TITELTHEMA DIE WURZEL - VERBORGENE VIELFALT | S. 4 - IPK GATERSLEBEN
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2020 / 02 TITELTHEMA WISSENSCHAFT PANORAMA DIE WURZEL - ZWEI ERC STARTING CHRISTOPH MARTIN - VERBORGENE GRANTS FÜR DAS DER ÜBERFLIEGER VIELFALT | S. 4 INSTITUT | S. 10 -13 VOM IPK | S. 45 Editorial | 1
Liebe Leserinnen und Leser, In in vielerlei Hinsicht außergewöhnliches Jahr neigt sich dem Ende zu. So oder so ähnlich lautet in diesem Jahr das omnipräsente Dictum vieler Jahresrückbli- cke. Selten war die Feststellung so zutreffend, wie in diesem, durch das Corona Virus beherrschten, Jahr. In den vergangenen Monaten wurde uns allen bewusst, dass Pandemien keine Relikte von ausschließlich his- torischer Bedeutung sind. Angesichts der globalen Mo- bilität, den vielfältigen Entstehungsmöglichkeiten von Zoonosen einhergehend mit einer in der Geschichte un- serer Zivilisation noch nie da gewesenen Vernetzung von Ländern und Kontinenten, erscheint es geradezu bemer- kenswert, dass wir so lange verschont geblieben sind. Prof. Dr. Andreas Graner Mit dem Eintreffen der ersten Infektionswelle im März Printmedien, Hörfunk und Fernsehen gewinnen soziale mussten Maßnahmen zum Schutz der Beschäf- Medien zunehmend an Bedeutung. Dementsprechend tigten und zur Sicherstellung des Forschungsbe- erfreut sich die Twitter-Seite des IPK einer wachsenden triebs getroffen werden. Dies betraf den Betrieb des Aufmerksamkeit. Besuchen Sie uns unter https://twitter. Casinos, verstärkte Zugangskontrollen sowie die Ar- com/IPKGatersleben und informieren Sie sich in dieser beitsorganisation (Schichtbetrieb, Homeoffice). Ausgabe des IPK Journals über weitere „Social Media“ Erfreulicherweise ist es trotz dieser Einschränkungen Aktivitäten junger Wissenschaftler aus dem Institut. gelungen, die Arbeiten in Feld und Gewächshaus so- wie die Laborexperimente weitgehend uneingeschränkt Auch in diesem Jahr machte das Institut wieder mit durchzuführen. Das gleiche trifft auch für die adminis- einer Vielzahl wissenschaftlicher Ergebnisse auf sich trative und technische Unterstützung zu. Allen, die in aufmerksam. Diese haben sich in bislang über 190 be- den vergangenen Monaten den Umständen getrotzt gutachten Publikationen niedergeschlagen. Die jüngs- und damit zur Aufrechterhaltung des Forschungs- ten Highlights stellen die Veröffentlichungen der betriebs und zum Gelingen der Arbeiten beigetra- „Pangenome“ von Gerste und Weizen dar. Diese wur- gen haben, sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt. den Ende November in der Zeitschrift Nature publiziert. Die Arbeiten zum Gerste-Pangenom wurden hier am Ins- Wissenschaft bedarf der Kommunikation. Auch hier titut koordiniert und geleitet. Weiterführende Informatio- gab es große Einschnitte: Ab März mussten sämtliche nen zu beteiligten Protagonisten oder zu den Gewinnern Veranstaltungen am IPK abgesagt werden. Dies betraf von Forschungspreisen finden Sie auf den folgenden unter anderem die Tage der offenen Türen in Gaters- Seiten. Besondere Anerkennung verdient die Einwer- leben und Malchow sowie die „Plant Science Student bung von zwei „Starting Grants“ des „European Rese- Conference“. Ebenso mussten sämtliche Seminare als arch Councils“ (ERC) durch zwei IPK-Wissenschaftler. Präsenzveranstaltungen storniert werden. Doch mit Um wen es sich dabei handelt und was es noch Interes- dem Umstieg auf Videokonferenzen wurden neue Wege santes zu Themen und Personen aus dem Institut gibt, eröffnet. Diese stellen mehr als nur Ersatzlösungen dar erfahren sie in der vorliegenden Ausgabe des IPK Journals. und werden in Zukunft wichtiger Bestandteil eines ver- änderten Kommunikationskonzepts in der Wissenschaft Bevor Sie weiterblättern, möchte ich die Gelegenheit sein. Eine erste Nagelprobe hierfür war der diesjähri- nutzen, allen Kolleginnen und Kollegen sowie allen ge „virtuelle Besuch“ des Wissenschaftlichen Beirats, Freunden und Unterstützern des IPK für ihr Engagement der in Form einer dreitägigen Online-Veranstaltung mit in den vergangenen Monaten zu danken. Ich wünsche Vorträgen, Break-out Sessions und Sitzungen stattfand. Ihnen allen eine erholsame Adventszeit, frohe Festta- Hierbei waren die Beiratsmitglieder aus Deutschland, ge, Gesundheit und Wohlergehen im kommenden Jahr Österreich, Frankreich, der Schweiz und aus Taiwan zu- sowie, wie immer, viel Freude beim Lesen. geschaltet. Ihr Andreas Graner Neue Wege beschreitet das Institut auch im Hinblick auf Wissenschaftskommunikation. Neben den klassischen 2 | Editorial Editorial | 3
INHALTSVERZEICHNIS TITELTHEMA 04| Die Wurzel - Verborgene Vielfalt WISSENSCHAFT IMPRESSUM 07| Auf dem Weg zum Pan-Genom der Gerste Herausgeber: Leibniz-Institut für Pflanzengenetik 10 | „Die Pyramide wird nach oben immer schmaler“ und Kulturpflanzenforschung (IPK) 12| „Das war wie ein Lottogewinn“ OT Gatersleben, Corrensstraße 3, D-06466 Seeland 14| Auf der Suche nach der Knollengerste Tel.: + 49 (0) 394 82 54 27 | Fax: 49 (0) 394 82 55 00 19| Wie lange überleben Samen auf Spitzbergen? info@ipk-gatersleben.de | www.ipk-gatersleben.de 21| „Wir brauchen einen Kulturwandel“ 23| Der Zwiebelkönig von Gatersleben Redaktion: Dr. Jens Freitag, Christian Schafmeister 25| IPK-Forscher rücken an die Spitze Satz/Layout: Andreas Bähring 26| Drei Millionen für Teilsammlungen Nord Assistenz: Katja Koch 27| Zukunftsort Green Gate Gatersleben 28| Promotionspreis für Zhongtao Jia Nummer der Ausgabe: 2020/02 29| Auszeichnungen für Alevtina Ruban und Dominic Knoch 30 | Ein Wegbereiter für das IPK Redaktionsschluss: 30. November 2020 32| Brückenbauer über Grenzen hinweg Auflage: 400 Exemplare Papier: Maxioffset, EU Ecolabel zertifiziert, Umschlag: 110 g/m2, innen: 110 g/m2 Druck: Halberstädter Druckhaus GmbH KOMMUNIKATION Bildnachweise: 33| Dialog statt Einbahnstraße 35| Martin Becker tauscht Labor gegen Bühne Titelbild: Sonnenblumenwurzel (Lemnatecanlage, Bearbeitung: Andreas Bähring) 37| Wie die Tomate Heinz bei Twitter für Furore sorgte Andreas Bähring (IPK Leibniz-Institut) Seiten: 1, 7, 11, 12, 13, 14, 25, 34, 37, 38, 39, 41, 42, 44 Christian Schafmeister (IPK Leibniz-Institut) Seiten: 16, 23 Eva Siebenhühner (IPK Leibniz-Institut) Seiten: 5, 23 oben, 24, 27, 45, 46 PANORAMA Dr. Jens Freitag (IPK Leibniz-Institut) Seiten: 29 (Personen v. links nach rechts: Valentin Hinterberger, Dominic Knoch; Johannes Heilmann; Alevtina Ruban; Andreas Graner; Viktor Korzun ), 38| Der Strippenzieher 49 (außer Gruppenfotos) 40 | Deutsch-iranisches Traumpaar macht Schlagzeilen Prof. Dr. Thomas Altmann (IPK Leibniz-Institut) Seite: 4 43| Auf Motivsuche in der Ährensammlung PD Dr. Manuela Nagel (IPK Leibniz-Institut) Seiten: 19, 20 44| „Ich bin eine kleine Nomadin“ Iris Koeppel (IPK Leibniz-Institut) Seite: 34 Charlotte Kiso Seite: 47 45| Der Überflieger Norbert Franke Seite: 32 47| Jung, engagiert und besorgt Privatbild; von der Pressestelle der TU München Seite: 31 49| Corona-Impressionen Dr. Michael Melzer (IPK Leibniz-Institut) Gruppenbild PRB / Seite: 49 Dr. Jörg Fuchs (IPK Leibniz-Institut) Gruppenbild ME / Seite: 49 Dr. Frank Blattner (IPK Leibniz-Institut) Seite: 15 50 | Publikationen Daiyan Li Seite: 28 Katharina Menck (IPK Leibniz-Institut) Seite: 26 52| Veranstaltungen 54| Drittmittel 4 | Impressum Inhaltsverzeichnis | 5
DIE WURZEL - den, waren es am Ende insgesamt 360 Pflanzen. Und damit war die Rhizotronanlage in der Pflanzen- kulturhalle erstmals für einen Versuch voll belegt. VERBORGENE Aus Sicht von Versuchsleiterin Dr. Christiane Sei- ler macht der enorme Aufwand durchaus Sinn. Sie VIELFALT ist überzeugt, dass das Thema Wurzel weiter an Bedeutung gewinnen wird. „Zum einen haben wir heute in der Phänotypisierung deutlich mehr Mög- lichkeiten als noch vor einigen Jahren, zum ande- ren sind Wurzeln für die Gesamtentwicklung einer WAS SICH THOMAS ALTMANN UND CHRISTIANE SEILER Pflanze von entscheidender Bedeutung.“ Das gilt natürlich auch mit Blick auf den Klimawandel und VON EINEM GROSSVERSUCH IN DER den zunehmenden Trockenstress, dem zahlrei- PFLANZENKULTURHALLE ERHOFFEN. che Pflanzen verstärkt ausgesetzt sein werden. Wenn Pflanzen Strategien anwenden, um den Tro- ckenstress zu vermeiden, senden oft zunächst Wur- zeln die entsprechenden Signale aus. Die Pflanzen Dr. Christiane Seiler kontrolliert das Wachstum der Pflanzen. schalten danach gewissermaßen in einen „Sparmo- dus“ um und reduzieren ihren Wasserverbrauch und Und dann kam mitten im Sommer der Frühling - zu- ihr Wachstum. Andere bilden von vornherein länge- mindest in der Pflanzenkulturhalle. „Wir haben uns Blick auf die Rhizotrone in der Pflanzenkulturhalle re Wurzeln, die steil in den Boden wachsen, um in tie- für Bedingungen entschieden, wie sie an einem Tag feren Schichten noch an Wasser zu kommen. Doch im späten Frühjahr vorherrschen könnten. es gibt auch noch weitere wichtige Aspekte. Wie et- S ie fällt bei einer Pflanze nicht auf den ersten „Wir haben vor allem Pflanzen ausgesucht, die welt- wa erreichen die Wurzeln - und damit die Pflanzen Blick ins Auge und wird deshalb auch oft als weit von großer Bedeutung sind und die auch am IPK - Nährstoffvorkommen in verschiedenen Bereichen „hidden half“ bezeichnet, also als versteck- sehr intensiv untersucht werden, darunter Weizen des Bodens? Wie reagieren sie auf unterschiedliche te Hälfte. Doch das wird ihrer Bedeutung keinesfalls und Gerste. Wir haben aber auch Pflanzen in dem Nährstoffangebote? Und über welche Mechanismen gerecht, die Wurzel erfüllt schließlich drei zentra- Versuch berücksichtigt, die in Zukunft möglicher- werden diese Reaktionen ausgeführt? le Funktionen. Sie gibt einer Pflanze Halt, sorgt für weise eine größere Rolle spielen könnten“, sagt Prof. die stabile Verankerung im Boden. Über die Wurzel Dr. Thomas Altmann, Leiter der Abteilung Molekulare Doch bevor es Ende August losging und Wurzeln und nimmt die Pflanze Wasser aus dem Boden auf. Und Genetik. Im Blickpunkt standen stets zwei Aspekte: Sprosse jeden Tag automatisiert fotografiert und be- über ihre Wurzel versorgt sich die Pflanze mit den die Architektur des Wurzelsystems und die Dynamik wässert werden konnten, musste der Versuch in der nötigen mineralischen Nährstoffen. Die Wurzel ist al- der Wurzelentwicklung. Pflanzenkulturhalle erst aufwändig vorbereitet wer- so für die Pflanze überlebenswichtig. Das sind ent- den. „Wir haben allein 2 ½ Wochen benötigt, um die scheidende Gründe, sie intensiv zu erforschen, auch Die Architektur des Wurzelsystems ist sehr kom- 360 Rhizotrone mit der entsprechenden Erde zu be- am IPK Leibniz-Institut. plex und sie ergibt sich aus der Kombination ver- füllen, das war echte Handarbeit“, erklärt Christiane schiedener Eigenschaften. Es geht um Faktoren Seiler. Zehn Kilo Erde kamen in jeden der Behälter, Nachdem das Thema Wurzel in der Vergangenheit wie die Länge und die Dicke von Wurzeln, die An- an deren Seitenscheiben später die Wurzeln wach- schon mehrfach am IPK in Gatersleben im Fokus zahl und Anordnung von Verzweigungen und die sen sollten. Doch bereits die Auswahl der richtigen stand, haben im Sommer 25 Wissenschaftlerinnen Ausrichtung verschiedener Teile der Wurzel. „Un- Erde war wichtig. „Wir haben ein Schwarztorf-Subst- und Wissenschaftler aus zehn Arbeitsgruppen ei- ser Ziel ist es, einen möglichst guten Eindruck von rat gewählt, damit der dunkle Boden bei den Aufnah- ne sehr breit angelegte Untersuchung begonnen. der Vielfalt der Wurzelsysteme zu gewinnen. Das men einen möglichst starken Kontrast zur Wurzel Von Ende August bis Mitte Oktober beobachteten heißt, es geht nicht nur darum, Unterschiede zwi- bildet“, erklärt sie weiter. Zudem wurde darauf ge- und dokumentierten sie mit Hilfe der Bildaufnah- schen den Pflanzenarten aufzuzeigen, sondern auch achtet, dass möglichst keine Fasern und holzigen meeinrichtungen im neuen Rhizotronsystem der die Variationsbreite innerhalb einer Art zu beleuch- Teile enthalten waren, die auf den Aufnahmen stören Pflanzenkulturhalle jeden Tag akribisch das Wur- ten. Und dafür müssen wir eine sehr große Zahl an würden. Doch auch die Pflanzen mussten vorberei- zelwachstum von 17 verschiedenen Kulturpflanze- Pflanzen untersuchen“, erklärt Thomas Altmann. tet werden. Bevor sie auf die 360 Rhizotrone verteilt narten. Am Ende herauskommen soll aus diesem So wurden von allen Pflanzenarten mehrere Genoty- wurden, wurden sie zunächst noch vorgekeimt. „Wir Großversuch ein Atlas der Wurzeldiversität, der pen (Sorten, Linien) berücksichtig. Bei sieben Arten wollten sicherstellen, dass wir auch wie geplant alle nicht nur einen umfassenden Überblick über die wie Weizen, Gerste, Mais und Raps sechs, bei allen Rhizotrone für den Versuch nutzen konnten und kei- Vielfalt in der Gestalt und dem Wachstum der Wur- anderen, darunter Tomate, Kartoffel und Sonnen- ne Pflanzen vorher verlieren, deshalb war das auch zeln gibt, sondern auch Ausgangspunkt für weite- blumen, immerhin jeweils drei Genotypen. Da von die kritischste Phase“, erklärt Christiane Seiler. 17 unterschiedliche Kulturpflanzenarten waren in das Experiment integriert, darunter auch die Erbse (Pisum sativum) re Forschungsprojekte und Kooperationen sein soll. jedem Genotyp fünf Pflanzen berücksichtigt wur- 6 | Titelthema Titelthema | 7
tung, dass es nicht nur zwischen den Arten, sondern auch innerhalb einer Art große Variationen gibt. So bildeten einige Sonnenblumenpflanzen eine star- AUF DEM WEG ZUM PAN-GENOM ke Primärwurzel aus, die ihrerseits stark verzweigt war. Andere Sonnenblumen wiederum bildeten fei- nere und weniger verzweigte Wurzeln aus. Auch DER GERSTE bei der Modellpflanze Arabidopsis gab es erhebli- che Unterschiede zwischen den Akzessionen. In einigen Fällen beobachteten die Wissenschaftler die Bildung sehr langer, wenig verzweigter Wurzeln, in anderen Fällen entwickelten die Pflanzen sehr dichte, eng verzweigte Wurzelsysteme. „Die hatten NILS STEIN ERKLÄRT, WAS DER MEILENSTEIN IN DER bei einer Akzession fast die Form eines Spitzbar- tes.“ Doch auch die Zeitschiene hatten die IPK-For- SEQUENZIERUNG FÜR WISSENSCHAFT UND ZÜCHTUNG scher im Blick und erlebten Überraschungen. So BEDEUTET. entwickelten sich die Wurzeln einiger Kartoffelpflan- zen zu Beginn nur sehr zögerlich, dann aber ex- plodierte das Wachstum innerhalb kürzester Zeit. In den kommenden Monaten werden am IPK nun Drei Jahre nach der Charakterisierung des ers- genetische Vielfalt, die für diese Art charakteristisch zunächst die Aufnahmen und später die Daten aus- ten Gerste-Genoms ist ein internationales Team ist, in unserem Fall der Gerste, ab. Vereinfacht ge- gewertet, die in dem Versuch gewonnen wurden. unter Führung von Wissenschaftlern des IPK sprochen geht es also darum, die Erbinformation in Thomas Altmann ist aber schon heute sehr zufrie- nun auch der Entschlüsselung des sogenann- präzise Schnitt- und Teilmengen zu differenzieren. den. Nur eine Hirse- und eine Kartoffelsorte sind ten Pan-Genoms der Gerste einen erheblichen nicht angewachsen, bei Rübe, Mais und Busch- Schritt nähergekommen. Die Ergebnisse wurden bohne mussten einige Pflanzen nachgepflanzt Ende November im Wissenschaftsmagazin Na- Wie lässt sich das Pan-Genom werden, die sich dann aber gut entwickelten. „An- ture veröffentlicht. Wie die Forscher dabei genau im Fall von Gerste charakteri- sonsten sind jedoch alle Pflanzen gekommen und vorgegangen sind, was die neuen Erkenntnisse sieren? Und warum ist die Ent- gut gewachsen.“ Auch die Technik habe funktio- für die Züchtung bedeuten und welche Heraus- schlüsselung so wichtig? niert. „Der Versuch ist komplett durchgelaufen, forderungen noch auf die Forscher warten, er- und das System hat stabil funktioniert“, sagt er. klärt Prof. Dr. Nils Stein, Leiter der Arbeitsgruppe Um das Pan-Genom der Gerste zu beschreiben, be- Nach der Auswertung könnten aus diesem Versuch Genomik genetischer Ressourcen, im Interview. nötigt man vollständige Genomsequenzen für ge- direkt zwei Veröffentlichungen entstehen, ein metho- netisch sehr diverse Gerstegenotypen. Unserer disches Paper, in dem die technische Leistungsfä- Schätzung nach sind mindestens 50-100 vollstän- Das Foto zeigt das Wachstum einer Maiswurzel. higkeit sowie die enorme experimentelle Bandbreite Sie sind jetzt der Entschlüsselung dige Genomsequenzen erforderlich, um annähernd der Möglichkeiten des Rhizotronsystems im Vorder- des Pan-Genoms der Gerste einen umfassend die Erbinformation der Kulturart Gers- I n dieser Zeit durchlaufen viele Pflanzen ih- grund stehen. Und eine Publikation die sich mit dem großen Schritt nähergekommen. Wo- te inklusive aller Varianten zu beschreiben. Das ist re „Jugendphase“, die durch ein sehr schnelles Wurzeldiversitätsatlas beschäftigt. „Dort enthalten rum genau geht es beim Pan-Genom? sehr aufwändig, wenn man bedenkt, dass bereits Wachstum gekennzeichnet ist“, erklärt Thomas könnten möglicherweise auch Zeitraffer-Aufnahmen die vollständige Entschlüsselung des Genoms ei- Altmann. Für die Wachstumsbedingungen bedeu- der Entwicklung der untersuchten Wurzelsysteme Das Konzept des Pan-Genoms beschreibt das Phä- ner Gerste lange Zeit als unmöglich angesehen tete das ganz konkret: Die Temperaturen schwank- sein.“ Doch die beteiligten Wissenschaftlerinnen und nomen, dass, entgegen ursprünglicher Annahmen wurde. Dies liegt daran, dass das Gerstegenom ei- ten zwischen 13 Grad in der Nacht und 18 Grad am Wissenschaftler hoffen auf noch mehr. „Die Ergeb- aus Zeiten vor der Genomsequenzierung, verschie- nen 80-90-prozentigen Anteil von Sequenzeinhei- Tag. Die Luftfeuchtigkeit pendelte jeweils zwischen nisse aus dem jetzigen Versuch sollen als Referenz- dene Individuen einer Art nicht exakt denselben ten in unterschiedlicher Länge besitzt, die sich z.T. 80 und 50 Prozent. Tag und Nacht dauerten jeweils daten den Ausgangspunkt für eine Vielzahl weiterer Gehalt an Erbinformationen teilen. Vielmehr be- hundert- oder tausendfach wiederholen können. 12 Stunden. Forschungsprojekte und Kooperationen bilden - mit sitzen alle Individuen einen großen gemeinsamen Dies stellte die Bioinformatik bei dem Zusammen- Partnern innerhalb und außerhalb des IPK“, erläutert Bestand geteilter Erbinformation (Gene), das soge- setzen der im Rahmen eines Genomsequenzier- Damit nach der Aussaat die Dynamik der Wurzelent- Thomas Altmann. nannte „Core-Genom“. Hinzu kommt ein „Variables projektes gewonnenen Sequenzschnipsel lange wicklung genau und lückenlos nachvollzogen werden Genom“, in dessen Zusammensetzung sich einzel- vor schier unlösbare Probleme. Die erste voll- konnte, wurden von jeder Pflanze täglich drei Aufnah- ne Vertreter einer Art mehr oder weniger stark un- ständige Entschlüsselung eines Gerstegenoms men gemacht - zwei vom Spross, eine von der Wurzel. terscheiden können. Dieses enthält z.B. Gene, die gelang erst 2017. Um die Erbinformation der ge- „Das lief alles vollautomatisiert mit Hilfe der beiden durch Anpassung an bestimmte Umweltbedingun- samten Spezies Gerste zu verstehen, ist es nun er- Aufnahmetürme in dem kürzlich installierten Rhizo- gen selektiert wurden. Erst das Pan-Genom, das forderlich, das Pan-Genom zu entschlüsseln. tronsystem in der Pflanzenkulturhalle ab und war in durch den Vergleich der Genome zahlreicher Pflan- dieser Form für uns Neuland“, sagt Thomas Altmann. zen sichtbar wird, bildet letztlich die vollständige Die ersten Ergebnisse bestätigten dabei die Vermu- Genominformation einer Art sowie die vorhandene 8 | Titelthema Wissenschaft | 9
Wie sind Sie genau vorgegangen? bis in heutige Sorten ausgebreitet hat. Im zweiten Fall steht die beobachtete Genomstrukturvariation Den Ausgangspunkt für die Untersuchung bil- mit der Umweltanpassung während der historischen, deten die rund 22.000 Saatgutmuster der Gers- nordwestlichen Ausbreitung des Gerste-Anbaus te aus der bundeszentralen Ex-situ-Genbank am nach Mittel- und Nordeuropa in Beziehung. Die Be- IPK. Deren Genome wurden mittels einer punk- schreibung solcher Inversionen in Gerste ist neu. tuellen DNA-Sequenzierung vor-charakterisiert. Anhand der so gewonnenen genetischen Di- versitätsinformation wurden aus dieser großen Warum sind diese Inver- Gruppe zunächst 20 Genotypen ausgewählt. Ge- sionen so wichtig? notypen also, die sich genetisch jeweils mög- lichst stark voneinander unterscheiden. Sie können eine entscheidende Rolle im züchteri- schen Prozess spielen, weil sie Rekombination ver- hindern, also die züchterische Neukombination Nach welchen Kriterien er- gewünschter Merkmale unmöglich machen. Doch folgte die Auswahl? nicht nur das: Diese natürlich auftretenden oder künstlich ausgelösten Inversionen sind Zeugnis für Wichtigstes Merkmal bei der Auswahl war in der Tat eine erhebliche Dynamik in der Genomorganisati- ein möglichst großer genetischer Unterschied zwi- on dieser in Europa zweitwichtigsten Kulturart. schen den Kandidaten. Dies überschnitt sich in der Regel mit einer sehr großen Vielfalt bzw. Distanz ih- rer jeweiligen geographischen Herkunft. Zusätzlich Wie kann die Züchtung von diesen achteten wir darauf, das typische Hauptmerkmale für neuen Erkenntnissen profitieren? Gerste wie z.B. Winter- oder Sommertyp, Nackt- oder Bedecktsamigkeit, zwei- oder mehrzeilige Ährenfor- Wir haben eine neue Datengrundlage geschaf- men in der Liste der Genotypen vertreten waren. fen und einen neuen Schatz an Informationen für die Züchtung erschlossen. So könnten nun- mehr molekulare Marker genutzt werden, um Was hat Sie besonders überrascht? strukturelle Genomunterschiede bei der Gers- te Züchtung gezielt zu berücksichtigen. Die einzelnen Genome unterscheiden sich teil- weise erheblich in der Anzahl ihrer Gene sowie in der Anordnung und der Orientierung großer Ab- Letztlich geht es aber vor allem da- Verteilung der sequenzierten Pan-Genom Genotypen vor dem Hintergrund globaler Diversität in Gerste. Mehr als 20.000 diverse Gerste- muster der IPK Genbank wurden zunächst per Sequenzierung genotypisiert (graue Punkte in der Hauptkoordinatenanalyse, dargestellt schnitte einzelner Chromosomen, also den Trä- rum, auch die Gerste auf die Her- Verteilung der sequenzierten sind die Koordinaten Pan-Genom 1/2, 3/4, 5/6). Aus dieser Genotypen großen Datenmenge wurdenvor 20 dem Hintergrund Genotypen, globaler die die globale Diversität Diversität inzur repräsentieren, gern der Erbinformation. Das ist wichtig zu wissen, ausforderungen durch den Klima- Gerste. Mehr vollständigen als 20.000 Sequenzierung diverse(IPK-Leibnitz-Institut, ausgewählt. Gerstemuster der IPK Martin Genbank wurden zunächst per Sequenzierung Mascher) denn diese „strukturellen“ Veränderungen des Ge- wandel vorzubereiten, oder? genotypisiert (graue Punkte in der Hauptkoordinatenanalyse, dargestellt sind die Koordinaten 1/2, noms können eine unüberwindbare Hürde bei 3/4, 5/6). Aus dieser großen Datenmenge wurden 20 Genotypen, die die globale Diversität der Neukombination wichtiger Eigenschaften im Ja, das stimmt. Das Problem ist folgendes: Die Was kann getan repräsentieren, werden? Sequenzierung ausgewählt. zur vollständigen fasst. Dazu (IPKmüssen wir weitere Gatersleben, Genotypen Martin voll- Mascher) Rahmen der Kreuzungszüchtung darstellen. Gerste, die wir heute kennen, ist gezielt auf mög- ständig sequenzieren und entschlüsseln. In diesem lichst hohe Erträge unter stabilen, mitteleuropä- Züchtung basiert auf der Nutzung und Neukom- nächsten Schritt wollen wir auch die Wildgerste, ischen Umweltbedingungen gezüchtet worden. bination der vorhandenen genetischen Diversität. den direkten Vorfahren der heutigen Kulturgerste, Welche weiteren Erkenntnisse Das hat lange Zeit sehr gut funktioniert. Eine Fol- Hier bieten die pflanzengenetischen Ressourcen mit einbeziehen und genauer in den Blick nehmen. hat die Untersuchung geliefert? ge der modernen Pflanzenzüchtung ist jedoch aus der bundeszentralen Ex-situ-Genbank am IPK Wildgerste ist ein wichtiger, aber bisher kaum ge- grundsätzlich eine Abnahme der genetischen Viel- ein Reservoir, um nach Eigenschaften zu suchen, nutzter Bestandteil des gesamten, der modernen Wir fanden verblüffende Unterschiede in der linea- falt der angebauten Sorten. Und genau das holt die wir heute dringend benötigen. Es geht um ei- Pflanzenzüchtung zur Verfügung stehenden, Gen- ren Anordnung der Erbinformation in den Chromo- uns heute in Zeiten des Klimawandels ein. Um- ne genetische Frischzellenkur für unsere Gerste. pools. Und ich bin mir ganz sicher, dass wir Diversi- somen - sogenannte Genomstruktur-Unterschiede. weltbedingungen sind nicht mehr so stabil wie ge- tät entdecken, die für die zukünftige Gerstezüchtung Zwei dieser Strukturvariationen, sogenannte Inver- wohnt. Neue Umweltphänomene, wie z.B. große und -forschung von erheblichem Wert sein kann. sionen, also entgegengesetzte Anordnungen von Hitze während der Blüte, Dürre, oder auch Nieder- Welche Herausforderungen lie- Erbinformation in zwei Genomen, waren dabei be- schläge mit sehr großen Wassermassen in kür- gen nun noch vor Ihnen? sonders interessant. In einem Fall konnte für die zesten Zeiträumen, treten häufiger und in kürzeren Strukturänderung ein Bezug zur Mutationszüchtung Abständen auf, was sich bereits in den letzten Jah- Trotz des ersten erfolgreichen Schrittes zur Be- der 1960er Jahre hergestellt werden, in dessen Fol- ren in deutlich geringeren Erträgen widerspiegelt. schreibung des Gerste Pan-Genoms haben wir ge sich die Veränderung unbemerkt durch Züchtung noch nicht die gesamte Diversität von Gerste er- 10 | Wissenschaft Wissenschaft | 11
„DIE PYRAMIDE WIRD Arbeitsgruppe Meiose bedeutet die Zusage zunächst einmal zwei Dinge: eine Auszeichnung seiner bisheri- gen wissenschaftlichen Arbeit - und Planungssicher- len, ist Stefan Heckmann bewusst. „Keine Frage, das System ist nicht perfekt, ich wüsste aber auch keine bessere Alternative“, gesteht der 38-Jährige, NACH OBEN IMMER heit. „Man muss exzellent sein, keine Frage, der 2016 nach drei Jahren in Birming- e n man braucht als junger Wissenschaftler o ub ham wieder ans IPK zurückkehrt ist. H aber auch Glück und muss zur richtigen as re SCHMALER“ Zeit am richtigen Ort sein.“ Denn die Für den Wissenschaftler gehe es nd P r of. D r. A Kriterien des ERC sind anspruchsvoll, heute auch darum, sich gut zu die Zahl der Bewerberinnen und Be- positionieren. Das betrifft Pub- werber sehr hoch. So dauert es meist likationen, aber auch Anträge mehrere Monate, einen entsprechen- für Förderungen. „Dazu braucht STEFAN HECKMANN ERHÄLT ERC STARTING GRANT, den Antrag zu schreiben. Das Zeitfens- es eine gute Strategie.“ Zumal ter ist zudem eng: Akzeptiert werden die Konkurrenz natürlich nicht WEISS ABER WIE SEIN DOKTORVATER ANDREAS HOUBEN Anträge nur zwei bis sieben Jahre nach der schläft. „In meinem Forschungsge- UM DIE HÄRTEN IM WISSENSCHAFTSBETRIEB. Promotion. Und nur rund zehn Prozent der Be- biet - der Meiose - gibt es in Europa zehn werberinnen und Bewerber bekommen am Ende die bis 15 Arbeitsgruppen mit einer ähnlichen Aus- prestigeträchtige Förderung. „Sicherheit hat man vor richtung“, berichtet Stefan Heckmann. „Wir konkur- allem als junger Wissenschaftler einfach nicht und rieren zum einen um dieselben Fördermittel, stellen F die Pyramide wird immer schmaler, je weiter man zum anderen aber auch gemeinsame Anträge.“ auf ihr nach oben kommt“, sagt Stefan Heckmann, „darüber sollte man sich frühzeitig im Klaren sein“. Bei Andreas Houben hört sich das ganz ähnlich an. ragt man Auch er rät jungen Wissenschaftlern, zunächst ein Andreas Ant- Andreas Houben hat die Entwicklung über Jahre mit- passendes Thema für sich zu suchen, von dem sie Houben, was wor t. verfolgt und bestätigt die Eindrücke seines früheren wirklich fasziniert sind. Zudem sei es wichtig, sich ihm zu Stefan „Er war Doktoranden. „Die Situation für junge Wissenschaft- zu überlegen, was wann und vor allem wo publiziert Heckmann ein- für mich lerinnen und Wissenschaftler ist schwieriger, werden könnte. Doch auch ein vertrau- nn fällt, muss man tatsächlich der Selektionskampf härter geworden“, ma ensvolles Verhältnis in der Arbeits- ck He nicht lange auf ei- ein Idol, ich sagt Houben und verweist darauf, dass n gr upp e sei von ele mentarer a ef ne Antwort warten. habe sowohl nur sehr wenige Doktoranden nach Bedeutung, bekräftigt Andreas St D r. „Stefan stach für mich menschlich ihrer Doktorarbeit eine feste Stel- Houben. „ Das betrif f t im - schon als Doktorand als auch wissen- le im Wissenschaftsbetrieb finden. mer beide Richtungen, also heraus und war bereits schaftlich sehr viel vom Leiter zur Gruppe und in dieser Zeit eine Ausnah- von ihm gelernt und Für Stefan Heckmann stand aber von der Gruppe zum Leiter.“ me“, bekräftigt der Leiter profitiert“, erklärt Ste- früh fest, dass er den Weg in die Wis- der Arbeitsgruppe Chromo- fan Heckmann. „Von ihm senschaft einschlägt - trotz der be- Seinen früheren Doktoranden somenstruktur und -funktion. habe ich in meiner Zeit kannten Unwägbarkeiten und Risiken. sieht er auf dem richtigen Weg. „Er hat immer mitgedacht, ei- als Doktorand von 2009 „Wissenschaft macht einfach richtig Spaß, „Stefan hat mit der Meiose sein The- gene Hypothesen entwickelt und bis 2013 nicht nur viele Rat- das ist meine Berufung“, betont der 38-Jährige, ma gefunden. Er ist dabei, sich immer stärker sich überlegt, wie diese am besten schläge bekommen, sondern der bereits als Student seine ersten Kontakte zum freizuschwimmen. Er hat die Regeln des Wissen- überprüft werden können“, sagt sein vor allem realistische Ratschlä- IPK geknüpft hat. Nach einem Praktikum konnte er schaftsbetriebes kennengelernt und vor allem kann ehemaliger Doktorvater. Dabei ha- ge“, erklärt der 38-Jährige, der im zwei Monate in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Ingo er sie anwenden.“ Wie die erfolgreiche Bewerbung um be er bei seiner Doktorarbeit aus dem Sommer 2020 die Zusage für ei- Schubert unter Anleitung von Dr. Inna Lermontova einen ERC Starting Grant eindrucksvoll gezeigt hat. Bereich Meiose „wirklich schwere Kost nen Starting Grant des European Re- mitarbeiten und dort im Anschluss auch seine Diplom- auf dem Teller gehabt“, blickt Andreas search Council (ERC) bekommen hat. arbeit schreiben - danach waren die Würfel gefallen. Die IPK-Nachwuchsgruppenleiter Dr. Stefan Houben zurück. Doch Stefan habe sich Das heißt, die Forschung des IPK-Wis- Heckmann und Dr. Martin Mascher erhalten vom durchgebissen, sich sehr intensiv mit der Li- senschaftlers wird in den kommenden Auf seinen Lorbeeren ausruhen kann sich Stefan European Research Council (ERC) einen Starting teratur auseinandergesetzt und so nicht nur fünf Jahren mit 1,5 Millionen Euro gefördert. Heckmann allerdings auch nach seinem Starting Grant. Für fünf Jahre wird ihre Forschung mit jeweils das Thema für seine weitere wissenschaftli- Ein Ritterschlag für einen Nachwuchswis- Grant nicht. „Als Wissenschaftler muss man immer 1,5 Millionen Euro unterstützt. Seit 2016 wird bereits che Karriere, sondern auch seine Freundin und senschaftler. „Da habe natürlich auch ich mich liefern“, sagt er. Liefern heißt dabei vor allem pub- Thorsten Schnurbusch am IPK mit einem Consolidator heutige Frau am IPK gefunden. „Die beiden ha- sehr für Stefan gefreut“, betont Andreas Houben. lizieren, möglichst in Magazinen mit einem hohen Grant gefördert. 2020 gingen drei Starting Grants ben sich tatsächlich am Mikroskop kennengelernt.“ Impact-Factor, das heißt mit einer exzellenten Reputa- nach Sachsen-Anhalt, davon zwei ans IPK. Diesen Die beiden IPK-Wissenschaftler freuen sich aber tion wie sie „Nature“ und „Science“ haben. Dass dabei besonderen Erfolg nehmen wir zum Anlass, mit den Und umgekehrt? Fragt man Stefan Heckmann nach nicht nur über die ERC-Förderung, sie sind auch in der gelegentlich Nischenthemen - obwohl wissenschaft- beiden Nachwuchswissenschaftlern und jeweils Andreas Houben, bekommt man auch sofort eine klare Lage, sie einzuordnen. Für den Leiter der unabhängigen lich auch exzellent aufbereitet - durchs Raster fal- einem ihrer Wegbegleiter ins Gespräch zu kommen. 12 | Wissenschaft Wissenschaft | 13
„DAS WAR WIE Mar tin Mascher, so sagt er selbst, profitier te jedoch gerade zu Beginn seiner Zeit am IPK von dem großen internationalen Netzwerk, das sich EIN LOTTOGEWINN“ Nils Stein über die Jahre aufgebaut hatte. Der er- lebte seinen jungen Kollegen bei Treffen oft als ge- sellig, mit feinem Sinn für Humor, wenn er auch nicht so kommunikativ sei wie andere. „Aber er saugt bei solchen Gelegenheiten alle Anregungen NILS STEIN ERZÄHLT, WIE ER MARTIN MASCHER auf, fast wie ein Schwamm, Wissen bleibt regel- KENNENLERNTE UND BEIDE AM IPK recht haften an ihm.“ ZU EINEM ERFOLGSDUO WURDEN Doch Martin Mascher gibt sich bescheiden, braucht nicht die große Bühne. „Wissenschaft macht auch Aus Magdeburg nach Gatersleben hatte ihn damals ohne solche besonderen Ereignisse wie Preisverlei- Uwe Scholz gelotst, bei dem Martin Mascher in der hungen Spaß, auch der Alltag ist für mich erfüllend“, Bioinformatik anfing. Über diesen Weg lernte Martin sagt der 34-Jährige. Monatelang an einem Antrag Prof. Dr. Nils Stein Mascher schnell auch Nils Stein kennen - und das wie für den Starting Grant zu schreiben, das sei für war der Start einer überaus erfolgreichen Zusam- ihn keine lästige Notwenigkeit oder Pflicht. „Auch menarbeit mit zahlreichen hochkarätigen Veröffent- das kann einem Spaß bereiten, man strukturiert da- Gleichwohl sieht sich Martin Mascher als Teamplay- lichungen. „Wir haben uns hervorragend ergänzt: er, bei seine Gedanken, definiert klar seine Hypothesen er. Er profitiere immens von den zahlreichen Kon- der Molekularbiologe und Genetiker, ich, der Ma- - und das macht die Arbeit eines Wissenschaftlers takten und Kooperationen. „Am IPK nutze ich das thematiker und Informatiker.“ Nils Stein, Leiter der ja im Kern aus.“ Material von Taxonomen wie Frank Blattner und die Arbeitsgruppe Genomik genetischer Ressourcen, Kenntnisse in der Sequenzierung, die Nils Stein hat.“ denkt ebenfalls sehr gerne an diese Zeit zurück. Klare Vorstellungen sind für ihn aber auch als Da die Gerste aber eine solch große Bedeutung am Er, mit seiner Expertise im Bereich der Genomfor- Arbeitsgruppenleiter wichtig. „Man sollte seinen Institut hat, arbeitet Martin Mascher auch mit ande- schung, Uwe Scholz, mit seinen Kenntnissen in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schon eine Rich- ren Kolleginnen und Kollegen eng zusammen - wie Bioinformatik - und eben der junge Mathematiker tung vorgeben.“ Dabei geht es weniger um klare eben der Bioinformatik. „Eine derartige Unterstüt- Martin Mascher. „Ihn als Kollegen zu bekommen, Arbeitsaufträge, sondern um die Weitergabe von zung hätte ich an einer Universität beim Thema Da- das war wie ein Lottogewinn“, betont Nils Stein. „Wir Erfahrungen. „Man sollte jüngeren Kollegen oder ten sicher nicht.“ Auch deshalb fühlt er sich mit der waren plötzlich in der Pflanzengenomforschung in- auch weniger erfahrenen für ihre eigenen Arbei- Forschung seit Jahren so wohl am IPK. Und eine ternational ganz vorne mit dabei und konnten das ten realistische Vorstellungen mit auf den Weg ge- weitere, gemeinsame und hochkarätige Veröffentli- Dr. Martin Mascher Feld entscheidend beeinflussen.“ Martin Mascher ben“, sagt Martin Mascher. Und was rät er jungen chung von Martin Mascher und Nils Stein ist kürzlich habe bei der Auswertung und Analyse von Daten Wissenschaftlern? „Sie sollten versuchen, schnell im Wissenschaftsmagazin Nature erschienen. Die Z ur richtigen Zeit am richtigen Ort und dort den Unterschied gemacht. „So einen hatten ande- eine unabhängige Position, im Idealfall als Leiter ei- fruchtbare Kooperation setzt sich also fort. „Das ist die richtigen Leute kennenlernen. Genau ren Arbeitsgruppen nicht.“ nes eigenen kleinen Teams, zu erreichen.“ Das habe wirklich ein Glücksfall“, betont Nils Stein, „planbar ist das, sagt Martin Mascher, sei ihm am IPK auch praktische Vorteile. „Als Arbeitsgruppenleiter so etwas jedenfalls nicht“. passiert. „Das war schon ein Glücksfall.“ Denn als Dabei war Nils Stein bei einer der ersten Begeg- ist es deutlich leichter, Anträge zu stellen und geför- er nach seinem Studium in Magdeburg vor knapp nungen noch skeptisch. „Martin Mascher hat sich dert zu werden.“ zehn Jahren ans IPK kam, hatte sich das Institut in Beratungen nie Notizen gemacht, das hat mich schon entschieden, Gerste zur „Leitkultur“ und da- wirklich irritiert“, erinnert er sich. „Ich war mir nicht Erfahrungen weiterzugeben, auch das hat Martin mit zu einem der wichtigsten Forschungsgebie- sicher, ob er als junger Doktorand das Thema über- Mascher von Nils Stein gelernt und selbst davon te zu machen. Doch nicht nur das: Es wurde auch haupt durchdrungen hatte.“ Er hatte. „Kurze Zeit profitiert. „Nils Stein hat mir auch viele praktische viel investiert. „Das IPK hatte damals das erste Il- später legte er mir eine auf den Punkt geschliffene Einblicke in den Wissenschaftsbetrieb gegeben lumina-Gerät zur Hochdurchsatz-Sequenzierung Präsentation hin, das war bemerkenswert.“ Es sollte und hatte für mich eine Vorbildfunktion.“ Gleich- angeschafft“, erinnert sich der 34-jährige Mathe- nicht die einzige, positive Überraschung bleiben. So wohl unterscheiden sich beide in ihrem Arbeitsstil. matiker, der heute die Unabhängige Arbeitsgrup- habe Martin Mascher sich bereits zu Beginn seiner „Ich bin sicher eher der Wettbewerbstyp, sehe viele pe Domestikationsgenomik am IPK leitet und sich Zeit am IPK als ein exzellenter Schreiber erwiesen. Sachen als sportliche Herausforderung“, sagt Nils international einen Namen gemacht hat. 2020 ist „Er hat fast fertige Manuskripte abgeliefert, also Stein. Martin Mascher ist der Sinn für Wettbewerb nun sein Jahr. Erst wurde er im Februar mit dem nicht nur mit seinem technischen Teil, sondern auch auch nicht fremd. Er hat aber eine besondere Gabe Wricke-Forschungspreis ausgezeichnet, dann er- mit dem biologischen Teil.“ Einmal, kurz vor Weih- für Fokussierung und arbeitet systematisch seinen hielt er im August einen der begehrten „Starting nachten, zeigte Martin Mascher vielversprechen- Masterplan ab - nicht nur bei größeren Projekten, Grants“ vom ERC, dem „European Research Coun- de Analysen von Sequenzdaten. „Direkt nach den sondern auch im Alltag und lasse sich da nicht aus cil“ - und damit eine Förderung in Höhe von 1,5 Feiertagen hat er mir das Manuskript rübergescho- der Ruhe bringen. Millionen Euro in den kommenden fünf Jahren. ben, das hat mir damals den Atem verschlagen.“ 14 | Wissenschaft Wissenschaft | 15
AUF DER SUCHE NACH DER KNOLLENGERSTE WAS DEN TAXONOMEN FRANK BLATTNER BEI SEINER ARBEIT ANTREIBT UND WAS ER ZULETZT IN GRIECHENLAND ERLEBTE. W ie können wir die Ernährung künfti- ger Generationen sichern? Das ist eine der zentralen Fragen, die Frank Blatt- ner antreibt. Und auf der Suche nach Antworten scheut der Biologe keinen Aufwand, bricht seit 20 Jahren regelmäßig zu Sammelreisen und Expedi- tionen auf und war bereits mehrfach in Nord- und Südamerika, Sibirien und der Mongolei. Im vergan- Camp in der Mongolei genen Jahr führte den Taxonomen eine dieser Sam- melreisen - begleitet von einem Kamerateam des ZDF - auf die griechische Insel Euböa. Ausgerüs- Das Material, das Blattner von seinen Sammel- Und das macht die Suche natürlich schwieriger. tet mit Laptop, Landkarte und Aufzeichnungen zu reisen und Expeditionen mitbringt und das ent- An einem Hang entdeckt Blattner dann aber doch ei- früheren Fundorten, machte sich Blattner auf die sprechende Hintergrundwissen sind erst die nen Standort, an dem Knollengerste wächst. „Das Suche nach der Knollengerste. Die Wildart wächst Grundlage für die folgenden Arbeiten von Geneti- sieht sehr vielversprechend aus“, sagt er und steckt in Griechenland trotz extremer Hitze und sehr lan- kern, Molekularbiologen und Züchtungsforschern. einige der Ähren in ein Papiertütchen. „Eigentlich ger Trockenphasen. Eigenschaften, die auch un- alle unsere Getreide sind an Grenzen gekommen, sere Kulturgerste gebrauchen könnte, um künftig Sorgen bereitet Blattner allerdings der massi- die Erträge sinken“, sagt Blattner mit Blick auf den besser für den Klimawandel gewappnet zu sein. ve Verlust der Artenvielfalt, den er auch auf sei- Klimawandel. „Daher sind die Eigenschaften der nen Reisen beobachtet. Die Artenvielfalt sei so Knollengerste für uns interessant.“ Ziel sei, die Eigen- Blattner vergleicht seine Arbeit mit der eines Histo- etwas wie das Netzwerk des Lebens - und rei- schaften der robusten Pflanzenart, im Rahmen eines rikers. „Ich möchte halt die Geschichte einer Pflan- ße an immer mehr Stellen ein. „Natürlich ist ein arbeitsgruppenübergreifenden Projektes des IPK, zenart rekonstruieren.“ Wo kommt sie her? Warum gewisser Puffer vorhanden, eine Art kann den künftig für unsere Kulturgetreide nutzbar zu machen. und unter welchen genauen Bedingungen ist sie ent- Verlust einer anderen Art für einige Zeit kompen- standen? Wie hat sie sich ausgebreitet? Im Blick- sieren“, erklärt der Biologe. Doch es gebe Grenzen. Die Knollengerste wird Frank Blattner in jedem Fall punkt hat er dabei auch den Steppengürtel, der sich „Ab einem bestimmten kritischen Punkt kann das weiter beschäftigen. In Griechenland ging es auch aus unseren Breiten über tausende Kilometer bis in System dann ganz schnell zusammenbrechen.“ darum, möglichst präzise die Grenze zu bestimmen, die Mongolei hinzieht. „Viele Pflanzen wandern da ab der die Pflanze bei ihrer Ausbreitung von einem schnell durch, für die ist das wie eine Art Autobahn.“ Blattners erste Bilanz auf der Insel Euböa fällt diploiden zu einem tetraploiden Typ wurde. In die- 2019 dann auch wenig ermutigend aus. Der Ver- sem Jahr sammelte Frank Blattner weitere Pflanzen Wichtigster Antriebspunkt sei dabei seine Neugier, lust an Artenvielfalt, bedingt durch den Klima- in Süditalien und in Südspanien. „Und im nächsten sagt Blattner. Dass viele Leute mit einem Taxono- wandel, die Landwir tschaft und vor allem die Jahr möchte ich den Ausbreitungsweg dann noch men weiterhin das Bild eines älteren Mannes mit veränderte Landnutzung, ist auch auf der griechi- bis ins Atlasgebirge nach Marokko weiterverfolgen“, grauen Haaren verbinden, der in seinem Kämmer- schen Insel zu beobachten. „Wo vor 25 Jahren noch blickt der Wissenschaftler voraus. „Das steht auf je- lein sitzt und sich unter der Lupe eine getrocknete ein Standort für Gerste war, ist heute ein intensiv den Fall noch an.“ Pflanze anschaut, stört Blattner nicht, im Gegen- bewirtschafteter Olivenhain“, sagt der Leiter der teil. Er spielt sogar selbst mit diesem Klischee - denn Arbeitsgruppe Experimentelle Taxonomie in der Do- Dr. Frank Blattner er ist sich der Bedeutung seiner Arbeit bewusst. kumentation „Vielfalt säen. Saatgutretter im Einsatz“. 16 | Wissenschaft Wissenschaft | 17
„ZU VIEL TROCKENHEIT ger groß. Für Getreide liegt sie nach Prognosen des Landwirtschaftsministeriums sechs Pro- zent unter dem Durchschnitt der Jahre 2014- Zu viel Trockenheit bedeutet für die Pflanze in jeder Phase Stress, es wirken aber jeweils ganz andere Mechanismen mit unterschiedlichen Konsequen- BEDEUTET IMMER 2019 und drei Prozent unter der Ernte von 2019. zen für die Entwicklung der Pflanzen. Kommt es zu Die Rapsernte ist im Bundesdurchschnitt sogar Beginn der Vegetationsperiode zu Trockenstress, trotz der Frühjahrstrockenheit überraschend gut bilden sich meistens weniger Halme und damit STRESS“ ausgefallen. Wie bei der Getreideernte gibt es aber später weniger Ähren, also letztlich weniger Kor- große regionale Unterschiede, je nach Schwere der nertrag. In der Blütephase reagiert die Pflanze be- Dürre in diesem und in den vorangegangen beiden sonders empfindlich auf Wassermangel. Blüten Jahren. Doch nicht nur das: Die anhaltende Tro- sterben ab, was zu einer deutlichen Verringerung ckenheit führt auch zu Problemen bei der Versor- der Zahl der Körner führt. Fehlt der Pflanze in der KERSTIN NEUMANN ERKLÄRT, WIE DIE PFLANZEN MIT gung mit Grundfutter. Silage und Heu konnten nur Kornfüllungsphase Wasser, bleibt zwar die Zahl in ganz wenigen Regionen in ausreichendem Ma- der Körner gleich, da sie schon ausgebildet wur- DEN WIDRIGEN BEDINGUNGEN UMGEHEN UND ße für den kommenden Winter produziert werden. den, diese können aber nicht gut gefüllt werden WO DIE FORSCHUNG ANSETZT. und haben ein geringeres Gewicht, bringen weni- ger Ertrag und haben auch eine schlechte Qualität. Wie reagieren die Pflanzen D r. Ke r s tin N e um an n defizit gegangen. Betroffen davon ist insbeson- auf diesen Trockenstress? dere der Osten Deutschlands. Ich erinnere mich Auf welchen Aspekt konzentrieren noch daran, im April eine Wetterkarte im Fernse- Das ist ganz unterschiedlich. Häufig setzen Sie sich bei Ihrer Arbeit am IPK? hen gesehen zu haben, auf der Ostdeutschland die Pflanzen aber auf Strategien, um den Tro- tief rot eingefärbt - und damit als besonders be- ckenstress zu vermeiden. Die entsprechenden Si- Wir untersuchen, vereinfacht gesagt, die Auswir- troffene Region gekennzeichnet war. Damit trifft gnale senden häufig die Wurzeln aus. Pflanzen kungen des Trockenstresses bei zwei der wich- genau das zu, was der Weltklimarat IPCC in sei- schalten gewissermaßen in einen „Sparmodus“ um tigsten Kulturpflanzen in Deutschland - Gerste und nem Bericht bereits 2002 vorhergesagt hat. und reduzieren ihr Wachstum. Einen kompletten Weizen. Für unsere Arbeiten greifen wir auch auf Wachstumsstopp beobachteten wir in Gerstensor- Material aus der Genbank am IPK zurück. Unter- ten, wenn sie weniger als 20 Prozent der üblichen schiedliche Pflanzenlinien werden im Experiment Die Wetterkarte war also mehr als eine Wassermenge zur Verfügung haben. Andere bil- kontrolliert bewässert. Mit Hilfe zerstörungsfrei- Momentaufnahme aus der Region. deten längere Wurzeln, um tiefer im Boden doch er, bildgebender Verfahren schauen wir uns an, noch an Grundwasser zu kommen. Manche Getrei- wie genau die einzelnen Pflanzenlinien oder Sor- Definitiv! Der Ernst der Lage bestätigte sich lei- desorten kommen so auf Wurzellängen von bis zu ten auf unterschiedliche Bewässerungsregime re- der im Verlauf der Saison. Besonders der April hat- zwei Metern. Pflanzen verschließen bei Trocken- agieren. Durch die zerstörungsfreien Analysen ist te nicht nur hier am Standort des IPK so gut wie heit auch die Öffnungen ihrer Blätter. Damit ver- es uns möglich, auch Unterschiede im zeitlichen überhaupt keinen Niederschlag und auch bundes- dunstet auf der einen Seite zwar weniger Wasser, Ablauf zu erkennen. So lassen sich zum Beispiel weit zeigt sich das. Das Bundesumweltamt be- auf der anderen Seite können die Pflanzen so aller- Genotypen identifizieren, die besser mit Frühjahr- Deutschland hat in diesem Jahr erneut un- nennt den April 2020 als den dritttrockensten und dings kein Kohlendioxid mehr aufnehmen, was sie strockenheit oder später im Sommer liegenden Tro- ter großer Trockenheit gelitten. Wie sich die den sonnigsten April seit Messbeginn. In Regio- für die Photosynthese und damit das Wachstum ckenperioden zurechtkommen. In einem zweiten heimischen Kulturpflanzen darauf einstel- nen, wo der Wassergehalt im Boden schon durch und die Kornfüllung jedoch zwingend benötigen. Schritt schauen wir auf die dahinterliegende Ge- len und welche Ansätze in der Forschung die vergangenen zwei Dürrejahre gering ist, konn- Um die Verdunstung möglichst gering zu halten, netik mittels sogenannter molekularer Marker und verfolgt werden, erklärt Dr. Kerstin Neu- te der fehlende Regen nicht mehr durch gespei- verlagern sie das Öffnen der Spaltöffnungen der identifizieren Regionen im Genom, in denen rele- mann, Wissenschaftlerin in der Forschungs- chertes Bodenwasser kompensiert werden. Dies Blätter in die Morgen- oder Abendstunden. In Ge- vante Gene für die Trockentoleranz liegen müssen gruppe Genomdiversität, im Interview. Sie führt zu einer Beeinträchtigung des Pflanzen- genden, wo es regelmäßigen Trockenstress im und welche genauer untersucht werden sollten. beschäftigt sich schön länger mit dem The- wachstums, es wird weniger Biomasse aufgebaut. späteren Verlauf der Wachstumsperiode gibt, nut- ma Trockenstress bei Weizen und Gerste. zen Pflanzen eine nochmals andere Strategie. Sie blühen früher und vermeiden auf diese Weise die Worauf schauen sie genau? Was bedeutet das für die Ernte? schlimmste Trockenstressphase. Allerdings fielen Im Frühjahr hat es auch dieses Jahr unter hiesigen Bedingungen mit solchen Sorten die Wir schauen mittels einer automatisierten Anlage, über Wochen kaum noch geregnet. Der Dürremonitor zeigte auch im Oktober noch Erträge geringer aus, denn die verlängerte Wachs- die die Pflanzen täglich bewässert und Bilder von ih- Wie ernst ist die Lage für die Pflanzen? für viele Teile Deutschlands eine extreme bis au- tumsperiode ermöglichte auch höhere Erträge. nen aufnimmt, auf das Pflanzenwachstum, also die ßergewöhnliche Dürre. Dies wirkt sich natürlich Biomasse und auch die Pflanzenhöhe. Daneben ist Wir erleben in unserer Region das dritte Jahr mit negativ auf die Ernteerträge aus, je nach Ver- auch die Farbe der Pflanze ein guter Stressindika- großer Trockenheit in Folge, insofern ist die La- teilung der gefallenen Niederschläge - im Juni In welcher Phase sind die Auswir- tor. Setzt man das Wasser, welches im Laufe des ge schon sehr ernst. In die Vegetationsperiode fiel der Niederschlag normal aus - für die un- kungen der Trockenheit auf die Wachstums verbraucht wurde, in Beziehung zur ge- sind wir bereits mit einem großen Niederschlags- terschiedlichen Fruchtarten mehr oder weni- Pflanzen besonders gravierend? bildeten Biomasse, kann man sich die sogenann- 18 | Wissenschaft Wissenschaft | 19
te Wassernutzungseffizienz ansehen, welche unter dem Aspekt Klimawandel an Bedeutung gewinnt. Dabei geht es konkret um die Frage: Wie viel Bio- CRISPR/Cas9. Das gezielte Aus- oder Einschal- ten von Genen oder deren Verstärkung hilft uns, die Genfunktionen zu verstehen. Parallel geht es al- WIE LANGE ÜBERLEBEN SAMEN masse (Korn und andere Pflanzenteile wie Blätter lerdings auch um Nutzbarmachung der Ergebnis- und Halme) bildet eine Pflanze bei einer bestimm- se für die Züchtung. Auch in unseren Regionen wird ten Trockenstressintensität aus und wie gut kann Getreide zukünftig öfter Trocken- und Hitzestress AUF SPITZBERGEN? sie sich von einer Trockenstressphase erholen? ausgesetzt sein, die Erträge sollen aber möglichst gleichbleiben, weltweit besser noch steigen, um mit der wachsenden Weltbevölkerung mitzuhalten. In der Natur leiden die Pflanzen auf dem Feld, aber nicht nur unter Trockenheit, An Pflanzen zu forschen, die den IPK BETEILIGT SICH AN 100 JÄHRIGEM sondern auch Hitze. Welche Herausforderungen des weltwei- Rolle spielt das in Ihrer Arbeit? ten Klimawandels gewachsen LANGZEITEXPERIMENT IM GLOBAL SEED VAULT. sind, ist seit langem einer der Sind die Pflanzen gleichzeitig Hitze und Trockenheit Schwerpunkte der Arbeit des IPK. W ausgesetzt, wird es sehr schwer. Doch das wird im- Bringt die aktuelle Entwicklung ie lange können Samen am Leben blei- gerung in flüssigem Stickstoff bei minus 196 mer mehr die Realität. Die Zahl der Tage mit Tempe- Ihnen als Wissenschaftlerin da ben? Diese Frage ist für Saatgut-Gen- °C führt dabei zu einer Verlangsamung des Alte- raturen von mehr als 30 Grad hat sich zuletzt stark noch einmal mehr Motivation? banken und Forschungsinstitute, die rungsprozesses. „Die Idee ist, die Qualität des Aus- erhöht. Daher richtet sich seit kurzem meine For- mit Pflanzen und Saatgut arbeiten, von entschei- gangssamens auch nach 100 Jahren mit dem schung auch Richtung Hitzestress und der Kom- Ja, auf jeden Fall motiviert mich das noch ein- dender Bedeutung. Deshalb hat im Sommer im auf Spitzbergen gelagerten Material zu verglei- bination aus Hitze und Trockenheit aus. Wir haben mal zusätzlich, so viel zu forschen wie es geht. Es Saatguttresor „Svalbard Global Seed Vault“ auf chen“, sagt PD Dr. Manuela Nagel von der Abtei- verschiedene Weizentypen 14 Tage lang Tempe- ist aber auch eine Bestätigung unseres Ansatzes. Spitzbergen (Norwegen) ein neues Langzeitexpe- lung Genbank am IPK Leibniz-Institut. „Deshalb raturen von 35 Grad am Tage und 20 Grad in der Vor zehn Jahren war Trockenstress in Deutsch- riment begonnen. Im Blickpunkt steht das Saat- lagern wir Saatgut und Pulver ein und analysieren Nacht ausgesetzt und geschaut, wie die einzel- land kein großes Thema, das hat sich geändert. gut von 13 weltweit wichtigen Nutzpflanzen, die die Inhaltsstoffe, um Prozesse des Saatgutverfalls nen Sorten reagieren. Ein solches Szenario kommt Aber es braucht einen langen Atem. In der For- von Projektpartnern aus der ganzen Welt, darun- über die Lagerdauer von 100 Jahren aufzuklären.“ zwar derzeit in der Intensität bei uns noch nicht schung spricht man von tief und von hoch hängen- ter dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und in der Natur vor, wir wollen am IPK jedoch schon den Früchten. Die erste Gruppe kann man schnell Kulturpflanzenforschung (IPK), produziert wer- „Dieses Experiment ist einzigartig in seiner Art. Es heute künftige Bedingungen simulieren, um mög- und einfach einsammeln. Bei der zweiten Grup- den. Das Experiment ist auf 100 Jahre angelegt. wird künftigen Generationen wertvolle Informati- lichst frühzeitig Erkenntnisse für solch eine Situa- pe ist das deutlich schwieriger. Und zu der ge- onen über die Lebensfähigkeit des Saatguts und tion zu gewinnen. So ist relativ wenig bekannt, wie hört auch die Forschung zu Trockenstress. Die ersten experimentellen Proben wurden am 27. genauere Kenntnisse darüber liefern, wie oft das hiesige Sorten mit Hitzestress vor der Blüte zu- August in den Saatguttresor „Svalbard Global Seed Saatgut reproduziert werden muss“, sagte Åsmund rechtkommen, weil dies bislang nicht vorkam. Hit- Vault“ auf Spitzbergen gebracht. Diese ersten Test- Asdal, Seed Vault Coordinator am Nordic Genetic zestress tritt aber erkennbar früher auf, heute sind sätze bestehen aus Saatgut, das am IPK Gatersle- Resource Center (NordGen), der Genbank, die für Hitzetage schon ab Mai zu beobachten, vereinzelt ben produziert wurde. „Wir steuern insgesamt fünf die Verwaltung des Projekts verantwortlich ist. auch im April, während Hitzewellen früher eigent- Kulturpflanzen bei -Weizen, Gerste, Erbse, Salat und lich nur im Juli und August vorkamen. Dieser Trend Kohl. Das Material wurde im vergangenen Jahr auf Das Hauptprinzip bei der Konservierung von Saat- wird sich mit dem Klimawandel weiter vertiefen. unseren Versuchsfeldern angebaut“, sagte Prof. Dr. gut ist, dass Samen über einen langen Zeitraum am Andreas Börner von der Abteilung Genbank am IPK Leben bleiben, wenn diese trocken und gefroren ge- Leibniz-Institut. „Das IPK ist damit die erste Institu- lagert werden. Wie lange genau die Lebensfähigkeit Was kann die Wissenschaft tion, die Saatgut zur Verfügung stellt. Die anderen unter optimalen Lagerungsbedingungen aufrecht- denn generell leisten, um das Partner folgen 2021.“ erhalten werden kann, ist noch nicht vollständig er- Problem des Trockenstres- forscht. Man geht jedoch davon aus, dass die Samen ses zumindest abzumildern? In den folgenden zwei bis drei Jahren wird Saat- vieler Arten einige Jahrhunderte überleben können. gut von neun weiteren Kulturen produziert und Es geht um viele kleine Rädchen, an denen ge- in den minus 18 °C kühlen Saatguttresor auf der Genbanken testen das Saatgut in ihren Sammlun- dreht werden muss. Im Grundsatz geht es aber zu- norwegischen Insel gebracht. Das Saatgut wird gen regelmäßig, um dieses rechtzeitig zu repro- erst darum, die Mechanismen zu verstehen, welche von den Projektpartnern produziert, bei denen duzieren. Auf diese Weise bleiben die genetischen in den Pflanzen ablaufen. Dazu müssen wir unter- es sich um renommierte Genbanken und For- Ressourcen lebensfähig und für Forschung und suchen, welche Gene beispielsweise für die Tro- schungsinstitute handelt, die auch die Gelegen- Pflanzenzüchtung verfügbar. Ein detaillierteres Wis- ckenresistenz verantwortlich sind und welche für heit nutzen, um Sicherheitsduplikate aus ihren sen darüber, wie lange Saatgut überleben kann, wird Schutzreaktionen vor Hitze. Für dieses bessere Sammlungen auf Spitzbergen zu hinterlegen. für Genbanken, aber auch für das Management des Verständnis nutzen wir am IPK natürlich auch In- Parallel dazu werden Proben von allen fünf Gen- Saatguttresors auf Spitzbergen äußerst nützlich strumente der Biotechnologie wie die Genschere banken in Kryotanks am IPK gelagert. Die La- sein. Dort haben Genbanken aus der ganzen Welt 20 | Wissenschaft Wissenschaft | 21
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