Und es geht doch! 06/22 - Gewerkschaft der Polizei
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06 Inhalt IN EIGENER SACHE Titel Innenleben Liebe Leserschaft, 2 Jetzt haben wir den Spagat 21 Es geht weiter … mittlerweile kann wohl jede und jeder von 24 Grundstein für die kommenden vier Euch eine Geschichte im Zusammenhang Im Gespräch Jahre gelegt mit einer der zahlreichen Varianten des Co- ronavirus SARS-CoV-2 zum Besten geben. 10 Eine klare Win-win-Situation 36 „Hörbar stark. Sichtbar wirksam.“ Ein oder zwei Streifen auf dem Test, leich- te Symptome oder heftiges Ringen, das öde 15 Homeoffice erfordert Transparenz Verharren in der Quarantäne und die an ei- Hingeschaut nen selbst gerichtete Frage: Wie verantwor- 18 Vernetzen, einmischen, tungsbewusst gehe ich mit den anlaufen- zusammenstehen 22 Extinction Rebellion – eine neue den Lockerungen um? Die Pandemie hat Gefahr? uns in den Schwitzkasten genommen, und 28 Wieder stärker dem Bürger wir strampeln noch kräftig, um uns daraus zuwenden zu befreien. Gelesen Vor diesem Hintergrund ist es erstaun- lich, dass der Virus auch Positives hervor- Hinterfragt 38 Risse in der Gesellschaft gebracht hat. Für viele Beschäftigte stellte sich plötzlich nicht mehr die Frage, ob sie 12 Besser mit als ohne fünf Minuten eher losfahren sollten, um dem Stau zu entgehen, ob heute wieder der Bus 40 Impressum ausfällt oder die S-Bahn sich massiv verspä- tet. Beachtet werden musste fast nur noch, dass die bequeme Jogginghose bei der Vi- deokonferenz mit dem Chef möglichst ver- borgen bleibt. Doch so simpel und oberflächlich kommt man dem sogenannten mobilen Arbeiten und dem Homeoffice nicht bei. Nicht alle Beschäftigten werden gleichermaßen da- von profitieren können. Daher war es not- wendig, die Chance, die die Coronakrise per Kavalierstart eröffnete, einer dezidier- ten gewerkschaftlichen Begutachtung zu unterziehen. Zu behaupten, dass es in kom- pletten Dienstbereichen wie der Aus- und Fortbildung, den Einsatzeinheiten oder im Kriminal- und Wechselschichtdienst nicht möglich sei, flexible Arbeitsformen zu ent- decken, hält die Gewerkschaft der Polizei (GdP) für falsch. Die Sicht Eurer GdP dazu erfahrt Ihr auf den nächsten Seiten. Dort stellen wir die wesentlichen Punkte des Po- sitionspapieres „Gute flexible Arbeit bei der Polizei“ vor. Und es geht doch! Michael Zielasko DP-Chefredakteur
2 DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 DP FLEXIBLES ARBEITEN IN DER POLIZEI Jetzt haben wir den Spagat Flexible Arbeit ist ein integraler Bestandteil der modernen Polizei. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist überzeugt von den Vorzügen flexibler Arbeitsmodelle im Verwaltungs- und Vollzugsdienst der Behörde. Was dafür notwendig ist und wie Arbeitgeber und Beschäftigte davon profitieren. Danica Bensmail
DP DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 3 I n allen Dienstbereichen der Polizei sind flexible Arbeitsformen nicht nur möglich, sondern notwendig. Von der Telearbeit bis zum sogenannten Homeoffice: Die GdP tritt dafür ein, dass flexibles Arbeiten in allen Bereichen der Polizei bundesweit ein- geführt wird. Warum? Weil es uns allen guttut! Gute flexible Arbeit stärkt nicht nur die Attraktivität der Polizei als Arbeitgeber. Sie er- möglicht es den Beschäftigten, Dienst und Privatleben indivi- duell unter einen Hut zu bringen. So bleibt die Polizei familien- freundlich, Beschäftigte sind zufriedener und diese Zufrieden- heit wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus. Wie das funktionieren kann und was dafür nötig ist, hat die „AG Flex“ der GdP in zehn Kernforderungen zusammengefasst. 1 Nie wieder ohne Wir wenden uns gegen die Behauptung, dass es komplette Dienstbereiche geben soll, in denen flexible Arbeitsformen pau- schal ausgeschlossen werden können. Im Zweifel gilt die Einzelfallprüfung – und sei es nur für Teilaufgaben. Foto: Prostock-studio/stock.adobe.com
4 DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 DP 2 Für uns alle Gute flexible Arbeit muss allen Beschäfti- gungsgruppen der Polizei diskriminierungs- frei und barrierearm angeboten werden. Da- rum fordern wir die Gleichbehandlung von flexiblem Dienst und Präsenzdienst, Teil- und Vollzeit sowie von Tarifbeschäftigten, Verwaltungs- und Vollzugsbeamtinnen und Foto: freshidea/stock.adobe.com -beamten sowie den operativ tätigen Einhei- ten. Übrigens: Das geht natürlich nur mit ent- sprechender Arbeitsplatzgestaltung sowie notwendigen Arbeitsschutzmaßnahmen.
DP DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 5 3 Keinen Bock? Kein Problem! Flexibilität bedeutet für uns: Alles kann, muss aber nicht. Denn nicht alle Beschäf- tigten haben den Wunsch nach Homeof- fice und Co. Das muss der Arbeitgeber Foto: fotomaster/stock.adobe.com respektieren. Beschäftigte müssen sich entscheiden dürfen, ob sie ortsungebun- den oder in Präsenz arbeiten wollen. 4 Mehr Raum für Individualität Flexible Arbeit muss Arbeitszeiten ga- rantieren, die die Gesundheit erhalten und den Beschäftigten mehr Raum ge- ben, das Leben individueller zu gestalten. Darum fordern wir die Einhaltung der ge- setzlichen Höchstarbeitszeit pro Tag ge- mäß Arbeitszeitgesetz, die Aufnahme der gesetzlichen Ruhezeit ins Arbeitsschutz- Foto: jackfrog/stock.adobe.com gesetz und eine gesetzliche Arbeitszeit- erfassung.
6 DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 DP 5 Dienst ist Dienst, Spaß ist Spaß Gute flexible Arbeit muss einen Rahmen vorgeben, der verhindert, dass die Gren- zen zwischen Dienstlichem und Priva- tem verschwimmen. Darum fordern wir das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit von Beschäftigten und Führungskräften, die Entwicklung technischer Möglichkeiten, Foto: Altay Kaya/stock.adobe.com diese „Off-Zeiten“ kenntlich zu machen und digitale Methoden zur Arbeitszeit- erfassung. 6 Das Recht auf Deinen SenfFlexible Arbeit ist nur dann wirklich gut, wenn sie auf Rechtsgrundlagen basiert, die eine umfassende Mitbestimmung ge- währleisten. Wo das bislang nicht der Fall ist, müssen für Beamtinnen und Beamte sowie Tarifbeschäftigte die entsprechen- den Arbeitszeitverordnungen angepasst werden. Die Bestimmung des Arbeitsor- Foto: New Africa/stock.adobe.com tes muss als wesentliches Merkmal der personalvertretungsrechtlichen Mitbe- stimmung in allen Ländern und dem Bund definiert werden.
DP DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 7 7 Alles schön im Rahmen Keine gute flexible Arbeit ohne aussage- kräftige Rahmendienstvereinbarungen. Darin muss unter anderem geregelt sein: die Genehmigung und Versagung ent- sprechender Anträge, die Festsetzung von Arbeitszeit- und Mehrarbeitsregeln, die Festlegung von Ausstattungsstan- dards und Vorgaben von (Nicht-)Erreich- barkeiten. Foto: Jacob Lund/stock.adobe.com
8 DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 DP 8 Gewusst wie Gute flexible Arbeit muss von breit ange- legten Fortbildungsprogrammen beglei- tet werden. Dazu gehört die Vermittlung von kommunikativen „soft skills“ an Vor- gesetzte und Beschäftigte. Die Teilnah- me an Qualifizierungsmaßnahmen muss als Arbeitszeit gelten. Darüber hinaus ist Foto: inimalGraphic/stock.adobe.com es notwendig, weitere Angebote zu The- men wie Resilienz, Gesundheits- und Ar- beitsschutz anzubieten. 9 Flexible Führung Damit Arbeit gut und flexibel sein kann, bedarf es Führungskräften, die entspre- chende Arbeitsmodelle als gleichbe- rechtigte Arbeitsformen aktiv fördern. Darum fordert die GdP die Aufnahme der Thematik „Führen aus der Distanz“ in die Lehrpläne, verpflichtende Führungs- kräftetrainings zu diesem Thema und die wissenschaftliche Auseinandersetzung Foto: lim_pix/stock.adobe.com an der Deutschen Hochschule der Poli- zei ( DHPol) mit entsprechendem Praxis- transfer.
DP DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 9 Gute flexible Arbeit muss durch Investi- tionen in Liegenschaften und moderne Konzepte für Zusammenarbeitsformen proaktiv gestaltet werden. Das setzt mo- derne Arbeitsraumkonzepte voraus, die sowohl kollaborativ kommunikatives so- wie individuell fokussiertes Arbeiten er- möglichen. Diese müssen den Arbeits- und Gesundheitsschutz berücksich- tigen, Kommunikation und Austausch fördern, Rückzugsmöglichkeiten eröff- nen und über eine ausgeprägte techni- sche und digitale Infrastruktur verfügen. 10 Drei Zimmer, Küche, ... Foto: Виталий Сова/stock.adobe.com
10 Im Gespräch DP-Gesprächspartner Hagen Husgen Foto: GdP/Hagen Immel „AG FLEX“-CHEF HAGEN HUSGEN Eine klare Win-win- Situation Der Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die Digitalisierung gehören zu den Themenfeldern, die Hagen Husgen im Geschäftsführenden GdP-Bundesvorstand beackert. Der pandemiebedingte Aufschwung des mobilen Arbeitens stellt eine Schnittmenge dessen dar. Die von ihm angeführte „AG Flex“ hat dazu Positionen entwickelt. Ein DP-Gespräch über Attraktivität, Vertrauen und Führungsverantwortung. Michael Zielasko DP: Kollege Husgen, wie stehst Du selbst wendige Vereinzelung von Beschäftigten in zum mobilen Arbeiten? eine Win-Win-Situation für alle ummünzen Hagen Husgen: Als Vorsitzender der GdP können. Dazu mussten wir nur Vorschläge in Sachsen und Mitglied des Geschäftsfüh- machen, den externen Prozess kritisch be- renden GdP-Bundesvorstandes kann ich vie- gleiten und dort Mitbestimmung einfordern. les gar nicht nur in meinem Büro erledigen. Schon vor Corona gehörte für viele Men- DP: Was habt Ihr konkret gemacht? schen mit einem komplexen Aufgabenspek- Husgen: Wir haben geschaut, was einen at- trum und womöglich noch zusätzlich ehren- traktiven Arbeitgeber heutzutage ausmacht. amtlichen Tätigkeiten eine, na ja, allerdings Es liegt doch auf der Hand, dass die Bedeu- kaum standardisierte Form des privaten mo- tung des flexiblen, virtuellen, bestenfalls bilen Arbeitens zum Standardprogramm. ortsunabhängigen Arbeitens weit über die Frage der Vereinbarkeit von Berufs- und Pri- DP: Dann kam aber die Pandemie. vatleben hinausgeht. Und das betrifft eine Husgen: Jeder Krise wohnt eine Chance zeitgemäße, modernsten Anforderungen ge- inne. Ziemlich schnell war uns klar, dass recht werdende Aus- und Fortbildung und wir die aus Infektionsschutzgründen not- natürlich vor allem den Zeitraum, in dem Be-
DP DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 11 Zum Download Zum Download des des Ratgebers: Positionspapieres: Dienstvereinbarungen Gute flexible Arbeit für gute flexible Arbeit bei der Polizei bei der Polizei schäftigte ihren täglichen Dienst mit all ih- sich auf Vertrauen und Kommunikation ren individuellen Lebensentwürfen in Ein- stützende sensible und empathische Füh- klang bringen wollen. rungskultur. Aufgabe der Führungskräfte ist es, auch aus der Ferne präsent zu sein und DP: Ist denn die Polizei ein attraktiver Ar- eine einerseits autonome Arbeitsatmosphä- beitgeber? re wie andererseits offene, dennoch achtsa- Husgen: Besser geht immer, aber immerhin me Kommunikations- und Feedbackkultur zu einem klaren Jein könnte ich mich schon zu etablieren – und vorzuleben. durchringen. Da wir mit der Wirtschaft im Wettbewerb um die Geeignetsten stehen, DP: Okay, aber ist an dieser Stelle nicht muss der Dienstherr zu begeistern wissen. trotzdem die größte Reibungsfläche? Übrigens helfen wir dabei sehr gerne mit. Husgen: Momentan vielleicht noch. Noch Und beweglichere Arbeitszeiten und -orte ist der Prozess irgendwie sehr neu. Wenn für Beschäftigte, deren Dienst solche Flexi- alle mitmachen wollen, wird der Vorteil, den bilität zulässt, sind da mittlerweile fast ein das mobil-flexible Arbeiten mit sich bringt, Muss. jedoch mehr als offenkundig werden. Der Weg zurück ist doch gar nicht vorstellbar. DP: Zudem kommen mehrere positive Ef- Und zwar für alle Beteiligten. Auch für die fekte zusammen, wie die AG Flex zusam- Führungskräfte. mengetragen hat. Husgen: Auf jeden Fall. Gute flexible Ar- DP: Die bleiben das Zünglein an der Waa- beit erlaubt es den Beschäftigten, sehr viel ge, nicht wahr? unter einen Hut zu bringen. Dadurch kann Husgen: Eine Verweigerungshaltung wird sich die Polizei in vielen Bereichen als fa- nichts nützen. Dazu ist der Arbeitsprozess, milienfreundlicher Arbeitgeber präsentie- sei es in der Wirtschaft oder im öffentlichen ren. Noch vor Kurzem, vor Corona, wäre es Dienst, schon zu sehr auf größere Individu- für viele deutlich schwieriger gewesen, sich alität eingestellt. Und so viel wird von den besser um ihre Kinder und um pflegebedürf- Führungskräften doch gar nicht erwartet. tige Verwandte kümmern zu können. Wohl gemerkt, in deren privatem Umfeld. Wir ha- DP: Was denn? ben zudem verlässlichere Arbeitszeiten, Husgen: Sie sollten mit den einzelnen Be- ohne ständige Dienstplanänderungen. Nicht schäftigten regelmäßig und umfassend zu vergessen die positiven gesundheitlichen kommunizieren, sie aktivieren und den ge- sowie ökologischen Aspekte. Man denke nur meinsamen Austausch im gesamten Team, an die täglichen Staus oder Verspätungen eben auch digital ermöglichen. Das Zauber- im öffentlichen Nahverkehr. Das kann doch wort heißt Interaktion. richtig nerven. Weniger davon ist definitiv mehr Entspannung. DP: Sie müssen auch die Einsiedler wie- der in die Gruppe integrieren. DP: Aber die Arbeit muss schon noch er- Husgen: Klar. Führungskräfte sollten er- ledigt werden. kennen können, wann jemand in die Gefahr Husgen: Das steht außer Frage. Selbst- gerät, sich zu stark abzuschotten oder sich verständlich muss alles in Balance sein. vielleicht in der Isolation zu sehr einrichtet. Um ergebnisorientiert arbeiten zu können, braucht der eine den Austausch mit dem DP: Und sie müssen auch einmal Stopp Team, die andere empfindet den Austausch sagen, oder? als Ablenkung vom eigentlichen Arbeitsauf- Husgen: Das ist wahrscheinlich aus Sicht trag. Aus unserer Sicht ist es auch wichtig, des Gewerkschafters am wichtigsten. Es darf dass sich zu Hause jede und jeder selbst eine auf Seiten der Beschäftigten weder zu einer von möglichst viel Stress befreite und pro- fachlichen oder zeitlichen Überforderung duktive Arbeitsatmosphäre schaffen kann. noch zu einer Entgrenzung der Arbeitszeit Foto: Kenishirotie/stock.adobe.com kommen. Das gilt natürlich für die Führen- DP: Das Führen wird immer wieder als den selbst auch. Problem beschrieben. Husgen: Nur, wenn man eines draus macht. DP: Vielen Dank für das Gespräch. Mobiles, flexibles Arbeiten erfordert eine
12 DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 DP Hinterfragt Foto: agecreativelab/stock.adobe.com D HOMEOFFICE UNTERSUCHT ie aktuelle Pandemie hat nicht nur Besser mit das private Leben vieler Menschen nachhaltig beeinf lusst, sondern gleichfalls – zum Teil erhebliche – Aus- wirkungen auf die Arbeitswelt entfaltet: als ohne und zwar sowohl in der freien Wirtschaft als auch im öffentlichen Dienst. Im Zuge der sogenannten Bundesnotbremse waren viele Arbeitgeber – so auch das Hessische Polizeipräsidium für Technik (HPT) – dazu Manchmal geht offensichtlich vieles ein bisschen schneller als angehalten, im Sinne des Infektionsschutzes eigentlich erwartet. Vor allem, wenn ein Virus ganze Belegschaften verschiedene Maßnahmen umzusetzen, die zur Eindämmung möglicher Infektionsket- dazu zwingt, auf Abstand zu gehen. So überrascht der Titel einer ten beitragen. aktuellen Studie am Beispiel des Hessischen Polizeipräsidiums für Im Rahmen der Novellierung des Infekti- Technik nur bedingt. „Plötzlich im Homeoffice: Die Pandemie als onsschutzgesetzes wurden die Arbeitgeber zudem konkret dazu aufgefordert, ihre Be- Wegbereiter mobiler Arbeitsformen im öffentlichen Dienst“ lautet schäftigten – sofern „keine zwingenden be- dieser. Marcel Müller ist Autor der Arbeit, sein Auftraggeber der triebsbedingten Gründe entgegenstehen“ – örtliche Personalrat. Das Ergebnis schildert er in DP. ins Homeoffice zu entsenden. Herausfordernde Situation Marcel Müller Die aus den neuen Regelungen hervorgegan- gen Verpflichtungen stellten die hessische
DP DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 13 Polizei – und mit ihr das HPT – schließlich heit erhielten, an der Umfrage teilzuneh- ruf und Privatleben im Homeoffice sehr gut vor große Herausforderungen: Denn dort men. Im Rahmen der Studie sollten die Teil- klappt. Dies lässt sich auch dadurch erklä- herrschte bis dato größtenteils eine Prä- nehmenden ausschließlich die letzten sechs ren, dass Beschäftigte, die befürchten, eine senzkultur vor, und es fehlte (zunächst) an Monate rückwirkend beleuchten. Das Augen- solche Trennung funktioniere nicht in ausrei- ausreichend mobilen Endgeräten, weshalb merk der Auswertung lag primär bei Beschäf- chendem Maße, tendenziell auf eine Teilnah- mobile Arbeitsformen im behördlichen Ar- tigten im Homeoffice. me am Homeoffice verzichten. Die meisten beitsalltag eher die Ausnahme als die Regel Beschäftigten, die regelmäßig am Homeoffice darstellten. teilnehmen, verfügen im privaten häuslichen Im Zuge der pandemischen Lage sowie Bessere Bereich über einen separaten Arbeitsplatz be- der mit ihr einhergehenden Gesetzesände- Vereinbarkeit ziehungsweise ein eigenes Arbeitszimmer. rungen war die Behörde folglich verpflich- Auch hier fällt auf, dass Beschäftigte, die zu tet und gewillt, umzudenken und innerhalb Die Motivationsgründe für eine regelmäßi- Hause nicht über einen solchen Arbeitsbe- kürzerer Zeit adäquate Lösungen zur Etab- ge Teilnahme am Homeoffice sind bei einer reich (oder genügend Platz) verfügen, tenden- lierung von Homeoffice zu erarbeiten. In die- Vielzahl der Beschäftigten im Wesentlichen ziell weniger Homeoffice in Anspruch neh- sem Sinne kann die Pandemie schließlich privater Natur: So liegt der häufigste Moti- men. Der Umstand, dass das Gros zu Hause als Digitalisierungs- und Modernisierungs- vationsgrund in der – üblicherweise flexib- über einen separaten Arbeitsbereich verfügt, motor betrachtet werden, in deren Folge sich leren beziehungsweise leichteren – Verein- ist hinsichtlich der Gewährleistung des Da- neue und flexiblere Arbeitsformen – bei- barkeit von Beruf und Privatleben sowie der ten- und Geheimschutzes sowie des Arbeits- spielsweise ein erweiterter Arbeitszeitrah- hieraus resultierenden, positiveren Work-Li- schutzes durchaus begrüßenswert. men – eröffneten. fe-Balance. Im Ergebnis laufen die verschie- denen Motivationsgründe stets auf eine Zeit- ersparnis und eine Stressreduktion im All- Technischer Bedarf Das Wie tag hinaus. Durch die Teilnahme an der mobilen Arbeit können nicht nur das Berufs- In Summe sind die Beschäftigten mit der sei- Bei der Homeoffice-Studie handelt es sich um und Privatleben besser miteinander ver- tens der Behörde zur Verfügung gestellten eine Mitarbeiterbefragung, die sowohl quan- bunden werden, sondern gleichfalls lange Technik äußerst zufrieden. Am ehesten be- titative als auch qualitative Fragestellungen Fahrtwege sowie hiermit verbundene, Stress steht nach Ansicht der Befragten der Bedarf enthält. Diese erfolgte in Form einer Online- fördernde Verkehrsstaus vermieden werden. nach einem zweiten Monitor sowie die An- Umfrage. Hierzu wurde allen Beschäftigten Auch die Empfindung der Beschäftigten, im schluss- und Einsatzmöglichkeit eines Dru- der Behörde durch den örtlichen Personal- Homeoffice regelmäßig konzentrierter und ckers oder Scanners. In diesem Zusammen- rat eine E-Mail zugesendet, die neben einem effizienter arbeiten zu können, legt in Folge hang wünschen sich die Beschäftigten ins- Motivationsschreiben und Hintergrundin- eine Reduktion von Stressoren nahe. gesamt eine stärkere Förderung sogenannter formationen zur Studie auch einen Link ent- E-Akten und elektronischen Mitzeichnungs- hielt, über den die Mitarbeitenden direkt zur möglichkeiten, damit der Wechsel zwischen Umfrage weitergeleitet wurden. Der Link war Läuft! dem Homeoffice und der Behörde – sowie insgesamt für sechs Wochen freigeschaltet, das Zusammenspiel von in Präsenz und im sodass grundsätzlich – trotz Urlaub oder Die Mehrheit der Befragten ist der Auffas- Homeoffice tätigen Beschäftigten – erleich- Krankheit – alle Beschäftigten die Gelegen- sung, dass die nötige Trennung von Be- tert wird. Insgesamt funktioniert die Ar- GDP_Deutsche_Polizei_Juni_210x70_iphone.pdf; s1; (210.00 x 70.00 mm); 28.Apr 2022 09:49:36; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien ANZEIGE
14 DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 DP beitsorganisation der Beschäftigten im Ho- tionsmedien – mit Ausnahme des persönli- gesetzten nicht alleine zu lassen, sondern meoffice zwar gut, jedoch werden einige Ar- chen Gespräches – nicht wesentlich vonein- vielmehr mittels entsprechender Seminar- beitsprozesse infolge der hohen Anzahl an ander unterscheiden: Telefongespräche und angebote und Lehrgänge (beispielsweise Papierakten und -vorgängen teilweise (un- E-Mails sind übergreifend demnach die be- „Führen auf Distanz“) zu unterstützen. nötig) erschwert. Trotz der – teilweise deut- liebtesten Kommunikationsformen. Um mög- lichen – Zunahme an mobilen Endgeräten in lichen Entfremdungsmechanismen (infolge den letzten Monaten, sollte die Gesamtzahl des geringeren persönlichen und informel- Attraktiver?! an mobilen Standardarbeitsplätzen und so- len Austausches) entgegenzuwirken, sollten genannten Pool-Geräten weiterhin sukzes- innerhalb der verschiedenen Arbeitsgruppen Die größten Chancen für die Behörde liegen sive erhöht werden. turnusmäßig Gruppen-Meetings und Team- in der größeren Wahrnehmung als attrak- bildungsmaßnahmen durchgeführt werden. tiver und moderner Arbeitgeber, der auch langfristig wettbewerbsfähig ist und dem Fehlender Kontakt es gelingt, seine Beschäftigten langfristig Das Misstrauensproblem an sich zu binden. Mit Hilfe von Homeoffice Nach Ansicht der Beschäftigten kommt in- lässt sich insgesamt eine gesteigerte Arbeits- folge des Homeoffice vor allem der spontane Eines der größten Risiken für die Behörde zufriedenheit der Beschäftigten feststellen. und persönliche Austausch mit den Kollegin- – neben einer Schwächung des Zusammen- Zudem lassen sich mithilfe der mobilen Ar- nen und Kollegen (sowohl innerhalb der ei- halts oder zunehmender Neiddiskussionen beitsformen – etwa durch den Wegfall lan- genen Arbeitsgruppe als auch übergreifend) innerhalb des Kollegenkreises – liegt in der ger Anfahrtswege und -zeiten – langfristig zu kurz. Wenn Probleme im Homeoffice auf- nach wie vor mangelnden Akzeptanz von die krankheitsbedingten Fehlzeiten inner- traten, dann am ehesten, weil der spontane Homeoffice durch Vorgesetzte sowie dem halb der Behörde reduzieren. Darüber hi- Austausch mit Kollegen erschwert oder nicht hiermit einhergehenden Misstrauen gegen- naus bleiben die Beschäftigten hierdurch (in ausreichendem Maße) möglich war. Dies über den mobil arbeitenden Beschäftigten. grundsätzlich motivierter und sind weni- bedeutet, dass vor allem die Kommunikati- Die Präsenz- und Anwesenheitskultur sind ger geneigt, die Behörde wieder verlassen on zwischen den im Homeoffice und im Büro innerhalb des Kollegenkreises sowie unter zu wollen. Hierdurch können die Produk- befindlichen Beschäftigten optimiert wer- den Führungskräften der Behörde noch im- tivität erhöht und wichtige Ressourcen – den sollte. In diesem Zusammenhang sollte mer fest verankert, wonach die Arbeitsleis- etwa im Bereich der Personalgewinnung grundsätzlich auf eine gute Erreichbarkeit tung der Kollegen und Mitarbeiter nach wie – freigesetzt werden. Dennoch gilt es, die der Beschäftigten geachtet werden – unab- vor in großem Maße von Präsenz und (phy- richtige Balance zwischen Homeoffice und hängig davon, ob sich diese im Homeoffi- sischer) Sichtbarkeit geprägt sind. Präsenz zu finden: Neuere Studien offenba- ce befinden oder nicht. Ferner nimmt die Es liegt nahe, dass das mit dem Homeof- ren schließlich, dass die negativen Effekte Quantität des Austausches infolge der mo- fice einhergehende Misstrauen gewisser- – etwa auf den Zusammenhalt oder die psy- bilen Arbeit tendenziell ab. Auch dies wirkt maßen auch mit einer bestehenden Verun- chische Gesundheit – ab einem Homeoffice- sich gleichfalls auf die in Präsenz arbeiten- sicherung unter den Führungskräften zu- Umfang von mehr als zweieinhalb Tagen pro den Beschäftigten aus und betrifft folglich sammenhängt. Nämlich der Frage, wie diese Woche zum Teil deutlich zunehmen. nicht bloß die Homeoffice-Teilnehmenden. adäquat mit den neuen Bedingungen und Doch hiervon unberührt lässt sich feststel- Herausforderungen umgehen sollen? Hier len, dass sich die präferierten Kommunika- gilt es deshalb, die Führungskräfte und Vor- Unter dem Strich Insgesamt sind die Beschäftigten, die regel- mäßig am Homeoffice teilnehmen können Der hessische Polizeihauptkommissar zufriedener als solche, die einen unerfüll- Marcel Müller ist assoziierter Doktorand im ten Homeoffice-Wunsch haben. Hier besteht Forschungsprojekt „Polizei-Translationen – vor allem die potenzielle Gefahr von Miss- Mehrsprachigkeit und die Konstruktion gunst und Neiddebatten innerhalb der Be- kultureller Differenz im polizeilichen Alltag“ hörde. Abschließend bleibt jedoch festzu- am Institut für Ethnologie und Afrikastudien halten, dass die Mehrheit der Beschäftigten der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) – inklusive derer, die nicht (regelmäßig) mo- Mainz. Nach seiner Ausbildung für den ge- bil arbeiten – den neu geschaffenen Homeof- hobenen Polizeivollzugsdienst an der fice-Möglichkeiten positiv gegenüberstehen Hessischen Hochschule für Polizei und Ver- und sich eine dauerhafte Etablierung mobi- waltung studierte er „Kriminologie und ler Arbeitsformen wünschen. Dies bedeutet Polizeiwissenschaft“ an der Juristischen auch, dass das Gros der Beschäftigten insge- Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. samt sehr zufrieden mit den, durch die Be- hörde neu geschaffenen, Homeoffice-Mög- Foto: privat lichkeiten ist. I
DP DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 15 Im Gespräch Foto: Nattakorn/stock.adobe.com EIN LEHRGANG ALLEIN REICHT NICHT DP: Herr Kollege Müller, wie ist Ihre priva- Homeoffice te Erfahrung mit dem Homeoffice? Marcel Müller: Bisher habe ich sehr gute Er- fahrungen mit dem Homeoffice gesammelt. Vor allem an Tagen, an denen man private erfordert Termine und Verpflichtungen hat – etwa die Logopädie der Tochter – sorgt die Arbeit im Homeoffice für eine deutliche Entlastung Transparenz und somit für die Reduzierung von Stresso- ren. Am liebsten arbeite ich im Homeoffice konzeptionell, da ich mich zu Hause meist besser konzentrieren oder mir Pausen effek- tiver einteilen kann. DP-Autor und Homeoffice-Experte Marcel Müller erreichen wir zu DP: Kinder nehmen darauf ja nicht unbe- Hause. Ein Gespräch über Vereinsamung, Small-Talk am dingt Rücksicht. Müller: Stimmt. Gerade am Anfang war es Kaffeeautomaten und das Führen auf Distanz. nicht einfach, meinen Kindern zu vermit- teln, dass Papa zwar zu Hause, aber irgend- wie doch nicht greifbar ist. Aber mittlerweile Michael Zielasko hat sich das ganz gut eingespielt. Hilfreich ist natürlich, das häusliche Arbeitszimmer nutzen zu können, was der Familie meinen
16 DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 DP „Übergang“ in die Arbeitswelt erleichtert. legen auch auf Distanz messen können. Aus net ist. Ich denke, dass wir die Gefahr von Ohne einen separaten Raum sähe das be- meiner Sicht sind zudem regelmäßige, mor- Missgunst und Neiddebatten zumindest re- stimmt anders aus. gendliche Team-Meetings hilfreich, bei de- duzieren können, wenn wir zum einen kla- nen Beschäftigte kurz und prägnant ihre re Regelungen und Voraussetzungen für die DP: Wie begegnen Sie dem Problem der Arbeitsfortschritte und aktuelle Vorgänge Teilnahme am Homeoffice schaffen und zum Vereinsamung beziehungsweise der Ver- diskutieren können. Hierdurch trägt man anderen, wenn wir die uns zur Verfügung einzelung? Die Kurzgespräche am Kaf- schließlich auch dem Wunsch nach einem stehenden Möglichkeiten entsprechend aus- feeautomaten sind ja weitgehend weg- „Sehen und Gesehen werden“ Rechnung, schöpfen. Für alle Beschäftigten sollte klar gefallen. Wäre beispielsweise ein Tele- der irgendwo tief in uns verwurzelt zu sein erkennbar sein, warum eine Tätigkeit – oder fonat nur zum Zwecke der Kontaktpflege scheint. Wichtig sind in diesem Zusammen- unter Umständen ein Kollege – nicht für das eigentlich okay? hang vor allem konkrete Absprachen sowie Homeoffice zugelassen ist. Es bedarf an die- Müller: Prinzipiell sind regelmäßige Telefo- eine Gewährleistung der eigenen Erreich- ser Stelle mehr Transparenz. nate besser als nichts. Ich halte jedoch Vi- barkeit. deokonferenzen für besser geeignet. Das ist DP: Hand aufs Herz, glauben Sie nicht, zumindest meine Erfahrung. Ich kann mei- DP: Warum genau? dass im heimischen Umfeld zu viel Ab- ne Gesprächspartner sehen und empfange Müller: Ich habe festgestellt, dass vor al- lenkung lauert? visuelle Reaktionen – etwa ein Lächeln oder lem dann Misstrauen aufkommt, wenn die Müller: Das hängt ganz entscheidend von ein Nicken – auf Gesagtes. Beschäftigten im Homeoffice nicht erreicht den persönlichen Umständen sowie der Per- werden können. Deshalb sollten planbare sönlichkeit der Beschäftigten ab. Fest steht, DP: Aber richtig „zusammen“ ist man Abwesenheiten im Homeoffice – beispiels- dass nicht jeder für das Homeoffice gleich trotzdem nicht, oder? weise aufgrund eines Arzttermins – offen im geschaffen ist. Das hat mit Zuverlässigkeit Müller: Ja, und deshalb sollte man die po- Team kommuniziert oder unter Umständen zu tun oder weil sie oder er eine enge Be- tenzielle Gefahr der Vereinsamung auf kei- sogar in einem hierfür vorgesehenen Team- gleitung durch das Team oder die Vorge- nen Fall unterschätzen. Dies gilt vor allem Kalender dokumentiert werden. Letztlich setzten benötigt. Ich hatte ja bereits gesagt, für Personen, die allein leben und neben ist die Akzeptanz von Homeoffice oder das dass es einen großen Unterschied macht, ob dem Beruf nur in geringerem Maße soziale Maß an Vertrauen, das ich meinen Beschäf- ich in meinen vier Wänden über ein sepa- Kontakte pflegen. Da das persönliche Kurz- tigten und Kollegen entgegenbringe, auch rates Arbeitszimmer verfüge oder alternativ gespräch am Kaffeeautomaten durch nichts eine Frage der Haltung. die Wohnräume zum Arbeiten nutzen muss. zu ersetzen ist, sollten die Beschäftigen mei- Im letzteren Fall sind Ablenkungen und ein nes Erachtens nicht länger als zwei oder drei DP: Wie könnte man die Gefahr von Neid Verschwimmen von Berufs- und Privatle- Tage am Stück im Homeoffice verbringen – und Missgunst eingrenzen? ben höchstwahrscheinlich ein größeres auch, um die Bindung zur Dienststelle und Müller: Es wird immer Bereiche geben, die Problem. Dies gilt umso mehr, wenn weitere den Kollegen nicht zu verlieren. aufgrund der Tätigkeit sowie der benötigten Personen im gleichen Haushalt leben. Aller- Werkzeuge, Einsatzmittel et cetera eine phy- dings darf man auch nicht vergessen, dass DP: Sie sprechen in der Studie das sische Präsenz in der Dienststelle erfordern. es im behördlichen Umfeld ebenfalls zu ei- Misstrauensproblem an. Wie kann das Das findet sicherlich auch die Akzeptanz der ner Vielzahl von Ablenkungen kommt: der „Führen auf Distanz“ nachhaltig gelin- Betroffenen. Warum jedoch sollte nicht auch Kollege, der eine Frage hat oder einfach nur gen? hier geprüft werden, ob nicht zumindest ein- Small-Talk halten will, die Poststelle, die ei- Müller: Das ist ein komplexes Thema. Und es zelne Teilaufgaben – etwa Administratives – nem die Hauspost bringt und so weiter. Stö- braucht vor allem Zeit und Geduld von den von zu Hause aus durchgeführt werden kön- rungen und Ablenkungen sind kein exklu- Beteiligten, nicht nur von den Führungs- nen? Wichtig ist doch, dass die bestehenden sives Problem von Homeoffice. kräften. In der Polizei – sowie im öffentli- Homeoffice-Möglichkeiten voll ausgeschöpft chen Dienst im Allgemeinen – herrscht nach werden. DP: Vielen Dank für das Gespräch. wie vor eine Präsenz- und Anwesenheitskul- tur vor. Auch ein Lehrgang wird daran so DP: Können Sie das bitte noch etwas kon- schnell nichts ändern. Wir müssen deshalb kretisieren? zunächst versuchen, unsere Haltung zum Müller: Es sollte nicht die Regel sein, dass Thema Homeoffice zu überdenken und die ein bestimmter Personenkreis lediglich bestehende Präsenzkultur ernsthaft und kri- deshalb nicht am Homeoffice teilnehmen tisch zu hinterfragen. kann, weil hierfür die erforderliche Tech- nik – zum Beispiel mobile Endgeräte – fehlt. DP: Das haben Sie sehr vorsichtig formu- Es leuchtet doch ein, dass vor allem dieje- liert. Was kommt nach dem Versuch? nigen, deren Homeoffice-Wunsch unerfüllt Müller: Wir müssten Führungskräfte und bleibt, unzufriedener und weniger produk- Beschäftigte darin schulen, wie sie die Ar- tiv sind – erst recht, wenn die eigene Tätig- beitsfortschritte ihrer Mitarbeiter und Kol- keit grundsätzlich für das Homeoffice geeig-
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18 DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 DP Im Gespräch Foto: Jan Burau Den Satz: „Das haben wir schon immer so gemacht“ möchte Jochen Kopelke niemals hören. JOCHEN KOPELKE: DER KANDIDAT FÜR DEN GdP-CHEFSESSEL DP: Lieber Kollege Kopelke, bitte nenne Vernetzen, drei Begriffe, die Dir spontan zur Gewerk- schaft der Polizei (GdP) einfallen. Jochen Kopelke: Stark. Authentisch. Kol- legial. einmischen, DP: Als ehemaliger Landesvorsitzender in Bremen hattest Du bereits Gelegen- zusammen- heit, die GdP-Arbeit auf Landes- und Bun- desebene kennenzulernen. Welche Erin- nerungen daran möchtest Du teilen? stehen Kopelke: Als jüngster Landesvorsitzender wurde ich damals mit offenen Armen in den Kreis des Bundesvorstandes aufgenommen und von Anfang an tatkräftig unterstützt. Rasch wurden mir einerseits die regionalen Unterschiede, andererseits die verbinden- Jochen Kopelke ist der Kandidat des Bundesvorstandes der den Gemeinsamkeiten der GdP deutlich. Gewerkschaft der Polizei (GdP) für die Wahl zum Amt des Das Zusammenwirken der Einzelnen in ei- ner großen, erfolgreichen Organisation fand Bundesvorsitzenden beim 27. Ordentlichen Bundeskongress vom ich beeindruckend. Ich habe hitzige und lau- 12. bis 14. September in Berlin. In den Reihen der GdP ist er beileibe te Sitzungen erlebt, die dennoch sehr gute kein Unbekannter. Nach seinem Aufstiegslehrgang in den höheren und richtungsweisende Beschlüsse zum Er- gebnis hatten – zum Beispiel unser Ausstieg Dienst und allerlei gemachten dienstlichen Erfahrungen sieht sich aus EuroCOP und der damit verbundene viel der Mittdreißiger gewappnet, das Steuer mit Tatendrang zu zielgerichtetere GdP-Weg nach Brüssel. übernehmen. DP hat ihn angerufen. DP: Berlin ist Dir also nicht fremd? Kopelke: Im Gegenteil. Der Ausbau der Sit- Michael Zielasko zungssäle unserer GdP-Bundesgeschäfts- stelle hat mir verdeutlicht, wie wichtig es ist, über Räume des Zusammenkommens
DP DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 19 zu verfügen. Ich habe diese Anregungen da- unsere GdP und für die Polizeiarbeit hierzu- strahlen und dort effektiv aufgenommen mals mit nach Bremen genommen. lande vor Augen. Ich bin ein Freund der digi- werden können. So stelle ich mir das vor. Mit Blick auf die Corona-Pandemie ver- talen Welt, ohne dabei ausschließlich digi- Um dieses Ziel umzusetzen, werde ich an- stehe ich jedoch heute noch viel besser, dass tal unterwegs zu sein. Analog reden macht sprechbar, nah an den Mitgliedern und er- uns unser bundesweiter persönlicher Aus- mehr Spaß! Ich scheue keine Konflikte, aber reichbar sein. Ich bin vor Ort im Geschehen, tausch in Sitzungen, auf Seminaren oder kann diese auch moderieren und lösen. Ich so wie ich das aus Einsatzlagen als Polizei- auch ohne Anlass und bei Treffen in locke- werde oft nach Rat gefragt und frage ande- führer und dem „Führen von Vorne“ kenne. rer Runde prinzipiell immer bereichert. Der re danach. Teamplay macht mir Spaß und Polizeiberuf und unsere Gewerkschaftsar- mein Kreuz breiter. DP: Durch Deine Tätigkeit im Bremer In- beit in Land und Bund sind nun einmal ge- nenressort konntest Du Erfahrungen an prägt von Interaktion und Kommunikation. DP: Die politische Musik spielt in Berlin, der Schnittstelle zu den politischen Ent- Und dies bitte in Präsenz und seltener digi- die Medien sind nahe am Geschehen. Wie scheidern sammeln ... tal. Wir brauchen das Persönliche. Das ho- wichtig ist es für Dich, vor Ort zu sein? Kopelke: Stimmt. Erfahrungen mit Innen- len wir uns jetzt zurück. Kopelke: Sehr wichtig! Wer erfolgreiche Me- ministerkonferenzen, Anträgen und Geset- dienarbeit gestalten will, muss ja nicht nur zen im Bundesrat, Ausschussabläufen und DP: Was hat Dich dazu bewogen, für das Interviews geben. Die komplexe Medienwelt Regierungsarbeit auf Landesebene oder di- Amt des Bundesvorsitzenden der Ge- ist weit mehr als das. Performt und bewegt verses polizeiliches Einsatzgeschehen sowie werkschaft der Polizei (GdP) zu kandi- wird jedoch oft in Berlin. Die Musik aus der dessen Wahrnehmung. Das habe ich auch dieren? Hauptstadt schallt auch in die Länder. Hier im Gepäck meiner Kandidatur. Kopelke: Mein Herz schlägt uneinge- bietet sich die große Chance, die GdP zu ei- schränkt und nach wie vor für unsere tol- nem wirklich mächtigen Akteur aufzubau- DP: Mit der eigenen Kampagne le GdP, und jetzt bietet sich die Chance zur en. Die Arbeit des Bundesvorsitzenden soll #100für100, dem AfD-Unvereinbarkeits- Kandidatur für das wichtigste Amt unserer noch stärker und positiver in die Länder aus- beschluss und der öffentlichen Debatte Organisation auf Bundesebene. Verantwor- tungsübernahme, Entscheidungsfreudig- keit, Kommunikation, Gremienarbeit und Teamplay sind Stärken, die mich ausma- chen. Davon und meinen Vorstellungen für die GdP der Zukunft möchte ich die Delegier- ten im September überzeugen. DP: Aus dem Geschäftsführenden GdP- Bundesvorstand wird nahezu die gesam- te Spitze ausscheiden. Kopelke: Genau. Es zeichnet sich ein Gene- rationenwechsel ab. Ich möchte Teil eines durchdachten Wechsels werden und stelle mich daher zur Wahl. DP: Du bist jetzt 37 Jahre alt. Ist das nicht ein bisschen zu jung für einen solch ge- wichtigen Posten? Kopelke: Nein. Das Team, der Mut und die Fähigkeiten jedes Einzelnen darin sind aus- schlaggebend. Alter, ganz gleich, ob jung oder alt, ist kein Argument gegen aktive Ge- werkschaftsarbeit oder einen Posten in un- serer Gewerkschaft. DP: Was würde Dich als GdP-Bundesvor- sitzenden auszeichnen? Kopelke: Meine kollegiale, offene und mo- derne Art. Ich schaue gerne über den Teller- Foto: Jan Burau rand hinaus. Ich denke gewerkschaftlich, bin an den Meinungen Anderer interessiert und habe klare Ziele und Vorstellungen für Jochen Kopelke, Kandidat für den GdP-Bundesvorsitz, läuft sich warm.
20 DEUTSCHE POLIZEI 06/2022 DP Rang ablaufen. Dafür brauchen wir eine kol- legiale Atmosphäre und eine greifbare Auf- bruchstimmung in unserer Organisation. DP: Und inhaltlich? Kopelke: Einiges hatte ich ja bereits er- wähnt. Wichtig ist, dass sich Bund und Län- der nicht weiter auseinanderdividieren las- sen. Unsere Arbeit muss besser bezahlt wer- den, Zulagen müssen allen Kolleginnen und Kollegen gleichermaßen zuteilwerden. Au- ßerdem darf uns unser Beruf nicht krank- machen. Unsere Absicherungen müssen auf den Prüfstand, und wir brauchen neue Wege in der Tarifpolitik für unsere speziel- len, nicht mit anderen Berufsgruppen ver- gleichbaren Tätigkeiten. DP: Die GdP ist quasi unbesiegbar, wenn sie geschlossen auftritt, oder? Was kannst Du dazu leisten? Was sind Deine Erwartungen an die Länder und Bezirke? Kopelke: Geschlossenheit macht stark. Sie Foto: Jan Burau darf jedoch nicht Engagement, Erfahrung und Moderne unterdrücken. Wir müssen Nicht verraten: Jochen Kopelke verputzt Fischbrötchen beim Fußball. aufgeschlossen bleiben. Gegenseitige Un- terstützung ist das A und O unseres Erfol- über das Erforschen der demokratischen Wirkungen der Föderalismusreform schaf- ges. Ich erwarte Kreativität und möchte bit- Verfasstheit der Polizei, hat die GdP hei- fen. Da hat der jetzige Geschäftsführende te niemals den Satz hören: „Das haben wir ße Eisen angefasst ... GdP-Bundesvorstand gut vorgearbeitet. schon immer so gemacht“. Ich freue mich Kopelke: Richtig so! Wir sind mutig, authen- auf neuen Mut und frische Impulse. Von tisch und lehnen Fremdenfeindlichkeit, Ras- DP: Der Polizei wird vorgeworfen, demo- unseren Mitgliedern erhoffe ich mir Taten- sismus und Hetze ab. Im Übrigen verdienen kratisch nicht gefestigt zu sein. drang im Arbeitskampf und in der proakti- wir Verbesserungen und Wertschätzung, Kopelke: Es ist richtig und notwendig, dass ven Mitgliedergewinnung. Unsere Personen- weil wir gute Arbeit auf gefährlichem Terrain die GdP seit Längerem an diesem Thema gruppen fordere ich auf, weiter so gut für leisten. Oft werden wir angefeindet, verletzt nach innen und außen intensiv und enga- ihre Interessen einzustehen und das Bun- und benachteiligt. Die Erlebnisse im Polizei- giert mitwirkt. Aber ich stelle schon jetzt in desführungsteam zu fordern. Ich erwarte beruf sind einzigartig und nicht vergleichbar aller Deutlichkeit fest: Pauschalität unter- einen ehrlichen Umgang ohne verletzende mit anderen Berufsgruppen. Darunter fallen gräbt die Realität. Fakt ist: Wir tolerieren und diskriminierende Sprache. Unsere GdP leider auch teils traumatische Erfahrungen. keine Rassisten und Extremisten in unse- ist bunt, aktiv und laut! Wenn andere das so nicht sehen, dann müs- ren Reihen! Wir dürfen nicht nachlassen, die sen wir denen das halt erklären. Resilienz der Polizei gegenüber demokratie- DP: Lieber Kollege Kopelke, was sollten feindlichen Umtrieben zu stärken. Mit Blick die DP-Lesenden lieber nicht von Dir wis- DP: Zum Beispiel? auf unsere polizeiliche Arbeit, die intensive sen? Kopelke: Die Arbeit der Polizeibeschäftig- demokratische Integrität erfordert, stehe ich Kopelke: Ich esse gerne Fischbrötchen im ten im Vollzugs-, Verwaltungs- und Tarifbe- daher voll und ganz hinter unserem AfD-Un- Bremer Weserstadion, ich höre gerne lau- reich muss in allen Ländern und im Bund vereinbarkeitsbeschluss. te Musik bei Autofahrten und singe auch gleich betrachtet werden. Länderübergrei- manchmal mit. Mich gibt’s zweimal, Kaffee fende Polizeieinsätze dürfen nicht mehr DP: Welche Schwerpunkte würdest Du statt Wasser, ich mag warmes Bier lieber als länger durch ungleiche Bezahlung, unter- als Vorsitzender setzen wollen? eiskaltes. Manchmal mähe ich Rasen nach schiedliche Rechtsgrundlagen und Ausstat- Kopelke: Ich möchte die GdP mit allen 13 Uhr. Und ich lasse manchmal Fünfe gra- tung beeinflusst werden. Wir müssen wei- wichtigen Akteuren stärker vernetzen, mich de sein. Oh, jetzt habe ich es doch verraten. ter den Finger in die Wunde legen. Wir müs- mehr bei relevanten Themen einmischen. (lacht) sen weiterhin das Ungleichgewicht unserer Ich möchte uns digital noch sichtbarer und vergleichbaren Arbeit hierzulande verdeut- moderner sehen, die Mitgliederzahlen aus- DP: Vielen Dank für das Gespräch. Wir se- lichen und eine Abkehr von den negativen bauen und Mitbewerbern ganz klar den hen uns auf dem Bundeskongress.
Nordrhein- Westfalen Delegiertentag formuliert klare Erwartungen an die künftige Landesregierung „Hörbar stark. Sichtbar wirksam“ – unter diesem Motto haben vom 3. bis 5. Mai 197 Delegierte aus ganz NRW im Beisein von noch einmal so vielen Gastdelegierten in Düsseldorf nicht nur den Geschäftsführenden Landesbezirksvorstand (GVS) neu gewählt, sondern auch über die Themen und Ziele beraten, für die sich die GdP in Zukunft starkmachen soll. Zum Teil mit spannenden, kontroversen Diskussionen. Spannend war der alle vier Jahre stattfindende Landesdelegiertentag auch, weil er nur wenige Tage vor der bis zum Schluss nicht entschiedenen Landtagswahl am 15. Mai stattgefunden hat. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), die Landesvorsitzenden der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen, Thomas Kutschaty und Mona Neubaur, sowie Mertens (58) an der Spitze des Landesbe- zirks NRW. In seine Zeit als Landesvorsit- der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christof zender fiel der historische Wahlsieg bei den Rasche, nutzten die Gelegenheit, um noch einmal für Personalratswahlen im vergangenen Jahr, bei denen die GdP erstmals seit Jahrzehn- ihre Pläne zur Zukunft der Polizei zu werben. Und ten nicht nur im Hauptpersonalrat der Poli- Herbert Reul (CDU) zog auf dem Delegiertentag eine zei, sondern auch in allen 50 örtlichen Per- sonalräten die Mehrheit der Sitze gewon- Bilanz seiner bisherigen, fünfjährigen Amtszeit als nen hat. Seit 2018 ist zudem die Zahl der Innenminister. GdP-Mitglieder in NRW auf 46 000 Mitglie- der gestiegen – ohne die GdP-Mitglieder, die in NRW vom Bezirk Bundespolizei or- ganisiert werden. Das sind 4000 Mitglieder mehr als vor vier Jahren. Bei seiner Wieder- Michael Mertens mit deutlicher wahl stimmten zwei Drittel der Delegierten Mehrheit bestätigt für Michael Mertens. In seiner Grundsatzrede hatte Mertens In der GdP nimmt der Landesvorsitzende zuvor daran erinnert, dass die bisheri- eine herausgehobene Stellung ein. Er ist ge schwarz-gelbe Landesregierung in den nicht nur das wichtigste Gesicht der GdP letzten Jahren erhebliche Mittel in die Ein- nach außen, sondern vor allem der wich- stellung von zusätzlichen Polizistinnen tigste Ansprechpartner für die Politik, und Polizisten und in die technische Aus- wenn es um die Positionen der GdP zu Fra- rüstung der Polizei investiert hat. „Trotz- gen der Inneren Sicherheit und um die Ge- dem haben wir noch einen weiten Weg vor staltung der Arbeitsbedingungen bei der uns, bis die Polizei so ausgestattet ist, dass Polizei geht. Seit Mai 2018 steht Michael sie die ihr gestellten Aufgaben im vollen
Nordrhein-Westfalen | Deutsche Polizei 06/2022 DP Umfang wahrnehmen kann“, sagte Mer- vom Vorstand selbst. Darunter waren auch tens zu den Delegierten. „Deshalb muss mehrere Leitanträge. der personelle Wiederaufbau der Polizei Im einmütig angenommenen Leitantrag in den nächsten Jahren konsequent fort- zum Beamtenrecht (B 01) wird der Landes- gesetzt werden, auch wenn auf den Staat vorstand aufgefordert, sich für eine nach- durch den Ukraine-Krieg, aber auch durch haltige Reduzierung der wöchentlichen Ar- die Folgen der Coronapandemie und der beitszeit für die Polizistinnen und Polizisten Flutkatastrophe erhebliche Belastungen einzusetzen. Weil das Land in einer finanzi- zukommen.“ ellen Notlage war, hatte 2003 die damalige rot-grüne Landesregierung die Arbeitszeit für alle Beamtinnen und Beamten in NRW Neues Gesicht im Vorstand mit Wirkung zum 1. Januar 2004 einseitig von 38,5 auf 41 Stunden erhöht. Betroffen Neben der Beibehaltung des jetzt erreich- von der Arbeitszeitverlängerung sind nicht ten Einstellungsniveaus fordert der wieder- nur die Polizeivollzugsbeamten sondern gewählte GdP-Vorsitzende eine nachhaltige auch die Verwaltungsbeamten der Polizei. Attraktivitätssteigerung für den öffentlichen Geändert hat sich daran bislang nichts Dienst. „Die vor 19 Jahren als angeblich vo- – trotz mehrerer Regierungswechsel. Das rübergehende Sparmaßnahme eingeführte Einzige, was der bisherigen, schwarz-gel- 41-Stunden-Woche für die Beamtinnen und ben Landesregierung dazu eingefallen ist, Beamten muss endlich vom Tisch, damit wir war der Vorschlag, die Beamten könnten in Zukunft noch genügend junge Menschen ihre Arbeitszeit doch freiwillig weiter er- für den Polizeiberuf begeistern können“, höhen, auf 44 Stunden in der Woche. Die betonte er auf dem Delegiertentag. Drin- zusätzlichen Stunden könnten sie dann genden Handlungsbedarf gibt es zudem bei auf ein Langzeitkonto einzahlen, um sie den Aufstiegschancen bei der Polizei und später gegen Freizeitblöcke einzutau- bei den bereits seit zwei Jahrzehnten einge- schen. Ein absurder Vorschlag. Arbeits- frorenen Zulagen. schutzexperten warnen schon lange, dass Auch neun der zehn übrigen Vorstands- es kein Schichtmodell gibt, das bei einer mitglieder wurden in Düsseldorf wiederge- 41-Stunden-Woche nicht zwangsläufig zu wählt. Das gilt nicht nur für die vier bishe- massiven Gesundheitsschäden führt. Die rigen stellvertretenden Landesvorsitzenden GdP will deshalb in der kommenden Land- Michael Maatz, Markus Robert, Jutta Jakobs tagsperiode erreichen, dass die Arbeitszeit und Heiko Müller, sondern auch für Landes- der Beamtinnen und Beamten in einem kassierer Lorenz Rojahn und seinen Stell- ersten Schritt von 41 Stunden auf die der vertreter Frank Schniedermeier, Schriftfüh- Tarifbeschäftigten von 39 Stunden und 50 rerin Meike to Baben und ihren Stellvertreter Minuten gesenkt wird. In weiteren Schrit- Andreas Pein und für Patrick Schlüter, der ten soll die Arbeitszeit dann für alle Be- dem GVS auch in der neuen Wahlperiode als schäftigten auf 35 Stunden reduziert wer- weiteres Mitglied angehört. Siegfried Pfen- den. Zudem fordert die GdP die Einfüh- ninger war aus Altergründen nicht mehr an- rung eines Ruhestandskorridors. Dadurch getreten. Für ihn wurde der Personalratsvor- könnten die Polizistinnen und Polizisten sitzende des Polizeipräsidiums Hamm, Dirk selber entscheiden, wann sie zwischen Schade (53), in den Vorstand gewählt. dem 55. und dem 65. Lebensjahr aus dem Dienst ausscheiden. In einem Leitantrag zum Wach- und Fast dreihundert Anträge Wechseldienst (B 07) fordert die GdP eine beraten umfassende Ausstattung der Polizei mit moderner IT-Technik. In den Wachen und Wichtigste Aufgabe des Landesdelegierten- Dienststellen der Polizei muss zudem tags ist neben der Wahl des Vorstands die Platz für Ruhe- und Gemeinschaftszonen Beratung über die Ziele und die Ausrichtung zur Verfügung gestellt werden. Außerdem der GdP-Politik in den nächsten Jahren. Fast macht sich die GdP für bessere Aufstiegs- 300 Anträge lagen den Delegierten in die- chancen bei der Polizei stark. Wer eine he- sem Jahr dazu vor, formuliert von den Kreis- rausgehobene Aufgabe übernommen hat, gruppen vor Ort, den Personengruppen und muss auch dann nach A 12 und A 13 auf-
DP Deutsche Polizei 06/2022 | Nordrhein-Westfalen steigen können, wenn er keine Führungs- ge auf alle Beschäftigten, die bei der Sach- funktion gegenüber anderen Beschäftigten bearbeitung von sexuellem Missbrauch von wahrnimmt. Kindern tätig sind. Im ebenfalls angenommenen Leitantrag Auch das Thema Digitalisierung hat auf zum Dienstunfallrecht (B 15) fordert die dem Landesdelegiertentag eine größere Rol- GdP eine umfassende Reform der Dienstun- le gespielt. Neben zahlreichen Anträgen zur fallfürsorge bei der Polizei. Das Modell der besseren technischen Ausstattung ging es Durchgangsärzte soll nach einem Dienst- vor allem um die Zugangsmöglichkeiten unfall zum Standardmodell werden. Zu- zum Homeoffice. Die während der Corona- dem soll es vor Ort Dienstunfalllotsen ge- pandemie entstandenen neuen Möglich- ben, die den Betroffenen auch bei prakti- keiten dürfen nicht wieder zurückgedrängt schen Fragen zur Seite stehen. Durch die werden. Im Antrag E 10 fordert der Delegier- zentrale Bearbeitung aller Dienstunfäl- tentag landesweit vereinheitlichte Regelun- le soll in Zukunft verhindert werden, dass gen für den Zugang zur Telearbeit/Homeof- die Gewährung von Heilmaßnahmen da- fice. Homeoffice dürfe nicht ausschließlich von abhängt, ob vor Ort genügend Kapa- aufgrund familiärer Faktoren gewährt wer- zitäten für die Fallbearbeitung zur Verfü- den, heißt es in dem von den Delegierten be- gung stehen. schlossenen Antrag. Der Landesdelegiertentag hat sich zu- dem für eine Stärkung der demokratischen Anträge auch zur Modernisierung Resilienz von Polizistinnen und Polizis- des Zulagenwesens, zur Digitali ten starkgemacht. Regelmäßige Antirassis- sierung und zu rechten Chats mus-Trainings sollen zu verpflichtenden Be- standteilen der Fortbildung von Polizistin- Etliche Anträge haben sich zudem mit dem nen und Polizisten werden (A 01). Für die Zulagenwesen beschäftigt. Im Antrag C 18 Kommissaranwärterinnen und -anwärter spricht sich der Landesdelegiertentag zum soll zudem an der HSPV oder im LAFP ein Beispiel für die Anhebung der seit Jahren Seminar zum richtigen Umgang mit Social eingefrorenen DUZ-Zulage für den Nacht- Media angeboten werden (E 62). I dienst auf mindestens fünf Euro aus, im An- trag C 19 für die Ausweitung der KiPo-Zula- Wir werden die Politiker in die Pflicht nehmen Wir leben in dramatischen Zeiten. Ein Ende des barbarischen Kriegs in der Ukraine ist noch immer nicht absehbar. Die Inflation erklimmt schwindelerregende Höhen. Und bei der Energie- wende stehen wir erst ganz am Anfang. Das alles wird den Handlungsspielraum der Politik dramatisch verändern. Auch bei der Polizei. Auf dem Landesdelegiertentag haben die Spitzenvertreter der vier im Düsseldorfer Landtag vertretenen demokratischen Parteien ein klares Bekenntnis für die Polizei abgelegt. Der perso- nelle Wiederaufbau soll fortgesetzt werden. Auch bei den Aufstiegschancen, bei den Zulagen und bei der Arbeitszeit soll sich endlich etwas bewegen, haben die Spitzenpolitiker von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen versprochen. Noch ist nicht klar, wie die neue Landesregierung wirklich aussehen wird und auf welche Schwerpunkte sich die Parteien am Ende im Koalitionsvertrag einigen werden. Je nach Wahl- ausgang könnten auch die Organisationsstruktur der Polizei, die Ausstattung des Wach- und Wechseldienstes mit dem Taser und die Bekämpfung der Clankriminalität auf die Tagesordnung kommen. Auch die von allen Parteien versproche- ne personelle Stärkung der Polizei muss erst umgesetzt werden. Auf unserem Delegiertentag hat Ministerpräsident Hendrik Wüst daran erinnert, dass uns der Ukraine- Krieg auf dramatische Weise vor Augen geführt hat, dass es Freiheit und Demokratie nicht umsonst gibt, sondern dass unsere Freiheit von innen und außen bedroht ist. „Eine wehrhafte Demokratie braucht eine starke Polizei“, sagte Wüst. Wir werden die neue Landesregierung an dieses Versprechen erinnern. Egal wie das Farbenspiel am Ende aussehen wird. Michael Mertens Landesvorsitzender
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