste zwangsläufig                                                 Chaos. Davon wären die Nachbarstaaten Indien
      massive Gegenreaktionen der USA provozieren.                                                 und Iran, aber auch China und die südlichen
          Eine andere Frage ist die nach der Zukunft                                               GUS-Republiken sowie – aufgrund der Nähe dieses
      der beiden Koreas: Nordkorea steht im Verdacht,                                              Krisenherdes zu den Ölquellen des arabisch/kas-
      bereits jetzt über Massenvernichtungswaffen und                                              pischen Raumes – alle in der Region aktiven Ord-
      geeignete Trägersysteme zu verfügen. Sollte es                                               nungsmächte betroffen. Das militärische Eingrei-
      zu einer Vereinigung Nord- und Südkoreas und                                                 fen einer oder mehrerer Parteien wäre in diesem
      damit zu einem Zusammenführen der wirtschaft-                                                Fall praktisch unvermeidlich, zumal die Notwen-
      lichen und der militärischen Kapazitäten bei einer                                           digkeit bestünde, die pakistanischen Atomwaffen
      gleichzeitigen Schließung der US-Basen im Süden                                              vor dem Zugriff Dritter zu sichern.
      kommen, hätte auch dieses weitreichende Folgen
      für das strategische Machtverhältnis in Ostasien.
          Um ihre militärische Präsenz in der Region
      langfristig zu sichern, werden die USA daher vor

408   Stephan Böckennförde, Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik                                            IPG 4/2001
Der Nahe und Mittlere Osten                                      Sehr viel wird in der näheren Zukunft davon
                                                             abhängen, auf welche Modifizierungen des Sank-
Neben der Ungewissheit, welche Rolle langfristig             tionsregimes sich die fünf ständigen Mitglieder des
der Iran in der Region spielen wird, muss man sich           UN-Sicherheitsrates einigen und wie Saddam Hus-
vor allem mit der Frage des Palästinakonfliktes und          sein und die öffentliche Weltmeinung auf diese
des Umganges mit dem Irak auseinandersetzen. Es              neuen Entwicklungen reagieren werden. Auf der
ist anzunehmen, dass die US-Regierung sich diplo-            einen Seite ist es kaum vorstellbar, dass eine US-
matisch im Palästinakonflikt engagieren wird, um             Regierung unter George W. Bush, Richard Che-
sowohl eine geographische Ausweitung als auch                ney und Colin Powell die irakische Führung unter
eine weitere Eskalation zu verhindern. Ein militä-           Saddam Hussein noch lange gewähren lassen
risches Eingreifen von außen, wie es Präsident               wird. Andererseits hat seit dem Frühjahr 2001 der
Reagan 1982 im Falle des Libanon versuchte, ist              öffentliche Druck zugunsten einer Lockerung
dagegen sehr unwahrscheinlich – die Bindungen                oder gar Aufhebung der Sanktionen wieder spür-
an eine der beiden Seiten sind nicht so stark, dass          bar nachgelassen, so dass im Augenblick kein
man sich militärisch in einem praktisch unlösbaren           unmittelbarer Handlungsbedarf besteht und die
bürgerkriegsähnlichen Konflikt aufreiben und ver-            Vereinigten Staaten noch eine Weile an den Sank-
ausgaben wird.                                               tionen und den sporadischen Luftangriffen (for-
    Gegenüber dem Irak ist die Entwicklung der               mal als Reaktion auf Attacken der Iraker gegen US-
amerikanischen Politik uneindeutig. Im irakischen            amerikanische und britische Flugzeuge dargestellt)
Luftraum sind die USA gemeinsam mit Großbritan-              festhalten können.
nien seit zehn Jahren präsent und führen in den
Flugverbotszonen nach wie vor ihren »stillen
Krieg«, der nur in seltenen Ausnahmefällen der               Afrika
letzten Zeit in das Bewusstsein der Öffentlichkeit
rückt. Einige der heute führenden Regierungs-                Auch wenn Außenminister Powell Afrika eine
mitglieder hatten sich vor der Amtsübernahme                 große Bedeutung beimisst und im Frühjahr 2001
von George W. Bush für einen – notfalls auch                 eine längere Reise in die Region unternommen
militärisch herbeigeführten – Sturz von Saddam               hat, während Präsident Bush Erklärungen zugun-
Hussein ausgesprochen. Seitdem ist man zurück-               sten einer aktiven Afrika-Politik abgibt, ist Afrika
haltender geworden und hat sich mit der – vor                doch für die Vereinigten Staaten nach den poli-
allem von Powell befürworteten – Strategie abge-             tisch-wirtschaftlichen Bemühungen durch die
funden, über gezielte Sanktionen zumindest die               Clinton-Regierung eher wieder zu einem »ster-
irakische Militärmacht schwach zu halten. Immer-             benden Kontinent« geworden.
hin ist der Irak bereits heute über das »Food-for-               Eine mögliche Ausnahme stellt der Sudan
Oil«-Programm der Vereinten Nationen zum                     dar – allerdings vor allem aus innen-, nicht aus
sechstwichtigsten Öllieferanten der Vereinigten              außenpolitischen Überlegungen. Denn Bürger-
Staaten geworden, und seine Bedeutung für die                krieg, Hungersnot und Sklavenhandel haben eine
Weltenergieversorgung wird in den kommenden                  sehr heterogene amerikanische Koalition aus ver-
Jahren angesichts der vorhersehbaren Mehrnach-               schiedenen Interessensgruppen entstehen lassen.
frage noch weiter wachsen. Eine Verschärfung der             Die Liste reicht vom ultrakonservativen Family
Krise um den Irak ist nicht im amerikanischen                Research Center über diverse ausgesprochen pro-
Interesse, eine endlose Fortsetzung ebenfalls nicht.         minente und einflussreiche christliche Organisatio-
In dieser vorläufigen Schwebesituation unter-                nen bis zu afro-amerikanischen Bewegungen –
stützen die Vereinigten Staaten vor allem die –              allesamt Gruppen, die hochpolitisiert und ein-
wenngleich nur wenig geschätzte – irakische Exil-            flussreich sind und die seit langem eine aktivere
opposition finanziell, und es gibt immer noch                amerikanische Rolle im Sudan fordern.
Regierungsmitglieder (etwa Paul Wolfowitz), die                  Bislang ist es der Regierungsspitze – wie Clin-
sich – hinter vorgehaltener Hand – für eine gewalt-          ton zuvor in Bezug auf Ruanda und den Kongo –
same Beseitigung des irakischen Regimes aus-                 offenbar gelungen, durch kleinere diplomatische
sprechen.                                                    Erfolge den innenpolitischen Gruppen in den Ver-

IPG 4/2001                                             Stephan Böckennförde, Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik   409
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