Uni'kon # 64 - Universität Konstanz
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uni’kon # 64 2016 Das Magazin der Universität Konstanz – uni.kn/unikon S. 4 S. 12 S. 20 Keine Angst vor der Angst Für eine faktenbasierte Verfilmte Angst – oder doch? Chemikalienbewertung Welche Medienstrategien Warum Angst nicht nur un- Warum Alarmismus in der Extremisten verfolgen, und angenehm ist, sondern einen öffentlichen Wahrnehmung wie auf das Propaganda wichtigen Schutzmechanis- von Chemikalien herrscht. material reagiert werden soll. mus darstellt. S. 8 S. 16 Falsche Risiken Eine fatale Attraktion Warum unser Entscheidungs- Was und wie viel die Amok-Fälle verhalten gegenüber Risiken an deutschen Schulen mit häufig irrational ist. dem Attentat an der Columbine High School zu tun haben.
S.1 Editorial Die Universität Konstanz ist ein Ge- meinschaftswerk, und das hat sich bei den Jubiläumsfeierlichkeiten wieder gezeigt. Was war das für eine wunderbare Stim- mung beim Festakt und beim anschließen- den Sommerfest, zu der auch die vielen Gästen aus dem In- und Ausland beigetra- gen haben. Wir alle haben natürlich mit ziemlichem Stolz vernommen, mit welch großer Anerkennung sie über die Univer- sität Konstanz gesprochen haben. Auch dafür und für die guten Wünsche unseren herzlichen Dank. Herr Professor Rüdiger, Die Universität Konstanz ist angekom- men – in der Welt und in der Region. ein letztes Wort zum Davon zeugen genauso der Besuch von Ministerpräsident Kretschmann Jubiläum 50 Jahre Univer wie zwei der Sponsoren unseres Jubi- läumsfestes, die Stadt Konstanz, die sität Konstanz! über die Spitalkellerei 500 Flaschen Bodensee-Wein spendierte, und die Brauerei Ruppaner, die sich mit ihren 6.000 Flaschen Jubiläumsbier ebenfalls sehr großzügig zeigte. Beide s ollen stellvertretend stehen für all dieje- nigen, die dazu beigetragen haben, dass wir diese schöne Feier so fest- lich ausrichten konnten. Auch hierfür Da kommt nur eines in Frage: Danke! unser Dankeschön. Es war unser Anliegen, ein Geburtstags- Danke schließlich an all diejenigen, die fest zu feiern, das zu uns passt: Fröhlich, daran beteiligt waren, dass unsere Pro- leicht und optimistisch. Der Blick, den jekte und Veranstaltungen zum Jubiläum wir bei dieser Gelegenheit zurück auf die insgesamt solch schöne Erlebnisse be- Anfänge geworfen haben, hat uns wieder scherten. Und zu guter Letzt an alle, die einmal gezeigt, dass unsere Wurzeln auch mit ihrer Arbeit jeden Tag zum Erfolg der unsere Zukunft bedeuten. Damit würdi- Universität Konstanz beitragen und damit gen wir all diejenigen, die zum Zukunfts- erst die Basis legen, um etwas zum Feiern unternehmen Universität Konstanz ihren zu haben. Beitrag geleistet haben, ohne dass wir Personenkult betreiben müssten. Die In- Ihr stallation des Künstlers Burkhart Beyerle, der im Senatssaal eine „Rektorengalerie“ an die Wand gehängt hat, die aus leeren Bilderrahmen besteht, trifft die Sache im- mer noch im Kern. Obwohl wir die Rah- men längst mit genügend verdienten Köp- Prof. Dr. Ulrich Rüdiger fen aus der Vergangenheit füllen könnten. Rektor der Universität Konstanz
„Die Straßen des Honigs“ S. 24 / Forschung Bienen müssen intelligent sein, um zu überleben, sagt Prof. Dr. Giovanni Galizia. Der Biologe forscht an der Universität Konstanz zu Bienen und anderen staatenbil- denden Insekten. Die Universität in 50 Jahren S. 56 / Schreibwettbewerb Ruben Schütze hat mit seinem Text den Schreibwettbewerb anlässlich des Jubiläums 50 Jahre Universität Konstanz gewonnen. Was er 50 Jahre in der Zukunft über sie erzählt, ist ein so nüchterner wie gruseliger Ausblick in eine schöne neue Welt. Musik ist struk turierter Klang S. 32 /Forschung Musik ist eine Arithmetik der Seele, sagt Prof. Dr. Jan Beran. Der Mathematiker ist auch Komponist und mit einem interaktiven Musikprojekt an die Öffentlichkeit getreten.
S. 1 Editorial Titel S. 4 Keine Angst vor der Angst S. 8 Falsche Risiken S. 12 Für eine faktenbasierte Chemikalienbewertung S. 16 Eine fatale Attraktion S. 20 Verfilmte Angst Professionell S. 24 Forschung Die Straßen des Honigs gespielt S. 28 S. 32 Schwarmintelligenz Musik ist strukturierter Klang S. 36 Eine Frage der Richtung S. 44 / Studierende S. 38 Wie verwandeln sich politische Spannungen Der Informatikstudent Jan „Chimmy“ Kaiser ist in ethnische Konflikte? eSportler, ein professioneller Computerspieler. Gerade hat er das „Hearthstone“-Turnier auf der Jubiläum Gamescome gewonnen. S. 40 Nachbericht Studierende S. 44 Professionell gespielt S. 48 „Noch besser als auf den Fotos“ S. 50 Eine Horizonterweiterung Bücher S. 52 Fakten Preise S. 54 Heinz Maler-Leibnitz-Preis an Isabell Otto S. 55 Toynbee Prize an Jürgen Osterhammel Schreibwettbewerb S. 56 Die Universität in 50 Jahren Drei neue Mit S. 58 Neue Professuren Prof. Dr. Olga Mayans glieder im S. 59 S. 60 Prof. Dr. Christian Meyer Prof. Dr. Jacob Rosenthal Universitätsrat S. 61 S. 62 Prof. Dr. Falk Schreiber Prof. Boris Holzer, Ph.D. S. 68 / Personalia Wissenschaftskommunikation und -transfer Dr. Alexandra Brand, Dr. Hansjörg Brem und S. 63 Als Vorsitzende wiedergewählt Prof. Dr. Wolfram Münch wurden vom Senat der Universität Konstanz neu bestellt und arbeiten Personalia seit 31. August 2016 in dem Gremium mit. S. 64 Promotionen S. 66 Berufungen S. 67 Stephan Prehn S. 68 Universitätsrat S. 69 Gratulation zum 80. Geburtstag S. 70 Weiterbildung/ S. 70 Impressum
Titel Keine Angst vor der Angst Keine Angst vor der Angst — oder doch? Die beiden Klinischen Psychologen Dr. Maggie Schauer und Prof. Dr. Thomas Elbert sehen in der Angst einen wichtigen Schutzmechanismus. Angst will niemand haben. Sie bedrückt, beschwert handelt. Wie sieht es jedoch aus mit Phänomenen wie die Seele und scheint, so lange sie da ist, alle Freu- der „German Angst“, wenn ganze Gesellschaften von de im Keim zu ersticken. Aber Angst ist nicht gleich Angst ergriffen werden, die außerhalb ihrer Grenzen Angst, zumindest was die Einschätzung ihres Anlas- nur Kopfschütteln erntet? ses angeht. Dass Menschen, die vor einem Verfolger Dr. Maggie Schauer, Traumaforscherin an der fliehen, Grund haben, Angst um ihr Leben und das ih- Universität Konstanz, sagt lapidar: „In einer Gruppe rer Angehörigen zu haben, liegt auf der Hand. Hätte kann sich Angst ausbreiten. Angst ist ansteckend. Wir jemand Angst, weil vor der Tür der Teufel in schwar- können die Angst der anderen wahrnehmen. Und das zer Gestalt auf ihn wartet, würde das wohl als patho- aus gutem Grund. Bemerkt ein Mensch, dass sich eine logisch diagnostiziert werden. Und doch wird beide Gefahr nähert, ist es für die Gruppe günstig, wenn er Male die gleiche Angst empfunden. Die menschlichen die daraus resultierende Vorsicht und Angst den an- Körperreaktionen machen da keinen Unterschied. deren kommuniziert. Je mehr Menschen spüren, da Angst im Sinne des inneren Erlebens und einer Be- ist etwas, das uns bedroht, desto mehr Menschen las- reitschaft zu bestimmten Verhaltensweisen ist dann sen sich vernünftigerweise von der Angst anstecken. eben doch Angst, unabhängig davon, ob es sich um Es gibt dann einen Konsens, dass etwas auf uns Furcht vor realen oder vor eingebildeten Ereignissen zukommen könnte.“
Allerdings gibt es Angst, die müsste ge unbeeindruckt zeigen von dem in Frage Je stärker ein Volk realen Stressoren man nicht haben. Eine der diagnostischen stehenden Bedrohungsszenario und kein ausgesetzt ist, desto wahrscheinlicher wird Aufgaben mit ihren Patienten, die ins Erkennen signalisieren, geht das Vertrau- es, dass auch die nächste und übernächs- Kompetenzzentrum Psychotraumatologie en in diese Personen verloren. Jetzt muss te Generation dieser Menschen sensitiver der Klinischen Psychologie der Universi- sich die Gruppe entscheiden, wie sie dar- auf bestimmte Umweltsignale reagie- tät Konstanz am Zentrum für Psychiatrie auf reagiert, ob es sich um eine reale oder ren. Die German Angst als vermeintliche Reichenau kommen, ist, herauszufinden, eine eingebildete Bedrohung handelt. oder wirkliche Charaktereigenschaft ei- ob deren Angst noch einen realen Grund „Angst kann nicht warten, weil es dann zu ner Nationalität ist geboren. Thomas El- hat oder pathologisch ist. Keine einfache spät sein könnte.“ bert, Professor für Klinische Psychologie Sache. Was als angemessene Angst be- und Neuropsychologie an der Universität trachtet wird, hängt auch davon ab, was Konstanz, betrachtet solche Phänomene wir erlebt haben. Angst ist nicht retrospe- „In der Kultur der Deutschen, aus epigenetischer Sicht. Der Psycholo- tiv, sondern sie soll mögliche Gefahren für ge nähert sich dem Thema, indem er erst aber wahrscheinlich die Zukunft frühzeitig abbilden. Fühlt sich einmal von Studien erzählt, die Dr. Amber eine genügend große Menge an Menschen auch in ihrer Epigenetik, steckt Makowicz an der Universität Konstanz mit bedroht, kann genau an diesem Punkt die die Information: Fischen durchführt. Weibliche Fische, die Rationalität kippen. Mit Vernunft gegen- Krieg ist katastrophal, während der Schwangerschaft mit Raub- zusteuern, funktioniert eine Zeit lang. fischduft aufgescheucht werden, gebären er muss um alles in der Welt „Manche Menschen lassen sich von Fak- Nachkommen, die grundsätzlich ängstli- ten überzeugen, andere durch Führungs- vermieden werden.“ cher sind als Tiere in Vergleichsgruppen. personen, aber nicht jede Angst lässt sich „Wir glauben, dass beim Menschen etwas löschen“, erklärt die Psychologin. Wenn Prof. Dr. Thomas Elbert Ähnliches passiert“, erklärt Thomas Elbert. diese Führungspersonen sich aber zu lan- Was das Phänomen der German Angst betrifft: „In der Kultur der Deutschen, aber wahrscheinlich auch in ihrer Epige- netik, also in der Modulation dessen, was an Erbgut ausgelesen wird, steckt die In- formation: Krieg ist katastrophal, er muss um alles in der Welt vermiedenwerden“, kleidet er die kollektive Haltung in Worte. „Deshalb ist die German Angst eine An- passung an eine Umwelt, die dazu beiträgt, dass Mitteleuropa friedlich geblieben ist.“
Titel Keine Angst vor der Angst Aber auch Hilfsbereitschaft und Sorge um andere sind als biologisches Programm angelegt und werden über Sozialisierung erlernt und geübt. Geflüchtete aus Not, Arbeitslosigkeit, Krieg und Gewalt, die derzeit nach Deutschland kommen, sind dass schon das Kind im Mutterleib epige- Menschen, die Sicherheit und eine Leben- netisch darauf vorbereitet ist, dass es in sperspektive suchen. Damit das Misstrau- eine gewalttätige Umwelt hineingeboren en sich legt, bedarf es Zeit, Bekanntheit wird. „Der Organismus bildet sich in der Auch dass es Menschen gibt, die auf und guter Erfahrungen. Gastfreundschaft Vorhersage über die spätere Umwelt“, so Bedrohungsszenarien empfindlicher re- muss gelernt und belohnt werden und Maggie Schauer. agieren als andere, hat seinen Sinn. Das wird nicht umsonst ehrenhaften Men- Dass es 2015 die sogenannte Willkom- subtile Angstempfinden hilft dabei, die schen zugeschrieben. In dieser sensiblen menskultur geben konnte, schlägt Maggie ersten Anzeichen einer Bedrohung wahr- Zeit kann es schnell zu einer Eskalation Schauer der Erziehung zu Menschenrech- zunehmen und zu verstehen. „Ich brauche der Stimmung kommen, wenn Diebstahl, ten und universalen Werten zu. „Wir sind in jeder Gruppe Menschen, die sich erin- Übergriffe oder Anschläge passieren. „Die ein hochgebildetes Land. Die Deutschen nern, die gelernt haben: Da könnte etwas Menschen sind jedoch nicht Sklaven ihrer bringen sehr viel Bewusstsein mit für Un- sein“, sagt Maggie Schauer. Insbesondere biologischen Programme. Auch gelern- recht und Verfolgung und dafür, dass dies bei Patienten, die den Krieg noch erlebt te Kultur wird weitergegeben, zwar nicht in diesem Land nie wieder sein darf. Diese haben, stellt sie derzeit eine starke Beun- epigenetisch, aber als neuronale Muster moralische Haltung steht im innerpsychi- ruhigung fest: „Sie empfinden die gegen- im Gehirn“, wie Thomas Elbert betont. schen Konflikt mit realen Zukunftssor- wärtige Weltlage als sehr ängstigend, be- Der Klinische Psychologe kann sich gen“, so Maggie Schauer. Auch psychisch kommen Herzklopfen und schlafen nicht durchaus vorstellen, dass die deutsche gesunde Menschen bekommen Angst mehr, wenn sie die Bilder im Fernsehen Gesellschaft inzwischen epigenetische angesichts der zunehmenden Kriege und sehen. Der Krieg und die Geflüchteten Schalter umgelegt hat, welche sie ange- der schieren Menge an Menschen, die sich kommen sehr nahe. Ihr Furchtgedächtnis sichts von Gewalt zögerlich machen und aufgrund ihrer Zukunftsangst und ihrer springt an. Und dieses Gefühl ist so aver- die dazu führen, dass gewalttätige Ausei- absoluten Perspektivlosigkeit im Heimat- siv und aufwühlend, dass manche Men- nandersetzung gemieden wird. Solch eine land auf der gefährlichen Weg machen in schen richtiggehend ‚Angst vor der Angst’ Anpassung ganzer Bevölkerungsgruppen ein besseres Leben. entwickeln, vor allem Panikpatienten und an die Umwelt haben Maggie Schauer und Maggie Schauer: „Wir fordern hier Trauma-Überlebende. Angst auch vor Thomas Elbert jüngst in einem Projekt in dringend einen Paradigmenwechsel, denn dem, was die Angst mit meinem Körper den Favelas Rio de Janeiros nachgewie- fatalerweise wird psychische Gesundheit und Geist macht.“ sen, allerdings in umgekehrte Richtung im internationalen Hilfekontext oft als Allerdings ist der Zusammenhang zeigend. Dort konnten sie feststellen, Luxus angesehen. Dabei kann man heu- zwischen der diffusen Angst einer Gesell- te davon ausgehen, dass die massiven schaft vor Krieg und Gewalt einerseits und Fluchtbewegungen auch Ausdruck einer Angst vor dem Fremden bei Weitem nicht globalen Mental Health-Krise sind. El- so eindeutig wie oft dargestellt. Es gibt „Die Angst brauchen wir zum tern, die Angst erlebt haben, geben dies die Xenophobie als biologisch angelegte über Verhaltensänderung und psychi- Überleben. Es ist etwas, das Prädisposition. „Untersuchungen zeigen, sche Symptome an die Kinder weiter – im wir bringen innere Bilder von Menschen, uns schützt.“ pandemischen Ausmaß. Der Teufelskreis die uns umgeben und mit denen wir auf- der Gewalt – auch transgenerational – wachsen, auf einen ‚Mittelwert‘“, erzählt Dr. Maggie Schauer schraubt sich in ‚failed states’ immer wei- Schauer, „und wir vergleichen diese mit ter nach oben: Angst und Gewalt in den den neuen Menschen, die wir kennen- lernen. Das Vergleichen geht sofort mit Emotionen einher". Wachsen wir in einer Vielfalt von Ethnien und unter Menschen mit diversem Aussehen auf, sieht dieser Mittelwert anders aus. Deshalb geht die Annäherung von Fremden in jeder Kultur ritualisiert vonstatten. Unbekannte Men- schen bringen in der Regel Geschenke mit, zeigen sich demütig und bekunden ihre freundlichen Absichten.
Familien und in den Gemeinschaften. beraffen hat man festgestellt, dass sie, Staaten, in denen geschätzt bis zur Hälf- wenn sie ohne Mutter und nur unter te der Mitglieder psychisch belastet sind, Gleichaltrigen aufwachsen, viel ängstli- Kinder, deren Stressachse schon in der cher sind als die Artgenossen, die von der Schwangerschaft auf Bedrohung program- Mutter aufgezogen wurden. Diese sind miert wird, Armut und Hoffnungslosigkeit waghalsiger, darum aber auch gefährdeter. machen nicht nur einzelne Mitglieder so- Angst hat somit durchaus seine positive zial und beruflich dysfunktional, sondern Funktion. „Die Angst brauchen wir zum wirken sich – inzwischen global – auf Kol- Überleben. Sie ist nicht nur unangenehm. lektive aus. Den pathologischen Teil der Es ist etwas, das uns schützt, ein inneres Angst zu bearbeiten trägt zu psychischer Sicherungssignal. Das können auch Men- Gesundheit, Frieden und sozialem Mitei- schen lernen, die schon viel Angst aushal- nander bei.“ ten mussten in ihrem Leben“, sagt Maggie Ein Mensch ohne Angst ist für Thomas Schauer. Thomas Elbert abschließend: Elbert ein Mensch aus der Konserve, der „German Angst ist eigentlich etwas Kon- keinerlei „Reaktionsdisposition“ mehr struktives. Dadurch sind wir vorsichtig, es hätte, bei der Wahrnehmung von Gefahr nicht so weit kommen zu lassen. Insbe- angemessen zu reagieren. Es kommt je- sondere auch in Bezug auf unsere jungen doch auf die richtige Balance an, für die Männer und Frauen, die nicht in den Krieg die Basis bereits in der Schwangerschaft geschickt werden sollen.“ und beim Menschen in den ersten drei msp. Entwicklungsjahren gelegt wird. Bei Ber- Dr. Maggie Schauer leitet seit 2001 das Prof. Dr. Thomas Elbert ist Professor für „Kompetenzzentrum Psychotraumatologie“ der Klinische Psychologie und Verhaltensneuro Klinischen Psychologie an der Universität Kon- wissenschaften an der Universität Konstanz. stanz. Die Psychologin arbeitet in Therapie- und Seine vielfach beachteten Publikationen Hilfsprojekten in Kriegs- und Krisengebieten, umfassen methodologische Studien, Forschun- in Flüchtlingslagern nach humanitären- und gen zur Organisation und Selbstregulation des Naturkatastrophen, in Demobilisierungsprojekten Gehirns, zu Plastizität und deren Beziehung zu für Kindersoldaten und mit Überlebenden von Verhalten und Psychopathologie. Die Forschung Folter und Menschenrechtsverletzungen in den im Bereich der Klinischen Psychologie konzen- Herkunfts- und Fluchtländern. In Europa arbeitet trierte sich auf die Konsequenzen von traumati- sie mit Geflüchteten und Folterüberlebenden schem Stress. In Kollaboration mit Professor und bildet Psychotherapeuten und Helfer aus. Dr. Frank Neuner und Dr. Maggie Schauer Sie hat vivo international, eine Nichtregierungs- wurde die Narrative Expositionstherapie (NET) Organisation zur Prävention und Behandlung von entwickelt, eine kulturübergreifende Kurzzeit- traumatischem Stress, mitgegründet (–vivo.org) Intervention zur Reduzierung traumatischer und das Babyforum, ein Netzwerk von Fachkräf- Stress-Symptome bei Überlebenden organisier- ten zur Betreuung von Schwangeren, Vorsorge bei ter Gewalt, Folter, Krieg, Vergewaltigung und Kindswohlgefährdung und für frühe Hilfen. Kindesmissbrauch.
Titel Falsche Risiken Falsche Risiken Unser Entscheidungsverhalten gegenüber Risiken ist häufig irrational. Die Entscheidungs psychologen Prof. Dr. Wolfgang Gaissmaier und Dr. Hansjörg Neth geben Empfehlungen.
„Wir fürchten uns vor den falschen Dingen.“ Dr. Hansjörg Neth „Wir fürchten uns vor den falschen Dingen.“ Mit Anschlägen eine signifikante Abnahme von Passagie- diesen Worten spricht der Konstanzer Psychologe ren bei Inlandsflügen und beobachten zugleich einen Dr. Hansjörg Neth einen Umstand aus, der rational deutlichen Anstieg des Verkehrsaufkommens auf den so leicht zu begreifen ist – und der für uns dennoch Straßen, insbesondere auf Fernstraßen. Allerdings so schwer zu beherzigen ist. Zu fürchten haben wir, so ist das Risiko eines Verkehrsunfalls statistisch ge- scheint es zunächst, mehr als genug. Häufig reicht es, sehen um ein Vielfaches höher als das Risiko eines die Nachrichten einzuschalten: Bilder von Krieg, Ter- Flugzeugunglücks, selbst eingerechnet eines Ter- rorismus und Anschlägen prägen unseren derzeitigen roranschlags: Bereits die kurze Wegstrecke mit dem Medienalltag, dazu immer wieder Meldungen von Auto zu einem Flughafen ist riskanter als der sich Krankheitserregern, von gefährlichen Inhaltsstoffen, anschließende Flug. Um das Risiko eines Flugzeug- von schweren Unfällen und Katastrophen. „Heutzu- unglücks zu vermeiden, nahmen viele Menschen also tage haben viele Menschen das Gefühl, in den unsi- unbewusst ein größeres Risiko auf sich. „Tatsächlich chersten Zeiten überhaupt zu leben. Das Gegenteil ist gab es in den zwölf Monaten nach den Anschlägen richtig. Unsere körperliche Unversehrtheit ist aktuell ungefähr 1.600 Verkehrstote mehr als in den Vorjah- so sicher wie noch nie zuvor“, schildert Prof. Dr. Wolf- ren“, berichtet Gaissmaier von den indirekten Folgen gang Gaissmaier, Professor für Sozialpsychologie und des Terroranschlags. Entscheidungsforschung an der Universität Konstanz. Unser Umgang mit Risiken und Gefährdungen weist „Dread risks“ eine bittere Ironie auf, zeigt Gaissmaier: Um Risiken „Dread risks“ werden Ereignisse wie die Anschläge zu vermeiden, nehmen wir häufig noch wesentlich vom 11. September 2001 in der Entscheidungspsycho- größere Risiken in Kauf. Nur sind diese für uns un- logie genannt: Gemeint sind drastische Ereignisse, sichtbar. große Katastrophen, bei denen sehr viele Menschen Eine Paradebeispiel für ein fatales Risikoverhal- auf einen Schlag ums Leben kommen. Zudem zeich- ten sind die Folgen der Anschläge vom 11. Septem- nen sich „dread risks“ häufig dadurch aus, dass es ber 2001, als entführte Passagierflugzeuge ins World sich um Situationen handelt, in denen die betroffe- Trade Center stürzten. Wer könnte es Reisenden nen Menschen wenig Kontrolle über das Geschehen verdenken, angesichts dieser schrecklichen Ereig- haben: Sie sind den Ereignissen gewissermaßen aus- nisse das Flugzeug zu meiden und stattdessen lieber geliefert. ins Auto zu steigen? In der Tat verzeichnen die Ver- kehrsstatistiken der USA in den Monaten nach den
Titel Falsche Risiken Dr. Hansjörg Neth „Dread risks“ beeinflussen unser Risi- („pill scare“) aus dem Jahr 1995. Medien koverhalten in besonders starker Weise, zitierten eine Warnung des damaligen beobachten die Konstanzer Psychologen. britischen „Committee on Safety of Me- Drastische Schreckensszenarien wiegen dicines“, die Einnahme der Antibabypille in unserer Risikowahrnehmung schwerer verdopple das Thrombose-Risiko. In den als stillere Risiken, auch wenn sich letzte- Nachrichten klangen dieselben Zahlen re bei nüchterner Betrachtung oftmals als noch alarmierender: Sie sprachen von ei- viel gefährlicher herausstellen. S o fühlen ner „Steigerung des Risikos um 100 Pro- wir uns von der Möglichkeit eines Terror- zent“. Wären die Ergebnisse der Studie, anschlages bedroht, fürchten uns jedoch in die der Warnung zugrunde lag, hingegen den seltensten Fällen allzu sehr vor einem in absoluten Zahlen ausgedrückt worden, Herzinfarkt – obwohl der Herzinfarkt zu so hätten sie vermutlich für weitaus we- den häufigsten Todesursachen in Mittel- niger Aufsehen gesorgt: Die Verdopplung europa zählt und jährlich weitaus mehr des Risikos bedeutete in diesem Fall näm- Todesfälle nach sich zieht als terroristi- lich einen Anstieg von einer thrombose- sche Anschläge. erkrankten Frau aus 7.000 Testpersonen auf insgesamt zwei, was natürlich kein Ein Problem der Darstellung Null-Risiko darstellt, aber eine nüchter- „Das eigentliche Problem ist in vie- nere Abwägung des Risikos ermöglicht. len Fällen die Art der Darstellung des Hansjörg Neth fordert daher Aufklä- Risikos“, schildert Hansjörg Neth. Das rungsarbeit in Hinblick auf die Darstel- betrifft die mediale Berichterstattung zu lung und Bewertung von Risiken. Daten Katastrophen ebenso wie ganz alltägliche zu Wirkungen und Nebenwirkungen von Hinweise auf Risiken. „Der Nutzen eines Medikamenten sollten in leicht verständ- Medikaments wird gern in relativen Häu- lichen Faktenübersichten dargestellt wer- figkeiten dargestellt, zum Beispiel: ‚Bei den, empfiehlt Neth – und zwar einheitlich 70 Prozent der Patienten trat eine Ver- in absoluten Zahlen, da sie aussagekräfti- besserung ein‘“, zeigt der Psychologe auf. ger sind. Zudem solle in der Schulmathe- „Wenn es aber um mögliche Nebenwir- matik ein stärkerer Fokus auf statistisches kungen geht, werden diese in absoluten Denken gelegt werden, fordert Neth: „In Zahlen ausgedrückt: ‚Nur eine von 10.000 Schule und Ausbildung wird noch immer Personen hat einen Schaden davongetra- vorrangig die ‚Mathematik der Sicherheit‘ gen‘“, illustriert Neth. Die unterschiedli- gelehrt. Aber während wir als Erwachse- che Darstellungsweise bringt eine andere ne von Algebra bis Trigonometrie meist Gewichtung mit sich, die Zahlen wirken je nur noch die Grundrechenarten brauchen, Literaturhinweis: nach Darstellung bedrohlicher oder we- rächt sich der stiefmütterliche Unterricht Gaissmaier, W., & Neth, H. (2016). Die Intelligenz einfacher Entscheidungsregeln in einer ungewis- niger bedrohlich. Ein bekanntes Beispiel in angewandter Statistik, einem der nütz- sen Welt. Controller Magazin, 2, 19–26. hierfür ist der sogenannte „Pillenskandal“ lichsten Teile der Mathematik.“
Risiko vs. Ungewissheit wird. Der Entscheidungspsychologe rät, Wie sollten wir aber mit Risiken um- bei „Ungewissheit“ auf einfache Lösungs- gehen? Bei unserem Entscheidungsver- modelle zu vertrauen: „Bei vielen Ent- halten gegenüber Gefährdungen unter- scheidungen ist es ratsam, lediglich auf scheiden Psychologen zwischen „Risiko“ einen guten Grund zu setzen und die rest- und „Ungewissheit“. Mit „Risiko“ ist eine lichen Gründe zu ignorieren, weil diese Situation gemeint, zu der uns konkrete vom Wesentlichen ablenken und nur alles Informationen und Daten vorliegen, bei- komplizierter machen.“ spielsweise zu den Nebenwirkungen eines „Je berechenbarer eine Situation ist, Medikaments. Die wesentlichen Fakto- desto mehr brauchen wir statistisches ren eines riskanten Ereignisses und die Denken und komplexe Modelle. Je un- Wahrscheinlichkeit seines Eintretens sind berechenbarer eine Situation ist, desto uns bekannt, die Situation ist in gewisser mehr brauchen wir einfache Heuristi- Weise „berechenbar“. Bei Entscheidungen ken, einschlägige Erfahrung und Ver- unter Risiko helfen uns Logik und statis- trauen auf Intuition“, fassen Wolfgang tisches Denken: Wir können die Wahr- Gaissmaier und Hansjörg Neth in ih- scheinlichkeiten durchrechnen und unser rer Publikation „Die Intelligenz ein- Verhalten nach den bestmöglichen Ergeb- facher Entscheidungsregeln in einer nissen ausrichten. Es empfiehlt sich in ungewissen Welt“ (Controller Maga- solchen Fällen, möglichst viele Informa- zin, 2016) zusammen. „Die Kunst des tionen zusammenzutragen und auf deren guten Entscheidens besteht darin, zu Grundlage zu entscheiden. wissen, wo auf diesem Kontinuum wir Ganz anders sieht der Fall hingegen bei uns befinden, um das jeweils passende einer Entscheidung unter „Ungewissheit“ Entscheidungswerkzeug geschickt aus- aus. Gemeint ist eine Situation, zu der uns zuwählen.“ keine oder nur wenige Informationen vor- gra. liegen, anhand derer wir uns orientieren könnten. Die Wahrscheinlichkeiten sind unbekannt, der Ausgang der Ereignisse ist nicht abschätzbar. „Eine Strategie des Durchrechnens würde sofort scheitern: Zu viele Unbekannte, zu viel Ungewiss- heit“, schildert Neth. Anders als bei Ent- scheidungen unter „Risiko“ hilft hier das Sammeln von Informationen in der Regel nicht weiter und kann die Entscheidung sogar erschweren, weil der Fall durch zu- sätzliche Faktoren eher verkompliziert Prof. Dr. Wolfgang Gaissmaier „Heutzutage haben viele Menschen das Gefühl, in den unsichersten Zeiten überhaupt zu leben. Das Gegenteil ist richtig. Unsere körperliche Unversehrtheit ist aktuell so sicher wie noch nie zuvor.“ Prof. Dr. Wolfgang Gaissmaier
Titel Für eine faktenbasierte Chemikalienbewertung Für eine faktenbasierte Chemikalien bewertung Umwelttoxikologe Prof. Dr. Daniel Dietrich diagnostiziert eine von falschem Alarmis mus geprägte öffentliche Wahrnehmung von Chemikalien. Er plädiert für einen faktenbasierten, wissenschaftlichen Um gang mit dem Thema.
„Um Gottes Willen, bloß weg damit! Einfach ver- 2016) plädiert Daniel Dietrich für einen faktenbasier- bieten, besser heute als morgen.“ Dieser Impuls ist ten, wissenschaftlichen Umgang mit der Frage nach wohl allzu menschlich, wenn man Medienberichte der Zulassung und dem Verbot von Chemikalien. und öffentliche Diskussionen zu umstrittenen Che- mikalien verfolgt. Die Faktenlage ist oft ungewiss, Das Vorsorgeprinzip doch allein der Verdacht, ein unsichtbarer und un- Die Chemikalienverordnung der Europäischen greifbarer Stoff könnte unsere Gesundheit beein- Union (EU) basiert auf dem Vorsorgeprinzip. Ge- trächtigen, lässt unwillkürlich den Wunsch aufkom- meint ist damit, dass Schäden an der Umwelt und men, die Chemikalie ungeachtet aller Konsequenzen Belastungen der Gesundheit vorbeugend vermieden zu verbieten. In manchen Fällen zu Recht, in anderen werden, auch – und insbesondere – bei unvollstän- zu Unrecht. diger Wissenslage. „Wenn der Verdacht besteht, eine Chemikalien sind in der Tat ein Reizwort in der Chemikalie könnte schädlich sein, wird versucht, sie öffentlichen Wahrnehmung. Zulassungen und Ver- möglichst von Anfang an aus dem Verkehr zu zie- bote von chemischen Stoffen sind häufig kontrovers. hen“, erläutert Daniel Dietrich. „Im Prinzip ist die- Debatten dazu werden in Zeitungen, Fernsehen und ser Gedanke nicht schlecht, aber er ist unausgereift“, Diskussionsforen sehr emotional geführt, sachliche fährt der Umwelttoxikologe fort. Das Problem dieser Argumente vermischen sich mit unterschwelligen Regelung ist, dass sie selbst dann greift und rechtlich Ängsten und politischen oder wirtschaftlichen In bindend ist, wenn keine wissenschaftliche Gewiss- teressen. Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat etwa ist ein prominentes Beispiel für eine langanhaltende und erbitterte Diskussion, ebenso das Für und Wider „Wenn genügend Leute ‚Wolf‘ von Impfungen sowie endokrine Disruptoren im All- schreien, dann muss ja schon fast gemeinen – also Stoffe, die potenziell das Hormon- ein Wolf da sein. Auch wenn system beeinflussen. Bei diesen Diskussionen lässt sich nur schwer abgrenzen, wo stichhaltige Daten alle Evidenzen zeigen: Wir haben vorliegen, wo falsche Ängste geschürt werden und keine Wölfe.“ wo ein ungutes Bauchgefühl der Wortführer ist. Ri- siken und Potenzial von Chemikalien sind für den Prof. Dr. Daniel Dietrich Laien schwer einzuschätzen. Ebenso schwierig ist zu erkennen, welche sinnvollen Alternativen zu einer Chemikalie es überhaupt gibt. Zu den Experten im Bereich der Chemikalien- heit vorliegt, ob die Chemikalie tatsächlich schäd- prüfung gehört Prof. Dr. Daniel Dietrich, Professor lich ist. „Nur schon auf Verdacht hin können diese für Ökotoxikologie an der Universität Konstanz. Der Stoffe gesperrt werden, ohne dass abzusehen ist, was Toxikologe bedauert die aktuelle öffentliche Dis- für eine Potenz und Wirkung sie haben.“ Daniel Diet- kussionskultur zu Chemikalien, die sehr häufig von rich sieht darin eine Umkehr der gültigen Rechtspre- Ängsten geleitet und von pseudowissenschaftlichem chung. Diese basiert auf dem Prinzip „unschuldig bis Halbwissen befeuert werde. In einem Kommentar im zum Beweis der Schuld“. Chemikalien sind hingegen Wissenschaftsmagazin Nature (Ausgabe vom 21. Juli schuldig bis zum Beweis der Unschuld.
Titel Für eine faktenbasierte Chemikalienbewertung Prof. Dr. Daniel Dietrich ist seit 1996 Professor für Human- und Umwelttoxikologie und war von 1996 bis 2003 Direktor des EUREGIO Ökotoxi- kologie Service Labors (EÖSL) an der Universität Konstanz. Von 1995 bis 1996 war er außeror- dentlicher Professor und von 1996 bis 2005 Adjunkt Professor für Toxikologie an der Univer sität Pittsburgh, USA.
Harte Daten „Wenn der Verdacht besteht, eine „Wir brauchen harte Daten“, fordert Chemikalie könnte schädlich Daniel Dietrich. Die Zulassung und Sper- rung von Chemikalien müsse auf fakten- sein, wird versucht, sie möglichst basierter, wissenschaftlicher Grundlage von Anfang an aus dem erfolgen und nicht auf bloßen, unbestä- Verkehr zu ziehen. Im Prinzip ist tigten Verdacht hin. Durch wissenschaft- dieser Gedanke nicht liche Überprüfung und transparente, verlässliche Daten solle die Beweislage schlecht, aber er ist unausgereift.“ geschaffen werden, auf deren Grundlage über „Schuld“ oder „Unschuld“ der jewei- Prof. Dr. Daniel Dietrich ligen Chemikalie befunden wird. Ein vor- schnelles Verbot, macht Dietrich aufmerk- sam, ist kein salomonisches Urteil, denn es kann Schäden für die Gesellschaft nach sich ziehen. Verbote wirken sich auf sehr weitreichende Anwendungsbereiche aus, die unser alltägliches Leben direkt betref- fen: Von Plastikstoffen in Autos, Häusern und Alltagsgegenständen über Inhalts- stoffe in Leimen und Farben bis hin zu Medikamenten. „Die Stoffe müssen durch etwas ersetzt werden. Ist das Ersatzpro- dukt gleich gut oder schlechter? Besser ist Falscher Alarmismus zumeist schwierig“, zeigt der Umweltto- Die gegenwärtige Tendenz vorausgrei- xikologe auf. Aus qualitativen, aber auch fender Verbote auf bloßen Verdacht hin aus Kostengründen sind viele Ersatzstof- ist für Daniel Dietrich exemplarisch für fe nicht praktikabel für Anwendungen in ein Diskussionsklima, das auf Angst und Wissenschaft und Industrie. Bevor also Alarmismus basiert. „Die Einschätzung schlechtere Ersatzstoffe implementiert von Risiken ist in den Medien oft sehr werden, so Dietrich, sollte zunächst fak- überzogen“, schildert Dietrich, „frei nach tenbasiert geklärt werden, ob dies über- dem Motto: Wenn genügend Leute ‚Wolf‘ haupt nötig ist und ob der Originalstoff schreien, dann muss ja schon fast ein Wolf tatsächlich schädlich ist. da sein. Auch wenn alle Evidenzen zeigen: Wir haben keine Wölfe.“ Daniel Dietrich ruft seine Wissenschaftskollegen dazu auf, sich in öffentliche Debatten zu Chemikali- en einzubringen und falschem Alarmismus mit einer faktenbasierten Argumentation zu begegnen. Angst vor den Chemikalien- richtlinien bräuchten wir nicht zu haben, beruhigt der Umwelttoxikologe: „Wir ha- ben ein sehr ausgewogenes Risikobewer- tungssystem. Unsere Lebenserwartung hat massiv zugenommen, weil unsere Le- bensqualität – angefangen bei Wasser und Lebensmitteln bis hin zu Medikamenten und Industrieprodukten aller Art – einen so hohen Standard erreicht hat.“ gra.
Titel Eine fatale Attraktion Dr. Gilda Giebel war von 2013 bis 2016 akademi- sche Mitarbeiterin in der Arbeits- gruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz. Sie wurde 2013 in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Thomas Elbert (Klinische Psychologie und Neuropsychologie) promoviert. Seit Juli 2016 arbeitet Gilda Giebel als Psychologin im Strafvollzug. Dr. Gilda Giebel war Mitarbeiterin des inter- disziplinären Verbundprojekts „Tat- und Fall- analysen hochexpressiver zielgerichteter Gewalt“ (TARGET), an dem die Universität Konstanz mit der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie beteiligt war. Zum Abschluss des Projektes erschien im Journal „Kriminalistik – Schweiz“ ihr Aufsatz „Attentate an Schu- len“, in dem sie gemeinsam mit den Co-Auto- ren Dr. Astrid Rossegger und Prof. Dr. Jérome Endrass die Amok-Fälle an deutschen Schu- len mit dem Attentat an der Columbine High School verglich.
Eine fatale Attraktion Das Attentat in der Columbine High School im Jahr gefunden, dass es vor Columbine kaum school shoo- 1999 gilt als Prototyp für Attentate an Schulen. tings gab. Amok-Fälle allgemein sind in Deutschland Warum? im Laufe der Jahre weniger geworden, die in Schulen Das Attentat an der Columbine High School er- sind seit 1999 angestiegen. Das führen wir auf Colum- regte 1999 weltweit Aufsehen. Bis dahin waren keine bine zurück. „school shootings“ dieses Ausmaßes bekannt. Es gab 15 Todesopfer und 24 Verletzte. Eine der Besonder- Wie sieht die Situation in Deutschland aus? heiten war, dass die beiden Attentäter den Amok- Um das herauszufinden, haben wir erst einmal ge- lauf ungefähr ein Jahr im Voraus geplant hatten. Sie schaut, welche Gemeinsamkeiten die Schulattentate haben sich in der Zeit illegal Waffen besorgt. Auch in Deutschland mit dem Amok-Fall an der Columbi- die Selbstdarstellung der Täter war neu. Sie haben ne High School haben. Eine kooperierende Arbeits- Tagebuch geführt, in dem sie ihren Hass dokumen- gruppe des TARGET-Verbundprojekts hat so über eine tierten, und sogenannte „Basement Tapes“ auf ihre Medien-Analyse zwischen den Jahren 1999 und 2012 Homepage gestellt, in denen sie die Gründe für das elf Fälle in Deutschland identifiziert. Es gab nur einen Attentat erklärten. Sie wollten mit ihrer „Revolution Fall, der an Columbine heranreichte, wobei sich der der Ausgestoßenen“ berühmt werden. Prototypisch Täter tatsächlich auch auf Columbine bezog. Das war sind beispielsweise auch die Suizide der beiden Täter, der erste Fall-Typ von insgesamt fünf Fall-Typen, die die sogenannte Mehrfachtötung oder die willkürliche wir anhand von Kriterien wie Selbst- und Mehrfach- Opferwahl. tötung von Menschen, Täter-Profilen oder Schuss- waffengebrauch identifiziert haben. Interessant sind Das Attentat von Columbine hat Folgen bis heute. auch die eher situativen Fälle. Hier wurden die At- Fünfzig Tage nach dem Attentat waren im US- tentate nur ein, zwei Tage vorher geplant, die Täter Bundesstaat Pensylvania 354 Drohungen von Schul- hatten aber zum Beispiel über das Elternhaus leichten gewalt gemeldet, zuvor gab es höchsten zwei im Jahr. Zugang zu Schusswaffen. Sie konnten zum Teil ein- Acht von zwölf Schul-Attentätern, die zwischen 1999 fach in den Schrank greifen, sich die Waffe nehmen und 2007 ihre Tat in den USA ausführten, bezogen und damit in die Schule gehen. sich direkt auf Columbine. Eine Studie hat heraus-
Titel Eine fatale Attraktion Wo stammen die Schusswaffen her, Kann man sagen, je verfügbarer Schuss- suizidal und wollen sich an denen rächen, die eingesetzt wurden? waffen sind, desto schwerwiegender die angeblich für ihre Situation verant- Bei den elf Schul-Amokfällen stamm- ist der Ausgang von Amok-Läufen an wortlich sind. Viele beschäftigen sich in- ten die Waffen in vier Fällen aus dem El- Schulen? tensiv mit Amok-Fällen. Sie identifizie- ternhaus. In einem Fall war es sogar so, Ja. Unter den elf Fällen sind drei Tä- ren sich immer mehr mit den Tätern und dass der Vater seinem 14-jährigen Sohn ter, denen es trotz großer Bemühungen wollen sie nachahmen. Sie ziehen sich eine Schusswaffe in die Hand drückte, nicht gelungen ist, an Schusswaffen zu nach und nach von der Realität zurück. mit er sich sich beim Schießtraining im gelangen. Sie haben die Tat deswegen im- Besonders ist auch, dass diese Täter in ih- Keller abreagieren sollte. Der Sohn hat mer wieder rausgezögert, sie dann aber rer Vorgeschichte meist keine delinquente sie dann mit in die Schule genommen. In doch ausgeführt. Die waren so tatmoti- Entwicklung aufweisen. Die meisten sind einem einzigen Fall hat sich der Täter die viert, dass davon auszugehen ist, dass es sehr angepasst, reden nicht über Proble- Waffe auf mehr oder weniger legale Wei- sehr viele Opfer gegeben hätte, wenn sie me, sondern fressen alles in sich rein, ma- se beschafft. Er ist in den Schützenverein Schusswaffen gehabt hätten. Schließlich chen alles mit sich selber aus, mit ihrem eingetreten und hat den Waffenschein sind Waffen zum Töten und Verletzen von Tagebuch oder mit Internetforen, auf de- gemacht. In allen Fällen haben die Tä- Menschen und anderen Lebewesen da. nen sie anonym bleiben können. ter versucht, an Schusswaffen heranzu- kommen. Das ist gar nicht so leicht. Bei Wie sieht ein typisches Täterprofil von Sie haben oben von dem Nachahmeffekt denjenigen, die es nicht geschafft haben, Schul-Attentätern aus? des Schulattentates an der Columbine gibt es entweder keine Todesopfer oder Die Täter sind noch sehr junge Men- High School aufgrund der Berichterstat- zumindest keine Mehrfachtötungen. Üb- schen mit einer narzisstischen Persön- tung erzählt. Wie sehen Ihre Schluss rigens auch keine Selbsttötungen, weil lichkeit. Sie sind leicht kränkbar, fühlen folgerungen aus? das ohne Schusswaffen auch nicht ein- sich äußerst unwohl und der Gemein- Es gibt einen Lehrfilm – „Media Run- fach ist. schaft nicht zugehörig. Viele sind auch ning Amok?“ –, der an der FU Berlin ge-
dreht wurde. Er macht darauf aufmerksam, dass die nerzahl haben wir hierzulande kein großes Problem Attentäter auf eine fatale Weise so dargestellt wer- mit Amok-Fällen an Schulen. Natürlich brauchen den, dass sie manchen Jugendlichen geradezu als wir, um wissenschaftliche Aussagen zu machen, eine Helden erscheinen. Wenn zum Beispiel der Name möglichst große Fallzahl. Da spricht man schon mal genannt wird oder wenn es heißt, er habe mit seiner schnell von hohen Fallzahlen, wo es, wenn man ge- Umwelt abrechnen wollen. Selbst wenn er als Mons- nauer hinschaut, gar nicht so ist. Damit wird auch ter bezeichnet wird, kann das als attraktiver „Nach- Panik erzeugt. Es ist notwendig, strenge Definitions- ruf“ erscheinen. Das ist ähnlich wie bei der Bericht- kriterien zu definieren. erstattung über Suizide, nach der sich in den ersten Das Gespräch führte Maria Schorpp. sieben Tagen die Zahl der Suizide unter Jugendlichen signifikant erhöht. Das kann tatsächlich Nachahmer erzeugen. Aus Präventionsgründen ist es besonders wichtig, über school shootings sachlich und angemes- sen zu berichten. In dem Zusammenhang sprechen Sie auch die Wis- senschaft an. Originalpublikation: Das gleiche gilt auch für die Wissenschaft. In jün- geren Veröffentlichungen wurde sowohl behauptet, Gilda Giebel, Astrid Rossegger, Jérome Endrass: Attentat an Schulen. Deutschland käme bei der Häufigkeit von Schul-At- Ein forensisch-psychologischer Vergleich aller tentaten gleich nach den USA, als auch, dass es nicht Fälle von Attentaten an Schulen Deutschlands angemessen sei, von einer hohen Rate zu sprechen. mit dem Attentat an der Columbine High School. Das ist sehr definitionsabhängig. Relativ zur Einwoh- In: Kriminalistik – Schweiz, 4/2016, 260 – 266. Zum Trailer des Lehrfilms „Media Running Amok“: – target-projekt.de/index.php?id=6 Der Forschungsverbund „Tat- und Fallanalysen hochexpressiver zielgerichteter Ge- walt“ (TARGET) untersuchte deutsche Fälle hochexpressiver, zielgerichteter Gewalt durch jugendliche Einzeltäter unter verschiedenen Perspektiven. Das Projekte wurde von 2013 bis 2016 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 3,26 Millionen Euro unterstützt. Ziel war, den Entwicklungsprozess im Vorfeld, den konkreten Ablauf und die soziale Rahmung solcher Taten zu beschreiben und interdisziplinär konsensfähige, empirisch- begründete Entwicklungsmodelle zu erarbeiten. In TARGET kooperierten neben der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz der Arbeitsbereich Entwicklungswissenschaft und Angewandte Entwicklungspsy- chologie der FU Berlin, das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, die Professur für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug der Justus-Liebig-Universität Gießen, das Fachgebiet Kriminologie und interdisziplinäre Kriminal- prävention der Deutschen Hochschule der Polizei Münster sowie das Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement Darmstadt.
Titel Verfilmte Angst Verfilmte Angst Der Soziologe Nils Meise erforscht die Medien strategien von Extremisten Es sind Bilder, die kein Zeitzeuge je vergessen am Fernseher mitzittern, man war live dabei. Das war würde: Die Aufnahmen der einstürzenden Türme der perfide Erfolg des Terrorakts: Zum einen der tra- des World Trade Centers am 11. September 2001, gische Tod tausender Menschen. Zum anderen, dass die an jenem Tag – und viele Tage später noch – in die Welt gesehen hat, wie es passiert ist.“ einer Dauerschleife in den Nachrichten gezeigt wur- Nils Meise erforscht die Medienstrategien von den. „Der 11. September 2001 war die große Wende: Extremisten, insbesondere anhand von audiovisu- Plötzlich sah man eine neue Qualität des Terroris- ellen Medien: Filmaufnahmen von Anschlägen und mus – und eine neue Medienpräsenz“, schildert der Hinrichtungen, Onlinepropaganda, Bekennervideos Konstanzer Soziologe Nils Meise. „Vom Timing her und Selbstdarstellungen der Extremisten sowie das waren die Anschläge nicht an Medienwirksamkeit zu Medienkalkül, das hinter diesen Aufnahmen steckt. übertreffen. Der Anschlag fand in den frühen Mor- Wie stellen sich die Extremisten selbst dar, welche genstunden statt. Zur ersten Hauptnachrichtenzeit ihrer Bilder werden von den Massenmedien aufge- des Tages waren die Bilder vor Ort in den Medien, griffen? Der Konstanzer Soziologe interessiert sich zum Nachmittag dann in Zentraleuropa, so dass eine dabei insbesondere für die Art und Weise, wie diese größtmögliche weltweite Aufmerksamkeit vorhanden Filme gestaltet sind, wie sie auf Menschen wirken war. Beim Einsturz des zweiten Turms konnte man und Emotionen hervorrufen: Welche Bilder werden
„Die Wirkung der Propa- gandafilme darf man nicht überschätzen: Die Fälle selbstständiger Radikalisie- rungen – also ohne weitere Kontakte zu Extremisten – sind sehr gering.“ Nils Meise ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Geschichte und Soziologie. Mit einem mediensoziologischen Schwerpunkt forscht er zur Frage, wie Emotionen hervorgeru- fen werden, insbesondere im Bereich der Sicher- heits- und Extremismusforschung, sowie über den Umgang mit dem Tod. Aktuell arbeitet er an einer Dissertation zum Thema „Medienspektakel: Emotionale Mobilisierung und die Inszenierung des Todes in (live) Fernsehübertragungen“.
Titel Verfilmte Angst eingesetzt, welche Symbole werden auf- Mitstreitern, die sich für einen solchen gerufen, welche kulturellen Anker und Lebensstil interessieren könnten. Narrative – Erzählungen, an die der Zu- Ein drittes, wenn auch in seiner media- schauer anknüpfen soll – werden aufge- len Wirkung weitaus weniger erfolgreiche griffen? „Was abgenommen hat, ist der Genre sind die sogenannten „Sprechen- Angriff auf große Symbole wie das World den Köpfe“: Interviewaufnahmen von Trade Center“, zeichnet Nils Meise einen Autoritäten in der ideologischen Struktur Strategieumschwung der extremistischen der Terrororganisation, die über ideolo- Medienlogik nach: „Jetzt ist es der Alltag, gische Hintergründe sprechen. „Da pas- der zum Ziel wird.“ siert medial nicht sehr viel. Die Interviews werden inzwischen etwas ansprechender Terrorismus als „Propaganda der Tat“ untermalt, aber es ist zweifelhaft, wie „Was in den gegenwärtigen Filmen des von Nachrichtenteams und unbeteiligten viel Attraktionskraft dieses Genre hat“, so IS sehr professionell gemacht wird ist die Augenzeugen der Tat. Es ist Teil des ex- Nils Meise. Einbindung von Audioelementen, die Un- tremistischen Medienkalküls, dass Bilder termalung durch Kampfgesänge, um die der Gewalttaten von Nachrichtensendern Wie reagieren? Bilder noch stärker zur Geltung zu brin- aufgegriffen sowie über Social Media vi- Aktuell herrscht eine große gesell- gen. Die Bilder werden teils auf Spielfilm- ral verbreitet werden. Dass solche Film- schaftliche Unsicherheit, wie mit solchen qualität präsentiert“, schildert Meise. Die aufnahmen Einzug in die Massenmedien Propagandavideos – insbesondere im extremistischen Filme haben ihre eigene halten ist ein Dilemma des Journalismus: kaum regulierbaren Internet – umzuge- mediale Logik, ihre eigene Medienstrate- Einerseits sind Journalisten auf ihnen hen ist. Nils Meise kann beruhigen: „Die gie – und ihre eigenen Genres. Terroris- zugespieltes Bildmaterial angewiesen, Wirkung der Propagandafilme darf man mus könnte als die „Propaganda der Tat“ um über Ereignisse berichten zu können. nicht überschätzen: Die Fälle selbststän- bezeichnet werden, und sein erfolgreichs- Andererseits handelt es sich um Aufnah- diger Radikalisierungen – also ohne wei- tes Genre setzt auf spektakuläre Bilder: men, die unter keinerlei journalistischer tere Kontakte zu Extremisten – sind sehr Gemeint sind Aufnahmen von Anschlä- Qualitätssicherung entstanden sind, die gering. In Deutschland gibt es bislang gen und Gewalt, von Explosionen, Schüs- gefälscht sein oder in falschem Kontext nur einen bekannten Fall.“ Das wichtigs- sen und Hinrichtungen. Diese Filme sollen stehen könnten. Indem sie jedoch von te Propagandamedium der Extremisten durch ihre extremen und verstörenden In- Nachrichtensendern aufgegriffen werden, ist das klassischste aller Medien – die halte Aufmerksamkeit schaffen, sie sollen erhalten diese Aufnahmen ein gewisses persönliche Ansprache, das persönliche die ausgemachten Feinde einschüchtern journalistisches Qualitätssiegel, werden Netzwerk, der persönliche Kontakt. Den- und die potentiellen Anhänger beeindru- als authentisch bezeugt. „Wie das häufig noch ist ein kritischer Umgang mit extre- cken. so ist, doppeln sich auch Bilder“, gibt Nils mistischen Videos wichtig. Journalisten Vor allem aber sind diese Aufnahmen Meise ein Beispiel: „Dann taucht ein und und Nachrichtensendern empfiehlt Meise auch ein Versuch, in die Massenmedien zu dasselbe Bild einer Explosion, die im Irak eine sachliche Berichterstattung, die sich gelangen. Dabei spielt es keine Rolle, ob stattgefunden hat, später erneut auf, mit möglichst nicht für die Person der Täter es sich um selbstproduzierte Videos der dem Hinweis, das Bild sei im nördlichen und die genauen Tatmittel interessiert, Extremisten handelt oder um Aufnahmen Syrien entstanden.“ Ein zweites Genre könnte als „Lebens- welt“ bezeichnet werden. Die Extremis- ten porträtieren in diesen Videos einen idealisierten Alltag: Die Schilderung von Gemeinschaft unter Gleichgesinnten, die Darstellung des alltäglichen Lebens in den von ihnen kontrollierten Regionen, immer wieder das Training mit Waffen. „Sie versuchen, einen idealisierten Alltag des Kämpfers darzustellen“, erläutert Nils Meise. Das vorwiegende Ziel dieser Filme ist die Attraktion von potenziellen neuen
„Der 11. September 2001 war die große Wende: Plötzlich sah man eine neue Qualität des Terrorismus – und eine neue Medienpräsenz.“ Nils Meise um Nachahmungseffekte zu vermeiden. Für die breite Öffentlichkeit sollte fer- ner die Schulung von Medienkompetenz eine zentrale gesellschaftliche Maßnah- me sein, möglichst als fester Bestandteil der schulischen Lehrpläne: Wer gelernt hat, Filme zu hinterfragen und Bilder einzuordnen, ihre Machart zu erkennen und ihre Wirkungsstrategien zu durch- schauen, hat einen distanzierten Blick auf Propaganda. Die wichtigste Schutzstrategie hat je- doch gar nichts mit Filmen zu tun: „Ein stabiles soziales Netzwerk, das Halt gibt“, zeigt Soziologe Nils Meise auf: „Das kann Familie sein, das kann Erwerbsarbeit sein. Die Gesellschaft sollte vermeiden, dass Personen sich ausgeschlossen fühlen, dass sie sich an den sozialen Rand gedrängt fühlen.“ gra.
Forschung Die Straßen des Honigs „Die Straßen Die Biene, gerade die Honigbiene, hat umgegangen wird. Er brachte eine große ber von Blüten. Ohne Bienen wäre nicht eine lange gemeinsame Geschichte mit Vielfalt von Eindrücken mit, die unter nur die Apfelernte schlecht, sondern die dem Menschen. „Honigbienen sind ein dem Titel „Die Straßen des Honigs“ zu Pflanzenvielfalt würde generell abneh- Kulturprodukt“, sagt Prof. Dr. Giovanni sehen sein werden. „Das ist eine sehr auf- men. Weltweit gibt es 20.000 verschiede- Galizia, der sich an der Universität Kon- regende, auch eine ästhetisch sehr schöne ne Bienenarten und allein in Deutschland stanz mit Bienen und anderen staatenbil- Geschichte“, sagt Giovanni Galizia. Für 500 weitere Arten neben der Honigbiene. denden Insekten beschäftigt. „Die Honig- dieses besondere Ausstellungsprojekt ha- Hummeln zählen dazu, auch solitäre Bie- biene gehört zu den Haustieren wie Kühe ben sich der Konstanzer Imkerverein, die nen. Viele Bienen bilden Staaten, wobei oder Schweine. Als landwirtschaftliches Stadt Konstanz und die Universität Kon der Bienenstaat ein Zusammenschluss Tier wurde sie über viele tausend Jahre auf stanz zusammengeschlossen. vieler Tiere ist, die gemeinsam Futter den Honigertrag hin gezüchtet“. sammeln, ein Nest aufbauen und die Brut Begleitende Vorlesungsreihe versorgen. Auch die Ameise als eng ver- Fotografien zeigen „Die Straßen Die Universität beteiligt sich mit ei- wandte staatenbildende Art wird in der des Honigs“ ner sechsteiligen Vorlesungsreihe, die die Vorlesungsreihe mit berücksichtigt. Ab 29. Oktober 2016 wird eine Aus- Ausstellung begleiten wird. Jeweils mitt- Éric Tourneret hat seine Fotografie stellung mit Fotografien des franzö- wochs um 18 Uhr werden namhafte Wis- darauf fokussiert, wie Menschen unter- sischen Fotografen Éric Tourneret im senschaftlerinnen und Wissenschaftler schiedlicher Kulturen mit Honigbienen BildungsTURM des Konstanzer Kultur- im BildungsTURM die Welt der „Bienen“ umgehen – eine Perspektive, die durch die zentrums dem Leben der Honigbienen unter verschiedensten Gesichtspunkten Vorlesungsreihe erweitert wird. „Wir ha- nachspüren. Tourneret ist um die Welt ge- beleuchten. Bienen sind ein wichtiger Teil ben hochkarätige Gäste aus ganz Deutsch- reist, um zu dokumentieren, wie mit Ho- des Ökosystems – als Futter für Vögel und land und hervorragende Wissenschaft- nigbienen in unterschiedlichen Kulturen andere Tiere, dann aber auch als Bestäu- ler der Universität Konstanz dabei und
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