TITELTHEMA DIE WURZEL - VERBORGENE VIELFALT | S. 4 - IPK GATERSLEBEN

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TITELTHEMA DIE WURZEL - VERBORGENE VIELFALT | S. 4 - IPK GATERSLEBEN
2020 / 02

TITELTHEMA        WISSENSCHAFT           PANORAMA
DIE WURZEL -      ZWEI ERC STARTING      CHRISTOPH MARTIN -
VERBORGENE        GRANTS FÜR DAS         DER ÜBERFLIEGER
VIELFALT | S. 4   INSTITUT | S. 10 -13   VOM IPK | S. 45

                                                       Editorial | 1
TITELTHEMA DIE WURZEL - VERBORGENE VIELFALT | S. 4 - IPK GATERSLEBEN
Liebe Leserinnen und Leser,

                In in vielerlei Hinsicht außergewöhnliches Jahr neigt
                sich dem Ende zu. So oder so ähnlich lautet in diesem
                Jahr das omnipräsente Dictum vieler Jahresrückbli-
                cke. Selten war die Feststellung so zutreffend, wie in
                diesem, durch das Corona Virus beherrschten, Jahr. In
                den vergangenen Monaten wurde uns allen bewusst,
                dass Pandemien keine Relikte von ausschließlich his-
                torischer Bedeutung sind. Angesichts der globalen Mo-
                bilität, den vielfältigen Entstehungsmöglichkeiten von
                Zoonosen einhergehend mit einer in der Geschichte un-
                serer Zivilisation noch nie da gewesenen Vernetzung von
                Ländern und Kontinenten, erscheint es geradezu bemer-
                kenswert, dass wir so lange verschont geblieben sind.                                                             Prof. Dr. Andreas Graner

                Mit dem Eintreffen der ersten Infektionswelle im März     Printmedien, Hörfunk und Fernsehen gewinnen soziale
                mussten Maßnahmen zum Schutz der Beschäf-                 Medien zunehmend an Bedeutung. Dementsprechend
                tigten und zur Sicherstellung des Forschungsbe-           erfreut sich die Twitter-Seite des IPK einer wachsenden
                triebs getroffen werden. Dies betraf den Betrieb des      Aufmerksamkeit. Besuchen Sie uns unter https://twitter.
                Casinos, verstärkte Zugangskontrollen sowie die Ar-       com/IPKGatersleben und informieren Sie sich in dieser
                beitsorganisation (Schichtbetrieb, Homeoffice).           Ausgabe des IPK Journals über weitere „Social Media“
                Erfreulicherweise ist es trotz dieser Einschränkungen     Aktivitäten junger Wissenschaftler aus dem Institut.
                gelungen, die Arbeiten in Feld und Gewächshaus so-
                wie die Laborexperimente weitgehend uneingeschränkt       Auch in diesem Jahr machte das Institut wieder mit
                durchzuführen. Das gleiche trifft auch für die adminis-   einer Vielzahl wissenschaftlicher Ergebnisse auf sich
                trative und technische Unterstützung zu. Allen, die in    aufmerksam. Diese haben sich in bislang über 190 be-
                den vergangenen Monaten den Umständen getrotzt            gutachten Publikationen niedergeschlagen. Die jüngs-
                und damit zur Aufrechterhaltung des Forschungs-           ten Highlights stellen die Veröffentlichungen der
                betriebs und zum Gelingen der Arbeiten beigetra-          „Pangenome“ von Gerste und Weizen dar. Diese wur-
                gen haben, sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt.    den Ende November in der Zeitschrift Nature publiziert.
                                                                          Die Arbeiten zum Gerste-Pangenom wurden hier am Ins-
                Wissenschaft bedarf der Kommunikation. Auch hier          titut koordiniert und geleitet. Weiterführende Informatio-
                gab es große Einschnitte: Ab März mussten sämtliche       nen zu beteiligten Protagonisten oder zu den Gewinnern
                Veranstaltungen am IPK abgesagt werden. Dies betraf       von Forschungspreisen finden Sie auf den folgenden
                unter anderem die Tage der offenen Türen in Gaters-       Seiten. Besondere Anerkennung verdient die Einwer-
                leben und Malchow sowie die „Plant Science Student        bung von zwei „Starting Grants“ des „European Rese-
                Conference“. Ebenso mussten sämtliche Seminare als        arch Councils“ (ERC) durch zwei IPK-Wissenschaftler.
                Präsenzveranstaltungen storniert werden. Doch mit         Um wen es sich dabei handelt und was es noch Interes-
                dem Umstieg auf Videokonferenzen wurden neue Wege         santes zu Themen und Personen aus dem Institut gibt,
                eröffnet. Diese stellen mehr als nur Ersatzlösungen dar   erfahren sie in der vorliegenden Ausgabe des IPK Journals.
                und werden in Zukunft wichtiger Bestandteil eines ver-
                änderten Kommunikationskonzepts in der Wissenschaft       Bevor Sie weiterblättern, möchte ich die Gelegenheit
                sein. Eine erste Nagelprobe hierfür war der diesjähri-    nutzen, allen Kolleginnen und Kollegen sowie allen
                ge „virtuelle Besuch“ des Wissenschaftlichen Beirats,     Freunden und Unterstützern des IPK für ihr Engagement
                der in Form einer dreitägigen Online-Veranstaltung mit    in den vergangenen Monaten zu danken. Ich wünsche
                Vorträgen, Break-out Sessions und Sitzungen stattfand.    Ihnen allen eine erholsame Adventszeit, frohe Festta-
                Hierbei waren die Beiratsmitglieder aus Deutschland,      ge, Gesundheit und Wohlergehen im kommenden Jahr
                Österreich, Frankreich, der Schweiz und aus Taiwan zu-    sowie, wie immer, viel Freude beim Lesen.
                geschaltet.
                                                                          Ihr Andreas Graner
                Neue Wege beschreitet das Institut auch im Hinblick auf
                Wissenschaftskommunikation. Neben den klassischen

2 | Editorial                                                                                                                     Editorial | 3
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INHALTSVERZEICHNIS

                                                                                                                      TITELTHEMA
                                                                                                                      04| Die Wurzel - Verborgene Vielfalt

                                                                                                                      WISSENSCHAFT
          IMPRESSUM
                                                                                                                      07| Auf dem Weg zum Pan-Genom der Gerste

          Herausgeber: Leibniz-Institut für Pflanzengenetik                                                           10 | „Die Pyramide wird nach oben immer schmaler“
          und Kulturpflanzenforschung (IPK)                                                                           12| „Das war wie ein Lottogewinn“
          OT Gatersleben, Corrensstraße 3, D-06466 Seeland                                                            14| Auf der Suche nach der Knollengerste
          Tel.: + 49 (0) 394 82 54 27 | Fax: 49 (0) 394 82 55 00                                                      19| Wie lange überleben Samen auf Spitzbergen?
          info@ipk-gatersleben.de | www.ipk-gatersleben.de                                                            21| „Wir brauchen einen Kulturwandel“
                                                                                                                      23| Der Zwiebelkönig von Gatersleben
          Redaktion: Dr. Jens Freitag, Christian Schafmeister                                                         25| IPK-Forscher rücken an die Spitze
          Satz/Layout: Andreas Bähring                                                                                26| Drei Millionen für Teilsammlungen Nord
          Assistenz: Katja Koch
                                                                                                                      27| Zukunftsort Green Gate Gatersleben
                                                                                                                      28| Promotionspreis für Zhongtao Jia
          Nummer der Ausgabe: 2020/02                                                                                 29| Auszeichnungen für Alevtina Ruban und Dominic Knoch
                                                                                                                      30 | Ein Wegbereiter für das IPK

          Redaktionsschluss: 30. November 2020                                                                        32| Brückenbauer über Grenzen hinweg
          Auflage: 400 Exemplare
          Papier: Maxioffset, EU Ecolabel zertifiziert, Umschlag: 110 g/m2, innen: 110 g/m2
          Druck: Halberstädter Druckhaus GmbH                                                                         KOMMUNIKATION
          Bildnachweise:                                                                                              33| Dialog statt Einbahnstraße
                                                                                                                      35| Martin Becker tauscht Labor gegen Bühne
          Titelbild: Sonnenblumenwurzel (Lemnatecanlage, Bearbeitung: Andreas Bähring)                                37| Wie die Tomate Heinz bei Twitter für Furore sorgte

          Andreas Bähring (IPK Leibniz-Institut) Seiten: 1, 7, 11, 12, 13, 14, 25, 34, 37, 38, 39, 41, 42, 44
          Christian Schafmeister (IPK Leibniz-Institut) Seiten: 16, 23
          Eva Siebenhühner (IPK Leibniz-Institut) Seiten: 5, 23 oben, 24, 27, 45, 46                                  PANORAMA
          Dr. Jens Freitag (IPK Leibniz-Institut) Seiten: 29 (Personen v. links nach rechts: Valentin Hinterberger,
          Dominic Knoch; Johannes Heilmann; Alevtina Ruban; Andreas Graner; Viktor Korzun ),                          38| Der Strippenzieher
          49 (außer Gruppenfotos)                                                                                     40 | Deutsch-iranisches Traumpaar macht Schlagzeilen
          Prof. Dr. Thomas Altmann (IPK Leibniz-Institut) Seite: 4
                                                                                                                      43| Auf Motivsuche in der Ährensammlung
          PD Dr. Manuela Nagel (IPK Leibniz-Institut) Seiten: 19, 20
                                                                                                                      44| „Ich bin eine kleine Nomadin“
          Iris Koeppel (IPK Leibniz-Institut) Seite: 34
          Charlotte Kiso Seite: 47                                                                                    45| Der Überflieger
          Norbert Franke Seite: 32                                                                                    47| Jung, engagiert und besorgt
          Privatbild; von der Pressestelle der TU München Seite: 31                                                   49| Corona-Impressionen
          Dr. Michael Melzer (IPK Leibniz-Institut) Gruppenbild PRB / Seite: 49
          Dr. Jörg Fuchs (IPK Leibniz-Institut) Gruppenbild ME / Seite: 49
          Dr. Frank Blattner (IPK Leibniz-Institut) Seite: 15
                                                                                                                      50 | Publikationen
          Daiyan Li Seite: 28
          Katharina Menck (IPK Leibniz-Institut) Seite: 26                                                            52| Veranstaltungen
                                                                                                                      54| Drittmittel

4 | Impressum                                                                                                                                                                   Inhaltsverzeichnis | 5
TITELTHEMA DIE WURZEL - VERBORGENE VIELFALT | S. 4 - IPK GATERSLEBEN
DIE WURZEL -                                                                                                                den, waren es am Ende insgesamt 360 Pflanzen.
                                                                                                                                      Und damit war die Rhizotronanlage in der Pflanzen-
                                                                                                                                      kulturhalle erstmals für einen Versuch voll belegt.

          VERBORGENE                                                                                                                  Aus Sicht von Versuchsleiterin Dr. Christiane Sei-
                                                                                                                                      ler macht der enorme Aufwand durchaus Sinn. Sie

          VIELFALT
                                                                                                                                      ist überzeugt, dass das Thema Wurzel weiter an
                                                                                                                                      Bedeutung gewinnen wird. „Zum einen haben wir
                                                                                                                                      heute in der Phänotypisierung deutlich mehr Mög-
                                                                                                                                      lichkeiten als noch vor einigen Jahren, zum ande-
                                                                                                                                      ren sind Wurzeln für die Gesamtentwicklung einer
          WAS SICH THOMAS ALTMANN UND CHRISTIANE SEILER                                                                               Pflanze von entscheidender Bedeutung.“ Das gilt
                                                                                                                                      natürlich auch mit Blick auf den Klimawandel und
          VON EINEM GROSSVERSUCH IN DER                                                                                               den zunehmenden Trockenstress, dem zahlrei-
          PFLANZENKULTURHALLE ERHOFFEN.                                                                                               che Pflanzen verstärkt ausgesetzt sein werden.
                                                                                                                                      Wenn Pflanzen Strategien anwenden, um den Tro-
                                                                                                                                      ckenstress zu vermeiden, senden oft zunächst Wur-
                                                                                                                                      zeln die entsprechenden Signale aus. Die Pflanzen           Dr. Christiane Seiler kontrolliert das Wachstum der Pflanzen.
                                                                                                                                      schalten danach gewissermaßen in einen „Sparmo-
                                                                                                                                      dus“ um und reduzieren ihren Wasserverbrauch und         Und dann kam mitten im Sommer der Frühling - zu-
                                                                                                                                      ihr Wachstum. Andere bilden von vornherein länge-        mindest in der Pflanzenkulturhalle. „Wir haben uns
                                                                                Blick auf die Rhizotrone in der Pflanzenkulturhalle
                                                                                                                                      re Wurzeln, die steil in den Boden wachsen, um in tie-   für Bedingungen entschieden, wie sie an einem Tag
                                                                                                                                      feren Schichten noch an Wasser zu kommen. Doch           im späten Frühjahr vorherrschen könnten.
                                                                                                                                      es gibt auch noch weitere wichtige Aspekte. Wie et-

          S
                 ie fällt bei einer Pflanze nicht auf den ersten   „Wir haben vor allem Pflanzen ausgesucht, die welt-                wa erreichen die Wurzeln - und damit die Pflanzen
                 Blick ins Auge und wird deshalb auch oft als      weit von großer Bedeutung sind und die auch am IPK                 - Nährstoffvorkommen in verschiedenen Bereichen
                 „hidden half“ bezeichnet, also als versteck-      sehr intensiv untersucht werden, darunter Weizen                   des Bodens? Wie reagieren sie auf unterschiedliche
          te Hälfte. Doch das wird ihrer Bedeutung keinesfalls     und Gerste. Wir haben aber auch Pflanzen in dem                    Nährstoffangebote? Und über welche Mechanismen
          gerecht, die Wurzel erfüllt schließlich drei zentra-     Versuch berücksichtigt, die in Zukunft möglicher-                  werden diese Reaktionen ausgeführt?
          le Funktionen. Sie gibt einer Pflanze Halt, sorgt für    weise eine größere Rolle spielen könnten“, sagt Prof.
          die stabile Verankerung im Boden. Über die Wurzel        Dr. Thomas Altmann, Leiter der Abteilung Molekulare                Doch bevor es Ende August losging und Wurzeln und
          nimmt die Pflanze Wasser aus dem Boden auf. Und          Genetik. Im Blickpunkt standen stets zwei Aspekte:                 Sprosse jeden Tag automatisiert fotografiert und be-
          über ihre Wurzel versorgt sich die Pflanze mit den       die Architektur des Wurzelsystems und die Dynamik                  wässert werden konnten, musste der Versuch in der
          nötigen mineralischen Nährstoffen. Die Wurzel ist al-    der Wurzelentwicklung.                                             Pflanzenkulturhalle erst aufwändig vorbereitet wer-
          so für die Pflanze überlebenswichtig. Das sind ent-                                                                         den. „Wir haben allein 2 ½ Wochen benötigt, um die
          scheidende Gründe, sie intensiv zu erforschen, auch      Die Architektur des Wurzelsystems ist sehr kom-                    360 Rhizotrone mit der entsprechenden Erde zu be-
          am IPK Leibniz-Institut.                                 plex und sie ergibt sich aus der Kombination ver-                  füllen, das war echte Handarbeit“, erklärt Christiane
                                                                   schiedener Eigenschaften. Es geht um Faktoren                      Seiler. Zehn Kilo Erde kamen in jeden der Behälter,
          Nachdem das Thema Wurzel in der Vergangenheit            wie die Länge und die Dicke von Wurzeln, die An-                   an deren Seitenscheiben später die Wurzeln wach-
          schon mehrfach am IPK in Gatersleben im Fokus            zahl und Anordnung von Verzweigungen und die                       sen sollten. Doch bereits die Auswahl der richtigen
          stand, haben im Sommer 25 Wissenschaftlerinnen           Ausrichtung verschiedener Teile der Wurzel. „Un-                   Erde war wichtig. „Wir haben ein Schwarztorf-Subst-
          und Wissenschaftler aus zehn Arbeitsgruppen ei-          ser Ziel ist es, einen möglichst guten Eindruck von                rat gewählt, damit der dunkle Boden bei den Aufnah-
          ne sehr breit angelegte Untersuchung begonnen.           der Vielfalt der Wurzelsysteme zu gewinnen. Das                    men einen möglichst starken Kontrast zur Wurzel
          Von Ende August bis Mitte Oktober beobachteten           heißt, es geht nicht nur darum, Unterschiede zwi-                  bildet“, erklärt sie weiter. Zudem wurde darauf ge-
          und dokumentierten sie mit Hilfe der Bildaufnah-         schen den Pflanzenarten aufzuzeigen, sondern auch                  achtet, dass möglichst keine Fasern und holzigen
          meeinrichtungen im neuen Rhizotronsystem der             die Variationsbreite innerhalb einer Art zu beleuch-               Teile enthalten waren, die auf den Aufnahmen stören
          Pflanzenkulturhalle jeden Tag akribisch das Wur-         ten. Und dafür müssen wir eine sehr große Zahl an                  würden. Doch auch die Pflanzen mussten vorberei-
          zelwachstum von 17 verschiedenen Kulturpflanze-          Pflanzen untersuchen“, erklärt Thomas Altmann.                     tet werden. Bevor sie auf die 360 Rhizotrone verteilt
          narten. Am Ende herauskommen soll aus diesem             So wurden von allen Pflanzenarten mehrere Genoty-                  wurden, wurden sie zunächst noch vorgekeimt. „Wir
          Großversuch ein Atlas der Wurzeldiversität, der          pen (Sorten, Linien) berücksichtig. Bei sieben Arten               wollten sicherstellen, dass wir auch wie geplant alle
          nicht nur einen umfassenden Überblick über die           wie Weizen, Gerste, Mais und Raps sechs, bei allen                 Rhizotrone für den Versuch nutzen konnten und kei-
          Vielfalt in der Gestalt und dem Wachstum der Wur-        anderen, darunter Tomate, Kartoffel und Sonnen-                    ne Pflanzen vorher verlieren, deshalb war das auch
          zeln gibt, sondern auch Ausgangspunkt für weite-         blumen, immerhin jeweils drei Genotypen. Da von                    die kritischste Phase“, erklärt Christiane Seiler.                17 unterschiedliche Kulturpflanzenarten waren in das
                                                                                                                                                                                                Experiment integriert, darunter auch die Erbse (Pisum sativum)
          re Forschungsprojekte und Kooperationen sein soll.       jedem Genotyp fünf Pflanzen berücksichtigt wur-

6 | Titelthema                                                                                                                                                                                                                                           Titelthema | 7
TITELTHEMA DIE WURZEL - VERBORGENE VIELFALT | S. 4 - IPK GATERSLEBEN
tung, dass es nicht nur zwischen den Arten, sondern
                                                                        auch innerhalb einer Art große Variationen gibt. So
                                                                        bildeten einige Sonnenblumenpflanzen eine star-
                                                                                                                                AUF DEM WEG
                                                                                                                                ZUM PAN-GENOM
                                                                        ke Primärwurzel aus, die ihrerseits stark verzweigt
                                                                        war. Andere Sonnenblumen wiederum bildeten fei-
                                                                        nere und weniger verzweigte Wurzeln aus. Auch

                                                                                                                                DER GERSTE
                                                                        bei der Modellpflanze Arabidopsis gab es erhebli-
                                                                        che Unterschiede zwischen den Akzessionen. In
                                                                        einigen Fällen beobachteten die Wissenschaftler
                                                                        die Bildung sehr langer, wenig verzweigter Wurzeln,
                                                                        in anderen Fällen entwickelten die Pflanzen sehr
                                                                        dichte, eng verzweigte Wurzelsysteme. „Die hatten       NILS STEIN ERKLÄRT, WAS DER MEILENSTEIN IN DER
                                                                        bei einer Akzession fast die Form eines Spitzbar-
                                                                        tes.“ Doch auch die Zeitschiene hatten die IPK-For-
                                                                                                                                SEQUENZIERUNG FÜR WISSENSCHAFT UND ZÜCHTUNG
                                                                        scher im Blick und erlebten Überraschungen. So          BEDEUTET.
                                                                        entwickelten sich die Wurzeln einiger Kartoffelpflan-
                                                                        zen zu Beginn nur sehr zögerlich, dann aber ex-
                                                                        plodierte das Wachstum innerhalb kürzester Zeit.
                                                                        In den kommenden Monaten werden am IPK nun              Drei Jahre nach der Charakterisierung des ers-         genetische Vielfalt, die für diese Art charakteristisch
                                                                        zunächst die Aufnahmen und später die Daten aus-        ten Gerste-Genoms ist ein internationales Team         ist, in unserem Fall der Gerste, ab. Vereinfacht ge-
                                                                        gewertet, die in dem Versuch gewonnen wurden.           unter Führung von Wissenschaftlern des IPK             sprochen geht es also darum, die Erbinformation in
                                                                        Thomas Altmann ist aber schon heute sehr zufrie-        nun auch der Entschlüsselung des sogenann-             präzise Schnitt- und Teilmengen zu differenzieren.
                                                                        den. Nur eine Hirse- und eine Kartoffelsorte sind       ten Pan-Genoms der Gerste einen erheblichen
                                                                        nicht angewachsen, bei Rübe, Mais und Busch-            Schritt nähergekommen. Die Ergebnisse wurden
                                                                        bohne mussten einige Pflanzen nachgepflanzt             Ende November im Wissenschaftsmagazin Na-              Wie lässt sich das Pan-Genom
                                                                        werden, die sich dann aber gut entwickelten. „An-       ture veröffentlicht. Wie die Forscher dabei genau      im Fall von Gerste charakteri-
                                                                        sonsten sind jedoch alle Pflanzen gekommen und          vorgegangen sind, was die neuen Erkenntnisse           sieren? Und warum ist die Ent-
                                                                        gut gewachsen.“ Auch die Technik habe funktio-          für die Züchtung bedeuten und welche Heraus-           schlüsselung so wichtig?
                                                                        niert. „Der Versuch ist komplett durchgelaufen,         forderungen noch auf die Forscher warten, er-
                                                                        und das System hat stabil funktioniert“, sagt er.       klärt Prof. Dr. Nils Stein, Leiter der Arbeitsgruppe   Um das Pan-Genom der Gerste zu beschreiben, be-
                                                                        Nach der Auswertung könnten aus diesem Versuch          Genomik genetischer Ressourcen, im Interview.          nötigt man vollständige Genomsequenzen für ge-
                                                                        direkt zwei Veröffentlichungen entstehen, ein metho-                                                           netisch sehr diverse Gerstegenotypen. Unserer
                                                                        disches Paper, in dem die technische Leistungsfä-                                                              Schätzung nach sind mindestens 50-100 vollstän-
                        Das Foto zeigt das Wachstum einer Maiswurzel.
                                                                        higkeit sowie die enorme experimentelle Bandbreite      Sie sind jetzt der Entschlüsselung                     dige Genomsequenzen erforderlich, um annähernd
                                                                        der Möglichkeiten des Rhizotronsystems im Vorder-       des Pan-Genoms der Gerste einen                        umfassend die Erbinformation der Kulturart Gers-

          I
              n dieser Zeit durchlaufen viele Pflanzen ih-              grund stehen. Und eine Publikation die sich mit dem     großen Schritt nähergekommen. Wo-                      te inklusive aller Varianten zu beschreiben. Das ist
              re „Jugendphase“, die durch ein sehr schnelles            Wurzeldiversitätsatlas beschäftigt. „Dort enthalten     rum genau geht es beim Pan-Genom?                      sehr aufwändig, wenn man bedenkt, dass bereits
              Wachstum gekennzeichnet ist“, erklärt Thomas              könnten möglicherweise auch Zeitraffer-Aufnahmen                                                               die vollständige Entschlüsselung des Genoms ei-
          Altmann. Für die Wachstumsbedingungen bedeu-                  der Entwicklung der untersuchten Wurzelsysteme          Das Konzept des Pan-Genoms beschreibt das Phä-         ner Gerste lange Zeit als unmöglich angesehen
          tete das ganz konkret: Die Temperaturen schwank-              sein.“ Doch die beteiligten Wissenschaftlerinnen und    nomen, dass, entgegen ursprünglicher Annahmen          wurde. Dies liegt daran, dass das Gerstegenom ei-
          ten zwischen 13 Grad in der Nacht und 18 Grad am              Wissenschaftler hoffen auf noch mehr. „Die Ergeb-       aus Zeiten vor der Genomsequenzierung, verschie-       nen 80-90-prozentigen Anteil von Sequenzeinhei-
          Tag. Die Luftfeuchtigkeit pendelte jeweils zwischen           nisse aus dem jetzigen Versuch sollen als Referenz-     dene Individuen einer Art nicht exakt denselben        ten in unterschiedlicher Länge besitzt, die sich z.T.
          80 und 50 Prozent. Tag und Nacht dauerten jeweils             daten den Ausgangspunkt für eine Vielzahl weiterer      Gehalt an Erbinformationen teilen. Vielmehr be-        hundert- oder tausendfach wiederholen können.
          12 Stunden.                                                   Forschungsprojekte und Kooperationen bilden - mit       sitzen alle Individuen einen großen gemeinsamen        Dies stellte die Bioinformatik bei dem Zusammen-
                                                                        Partnern innerhalb und außerhalb des IPK“, erläutert    Bestand geteilter Erbinformation (Gene), das soge-     setzen der im Rahmen eines Genomsequenzier-
          Damit nach der Aussaat die Dynamik der Wurzelent-             Thomas Altmann.                                         nannte „Core-Genom“. Hinzu kommt ein „Variables        projektes gewonnenen Sequenzschnipsel lange
          wicklung genau und lückenlos nachvollzogen werden                                                                     Genom“, in dessen Zusammensetzung sich einzel-         vor schier unlösbare Probleme. Die erste voll-
          konnte, wurden von jeder Pflanze täglich drei Aufnah-                                                                 ne Vertreter einer Art mehr oder weniger stark un-     ständige Entschlüsselung eines Gerstegenoms
          men gemacht - zwei vom Spross, eine von der Wurzel.                                                                   terscheiden können. Dieses enthält z.B. Gene, die      gelang erst 2017. Um die Erbinformation der ge-
          „Das lief alles vollautomatisiert mit Hilfe der beiden                                                                durch Anpassung an bestimmte Umweltbedingun-           samten Spezies Gerste zu verstehen, ist es nun er-
          Aufnahmetürme in dem kürzlich installierten Rhizo-                                                                    gen selektiert wurden. Erst das Pan-Genom, das         forderlich, das Pan-Genom zu entschlüsseln.
          tronsystem in der Pflanzenkulturhalle ab und war in                                                                   durch den Vergleich der Genome zahlreicher Pflan-
          dieser Form für uns Neuland“, sagt Thomas Altmann.                                                                    zen sichtbar wird, bildet letztlich die vollständige
          Die ersten Ergebnisse bestätigten dabei die Vermu-                                                                    Genominformation einer Art sowie die vorhandene

8 | Titelthema                                                                                                                                                                                                                       Wissenschaft | 9
TITELTHEMA DIE WURZEL - VERBORGENE VIELFALT | S. 4 - IPK GATERSLEBEN
Wie sind Sie genau vorgegangen?                         bis in heutige Sorten ausgebreitet hat. Im zweiten
                                                                 Fall steht die beobachtete Genomstrukturvariation
         Den Ausgangspunkt für die Untersuchung bil-             mit der Umweltanpassung während der historischen,
         deten die rund 22.000 Saatgutmuster der Gers-           nordwestlichen Ausbreitung des Gerste-Anbaus
         te aus der bundeszentralen Ex-situ-Genbank am           nach Mittel- und Nordeuropa in Beziehung. Die Be-
         IPK. Deren Genome wurden mittels einer punk-            schreibung solcher Inversionen in Gerste ist neu.
         tuellen DNA-Sequenzierung vor-charakterisiert.
         Anhand der so gewonnenen genetischen Di-
         versitätsinformation wurden aus dieser großen           Warum sind diese Inver-
         Gruppe zunächst 20 Genotypen ausgewählt. Ge-            sionen so wichtig?
         notypen also, die sich genetisch jeweils mög-
         lichst stark voneinander unterscheiden.                 Sie können eine entscheidende Rolle im züchteri-
                                                                 schen Prozess spielen, weil sie Rekombination ver-
                                                                 hindern, also die züchterische Neukombination
         Nach welchen Kriterien er-                              gewünschter Merkmale unmöglich machen. Doch
         folgte die Auswahl?                                     nicht nur das: Diese natürlich auftretenden oder
                                                                 künstlich ausgelösten Inversionen sind Zeugnis für
         Wichtigstes Merkmal bei der Auswahl war in der Tat      eine erhebliche Dynamik in der Genomorganisati-
         ein möglichst großer genetischer Unterschied zwi-       on dieser in Europa zweitwichtigsten Kulturart.
         schen den Kandidaten. Dies überschnitt sich in der
         Regel mit einer sehr großen Vielfalt bzw. Distanz ih-
         rer jeweiligen geographischen Herkunft. Zusätzlich      Wie kann die Züchtung von diesen
         achteten wir darauf, das typische Hauptmerkmale für     neuen Erkenntnissen profitieren?
         Gerste wie z.B. Winter- oder Sommertyp, Nackt- oder
         Bedecktsamigkeit, zwei- oder mehrzeilige Ährenfor-      Wir haben eine neue Datengrundlage geschaf-
         men in der Liste der Genotypen vertreten waren.         fen und einen neuen Schatz an Informationen
                                                                 für die Züchtung erschlossen. So könnten nun-
                                                                 mehr molekulare Marker genutzt werden, um
         Was hat Sie besonders überrascht?                       strukturelle Genomunterschiede bei der Gers-
                                                                 te Züchtung gezielt zu berücksichtigen.
         Die einzelnen Genome unterscheiden sich teil-
         weise erheblich in der Anzahl ihrer Gene sowie in
         der Anordnung und der Orientierung großer Ab-           Letztlich geht es aber vor allem da-                   Verteilung der sequenzierten Pan-Genom Genotypen vor dem Hintergrund globaler Diversität in Gerste. Mehr als 20.000 diverse Gerste-
                                                                                                                        muster der IPK Genbank wurden zunächst per Sequenzierung genotypisiert (graue Punkte in der Hauptkoordinatenanalyse, dargestellt
         schnitte einzelner Chromosomen, also den Trä-           rum, auch die Gerste auf die Her-                     Verteilung     der sequenzierten
                                                                                                                        sind die Koordinaten                     Pan-Genom
                                                                                                                                             1/2, 3/4, 5/6). Aus dieser          Genotypen
                                                                                                                                                                        großen Datenmenge  wurdenvor
                                                                                                                                                                                                   20 dem   Hintergrund
                                                                                                                                                                                                      Genotypen,              globaler
                                                                                                                                                                                                                 die die globale Diversität Diversität   inzur
                                                                                                                                                                                                                                            repräsentieren,
         gern der Erbinformation. Das ist wichtig zu wissen,     ausforderungen durch den Klima-                       Gerste.    Mehr
                                                                                                                        vollständigen     als 20.000
                                                                                                                                      Sequenzierung       diverse(IPK-Leibnitz-Institut,
                                                                                                                                                      ausgewählt.    Gerstemuster der        IPK
                                                                                                                                                                                         Martin   Genbank wurden zunächst per Sequenzierung
                                                                                                                                                                                                Mascher)

         denn diese „strukturellen“ Veränderungen des Ge-        wandel vorzubereiten, oder?                           genotypisiert (graue Punkte in der Hauptkoordinatenanalyse, dargestellt sind die Koordinaten 1/2,
         noms können eine unüberwindbare Hürde bei                                                                     3/4, 5/6). Aus dieser großen Datenmenge wurden 20 Genotypen, die die globale Diversität
         der Neukombination wichtiger Eigenschaften im           Ja, das stimmt. Das Problem ist folgendes: Die         Was kann getan
                                                                                                                       repräsentieren,        werden? Sequenzierung ausgewählt.
                                                                                                                                        zur vollständigen                  fasst. Dazu
                                                                                                                                                                                   (IPKmüssen  wir weitere
                                                                                                                                                                                       Gatersleben,        Genotypen
                                                                                                                                                                                                      Martin         voll-
                                                                                                                                                                                                              Mascher)
         Rahmen der Kreuzungszüchtung darstellen.                Gerste, die wir heute kennen, ist gezielt auf mög-                                                                             ständig sequenzieren und entschlüsseln. In diesem
                                                                 lichst hohe Erträge unter stabilen, mitteleuropä-      Züchtung basiert auf der Nutzung und Neukom-                            nächsten Schritt wollen wir auch die Wildgerste,
                                                                 ischen Umweltbedingungen gezüchtet worden.             bination der vorhandenen genetischen Diversität.                        den direkten Vorfahren der heutigen Kulturgerste,
         Welche weiteren Erkenntnisse                            Das hat lange Zeit sehr gut funktioniert. Eine Fol-    Hier bieten die pflanzengenetischen Ressourcen                          mit einbeziehen und genauer in den Blick nehmen.
         hat die Untersuchung geliefert?                         ge der modernen Pflanzenzüchtung ist jedoch            aus der bundeszentralen Ex-situ-Genbank am IPK                          Wildgerste ist ein wichtiger, aber bisher kaum ge-
                                                                 grundsätzlich eine Abnahme der genetischen Viel-       ein Reservoir, um nach Eigenschaften zu suchen,                         nutzter Bestandteil des gesamten, der modernen
         Wir fanden verblüffende Unterschiede in der linea-      falt der angebauten Sorten. Und genau das holt         die wir heute dringend benötigen. Es geht um ei-                        Pflanzenzüchtung zur Verfügung stehenden, Gen-
         ren Anordnung der Erbinformation in den Chromo-         uns heute in Zeiten des Klimawandels ein. Um-          ne genetische Frischzellenkur für unsere Gerste.                        pools. Und ich bin mir ganz sicher, dass wir Diversi-
         somen - sogenannte Genomstruktur-Unterschiede.          weltbedingungen sind nicht mehr so stabil wie ge-                                                                              tät entdecken, die für die zukünftige Gerstezüchtung
         Zwei dieser Strukturvariationen, sogenannte Inver-      wohnt. Neue Umweltphänomene, wie z.B. große                                                                                    und -forschung von erheblichem Wert sein kann.
         sionen, also entgegengesetzte Anordnungen von           Hitze während der Blüte, Dürre, oder auch Nieder-      Welche Herausforderungen lie-
         Erbinformation in zwei Genomen, waren dabei be-         schläge mit sehr großen Wassermassen in kür-           gen nun noch vor Ihnen?
         sonders interessant. In einem Fall konnte für die       zesten Zeiträumen, treten häufiger und in kürzeren
         Strukturänderung ein Bezug zur Mutationszüchtung        Abständen auf, was sich bereits in den letzten Jah-    Trotz des ersten erfolgreichen Schrittes zur Be-
         der 1960er Jahre hergestellt werden, in dessen Fol-     ren in deutlich geringeren Erträgen widerspiegelt.     schreibung des Gerste Pan-Genoms haben wir
         ge sich die Veränderung unbemerkt durch Züchtung                                                               noch nicht die gesamte Diversität von Gerste er-

10 | Wissenschaft                                                                                                                                                                                                                                   Wissenschaft | 11
TITELTHEMA DIE WURZEL - VERBORGENE VIELFALT | S. 4 - IPK GATERSLEBEN
„DIE PYRAMIDE WIRD                                                                                            Arbeitsgruppe Meiose bedeutet die Zusage zunächst
                                                                                                                          einmal zwei Dinge: eine Auszeichnung seiner bisheri-
                                                                                                                          gen wissenschaftlichen Arbeit - und Planungssicher-
                                                                                                                                                                                                               len, ist Stefan Heckmann bewusst. „Keine Frage, das
                                                                                                                                                                                                               System ist nicht perfekt, ich wüsste aber auch keine
                                                                                                                                                                                                                     bessere Alternative“, gesteht der 38-Jährige,

             NACH OBEN IMMER
                                                                                                                          heit. „Man muss exzellent sein, keine Frage,                                                       der 2016 nach drei Jahren in Birming-
                                                                                                                                                                                                   e   n
                                                                                                                          man braucht als junger Wissenschaftler                            o   ub                               ham wieder ans IPK zurückkehrt ist.
                                                                                                                                                                                        H
                                                                                                                          aber auch Glück und muss zur richtigen

                                                                                                                                                                                as
                                                                                                                                                                            re
                 SCHMALER“
                                                                                                                          Zeit am richtigen Ort sein.“ Denn die                                                                      Für den Wissenschaftler gehe es

                                                                                                                                                                        nd
                                                                                                                                                                   P r of. D r. A
                                                                                                                          Kriterien des ERC sind anspruchsvoll,                                                                       heute auch darum, sich gut zu
                                                                                                                          die Zahl der Bewerberinnen und Be-                                                                          positionieren. Das betrifft Pub-
                                                                                                                          werber sehr hoch. So dauert es meist                                                                        likationen, aber auch Anträge
                                                                                                                          mehrere Monate, einen entsprechen-                                                                         für Förderungen. „Dazu braucht
           STEFAN HECKMANN ERHÄLT ERC STARTING GRANT,                                                                     den Antrag zu schreiben. Das Zeitfens-                                                                    es eine gute Strategie.“ Zumal
                                                                                                                          ter ist zudem eng: Akzeptiert werden                                                                     die Konkurrenz natürlich nicht
          WEISS ABER WIE SEIN DOKTORVATER ANDREAS HOUBEN                                                                  Anträge nur zwei bis sieben Jahre nach der                                                            schläft. „In meinem Forschungsge-
              UM DIE HÄRTEN IM WISSENSCHAFTSBETRIEB.                                                                      Promotion. Und nur rund zehn Prozent der Be-                                                      biet - der Meiose - gibt es in Europa zehn
                                                                                                                          werberinnen und Bewerber bekommen am Ende die                                          bis 15 Arbeitsgruppen mit einer ähnlichen Aus-
                                                                                                                          prestigeträchtige Förderung. „Sicherheit hat man vor                                 richtung“, berichtet Stefan Heckmann. „Wir konkur-
                                                                                                                          allem als junger Wissenschaftler einfach nicht und                                   rieren zum einen um dieselben Fördermittel, stellen

                                                      F
                                                                                                                          die Pyramide wird immer schmaler, je weiter man                                      zum anderen aber auch gemeinsame Anträge.“
                                                                                                                          auf ihr nach oben kommt“, sagt Stefan Heckmann,
                                                                                                                          „darüber sollte man sich frühzeitig im Klaren sein“.                                 Bei Andreas Houben hört sich das ganz ähnlich an.
                                                  ragt man                                                                                                                                                     Auch er rät jungen Wissenschaftlern, zunächst ein
                                                 Andreas         Ant-                                                     Andreas Houben hat die Entwicklung über Jahre mit-                                   passendes Thema für sich zu suchen, von dem sie
                                               Houben, was       wor t.                                                   verfolgt und bestätigt die Eindrücke seines früheren                                 wirklich fasziniert sind. Zudem sei es wichtig, sich
                                              ihm zu Stefan      „Er war                                                  Doktoranden. „Die Situation für junge Wissenschaft-                                  zu überlegen, was wann und vor allem wo publiziert
                                             Heckmann ein-       für mich                                                 lerinnen und Wissenschaftler ist schwieriger,                                                    werden könnte. Doch auch ein vertrau-
                                                                                                                                                                                                          nn
                                           fällt, muss man       tatsächlich                                              der Selektionskampf härter geworden“,                                        ma                      ensvolles Verhältnis in der Arbeits-
                                                                                                                                                                                                 ck
                                                                                                                                                                                            He
                                          nicht lange auf ei-    ein Idol, ich                                            sagt Houben und verweist darauf, dass                         n                                         gr upp e sei von ele mentarer

                                                                                                                                                                                    a
                                                                                                                                                                                ef
                                        ne Antwort warten.       habe sowohl                                              nur sehr wenige Doktoranden nach                                                                          Bedeutung, bekräftigt Andreas

                                                                                                                                                                            St
                                                                                                                                                                       D r.
                                       „Stefan stach für mich    menschlich                                               ihrer Doktorarbeit eine feste Stel-                                                                        Houben. „ Das betrif f t im -
                                      schon als Doktorand        als auch wissen-                                         le im Wissenschaftsbetrieb finden.                                                                          mer beide Richtungen, also
                                    heraus und war bereits       schaftlich sehr viel                                                                                                                                                 vom Leiter zur Gruppe und
                                   in dieser Zeit eine Ausnah-   von ihm gelernt und                                      Für Stefan Heckmann stand aber                                                                              von der Gruppe zum Leiter.“
                                 me“, bekräftigt der Leiter      profitiert“, erklärt Ste-                                früh fest, dass er den Weg in die Wis-
                                der Arbeitsgruppe Chromo-        fan Heckmann. „Von ihm                                   senschaft einschlägt - trotz der be-                                                                     Seinen früheren Doktoranden
                               somenstruktur und -funktion.      habe ich in meiner Zeit                                  kannten Unwägbarkeiten und Risiken.                                                                    sieht er auf dem richtigen Weg.
                             „Er hat immer mitgedacht, ei-       als Doktorand von 2009                                   „Wissenschaft macht einfach richtig Spaß,                                                           „Stefan hat mit der Meiose sein The-
                            gene Hypothesen entwickelt und       bis 2013 nicht nur viele Rat-                            das ist meine Berufung“, betont der 38-Jährige,                                               ma gefunden. Er ist dabei, sich immer stärker
                          sich überlegt, wie diese am besten     schläge bekommen, sondern                                der bereits als Student seine ersten Kontakte zum                                    freizuschwimmen. Er hat die Regeln des Wissen-
                         überprüft werden können“, sagt sein     vor allem realistische Ratschlä-                         IPK geknüpft hat. Nach einem Praktikum konnte er                                     schaftsbetriebes kennengelernt und vor allem kann
                        ehemaliger Doktorvater. Dabei ha-        ge“, erklärt der 38-Jährige, der im                      zwei Monate in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Ingo                                  er sie anwenden.“ Wie die erfolgreiche Bewerbung um
                      be er bei seiner Doktorarbeit aus dem      Sommer 2020 die Zusage für ei-                           Schubert unter Anleitung von Dr. Inna Lermontova                                     einen ERC Starting Grant eindrucksvoll gezeigt hat.
                     Bereich Meiose „wirklich schwere Kost       nen Starting Grant des European Re-                      mitarbeiten und dort im Anschluss auch seine Diplom-
                    auf dem Teller gehabt“, blickt Andreas       search Council (ERC) bekommen hat.                       arbeit schreiben - danach waren die Würfel gefallen.                                 Die      IPK-Nachwuchsgruppenleiter      Dr.     Stefan
                  Houben zurück. Doch Stefan habe sich           Das heißt, die Forschung des IPK-Wis-                                                                                                         Heckmann und Dr. Martin Mascher erhalten vom
                 durchgebissen, sich sehr intensiv mit der Li-   senschaftlers wird in den kommenden                      Auf seinen Lorbeeren ausruhen kann sich Stefan                                       European Research Council (ERC) einen Starting
                teratur auseinandergesetzt und so nicht nur      fünf Jahren mit 1,5 Millionen Euro gefördert.            Heckmann allerdings auch nach seinem Starting                                        Grant. Für fünf Jahre wird ihre Forschung mit jeweils
              das Thema für seine weitere wissenschaftli-        Ein Ritterschlag für einen Nachwuchswis-                 Grant nicht. „Als Wissenschaftler muss man immer                                     1,5 Millionen Euro unterstützt. Seit 2016 wird bereits
             che Karriere, sondern auch seine Freundin und       senschaftler. „Da habe natürlich auch ich mich           liefern“, sagt er. Liefern heißt dabei vor allem pub-                                Thorsten Schnurbusch am IPK mit einem Consolidator
            heutige Frau am IPK gefunden. „Die beiden ha-        sehr für Stefan gefreut“, betont Andreas Houben.         lizieren, möglichst in Magazinen mit einem hohen                                     Grant gefördert. 2020 gingen drei Starting Grants
           ben sich tatsächlich am Mikroskop kennengelernt.“                                                              Impact-Factor, das heißt mit einer exzellenten Reputa-                               nach Sachsen-Anhalt, davon zwei ans IPK. Diesen
                                                                 Die beiden IPK-Wissenschaftler freuen sich aber          tion wie sie „Nature“ und „Science“ haben. Dass dabei                                besonderen Erfolg nehmen wir zum Anlass, mit den
         Und umgekehrt? Fragt man Stefan Heckmann nach           nicht nur über die ERC-Förderung, sie sind auch in der   gelegentlich Nischenthemen - obwohl wissenschaft-                                    beiden    Nachwuchswissenschaftlern      und     jeweils
       Andreas Houben, bekommt man auch sofort eine klare        Lage, sie einzuordnen. Für den Leiter der unabhängigen   lich auch exzellent aufbereitet - durchs Raster fal-                                 einem ihrer Wegbegleiter ins Gespräch zu kommen.

12 | Wissenschaft                                                                                                                                                                                                                                             Wissenschaft | 13
TITELTHEMA DIE WURZEL - VERBORGENE VIELFALT | S. 4 - IPK GATERSLEBEN
„DAS WAR WIE                                                                                                         Mar tin Mascher, so sagt er selbst, profitier te
                                                                                                                              jedoch gerade zu Beginn seiner Zeit am IPK von
                                                                                                                              dem großen internationalen Netzwerk, das sich

         EIN LOTTOGEWINN“
                                                                                                                              Nils Stein über die Jahre aufgebaut hatte. Der er-
                                                                                                                              lebte seinen jungen Kollegen bei Treffen oft als ge-
                                                                                                                              sellig, mit feinem Sinn für Humor, wenn er auch
                                                                                                                              nicht so kommunikativ sei wie andere. „Aber er
                                                                                                                              saugt bei solchen Gelegenheiten alle Anregungen
         NILS STEIN ERZÄHLT, WIE ER MARTIN MASCHER                                                                            auf, fast wie ein Schwamm, Wissen bleibt regel-
         KENNENLERNTE UND BEIDE AM IPK                                                                                        recht haften an ihm.“

         ZU EINEM ERFOLGSDUO WURDEN
                                                                                                                              Doch Martin Mascher gibt sich bescheiden, braucht
                                                                                                                              nicht die große Bühne. „Wissenschaft macht auch
                                                                  Aus Magdeburg nach Gatersleben hatte ihn damals             ohne solche besonderen Ereignisse wie Preisverlei-
                                                                  Uwe Scholz gelotst, bei dem Martin Mascher in der           hungen Spaß, auch der Alltag ist für mich erfüllend“,
                                                                  Bioinformatik anfing. Über diesen Weg lernte Martin         sagt der 34-Jährige. Monatelang an einem Antrag
                                                                                                                                                                                                                                                    Prof. Dr. Nils Stein
                                                                  Mascher schnell auch Nils Stein kennen - und das            wie für den Starting Grant zu schreiben, das sei für
                                                                  war der Start einer überaus erfolgreichen Zusam-            ihn keine lästige Notwenigkeit oder Pflicht. „Auch
                                                                  menarbeit mit zahlreichen hochkarätigen Veröffent-          das kann einem Spaß bereiten, man strukturiert da-        Gleichwohl sieht sich Martin Mascher als Teamplay-
                                                                  lichungen. „Wir haben uns hervorragend ergänzt: er,         bei seine Gedanken, definiert klar seine Hypothesen       er. Er profitiere immens von den zahlreichen Kon-
                                                                  der Molekularbiologe und Genetiker, ich, der Ma-            - und das macht die Arbeit eines Wissenschaftlers         takten und Kooperationen. „Am IPK nutze ich das
                                                                  thematiker und Informatiker.“ Nils Stein, Leiter der        ja im Kern aus.“                                          Material von Taxonomen wie Frank Blattner und die
                                                                  Arbeitsgruppe Genomik genetischer Ressourcen,                                                                         Kenntnisse in der Sequenzierung, die Nils Stein hat.“
                                                                  denkt ebenfalls sehr gerne an diese Zeit zurück.            Klare Vorstellungen sind für ihn aber auch als            Da die Gerste aber eine solch große Bedeutung am
                                                                  Er, mit seiner Expertise im Bereich der Genomfor-           Arbeitsgruppenleiter wichtig. „Man sollte seinen          Institut hat, arbeitet Martin Mascher auch mit ande-
                                                                  schung, Uwe Scholz, mit seinen Kenntnissen in der           Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schon eine Rich-        ren Kolleginnen und Kollegen eng zusammen - wie
                                                                  Bioinformatik - und eben der junge Mathematiker             tung vorgeben.“ Dabei geht es weniger um klare            eben der Bioinformatik. „Eine derartige Unterstüt-
                                                                  Martin Mascher. „Ihn als Kollegen zu bekommen,              Arbeitsaufträge, sondern um die Weitergabe von            zung hätte ich an einer Universität beim Thema Da-
                                                                  das war wie ein Lottogewinn“, betont Nils Stein. „Wir       Erfahrungen. „Man sollte jüngeren Kollegen oder           ten sicher nicht.“ Auch deshalb fühlt er sich mit der
                                                                  waren plötzlich in der Pflanzengenomforschung in-           auch weniger erfahrenen für ihre eigenen Arbei-           Forschung seit Jahren so wohl am IPK. Und eine
                                                                  ternational ganz vorne mit dabei und konnten das            ten realistische Vorstellungen mit auf den Weg ge-        weitere, gemeinsame und hochkarätige Veröffentli-
                                             Dr. Martin Mascher
                                                                  Feld entscheidend beeinflussen.“ Martin Mascher             ben“, sagt Martin Mascher. Und was rät er jungen          chung von Martin Mascher und Nils Stein ist kürzlich
                                                                  habe bei der Auswertung und Analyse von Daten               Wissenschaftlern? „Sie sollten versuchen, schnell         im Wissenschaftsmagazin Nature erschienen. Die

         Z
                ur richtigen Zeit am richtigen Ort und dort       den Unterschied gemacht. „So einen hatten ande-             eine unabhängige Position, im Idealfall als Leiter ei-    fruchtbare Kooperation setzt sich also fort. „Das ist
                die richtigen Leute kennenlernen. Genau           ren Arbeitsgruppen nicht.“                                  nes eigenen kleinen Teams, zu erreichen.“ Das habe        wirklich ein Glücksfall“, betont Nils Stein, „planbar ist
                das, sagt Martin Mascher, sei ihm am IPK                                                                      auch praktische Vorteile. „Als Arbeitsgruppenleiter       so etwas jedenfalls nicht“.
         passiert. „Das war schon ein Glücksfall.“ Denn als       Dabei war Nils Stein bei einer der ersten Begeg-            ist es deutlich leichter, Anträge zu stellen und geför-
         er nach seinem Studium in Magdeburg vor knapp            nungen noch skeptisch. „Martin Mascher hat sich             dert zu werden.“
         zehn Jahren ans IPK kam, hatte sich das Institut         in Beratungen nie Notizen gemacht, das hat mich
         schon entschieden, Gerste zur „Leitkultur“ und da-       wirklich irritiert“, erinnert er sich. „Ich war mir nicht   Erfahrungen weiterzugeben, auch das hat Martin
         mit zu einem der wichtigsten Forschungsgebie-            sicher, ob er als junger Doktorand das Thema über-          Mascher von Nils Stein gelernt und selbst davon
         te zu machen. Doch nicht nur das: Es wurde auch          haupt durchdrungen hatte.“ Er hatte. „Kurze Zeit            profitiert. „Nils Stein hat mir auch viele praktische
         viel investiert. „Das IPK hatte damals das erste Il-     später legte er mir eine auf den Punkt geschliffene         Einblicke in den Wissenschaftsbetrieb gegeben
         lumina-Gerät zur Hochdurchsatz-Sequenzierung             Präsentation hin, das war bemerkenswert.“ Es sollte         und hatte für mich eine Vorbildfunktion.“ Gleich-
         angeschafft“, erinnert sich der 34-jährige Mathe-        nicht die einzige, positive Überraschung bleiben. So        wohl unterscheiden sich beide in ihrem Arbeitsstil.
         matiker, der heute die Unabhängige Arbeitsgrup-          habe Martin Mascher sich bereits zu Beginn seiner           „Ich bin sicher eher der Wettbewerbstyp, sehe viele
         pe Domestikationsgenomik am IPK leitet und sich          Zeit am IPK als ein exzellenter Schreiber erwiesen.         Sachen als sportliche Herausforderung“, sagt Nils
         international einen Namen gemacht hat. 2020 ist          „Er hat fast fertige Manuskripte abgeliefert, also          Stein. Martin Mascher ist der Sinn für Wettbewerb
         nun sein Jahr. Erst wurde er im Februar mit dem          nicht nur mit seinem technischen Teil, sondern auch         auch nicht fremd. Er hat aber eine besondere Gabe
         Wricke-Forschungspreis ausgezeichnet, dann er-           mit dem biologischen Teil.“ Einmal, kurz vor Weih-          für Fokussierung und arbeitet systematisch seinen
         hielt er im August einen der begehrten „Starting         nachten, zeigte Martin Mascher vielversprechen-             Masterplan ab - nicht nur bei größeren Projekten,
         Grants“ vom ERC, dem „European Research Coun-            de Analysen von Sequenzdaten. „Direkt nach den              sondern auch im Alltag und lasse sich da nicht aus
         cil“ - und damit eine Förderung in Höhe von 1,5          Feiertagen hat er mir das Manuskript rübergescho-           der Ruhe bringen.
         Millionen Euro in den kommenden fünf Jahren.             ben, das hat mir damals den Atem verschlagen.“

14 | Wissenschaft                                                                                                                                                                                                                     Wissenschaft | 15
TITELTHEMA DIE WURZEL - VERBORGENE VIELFALT | S. 4 - IPK GATERSLEBEN
AUF DER
         SUCHE NACH
         DER KNOLLENGERSTE
         WAS DEN TAXONOMEN FRANK BLATTNER BEI SEINER
         ARBEIT ANTREIBT UND WAS ER ZULETZT
         IN GRIECHENLAND ERLEBTE.

                                          W
                                                       ie können wir die Ernährung künfti-
                                                       ger Generationen sichern? Das ist eine
                                                       der zentralen Fragen, die Frank Blatt-
                                          ner antreibt. Und auf der Suche nach Antworten
                                          scheut der Biologe keinen Aufwand, bricht seit 20
                                          Jahren regelmäßig zu Sammelreisen und Expedi-
                                          tionen auf und war bereits mehrfach in Nord- und
                                          Südamerika, Sibirien und der Mongolei. Im vergan-                                                                                                       Camp in der Mongolei
                                          genen Jahr führte den Taxonomen eine dieser Sam-
                                          melreisen - begleitet von einem Kamerateam des
                                          ZDF - auf die griechische Insel Euböa. Ausgerüs-          Das Material, das Blattner von seinen Sammel-            Und das macht die Suche natürlich schwieriger.
                                          tet mit Laptop, Landkarte und Aufzeichnungen zu           reisen und Expeditionen mitbringt und das ent-           An einem Hang entdeckt Blattner dann aber doch ei-
                                          früheren Fundorten, machte sich Blattner auf die          sprechende Hintergrundwissen sind erst die               nen Standort, an dem Knollengerste wächst. „Das
                                          Suche nach der Knollengerste. Die Wildart wächst          Grundlage für die folgenden Arbeiten von Geneti-         sieht sehr vielversprechend aus“, sagt er und steckt
                                          in Griechenland trotz extremer Hitze und sehr lan-        kern, Molekularbiologen und Züchtungsforschern.          einige der Ähren in ein Papiertütchen. „Eigentlich
                                          ger Trockenphasen. Eigenschaften, die auch un-                                                                     alle unsere Getreide sind an Grenzen gekommen,
                                          sere Kulturgerste gebrauchen könnte, um künftig           Sorgen bereitet Blattner allerdings der massi-           die Erträge sinken“, sagt Blattner mit Blick auf den
                                          besser für den Klimawandel gewappnet zu sein.             ve Verlust der Artenvielfalt, den er auch auf sei-       Klimawandel. „Daher sind die Eigenschaften der
                                                                                                    nen Reisen beobachtet. Die Artenvielfalt sei so          Knollengerste für uns interessant.“ Ziel sei, die Eigen-
                                          Blattner vergleicht seine Arbeit mit der eines Histo-     etwas wie das Netzwerk des Lebens - und rei-             schaften der robusten Pflanzenart, im Rahmen eines
                                          rikers. „Ich möchte halt die Geschichte einer Pflan-      ße an immer mehr Stellen ein. „Natürlich ist ein         arbeitsgruppenübergreifenden Projektes des IPK,
                                          zenart rekonstruieren.“ Wo kommt sie her? Warum           gewisser Puffer vorhanden, eine Art kann den             künftig für unsere Kulturgetreide nutzbar zu machen.
                                          und unter welchen genauen Bedingungen ist sie ent-        Verlust einer anderen Art für einige Zeit kompen-
                                          standen? Wie hat sie sich ausgebreitet? Im Blick-         sieren“, erklärt der Biologe. Doch es gebe Grenzen.      Die Knollengerste wird Frank Blattner in jedem Fall
                                          punkt hat er dabei auch den Steppengürtel, der sich       „Ab einem bestimmten kritischen Punkt kann das           weiter beschäftigen. In Griechenland ging es auch
                                          aus unseren Breiten über tausende Kilometer bis in        System dann ganz schnell zusammenbrechen.“               darum, möglichst präzise die Grenze zu bestimmen,
                                          die Mongolei hinzieht. „Viele Pflanzen wandern da                                                                  ab der die Pflanze bei ihrer Ausbreitung von einem
                                          schnell durch, für die ist das wie eine Art Autobahn.“    Blattners erste Bilanz auf der Insel Euböa fällt         diploiden zu einem tetraploiden Typ wurde. In die-
                                                                                                    2019 dann auch wenig ermutigend aus. Der Ver-            sem Jahr sammelte Frank Blattner weitere Pflanzen
                                          Wichtigster Antriebspunkt sei dabei seine Neugier,        lust an Artenvielfalt, bedingt durch den Klima-          in Süditalien und in Südspanien. „Und im nächsten
                                          sagt Blattner. Dass viele Leute mit einem Taxono-         wandel, die Landwir tschaft und vor allem die            Jahr möchte ich den Ausbreitungsweg dann noch
                                          men weiterhin das Bild eines älteren Mannes mit           veränderte Landnutzung, ist auch auf der griechi-        bis ins Atlasgebirge nach Marokko weiterverfolgen“,
                                          grauen Haaren verbinden, der in seinem Kämmer-            schen Insel zu beobachten. „Wo vor 25 Jahren noch        blickt der Wissenschaftler voraus. „Das steht auf je-
                                          lein sitzt und sich unter der Lupe eine getrocknete       ein Standort für Gerste war, ist heute ein intensiv      den Fall noch an.“
                                          Pflanze anschaut, stört Blattner nicht, im Gegen-         bewirtschafteter Olivenhain“, sagt der Leiter der
                                          teil. Er spielt sogar selbst mit diesem Klischee - denn   Arbeitsgruppe Experimentelle Taxonomie in der Do-
                     Dr. Frank Blattner   er ist sich der Bedeutung seiner Arbeit bewusst.          kumentation „Vielfalt säen. Saatgutretter im Einsatz“.

16 | Wissenschaft                                                                                                                                                                                         Wissenschaft | 17
TITELTHEMA DIE WURZEL - VERBORGENE VIELFALT | S. 4 - IPK GATERSLEBEN
„ZU VIEL TROCKENHEIT                                                                                      ger groß. Für Getreide liegt sie nach Prognosen
                                                                                                                   des Landwirtschaftsministeriums sechs Pro-
                                                                                                                   zent unter dem Durchschnitt der Jahre 2014-
                                                                                                                                                                         Zu viel Trockenheit bedeutet für die Pflanze in jeder
                                                                                                                                                                         Phase Stress, es wirken aber jeweils ganz andere
                                                                                                                                                                         Mechanismen mit unterschiedlichen Konsequen-

         BEDEUTET IMMER
                                                                                                                   2019 und drei Prozent unter der Ernte von 2019.       zen für die Entwicklung der Pflanzen. Kommt es zu
                                                                                                                   Die Rapsernte ist im Bundesdurchschnitt sogar         Beginn der Vegetationsperiode zu Trockenstress,
                                                                                                                   trotz der Frühjahrstrockenheit überraschend gut       bilden sich meistens weniger Halme und damit

         STRESS“
                                                                                                                   ausgefallen. Wie bei der Getreideernte gibt es aber   später weniger Ähren, also letztlich weniger Kor-
                                                                                                                   große regionale Unterschiede, je nach Schwere der     nertrag. In der Blütephase reagiert die Pflanze be-
                                                                                                                   Dürre in diesem und in den vorangegangen beiden       sonders empfindlich auf Wassermangel. Blüten
                                                                                                                   Jahren. Doch nicht nur das: Die anhaltende Tro-       sterben ab, was zu einer deutlichen Verringerung
                                                                                                                   ckenheit führt auch zu Problemen bei der Versor-      der Zahl der Körner führt. Fehlt der Pflanze in der
         KERSTIN NEUMANN ERKLÄRT, WIE DIE PFLANZEN MIT                                                             gung mit Grundfutter. Silage und Heu konnten nur      Kornfüllungsphase Wasser, bleibt zwar die Zahl
                                                                                                                   in ganz wenigen Regionen in ausreichendem Ma-         der Körner gleich, da sie schon ausgebildet wur-
         DEN WIDRIGEN BEDINGUNGEN UMGEHEN UND                                                                      ße für den kommenden Winter produziert werden.        den, diese können aber nicht gut gefüllt werden
         WO DIE FORSCHUNG ANSETZT.                                                                                                                                       und haben ein geringeres Gewicht, bringen weni-
                                                                                                                                                                         ger Ertrag und haben auch eine schlechte Qualität.
                                                                                                                   Wie reagieren die Pflanzen
                        D r.
                             Ke r s
                                    tin   N e um an n        defizit gegangen. Betroffen davon ist insbeson-       auf diesen Trockenstress?
                                                             dere der Osten Deutschlands. Ich erinnere mich                                                              Auf welchen Aspekt konzentrieren
                                                             noch daran, im April eine Wetterkarte im Fernse-      Das ist ganz unterschiedlich. Häufig setzen           Sie sich bei Ihrer Arbeit am IPK?
                                                             hen gesehen zu haben, auf der Ostdeutschland          die Pflanzen aber auf Strategien, um den Tro-
                                                             tief rot eingefärbt - und damit als besonders be-     ckenstress zu vermeiden. Die entsprechenden Si-       Wir untersuchen, vereinfacht gesagt, die Auswir-
                                                             troffene Region gekennzeichnet war. Damit trifft      gnale senden häufig die Wurzeln aus. Pflanzen         kungen des Trockenstresses bei zwei der wich-
                                                             genau das zu, was der Weltklimarat IPCC in sei-       schalten gewissermaßen in einen „Sparmodus“ um        tigsten Kulturpflanzen in Deutschland - Gerste und
                                                             nem Bericht bereits 2002 vorhergesagt hat.            und reduzieren ihr Wachstum. Einen kompletten         Weizen. Für unsere Arbeiten greifen wir auch auf
                                                                                                                   Wachstumsstopp beobachteten wir in Gerstensor-        Material aus der Genbank am IPK zurück. Unter-
                                                                                                                   ten, wenn sie weniger als 20 Prozent der üblichen     schiedliche Pflanzenlinien werden im Experiment
                                                             Die Wetterkarte war also mehr als eine                Wassermenge zur Verfügung haben. Andere bil-          kontrolliert bewässert. Mit Hilfe zerstörungsfrei-
                                                             Momentaufnahme aus der Region.                        deten längere Wurzeln, um tiefer im Boden doch        er, bildgebender Verfahren schauen wir uns an,
                                                                                                                   noch an Grundwasser zu kommen. Manche Getrei-         wie genau die einzelnen Pflanzenlinien oder Sor-
                                                             Definitiv! Der Ernst der Lage bestätigte sich lei-    desorten kommen so auf Wurzellängen von bis zu        ten auf unterschiedliche Bewässerungsregime re-
                                                             der im Verlauf der Saison. Besonders der April hat-   zwei Metern. Pflanzen verschließen bei Trocken-       agieren. Durch die zerstörungsfreien Analysen ist
                                                             te nicht nur hier am Standort des IPK so gut wie      heit auch die Öffnungen ihrer Blätter. Damit ver-     es uns möglich, auch Unterschiede im zeitlichen
                                                             überhaupt keinen Niederschlag und auch bundes-        dunstet auf der einen Seite zwar weniger Wasser,      Ablauf zu erkennen. So lassen sich zum Beispiel
                                                             weit zeigt sich das. Das Bundesumweltamt be-          auf der anderen Seite können die Pflanzen so aller-   Genotypen identifizieren, die besser mit Frühjahr-
         Deutschland hat in diesem Jahr erneut un-           nennt den April 2020 als den dritttrockensten und     dings kein Kohlendioxid mehr aufnehmen, was sie       strockenheit oder später im Sommer liegenden Tro-
         ter großer Trockenheit gelitten. Wie sich die       den sonnigsten April seit Messbeginn. In Regio-       für die Photosynthese und damit das Wachstum          ckenperioden zurechtkommen. In einem zweiten
         heimischen Kulturpflanzen darauf einstel-           nen, wo der Wassergehalt im Boden schon durch         und die Kornfüllung jedoch zwingend benötigen.        Schritt schauen wir auf die dahinterliegende Ge-
         len und welche Ansätze in der Forschung             die vergangenen zwei Dürrejahre gering ist, konn-     Um die Verdunstung möglichst gering zu halten,        netik mittels sogenannter molekularer Marker und
         verfolgt werden, erklärt Dr. Kerstin Neu-           te der fehlende Regen nicht mehr durch gespei-        verlagern sie das Öffnen der Spaltöffnungen der       identifizieren Regionen im Genom, in denen rele-
         mann, Wissenschaftlerin in der Forschungs-          chertes Bodenwasser kompensiert werden. Dies          Blätter in die Morgen- oder Abendstunden. In Ge-      vante Gene für die Trockentoleranz liegen müssen
         gruppe Genomdiversität, im Interview. Sie           führt zu einer Beeinträchtigung des Pflanzen-         genden, wo es regelmäßigen Trockenstress im           und welche genauer untersucht werden sollten.
         beschäftigt sich schön länger mit dem The-          wachstums, es wird weniger Biomasse aufgebaut.        späteren Verlauf der Wachstumsperiode gibt, nut-
         ma Trockenstress bei Weizen und Gerste.                                                                   zen Pflanzen eine nochmals andere Strategie. Sie
                                                                                                                   blühen früher und vermeiden auf diese Weise die       Worauf schauen sie genau?
                                                             Was bedeutet das für die Ernte?                       schlimmste Trockenstressphase. Allerdings fielen
         Im Frühjahr hat es auch dieses Jahr                                                                       unter hiesigen Bedingungen mit solchen Sorten die     Wir schauen mittels einer automatisierten Anlage,
         über Wochen kaum noch geregnet.                     Der Dürremonitor zeigte auch im Oktober noch          Erträge geringer aus, denn die verlängerte Wachs-     die die Pflanzen täglich bewässert und Bilder von ih-
         Wie ernst ist die Lage für die Pflanzen?            für viele Teile Deutschlands eine extreme bis au-     tumsperiode ermöglichte auch höhere Erträge.          nen aufnimmt, auf das Pflanzenwachstum, also die
                                                             ßergewöhnliche Dürre. Dies wirkt sich natürlich                                                             Biomasse und auch die Pflanzenhöhe. Daneben ist
         Wir erleben in unserer Region das dritte Jahr mit   negativ auf die Ernteerträge aus, je nach Ver-                                                              auch die Farbe der Pflanze ein guter Stressindika-
         großer Trockenheit in Folge, insofern ist die La-   teilung der gefallenen Niederschläge - im Juni        In welcher Phase sind die Auswir-                     tor. Setzt man das Wasser, welches im Laufe des
         ge schon sehr ernst. In die Vegetationsperiode      fiel der Niederschlag normal aus - für die un-        kungen der Trockenheit auf die                        Wachstums verbraucht wurde, in Beziehung zur ge-
         sind wir bereits mit einem großen Niederschlags-    terschiedlichen Fruchtarten mehr oder weni-           Pflanzen besonders gravierend?                        bildeten Biomasse, kann man sich die sogenann-

18 | Wissenschaft                                                                                                                                                                                                    Wissenschaft | 19
te Wassernutzungseffizienz ansehen, welche unter
         dem Aspekt Klimawandel an Bedeutung gewinnt.
         Dabei geht es konkret um die Frage: Wie viel Bio-
                                                                CRISPR/Cas9. Das gezielte Aus- oder Einschal-
                                                                ten von Genen oder deren Verstärkung hilft uns,
                                                                die Genfunktionen zu verstehen. Parallel geht es al-
                                                                                                                       WIE LANGE
                                                                                                                       ÜBERLEBEN SAMEN
         masse (Korn und andere Pflanzenteile wie Blätter       lerdings auch um Nutzbarmachung der Ergebnis-
         und Halme) bildet eine Pflanze bei einer bestimm-      se für die Züchtung. Auch in unseren Regionen wird
         ten Trockenstressintensität aus und wie gut kann       Getreide zukünftig öfter Trocken- und Hitzestress

                                                                                                                       AUF SPITZBERGEN?
         sie sich von einer Trockenstressphase erholen?         ausgesetzt sein, die Erträge sollen aber möglichst
                                                                gleichbleiben, weltweit besser noch steigen, um mit
                                                                der wachsenden Weltbevölkerung mitzuhalten.
         In der Natur leiden die Pflanzen
         auf dem Feld, aber nicht nur
         unter Trockenheit,                                     An Pflanzen zu forschen, die den                       IPK BETEILIGT SICH AN 100 JÄHRIGEM
         sondern auch Hitze. Welche                             Herausforderungen des weltwei-
         Rolle spielt das in Ihrer Arbeit?                      ten Klimawandels gewachsen
                                                                                                                       LANGZEITEXPERIMENT IM GLOBAL SEED VAULT.
                                                                sind, ist seit langem einer der
         Sind die Pflanzen gleichzeitig Hitze und Trockenheit   Schwerpunkte der Arbeit des IPK.

                                                                                                                       W
         ausgesetzt, wird es sehr schwer. Doch das wird im-     Bringt die aktuelle Entwicklung                                     ie lange können Samen am Leben blei-         gerung in flüssigem Stickstoff bei minus 196
         mer mehr die Realität. Die Zahl der Tage mit Tempe-    Ihnen als Wissenschaftlerin da                                      ben? Diese Frage ist für Saatgut-Gen-        °C führt dabei zu einer Verlangsamung des Alte-
         raturen von mehr als 30 Grad hat sich zuletzt stark    noch einmal mehr Motivation?                                        banken und Forschungsinstitute, die          rungsprozesses. „Die Idee ist, die Qualität des Aus-
         erhöht. Daher richtet sich seit kurzem meine For-                                                             mit Pflanzen und Saatgut arbeiten, von entschei-          gangssamens auch nach 100 Jahren mit dem
         schung auch Richtung Hitzestress und der Kom-          Ja, auf jeden Fall motiviert mich das noch ein-        dender Bedeutung. Deshalb hat im Sommer im                auf Spitzbergen gelagerten Material zu verglei-
         bination aus Hitze und Trockenheit aus. Wir haben      mal zusätzlich, so viel zu forschen wie es geht. Es    Saatguttresor „Svalbard Global Seed Vault“ auf            chen“, sagt PD Dr. Manuela Nagel von der Abtei-
         verschiedene Weizentypen 14 Tage lang Tempe-           ist aber auch eine Bestätigung unseres Ansatzes.       Spitzbergen (Norwegen) ein neues Langzeitexpe-            lung Genbank am IPK Leibniz-Institut. „Deshalb
         raturen von 35 Grad am Tage und 20 Grad in der         Vor zehn Jahren war Trockenstress in Deutsch-          riment begonnen. Im Blickpunkt steht das Saat-            lagern wir Saatgut und Pulver ein und analysieren
         Nacht ausgesetzt und geschaut, wie die einzel-         land kein großes Thema, das hat sich geändert.         gut von 13 weltweit wichtigen Nutzpflanzen, die           die Inhaltsstoffe, um Prozesse des Saatgutverfalls
         nen Sorten reagieren. Ein solches Szenario kommt       Aber es braucht einen langen Atem. In der For-         von Projektpartnern aus der ganzen Welt, darun-           über die Lagerdauer von 100 Jahren aufzuklären.“
         zwar derzeit in der Intensität bei uns noch nicht      schung spricht man von tief und von hoch hängen-       ter dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und
         in der Natur vor, wir wollen am IPK jedoch schon       den Früchten. Die erste Gruppe kann man schnell        Kulturpflanzenforschung (IPK), produziert wer-            „Dieses Experiment ist einzigartig in seiner Art. Es
         heute künftige Bedingungen simulieren, um mög-         und einfach einsammeln. Bei der zweiten Grup-          den. Das Experiment ist auf 100 Jahre angelegt.           wird künftigen Generationen wertvolle Informati-
         lichst frühzeitig Erkenntnisse für solch eine Situa-   pe ist das deutlich schwieriger. Und zu der ge-                                                                  onen über die Lebensfähigkeit des Saatguts und
         tion zu gewinnen. So ist relativ wenig bekannt, wie    hört auch die Forschung zu Trockenstress.              Die ersten experimentellen Proben wurden am 27.           genauere Kenntnisse darüber liefern, wie oft das
         hiesige Sorten mit Hitzestress vor der Blüte zu-                                                              August in den Saatguttresor „Svalbard Global Seed         Saatgut reproduziert werden muss“, sagte Åsmund
         rechtkommen, weil dies bislang nicht vorkam. Hit-                                                             Vault“ auf Spitzbergen gebracht. Diese ersten Test-       Asdal, Seed Vault Coordinator am Nordic Genetic
         zestress tritt aber erkennbar früher auf, heute sind                                                          sätze bestehen aus Saatgut, das am IPK Gatersle-          Resource Center (NordGen), der Genbank, die für
         Hitzetage schon ab Mai zu beobachten, vereinzelt                                                              ben produziert wurde. „Wir steuern insgesamt fünf         die Verwaltung des Projekts verantwortlich ist.
         auch im April, während Hitzewellen früher eigent-                                                             Kulturpflanzen bei -Weizen, Gerste, Erbse, Salat und
         lich nur im Juli und August vorkamen. Dieser Trend                                                            Kohl. Das Material wurde im vergangenen Jahr auf          Das Hauptprinzip bei der Konservierung von Saat-
         wird sich mit dem Klimawandel weiter vertiefen.                                                               unseren Versuchsfeldern angebaut“, sagte Prof. Dr.        gut ist, dass Samen über einen langen Zeitraum am
                                                                                                                       Andreas Börner von der Abteilung Genbank am IPK           Leben bleiben, wenn diese trocken und gefroren ge-
                                                                                                                       Leibniz-Institut. „Das IPK ist damit die erste Institu-   lagert werden. Wie lange genau die Lebensfähigkeit
         Was kann die Wissenschaft                                                                                     tion, die Saatgut zur Verfügung stellt. Die anderen       unter optimalen Lagerungsbedingungen aufrecht-
         denn generell leisten, um das                                                                                 Partner folgen 2021.“                                     erhalten werden kann, ist noch nicht vollständig er-
         Problem des Trockenstres-                                                                                                                                               forscht. Man geht jedoch davon aus, dass die Samen
         ses zumindest abzumildern?                                                                                    In den folgenden zwei bis drei Jahren wird Saat-          vieler Arten einige Jahrhunderte überleben können.
                                                                                                                       gut von neun weiteren Kulturen produziert und
         Es geht um viele kleine Rädchen, an denen ge-                                                                 in den minus 18 °C kühlen Saatguttresor auf der           Genbanken testen das Saatgut in ihren Sammlun-
         dreht werden muss. Im Grundsatz geht es aber zu-                                                              norwegischen Insel gebracht. Das Saatgut wird             gen regelmäßig, um dieses rechtzeitig zu repro-
         erst darum, die Mechanismen zu verstehen, welche                                                              von den Projektpartnern produziert, bei denen             duzieren. Auf diese Weise bleiben die genetischen
         in den Pflanzen ablaufen. Dazu müssen wir unter-                                                              es sich um renommierte Genbanken und For-                 Ressourcen lebensfähig und für Forschung und
         suchen, welche Gene beispielsweise für die Tro-                                                               schungsinstitute handelt, die auch die Gelegen-           Pflanzenzüchtung verfügbar. Ein detaillierteres Wis-
         ckenresistenz verantwortlich sind und welche für                                                              heit nutzen, um Sicherheitsduplikate aus ihren            sen darüber, wie lange Saatgut überleben kann, wird
         Schutzreaktionen vor Hitze. Für dieses bessere                                                                Sammlungen auf Spitzbergen zu hinterlegen.                für Genbanken, aber auch für das Management des
         Verständnis nutzen wir am IPK natürlich auch In-                                                              Parallel dazu werden Proben von allen fünf Gen-           Saatguttresors auf Spitzbergen äußerst nützlich
         strumente der Biotechnologie wie die Genschere                                                                banken in Kryotanks am IPK gelagert. Die La-              sein. Dort haben Genbanken aus der ganzen Welt

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