Von der LPG zur Agrar-Fabrik - Rainer Land
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
204 Berliner Debatte INITIAL 11 (2000) 5/6 Rainer Land Von der LPG zur Agrar-Fabrik Ein Literaturbericht „Der wirtschaftliche Erfolg einer Region hängt der Sowjetunion zugrunde gelegen hatte (vgl. in hohem Maße vom ökonomischen Aufstieg Land 1992). Für unseren Zusammenhang ist ihrer Unternehmen ab.“ Diese regionalwissen- dabei zunächst auf die Größe der Agrarbetriebe schaftliche Prämisse wird durch Entwicklun- hinzuweisen. 1960 gab es 19.000 LPG mit ei- gen in den ländlichen Regionen Mecklenburg- ner durchschnittlichen Betriebsgröße von 245 Vorpommerns und Nordbrandenburgs schein- ha, die 85% der landwirtschaftlichen Nutzflä- bar widerlegt. Dort beobachten wir seit 1990 che (LN) bewirtschafteten. 1968 waren es durch den Aufstieg der erfolgreichsten Agrarunter- Zusammenschlüsse nur noch 11.500, und in den nehmen in Deutschland und gleichzeitig einen siebziger Jahren wurden mit einer weitgehen- dramatischen ökonomischen und sozialen Ab- den betrieblichen Trennung der Pflanzen- von stieg der Regionen, der bis zur sozioökonomi- der Tierproduktion Betriebe mit vier- bis fünf- schen Verödung bestimmter Regionen reicht. tausend ha LN bzw. 1.000 bis 2.000 Großvieh- Der folgende Text versucht, dieses Phänomen einheiten geschaffen (Wiegand 1994: 7f.). In aus der Vorgeschichte und den spezifischen den 80er Jahren gab es insgesamt 5.110 LPG Transformationsprozessen der neunziger Jahre und VEG, die 90% der LN bewirtschafteten und aufzuklären, und rekapituliert den derzeitigen 99% der Arbeitskräfte der Landwirtschaft be- Forschungsstand. schäftigten. Bevor im einzelnen auf die Voraussetzun- Analysiert man die Agrarwirtschaft der DDR gen der Transformation des staatssozialistischen mittels der Kriterien der Massenproduktion, so Fordismus der DDR eingegangen werden kann, ergibt sich das Bild einer staatlich organisier- sollen einige Voraussetzungen der Massenpro- ten und fast alternativlosen Ausprägung dieses duktion in der Agrarwirtschaft geklärt werden. Produktionsmodells1 in einer für den Staatsso- zialismus spezifischen Variante. Die grundsätz- lichen politischen Richtungsentscheidungen – Das Produktionsmodell der Massenpro- Bodenreform 1945–1952, Kollektivierung und duktion in der Agrarwirtschaft Aufbau der LPG 1952–1960, Konzentration und Einführung industriemäßiger Methoden bis Alle Massenproduktionsmodelle nutzen die 1983 – sollen hier nicht referiert werden (vgl. economy of scale. Die Erhöhung der Produkti- u.a. Wiegand 1994). Unumstritten ist, daß die onsmenge verteilt alle Gemeinkosten (für For- DDR über den Versuch der Vergesellschaftung schung und Entwicklung oder langlebige Pro- des Eigentums in Genossenschaften zugleich duktionsmittel beispielsweise) auf eine größe- einen qualitativen Wandel der agrarischen Pro- re Menge an Produkten, d.h. der Preis pro duktion hin zu industriemäßigen Methoden Produkteinheit sinkt. Dies wiederum ermöglicht herbeiführen wollte und teilweise auch durch- bei gegebenem finanziellen Volumen der Ein- setzen konnte. Unter industriemäßigen Metho- kommen und der daraus gespeisten Investitions- den aber wurden im Rahmen der staatssoziali- und Konsumtionsfonds eine wachsende Nach- stischen Planwirtschaft immer die Methoden frage in Naturaleinheiten. Zugleich aber stei- einer bestimmten Etappe der Entwicklung des gen wegen der Produktivitätserhöhung im Prin- Industriesystems verstanden, nämlich die fordi- zip auch die Gewinne und die Einkommen – in stische Massenproduktion, die schon dem Para- welcher Verteilung auch immer – und damit digma der stalinistischen Industrialisierung in die Nachfrage nach Investitions- und Konsum-
Von der LPG zur Agrar-Fabrik 205 gütern, finanziell ausgedrückt. Entscheidend ebenfalls eine Rolle, aber weniger wegen der also ist ein sich selbst verstärkender Prozeß, Kostendifferenzen (Transport ist noch sehr teu- der auf der Rückkopplung von Produktivitäts- er), sondern wenn die Originalität und Qualität steigerung, Kostensenkung, Einkommensstei- der Produkte auf fernen Märkten hohe Preise gerung, Nachfragewachstum und Produktions- ermöglichten. ausstoß beruht. Er führt in spezifische Pfade Dieser Typ eines Agrarbetriebs existierte in der Selbstreproduktion der Wirtschaft und zu regional verschiedenen Gestalten. Eine Form davon bestimmten Gestalten der Produktion und war die vorkapitalistische Gutswirtschaft mit der Schnittstellen – zu den Märkten, zur Natur, einem Netzwerk feudal abhängiger Bauern, in zur Lebensweise, zu Politik, Wissenschaft u.a. der die Gemeinde2 mit dem Gut und seinem Innovationen werden in diesem Kontext bewer- Netzwerk von Bauernwirtschaften und Verar- tet und selektiert, d.h. es setzen sich diejenigen beitungsbetrieben identisch war; der Gutsbe- Inventionen durch, die den Funktionskreis von sitzer fungierte faktisch auch als Herr der Ge- Produktivitätssteigerung, Gewinn- bzw. Ein- meinde, und der wirtschaftliche Kreislauf war kommenszuwachs und Nachfragewachstum der konstitutive Gegenstand des Gemeinde- verstärken. Dieser Prozeß funktioniert so lan- zusammenhangs. In Gemeinden mit autonom ge, bis er seine externen Voraussetzungen (öko- wirtschaftenden Bauernhöfen, einer zweiten logische, soziale, politische, kulturelle o.ä.) Form des multifunktionalen Agrarbetriebs vor untergräbt und aufhebt. Dies äußert sich nach der Massenproduktion, war der wirtschaftliche längerer Zeit in überproportionalen Steigerun- Kreislauf der einzelnen Betriebe kein Gegen- gen bestimmter Arten allgemeiner Kosten (bei- stand kollektiver Regelung; die kommunikati- spielsweise ökologischer oder sozialer), die die ve Regulation bezog sich auf die Schnittstellen Kostensenkungseffekte der economy of scale der einzelnen wirtschaftlichen Kreisläufe, also übersteigen. Solche Krisen können zu Anpas- etwa die Nutzung der Allmende (Wasser, Wald sungen und Pfadwechsel führen. und Wiese), die Fluraufteilung, die Saattermine Die spezifische Gestalt dieses Funktions- und Fruchtfolgen, die Wege usw. Diese Ge- kreises und seiner Schnittstellen in der Agrar- meinden wurden durch die Gemeindeversamm- wirtschaft soll zunächst durch die Differenz zu lung und den Wettbewerb der stärksten Bauern einem idealtypisch gedachten Modell eines be- (als wirtschaftlich autonomer Personen) um reits marktorientiert arbeitenden multifunktio- ihren Einfluß in der Gemeinde geprägt. In selb- nalen Agrarbetriebes beschrieben werden, der ständigen Kooperativen von Kleinbauern als keine Massenproduktion betreibt. Der multi- dritter Variante – z.B. in Weinbaugebieten an- funktionale Agrarbetrieb produzierte eine breite zutreffen – war wiederum der gemeinsam zu Palette originaler Hofprodukte, zumeist End- gestaltende wirtschaftliche Kreislauf konstitu- produkte, in vergleichsweise geringen Chargen, tiv für den Gemeindezusammenhang, der hier hatte eine hohe Fertigungstiefe, denn der größ- aber nicht durch den Gutsherren oder die Hier- te Teil der Vorprodukte, Vorleistungen und archie freier Bauern konstituiert wurde, son- Verarbeitungsstufen zum Endprodukt wurde dern durch die Beziehung wirtschaftlich nicht selbst erbracht. Wissen und Innovationskom- autonomer Genossen innerhalb eines Produkti- petenz für diese Originalprodukte waren im ons- und Gemeindekollektivs. Betrieb verankert und wurden tradiert. Der ur- Voraussetzung des Übergangs zur Massen- sprüngliche Subsistenzbezug ist noch nicht produktion in der Agrarwirtschaft waren die völlig verschwunden, aber die Produktion für Industrialisierungsprozesse im letzten Drittel den Markt ist die Existenzgrundlage des Be- des 19. Jahrhunderts, in denen eine schnell triebes. Dabei handelt es sich in erster Linie um wachsende Lohnarbeiterklasse entstand. Deren relativ nahe regionale Märkte, auf denen eine spezifische Arbeits- und Lebensweise (Groß- vergleichsweise breite Produktpalette angebo- siedlungen mit Mietshäusern, Kleinfamilien und ten wird. Da ein relevanter Teil des Absatzes Kleinhaushalte, Kauf möglichst weitgehend direkt an Endverbraucher verkauft wurde, blieb fertiger Konsumgüter anstelle einer umfangrei- die Originalität und Qualität des hofspezifischen chen Hauswirtschaft mit hohem Subsistenz- Endprodukts eine entscheidende Voraussetzung anteil und umfangreicher Eigenarbeit) war die wirtschaftlichen Erfolgs. Fernabsatz spielte nachfrageseitige Voraussetzung einer Nah-
206 Rainer Land rungsmittelindustrie, die vorgefertigte standar- denen differenzierten agrarischen, handwerk- disierte Lebensmittel in größeren Mengen her- lichen und urbanen Strukturen (vgl. Herrigel stellte und in die entstehenden Ballungsgebiete 1996; Bluhm 1999), in denen die Realteilung lieferte, und die eine Massenproduktion von als typisches bäuerliches Vererbungsrecht galt, Getreide, Zucker, Kartoffeln, Milchprodukten, blieb es beim zumeist kleinen agrarischen Fa- Schlachtvieh u.a. erforderlich machte (vgl. Lutz milienbetrieb, der erst später durch die Mas- 1984; Wittemann 1996). senproduktion überformt wurde, dabei aber Historisch erfolgte der Übergang zur Mas- wichtige Traditionsbestände (beispielsweise die senproduktion zunächst neben den bestehen- Familienarbeitsordnung) beibehielt. den multifunktionalen Landwirtschaftsbetrie- Die Verallgemeinerung der Massenproduk- ben. In den noch nicht oder erst spät industria- tion im Agrarbereich erfolgte erst mit dem lisierten Regionen des nördlichen Mitteleuro- Übergang zum fordistischen Regulationsregime pa hatten die Gutsbetriebe dabei eine Schlüssel- nach dem Zweiten Weltkrieg. Die makroöko- funktion. Hier konzentrierten sich die innova- nomische und sozialstrukturelle Voraussetzung tiven Prozesse, die für die Umstellung auf das der fordistischen Massenproduktion umfaßt erste Modell der agrarischen Massenprodukti- eine spezifische institutionalisierte Rückkopp- on erforderlich waren: moderne Verfahren in lung der Einkommen, vor allem der Lohn- und Pflanzen- und Tierproduktion, Maschinen und Transfereinkommen, an die Produktivitäts- neue Sorten, Anwendung von Lohnarbeit, be- entwicklung. Dies löste in den fünfziger, sech- triebsexterne Zulieferer wichtiger Hilfsstoffe, ziger und frühen siebziger Jahren einen auf Verbindung von Landbau mit der innerbetrieb- Massenproduktion beruhenden, sich selbst tra- lichen oder externen Verarbeitung in vergleichs- gender Wachstumsschub aus. Die formelle und weise großen Einheiten wie Zucker- und Stär- informelle Bindung der Lohneinkommen an die kefabriken, Brauereien, Brennereien, Groß- Produktivitätsentwicklung wurde ergänzt und mühlen, Molkereien u.ä. Entscheidend an die- gestützt durch den Wohlfahrtsstaat, also durch ser ersten historischen Variante der Massen- eine zum fordistischen Wachstum der Wirt- produktion war, daß hier mehrere Produktions- schaft paßfähige Regulation der Staatsfinanzen linien der Pflanzen- und Tierproduktion und und der Rahmenbedingungen, der Steuern und der Verarbeitung kombiniert zur Massenpro- Subventionen, der staatlichen Investitionen und duktion transformiert wurden und die entspre- der Transfereinkommen, die „dynamisiert“ chenden Schnittstellen zu den Güter- und Ar- sind, d.h. an die allgemeine Lohnentwicklung beitsmärkten, zu Forschung und Entwicklung, gekoppelt werden. Die damit erreichte soziale aber auch zur ländlichen Gesellschaft insgesamt Stabilität (Kompromiß und pragmatischer In- „erfunden“ wurden. Die Großagrarier des spä- teressenausgleich vor allem zwischen Kapital ten 19. und des 20. Jahrhunderts waren innova- und Arbeit, aber auch differenzierter; z.B. zwi- tive Unternehmer und die Güter Zentren der schen Erwerbstätigen und Senioren, Erwerbs- Modernisierung der ländlichen Gesellschaft, die tätigen und Arbeitslosen, gesunden Erwerbstä- seit Mitte des 19. Jahrhunderts einen tiefgrei- tigen und Kranken, alten und neuen Industrie- fenden Wandel durchmachte. Wegen der Kom- branchen, Wirtschaft und Agrarwirtschaft, Stadt bination verschiedener Produktionslinien und und Land usw.) beruht auf einem arbeitsproduk- Funktionen (die innovativen eingeschlossen) tivitätszentrierten Entwicklungspfad der Mas- bildeten die Güter in den Regionen Nordmittel- senproduktion, der die ökonomischen Skalen- europas die Zentren des Netzwerks der ländli- effekte in spezifischer Weise nutzt, vor allem chen Wirtschaft insgesamt, und sie vermittel- durch Senkung der Arbeitskosten pro Produkt- ten den Zusammenhang zu den kleineren Bau- einheit. ernwirtschaften und zur Zuliefer- und Verarbei- Dieser makroökonomische Zusammenhang tungswirtschaft. Dieses von Gütern dominierte wirkt primär in der Produktion industrieller Geflecht ländlicher Unternehmen bestimmt Massengüter, vor allem industrieller Konsum- auch die Schnittstellen zu den ländlichen Ge- güter: PKW, Haushaltsgeräte, Elektrotechnik, meinden, also den Dörfern und Landstädten. Elektronik, Fertigprodukte der Lebensmittel- In süddeutschen Regionen mit dezentralen industrie und der Haushaltschemie u.ä. Er ver- industriellen Ordnungen, vorindustriell entstan- ändert aber auch die eigentliche Agrarproduk-
Von der LPG zur Agrar-Fabrik 207 tion. Hier gibt es jedoch zwei grundsätzliche duktion standardisierter Agrarprodukte hin. Probleme. Erstens produziert auch eine noch Neben den Gütern wurde der mittlere Famili- so sehr technisierte Landwirtschaft immer mit enbetrieb so zu einem zweiten Typ des Massen- einer in der Natur gegebenen, vorgefundenen produzenten, der aber (anders als die Landgü- ,Maschinerie‘: Tieren, Pflanzen, Erde, Sonne, ter) im Prinzip durch Spezialisierung auf sehr Wasser, Wind, letztendlich dem Ökosystem wenige Produktlinien auf dieses Produktions- insgesamt. Daraus ergeben sich bestimmte un- modell umgestellt werden mußte. Dieser Über- aufhebbare Anforderungen und Besonderhei- gang war und ist in vielen Fällen ein vergleichs- ten. Boden ist immobil, eine bestimmte Kom- weise prekärer Prozeß, weil sich viele dieser plexität des Naturprozesses kann nicht unter- Betriebe im Rahmen eines Massenproduktions- schritten werden. Der Naturkreislauf funktio- modells am Rande der Wirtschaftlichkeit be- niert nur, wenn ein Minimum an Produkt- und wegen. Insofern unterscheiden sich die Vari- Prozeßkombinationen eingehalten wird, bei- anten der Massenproduktion in Nordmittel- spielsweise Fruchtfolgen und Bearbeitungs- europa erheblich von denen in Südwesteuropa. schritte. Wenn in A-Dorf Rüben gesät wurden, Später kam die Agrarfabrik als weiterer Typ dann kann man diese nicht in Thailand hacken hinzu. und in Brasilien ernten lassen. Dies hat wieder- a) Das inzwischen noch einmal modernisierte um ökonomische Folgen, z.B. Lage- und Bo- Agrargut stellt standardisierte Massenproduk- denrenten, also Erlösanteile, die weder von der te auf der Grundlage eines relativ komplexen Leistung noch von der Innovativität des Agrar- landwirtschaftlichen Kreislaufs der Pflanzen- betriebes abhängen. Massenproduktion in der und Tierproduktion her und hält in vielen Fäl- Landwirtschaft muß nicht nur Beschränkungen len selbst innovative Kompetenzen vor. Aller- bei der tayloristischen Zerlegung der Arbeits- dings befinden sich solche Betriebe seit den prozesse bewältigen, sondern auch die Beson- siebziger Jahren zunehmend in schwierigem derheiten von Märkten, in denen die Erlöse zwar wirtschaftlichen Fahrwasser, es sei denn, sie auch durch Skaleneffekte und Arbeitsproduk- transformieren sich zu Agrarfabriken oder zu tivitätssteigerung bestimmt werden, aber eben- Betrieben mit Sonderfunktionen im Netzwerk so von Faktoren abhängen, die durch massen- der Massenproduktion (Zucht, Saatgut u.ä.). produktionsorientierte Innovationen nicht ver- b) Der an der Massenproduktion orientierte ändert werden können. Massenproduktion in mittlere Familienbetrieb könnte überleben, der Agrarwirtschaft funktioniert nur, wenn eine wenn er sich auf eine kleine Produktpalette in entsprechende Regulierung der Naturnutzung noch ausreichenden Losgrößen spezialisierte, (etwa Bodenrecht und Bewirtschaftungsrege- aber nur, weil er bestimmte Vorteile der Identi- lungen) erfolgt und wenn die mit natürlichen tät von Familie, Eigentümer und Arbeitsper- Gegebenheiten verbundenen ökonomischen sonal mit Hilfe der EU-Agrarsubventionen nut- Differentiale durch ein Subventionssystem aus- zen kann. Ob dieser Typ von Unternehmen lang- geglichen werden. Die Verallgemeinerung der fristig in der Lage ist, die weiteren Rationalisie- Massenproduktion in der Agrarwirtschaft war rungsschübe im Bereich der Massenprodukti- daher in Westeuropa mit dem umfangreichsten on erfolgreich mitzumachen, bleibt eher zwei- Regelungs- und Subventionssystem der Ge- felhaft. Die entscheidende Grenze für die Ra- schichte des Kapitalismus verbunden. Das EU- tionalisierung der Arbeit – die Größe des im Agrarsystem regelt von den Produktstandards Kern an der Familie orientierten Belegschafts- über die zulässigen Produktionsverfahren und körpers – kann er kaum überwinden, ohne sein die Marktordnungen bis zu den Agrarpreisen Grundprinzip aufzugeben. faktisch alles. c) Die Agrarfabriken, die manchmal aus den Nur unter dieser Voraussetzung konnte sich Agrargütern hervorgegangen sind, meistens das Modell der Massenproduktion auch in den aber Neugründungen darstellen, deren Kapital klein- und mittelbäuerlich geprägten Regionen in vielen Fällen nicht aus der Agrarwirtschaft, durchsetzen. Deutlich erkennbar wirken die sondern dem Handel oder der Verarbeitungs- Agrarmärkte und die Agrarpolitik in der EWG wirtschaft stammt. Hierbei handelt es sich um (der späteren EG bzw. EU) in den fünfziger bis große Einheiten mit Spezialisierung und ideal- siebziger Jahren auf die Ausweitung der Pro- typisch mit Durchrationalisierung einer einzi-
208 Rainer Land gen Produktlinie. Sie haben eine geringe Fer- ditionelle Modell der Agrarwirtschaft beibehiel- tigungstiefe und betreiben mit eingekauften ten. Aber auch Güter, die sich auf Sonder- Vorleistungen die Massenproduktion eines ein- kulturen und Spezialfunktionen orientierten, zigen oder sehr weniger Standardprodukte: spielten eine Rolle. Eine Modernisierung kom- Eierfabriken, Mastbetriebe (Schweine, Puten plementärer Entwicklungen setzte bereits in den u.a.), Ferkelfabriken, Färsenaufzuchtbetriebe, siebziger Jahren ein, das umfassendste Beispiel Milchfabriken usw. Ein weiteres Feld ist der dürfte das Waldviertel in Österreich sein (Ban- Gartenbau in Großanlagen, beispielsweise in ge 1998). Heute kann man neben den Resten Holland. Inzwischen finden sich solche Mo- multifunktionaler Agrarbetriebe einen Teil des delle auch in der Pflanzenproduktion. Flächen ökologischen Landbaus und verschiedene Pro- in teilweise weit auseinander liegenden Regio- jekte der integrierten ländlichen Entwicklung nen werden aufgekauft und durch mobile Ar- dem komplementärem Sektor zurechnen. beitsgruppen bestellt bzw. abgeerntet (sog. Tief- lader-Landwirte). Außerhalb dieser Einsätze sind solche Unternehmen am Ort nicht präsent, Massenproduktion in der Agrarwirtschaft die Produktionssteuerung wird durch ein zen- der DDR trales Management durchgeführt. Von den Gü- tern unterscheiden sich die Agrarfabriken durch Eine Verallgemeinerung der landwirtschaftli- die Reduktion der Produktionskomplexität, von chen Massenproduktion finden wir nach dem den Spezialbetrieben durch die Größenordnung, Zweiten Weltkrieg auch in den staatssozia- die Lohnarbeitsordnung und das Fehlen einer listischen Gesellschaften. Im Kern scheint der bäuerlichen Betriebstradition und Identität. Unterschied zwischen der westlichen und der Anders als Güter und Spezialbetriebe sind sie staatssozialistischen Variante der Massenpro- kaum regional verankert, d.h. ihre Einbindung duktion in der Art der Rückkopplung von Pro- in wirtschaftliche Netzwerke erfolgt auf den duktivitäts- und Nachfragesteigerung zu liegen. europäischen Märkten ohne starke Verankerung Während diese im Westen über die Regulie- in der lokalen Wirtschaft und den Gemeinden rung der Einkommen und Transfers vermittelt ihres Standortes. Der landwirtschaftliche Kreis- wird, sind hier der staatliche Planungsapparat, lauf existiert nur noch in den Verflechtungen die staatliche Abnahmegarantie zu kostendek- außerhalb des Betriebes, er ist kein innerbe- kenden Erzeugerpreisen und das Interesse der triebliches Organisationsprinzip und insofern Betriebe am Zugang zu Ressourcen (Investiti- gefährdet. onsgütern und Arbeitskräften) die entscheiden- den Mittelglieder. Das Paradigma der Massenproduktion ist nur a) Die Orientierung auf die Massenproduk- hinreichend beschrieben, wenn auch komple- tion relativ weniger Standardprodukte ergab mentäre Entwicklungen als Funktionsbedin- sich aus dem Steuerungsziel der Planungs- gungen der Massenproduktion begriffen wer- gremien, das eine Selbstversorgung mit Nah- den. Ansatzpunkt komplementärer Entwick- rungsmitteln und Agrarrohstoffen vorsah. Dar- lungspfade sind die speziellen Voraussetzun- aus folgten eine Bewirtschaftung auch ertrags- gen und die Lücken, die die Massenproduktion schwacher Böden und ein äußerst hoher Tier- mit ihrem Produktionsparadigma nicht selbst bestand, der temporär die Möglichkeiten der füllen kann, weil sie für eine Reihe von Be- Futtermittelproduktion überschritt. „Die vor- dürfnissen keine wirtschaftlich effizienten Lö- herrschende Naturalplanung ... förderte auch sungen hat. Sonderkulturen und Produkte in in der Landwirtschaft eine sogenannte ‚Tonnen- spezifischen Qualitäten in geringen Chargen ideologie‘“, d.h. der Erfolg der Betriebe maß erfordern eine andere Rationalisierungs- und sich nicht am Überschuß der Erlöse über die Modernisierungsstrategie.3 Da diese Potentia- Kosten, sondern primär an der „hergestellten le gerade die Defizite der agrarischen Massen- Gütermenge“ (Wiegand 1994: 11). Dem ent- produktion für ihre Entwicklung nutzen, set- sprach ein System staatlich festgelegter und weit zen sie die Dominanz der Massenproduktion über den Weltmarktpreisen liegender Erzeuger- zugleich voraus. Dieses Feld wurde zunächst preise, die erheblich über den Endverbraucher- vor allem von Betrieben ausgefüllt, die das tra- preisen der DDR lagen. Die Agrarbetriebe wur-
Von der LPG zur Agrar-Fabrik 209 den im Prinzip nicht über direkte Subventionen c) Für das Produktionsmodell der Massen- gestützt. Vielmehr wurden kostendeckende produktion in Großbetrieben, die auf der Inte- Preise festgelegt, und die Endverbraucherpreise gration mehrerer Massenproduktionslinien und für die Bevölkerung wurden aus Mitteln des der erforderlichen Sonderbereiche beruhen, ist Staatshaushalts abgesenkt. Volkswirtschaftlich auch die Verteilung der Beschäftigten auf ver- bestand so kaum ein Anreiz zur Senkung der schiedene Bereiche charakteristisch. Lehm- Produktionskosten. Im Unterschied zu markt- bruch/Mayer (1998: 342) geben dazu an: „In bzw. kapitalwirtschaftlich geprägten Modellen den Betriebsbereichen, die im Fall der Land- der Massenproduktion stand nicht die Gewinn- wirtschaft nicht der Primärproduktion zuzurech- maximierung durch Kostensenkung im Vorder- nen sind, waren etwa 40% der Erwerbstätigen grund, sondern die Maximierung der erzeugten beschäftigt.“ Ferner waren beschäftigt: in Werk- Produkte. Allerdings ist eine ähnliche Tendenz statt, Reparatur, Bau, Lager etc. 16%; in der auch für die hochsubventionierte Agrarwirt- Verwaltung und Leitung 12%; in der Neben- schaft der EU in den siebziger und achtziger produktion wie Tischlerei, Pferdezucht, Tank- Jahren zu beobachten. stellen etc. 7%; im Kultur- und Sozialbereich b) Nicht nur die Trennung von Tier- und 5% (ebenda, Anm. 22). Pflanzenproduktion, auch andere strukturelle d) Zwischenbetriebliche Einrichtungen wie Merkmale verweisen auf das Massenprodukti- die Agrochemischen Zentren (ACZ), die Melio- onsmodell und die Lohnarbeitsordnung. Dazu rationsgenossenschaften (MG) und die Kreis- gehören innerbetrieblich die Bildung von Bri- betriebe für Landtechnik (KfL) erbrachten spe- gaden mit relativ spezialisierten Arbeitsauf- zialisierte Vorleistungen. Dies entsprach einer- gaben und ein entsprechendes Berufsausbil- seits dem fordistischen Produktionsmodell, ins- dungssystem, der Übergang zu geregelten Ar- besondere weil es sich hier um Leistungen han- beitszeiten und zur Schichtarbeit in den Groß- delte, die ein spezielles Know-how verlangten. viehanlagen und den großen Kampagnen der Andererseits ist ihre Ausgliederung aus den Pflanzenproduktion (Wiegand 1994: 23; Goll- LPG auch ein Ausdruck von Funktionsdefiziten nick et al. 1990: 47). Forschung und Entwick- des planwirtschaftlichen Systems. Insbesonde- lung sowie bestimmte Vorleistungen wurden re der Mangel an Landmaschinen und Dünge- aus den Massenproduktionsbetrieben ausgela- mitteln und die daraus folgende Tendenz der gert und durch die neben den LPG existieren- LPG und VEG, solche knappen Ressourcen si- den staatseigenen VEG übernommen. Sie hat- cherheitshalber zu horten, die den Mangel noch ten ihre Aufgaben in der Zucht, der Saatgut- verschärfte, bewegten die SED-Agrarpolitiker produktion und der Erarbeitung „industrie- zur Gründung solcher überbetrieblichen Ein- mäßiger Methoden“ des Wirtschaftens. Durch richtungen, die durch die Planungsadministra- das dem Landwirtschaftsministerium unterstell- tion direkt gesteuert werden konnten (vgl. Ge- te Industriekombinat „Fortschritt“ wurde eine bauer 1990: 86). Palette spezialisierter großer Landmaschinen e) Der Absatz der erzeugten Produkte der und Traktoren entwickelt. Der Landbau entwik- Landwirtschaft wurde durch die von der Pla- kelte eine Typenreihe von Ställen für die Mas- nungsadministration gesetzten Vorgaben si- senviehhaltung, z.B. Milchviehställe für 400 bis chergestellt und bedurfte keines besonderen 800 und später für 4.000 Rinder, Aufzuchtan- Marketings der Agrarbetriebe. Jedem Betrieb lagen usw. Die Produktionssteuerung in den wurde weitgehend vorgegeben, an wen er sei- Kampagnen (vor allem in der Getreideernte, ne Produkte „planmäßig“ zu liefern hatte. Die aber auch bei der Frühjahrsbestellung, der Mais- Verarbeitungswirtschaft war in vielen Berei- silageherstellung u.ä.) erfolgte in regionalen chen ebenfalls am Modell der Massenproduk- überbetrieblichen Gremien. Wir haben es also tion orientiert, es gab aber auch Ausnahmen; mit einem Massenproduktionsmodell zu tun, z.B. existierten im Bereich der Bäckereien und das analog zur gutswirtschaftlichen Variante auf Fleischereien neben großen Brotfabriken und die Integration mehrerer Produktionslinien und Fleisch- und Wurstkombinaten auch Hand- möglichst vieler Funktionen setzt. Hinzu kommt werksbetriebe, die einen vergleichsweise ge- aber noch eine entsprechende staatliche Steue- ringen, aber steigenden Marktanteil hatten. Die rung der Produktionskreisläufe. lebensmittelverarbeitenden Betriebe der DDR
210 Rainer Land werden als weitgehend verschlissen einge- vorher typisch war, wird auf staatssozialistische schätzt. Die Struktur der Agrarpreise hatte eine Art reproduziert und transformiert. Der Betrieb nachteilige Wirkung auf die Fondsreproduktion dominiert nicht nur die Gemeinden seines Ein- in diesen Bereichen, staatlich finanzierte Mo- zugsbereichs, er erfüllt selbst eine Reihe der dernisierungsinvestitionen blieben auf wenige Funktionen der Gemeinde und tritt partiell an Großprojekte – wie das Fleischkombinat Ebers- deren Stelle (Infrastruktur, soziale Leistungen walde – beschränkt. etc.). 4 Die Gemeinde verliert damit aber fak- f) Zur Geschichte des staatssozialistischen tisch ihre Unabhängigkeit. Unter staatssozia- Fordismus gehörte auch immer die Ausbildung listischen Bedingungen ist die Beherrschung der spezialisierter Funktionen innerhalb der Betrie- Gemeinden durch dominante landwirtschaftli- be, die der Überwindung von Engpässen bei che Großbetriebe nicht nur durch deren wirt- der Sicherstellung der Produktionsbedingungen schaftliche Bedeutung gegeben, sondern auch oder den Infrastrukturvoraussetzungen dienten politisch gewollt und in bestimmtem Maße so- und die unter dem Gesichtspunkt der Kosten in gar – z.B. über die Parteiorganisationen und einer Marktwirtschaft betriebsexternen Dienst- die Landwirtschaftsräte – institutionalisiert. leistern oder dem Staat bzw. den Kommunen h) Komplementäre Bereiche sind in diesem überlassen worden wären. Neben den umfang- Produktionsmodell unterentwickelt, was sich reichen Reparaturwerkstätten, Bau- und Trans- zunächst an der Unterversorgung mit Sonder- portabteilungen spielten auch soziale Dienst- kulturen und Spezialprodukten zeigt. Als Re- leistungen eine Rolle: Versorgung mit knap- servoir sind einmal die Nebenwirtschaften zu pen Konsumgütern, Betriebsküchen, Kindergär- nennen, die einen erheblichen Teil etwa der ten, Kulturhäuser usw. Neben dem sozialisti- Produktion von speziellen Kräutern, Obst und schen Verständnis der Arbeit und des Betrie- Gemüse sowie speziellen Fleischsorten abdeck- bes als Zentren der sozialen Integration gab es ten. Aber auch in den großen Agrarbetrieben dafür auch einen handfesten Grund in dem spe- fanden sich immer auch Abteilungen, die dem zifischen Produktionsmodell. Unter den Vor- komplementären Sektor zuzurechnen sind (sie- aussetzungen einer auf Maximierung der Pro- he unter f). duktionsmenge ausgerichteten volkswirtschaft- lichen Steuerung, die Kostengesichtspunkte Auch wenn es im Detail noch offene Fragen einerseits vernachlässigte und andererseits auch geben mag, so verweisen diese Merkmale hin- keine Instrumente hatte, diese in der Planung sichtlich der Arbeitsorganisation und der Ge- wirkungsvoll geltend zu machen, war die Ak- staltung wichtiger Schnittstellen auf ein for- quisition möglichst vieler Produktionsfaktoren distisches Massenproduktionsmodell mit Be- – und an erster Stelle vieler Arbeitskräfte – eine sonderheiten, die sich aus der staatssoziali- rationale Strategie aller Betriebe, nicht nur in stischen Wirtschaftsordnung und der planwirt- der Landwirtschaft. Da an den mehr oder weni- schaftlichen Allokation und Verteilung der ger staatlich geregelten Löhnen nur bedingt Ressourcen ergeben. angesetzt werden konnte (in den LPG noch eher Betriebswirtschaftliche Rentabilitätsverglei- als in volkseigenen Betrieben), war das Niveau che der DDR-Agrarbetriebe mit westdeutschen der sozialen Betreuung und Versorgung ein Betrieben sind kaum möglich. Die Erträge in wichtiger Faktor zur Bindung und Anwerbung Naturalkennziffern (Getreideeinheiten pro ha, neuer Arbeitskräfte. Zudem geboten das spärli- täglicher Zuwachs in der Mast u.ä.) lagen in che Konsumgüterangebot in manchen Berei- allen wichtigen Bereichen der Tier- und Pflan- chen und noch mehr der unterentwickelte zenproduktion unter denen in Westdeutschland. Dienstleistungsmarkt, Kompensationen inner- Als Gründe werden neben den im Durchschnitt halb der Betriebe anzubieten, um die Repro- ungünstigeren natürlichen Voraussetzungen die duktion und Motivation der Arbeitskräfte si- Defizite an Ausrüstung, Dünger, Pflanzen- cherzustellen. schutzmitteln, Futtermitteln und Zusatzstoffen, g) Dieser Aspekt hat aber weitreichende aber auch fehlende Leistungsanreize, unzurei- Konsequenzen für das Verhältnis von Betrie- chende Motivation und Organisationsprobleme ben und Gemeinden. Die Dominanz des Gutes angeführt (vgl. Wiegand 1994: 25). Anderer- über die Gemeinde, wie sie für Gutsdörfer schon seits wurden relativ mehr Flächen bewirtschaf-
Von der LPG zur Agrar-Fabrik 211 tet, und der Anteil an Ackerland gegenüber (GmbH, eG, AG u.a.; vgl. Wiegand 1994: 38; Wiesen und Weiden war deutlich höher. Lehmbruch/Mayer 1998: 346). „Ein zentrales In den achtziger Jahren nahmen die Proble- Element der Transformation, nämlich die Ent- me zu: Verschleiß der Anlagen und Maschi- scheidung über Art und Umfang der Dekollek- nen, Mangel an Investitionsgütern, Überbesatz tivierung, erfolgte damit ... dezentral und unab- an Vieh und damit verbundener Mangel an hängig von einem staatlich gesteuerten Priva- Futtermitteln, Überlastung der natürlichen Res- tisierungsverfahren, das heißt durch die Betrof- sourcen und damit verbundene Umweltzer- fenen selbst.“ (Clasen 1997: 411) störung, Organisationsprobleme in zu großen Wegen der bekannten Probleme kleiner bäu- Betrieben der Pflanzen- und Tierproduktion. erlicher Familienbetriebe in Westdeutschland, Die DDR-Landwirtschaft stand vor dem Erfor- der Unsicherheit der Märkte, des geringen Ei- dernis eines Strukturwandels, der aber unter den genkapitals, der Spezialisierung innerhalb der gegebenen politischen und ideologischen Vor- landwirtschaftlichen Berufe und weiterer, auch aussetzungen nicht in Gang kommen konnte. sozialpsychologischer Gründe entschieden sich nur wenige zur Gründung eines eigenen land- wirtschaftlichen Familienbetriebes (vgl. Wil- Die Transformation lisch et al. 1996; Willisch/Brauer 1997). Zu- des DDR-Agrarsektors nach 1990 dem waren die Entscheidungen der LPG als Ge- nossenschaften nicht nur von den Eigentümern Die Transformation der DDR-Agrarwirtschaft des Bodens abhängig, die teilweise gar keine nach 1990 bildet für Lehmbruch und Mayer aktiv mitarbeitenden LPG-Mitglieder mehr einen wichtigen Referenzfall für die Analyse waren, sondern auch von den Mitgliedern, die sektoraler Transformationspfade. Im Unter- keinen Boden besaßen. Für diese kam die Grün- schied zur Industrie oder dem Gesundheitswe- dung eines Familienbetriebes mangels Boden- sen wirkte hier eine starke Eigendynamik. Der eigentum kaum in Frage, die Auflösung der LPG „Transfer der sektorspezifischen Institutionen bedeutete hingegen den Verlust des Arbeits- Westdeutschlands“ stieß „auf Hindernisse ..., platzes. welche die Akteure aus der alten Bundesrepu- Im Ergebnis der Transformation entstanden blik offensichtlich nicht antizipiert hatten“ Unternehmensgrößen und -strukturen, die den (1998: 333). Neben den allgemeinen politischen westdeutschen kaum entsprechen. Lehmbruch und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wer- und Mayer stellen fest, „daß sich unter den den in der Literatur für den Agrarsektor folgen- Bedingungen eines außerordentlich starken de Transformationselemente beschrieben: marktgesteuerten Selektionsdrucks trotz der Die Transformation der Eigentumsordnung, ihnen gebotenen Vergünstigungen nur ein re- der Rechtsform der Unternehmen und ihrer lativ begrenzter Teil der restitutionsberechtigten Größe und Struktur ist primär durch die Wie- ehemaligen LPG-Mitglieder dafür entschied, ... derherstellung des Privateigentums geprägt. Im aus der Kollektivwirtschaft auszuscheiden und Unterschied zur volkseigenen Industrie war als ,Wiedereinrichter‘ einen bäuerlichen Hof dabei entscheidend, daß das Privateigentum am zu begründen. ... Die LPG-Nachfolgebetriebe Boden in der DDR juristisch weiterbestanden ..., die in der Rechtsform einer juristischen Per- hatte, auch wenn die zusammengelegten Flä- son geführt wurden, waren 1994 immer noch chen von den LPG bewirtschaftet wurden und durchschnittlich 1.143 ha groß ... Einzelbetriebe eine Rücknahme vor 1990 faktisch unmöglich aus Wieder- und Neueinrichtern bestehen war. Während die VEG von der Treuhandanstalt durchschnittlich aus zwei Familienarbeitskräf- durch Verkauf privatisiert werden mußten, stand ten. In ihrer Struktur entsprechen sie am ehe- bei den LPG die Frage, wie sich die privaten sten noch den aus Westdeutschland bekannten Bodeneigentümer zu den Produktionsgenossen- bäuerlichen Betrieben, sie bearbeiten jedoch mit schaften verhalten: Auflösung und Rücknah- durchschnittlich etwa 150 ha landwirtschaftli- me des Bodens, Wiedereinrichtung eines pri- cher Nutzfläche eine nahezu achtmal größere vaten Familienbetriebes, Verkauf oder Verpach- Fläche pro Betrieb.“ (1998: 346) Die Autoren tung der Fläche oder Umwandlung der LPG in kommen zu dem Schluß, daß nicht nur die LPG- eine der neuen Rechtsordnung kompatible Form Nachfolgebetriebe oder die neu entstandenen
212 Rainer Land GbR, zu denen sich Einzelbauern zusammen- mängel führten zu Absatzproblemen, die aber geschlossen haben, sondern auch die meisten seit 1993 abnahmen. Inzwischen blicken die Betriebe der Wieder- und Neueinrichter nicht ostdeutschen Agrarunternehmen der Zukunft dem Leitbild des bäuerlichen Familienbetrie- eher optimistisch entgegen. Sie haben wegen bes entsprechen (vgl. Clasen 1997: 412ff.; der Größe der gelieferten Partien mit einheitli- Lehmbruch/Mayer 1998: 346; Wiegand 1994: cher Qualität heute gute Absatzchancen und 76ff.). können teilweise höhere Preise erlösen als ihre Im Ergebnis sind ganz andere Größenver- westdeutschen Konkurrenten (vgl. Wiegand hältnisse als in Westdeutschland (insbesondere 1994: 175, Balling 1994: 151ff.). Südwestdeutschland) entstanden: Während dort Zusätzlich zu dem in der EU geltenden Sy- 40 Prozent der Betriebe zwischen einem und stem von Agrarsubventionen wurden für die zehn ha LN bewirtschaften und nur elf Prozent Übergangszeit besondere Fördermöglichkeiten der LN von 8.800 Betrieben mit mehr als 100 geschaffen, insbesondere Zuschüsse und Kre- ha bewirtschaftet werden, sind es im Osten ditverbilligung für Wiedereinrichter, Altschul- 5.500 Betriebe, die 96 Prozent der LN bewirt- denentlastung, Anpassungshilfen für ältere Ar- schaften. (Im Landkreis Prignitz befinden sich beitnehmer, Beratungsförderung usw. (Wie- fast 70 Prozent der LN in Betrieben mit mehr gand 1994: 45ff.). als 1.000 ha; Statistisches Jahrbuch Landkreis Die Transformation der Interessenvertretun- Prignitz 1998: 97.) Ähnliche Zahlen liefert der gen und Verbändestrukturen, eines der interes- Vergleich der Milchkuhbestände: In Ställen mit santesten Kapitel der Transformation im Agrar- mehr als 50 Tieren befinden sich in West- sektor, kann hier nicht ausführlich referiert deutschland 13 Prozent des Bestandes, in Ost- werden. Aus der Perspektive der westdeutschen deutschland sind es 97 Prozent. Mastschweine Verbände, mit dem Deutschen Bauernverband in Ställen mit mehr als 400 Tieren haben im (DBV) im Zentrum, war die Erhaltung des Westen einen Anteil von 37 Prozent, im Osten Repräsentationsmonopols das dominante Ziel, sind es 86 Prozent (vgl. auch Clasen 1997: weil nur so der Einfluß auf die Agrarpolitik der 419f.). EU und der Bundesregierung erhalten werden Das Marktordnungssystem wurde im Kern konnte. Sie plädierten ursprünglich für die völ- bereits mit der Wirtschafts- und Währungsuni- lige Auflösung der Kollektivwirtschaften und on gleichsam von einem Tag zum anderen ein- „haben sich ... mit der Stabilisierung spezifisch geführt. Faktisch wurden damit das gesamte ostdeutscher Agrarstrukturen nur zögernd und Gemeinschaftsrecht und die Regelungen des nicht einhellig abgefunden. Der deutsche Bau- EU-Agrarmarktes übertragen, in Teilbereichen ernverband nahm aber nach einer Periode der mit Übergangsregelungen, die aber nur kurz- Unsicherheit einen bemerkenswerten Kurs- fristiger Natur waren (vgl. Wiegand 1994: 43). wechsel vor“, indem er die aus der SED-nahen Während der Absatz der Produkte in der VdgB (Vereinigung der gegenseitigen Bauern- DDR durch die Plankommissionen vorgegeben hilfe) entstandenen Landesbauernverbände in und sichergestellt war, mußte mit der Wirt- den DBV aufnahm. „Dagegen verharren die schafts- und Währungsunion eine Orientierung zersplitterten und in sich zerstrittenen Verbän- auf neue Märkte und andere Abnehmer vollzo- de der Wiedereinrichter ... zum Teil bis heute gen werden. Dabei traten zunächst große in der Opposition, so vor allem der Deutsche Schwierigkeiten auf, die sich aber nach zwei Landbund“ (Lehmbruch/Mayer 1998: 351). Im bis drei Jahren überwinden ließen. 1990 waren Interesse der Wahrung des Repräsentations- die Betriebe mit einem Absatzstau konfrontiert; monopols stellte der DBV das Leitbild des bäu- die in der EU-Agrarordnung vorgesehenen erlichen Familienbetriebes zurück und aner- Interventionsstellen, die Überschüsse abneh- kannte die LPG-Nachfolger als legitime Mit- men, waren noch nicht voll aufgebaut. Der glieder der Agrarfamilie (vgl. Wielgohs/Wie- Zusammenbruch der ostdeutschen Verarbei- senthal 1995). Mit der Veränderung der Pro- tungsindustrie, der von Westprodukten über- portionen zwischen Familienbetrieben und schwemmte Lebensmittelmarkt, der Wegfall der Großbetrieben mit Lohnarbeitsverfassung setzte osteuropäischen Märkte (vor allem wegen der einerseits ein Wandel bestimmter politischer EU-Außenhandelsregelungen) und Qualitäts- Leitlinien ein, die beispielsweise bei den Posi-
Von der LPG zur Agrar-Fabrik 213 tionen zur EU-Agrarreform bedeutsam werden um fast 10.000 DM über denen der westdeut- können. Andererseits ist das Verbändesystem schen Landwirte lagen. „Während man in den internen Interessenkonflikten ausgesetzt, die landwirtschaftlichen Betrieben in den alten zwar bislang beherrschbar blieben, die aber bei Bundesländern mit einem Rückgang der Ge- den kommenden Entscheidungen aufbrechen winne in den kommenden Jahren rechnet, wird könnten. Clasen macht deutlich, daß die Trans- die Gewinn- und Einkommenssituation im formation im Agrarsektor die erfolgreiche Eta- Osten als stabil eingestuft“ (ebenda: 101). blierung der Interessen der meisten ostdeutschen Zusammenfassend kann Clasen zitiert wer- Agrarbetriebe in dem in Westdeutschland ja den: „Die Transformation der Landwirtschaft schon vorhandenen Vertretungssystem ein- in Ostdeutschland resultierte ... für viele Be- schließt (1997: 430f.). Davon kann auf ande- triebe und die verbliebenen Beschäftigten nicht ren Feldern der Interessenvertretung allenfalls nur in einer günstigen Wettbewerbsposition, im Ausnahmefall die Rede sein (vgl. Wielgohs sondern, was angesichts der Regelungsdichte 1996). des Sektors und der Bedeutung von Transfer- Mit der Ausdehnung des Finanz- und Bank- zahlungen für Gewinne und Einkommen eben- systems der Bundesrepublik waren grundsätz- so wichtig ist, in der erfolgreichen Etablierung lich alle Voraussetzungen für die Finanzierung ihrer Interessen“ (1997: 431). der Reproduktion und Entwicklung des Agrar- sektors gegeben. Die Kreditbeschaffung stellte zunächst ein aus der Sicht der Landwirte gra- Veränderungen des Produktionsmodells vierendes Problem dar, das aber in seiner Be- im Zuge der Transformation deutung schon 1992 abnahm. Insbesondere die Liquidität konnte 1990 nur schwer gesichert Ursache der Erfolgsstory der DDR-Agrarun- werden, staatliche Liquiditätshilfen in Höhe von ternehmen ist die Übereinstimmung zwischen 3 Mrd. DM verhinderten in den meisten land- wesentlichen Teilen des Produktionsmodells der wirtschaftlichen Unternehmen eine akute Zah- DDR-Agrarwirtschaft und den Rahmenbedin- lungsunfähigkeit. Die Regelung der Altschulden gungen, wie sie durch die EU-Agrarordnung (vgl. Wiegand 1994: 69f.) zog sich bis in die gesetzt sind. Im Gegensatz zu anderslautenden Gegenwart hin und führte zu Unsicherheiten Meinungen (vgl. Wiegand 1994: 1) ist der Bruch bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit durch für die Betriebe nicht so gravierend, wie es den die Banken. Der Eigenkapitalanteil der ostdeut- Rahmenbedingungen nach scheinen mag. Si- schen Agrarunternehmen liegt deutlich unter cher hatten sich die Betriebe auf eine andere dem westdeutscher Betriebe, die Fremdkapital- Rechts- und Marktordnung einzustellen, muß- belastung je Hektar ist „merklich niedriger als ten sie die Subventionsregeln und den Umgang in den alten Bundesländern“, nämlich 1.129 mit einem kapitalistischen Geld- und Bank- DM/ha LN gegenüber 3.475 DM/ha LN 1990/ system erlernen, neue Abnehmer und Zuliefe- 91 (ebenda: 71). Man kann daher weder von rer finden und sich in die Strukturen der Inter- einer besseren noch schlechteren Finanzlage essenvertretung hineinfinden. Der Kern des sprechen; die Konstellationen sind zunächst Produktionsregimes aber konnte unverändert einfach andere und werden für die Banken eine bleiben, denn die Rahmenbedingungen des andere Kredit- und Beteiligungspolitik als in Westens orientierten ebenfalls auf einen am Westdeutschland zur Folge haben. Trotz der Paradigma der Massenproduktion ausgerichte- geringeren Eigenkapitalausstattung und der ten Agrarsektor. Altschuldenproblematik kann man im Durch- Auch andere wichtige Strukturen der west- schnitt nicht von einer schlechteren Lage der deutschen und westeuropäischen Landwirt- ostdeutschen Betriebe ausgehen, auch wenn es schaft präferieren Massenproduktion: die recht- durch Altschulden extrem belastete Einzelfälle lich verbindliche Definition von Normen für geben mag. Marktfrüchte und Schlachtvieh, die Zulassungs- Für den Erfolg der Transformation – soweit vorschriften für Saatgut, die Hygienevorschrif- es die in der Landwirtschaft noch Beschäftig- ten, das Verhalten der Aufkäufer, die Trennung ten betrifft – spricht, daß die Einkommen je der Forschung und Entwicklung von der Pro- Arbeitskraft bereits 1992/93 mit 40.600 DM duktion. Grundlagenforschung erfolgt zumeist
214 Rainer Land in öffentlich finanzierten Wissenschaftseinrich- sicherzustellen, obwohl dies unter wirtschaftli- tungen, angewandte Forschung findet bei den chen Gesichtspunkten nicht rational war (un- Zulieferern, der verarbeitenden Industrie oder günstige Naturbedingungen oder ineffiziente in spezialisierten Unternehmen wie Zuchtbe- Organisationsformen). trieben statt; die eigentlichen Agrarproduzenten b) Beseitigung der Strukturen, die als Kom- betreiben kaum eigene Zucht, definieren keine pensation der typischen Rationalitätsdefizite der eigenen Qualitätsstandards, entwickeln keine DDR-Planwirtschaft aufgebaut worden, aber eigenen Verfahren, Maschinen, Anlagen oder unter marktwirtschaftlichen Bedingungen un- Betriebsmittel und fast keine Originalprodukte. rentabel und unnötig waren. Dazu gehören zu- Neues Saatgut, neue Mastrassen oder neue nächst jene Bereiche, die als Kompensation für Hilfsstoffe führen sie meistens auf „Wunsch“ Mängel bei der Nutzung externer Zulieferer und und mit Hilfe ihrer Abnehmer oder Zulieferer Dienstleister entstanden (Bau, Straßenbau, Ra- ein. Im Schumpeterschen Sinne sind sie keine tionalisierungsmittelbau, ein Teil der Lager Unternehmer; sie müssen die von Zulieferern usw.). An ihre Stelle trat das in Westdeutsch- oder Abnehmern geforderten Innovationen kau- land vorhandene ausgebaute Netzwerk großer fen, wenn sie im Geschäft bleiben wollen. In Zuliefer- und Dienstleistungsunternehmen, die allen diesen Punkten „paßt“ der innerbetriebli- entsprechenden Service anbieten. che Kern des Produktionsmodells der DDR- Umgekehrt war ein Teil der unter DDR-Be- Agrarbetriebe zu den äußeren Rahmenbedin- dingungen wegen des Mangels an bestimmten gungen und Anschlußstellen des westdeutschen Ressourcen ausgelagerten und zentralisierten bzw. -europäischen Agrarsystems – und er paßt Bereiche zu reintegrieren, z.B. die in agro- teilweise besser als die kleinbetrieblichen Struk- chemische Zentren verlagerten Aufgaben für turen im Westen selbst. Düngung und Pflanzenschutz und die in die Die hier vertretene Hypothese lautet, daß der Kreisbetriebe für Landtechnik ausgelagerten Erfolg der meisten Agrarbetriebe in den neuen Maschinenparks. Bundesländern nicht auf einer grundlegenden c) Die Orientierung auf die Hortung und Pfle- Revision ihrer Wirtschaftsweise beruht, sondern ge der knappsten Ressource, der Arbeitskräfte, auf der Fortsetzung des in der DDR entstande- war aufzugeben zugunsten einer Rationalisie- nen Produktionsmodells. Dessen Kern konnte rungsstrategie, die auf Kostensenkung, vor al- mit der Integration in die Rahmenbedingungen lem Einsparung von Lohnkosten gerichtet ist. einer EU-subventionierten, staatlich stark re- Dazu konnten und mußten vor allem die „außer- gulierten Agrarmarktwirtschaft nicht nur bei- ökonomischen“ sozialen Funktionen des Be- behalten, sondern in seinem spezifischen Ra- triebes – Versorgung der Beschäftigten mit be- tionalitätskalkül überhaupt erst richtig ausge- stimmten Produkten und Dienstleistungen, Kin- schöpft werden. Deshalb gelang die „reibungs- derbetreuung, Feriendienst usw. – aufge- lose Übernahme vorzüglicher Produktionstech- geben werden, weil die damit verbundenen niken, vor allem in der Pflanzenproduktion, in Kosten unter den Bedingungen einer Mark- der Regel problemlos“, und es kam „in relativ wirtschaft mit am betrieblichen Gewinn orien- kurzer Zeit zu einem mit Westeuropa vergleich- tierten Unternehmen nicht aufzubringen sind. baren Ertragsniveau“ (Rost 1995: 329). Soziale Funktionen des Betriebes wurden sub- Unter den Voraussetzungen der Agrarord- stituiert – einerseits durch den entstehenden nung der EU bzw. der Bundesrepublik bot sich Konsumentenmarkt für Waren und Dienstlei- ein solcher Weg der Transformation geradezu stungen und andererseits durch staatlich finan- an: Beibehaltung der Massenproduktion weni- zierte öffentliche Dienstleistungen, Soziallei- ger spezialisierter Agrarprodukte mit geringer stungen und Transfereinkommen. Fertigungstiefe. Drei wesentliche Schnitte ge- nügten, um das Produktionsmodell den neuen Dieser Schnitt war die Voraussetzung dafür, Bedingungen anzupassen: die Zahl der Arbeitskräfte bei weitgehender Er- a) Streichung bzw. Reduzierung aller Pro- haltung der Nutzflächen so reduzieren zu kön- duktarten, die in der DDR angebaut werden nen, daß die Subventionen pro Arbeitsplatz und mußten, um die Eigenversorgung mit Nahrungs- die Erlöse aus der Agrarproduktion ausreichen, mitteln und landwirtschaftlichen Rohstoffen um die Löhne und die laufenden Kosten zu dek-
Von der LPG zur Agrar-Fabrik 215 ken. Für diese Transformation des staatssoziali- dels (ebenfalls aus DDR-Zeiten nicht unbe- stischen in einen subventionierten Marktfor- kannt), die Interessen an der langfristigen Si- dismus brauchte innerbetrieblich faktisch nichts cherung der Rohstoffbasis und der Rohstoff- aufgebaut, sondern nur Überflüssiges abgebaut qualität verfolgen. Die Umsiedlung der Pfanni- zu werden. Werke nach Stavenhagen in Mecklenburg-Vor- An der eigentlichen Produktion war bis auf pommern verringerte die Zahl der zuliefernden eine Modifikation des Sortiments kaum etwas Landwirte dramatisch von 1.000 auf etwa 50 zu ändern. Vorher knappe Produktionsmittel – (vgl. ebenda). Damit sind aber auch neue Vor- vor allem Anlagen, Maschinen, Düngemittel aussetzungen für Qualitätssicherungssysteme und Pflanzenschutzmittel – standen problem- und kooperative Produkt- und Verfahrensin- los zur Verfügung. Die teilweise marode Aus- novationen gegeben. Die hier entstehenden rüstung konnte modernisiert werden – jeden- Strukturen sind – am Paradigma der Massen- falls, nachdem die Banken angesichts der Kon- produktion gemessen – möglicherweise effizi- solidierungssignale das anfängliche Zögern bei enter als vergleichbare Systeme in Westdeutsch- der Bereitstellung von Krediten aufgegeben land. Hier könnte der Rückgriff auf DDR-Er- hatten. In der Pflanzenproduktion war dies in- fahrungen in Rekombination mit der spezifi- nerhalb weniger Jahre möglich, in der Tier- schen Marktordnung der EU innovative Wir- produktion wird dies noch einige Jahre dauern. kungen auf die Branche insgesamt haben. Die zu tätigenden Investitionen – neue Ställe Neues entstand nicht primär innerhalb der und Maschinen – waren Ersatz für verschlisse- Betriebe, sondern in den zwischenbetrieblichen ne Anlagen oder für die in der DDR weit ver- Organisations- und Interaktionsmustern, teil- breiteten „Provisorien“, nicht aber Innovatio- weise angelehnt an DDR-Erfahrungen. Nicht nen im Betriebsprofil oder den Betriebsstruk- nur das starke Gewicht von Großbetrieben, son- turen. dern der Aufbau eines zu Großbetrieben pas- Ein Problem, das für gewerbliche und Dienst- senden Umfeldes könnte nachhaltige Wirkung leistungsbranchen besonders kompliziert und auf die gesamtdeutsche und europäische Agrar- prekär war, den Aufbau vonVertrieb und Mar- wirtschaft haben. Der Aufbau betriebsexterner, keting, konnten sich die einzelnen Landwirt- aber großbetriebskompatibler Absatz- und Ver- schaftsbetriebe dagegen recht erfolgreich „vom arbeitungsstrecken dient zunächst dazu, die Leibe halten“. Großabnehmer, zwischenbe- Zwänge des Marktes ein Stück weit aus dem triebliche Erzeugergemeinschaften und verti- Betrieb herauszuhalten und konstantere Bedin- kale Kooperation waren zweckmäßige Antwor- gungen für Massenproduktion zu gewährleisten. ten auf das „Marketingproblem“, deren Logik Für den einzelnen Betrieb beschränkte sich die – Auslagerung des Absatzproblems aus dem Veränderung auf einen Wechsel der Partner Betrieb – ist den Organisationsformen der DDR- ohne größere Änderung des unternehmerischen Landwirtschaft nicht unähnlich. Erzeugerge- Handelns. An die Stelle der durch die Vorga- meinschaften, die im Osten aus relativ wenigen ben der Plankommissionen festgelegten Groß- starken Betrieben bestehen (man denke an die abnehmer traten vergleichsweise fast ebenso „Kooperationsräte“ aus DDR-Zeiten), sichern sichere vertraglichen Bindungen an Großhänd- eine bessere Position gegenüber den Abneh- ler oder Erzeugergemeinschaften. Der einzel- mern und kompensieren die Wirkung der Kon- ne Betrieb mußte für die Vermarktung kaum zentrationsprozesse in der Verarbeitungsin- eigene Kapazitäten aufbauen. dustrie durch Bündelung großer bis sehr gro- ßer Angebotsmengen (vgl. Balling 1994: 152). Auf betrieblicher Ebene bedeutet Transforma- Sie verbessern die Vermarktung durch überbe- tion in die Marktwirtschaft im wesentlichen triebliche Vermarktungsspezialisten. Der „klas- Rückschnitt des DDR-Produktionsmodells auf sische Erfassungshandel“, wie er für klein- den ökonomischen Kern der agrarischen Mas- betriebliche Regionen in den alten Bundeslän- senproduktion und Aufgeben überflüssig ge- dern noch typisch ist, wird sich daher in Ost- wordener Funktionen. Bedingung war die Auf- deutschland nicht entfalten (ebenda: 153). lösung der für die DDR-Landwirtschaft essen- Zugleich entsteht eine vertikale Kooperati- tiellen Identität von Betrieb und ländlichem on mit Betrieben der Verarbeitung und des Han- Sozialkörper (vgl. Lehmbruch/Mayer 1998:
Sie können auch lesen