Von der LPG zur Agrar-Fabrik - Rainer Land

 
WEITER LESEN
204                                                     Berliner Debatte INITIAL 11 (2000) 5/6

                                        Rainer Land

                   Von der LPG zur Agrar-Fabrik
                                   Ein Literaturbericht

„Der wirtschaftliche Erfolg einer Region hängt     der Sowjetunion zugrunde gelegen hatte (vgl.
in hohem Maße vom ökonomischen Aufstieg            Land 1992). Für unseren Zusammenhang ist
ihrer Unternehmen ab.“ Diese regionalwissen-       dabei zunächst auf die Größe der Agrarbetriebe
schaftliche Prämisse wird durch Entwicklun-        hinzuweisen. 1960 gab es 19.000 LPG mit ei-
gen in den ländlichen Regionen Mecklenburg-        ner durchschnittlichen Betriebsgröße von 245
Vorpommerns und Nordbrandenburgs schein-           ha, die 85% der landwirtschaftlichen Nutzflä-
bar widerlegt. Dort beobachten wir seit 1990       che (LN) bewirtschafteten. 1968 waren es durch
den Aufstieg der erfolgreichsten Agrarunter-       Zusammenschlüsse nur noch 11.500, und in den
nehmen in Deutschland und gleichzeitig einen       siebziger Jahren wurden mit einer weitgehen-
dramatischen ökonomischen und sozialen Ab-         den betrieblichen Trennung der Pflanzen- von
stieg der Regionen, der bis zur sozioökonomi-      der Tierproduktion Betriebe mit vier- bis fünf-
schen Verödung bestimmter Regionen reicht.         tausend ha LN bzw. 1.000 bis 2.000 Großvieh-
Der folgende Text versucht, dieses Phänomen        einheiten geschaffen (Wiegand 1994: 7f.). In
aus der Vorgeschichte und den spezifischen         den 80er Jahren gab es insgesamt 5.110 LPG
Transformationsprozessen der neunziger Jahre       und VEG, die 90% der LN bewirtschafteten und
aufzuklären, und rekapituliert den derzeitigen     99% der Arbeitskräfte der Landwirtschaft be-
Forschungsstand.                                   schäftigten.
                                                      Bevor im einzelnen auf die Voraussetzun-
Analysiert man die Agrarwirtschaft der DDR         gen der Transformation des staatssozialistischen
mittels der Kriterien der Massenproduktion, so     Fordismus der DDR eingegangen werden kann,
ergibt sich das Bild einer staatlich organisier-   sollen einige Voraussetzungen der Massenpro-
ten und fast alternativlosen Ausprägung dieses     duktion in der Agrarwirtschaft geklärt werden.
Produktionsmodells1 in einer für den Staatsso-
zialismus spezifischen Variante. Die grundsätz-
lichen politischen Richtungsentscheidungen –       Das Produktionsmodell der Massenpro-
Bodenreform 1945–1952, Kollektivierung und         duktion in der Agrarwirtschaft
Aufbau der LPG 1952–1960, Konzentration und
Einführung industriemäßiger Methoden bis           Alle Massenproduktionsmodelle nutzen die
1983 – sollen hier nicht referiert werden (vgl.    economy of scale. Die Erhöhung der Produkti-
u.a. Wiegand 1994). Unumstritten ist, daß die      onsmenge verteilt alle Gemeinkosten (für For-
DDR über den Versuch der Vergesellschaftung        schung und Entwicklung oder langlebige Pro-
des Eigentums in Genossenschaften zugleich         duktionsmittel beispielsweise) auf eine größe-
einen qualitativen Wandel der agrarischen Pro-     re Menge an Produkten, d.h. der Preis pro
duktion hin zu industriemäßigen Methoden           Produkteinheit sinkt. Dies wiederum ermöglicht
herbeiführen wollte und teilweise auch durch-      bei gegebenem finanziellen Volumen der Ein-
setzen konnte. Unter industriemäßigen Metho-       kommen und der daraus gespeisten Investitions-
den aber wurden im Rahmen der staatssoziali-       und Konsumtionsfonds eine wachsende Nach-
stischen Planwirtschaft immer die Methoden         frage in Naturaleinheiten. Zugleich aber stei-
einer bestimmten Etappe der Entwicklung des        gen wegen der Produktivitätserhöhung im Prin-
Industriesystems verstanden, nämlich die fordi-    zip auch die Gewinne und die Einkommen – in
stische Massenproduktion, die schon dem Para-      welcher Verteilung auch immer – und damit
digma der stalinistischen Industrialisierung in    die Nachfrage nach Investitions- und Konsum-
Von der LPG zur Agrar-Fabrik                                                                    205

gütern, finanziell ausgedrückt. Entscheidend         ebenfalls eine Rolle, aber weniger wegen der
also ist ein sich selbst verstärkender Prozeß,       Kostendifferenzen (Transport ist noch sehr teu-
der auf der Rückkopplung von Produktivitäts-         er), sondern wenn die Originalität und Qualität
steigerung, Kostensenkung, Einkommensstei-           der Produkte auf fernen Märkten hohe Preise
gerung, Nachfragewachstum und Produktions-           ermöglichten.
ausstoß beruht. Er führt in spezifische Pfade           Dieser Typ eines Agrarbetriebs existierte in
der Selbstreproduktion der Wirtschaft und zu         regional verschiedenen Gestalten. Eine Form
davon bestimmten Gestalten der Produktion und        war die vorkapitalistische Gutswirtschaft mit
der Schnittstellen – zu den Märkten, zur Natur,      einem Netzwerk feudal abhängiger Bauern, in
zur Lebensweise, zu Politik, Wissenschaft u.a.       der die Gemeinde2 mit dem Gut und seinem
Innovationen werden in diesem Kontext bewer-         Netzwerk von Bauernwirtschaften und Verar-
tet und selektiert, d.h. es setzen sich diejenigen   beitungsbetrieben identisch war; der Gutsbe-
Inventionen durch, die den Funktionskreis von        sitzer fungierte faktisch auch als Herr der Ge-
Produktivitätssteigerung, Gewinn- bzw. Ein-          meinde, und der wirtschaftliche Kreislauf war
kommenszuwachs und Nachfragewachstum                 der konstitutive Gegenstand des Gemeinde-
verstärken. Dieser Prozeß funktioniert so lan-       zusammenhangs. In Gemeinden mit autonom
ge, bis er seine externen Voraussetzungen (öko-      wirtschaftenden Bauernhöfen, einer zweiten
logische, soziale, politische, kulturelle o.ä.)      Form des multifunktionalen Agrarbetriebs vor
untergräbt und aufhebt. Dies äußert sich nach        der Massenproduktion, war der wirtschaftliche
längerer Zeit in überproportionalen Steigerun-       Kreislauf der einzelnen Betriebe kein Gegen-
gen bestimmter Arten allgemeiner Kosten (bei-        stand kollektiver Regelung; die kommunikati-
spielsweise ökologischer oder sozialer), die die     ve Regulation bezog sich auf die Schnittstellen
Kostensenkungseffekte der economy of scale           der einzelnen wirtschaftlichen Kreisläufe, also
übersteigen. Solche Krisen können zu Anpas-          etwa die Nutzung der Allmende (Wasser, Wald
sungen und Pfadwechsel führen.                       und Wiese), die Fluraufteilung, die Saattermine
    Die spezifische Gestalt dieses Funktions-        und Fruchtfolgen, die Wege usw. Diese Ge-
kreises und seiner Schnittstellen in der Agrar-      meinden wurden durch die Gemeindeversamm-
wirtschaft soll zunächst durch die Differenz zu      lung und den Wettbewerb der stärksten Bauern
einem idealtypisch gedachten Modell eines be-        (als wirtschaftlich autonomer Personen) um
reits marktorientiert arbeitenden multifunktio-      ihren Einfluß in der Gemeinde geprägt. In selb-
nalen Agrarbetriebes beschrieben werden, der         ständigen Kooperativen von Kleinbauern als
keine Massenproduktion betreibt. Der multi-          dritter Variante – z.B. in Weinbaugebieten an-
funktionale Agrarbetrieb produzierte eine breite     zutreffen – war wiederum der gemeinsam zu
Palette originaler Hofprodukte, zumeist End-         gestaltende wirtschaftliche Kreislauf konstitu-
produkte, in vergleichsweise geringen Chargen,       tiv für den Gemeindezusammenhang, der hier
hatte eine hohe Fertigungstiefe, denn der größ-      aber nicht durch den Gutsherren oder die Hier-
te Teil der Vorprodukte, Vorleistungen und           archie freier Bauern konstituiert wurde, son-
Verarbeitungsstufen zum Endprodukt wurde             dern durch die Beziehung wirtschaftlich nicht
selbst erbracht. Wissen und Innovationskom-          autonomer Genossen innerhalb eines Produkti-
petenz für diese Originalprodukte waren im           ons- und Gemeindekollektivs.
Betrieb verankert und wurden tradiert. Der ur-          Voraussetzung des Übergangs zur Massen-
sprüngliche Subsistenzbezug ist noch nicht           produktion in der Agrarwirtschaft waren die
völlig verschwunden, aber die Produktion für         Industrialisierungsprozesse im letzten Drittel
den Markt ist die Existenzgrundlage des Be-          des 19. Jahrhunderts, in denen eine schnell
triebes. Dabei handelt es sich in erster Linie um    wachsende Lohnarbeiterklasse entstand. Deren
relativ nahe regionale Märkte, auf denen eine        spezifische Arbeits- und Lebensweise (Groß-
vergleichsweise breite Produktpalette angebo-        siedlungen mit Mietshäusern, Kleinfamilien und
ten wird. Da ein relevanter Teil des Absatzes        Kleinhaushalte, Kauf möglichst weitgehend
direkt an Endverbraucher verkauft wurde, blieb       fertiger Konsumgüter anstelle einer umfangrei-
die Originalität und Qualität des hofspezifischen    chen Hauswirtschaft mit hohem Subsistenz-
Endprodukts eine entscheidende Voraussetzung         anteil und umfangreicher Eigenarbeit) war die
wirtschaftlichen Erfolgs. Fernabsatz spielte         nachfrageseitige Voraussetzung einer Nah-
206                                                                                   Rainer Land

rungsmittelindustrie, die vorgefertigte standar-   denen differenzierten agrarischen, handwerk-
disierte Lebensmittel in größeren Mengen her-      lichen und urbanen Strukturen (vgl. Herrigel
stellte und in die entstehenden Ballungsgebiete    1996; Bluhm 1999), in denen die Realteilung
lieferte, und die eine Massenproduktion von        als typisches bäuerliches Vererbungsrecht galt,
Getreide, Zucker, Kartoffeln, Milchprodukten,      blieb es beim zumeist kleinen agrarischen Fa-
Schlachtvieh u.a. erforderlich machte (vgl. Lutz   milienbetrieb, der erst später durch die Mas-
1984; Wittemann 1996).                             senproduktion überformt wurde, dabei aber
    Historisch erfolgte der Übergang zur Mas-      wichtige Traditionsbestände (beispielsweise die
senproduktion zunächst neben den bestehen-         Familienarbeitsordnung) beibehielt.
den multifunktionalen Landwirtschaftsbetrie-          Die Verallgemeinerung der Massenproduk-
ben. In den noch nicht oder erst spät industria-   tion im Agrarbereich erfolgte erst mit dem
lisierten Regionen des nördlichen Mitteleuro-      Übergang zum fordistischen Regulationsregime
pa hatten die Gutsbetriebe dabei eine Schlüssel-   nach dem Zweiten Weltkrieg. Die makroöko-
funktion. Hier konzentrierten sich die innova-     nomische und sozialstrukturelle Voraussetzung
tiven Prozesse, die für die Umstellung auf das     der fordistischen Massenproduktion umfaßt
erste Modell der agrarischen Massenprodukti-       eine spezifische institutionalisierte Rückkopp-
on erforderlich waren: moderne Verfahren in        lung der Einkommen, vor allem der Lohn- und
Pflanzen- und Tierproduktion, Maschinen und        Transfereinkommen, an die Produktivitäts-
neue Sorten, Anwendung von Lohnarbeit, be-         entwicklung. Dies löste in den fünfziger, sech-
triebsexterne Zulieferer wichtiger Hilfsstoffe,    ziger und frühen siebziger Jahren einen auf
Verbindung von Landbau mit der innerbetrieb-       Massenproduktion beruhenden, sich selbst tra-
lichen oder externen Verarbeitung in vergleichs-   gender Wachstumsschub aus. Die formelle und
weise großen Einheiten wie Zucker- und Stär-       informelle Bindung der Lohneinkommen an die
kefabriken, Brauereien, Brennereien, Groß-         Produktivitätsentwicklung wurde ergänzt und
mühlen, Molkereien u.ä. Entscheidend an die-       gestützt durch den Wohlfahrtsstaat, also durch
ser ersten historischen Variante der Massen-       eine zum fordistischen Wachstum der Wirt-
produktion war, daß hier mehrere Produktions-      schaft paßfähige Regulation der Staatsfinanzen
linien der Pflanzen- und Tierproduktion und        und der Rahmenbedingungen, der Steuern und
der Verarbeitung kombiniert zur Massenpro-         Subventionen, der staatlichen Investitionen und
duktion transformiert wurden und die entspre-      der Transfereinkommen, die „dynamisiert“
chenden Schnittstellen zu den Güter- und Ar-       sind, d.h. an die allgemeine Lohnentwicklung
beitsmärkten, zu Forschung und Entwicklung,        gekoppelt werden. Die damit erreichte soziale
aber auch zur ländlichen Gesellschaft insgesamt    Stabilität (Kompromiß und pragmatischer In-
„erfunden“ wurden. Die Großagrarier des spä-       teressenausgleich vor allem zwischen Kapital
ten 19. und des 20. Jahrhunderts waren innova-     und Arbeit, aber auch differenzierter; z.B. zwi-
tive Unternehmer und die Güter Zentren der         schen Erwerbstätigen und Senioren, Erwerbs-
Modernisierung der ländlichen Gesellschaft, die    tätigen und Arbeitslosen, gesunden Erwerbstä-
seit Mitte des 19. Jahrhunderts einen tiefgrei-    tigen und Kranken, alten und neuen Industrie-
fenden Wandel durchmachte. Wegen der Kom-          branchen, Wirtschaft und Agrarwirtschaft, Stadt
bination verschiedener Produktionslinien und       und Land usw.) beruht auf einem arbeitsproduk-
Funktionen (die innovativen eingeschlossen)        tivitätszentrierten Entwicklungspfad der Mas-
bildeten die Güter in den Regionen Nordmittel-     senproduktion, der die ökonomischen Skalen-
europas die Zentren des Netzwerks der ländli-      effekte in spezifischer Weise nutzt, vor allem
chen Wirtschaft insgesamt, und sie vermittel-      durch Senkung der Arbeitskosten pro Produkt-
ten den Zusammenhang zu den kleineren Bau-         einheit.
ernwirtschaften und zur Zuliefer- und Verarbei-       Dieser makroökonomische Zusammenhang
tungswirtschaft. Dieses von Gütern dominierte      wirkt primär in der Produktion industrieller
Geflecht ländlicher Unternehmen bestimmt           Massengüter, vor allem industrieller Konsum-
auch die Schnittstellen zu den ländlichen Ge-      güter: PKW, Haushaltsgeräte, Elektrotechnik,
meinden, also den Dörfern und Landstädten.         Elektronik, Fertigprodukte der Lebensmittel-
    In süddeutschen Regionen mit dezentralen       industrie und der Haushaltschemie u.ä. Er ver-
industriellen Ordnungen, vorindustriell entstan-   ändert aber auch die eigentliche Agrarproduk-
Von der LPG zur Agrar-Fabrik                                                                     207

tion. Hier gibt es jedoch zwei grundsätzliche      duktion standardisierter Agrarprodukte hin.
Probleme. Erstens produziert auch eine noch        Neben den Gütern wurde der mittlere Famili-
so sehr technisierte Landwirtschaft immer mit      enbetrieb so zu einem zweiten Typ des Massen-
einer in der Natur gegebenen, vorgefundenen        produzenten, der aber (anders als die Landgü-
,Maschinerie‘: Tieren, Pflanzen, Erde, Sonne,      ter) im Prinzip durch Spezialisierung auf sehr
Wasser, Wind, letztendlich dem Ökosystem           wenige Produktlinien auf dieses Produktions-
insgesamt. Daraus ergeben sich bestimmte un-       modell umgestellt werden mußte. Dieser Über-
aufhebbare Anforderungen und Besonderhei-          gang war und ist in vielen Fällen ein vergleichs-
ten. Boden ist immobil, eine bestimmte Kom-        weise prekärer Prozeß, weil sich viele dieser
plexität des Naturprozesses kann nicht unter-      Betriebe im Rahmen eines Massenproduktions-
schritten werden. Der Naturkreislauf funktio-      modells am Rande der Wirtschaftlichkeit be-
niert nur, wenn ein Minimum an Produkt- und        wegen. Insofern unterscheiden sich die Vari-
Prozeßkombinationen eingehalten wird, bei-         anten der Massenproduktion in Nordmittel-
spielsweise Fruchtfolgen und Bearbeitungs-         europa erheblich von denen in Südwesteuropa.
schritte. Wenn in A-Dorf Rüben gesät wurden,       Später kam die Agrarfabrik als weiterer Typ
dann kann man diese nicht in Thailand hacken       hinzu.
und in Brasilien ernten lassen. Dies hat wieder-      a) Das inzwischen noch einmal modernisierte
um ökonomische Folgen, z.B. Lage- und Bo-          Agrargut stellt standardisierte Massenproduk-
denrenten, also Erlösanteile, die weder von der    te auf der Grundlage eines relativ komplexen
Leistung noch von der Innovativität des Agrar-     landwirtschaftlichen Kreislaufs der Pflanzen-
betriebes abhängen. Massenproduktion in der        und Tierproduktion her und hält in vielen Fäl-
Landwirtschaft muß nicht nur Beschränkungen        len selbst innovative Kompetenzen vor. Aller-
bei der tayloristischen Zerlegung der Arbeits-     dings befinden sich solche Betriebe seit den
prozesse bewältigen, sondern auch die Beson-       siebziger Jahren zunehmend in schwierigem
derheiten von Märkten, in denen die Erlöse zwar    wirtschaftlichen Fahrwasser, es sei denn, sie
auch durch Skaleneffekte und Arbeitsproduk-        transformieren sich zu Agrarfabriken oder zu
tivitätssteigerung bestimmt werden, aber eben-     Betrieben mit Sonderfunktionen im Netzwerk
so von Faktoren abhängen, die durch massen-        der Massenproduktion (Zucht, Saatgut u.ä.).
produktionsorientierte Innovationen nicht ver-        b) Der an der Massenproduktion orientierte
ändert werden können. Massenproduktion in          mittlere Familienbetrieb könnte überleben,
der Agrarwirtschaft funktioniert nur, wenn eine    wenn er sich auf eine kleine Produktpalette in
entsprechende Regulierung der Naturnutzung         noch ausreichenden Losgrößen spezialisierte,
(etwa Bodenrecht und Bewirtschaftungsrege-         aber nur, weil er bestimmte Vorteile der Identi-
lungen) erfolgt und wenn die mit natürlichen       tät von Familie, Eigentümer und Arbeitsper-
Gegebenheiten verbundenen ökonomischen             sonal mit Hilfe der EU-Agrarsubventionen nut-
Differentiale durch ein Subventionssystem aus-     zen kann. Ob dieser Typ von Unternehmen lang-
geglichen werden. Die Verallgemeinerung der        fristig in der Lage ist, die weiteren Rationalisie-
Massenproduktion in der Agrarwirtschaft war        rungsschübe im Bereich der Massenprodukti-
daher in Westeuropa mit dem umfangreichsten        on erfolgreich mitzumachen, bleibt eher zwei-
Regelungs- und Subventionssystem der Ge-           felhaft. Die entscheidende Grenze für die Ra-
schichte des Kapitalismus verbunden. Das EU-       tionalisierung der Arbeit – die Größe des im
Agrarsystem regelt von den Produktstandards        Kern an der Familie orientierten Belegschafts-
über die zulässigen Produktionsverfahren und       körpers – kann er kaum überwinden, ohne sein
die Marktordnungen bis zu den Agrarpreisen         Grundprinzip aufzugeben.
faktisch alles.                                       c) Die Agrarfabriken, die manchmal aus den
   Nur unter dieser Voraussetzung konnte sich      Agrargütern hervorgegangen sind, meistens
das Modell der Massenproduktion auch in den        aber Neugründungen darstellen, deren Kapital
klein- und mittelbäuerlich geprägten Regionen      in vielen Fällen nicht aus der Agrarwirtschaft,
durchsetzen. Deutlich erkennbar wirken die         sondern dem Handel oder der Verarbeitungs-
Agrarmärkte und die Agrarpolitik in der EWG        wirtschaft stammt. Hierbei handelt es sich um
(der späteren EG bzw. EU) in den fünfziger bis     große Einheiten mit Spezialisierung und ideal-
siebziger Jahren auf die Ausweitung der Pro-       typisch mit Durchrationalisierung einer einzi-
208                                                                                    Rainer Land

gen Produktlinie. Sie haben eine geringe Fer-       ditionelle Modell der Agrarwirtschaft beibehiel-
tigungstiefe und betreiben mit eingekauften         ten. Aber auch Güter, die sich auf Sonder-
Vorleistungen die Massenproduktion eines ein-       kulturen und Spezialfunktionen orientierten,
zigen oder sehr weniger Standardprodukte:           spielten eine Rolle. Eine Modernisierung kom-
Eierfabriken, Mastbetriebe (Schweine, Puten         plementärer Entwicklungen setzte bereits in den
u.a.), Ferkelfabriken, Färsenaufzuchtbetriebe,      siebziger Jahren ein, das umfassendste Beispiel
Milchfabriken usw. Ein weiteres Feld ist der        dürfte das Waldviertel in Österreich sein (Ban-
Gartenbau in Großanlagen, beispielsweise in         ge 1998). Heute kann man neben den Resten
Holland. Inzwischen finden sich solche Mo-          multifunktionaler Agrarbetriebe einen Teil des
delle auch in der Pflanzenproduktion. Flächen       ökologischen Landbaus und verschiedene Pro-
in teilweise weit auseinander liegenden Regio-      jekte der integrierten ländlichen Entwicklung
nen werden aufgekauft und durch mobile Ar-          dem komplementärem Sektor zurechnen.
beitsgruppen bestellt bzw. abgeerntet (sog. Tief-
lader-Landwirte). Außerhalb dieser Einsätze
sind solche Unternehmen am Ort nicht präsent,       Massenproduktion in der Agrarwirtschaft
die Produktionssteuerung wird durch ein zen-        der DDR
trales Management durchgeführt. Von den Gü-
tern unterscheiden sich die Agrarfabriken durch     Eine Verallgemeinerung der landwirtschaftli-
die Reduktion der Produktionskomplexität, von       chen Massenproduktion finden wir nach dem
den Spezialbetrieben durch die Größenordnung,       Zweiten Weltkrieg auch in den staatssozia-
die Lohnarbeitsordnung und das Fehlen einer         listischen Gesellschaften. Im Kern scheint der
bäuerlichen Betriebstradition und Identität.        Unterschied zwischen der westlichen und der
Anders als Güter und Spezialbetriebe sind sie       staatssozialistischen Variante der Massenpro-
kaum regional verankert, d.h. ihre Einbindung       duktion in der Art der Rückkopplung von Pro-
in wirtschaftliche Netzwerke erfolgt auf den        duktivitäts- und Nachfragesteigerung zu liegen.
europäischen Märkten ohne starke Verankerung        Während diese im Westen über die Regulie-
in der lokalen Wirtschaft und den Gemeinden         rung der Einkommen und Transfers vermittelt
ihres Standortes. Der landwirtschaftliche Kreis-    wird, sind hier der staatliche Planungsapparat,
lauf existiert nur noch in den Verflechtungen       die staatliche Abnahmegarantie zu kostendek-
außerhalb des Betriebes, er ist kein innerbe-       kenden Erzeugerpreisen und das Interesse der
triebliches Organisationsprinzip und insofern       Betriebe am Zugang zu Ressourcen (Investiti-
gefährdet.                                          onsgütern und Arbeitskräften) die entscheiden-
                                                    den Mittelglieder.
Das Paradigma der Massenproduktion ist nur              a) Die Orientierung auf die Massenproduk-
hinreichend beschrieben, wenn auch komple-          tion relativ weniger Standardprodukte ergab
mentäre Entwicklungen als Funktionsbedin-           sich aus dem Steuerungsziel der Planungs-
gungen der Massenproduktion begriffen wer-          gremien, das eine Selbstversorgung mit Nah-
den. Ansatzpunkt komplementärer Entwick-            rungsmitteln und Agrarrohstoffen vorsah. Dar-
lungspfade sind die speziellen Voraussetzun-        aus folgten eine Bewirtschaftung auch ertrags-
gen und die Lücken, die die Massenproduktion        schwacher Böden und ein äußerst hoher Tier-
mit ihrem Produktionsparadigma nicht selbst         bestand, der temporär die Möglichkeiten der
füllen kann, weil sie für eine Reihe von Be-        Futtermittelproduktion überschritt. „Die vor-
dürfnissen keine wirtschaftlich effizienten Lö-     herrschende Naturalplanung ... förderte auch
sungen hat. Sonderkulturen und Produkte in          in der Landwirtschaft eine sogenannte ‚Tonnen-
spezifischen Qualitäten in geringen Chargen         ideologie‘“, d.h. der Erfolg der Betriebe maß
erfordern eine andere Rationalisierungs- und        sich nicht am Überschuß der Erlöse über die
Modernisierungsstrategie.3 Da diese Potentia-       Kosten, sondern primär an der „hergestellten
le gerade die Defizite der agrarischen Massen-      Gütermenge“ (Wiegand 1994: 11). Dem ent-
produktion für ihre Entwicklung nutzen, set-        sprach ein System staatlich festgelegter und weit
zen sie die Dominanz der Massenproduktion           über den Weltmarktpreisen liegender Erzeuger-
zugleich voraus. Dieses Feld wurde zunächst         preise, die erheblich über den Endverbraucher-
vor allem von Betrieben ausgefüllt, die das tra-    preisen der DDR lagen. Die Agrarbetriebe wur-
Von der LPG zur Agrar-Fabrik                                                                  209

den im Prinzip nicht über direkte Subventionen        c) Für das Produktionsmodell der Massen-
gestützt. Vielmehr wurden kostendeckende           produktion in Großbetrieben, die auf der Inte-
Preise festgelegt, und die Endverbraucherpreise    gration mehrerer Massenproduktionslinien und
für die Bevölkerung wurden aus Mitteln des         der erforderlichen Sonderbereiche beruhen, ist
Staatshaushalts abgesenkt. Volkswirtschaftlich     auch die Verteilung der Beschäftigten auf ver-
bestand so kaum ein Anreiz zur Senkung der         schiedene Bereiche charakteristisch. Lehm-
Produktionskosten. Im Unterschied zu markt-        bruch/Mayer (1998: 342) geben dazu an: „In
bzw. kapitalwirtschaftlich geprägten Modellen      den Betriebsbereichen, die im Fall der Land-
der Massenproduktion stand nicht die Gewinn-       wirtschaft nicht der Primärproduktion zuzurech-
maximierung durch Kostensenkung im Vorder-         nen sind, waren etwa 40% der Erwerbstätigen
grund, sondern die Maximierung der erzeugten       beschäftigt.“ Ferner waren beschäftigt: in Werk-
Produkte. Allerdings ist eine ähnliche Tendenz     statt, Reparatur, Bau, Lager etc. 16%; in der
auch für die hochsubventionierte Agrarwirt-        Verwaltung und Leitung 12%; in der Neben-
schaft der EU in den siebziger und achtziger       produktion wie Tischlerei, Pferdezucht, Tank-
Jahren zu beobachten.                              stellen etc. 7%; im Kultur- und Sozialbereich
   b) Nicht nur die Trennung von Tier- und         5% (ebenda, Anm. 22).
Pflanzenproduktion, auch andere strukturelle          d) Zwischenbetriebliche Einrichtungen wie
Merkmale verweisen auf das Massenprodukti-         die Agrochemischen Zentren (ACZ), die Melio-
onsmodell und die Lohnarbeitsordnung. Dazu         rationsgenossenschaften (MG) und die Kreis-
gehören innerbetrieblich die Bildung von Bri-      betriebe für Landtechnik (KfL) erbrachten spe-
gaden mit relativ spezialisierten Arbeitsauf-      zialisierte Vorleistungen. Dies entsprach einer-
gaben und ein entsprechendes Berufsausbil-         seits dem fordistischen Produktionsmodell, ins-
dungssystem, der Übergang zu geregelten Ar-        besondere weil es sich hier um Leistungen han-
beitszeiten und zur Schichtarbeit in den Groß-     delte, die ein spezielles Know-how verlangten.
viehanlagen und den großen Kampagnen der           Andererseits ist ihre Ausgliederung aus den
Pflanzenproduktion (Wiegand 1994: 23; Goll-        LPG auch ein Ausdruck von Funktionsdefiziten
nick et al. 1990: 47). Forschung und Entwick-      des planwirtschaftlichen Systems. Insbesonde-
lung sowie bestimmte Vorleistungen wurden          re der Mangel an Landmaschinen und Dünge-
aus den Massenproduktionsbetrieben ausgela-        mitteln und die daraus folgende Tendenz der
gert und durch die neben den LPG existieren-       LPG und VEG, solche knappen Ressourcen si-
den staatseigenen VEG übernommen. Sie hat-         cherheitshalber zu horten, die den Mangel noch
ten ihre Aufgaben in der Zucht, der Saatgut-       verschärfte, bewegten die SED-Agrarpolitiker
produktion und der Erarbeitung „industrie-         zur Gründung solcher überbetrieblichen Ein-
mäßiger Methoden“ des Wirtschaftens. Durch         richtungen, die durch die Planungsadministra-
das dem Landwirtschaftsministerium unterstell-     tion direkt gesteuert werden konnten (vgl. Ge-
te Industriekombinat „Fortschritt“ wurde eine      bauer 1990: 86).
Palette spezialisierter großer Landmaschinen          e) Der Absatz der erzeugten Produkte der
und Traktoren entwickelt. Der Landbau entwik-      Landwirtschaft wurde durch die von der Pla-
kelte eine Typenreihe von Ställen für die Mas-     nungsadministration gesetzten Vorgaben si-
senviehhaltung, z.B. Milchviehställe für 400 bis   chergestellt und bedurfte keines besonderen
800 und später für 4.000 Rinder, Aufzuchtan-       Marketings der Agrarbetriebe. Jedem Betrieb
lagen usw. Die Produktionssteuerung in den         wurde weitgehend vorgegeben, an wen er sei-
Kampagnen (vor allem in der Getreideernte,         ne Produkte „planmäßig“ zu liefern hatte. Die
aber auch bei der Frühjahrsbestellung, der Mais-   Verarbeitungswirtschaft war in vielen Berei-
silageherstellung u.ä.) erfolgte in regionalen     chen ebenfalls am Modell der Massenproduk-
überbetrieblichen Gremien. Wir haben es also       tion orientiert, es gab aber auch Ausnahmen;
mit einem Massenproduktionsmodell zu tun,          z.B. existierten im Bereich der Bäckereien und
das analog zur gutswirtschaftlichen Variante auf   Fleischereien neben großen Brotfabriken und
die Integration mehrerer Produktionslinien und     Fleisch- und Wurstkombinaten auch Hand-
möglichst vieler Funktionen setzt. Hinzu kommt     werksbetriebe, die einen vergleichsweise ge-
aber noch eine entsprechende staatliche Steue-     ringen, aber steigenden Marktanteil hatten. Die
rung der Produktionskreisläufe.                    lebensmittelverarbeitenden Betriebe der DDR
210                                                                                     Rainer Land

werden als weitgehend verschlissen einge-            vorher typisch war, wird auf staatssozialistische
schätzt. Die Struktur der Agrarpreise hatte eine     Art reproduziert und transformiert. Der Betrieb
nachteilige Wirkung auf die Fondsreproduktion        dominiert nicht nur die Gemeinden seines Ein-
in diesen Bereichen, staatlich finanzierte Mo-       zugsbereichs, er erfüllt selbst eine Reihe der
dernisierungsinvestitionen blieben auf wenige        Funktionen der Gemeinde und tritt partiell an
Großprojekte – wie das Fleischkombinat Ebers-        deren Stelle (Infrastruktur, soziale Leistungen
walde – beschränkt.                                  etc.). 4 Die Gemeinde verliert damit aber fak-
   f) Zur Geschichte des staatssozialistischen       tisch ihre Unabhängigkeit. Unter staatssozia-
Fordismus gehörte auch immer die Ausbildung          listischen Bedingungen ist die Beherrschung der
spezialisierter Funktionen innerhalb der Betrie-     Gemeinden durch dominante landwirtschaftli-
be, die der Überwindung von Engpässen bei            che Großbetriebe nicht nur durch deren wirt-
der Sicherstellung der Produktionsbedingungen        schaftliche Bedeutung gegeben, sondern auch
oder den Infrastrukturvoraussetzungen dienten        politisch gewollt und in bestimmtem Maße so-
und die unter dem Gesichtspunkt der Kosten in        gar – z.B. über die Parteiorganisationen und
einer Marktwirtschaft betriebsexternen Dienst-       die Landwirtschaftsräte – institutionalisiert.
leistern oder dem Staat bzw. den Kommunen                h) Komplementäre Bereiche sind in diesem
überlassen worden wären. Neben den umfang-           Produktionsmodell unterentwickelt, was sich
reichen Reparaturwerkstätten, Bau- und Trans-        zunächst an der Unterversorgung mit Sonder-
portabteilungen spielten auch soziale Dienst-        kulturen und Spezialprodukten zeigt. Als Re-
leistungen eine Rolle: Versorgung mit knap-          servoir sind einmal die Nebenwirtschaften zu
pen Konsumgütern, Betriebsküchen, Kindergär-         nennen, die einen erheblichen Teil etwa der
ten, Kulturhäuser usw. Neben dem sozialisti-         Produktion von speziellen Kräutern, Obst und
schen Verständnis der Arbeit und des Betrie-         Gemüse sowie speziellen Fleischsorten abdeck-
bes als Zentren der sozialen Integration gab es      ten. Aber auch in den großen Agrarbetrieben
dafür auch einen handfesten Grund in dem spe-        fanden sich immer auch Abteilungen, die dem
zifischen Produktionsmodell. Unter den Vor-          komplementären Sektor zuzurechnen sind (sie-
aussetzungen einer auf Maximierung der Pro-          he unter f).
duktionsmenge ausgerichteten volkswirtschaft-
lichen Steuerung, die Kostengesichtspunkte           Auch wenn es im Detail noch offene Fragen
einerseits vernachlässigte und andererseits auch     geben mag, so verweisen diese Merkmale hin-
keine Instrumente hatte, diese in der Planung        sichtlich der Arbeitsorganisation und der Ge-
wirkungsvoll geltend zu machen, war die Ak-          staltung wichtiger Schnittstellen auf ein for-
quisition möglichst vieler Produktionsfaktoren       distisches Massenproduktionsmodell mit Be-
– und an erster Stelle vieler Arbeitskräfte – eine   sonderheiten, die sich aus der staatssoziali-
rationale Strategie aller Betriebe, nicht nur in     stischen Wirtschaftsordnung und der planwirt-
der Landwirtschaft. Da an den mehr oder weni-        schaftlichen Allokation und Verteilung der
ger staatlich geregelten Löhnen nur bedingt          Ressourcen ergeben.
angesetzt werden konnte (in den LPG noch eher           Betriebswirtschaftliche Rentabilitätsverglei-
als in volkseigenen Betrieben), war das Niveau       che der DDR-Agrarbetriebe mit westdeutschen
der sozialen Betreuung und Versorgung ein            Betrieben sind kaum möglich. Die Erträge in
wichtiger Faktor zur Bindung und Anwerbung           Naturalkennziffern (Getreideeinheiten pro ha,
neuer Arbeitskräfte. Zudem geboten das spärli-       täglicher Zuwachs in der Mast u.ä.) lagen in
che Konsumgüterangebot in manchen Berei-             allen wichtigen Bereichen der Tier- und Pflan-
chen und noch mehr der unterentwickelte              zenproduktion unter denen in Westdeutschland.
Dienstleistungsmarkt, Kompensationen inner-          Als Gründe werden neben den im Durchschnitt
halb der Betriebe anzubieten, um die Repro-          ungünstigeren natürlichen Voraussetzungen die
duktion und Motivation der Arbeitskräfte si-         Defizite an Ausrüstung, Dünger, Pflanzen-
cherzustellen.                                       schutzmitteln, Futtermitteln und Zusatzstoffen,
   g) Dieser Aspekt hat aber weitreichende           aber auch fehlende Leistungsanreize, unzurei-
Konsequenzen für das Verhältnis von Betrie-          chende Motivation und Organisationsprobleme
ben und Gemeinden. Die Dominanz des Gutes            angeführt (vgl. Wiegand 1994: 25). Anderer-
über die Gemeinde, wie sie für Gutsdörfer schon      seits wurden relativ mehr Flächen bewirtschaf-
Von der LPG zur Agrar-Fabrik                                                                    211

tet, und der Anteil an Ackerland gegenüber         (GmbH, eG, AG u.a.; vgl. Wiegand 1994: 38;
Wiesen und Weiden war deutlich höher.              Lehmbruch/Mayer 1998: 346). „Ein zentrales
   In den achtziger Jahren nahmen die Proble-      Element der Transformation, nämlich die Ent-
me zu: Verschleiß der Anlagen und Maschi-          scheidung über Art und Umfang der Dekollek-
nen, Mangel an Investitionsgütern, Überbesatz      tivierung, erfolgte damit ... dezentral und unab-
an Vieh und damit verbundener Mangel an            hängig von einem staatlich gesteuerten Priva-
Futtermitteln, Überlastung der natürlichen Res-    tisierungsverfahren, das heißt durch die Betrof-
sourcen und damit verbundene Umweltzer-            fenen selbst.“ (Clasen 1997: 411)
störung, Organisationsprobleme in zu großen             Wegen der bekannten Probleme kleiner bäu-
Betrieben der Pflanzen- und Tierproduktion.        erlicher Familienbetriebe in Westdeutschland,
Die DDR-Landwirtschaft stand vor dem Erfor-        der Unsicherheit der Märkte, des geringen Ei-
dernis eines Strukturwandels, der aber unter den   genkapitals, der Spezialisierung innerhalb der
gegebenen politischen und ideologischen Vor-       landwirtschaftlichen Berufe und weiterer, auch
aussetzungen nicht in Gang kommen konnte.          sozialpsychologischer Gründe entschieden sich
                                                   nur wenige zur Gründung eines eigenen land-
                                                   wirtschaftlichen Familienbetriebes (vgl. Wil-
Die Transformation                                 lisch et al. 1996; Willisch/Brauer 1997). Zu-
des DDR-Agrarsektors nach 1990                     dem waren die Entscheidungen der LPG als Ge-
                                                   nossenschaften nicht nur von den Eigentümern
Die Transformation der DDR-Agrarwirtschaft         des Bodens abhängig, die teilweise gar keine
nach 1990 bildet für Lehmbruch und Mayer           aktiv mitarbeitenden LPG-Mitglieder mehr
einen wichtigen Referenzfall für die Analyse       waren, sondern auch von den Mitgliedern, die
sektoraler Transformationspfade. Im Unter-         keinen Boden besaßen. Für diese kam die Grün-
schied zur Industrie oder dem Gesundheitswe-       dung eines Familienbetriebes mangels Boden-
sen wirkte hier eine starke Eigendynamik. Der      eigentum kaum in Frage, die Auflösung der LPG
„Transfer der sektorspezifischen Institutionen     bedeutete hingegen den Verlust des Arbeits-
Westdeutschlands“ stieß „auf Hindernisse ...,      platzes.
welche die Akteure aus der alten Bundesrepu-            Im Ergebnis der Transformation entstanden
blik offensichtlich nicht antizipiert hatten“      Unternehmensgrößen und -strukturen, die den
(1998: 333). Neben den allgemeinen politischen     westdeutschen kaum entsprechen. Lehmbruch
und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wer-        und Mayer stellen fest, „daß sich unter den
den in der Literatur für den Agrarsektor folgen-   Bedingungen eines außerordentlich starken
de Transformationselemente beschrieben:            marktgesteuerten Selektionsdrucks trotz der
   Die Transformation der Eigentumsordnung,        ihnen gebotenen Vergünstigungen nur ein re-
der Rechtsform der Unternehmen und ihrer           lativ begrenzter Teil der restitutionsberechtigten
Größe und Struktur ist primär durch die Wie-       ehemaligen LPG-Mitglieder dafür entschied, ...
derherstellung des Privateigentums geprägt. Im     aus der Kollektivwirtschaft auszuscheiden und
Unterschied zur volkseigenen Industrie war         als ,Wiedereinrichter‘ einen bäuerlichen Hof
dabei entscheidend, daß das Privateigentum am      zu begründen. ... Die LPG-Nachfolgebetriebe
Boden in der DDR juristisch weiterbestanden        ..., die in der Rechtsform einer juristischen Per-
hatte, auch wenn die zusammengelegten Flä-         son geführt wurden, waren 1994 immer noch
chen von den LPG bewirtschaftet wurden und         durchschnittlich 1.143 ha groß ... Einzelbetriebe
eine Rücknahme vor 1990 faktisch unmöglich         aus Wieder- und Neueinrichtern bestehen
war. Während die VEG von der Treuhandanstalt       durchschnittlich aus zwei Familienarbeitskräf-
durch Verkauf privatisiert werden mußten, stand    ten. In ihrer Struktur entsprechen sie am ehe-
bei den LPG die Frage, wie sich die privaten       sten noch den aus Westdeutschland bekannten
Bodeneigentümer zu den Produktionsgenossen-        bäuerlichen Betrieben, sie bearbeiten jedoch mit
schaften verhalten: Auflösung und Rücknah-         durchschnittlich etwa 150 ha landwirtschaftli-
me des Bodens, Wiedereinrichtung eines pri-        cher Nutzfläche eine nahezu achtmal größere
vaten Familienbetriebes, Verkauf oder Verpach-     Fläche pro Betrieb.“ (1998: 346) Die Autoren
tung der Fläche oder Umwandlung der LPG in         kommen zu dem Schluß, daß nicht nur die LPG-
eine der neuen Rechtsordnung kompatible Form       Nachfolgebetriebe oder die neu entstandenen
212                                                                                  Rainer Land

GbR, zu denen sich Einzelbauern zusammen-         mängel führten zu Absatzproblemen, die aber
geschlossen haben, sondern auch die meisten       seit 1993 abnahmen. Inzwischen blicken die
Betriebe der Wieder- und Neueinrichter nicht      ostdeutschen Agrarunternehmen der Zukunft
dem Leitbild des bäuerlichen Familienbetrie-      eher optimistisch entgegen. Sie haben wegen
bes entsprechen (vgl. Clasen 1997: 412ff.;        der Größe der gelieferten Partien mit einheitli-
Lehmbruch/Mayer 1998: 346; Wiegand 1994:          cher Qualität heute gute Absatzchancen und
76ff.).                                           können teilweise höhere Preise erlösen als ihre
   Im Ergebnis sind ganz andere Größenver-        westdeutschen Konkurrenten (vgl. Wiegand
hältnisse als in Westdeutschland (insbesondere    1994: 175, Balling 1994: 151ff.).
Südwestdeutschland) entstanden: Während dort         Zusätzlich zu dem in der EU geltenden Sy-
40 Prozent der Betriebe zwischen einem und        stem von Agrarsubventionen wurden für die
zehn ha LN bewirtschaften und nur elf Prozent     Übergangszeit besondere Fördermöglichkeiten
der LN von 8.800 Betrieben mit mehr als 100       geschaffen, insbesondere Zuschüsse und Kre-
ha bewirtschaftet werden, sind es im Osten        ditverbilligung für Wiedereinrichter, Altschul-
5.500 Betriebe, die 96 Prozent der LN bewirt-     denentlastung, Anpassungshilfen für ältere Ar-
schaften. (Im Landkreis Prignitz befinden sich    beitnehmer, Beratungsförderung usw. (Wie-
fast 70 Prozent der LN in Betrieben mit mehr      gand 1994: 45ff.).
als 1.000 ha; Statistisches Jahrbuch Landkreis       Die Transformation der Interessenvertretun-
Prignitz 1998: 97.) Ähnliche Zahlen liefert der   gen und Verbändestrukturen, eines der interes-
Vergleich der Milchkuhbestände: In Ställen mit    santesten Kapitel der Transformation im Agrar-
mehr als 50 Tieren befinden sich in West-         sektor, kann hier nicht ausführlich referiert
deutschland 13 Prozent des Bestandes, in Ost-     werden. Aus der Perspektive der westdeutschen
deutschland sind es 97 Prozent. Mastschweine      Verbände, mit dem Deutschen Bauernverband
in Ställen mit mehr als 400 Tieren haben im       (DBV) im Zentrum, war die Erhaltung des
Westen einen Anteil von 37 Prozent, im Osten      Repräsentationsmonopols das dominante Ziel,
sind es 86 Prozent (vgl. auch Clasen 1997:        weil nur so der Einfluß auf die Agrarpolitik der
419f.).                                           EU und der Bundesregierung erhalten werden
   Das Marktordnungssystem wurde im Kern          konnte. Sie plädierten ursprünglich für die völ-
bereits mit der Wirtschafts- und Währungsuni-     lige Auflösung der Kollektivwirtschaften und
on gleichsam von einem Tag zum anderen ein-       „haben sich ... mit der Stabilisierung spezifisch
geführt. Faktisch wurden damit das gesamte        ostdeutscher Agrarstrukturen nur zögernd und
Gemeinschaftsrecht und die Regelungen des         nicht einhellig abgefunden. Der deutsche Bau-
EU-Agrarmarktes übertragen, in Teilbereichen      ernverband nahm aber nach einer Periode der
mit Übergangsregelungen, die aber nur kurz-       Unsicherheit einen bemerkenswerten Kurs-
fristiger Natur waren (vgl. Wiegand 1994: 43).    wechsel vor“, indem er die aus der SED-nahen
   Während der Absatz der Produkte in der         VdgB (Vereinigung der gegenseitigen Bauern-
DDR durch die Plankommissionen vorgegeben         hilfe) entstandenen Landesbauernverbände in
und sichergestellt war, mußte mit der Wirt-       den DBV aufnahm. „Dagegen verharren die
schafts- und Währungsunion eine Orientierung      zersplitterten und in sich zerstrittenen Verbän-
auf neue Märkte und andere Abnehmer vollzo-       de der Wiedereinrichter ... zum Teil bis heute
gen werden. Dabei traten zunächst große           in der Opposition, so vor allem der Deutsche
Schwierigkeiten auf, die sich aber nach zwei      Landbund“ (Lehmbruch/Mayer 1998: 351). Im
bis drei Jahren überwinden ließen. 1990 waren     Interesse der Wahrung des Repräsentations-
die Betriebe mit einem Absatzstau konfrontiert;   monopols stellte der DBV das Leitbild des bäu-
die in der EU-Agrarordnung vorgesehenen           erlichen Familienbetriebes zurück und aner-
Interventionsstellen, die Überschüsse abneh-      kannte die LPG-Nachfolger als legitime Mit-
men, waren noch nicht voll aufgebaut. Der         glieder der Agrarfamilie (vgl. Wielgohs/Wie-
Zusammenbruch der ostdeutschen Verarbei-          senthal 1995). Mit der Veränderung der Pro-
tungsindustrie, der von Westprodukten über-       portionen zwischen Familienbetrieben und
schwemmte Lebensmittelmarkt, der Wegfall der      Großbetrieben mit Lohnarbeitsverfassung setzte
osteuropäischen Märkte (vor allem wegen der       einerseits ein Wandel bestimmter politischer
EU-Außenhandelsregelungen) und Qualitäts-         Leitlinien ein, die beispielsweise bei den Posi-
Von der LPG zur Agrar-Fabrik                                                                   213

tionen zur EU-Agrarreform bedeutsam werden         um fast 10.000 DM über denen der westdeut-
können. Andererseits ist das Verbändesystem        schen Landwirte lagen. „Während man in den
internen Interessenkonflikten ausgesetzt, die      landwirtschaftlichen Betrieben in den alten
zwar bislang beherrschbar blieben, die aber bei    Bundesländern mit einem Rückgang der Ge-
den kommenden Entscheidungen aufbrechen            winne in den kommenden Jahren rechnet, wird
könnten. Clasen macht deutlich, daß die Trans-     die Gewinn- und Einkommenssituation im
formation im Agrarsektor die erfolgreiche Eta-     Osten als stabil eingestuft“ (ebenda: 101).
blierung der Interessen der meisten ostdeutschen       Zusammenfassend kann Clasen zitiert wer-
Agrarbetriebe in dem in Westdeutschland ja         den: „Die Transformation der Landwirtschaft
schon vorhandenen Vertretungssystem ein-           in Ostdeutschland resultierte ... für viele Be-
schließt (1997: 430f.). Davon kann auf ande-       triebe und die verbliebenen Beschäftigten nicht
ren Feldern der Interessenvertretung allenfalls    nur in einer günstigen Wettbewerbsposition,
im Ausnahmefall die Rede sein (vgl. Wielgohs       sondern, was angesichts der Regelungsdichte
1996).                                             des Sektors und der Bedeutung von Transfer-
   Mit der Ausdehnung des Finanz- und Bank-        zahlungen für Gewinne und Einkommen eben-
systems der Bundesrepublik waren grundsätz-        so wichtig ist, in der erfolgreichen Etablierung
lich alle Voraussetzungen für die Finanzierung     ihrer Interessen“ (1997: 431).
der Reproduktion und Entwicklung des Agrar-
sektors gegeben. Die Kreditbeschaffung stellte
zunächst ein aus der Sicht der Landwirte gra-      Veränderungen des Produktionsmodells
vierendes Problem dar, das aber in seiner Be-      im Zuge der Transformation
deutung schon 1992 abnahm. Insbesondere die
Liquidität konnte 1990 nur schwer gesichert        Ursache der Erfolgsstory der DDR-Agrarun-
werden, staatliche Liquiditätshilfen in Höhe von   ternehmen ist die Übereinstimmung zwischen
3 Mrd. DM verhinderten in den meisten land-        wesentlichen Teilen des Produktionsmodells der
wirtschaftlichen Unternehmen eine akute Zah-       DDR-Agrarwirtschaft und den Rahmenbedin-
lungsunfähigkeit. Die Regelung der Altschulden     gungen, wie sie durch die EU-Agrarordnung
(vgl. Wiegand 1994: 69f.) zog sich bis in die      gesetzt sind. Im Gegensatz zu anderslautenden
Gegenwart hin und führte zu Unsicherheiten         Meinungen (vgl. Wiegand 1994: 1) ist der Bruch
bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit durch     für die Betriebe nicht so gravierend, wie es den
die Banken. Der Eigenkapitalanteil der ostdeut-    Rahmenbedingungen nach scheinen mag. Si-
schen Agrarunternehmen liegt deutlich unter        cher hatten sich die Betriebe auf eine andere
dem westdeutscher Betriebe, die Fremdkapital-      Rechts- und Marktordnung einzustellen, muß-
belastung je Hektar ist „merklich niedriger als    ten sie die Subventionsregeln und den Umgang
in den alten Bundesländern“, nämlich 1.129         mit einem kapitalistischen Geld- und Bank-
DM/ha LN gegenüber 3.475 DM/ha LN 1990/            system erlernen, neue Abnehmer und Zuliefe-
91 (ebenda: 71). Man kann daher weder von          rer finden und sich in die Strukturen der Inter-
einer besseren noch schlechteren Finanzlage        essenvertretung hineinfinden. Der Kern des
sprechen; die Konstellationen sind zunächst        Produktionsregimes aber konnte unverändert
einfach andere und werden für die Banken eine      bleiben, denn die Rahmenbedingungen des
andere Kredit- und Beteiligungspolitik als in      Westens orientierten ebenfalls auf einen am
Westdeutschland zur Folge haben. Trotz der         Paradigma der Massenproduktion ausgerichte-
geringeren Eigenkapitalausstattung und der         ten Agrarsektor.
Altschuldenproblematik kann man im Durch-             Auch andere wichtige Strukturen der west-
schnitt nicht von einer schlechteren Lage der      deutschen und westeuropäischen Landwirt-
ostdeutschen Betriebe ausgehen, auch wenn es       schaft präferieren Massenproduktion: die recht-
durch Altschulden extrem belastete Einzelfälle     lich verbindliche Definition von Normen für
geben mag.                                         Marktfrüchte und Schlachtvieh, die Zulassungs-
   Für den Erfolg der Transformation – soweit      vorschriften für Saatgut, die Hygienevorschrif-
es die in der Landwirtschaft noch Beschäftig-      ten, das Verhalten der Aufkäufer, die Trennung
ten betrifft – spricht, daß die Einkommen je       der Forschung und Entwicklung von der Pro-
Arbeitskraft bereits 1992/93 mit 40.600 DM         duktion. Grundlagenforschung erfolgt zumeist
214                                                                                     Rainer Land

in öffentlich finanzierten Wissenschaftseinrich-     sicherzustellen, obwohl dies unter wirtschaftli-
tungen, angewandte Forschung findet bei den          chen Gesichtspunkten nicht rational war (un-
Zulieferern, der verarbeitenden Industrie oder       günstige Naturbedingungen oder ineffiziente
in spezialisierten Unternehmen wie Zuchtbe-          Organisationsformen).
trieben statt; die eigentlichen Agrarproduzenten         b) Beseitigung der Strukturen, die als Kom-
betreiben kaum eigene Zucht, definieren keine        pensation der typischen Rationalitätsdefizite der
eigenen Qualitätsstandards, entwickeln keine         DDR-Planwirtschaft aufgebaut worden, aber
eigenen Verfahren, Maschinen, Anlagen oder           unter marktwirtschaftlichen Bedingungen un-
Betriebsmittel und fast keine Originalprodukte.      rentabel und unnötig waren. Dazu gehören zu-
Neues Saatgut, neue Mastrassen oder neue             nächst jene Bereiche, die als Kompensation für
Hilfsstoffe führen sie meistens auf „Wunsch“         Mängel bei der Nutzung externer Zulieferer und
und mit Hilfe ihrer Abnehmer oder Zulieferer         Dienstleister entstanden (Bau, Straßenbau, Ra-
ein. Im Schumpeterschen Sinne sind sie keine         tionalisierungsmittelbau, ein Teil der Lager
Unternehmer; sie müssen die von Zulieferern          usw.). An ihre Stelle trat das in Westdeutsch-
oder Abnehmern geforderten Innovationen kau-         land vorhandene ausgebaute Netzwerk großer
fen, wenn sie im Geschäft bleiben wollen. In         Zuliefer- und Dienstleistungsunternehmen, die
allen diesen Punkten „paßt“ der innerbetriebli-      entsprechenden Service anbieten.
che Kern des Produktionsmodells der DDR-                 Umgekehrt war ein Teil der unter DDR-Be-
Agrarbetriebe zu den äußeren Rahmenbedin-            dingungen wegen des Mangels an bestimmten
gungen und Anschlußstellen des westdeutschen         Ressourcen ausgelagerten und zentralisierten
bzw. -europäischen Agrarsystems – und er paßt        Bereiche zu reintegrieren, z.B. die in agro-
teilweise besser als die kleinbetrieblichen Struk-   chemische Zentren verlagerten Aufgaben für
turen im Westen selbst.                              Düngung und Pflanzenschutz und die in die
    Die hier vertretene Hypothese lautet, daß der    Kreisbetriebe für Landtechnik ausgelagerten
Erfolg der meisten Agrarbetriebe in den neuen        Maschinenparks.
Bundesländern nicht auf einer grundlegenden              c) Die Orientierung auf die Hortung und Pfle-
Revision ihrer Wirtschaftsweise beruht, sondern      ge der knappsten Ressource, der Arbeitskräfte,
auf der Fortsetzung des in der DDR entstande-        war aufzugeben zugunsten einer Rationalisie-
nen Produktionsmodells. Dessen Kern konnte           rungsstrategie, die auf Kostensenkung, vor al-
mit der Integration in die Rahmenbedingungen         lem Einsparung von Lohnkosten gerichtet ist.
einer EU-subventionierten, staatlich stark re-       Dazu konnten und mußten vor allem die „außer-
gulierten Agrarmarktwirtschaft nicht nur bei-        ökonomischen“ sozialen Funktionen des Be-
behalten, sondern in seinem spezifischen Ra-         triebes – Versorgung der Beschäftigten mit be-
tionalitätskalkül überhaupt erst richtig ausge-      stimmten Produkten und Dienstleistungen, Kin-
schöpft werden. Deshalb gelang die „reibungs-        derbetreuung, Feriendienst usw. – aufge-
lose Übernahme vorzüglicher Produktionstech-         geben werden, weil die damit verbundenen
niken, vor allem in der Pflanzenproduktion, in       Kosten unter den Bedingungen einer Mark-
der Regel problemlos“, und es kam „in relativ        wirtschaft mit am betrieblichen Gewinn orien-
kurzer Zeit zu einem mit Westeuropa vergleich-       tierten Unternehmen nicht aufzubringen sind.
baren Ertragsniveau“ (Rost 1995: 329).               Soziale Funktionen des Betriebes wurden sub-
    Unter den Voraussetzungen der Agrarord-          stituiert – einerseits durch den entstehenden
nung der EU bzw. der Bundesrepublik bot sich         Konsumentenmarkt für Waren und Dienstlei-
ein solcher Weg der Transformation geradezu          stungen und andererseits durch staatlich finan-
an: Beibehaltung der Massenproduktion weni-          zierte öffentliche Dienstleistungen, Soziallei-
ger spezialisierter Agrarprodukte mit geringer       stungen und Transfereinkommen.
Fertigungstiefe. Drei wesentliche Schnitte ge-
nügten, um das Produktionsmodell den neuen           Dieser Schnitt war die Voraussetzung dafür,
Bedingungen anzupassen:                              die Zahl der Arbeitskräfte bei weitgehender Er-
    a) Streichung bzw. Reduzierung aller Pro-        haltung der Nutzflächen so reduzieren zu kön-
duktarten, die in der DDR angebaut werden            nen, daß die Subventionen pro Arbeitsplatz und
mußten, um die Eigenversorgung mit Nahrungs-         die Erlöse aus der Agrarproduktion ausreichen,
mitteln und landwirtschaftlichen Rohstoffen          um die Löhne und die laufenden Kosten zu dek-
Von der LPG zur Agrar-Fabrik                                                                  215

ken. Für diese Transformation des staatssoziali-   dels (ebenfalls aus DDR-Zeiten nicht unbe-
stischen in einen subventionierten Marktfor-       kannt), die Interessen an der langfristigen Si-
dismus brauchte innerbetrieblich faktisch nichts   cherung der Rohstoffbasis und der Rohstoff-
aufgebaut, sondern nur Überflüssiges abgebaut      qualität verfolgen. Die Umsiedlung der Pfanni-
zu werden.                                         Werke nach Stavenhagen in Mecklenburg-Vor-
    An der eigentlichen Produktion war bis auf     pommern verringerte die Zahl der zuliefernden
eine Modifikation des Sortiments kaum etwas        Landwirte dramatisch von 1.000 auf etwa 50
zu ändern. Vorher knappe Produktionsmittel –       (vgl. ebenda). Damit sind aber auch neue Vor-
vor allem Anlagen, Maschinen, Düngemittel          aussetzungen für Qualitätssicherungssysteme
und Pflanzenschutzmittel – standen problem-        und kooperative Produkt- und Verfahrensin-
los zur Verfügung. Die teilweise marode Aus-       novationen gegeben. Die hier entstehenden
rüstung konnte modernisiert werden – jeden-        Strukturen sind – am Paradigma der Massen-
falls, nachdem die Banken angesichts der Kon-      produktion gemessen – möglicherweise effizi-
solidierungssignale das anfängliche Zögern bei     enter als vergleichbare Systeme in Westdeutsch-
der Bereitstellung von Krediten aufgegeben         land. Hier könnte der Rückgriff auf DDR-Er-
hatten. In der Pflanzenproduktion war dies in-     fahrungen in Rekombination mit der spezifi-
nerhalb weniger Jahre möglich, in der Tier-        schen Marktordnung der EU innovative Wir-
produktion wird dies noch einige Jahre dauern.     kungen auf die Branche insgesamt haben.
Die zu tätigenden Investitionen – neue Ställe         Neues entstand nicht primär innerhalb der
und Maschinen – waren Ersatz für verschlisse-      Betriebe, sondern in den zwischenbetrieblichen
ne Anlagen oder für die in der DDR weit ver-       Organisations- und Interaktionsmustern, teil-
breiteten „Provisorien“, nicht aber Innovatio-     weise angelehnt an DDR-Erfahrungen. Nicht
nen im Betriebsprofil oder den Betriebsstruk-      nur das starke Gewicht von Großbetrieben, son-
turen.                                             dern der Aufbau eines zu Großbetrieben pas-
    Ein Problem, das für gewerbliche und Dienst-   senden Umfeldes könnte nachhaltige Wirkung
leistungsbranchen besonders kompliziert und        auf die gesamtdeutsche und europäische Agrar-
prekär war, den Aufbau vonVertrieb und Mar-        wirtschaft haben. Der Aufbau betriebsexterner,
keting, konnten sich die einzelnen Landwirt-       aber großbetriebskompatibler Absatz- und Ver-
schaftsbetriebe dagegen recht erfolgreich „vom     arbeitungsstrecken dient zunächst dazu, die
Leibe halten“. Großabnehmer, zwischenbe-           Zwänge des Marktes ein Stück weit aus dem
triebliche Erzeugergemeinschaften und verti-       Betrieb herauszuhalten und konstantere Bedin-
kale Kooperation waren zweckmäßige Antwor-         gungen für Massenproduktion zu gewährleisten.
ten auf das „Marketingproblem“, deren Logik        Für den einzelnen Betrieb beschränkte sich die
– Auslagerung des Absatzproblems aus dem           Veränderung auf einen Wechsel der Partner
Betrieb – ist den Organisationsformen der DDR-     ohne größere Änderung des unternehmerischen
Landwirtschaft nicht unähnlich. Erzeugerge-        Handelns. An die Stelle der durch die Vorga-
meinschaften, die im Osten aus relativ wenigen     ben der Plankommissionen festgelegten Groß-
starken Betrieben bestehen (man denke an die       abnehmer traten vergleichsweise fast ebenso
„Kooperationsräte“ aus DDR-Zeiten), sichern        sichere vertraglichen Bindungen an Großhänd-
eine bessere Position gegenüber den Abneh-         ler oder Erzeugergemeinschaften. Der einzel-
mern und kompensieren die Wirkung der Kon-         ne Betrieb mußte für die Vermarktung kaum
zentrationsprozesse in der Verarbeitungsin-        eigene Kapazitäten aufbauen.
dustrie durch Bündelung großer bis sehr gro-
ßer Angebotsmengen (vgl. Balling 1994: 152).       Auf betrieblicher Ebene bedeutet Transforma-
Sie verbessern die Vermarktung durch überbe-       tion in die Marktwirtschaft im wesentlichen
triebliche Vermarktungsspezialisten. Der „klas-    Rückschnitt des DDR-Produktionsmodells auf
sische Erfassungshandel“, wie er für klein-        den ökonomischen Kern der agrarischen Mas-
betriebliche Regionen in den alten Bundeslän-      senproduktion und Aufgeben überflüssig ge-
dern noch typisch ist, wird sich daher in Ost-     wordener Funktionen. Bedingung war die Auf-
deutschland nicht entfalten (ebenda: 153).         lösung der für die DDR-Landwirtschaft essen-
    Zugleich entsteht eine vertikale Kooperati-    tiellen Identität von Betrieb und ländlichem
on mit Betrieben der Verarbeitung und des Han-     Sozialkörper (vgl. Lehmbruch/Mayer 1998:
Sie können auch lesen