Studieren in Berlin - GEW Berlin
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bbz BERLIN 71. (86.) JAHRGANG OKTOBER 2018 Berliner Bildungszeitschrift Studieren in Berlin KINDER- UND JUGENDHILFE BERUFLICHE BILDUNG SCHULE Neue Studie zeigt die Ausbildung kann Schutz vor Broschüre räumt mit Realität im Jugendamt Abschiebung bieten Grundschul-Mythen auf
2 ZEITSCHRIFT FÜR DIE MITGLIEDER DER GEW BERLIN bbz | OKTOBER 2018 INHALT Leute | Standpunkt | kurz & bündig | Impressum | Leser*innenforum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3-5/34 TITEL Keine Zeit für Revolution Pia Amerongen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Wie das studierendenWERK BERLIN seinen Mitgliedern helfen kann Interview: Folker Schmidt. . . . . . . . . . . 9 Der Landesausschuss Studierender stellt sich vor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Unterrichten statt Kellnern M. Regulin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 14 KINDER- UND JUGENDHILFE Das Jugendamt steht oft mit KINDER-, JUGENDHILFE & SOZIALARBEIT negativen Schlagzeilen im Rampenlicht. Doch wie sieht der reale Arbeitsalltag der Mitarbeiter*innen aus? Maria Schäfer hat Die berufliche Realität die Autor*innen der bundesweiten Untersuchung »Berufliche im Jugendamt Interview: M. Schäfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Realität im Jugendamt« befragt. Die Unterschiede in Aufgaben, Quereinstieg ist nicht die Lösung R. Fehler. . . . . . . . . . . . . . . 16 Fallzahlen und Bezahlung sind groß. SCHULE Integration mal andersherum U. Meuel / K. Will . . . . . . . . 18 Ein offener Diskurs zur verlässlichen Grundausstattung S. Volkholz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Faktencheck Grundschule U. Hecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Einschulung in einem fremden Land M. Rebitzki. . . 23 BERUFLICHE BILDUNG Schutz vor Abschiebung J. Boettcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Ein Projekttag stärkt die Schulgemeinschaft J. Szaflik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 22 SCHULE Der Grundschulverband hat die Broschüre »Faktencheck Grundschule« herausgegeben, in der er sich gegen populistische Diffamierungen und unsinnige Ein HOCHSCHULE griffe in die Methodenfreiheit der Lehrkräfte wehrt. Ulrich Vorsichtige Hoffnung – das Forum Hecker, stellvertretender Vorsitzender des Verbands, plädiert OBEN: GEW; MITTE: IMAGO/JOCHEN TACK; UNTEN: IMAGO/RALPH LUEGER Gute Arbeit startet L. Klinzing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 für eine Versachlichung der Debatte und räumt mit Mythen auf. GEWERKSCHAFT Streik der studentisch Beschäftigten A. Hüls. . . . . . . . . . . 28 Gesichter der GEW. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Verstärkung in der Geschäftsstelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 GLOSSE Aus den Niederungen einer »Kulturnation« G. Frydrych. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 INTERNATIONALES Die Lage der französischen Arbeitnehmer*innen TITELBILD: BERTOLT PRÄCHT unter Präsident Macron B. Landsiedel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 24 BERUFLICHE BILDUNG An vielen Berliner Schulen lernen Geflüchtete ohne sicheren Aufenthaltstitel. Johanna Boettcher SERVICE von »bridge« gibt detailliert Auskunft über die komplizierte Bücher | Materialien | Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 rechtliche Lage und verweist auf Chancen, die Ausbildungs duldung und Ermessensduldung bieten können.
OKTOBER 2018 | bbzSTANDPUNKT 3 LEUTE Alarmstufe Rot Sebastian Czaja kommentierte die rechts extremen Aufmärsche in Chemnitz und im Jugendamt die darauffolgenden Gegendemonstratio nen mit dem Satz: »Antifaschisten sind Die Berliner Jugendämter sind in Not. auch Faschisten«. Die GEW BERLIN hat die Die Ausstattung ist miserabel und das ses Statement des FDP-Fraktionsvorsitzen Personal hoffnungslos überlastet. den entsetzt zur Kenntnis genommen. Wir fühlen uns Paragraph 1 des Berliner Schul Die politisch Verantwortlichen schauen gesetzes verpflichtet, der als Ziel der Schule derweil weiter tatenlos zu die Heranbildung von Persönlichkeiten nennt, die »fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten«. Die GEW BERLIN bekämpft aktiv Rassismus und Faschismus in Staat und Gesellschaft. Sabine Kunst klagt als Präsidentin der Humboldt-Universität gegen ihre eigene Studierendenvertretung. Es geht um die Bekanntgabe der Namen der Mitglieder feststeht, wieviel Personal ein RSD des Referent*innenrates. »Wir wollen als Heike Schlizio-Jahnke, Regionaldienst braucht, wie viele Kinder, Jugendliche Präsidium gern wissen, wer die Träger der leitung des Jugendamtes Berlin-Mitte, und Familien eine Person betreuen darf öffentlichen Wahlämter sind«, begründete Region Wedding und welche Ausstattung erforderlich ist, Kunst die Klage, die als Reaktion auf eine um berlinweit einheitliche Standards zu AfD-Anfrage erfolgte. Der RefRat sieht darin garantieren. »Geld sei da«, hören wir im »einen Angriff auf die demokratischen Strukturen der studentischen Selbstverwal tung und auf alle Studierenden der HU!« B erlin wächst, und das nicht erst seit gestern. Seit dem Jahr 2013 haben Kolleg*innen aus den Regionalen Sozial mer wieder. Aber nichts passiert. Senatorin Sandra Scheeres hat sich vor einigen Tagen erstmals in der Abendschau pädagogischen Diensten (RSD) aller Bezir zu den Forderungen der Kolleg*innen ke auf die dramatische Situation in den geäußert. Wie so oft sind für sie immer Dieter Haase hat der Senatsbildungsver Berliner Jugendämtern hingewiesen und nur die anderen Schuld, konkret die Be waltung Kraft seines Amtes als stellvertre die hohe Arbeitsbelastung, das fehlende zirke, die sie für die Nichtbesetzung von tender Gesamtpersonalratsvorsitzender Personal, die steigenden Fallzahlen und Stellen in den RSD verantwortlich macht. zum Jahrestag der Stilllegung zweier von die schlechte Bezahlung angemahnt. »Wir brauchen Lösungen und nicht wech drei Urinalen in der Toilette 1A12 gratuliert. Die Senatsverwaltung für Jugend hatte selseitige Schuldzuweisungen«, möchte Schließlich sollten Urinale in der Senats daraufhin im Jahr 2015 einen Maßnah man ihr zurufen. verwaltung ja nicht besser sein als die Toi menplan erstellt, der bis heute auf seine letten in den Schulen. Für Schüler*innen exkursionen schaffe die WC-Situation zu dem die Möglichkeit, »die Geruchsentwick Umsetzung wartet. Politiker*innen haben sich geäußert und Unterstützung zuge sagt. Nur gebessert hat sich nichts. Wei H amburg hat es dagegen vor Jahren vorgemacht. Aufgrund der gestiege nen Berufsanforderungen wurde dort das lung in einer mittelalterlichen Stadt in der terhin sind viele Stellen unbesetzt und Aufgabengebiet neu bewertet und die Kol Gerber- oder Färbergasse nachzustellen«. der Unmut wächst. leg*innen erhielten eine Entgeltstufe im Aktuell belegt eine Studie der Uni Kob TV-L höher. Das wäre auch ein Weg für lenz, die erstmalig bundesweit die Arbeits Berlin. Andreas Schleicher, Chef-Koordinator der bedingungen in den Jugendämtern unter Wir brauchen abgestimmte Lösungen, PISA-Studie, ist ein Fan des Bildungs sucht hat, was wir schon so lange sagen: statt weiter aneinander vorbei zu reden. systems in Singapur. Inzwischen sei der es gibt zu viele Fälle für zu wenig Perso Das bedeutet einheitliche Standards in Lehrer*innenberuf zu einem der attrak nal und eine schlechte Ausstattung. Muss Bezug auf die Personalausstattung, eine tivsten Professionen des Landes gewor erst etwas passieren, ehe sich die Politik tarifliche Aufwertung des Personals und den, so Schleicher in einem Interview mit bewegt? natürlich auch unser weiteres gemeinsa der Zeit. Lehrkräfte haben dort ein Budget Wir erwarten endlich die Umsetzung mes Engagement. Denn wir machen un von 100 Stunden jährlich für Fortbildun unserer Forderungen. Eine Ausführungs sere Arbeit gern und wollen sie auch gut gen. Laut Schleicher müsse man sich an vorschrift für den RSD liegt im Entwurf machen. Wann, wenn nicht jetzt, soll der Singapur ein Beispiel nehmen und den vor. Noch scheuen sich die Senatsverwal Notstand in den Jugendämtern angegan FOTO: PRIVAT Lehrer*innenberuf nicht nur finanziell, tungen für Jugend und für Finanzen dort gen werden? Klappen wird es nur, wenn sondern vor allem intellektuell attraktiver eine Fallzahlbegrenzung festzuschreiben. alle Verantwortlichen miteinander und gestalten. Das würde zur Folge haben, dass endlich nicht gegeneinander arbeiten.
4 KURZ & BÜNDIG bbz | OKTOBER 2018 PRÄSENZTAG MAL ANDERS: Am 17. August haben die Kollegien der Sonnen- und der Eduard-Mörike-Grundschule ihren Präsenztag genutzt, um gemeinsam vor der Senatsbildungsverwaltung zu demonstrieren. 60 Lehrer*innen und Erzieher*innen protestierten dort gegen die unzurei- chende Personalausstattung ihrer Schulen. So bestand das Kollegium der Sonnen-Grundschule bereits im letzten Jahr überwiegend aus Quer- einsteiger*innen und Kolleg*innen ohne volle Lehrbefähigung. Im neuen Schuljahr wird sich das Verhältnis noch verschlechtern, da sich unter den Neueingestellten keine einzige voll ausgebildete Lehrkraft befindet. FOTO: GEW ■■ GEW BERLIN befragt Schulen Hälfte der befragten Grundschulen hatte August sind auch die Kita-Gebühren für zum Schuljahresstart noch nicht alle Stellen besetzt. Fast ein die jüngsten Kinder entfallen. Damit ist Am Ende des vergangenen Schuljahres Drittel (11) der Grundschulen gab an, Berlin das erste Bundesland, das die Ki zeichnete sich ein dramatischer Personal dass auch in diesem Jahr mehr Kinder als ta-Gebühren komplett abgeschafft hat. mangel ab. Erstmals ging Bildungssenato im vergangenen Jahr in ihren Lerngrup Von nun an müssen Berliner Eltern nur rin Sandra Scheeres davon aus, dass selbst pen lernen mussten. Und sogar 22 Schu noch die 23 Euro im Monat für das Mit die Zahl der Quereinsteigenden nicht aus len (61 Prozent) mussten gänzlich neue tagessen bezahlen. Am 1. September trat reichen würde, um alle offenen Lehrkräfte Lerngruppen einrichten – und dafür Räu außerdem die neue Zuzahlungsregelung stellen zu besetzen. Zwar verkündete sie me hergeben. Die Verdichtung schreitet in Kraft. Sie besagt, dass spezielle Sport-, am Ende der großen Ferien, dass für fast weiter voran. Fehlende Räume lautete Sprach- oder Kreativ angebote in Kitas alle offenen Stellen Personen eingestellt eine besonders häufige Kritik der Schul zwar weiterhin möglich sein sollen, die werden konnten, doch die traditionelle leitungen. Danke an alle Schulen, die sich monatlichen Zusatzbeiträge dafür aber Befragung der GEW BERLIN unter den an der Abfrage beteiligt haben. 90 Euro nicht übersteigen dürfen. Außer Schulen der Stadt ergab ein differenzier dem hat es eine Verbesserung des Betreu teres Bild. 28 der 60 antwortenden Schu ungsschlüssels für Kinder im Krippenal len (47 Prozent) gaben an, dass sie noch ■■ Nur ein Drittel mit Lehramtsstudium ter gegeben. Für Unter- Zweijährige gilt nicht alle Lehrkräftestunden voll beset Zu Beginn des Schuljahres hat die GEW nun eine Fachkraft-Kind-Relation von 1:4 zen konnten – im Mittel fehlte ihnen eine BERLIN öffentlich gemacht, dass nur 37 (vorher 1:4,25) sowie für Zwei- bis Drei Stelle. 60 Prozent der Schulen, die sich an Prozent der neu eingestellten Lehrkräfte jährige eine Relation von 1:5 (vorher 1: der Befragung beteiligten, mussten auch ein abgeschlossenes Lehramtsstudium vor 5,25). Im Länder-Vergleich der Bertelsmann in diesem Jahr Quer- und Seiteneinstei weisen konnten. Von den 2.700 eingestell Stiftung liegt Berlin beim Personalschlüs gende einstellen. An jeder dieser Schulen ten Lehrkräften sind lediglich 1.004 Lauf sel jedoch weiterhin weit hinten. wurden durchschnittlich mehr als zwei bahnbewerber*innen. 738 sind Querein Quer- oder Seiteneinsteigende eingestellt. steiger*innen (28 Prozent) und 915 Lehr Davon war insbesondere eine Schulform kräfte ohne volle Lehrbefähigung (34 Pro ■■ Neuerungen im betroffen: 23 der 36 Schulen sind Grund zent). 800 von ihnen unterzeichneten aktuellen Schuljahr schulen! Diese unfaire Verteilung der einen befristeten Arbeitsvertrag. Eltern von Grundschulkindern müssen Quer- und Seiteneinsteigenden wurde kein Büchergeld mehr zahlen. Da Sozial von mehreren Grundschulleitungen kriti transferfamilien sich nun nicht mehr von siert. Die GEW BERLIN wird für die Grund ■■ Beitragsfreie Kinderbetreuung der Eigenbeteiligungspflicht befreien müs schulen weiterhin Verbesserungen einfor für alle sen, fällt damit aber auch ein probates dern. Ähnlich sieht die Situation bei der Das neue Kita-Jahr begann mit einer gu Mittel zur Ermittlung sozialer Ungleich Ausstattung mit Erzieher*innen aus: Die ten Nachricht für Berliner Eltern. Zum 1. heit an Schulen weg. Weiterhin ist der Nach
OKTOBER 2018 | bbz KURZ & BÜNDIG 5 teilsausgleich nun im Schulgesetz defi Berliner Schüler*innen die Mindeststan ÜBRIGENS niert. Wer zum Beispiel unter einer Lese- dards im Lesen und sogar ein Drittel in Rechtschreibschwäche, Sehschwäche oder Rechtschreibung verfehlt. Die Standards Dyskalkulie leidet, kann bei schriftlichen Arbeiten auf eine längere Bearbeitungs zeit oder spezielle Arbeits- und Hilfsmit im Rechnen wurden von etwa einem Vier tel der Grundschüler*innen nicht er reicht. Damit liegt Berlin bundesweit auf G anz bald geht die Uni wieder los. Pas send zum Semesterbeginn erscheint unsere Ausgabe »Studieren in Berlin«. Wir tel bestehen. Erreicht der*die Schüler*in dem vorletzten Platz. Eine parlamentari betrachten diesmal aber nicht die Studien auch dann die zu prüfende Leistung sche Anfrage ergab nun, dass an Berliner bedingungen, sondern das politische En nicht, darf unter Umständen von einer Grundschu len immer öf ter auch die gagement und die Wohn- und Arbeitssitu Benotung abgesehen werden. Zudem wer Hauptfächer Deutsch, Mathe und Englisch ation der Berliner Studierenden. den Siebtklässler*innen und ihre älteren von fachfremdem Personal bestritten Schulkamerad*innen ab diesem Schuljahr erstmals im Fach Politik benotet. werden. Bis November 2017 wurde nach gewiesenermaßen zum Beispiel im Bezirk Charlottenburg- Wilmersdorf 41 Prozent E ngagement braucht Zeit, erinnert uns Pia Amerongen. Und auch wenn die Aktionen rund um den Tarifkampf der stu des Deutschunterrichts an Grundschulen dentisch Beschäftigten kurzzeitig den An ■■ Gemeinschaftsschule im von Lehrkräften erteilt, die dafür nicht schein erweckten, es gäbe eine Menge po Gesetz verankert ausgebildet sind. Schlimmer noch ist es litisierte Studierende, so sieht die Realität Gemeinschaftsschulen, die es bislang nur in Mathematik. In manchen Bezirken ist doch etwas anders aus. als wissenschaftlich begleitetes Pilotpro über die Hälfte des Mathematikunter jekt gegeben hatte, sind seit Mitte August offiziell als reguläre Schulen im Berliner Schulgesetz verankert. 24 Gemeinschafts richts betroffen. W ir stellen in einem Interview auch die Arbeit des studierendenWERKes vor. Klar ist, zu viele Studierende müssen schulen gibt es heute in Berlin und es ■■ Inklusion in Berlin zu lange auf eine Wohnung warten. Ein In gibt viele weitere Schulen, die eine werden vergleichsweise erfolgreich focenter soll in Zukunft wenigstens einen wollen. Die Schulen, an denen von der In Berlin lernen immer mehr körperlich besseren Überblick liefern. A ußerdem kri ersten bis zu zehnten Klasse Kinder aller wie geistig beeinträchtigte Schüler*innen tisiert Martina Regulin die Initiative der Se Leistungsstufen gemeinsam unterrichtet an regulären Schulen. Das geht aus einer natorin »Unterrichten statt Kellnern«. Stu werden, hatte in Studien gut abgeschnit Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor, dierenden und Schüler*innen wird hier ei ten. Sowohl schwächere als auch stärkere die Anfang September veröffentlicht wur niges zugemutet. CMdR Schüler*innen haben deutliche Lernfort de. Demnach besuchten 2017 nur noch schritte gemacht, außerdem soll die sozia 2,8 Prozent aller Berliner Schüler*innen le Herkunft an solchen Schulen deutlich eine Förderschule. 2009 waren es noch weniger Auswirkungen auf den Lerner 4,4 Prozent. Berlin ist damit inklusions VON MITGLIEDERN FÜR MITGLIEDER folg gehabt haben. freundlicher als der Bundesdurchschnitt Die Redaktion freut sich über Beiträge zu (4,3) und sogar auf Platz drei im Länder vielfältigen Themen, von jedem GEW- vergleich – hinter Bremen und Schleswig- Mitglied. Also schreibt für die bbz! Schickt ■■ Fachfremder Unterricht Holstein. Laut der Bildungsverwaltung eure Texte an bbz@gew-berlin.de und in der Grundschule sind inzwischen rund zwei Drittel aller bringt euch ein! Ende letzten Jahres hatte ein Länderver Berliner Kinder mit zusätzlichem Förder REDAKTIONSSCHLUSS – gleich ergeben, dass etwa ein Fünftel der bedarf an normalen Schulen. IMMER MITTWOCH bbz Dezember 2018: 31. Oktober bbz Januar 2019: 28. November IMPRESSUM Die bbz ist die Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Landesverband Berlin, Ahornstr. 5, 10787 Berlin und erscheint monatlich (10 Ausgaben) als Beilage der E&W. Für Mit glieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nicht mitglieder beträgt der Bezugspreis jährlich 18 Euro (inkl. Versand). Redaktion: Caroline Muñoz del Rio (verantwortlich), Markus Hanisch (geschäftsführend), Janina Bähre, Doreen Beer, Josef Hofman, Manuel Honisch, Arne Schaller, Ralf Schiweck, Folker Schmidt, Bertolt Prächt (Fotos), Gelareh Shahpar (studentische Hilfskraft), Doreen Stabenau (Sekretariat). Redaktionsanschrift: Ahornstraße 5, 10787 Berlin, Tel. 21 99 93-46, Fax –49, E-Mail bbz@gew-berlin.de Anzeigen und Verlag: GEWIVA GmbH, erreichbar wie Redaktion. Für Anzeigen gilt die Preisliste Nr. 14 vom 1. Juli 2017 Satz, Layout und Konzept: bleifrei Texte + Grafik/Claudia Sikora/Jür gen Brauweiler, Erkelenzdamm 9, 10999 Berlin, Tel. 61 39 36-0, Fax -18, E-Mail info@bleifrei-berlin.de Druck: Bloch & Co, Grenzgrabenstr. 4, 13053 Berlin ISSN 0944-3207 10/2018: 30.000 Unverlangt eingesandte Besprechungsexemplare und Beiträge werden nicht zurückgeschickt. Die Redaktion behält sich bei allen Gute Stimmung bei bestem Wetter, leckerem Essen und schwungvoller Musik: Das GEW-Som- Beiträgen Änderungen vor. Beiträge nur per E-Mail einsenden. Die in der bbz veröffentlichten Artikel sind keine verbandsoffiziellen merfest war auch in diesem Jahr wieder eine Freude. FOTO: GEW Mitteilungen, sofern sie nicht als solche gekennzeichnet sind.
6 STUDIEREN IN BERLIN TITEL bbz | OKTOBER 2018 Keine Zeit für Revolution 50 Jahre nach Beginn der 68er Bewegung stellt sich die Frage: Was treiben die Studierenden von heute an den Universitäten? Kann etwas davon Politik genannt werden? Fünf Tage später jedoch wurde von der Polizei auf von Pia Amerongen Anweisung der Universitätsleitung geräumt, obwohl kurz vorher ein Gesprächsangebot von Seiten der Be setzer*innengruppe geäußert wurde. Berliner Studierende haben in diesem Jahr für die seit Jahrzehn- D urch den Streik der Studentischen Hilfskräfte (siehe auch Seite 28) kam kurzzeitig wieder das Gefühl auf, an den Universitäten der Hauptstadt Ein ähnlich hoffnungsvolles Ereignis war die Be setzung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Humboldt-Universität im Jahr 2017, bei der Studie ten längsten Streiks würden noch Menschen politisiert. Ein politischer rende für die Rücknahme der Entscheidung, den an deutschen Hoch- Höhepunkt der Kampagne für einen studentischen wissenschaftlichen Mitarbeiter Andrej Holm zu ent schulen gesorgt. Tarifvertrag TVStud fand mit der Besetzung des Audi lassen, demonstrierten. Bald weiteten sich diese max der Technischen Universität Berlin am 13. Juni Forderungen jedoch aus und es wurde über Woh durch verschiedene studentische Gruppen statt. nungs- und Stadtpolitik diskutiert. Schlussendlich
OKTOBER 2018 | bbzTITEL 7 schöne Blase an den tatsächlichen Begebenheiten STUDIEREN IN BERLIN des Studierendenlebens in Berlin. Neben allerlei Clubs, Museen, nahegelegenen Seen und was auch immer die hippen Kulturzeitschriften der Stadt mal wieder offerieren, hat Berlin für Studis vor allem zweierlei zu bieten: schnell ansteigende Mieten, ei ne Steigerung von 9,4 Prozent innerhalb von zwei Jahren und eine permanente Situation der Überbu chung in den beliebtesten Studiengängen. Ersteres ist (fast) Dauerkritikpunkt an Berlin, zu mindest scheint sich hier seit spätestens letztem Jahr breiterer gesellschaftlicher Widerstand zu regen. Letzteres wird höflich ignoriert, scheint es. Weni ge Gruppen an den großen Universitäten kritisieren den Umstand, dass Studierende während Vorlesungen auf dem Bo den hocken müssen, Betreuer*innen für Abschlussarbeiten kaum zu fin »Berlin hat zu bieten: den sind und kaum persönlicher Kontakt zu Dozierenden, besonders schnell ansteigende Professor*innen, besteht. Haben sich Mieten und eine alle damit abgefunden? permanente Politische Organisierung wie re Überbuchung der gelmäßiger Austausch über die Se mestergrenzen hinweg finden oft zu beliebtesten wenig statt, von Kontakt zwischen Studiengänge.« verschiedenen Statusgruppen ganz zu schweigen. Dies liegt nicht, wie oftmals beschworen, an dem vermeintlichen man Andrej Holm ist ein deut- gelnden Interesse an Politik der heutigen Studien scher Sozialwissen- generation, sondern vor allem an den weitreichen schaftler mit dem den Veränderungen des Universitätsalltags. Die Schwerpunkt Stadtent- Bologna-Reform, hoch gelobt als das Einheitsprin wicklung und Woh- nungspolitik. Er hatte bei zip des Studierens in Europa, sorgt vor allem dafür, seiner Einstellung an der dass das Studium schneller, regelkonformer absol Humboldt-Universität ei- viert werden muss. Zeit für frei eingeteiltes Lernen ne falsche Angabe über und kritische Auseinandersetzung bleibt dabei im eine Tätigkeit als Offi- Studieren mer weniger. In Regelstudienzeit verbringen Bache ziersschüler bei der Stasi lor-Studierende nur drei Jahre an der Universität, gemacht. Nach fünfwö- die Räume für Engagement sind enger geworden. chiger Amtszeit als Staatssekretär für Woh- Statt Proteste zu planen, müssen die Studierenden nen im rot-rot-grünen in Berlin heute Credit Points sammeln, BAföG-Verlängerun Senat war er deswegen gen hinterherrennen, unbezahlte Praktika zeitgleich entlassen worden. Seit zum Nebenjob absolvieren. Gleichzeitig bekommen Februar 2017 berät immer weniger Studierende die Möglichkeit, sich Holm die Senatsverwal- das Studium über BAföG mitzufinanzieren. Weniger tung von Senatorin als 15 Prozent der eingeschriebenen Studierenden Lompscher als Mitglied des »Begleitkreises zum erhalten derzeit die staatliche Unterstützung (ver- Stadtentwicklungsplan gleiche BAföG-Artikel in der letzten Ausgabe). Ein Wohnen 2030«. Wert, der in Relation zu der Quote von Menschen an erreichten die Protestierenden nach vier Wochen der Universität aus nicht-akademischen Elternhäu Besetzung, dass Andrej Holm wieder an der HU leh sern steht. Räume der Vernetzung, unabhängig von FOTO: CHRISTIAN VON POLENTZ/TRANSITFOTO.DE ren darf (siehe rechte Spalte). Vielleicht wurde sogar den reglementierten Lesesälen und Gruppenräumen, darüber hinaus ein Raum geschaffen, in dem die stehen kaum mehr zur Verfügung: das Rote Café an Politisierung der Studierenden weitergetragen wird. der Freien Universität Berlin (FU) musste wegen As Zumindest zeigte sich in beiden Protesten, dass Soli best- und Schimmelschäden schließen und ist nun darität in den verschiedenen Sektoren der Universi provisorisch in einem kleinen Kellerverlies unter tät und ein Kampf für ein klares Ziel möglich sind. gebracht. Schlimmer hat es das Studierendencafé Der Fall Holm, der Tarifkampf der Studentischen Zwille an der TU getroffen, welches ohne Vorwar Beschäftigten, mit diesen Ereignissen im Kopf lässt nung geräumt wurde. Gehört zu einer exzellenten sich eine fast rosige Studierendengeschichte der Universität das Fehlen jeglicher kritischeren Stim letzten drei Jahre schreiben. Leider zerplatzt diese men dazu? Ironisch begleitet werden solche Aktivi
8 STUDIEREN IN BERLIN TITEL bbz | OKTOBER 2018 Auch wenn die Zeit täten der Universität mit dem zeitgleichen positiven me anbieten, in denen Studierende sich vernetzen. immer knapper wird, Bezug auf die Studierendenproteste. Rudi Dutsch Um diese Forderungen durchzusetzen, müssen eine Runde Cricket kes Porträt hängt verstaubt von der Decke des Henry- sich Studierende aber ihrer Rechte bewusst werden lassen sich die Stu- Ford-Baus der FU, politische Motivationen sollen und sich gemeinsam über verschiedene Statusgrup dierenden im Wohn- ebenso verstauben. pen hinweg organisieren. Studentische Proteste wie heim Schlachtensee Klagen über die fehlende Organisierung der Stu die TVStud-Kampagne geben dabei Hoffnung. Wei nicht nehmen. dierenden, auch in den Gewerkschaf tergehend muss politische ten, werden gerne geäußert. Doch Organisierung jedoch kam woher soll diese Zeit kommen? Wo pagnenunabhängiger auch her die Energie, Engagement und Bil »Die Bologna-Reform außerhalb der Hochschule dungsarbeit zu leisten, wenn das oft sorgt vor allem dafür, stattfinden. So wurde die auch heißt, weniger Zeit zu haben, dass das Studium eingangs erwähnte Bewe Geld für die Miete zu verdienen oder gung der 68er nicht nur von lebenslaufverschönernde Praktika zu schneller, angehenden Akademiker*in absolvieren? regelkonformer nen getragen, sondern auch Der Traum des Studiums im hippen absolviert werden von Lehrlingen und Auszu Berlin besteht für viele Studierende (und besonders für solche aus weni muss.« bildenden. So polemisch sie klingen mag, lautet meine ger privilegierten Verhältnissen) we Forderung daher: kommt nig aus Selbstgestaltung, ehrenamtlichen Engage raus, organisiert euch, kämpft gegen Leistungs ment, Freizeit und dafür umso mehr aus (prekärer) druck und Prekarisierung! Einen besseren Zeitpunkt Lohnarbeit, öden Pflichtveranstaltungen und oft als kurz vor der anstehenden Bewerbung der großen mals ewig dauernder Wohnungssuche. Lösungen Berliner Universitäten als »Exzellenzuniversitäten« dafür liegen nicht nur bei den Studierenden, es wird es so bald nicht mehr geben. müssten höhere BAföG-Bezüge her, höhere Freibe FOTO: BERTOLT PRÄCHT träge, mehr Studierendenwohnungen, eine längere Regelstudienzeit. Hochschulen könnten Credit Points oder andere Formen des Ausgleichs für en Pia Amerongen, gagierte Studierende anbieten und damit Engage Mitglied im Studierendenausschuss ment ihrer Studierenden fördern. Sie könnten Räu der GEW BERLIN
OKTOBER 2018 | bbzTITEL 9 Wie das studierendenWERK BERLIN STUDIEREN IN BERLIN seinen Mitgliedern helfen kann Was unternimmt das studierendenWERK Berlin gegen die Wohnungsnot von Studierenden? Diese und andere Fragen haben wir Pressesprecherin Jana Judisch gestellt Sind die alle für Studierende gedacht oder vermieten Interview: Folker Schmidt sie auch an Lehrkörper? Judisch: Alle sind ausschließlich für Studierende gedacht. Man muss an einer kooperierenden Univer Für welche Bereiche ist das studierendenWERK BERLIN sität eingeschrieben sein, um einen Wohnheimplatz eigentlich zuständig? bekommen. Nur die Personen, die unter das Studie Judisch: Ich beschreibe uns als »sieben Firmen un rendenwerksgesetz fallen, dürfen sich um einen ter einem Dach«, da wir eine breite Sparte an Ange Wohnheimplatz bei uns bewerben. boten bedienen. Wir haben die Wohnheime, wir ha ben die Mensen und Cafeterien und das BAföG-Amt. Handelt es sich bei diesen 9.427 Wohnheimplätzen um Darüber hinaus bieten wir auch eine umfängliche Einzelwohnungen? Beratung zur Studienfinanzierung, zum Studieren Judisch: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt 156 mit Kind, zum Wohngeld und allen Fragen rund ums Plätze für das sogenannte Wohnen mit Partner*in. Da Studium. Bei uns kann man auch den KFW-Studien sind die Wohnungen für zwei Personen, so geschnit kredit abwickeln. Dazu haben wir eine Job-Vermitt ten, dass sie nicht WG-tauglich sind. Beide Part lung, die Studierende in Nebenjobs bringen kann. ner*innen müssen allerdings eingeschriebene Stu Wir haben eine Beratungsstelle, die sich um die Be dierende einer kooperierenden Hochschule in Berlin lange von Studierenden mit chronischen Erkrankun sein. Wir haben weitere 437 Plätze als sogenannte Jana Judisch, Presse- gen oder Behinderungen kümmert. Es gibt ja ein Ge Wohnungen für mehrere Personen. Da gibt es dann sprecherin »studie- setz zur Vergabe von Integrationshilfen – das über Zwei- oder Dreiraumwohnungen, wo zwei bis drei rendenWERK Berlin« nimmt auch das studierendenWERK. Das heißt, wenn Personen wohnen. Anders als zum Beispiel die zum Beispiel Studierende, die taub sind, Gebär Wohneinheiten, wo es klassischerweise einen Gang den-Dolmetscher*innen brauchen, dann wird das pro Etage mit zehn Einzelzimmern, gemeinsamer über uns organisiert. Im Falle von Krisensituationen Küche und gemeinsamen Badezimmern gibt. Es gibt oder psychischen Problemen haben wir auch eine auch Einzelzimmer mit separatem Bad, wo man sich psychologisch-psychotherapeutische Beratung. Dann nur die Küche teilt. Oder auch Einzelzimmer mit haben wir noch einen umfänglichen Kulturbereich, eigenem Bad und einer kleinen Kochzei der sich um die kreativen Bedürfnisse der Studieren le. Es ist also hochkomplex und neben den kümmert. Da wäre eine organisierte Theater Einzelzimmer gibt es eben diese Wohn gruppe, ein Chor, die Möglichkeit, diverse Ausstel formen für Paare und auch für Studie lungen zu besuchen. Sowas organisieren wir auch. rende mit Kindern. Die Kinder müssen »Man muss an einer Nicht zuletzt haben wir sieben Kindertagesstätten dann natürlich nicht immatrikuliert sein, kooperierenden mit insgesamt 600 Kindern. Nicht an allen Campi aber beide Eltern. Universität gibt es allerdings Kitas. Das Berliner studierendenWERK ist für 21 Hoch Was schätzen Sie, wie hoch der Anteil der eingeschrieben schulen zuständig, die 12 staatlichen, die 2 kirchli von Ihnen verwalteten Wohnungen am Ge- sein, um einen chen und darüber hinaus noch für 7 private Univer samtbedarf der Berliner Studierenden ist? Wohnheimplatz zu sitäten. Das Gesetz gestattet uns auch mit privaten Judisch: In unsere Zuständigkeit fallen bekommen.« Universitäten Kooperationen einzugehen. etwa 167.000 Studierende. Mit der ge nannten Platzzahl liegt die Versorgungs Welches Gesetz ist das? zahl derzeit bei etwa 5,6 Prozent. Aller Judisch: Das Berliner Studierendenwerksgesetz! dings wollen ja nicht alle zu uns. Betrachten wir die Wir haben als Anstalt öffentlichen Rechts den Auf Bewerber*innen, die aktuell auf der Liste stehen, das trag, uns um Studierende zu kümmern. sind rund 4.000, dann haben wir eine verlässlichere Größenordnung. Mich interessiert vor allem das Wohnen. Über wie viele FOTO: LIBERTINA FOTOGRAFIE Wohneinheiten verfügt denn das studierendenWERK? Können Sie etwas zum Mietpreisspiegel sagen? Was ist Judisch: Wir haben insgesamt 33 Wohnheime. Ein zum Beispiel die günstigste Wohneinheit bei Ihnen und Wohnheim ist nicht zwingend nur ein Wohnhaus was die komfortabelste oder teuerste? sondern auch mal eine Anlage mit mehreren Häu Judisch: Die Preise hängen immer davon ab, wie sern. Insgesamt bieten wir 9.427 Wohnheimplätze, die Ausstattung ist. Das günstigste Zimmer liegt ak Tendenz steigend. Wir bauen gerade. tuell bei 160 Euro. Das wäre ein Einzelzimmer auf
10 TITEL bbz | OKTOBER 2018 einem Gang mit geteilter Küche und Bad. Die teuers Was tun Sie gegen die akute Wohnungsnot für Studie- STUDIEREN IN BERLIN te Wohneinheit kostet aktuell 405 Euro. Das ist ein renden in Berlin? Appartement mit eigener Küche und eigenem Bad Judisch: Wir haben 2017 fast 13 Millionen Euro für mit einem traumhaften Ausblick über den Tiergar Instandhaltung und Bauen ausgegeben. ten. Das sind so Filetstücke, da gibt es aktuell War tezeiten von über drei Semestern. Wir haben zwar Woraus finanziert sich dieses Geld? Aus den Mietein- auch Wohnungen, die 450 Euro kosten, das sind aber nahmen? Wohnungen, in denen mehrere Personen als WG zu Judisch: Die Gesamteinnahmen des studierenden sammenwohnen. WERKs teilen sich. Zum einen unterstehen wir recht lich dem Land, beziehungsweise seit den letzten Darf man sich dann schon vor dem Studi- Wahlen dem regierenden Bürgermeister, dem das um bewerben, damit man rechtzeitig zu Ressort Wissenschaft zugeteilt wurde. Daher erhal »Wir haben teilweise Studienbeginn einen Wohnheimplatz hat? ten wir vom Land Berlin einen Zuschuss. Der ist fest Wartezeiten von drei Judisch: Leider nein. Man muss schon gedeckelt und wird alle vier Jahre neu verhandelt. Semestern.« eingeschrieben sein, um sich auf eine Aktuell beträgt er 11,5 Millionen Euro pro Jahr. Dann Warteliste setzen lassen zu können. Es bekommen wir noch den sogenannten Sozialbeitrag. gibt Fälle, wo Leute an verschiedenen Das heißt, Studierende bezahlen mit ihren Semester Unis in verschiedenen Städten zugelas gebühren aktuell etwa 54 Euro pro Semester ans stu sen wurden und sich dann erstmal überall für einen dierendenWERK. Bei rund 167.000 Studierenden, die Wohnheimplatz anmelden. Das geht bei uns nicht. in unsere Zuständigkeit fallen, entsteht da eine recht Für die Bebilderung Bei uns müssen diese Studierenden nachweisen, hohe Summe, die etwas über der Summe liegt, die dieses Schwerpunkts dass sie schon die Immatrikulationsgebühr gezahlt wir vom Land erhalten. Diese beiden Posten zusam hat sich unser Foto- haben, also nur noch auf die Immatrikulationsbe men machen aber nur etwa 40 Prozent der Einnah graf auf dem Gelän- scheinigung warten, die ja manchmal sehr kurzfris men des studierendenWERKs aus. Rund 52 Prozent de des Student*in- tig zum Vorlesungsbeginn erst ankommt. In solchen erwirtschaften wir selbst. Im Bereich Wohnen zum nendorfs Schlachten- Fällen gestatten wir, dass die Immatrikulationsbe Beispiel finanziert sich alles über die Mieteinnah see umgeschaut. scheinigung nachgereicht wird. men. Nur das Bauen wird aus Rücklagen finanziert. Bis vor kurzem war es nicht möglich, dass das stu dierendenWERK zum Bauen einen Kredit aufnimmt. Inzwischen wäre es uns aber gestattet, bei der Inves titionsbank Berlin einen Kredit aufzunehmen. Aktu ell finanzieren wir unsere Bauprojekte aus unseren Rücklagen. Welche neuen Objekte planen Sie denn? Judisch: Es sind zwei konkrete Projekte in Bau. Das eine ist in der Mollwitzstraße in Charlottenburg. Da bauen wir ein Wohnheim mit 86 Plätzen. Im August wird der Grundstein gelegt. Und wir haben ein wei teres Bauvorhaben im Dauerwaldweg, auch in Char lottenburg, aber etwas weiter im Süden in Richtung der Freien Universität. Dort werden 50 neue Plätze entstehen. Wir planen 2019 mit beiden Projekten fertig zu werden. Für das kommende Semester wird noch nichts bezugsfertig sein, aber für das Sommer semester könnte das durchaus klappen. Sie haben teilweise Wartezeiten von drei Semestern? Judisch: Das stimmt. Was ich oft gefragt werde, ist: Was tut das studierendenWERK dagegen? Nun, wir versuchen zu bauen, wir versuchen hier und dort ein paar Plätze über Nachverdichtung dazu zu be kommen. Oder indem wir alte Hausmeister*innen wohnungen oder Gewerbe auflösen. Was wir aktuell zum 1. September planen, ist der Start eines In focenters, das die Zusammenarbeit mit anderen Wohnanbieter*innen in der Stadt voranbringt. Wenn FOTO: BERTOLT PRÄCHT Studierende bei uns keinen Platz bekommen, wir sie beraten und gegebenenfalls an Dritte weitervermit teln können. Die Zahl der Studierenden an den Uni versitäten steigt nach wie vor in sehr hoher Rate. Es werden internationale Studierende nach Berlin ge
OKTOBER 2018 | bbzTITEL 11 lockt und die fallen dann häufig aus allen Wolken, selbst gegründete, studentische Initiativen, die sich STUDIEREN IN BERLIN wenn sie ankommen und erkennen müssen, dass die um solche Fragen gekümmert haben. Das Wohnheim Wohnsituation leider nicht so ist, dass wir ihnen so in der Pfalzburger Straße hat zum Beispiel das Bau fort Wohnraum bieten könnten. Wo wir uns also jahr 1897, aber wann das zu einem Wohnheim ge deutlich besser aufstellen können und werden ist worden ist, das können wir gar nicht sagen, voraus Beratung. Die privaten Investor*innen haben in den letzten Jahren sehr viele Wohnheimplätze geschaf fen. Aber das ist ein sehr unübersichtlicher Markt. Hier kann das studierendenWERK beratend einsprin »Das günstigste Zimmer gen und sagen, »da gibt es den-und-den Anbieter«, liegt bei 160 Euro; die teuerste »dort wird grad was frei« oder auch »tut euch zu sammen gründet eine WG«, größere Wohnungen mit Wohneinheit kostet 405 Euro.« gemeinsamem Budget zu finden ist oftmals leichter. So können wir Studierende in den freien Markt hin ein vermitteln. Das ist im Grunde auch unsere Auf sichtlich nach dem Krieg. Das älteste als Wohnheim gabe, wir sind ein Service für Studierende. Und so genutzte Haus ist das Wohnheim Biesdorf. Das ist können wir den Studierenden in Berlin das Leben ein Anfang der 50er Jahre gebaut und immer als Studie bisschen leichter machen. rendenwohnheim genutzt worden. Wir haben aber auch viele Häuser und teilweise Villen umgebaut, die Was ist die älteste Unterkunft des Studierendenwerks vorher Privathäuser waren. in Berlin? Ist das das Studentendorf in Schlachtensee? Judisch: Als Institution gibt es uns als studieren Frau Judisch, ich fand unser Gespräch sehr informativ denWERK BERLIN erst seit 1973. Vorher waren das und angenehm, vielen Dank. Liebe Studierende, liebe Leser*innen, wir möchten diese Ausgabe passend zum Schwerpunktthema »Studieren in Berlin« nutzen und uns als Leitungsteam des Lan desausschusses Studierender (LAS) der GEW BERLIN vorzustel len. Im April 2018 wurden wir auf der Mitgliederversammlung der Personengruppe Studierender gewählt und bedanken uns bei den Mitgliedern für das in uns gesetzte Vertrauen. Die vergangenen Monate waren stark vom Tarifkampf für den neuen TVStud, der Einarbeitung in die verschiedenen Gremien in der GEW und der Planung der Studierendenarbeit für das nächste Semester in Berlin geprägt. Dabei stehen eine Menge wichtiger Themen auf der Agenda, die wir umsetzen wollen. Wir möchten im Herbst bei der Novellierung des Berliner Hoch schulgesetzes (BerlHG) studentische Perspektiven einbringen. Hierfür erarbeiten wir unsere Positionen. Zum Start des neuen Semesters wollen wir die Gründung von Hochschulgruppen vorantreiben und mit den ersten Treffen beginnen. Innerhalb der GEW BERLIN vertreten wir die Studierenden in der Abtei lung Wissenschaft und im Landesvorstand. Bundesweit wollen wir auf eine neue BAföG-Novelle hinwirken und uns dafür mit anderen Studierendenstrukturen wie beispielsweise dem Bun Unser Ziel ist es, Konzepte und Aktionen zu planen, um auf desausschuss Studierender der GEW (BASS) vernetzen. Es ist verschiedene Probleme von Studierenden, wie kaum vorhande uns wichtig, die Präsenz von Gewerkschaften und ihren Positi nen bezahlbaren Wohnraum, die Novellierung des BAföGs, des onen an den Universitäten und Hochschulen zu verbessern. BerlHG und eine demokratischere Hochschule aufmerksam zu Dafür wollen wir auch mit der DGB Jugend, der jungen GEW machen und diese Situationen zu verbessern. Das können wir und den anderen Gewerkschaftsjugenden zusammenarbeiten. nur gemeinsam erreichen. Als LAS sind wir für mindestens ein Jahr gewählt. Zum April Wir freuen uns auf eure Mitarbeit, auch bei weiteren Themen, 2019 kann es eine neue Mitgliederversammlung mit einer Wahl die für uns Studierende wichtig sind. Bei Fragen und Problemen geben. Wir treffen uns als LAS mindestens einmal im Monat, um sind wir als LAS gerne Ansprechpartner*innen für unsere stu unsere Aktivitäten abzusprechen. Diese Treffen wollen wir mög dentischen Mitglieder und versuchen eure Interessen innerhalb lichst offen und interessant gestalten und in Zukunft die Sit und außerhalb der GEW stark zu machen. Anne Hüls, Mitglied im Leitungsteam des LAS FOTO: PRIVAT zungen für studentische GEW Mitglieder offen ankündigen und bewerben. Alle studentischen GEW Mitglieder können Themen Ihr könnt uns unter las@gew-berlin.de oder unter Facebook einbringen und sich mit uns gemeinsam im LAS engagieren. www.facebook.com/JungeGewBerlin/ erreichen.
12 STUDIEREN IN BERLIN TITEL bbz | OKTOBER 2018 von Martina Regulin S o, nun soll es also einfacher sein, mal ein paar Schüler*innen zu unterrichten, als ein wenig zu Kellnern? Dieses »Angebot für den Studienjob mit Zukunft« von Senatorin Sandra Scheeres, das den Lehrkräftemangel zusätzlich bekämpfen soll, hinter lässt genau diesen Eindruck. Die Senatsverwaltung hatte auf ihrer Website angeboten, dass sich Studie rende, die sich in einem lehramtsbezogenen Master studiengang befinden oder einen solchen beginnen wollen, für gutes Geld an Berliner Schulen verdingen sollten. Ich finde es viel anspruchsvoller bis zu 30 Schüler*in nen in einer Schulklasse 45 Minuten »bei der Stange« zu halten, als 30 Gäste in einem Lokal zufrieden zu stellen. Interessanten und fachlich qualifizierten Un terrichtsstoff in kleine Häppchen an die Kinder oder Jugendlichen zu bringen, sich im mer zu vergewis sern, ob alle da »So werden bei sind und ob junge Menschen alle es verstan ausgenutzt.« den haben und dann das nächs te Häppchen servieren. Immer die gesamte Gruppe im Auge habend und konzentriert auf jede kleine Störung angemessen reagieren, damit sich nichts hochschaukelt und man sich nicht in der Klasse der Feuerzangenbowle wiederfindet, in der Schüler*in nen die Gestaltung des Unterrichts vollständig über nommen haben. Die Informationen über die Quereinsteiger*innen an den Schulen sind in den letzten Monaten durch die Presse immer besser geworden. Viele Eltern in Berlin wundern sich nur noch, was da an den Schu len so vorgeht. Viele fragen sich, ob jetzt jede*r ihre Kinder unterrichten kann und darf. Die Lehrer*innen an den Schulen freuen sich natürlich über neue Lehr kräfte, aber neue und zudem nicht vollständig aus gebildete Kolleg*innen benötigen auch viel Unter stützung. Die Quereinsteiger*innen erhalten diese durch zusätzliche didaktische Schulungen, da sie bereits über mindestens einen fachlichen Diplom-/ Masterabschluss verfügen. Und die Studierenden, die nun neu an die Schulen kommen? Diese haben einen Unterrichten Bachelor und studieren im Master auf den Lehramts abschluss. Hier sollen sie das didaktische Hand statt Kellnern werkszeug erlernen, um später als qualifizierte Leh rer*innen arbeiten zu können, natürlich nach der Absolvierung des Referendariats, das Teil der Aus bildung ist. Nun können sie aber gleich einfach mal Die Senatorin hatte eine Idee. In der in die Praxis »schnuppern«, indem sie unterrichten Praxis führt sie zu Problemen statt Kellnern. Wer wird dies Angebot wahrnehmen wollen? Studierende, die sich für ihren Lebensunter FOTO: BERTOLT PRÄCHT halt etwas dazu verdienen müssen. Diese können im Umfang von bis zu 13 Unterrichtsstunden (50 Prozent) an den Schulen arbeiten. Ist das möglich? Und das Studium? Ja das wird dann ein wenig länger dauern. Auch nicht schlimm? Doch!
OKTOBER 2018 | bbzTITEL 13 Denn die gut ausgebildeten Lehrkräfte werden an ter*innen an den Hochschulen nur zu gut. Dort gibt STUDIEREN IN BERLIN den Schulen dringend gebraucht. Aber selbst wenn es für die Promotion extra Betreuungsvereinbarun man die Verzögerung verschmerzt, die Betreuung gen, damit Qualifikation und Arbeitsleistung nicht der Studierenden soll nach Auskunft der Senatsver ständig vermischt werden. waltung für Bildung, Jugend und Familie die Schul Trotz aller Kritik ist es eine Möglichkeit für Studie leitung übernehmen, die aufgrund ihrer vielen Auf rende, die Schule während der Ausbildung kennen gaben das nur schwerlich leisten kann. Eine Beglei zu lernen, Geld zu verdienen und das Erfahrungs tung für die Studierenden gibt es nicht. Diese kön wissen durch den erteilten Unterricht ist sicher auch nen aber »freiwillig«, zusätzlich zu allem anderen, ein wertvolles Gut. Dennoch gibt es viele Herausfor an Veranstaltungen des Quereinstiegs teilnehmen. derungen, denen sich die Was für eine Aussage! Studierenden und die je Die Studierenden werden demnach in der Regel weiligen Schulleitungen sofort eigenständigen Unterricht erteilen. Dies in und Lehrkräfte an den einem Umfang von bis zu 13 Unterrichtsstunden, Schulen stellen müssen. »Ich finde es viel welche einer Arbeitszeit von 20 Stunden pro Woche Und nur wenn diese Her anspruchsvoller bis zu entsprechen soll. Aber genau dies muss ebenfalls ausforderungen und Pro Kritik aufwerfen. Die Arbeitszeitkalkulation ist schon blemstellungen auch ih 30 Schüler*innen in einer bei erfahrenen Lehrkräften gewagt. Bei diesen rech ren Raum zur Klärung Schulklasse 45 Minuten net man bei Vollzeit (26 Unterrichtsstunden) mit und Hilfestellung finden, ›bei der Stange‹ zu halten, einer tatsächlichen Arbeitszeit von 45 bis 55 Stun bleiben weder die Studie den die Woche, bei Studierenden, die sowohl didak renden noch die Schü als 30 Gäste in einem Lokal tisch als auch fachwissenschaftlich nicht voll ausge ler*innen auf der Strecke. zufrieden zu stellen.« bildet sind, ist die Annahme erst recht unrealistisch. Der sehr heterogene ar Zumal diese das Handwerkszeug des Unterrichtens beitsintensive Alltag in in der Universität in den Bachelorstudiengängen bes Schulen macht es schwer, tenfalls angerissen haben, denn die didaktische Aus dies adäquat anzugehen. Hier müsste die Senatsver bildung soll ja erst im Masterstudium und Refe waltung durch Mentoringmodelle gegensteuern. rendariat erfolgen. Daraus folgt meiner Meinung Mein Eindruck ist, hier gab es eine schöne Idee, nach, dass die jungen Menschen in jedem Fall mehr schulnahes Potential in den Studierenden gefunden Vor- und Nachbereitungszeit brauchen. Die zeitfres zu haben, die den Lehrer*innenmangel in den Schu senden Dokumentationen, die der Schulalltag mit len begrenzen können, aber die Herausforderungen, sich bringt, und dann natürlich die objektive Noten die damit an alle Beteiligten gestellt werden, wurden gebung, dies alles ist noch gar nicht berücksichtigt. übersehen. Die Studierenden sind Teil des Lehrkörpers und ha Eine Evaluation der Maßnahmen muss dringend ben laut Senatsbildungsverwaltung ja die Möglich erfolgen. Daten über Einsatzstunden, Einsatzort und keit in einem Fall der Überforderung die Schullei Praktikumsort, mögliche Studiumsverzögerung und tung um Unterstützung zu bitten oder eben den natürlich eine anonyme Befragung zu den Bedingun Vertrag wieder zu beenden. gen müssen erhoben werden. Das sollte natürlich Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass sie bei auch bei den Quereinsteiger*innen erfolgen, um den einer Krise, bei der sie vielleicht an ihrem Ausbil gefühlten Problemstellungen objektive Fakten ent dungsziel Lehrkraft zweifeln, nicht systematisch gegen zu setzen. aufgefangen werden, sondern ihrer Resilienz und Denn was nicht vergessen werden darf: Der Unter ihren eigenen Fähigkeiten zur Reflexion überlassen richt an den Schulen, egal durch welche Lehrperson, werden. So werden junge Menschen ausgenutzt. soll die Kompetenzen der Schüler*innen erweitern, Ein anderer Kritikpunkt ist der Einsatzort der Studie ihnen eine gute Bildung vermitteln, mit der diese renden. Diese absolvieren in ihrer Masterstudiums dann ebenfalls eine universitäre oder berufliche ausbildung ein Schulpraktikum, also warum nicht Ausbildung erfolgreich abschließen können. Es geht gleich hier arbeiten? Ja, kurze Wege und man kennt eben nicht darum die Schüler*innen zu betreuen, sich schon aus. Schöne Idee, wenn man ignoriert, dass sondern sie zu unterrichten. hier der Teil der Ausbildung und Bewertung stattfin Mein Fazit: Kellnern ist ein anstrengender Job, det, der dann ins Referendariat führen soll. Wie sollen aber nicht halb so verantwortungsvoll wie unterrich das die Betreuer*innen von der »Leistung« als volle ten! Und die Studierenden erhalten dazu zu wenig Lehrkraft trennen? Was, wenn die Lehrkraft, eigent strukturell abgesicherte Unterstützung. lich ja Studierende*r, ihre Klasse nicht in den Griff bekommt und das im Lehrerzimmer ansprechen möchte, wo dann auch die Betreuungsperson für die Lehrausbildung sitzt? In jedem Fall eine komplexe Situation. Denn wie soll sich der*die Betreuer*in, so Martina Regulin, reflektiert sie auch an die Bewertung und Betreuung Vorstandsbereich Hochschulen und rangeht, von diesem Eindruck völlig befreien? Lehrer*innenbildung Genau diese Situation, wenn auch mit anderen Be dingungen, kennen die wissenschaftlichen Mitarbei
14 KINDER-, JUGENDHILFE & SOZIALARBEIT bbz | OKTOBER 2018 Hohe Fallzahlen – Wenig Zeit – Großer Druck Thora Ehlting und Sophie Klaes von der Hochschule Koblenz berichten über die Ergebnisse ihrer Studie »Berufliche Realität im Jugendamt: der Allgemeine Soziale Dienst in strukturellen Zwängen« Es wird geurteilt und bewertet in Berichten ehrliches Interesse aufzuzeigen, unter Interview: Maria Schäfer über Versagen, über Fehler oder Schuld. welchen Arbeitsbedingungen im ASD ge Wie jedoch der reale Arbeitsalltag von Mit arbeitet wird. arbeiter*innen im ASD aussieht, wo und K ontakt mit dem Jugendamt gehört für jede Fachkraft aus Bildungs- und Er ziehungseinrichtungen mittlerweile zum unter welchen Bedingungen sie arbeiten, welche Aufgaben sie haben, das wissen die Wenigsten. Welche Belastungen wurden am häufigsten genannt? Ehlting: Ein massiver Teil sind die hohen Alltag. »Nie erreiche ich jemanden im Ju Klaes: Die Idee der Studie war dann, Fallzahlen sowie die Dokumentations gendamt!« oder »Das Kind braucht drin den Mitarbeiter*innen eine Stimme zu ge pflicht. Ein Teufelskreis für die Fachkräfte. gend Hilfe und das Jugendamt macht ben. Statt weiter über sie zu sprechen, Einerseits müssen sie zur eigenen, rechtli nichts!« lauten gelegentlich die entnerv wollten wir mit ihnen sprechen. Ziel ist, chen Absicherung ihrer Arbeit jeden klein ten und wütenden Kommentare vieler die Stimme der Basis zu nutzen, um einer sten Schritt dokumentieren. Zum anderen Lehrer*innen und Erzieher*innen. Doch seits ein realistischeres Bild der Arbeit im steigt durch die hohen Fallzahlen der unter welchen Bedingungen arbeiten un Jugendamt öffentlich zu machen und Zeitdruck dieser Dokumentationspflicht sere Kolleg*innen im Allgemeinen Sozia gleichzeitig Fachkräfte zu ermutigen, über nachzukommen. Im Ergebnis fehlt es an len Dienst (ASD)? Was genau gehört zu die Bedeutung ihrer Arbeit zu sprechen. wertvoller Zeit für den direkten Kontakt deren Aufgaben? Die berufliche Realität zu Eltern, Kindern und Fachkräften. Die im Jugendamt kennen die Wenigsten. Ka 652 Fachkräfte aus 175 Jugendämtern, ser aber ist dringend notwendig, um Ge thinka Beckmann und ihr Team zeigen mit deutschlandweit, wurden befragt. Wie ha- fahren im Sinne des Kindeswohls gut ein ihrer Studie ein repräsentatives Bild von ben Sie es geschafft, die Mitarbeiter*innen zuschätzen und richtige Hilfen zu finden. Belastungen und strukturellen Zwängen zur Teilnahme an der Studie zu motivieren? im ASD. Sie stärken damit die Stimme eines Ehlting: Mein Eindruck war, dass die Gab es große Unterschiede bezüglich der Arbeitsbereichs, der täglich mit viel Ver Fachkräfte schnell gemerkt haben: bei Verteilung von Belastungsfaktoren zwischen antwortung, anspruchsvollen Aufgaben dieser Studie geht es nicht darum Vor den Bundesländern? und knappen Ressourcen umgehen muss. würfe zu erheben oder Fehler zu suchen, Ehlting: Nein, im Gegenteil. Es lassen sich sondern wirklich um ihre Arbeitsrealität. weder Wechselbeziehungen zwischen einer Wie entstand die Idee, die Arbeitsbedingun- Klaes: Wahrscheinlich haben sich viele hohen beziehungsweise niedrigen Belas gen in Jugendämtern zu untersuchen? Fachkräfte abgeholt gefühlt, da das An tung im ASD und den Bundesländern, Ost- Ehlting: Medial erfährt das Jugendamt schreiben zum Fragebogen von den Initia im Vergleich zu Westdeutschland oder häufig eher negative Aufmerksamkeit, in tor*innen, dem Jugendamt Berlin-Mitte Großstädte im Vergleich zu ländlichen Re Fällen in denen etwas schiefgegangen ist. ausging. Da wurde deutlich: wir haben ein gionen beobachten. Das zeigt wie individu ell die einzelnen Jugendämter sind. Genau so verhält es sich auch mit der Unterschied lichkeit der Aufgaben und Zuständigkeiten der ASD Mitarbeiter*innen. Angefangen von Sorgerechtsberatung über Obdachlosen hilfe, bis zur Beratung bedürftiger, älterer Menschen begegneten uns teilweise Aufga ben, von denen wir selbst nie ahnten, dass sie zur Arbeit eines Jugendamtes gehören. Klaes: Die Unterschiede beginnen manch mal schon innerhalb eines einzelnen Ju gendamts. Wir haben festgestellt, jedes Jugendamt hat seine eigene Struktur und unterschiedliche Ressourcen, ihre Fach kräfte auszustatten. So kann es beispiels weise vorkommen, dass ein*e Mitarbeiter*in FORSCHUNGSTEAM DER HOCHSCHULE KOBLENZ: Prof. Dr. Kathinka Beckmann (links), Pro- den sozialen Brennpunktstadtteil betreut fessorin im Studiengang »Pädagogik der Frühen Kindheit«. Im Masterstudiengang »Kindheits- und für doppelt so viele Familien zuständig und Sozialwissenschaften« leitet sie den Schwerpunkt »Kinderschutz & Diagnostik«. Thora Ehl- ist, wie eine Kolleg*in, die mit dem reichen ting M.A. (mitte), 20 Jahre Berufspraxis in der stationären Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Vorstadtteil weniger zu tun hat. ASD-Arbeit, seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Studiengangskoordinatorin im Stu- FOTOS: PRIVAT diengang »Bildung & Erziehung (dual)«. Sophie Klaes M.A. (rechts), 11 Jahre Berufspraxis in Kann man auf einen Zusammenhang zwi- Kindertagesstätten, seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Studiengangskoordinatorin schen der Haushaltslage einer Kommune im Studiengang »Pädagogik der Frühen Kindheit« und den Arbeitsbedingungen der jeweiligen
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