Uniulm intern Das Ulmer Universitätsmagazin
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2 | Rubrik Editorial ,Thema, Titel Liebe Leserinnen und Leser, 1967 gegründet, ist die Universität Ulm mit ihren Wir möchten die Feierlichkeiten auch nutzen, um Foto: Eberhardt/kiz 50 Jahren die jüngste Landesuniversität. uns bei allen Partnern zu bedanken, die uns auf In diesem halben Jahrhundert hat sich die einstige dem Weg zum 50. Geburtstag begleitet und un- Medizinisch-Naturwissenschaftliche Hochschule terstützt haben. Der Erfolg lässt sich an hohen hervorragend entwickelt: Während die ersten rund Drittmitteleinwerbungen und an hervorragenden 60 Studierenden unter beengten, provisorischen Platzierungen in internationalen Hochschulran- Bedingungen in der Ulmer Innenstadt lernten, ist kings ablesen: Wir sind zum wiederholten Male die Uni heute Teil der florierenden Wissenschafts- die beste junge Uni Deutschlands! Mit 50 ist eine stadt auf dem Eselsberg. Inzwischen studieren Universität im Jugendalter. Deshalb freue ich mich fast 11 000 junge Menschen in über 60 Studi- darauf, die nächsten Jahre an unserer aufstreben- engängen an unserer Universität. Rund um den den Forschungsuniversität mitzugestalten. Campus haben sich neben Forschungsinstituten und Kliniken der Maximalversorgung rund 90 Un- Ich wünsche viel Spaß beim Lesen dieser Jubilä- ternehmen – vom Start-up bis zum Konzern – an- umsausgabe. gesiedelt. So wird der Ulmer Gründungsgedanke Prof. Michael Weber von der engen Verknüpfung der Grundlagenfor- schung mit der Anwendung bis heute gelebt. Ihr Im Jubiläumsjahr wollen wir jedoch nicht nur in die Vergangenheit schauen, sondern uns weiter- Prof. Dr.-Ing. Michael Weber hin dem nationalen und internationalen Wettbe- werb stellen. Als dynamische Forschungsuniver- sität mit zukunftsweisenden Schwerpunkten sind wir für künftige Herausforderungen hervorragend gerüstet. In dieser Sonderausgabe unseres Uni- versitätsmagazins können Sie sich sowohl über die Universitätsgeschichte als auch über unsere aktuellen wissenschaftlichen Schwerpunkte infor- mieren. Weitere Einblicke bieten Vortragsreihen im Jubiläumsjahr und vor allem auch die lange Nacht der Wissenschaft am 21. Juli. Im Namen der Universitätsmitglieder würde ich mich freuen, Sie bei unseren Geburtstags-Veranstaltungen in der Stadt und auf dem Campus begrüßen zu dürfen. uni ulm intern 339/Februar 2017
Inhalt | 3 Inhalt Campus 50 A lternsforschung: Krebs und Demenz verhindern 4 Uni Ulm – 50 Jahre Wissen2: Ein Rückblick in Bildern 58 D enkfabrik und Impulsgeber: Mathematik und Wirtschaftswissenschaften 20 Wissen schafft Zukunft: Die Ulmer Wissenschaftsstadt Uni (er)leben Forschen & entdecken: 62 Glückwünsche zum 50. Geburtstag 30 Traumaforschung: Wenn Körper und Seele 66 Hochschullandschaft 2030: verletzt sind Vier wichtige Trends 36 Auf der Suche nach der Zukunfts-Batterie 69 Uni-Präsident Prof. Weber im Interview 40 Die Geburt der Quantenphysik 72 Das gibt es nur in Ulm: UNIkate 46 utomatisiertes Fahren in der A digitalen Stadt Liebe Leserinnen und Leser, wie fasst man 50 Jahre in einem Unimagazin zusammen? Wir ha- Weiterhin widmen wir uns einigen wichtigen aktuellen Forschungs- ben ganz tief in verschiedene Bildarchive gegriffen und einige schwerpunkten und blicken in die „Kristallkugel“. „Schätze“ gehoben. Wichtige, wenn auch stumme „Zeitzeugen“ Universität Ulm quo vadis? Dieser Frage nähern sich abschließend waren auch die alten Ausgaben des seit 1971 erscheinenden Ma- Universitätspräsident Professor Michael Weber im Interview und un- gazins uni ulm intern, die die Redaktion in den Sommer-Semester- ser Gastautor, der Bildungsjournalist Dr. Jan-Martin Wiarda. ferien durchforstet hat. Anhand historischer Fotos und Anekdoten beleuchten wir in dieser Sonderausgabe bemerkenswerte Statio- Viele Inhalte dieser Sonderausgabe können im Laufe des Jubilä- nen der Universitätsgeschichte. Allen aktuellen und ehemaligen umsjahres durch eine Ausstellung zur Universitätsgeschichte sowie Unimitgliedern, die ihre Erinnerungen mit uns geteilt haben, dan- Beiträge auf der eigens eingerichteten und ständig „wachsenden“ ken wir an dieser Stelle recht herzlich. Mit unserem Rückblick erhe- Jubiläums-Webseite samt Social Media-Präsenzen vertieft werden. ben wir natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und verwei- Zudem richtet die Ulmer Universitätsgesellschaft im Herbst ein Zu- sen auf Autoren, die sich in ihren Werken deutlich ausführlicher kunftsforum aus. Wir freuen uns, das Universitäts-Jubiläum mit Ih- mit dem Werden der Ulmer Alma Mater beschäftigt haben. nen zu feiern! Ihre Redaktion uni ulm intern 339/Februar 2017
4 | Campus März 1964 März 1961 Einsetzung eines Januar 1966 er Arbeitskreis „Uni- D Gründungsausschusses versität Ulm“ legt eine Der Ministerrat stimmt für die Medizinische Denkschrift mit Argu- dem „Bericht des Hochschule Ulm menten für eine weitere Gründungsausschusses (Vorsitzender Prof. baden-württembergi- für die Errichtung der Ludwig Heilmeyer) sche Universität vor Medizinisch-Natur- wissenschaftlichen Hochschule Ulm“ zu März 1966 Inkrafttreten der „Vorläufigen Grundord- nung der Medizinisch- Naturwissenschaftlichen Hochschule Ulm“ Uni Ulm – 50 Jahre Wissen2 Die unerwartete Neugründung „Ulm wird nie und nimmer Universitätsstadt.“ Mit dieser Aussage von 1961 sollte der damalige baden-württembergische Ministerpräsident, Kurt Georg Kiesinger, nicht recht behalten. Denn die Ulmer ertrotzten sich ihre Universität. Erste Bemü- hungen gehen Ende der 1950er-Jahre auf die Aka- spätere Ulmer Oberbürgermeister), Ernst Ludwig, demikervereinigung zurück: Durch eine Universi- eine „Kampagne“ für die Neugründung. Und tat- sächlich errangen die Ulmer 1962 einen Teilsieg, als die Einrichtung einer Medizinischen Akademie in Ulm beschlossen wurde. Die erhoffte Universi- tät erhielt allerdings Konstanz. Doch die Mitglie- der des Arbeitskreises blieben hartnäckig und erreichten immerhin eine „Aufwertung“ der geplanten Akademie zur Medizinisch-Naturwis- senschaftlichen Hochschule. Als Vorsitzender des Gründungsausschusses konnte Pfizer den Freibur- ger Medizinprofessor und späteren Gründungs- rektor Ludwig Heilmeyer gewinnen. Am 25. Februar 1967 waren die Ulmer endlich am Ziel: Im Kornhaus wurde die heutige Universität gegründet. Unter den Festrednern war auch der Das Bild zeigt die Gründungsprofesso- tät erhoffte sich der Kreis um den Kaufmann Hel- inzwischen zum Bundeskanzler gewählte Kurt ren (v.l.): Werner Zeil, Theodor mut Hauser neue geistige und kulturelle Impulse Georg Kiesinger – und wurde so Augenzeuge der Fliedner, Emil Tonutti, Rektor Ludwig für die Donaustadt. Trotz Ankündigungen Kiesin- unerwarteten Neugründung. Heilmeyer, Thure von Uexküll, Ernst gers, eine neue Landesuniversität in Konstanz Friedrich Pfeiffer, Karl Knörr und Hans gründen zu wollen, verfolgten die „Akademiker“ Helmut Kornhuber ihren Traum unbeirrt weiter. Ein wichtiges „Sprach- rohr“ war die Vorläuferin der Südwest Presse, die QR Code: Gründungsfilm Schwäbische Donauzeitung. So wurde 1960 der „Arbeitskreis Universität Ulm“ gegründet, der einen Universitätsplan erarbeitete, und dessen Vorsitz Oberbürgermeister Theodor Pfizer über- nahm. Als „Universitätsbeauftragter“ startete der damalige Leiter des städtischen Rechtsamts (und
Campus | 5 Freud’scher Schreibfehler Reform in der Zeitkapsel? Bis heute ist die Uni Ulm die jüngste Landesuni- Die Medizinisch-Naturwissenschaftliche Hoch- versität. Trotzdem besann man sich bei der Grün- schule in Ulm wurde als Reformuniversität gegrün- dungsfeier auf akademische Traditionen: Im her- det. Das Konzept umfasste eine enge Verknüpfung melinbesetzten Talar nahm Gründungsrektor Pro- der Naturwissenschaften mit der klinischen For- fessor Ludwig Heilmeyer die goldene Amtskette schung, was auch ins Bauliche als „Uni unter von Ministerpräsident Dr. Hans Filbinger entge- einem Dach“ übersetzt werden sollte. Weiterhin gen. Und auch die Leitidee der Uni „Sciendo – wollte man das Medizinstudium auf 12 Semester Docendo – Curando“ , zu deutsch „durch Wissen, verkürzen und ein praktisches „Internatsjahr“ Lehren und Heilen (nützen wir)“, prangt bis dato integrieren. An der Universitätsklinik sollte darü- in lateinischer Sprache auf dem „Logo“ der Uni- ber hinaus eine Departmentstruktur eingeführt versität. werden: An der Spitze einer Klinik steht demnach nicht länger ein Ordinarius, vielmehr wirken Abtei- In ihrem Buch zur Universitätsgründung „Sag nie- lungen unterstützt von Sektionen und übergrei- mals nie“ berichtet die Ulmer Journalistin Barbara fenden zentralen Einrichtungen zusammen. Ein- Schäuffelen von einem „Freud’schen Verschrei- nahmen aus der Behandlung von Privatpatienten ber“ bei der Gründungsfeier: Hinter dem Redner- sollten in einen gemeinsamen Topf fließen und pult hatte man eben jene Bildmarke inklusive aufgeteilt werden. Für diesen Reformkurs gab es „Wahlspruch“ aufgehängt, doch „Curando“ war viel Lob – sogar aus Harvard. Und auch Grün- mit zwei „r“ geschrieben und ließ fast weniger ans dungsrektor Heilmeyer war offenbar so angetan, Heilen (curare) als ans Laufen beziehungsweise dass er nach seiner Wahl einen Schwur auf die Jagen (currere) denken. „Und eine Hatz war es in Denkschrift der Universität Ulm leistete – und der Tat, bis die Ulmer ihre Uni endlich hatten“, Gleiches von berufenen Professoren erwartete. schreibt Schäuffelen. Nach einem Bericht der Schwäbischen Zeitung soll er sogar die Vergrabung des Modells der „modernsten Medizinisch-Naturwissenschaftli- chen Hochschule Europas“ in einer 5000 Jahre haltbaren Zeitkapsel im Schlosspark Osakas in Japan veranlasst haben. Allerdings soll sich die Aktion anlässlich der Weltausstellung im Herbst 1970 zugetragen haben, und Heilmeyer starb bereits 1969 bei einem Badeunfall. Wie dem auch sei, eine „Schatzkarte“ liegt der heutigen Univer- sitätsleitung leider nicht vor. Link zum Artikel: http://t1p.de/sz „SCIENDO - 1.1.1967 Übernahme der Inneren Medizin und der Frau- DOCENDO - CURRANDO“ enklinik durch Universi- tätsprofessoren Januar 1967 Aufnahme des For- schungsbetriebes ab 1967 Prof. Ludwig Heilmeyer Rektor
6 | Campus Von der Bahnhofstraße ins „Studentenprotest“ bei Ulmer Münster? der Grundsteinlegung Die Uni Ulm und der Obere Eselsberg sind heute Im Sommer 1969 klaffte eine riesige Baugrube auf eng verbunden. Doch als erste Pläne aufkamen, dem Eselsberg. Endlich sollte die Medizinisch- eine Universität zu gründen, wurde der heutige Naturwissenschaftliche Hochschule einen Neu- Campus vor allem als Schießplatz und Munitions- bau bekommen. Und alle waren sie zur feierlichen depot der US-Army genutzt. Rektorat, Verwaltung Grundsteinlegung am 14. Juli gekommen: Uni- und Bauamt bezogen also zunächst in einer Angehörige, interessierte Bürger und natürlich „Baracke“ in der Bahnhofstraße Quartier (Foto: Amts- und Würdenträger aus Stuttgart sowie dem unten). Weitere Provisorien umfassten vor allem Ulmer Rathaus. Der baden-württembergische die ehemalige Privatklinik „Johanneum“, die als Ministerpräsident Dr. Hans Filbinger vollzog Keimzelle der Forschungsuniversität gilt, und das höchstpersönlich, wenn auch nicht ganz ohne Kloster Wiblingen als Standort der Bibliothek. Unterstützung, die Grundsteinlegung. Doch der Politprominenz schlug weniger Dankbarkeit ent- In Zeiten knapper Kassen war der Neubau eines gegen als erwartet: „Wir grüßen die Ordnungshü- Klinikums nicht vorgesehen, weshalb die Univer- ter und Freiheitsverhüter“, stand auf einem gro- sität die städtischen Kliniken, das Nervenzentrum ßen Transparent, das Unbekannte am Rande der Dietenbronn und weitere akademische Kranken- Baugrube enthüllten. Im Anekdotenbuch zum häuser nutzte. Das 1969 als Gästehaus erworbene 25-jährigen Bestehen der Uni Ulm beschreibt „der Schloss Reisensburg war das Schmuckstück im Chronist“ die Panik, die sich bei den Uni-Verant- landesübergreifenden Immobilienportfolio der wortlichen einstellte: „Waren es auswärtige Stu- Neugründung. Die Raumsituation der jungen denten oder gar jene professionellen Revoluzzer, Hochschule inspirierte 1973 zu einem Aprilscherz: die von Universität zu Universität zogen, um hand- Warum sollte die Uni-Verwaltung nicht ins Müns- greifliche Proteste zu entfachen und die beste- ter ziehen? hende Ordnung zu stürzen?“ Doch der damalige Universitätsbauamtsleiter Walter Henrich konnte die erregten Gemüter beruhigen: Die Protestler seien seine Mitarbeiter, die nur etwas Pfeffer unter die Prominenz streuen und daran erinnern wollten, dass hier eine Hochschule für freie junge Menschen und keine Kadettenanstalt entstehen solle. 14.7.1969 Grundsteinlegung für die Neubauten auf dem Oberen Eselsberg 25.2.1967 Gründungsfeier der Medizinisch-Natur- wissenschaftlichen Hochschule in Ulm uni ulm intern 339/Februar 2017
Campus | 7 Medizinstudium in drei Räumen Etwas mehr als 60 Studierende der Medizin und Physik haben im Wintersemester 1969/70 ein Stu- dium an der jungen Hochschule aufgenommen – teils unter abenteuerlichen Bedingungen. Die 50 angehenden Ärztinnen und Ärzte verbrachten ihre ersten beiden Semester in nur drei Räumen in der Parkstraße: „Hörsaal“, Fachbibliothek sowie ein Raum für anatomische Präparate standen den Studiosi zur Verfügung. Die naturwissenschaftli- chen Fächer wurden zudem in den Laboren der staatlichen Ingenieurschule (heute Hochschule Ulm) unterrichtet, und künftige Physiker paukten in Räumen der Firma Laumayer an der Blaubeurer Straße. Teile des Studiums mussten sogar an anderen Landesuniversitäten absolviert werden. Um Einblicke in klinische Fächer wie Neurologie und Orthopädie zu bekommen, fuhr der erste Medizinerjahrgang auch schon einmal busweise in die umliegenden Krankenhäuser. Trotzdem Der Grundstein kann übrigens noch heute von der oder gerade aufgrund dieser Umstände sind die Anatomischen Lehrsammlung im Uni-Forum aus Pioniere von einst ihrer Alma Mater eng verbun- betrachtet werden. den und kamen zahlreich zum Alumni-Treffen im Sommer 2015. Darunter war auch der Crailsheimer Facharzt für Pädiatrie und Allgemeinmedizin, Dr. Hans-Paul Kienzle, der mit als erster das Medizin- studium an der Uni Ulm erfolgreich abgeschlos- sen hatte. „In den Anfangsjahren war zwar vieles provisorisch, doch bei nur 52 Studienanfängern haben wir ein hervorragendes Betreuungsverhält- nis genossen“, so der heute 66-Jährige. WS 1969/1970 Aufnahme des Lehrbe- ab 1970 triebes in den Fächern vorklinische Medizin Prof. Helmut Baitsch und Physik Rektor WS 1970/1971 Aufnahme des Lehr- betriebes im Fach Mathematik Das Bild zeigt Hans-Paul Kienzle 1975 (3. v.l.) mit seinen Dr. Hans-Paul Kienzle Kommilitonen Gerhard Bullinger, Ulrich Bloching, und beim Alumni-Treffen 2015 Helmut Volz (v.l.) bei der Staatsexamensprüfung im Fach Neurologie bei Prof. Hans Helmut Kornhuber (links) uni ulm intern 339/Februar 2017
8 | Campus Umzug auf den Eselsberg Überleben im Ulmer Zelt Im Sommer 1971 wurden die ersten Gebäude auf Die erfolgreiche Verbindung von medizinischer dem Oberen Eselsberg fertig, und zwei bis drei Forschung und Krankenversorgung brachte der Jahre später konnten die als „Betriebsstufen A Neugründung bereits Anfang der 1970er-Jahre und B“ bezeichneten Abschnitte mit insgesamt weltweit positive Schlagzeilen ein. Dem jüngsten 43 000 Quadratmetern Hauptnutzfläche von den Gründungsprofessor und späteren Rektor, Profes- mittlerweile rund 150 Studierenden bezogen wer- sor Theodor Fliedner, war es gelungen, die mit den. einem schweren kombinierten Immundefekt geborenen Rohringer-Zwillinge in einer keimfreien In unmittelbarer Nachbarschaft war die DRK-Blut- Umgebung zu behandeln. Die Jungen wuchsen spendezentrale entstanden, und bald tat sich in zweieinhalb Jahre lang im eigens entwickelten Nachbarschaft der Universität die damals größte „Ulmer Zelt“ auf, bevor ihnen Thymusgewebe ein- Baugrube Süddeutschlands auf: Hier entstand gepflanzt wurde und Werner zusätzlich eine Kno- das Bundeswehrkrankenhaus mit einem unterirdi- chenmarkspende seiner Mutter erhielt. Noch im schen Schutzbunker für rund 2000 Menschen. Zelt wurde die Darmflora von Erwin und Werner Heute umfasst die Nutzfläche der Uni Ulm auf dem aufgebaut – ein einzigartiges Experiment, das H Eselsberg übrigens rund 125 000 Quadratmeter. gelang. Sie konnten daraufhin die „Plastikwelt“ H verlassen. Erwin starb sechs Monate später an einer viralen Lungenentzündung, doch Werner entwickelte sich normal. In jedem Fall wurde die Behandlung der Zwillinge ein wichtiges Kapitel der Erfolgsgeschichte „Forschungsuniversität Ulm“. Übrigens tragen noch weitere medizinische Innovationen den Namen der Donaustadt: Vom Ulmer Notfallkoffer über die Ulmer Zuckeruhr bis zum Ulmer Fass … SS 1972 SS 1973 WS 1973/1974 Fertigstellung der Aufnahme des April 1974 Aufnahme des WS 1971/1972 klinischen Studiums Betriebsstufe A Lehrbetriebes im Fertigstellung der Aufnahme des Fach Biologie Betriebsstufe B Medizin Juli 1971 Lehrbetriebes Belegung der ersten im Fach Chemie Gebäude auf dem Oberen Eselsberg QR Code: Rohringer Zwillinge uni ulm intern 339/Februar 2017
Campus | 9 Leibesübungen für die Zahnmedizin Willi Wacker will’s wissen Mathematik, Chemie, Biologie oder der seiner- Eine Hochburg des Studierendenprotests war Ulm zeit deutschlandweit einmalige, 1977 gestartete nie. Doch das Hochschulgesetz von 1978 stieß auf Studiengang Wirtschaftsmathematik … das vehemente Ablehnung, sah es doch die Abschaf- Fächerspektrum der Universität Ulm wuchs stetig. fung der Verfassten Studentenschaft vor. Dadurch Besondere körperliche Anstrengungen musste der wurde nämlich der Allgemeine Studierendenaus- ehemalige Rektor Professor Ernst Friedrich Pfeiffer schuss (AStA) zum Ausschuss des großen Senats offenbar für die Einrichtung der Zahnmedizin auf degradiert und hatte kein politisches Mandat sich nehmen – wie er selbst im Anekdotenbuch mehr. Aus Protest stellten die angehenden Akade- beschreibt. Die Universität hatte sich dieses Fach miker den Hund Willi Wacker bei den Gremien- zum zehnjährigen Bestehen gewünscht, doch wahlen im Sommer 1979 auf. Tatsächlich vereinte Ministerpräsident Dr. Hans Filbinger verwehrte der Vierbeiner sensationelle 40 Prozent der Stim- den Ulmern das erhoffte Geburtstagsgeschenk. men auf sich. Die Verfasste Studentenschaft Am Rande des Festaktes erzählte Pfeiffer dem konnte natürlich auch der wackere Willi nicht Landesvater von seinem Fitnessprogramm, das er zurückbringen, doch die angehenden Akademiker der kanadischen Luftwaffe abgeschaut hatte: Die wussten sich anderweitig zu helfen: Für mehr poli- Piloten waren so durchtrainiert, dass sie tisches Mitspracherecht gründeten sie den unab- „Sprungliegestützen“ vollführen konnten. Anders hängigen Studierendenausschuss (UStA) – der als bei normalen Liegestützen schnellt man dabei personell mit dem AStA identisch war – als einge- von der Matte in die Höhe und klatscht sich mit tragenen Verein. Bis zur tatsächlichen Wiederein- den Händen an die Brust. Solche sportlichen führung der Verfassten Studierendenschaft sollte Höchstleistungen traute Filbinger dem Rektor es noch bis 2013 dauern. offenbar nicht zu und schloss eine folgenschwere Wette ab: Sollte Professor Pfeiffer die Sprunglie- Deutsch-norwegisches Skispringen gestütze vorführen können, bekommt Ulm die gewünschte Zahnmedizin. Und was soll man In den 1970er-Jahren stand ein Medizinstudium sagen? Im Wintersemester 1982/83 wurde die an deutschen Universitäten bei jungen Norwegern Zahnklinik eingeweiht und der Lehrbetrieb mit 27 hoch im Kurs. Mit den Skandinaviern kam eine Studierenden aufgenommen. studentische Tradition nach Ulm, die sich bis in die 1980er-Jahre großer Beliebtheit erfreute: Das Internationale deutsch-norwegische Skispringen. Unterhalb der heutigen Mensa-Süd wurde im Win- ter 1977 erstmals eine Schanze errichtet, von der aus die Hobbysportler durch die Lüfte flogen – gerne auch verkleidet. Nach und nach kamen Disziplinen wie „Badewannenweitflug“ und als Training fürs Nabada ein winterliches Schlauch- bootrennen hinzu. ab 1975 Prof. Ernst Friedrich Pfeiffer Rektor WS 1977/1978 Aufnahme des Lehr betriebes im Fach Wirtschaftsmathematik 1.1.1978 Die Universität wird rechtsfähig ab 1979 Prof. Detlef Bückmann uni ulm intern 339/Februar 2017 Rektor
10 | Campus Uniklinik: Richtfest mit Grüne Oase auf dem Campus: Gründungstier der Botanische Garten Am 1. Januar 1982 schlug die Geburtsstunde des Eine grüne Oase auf dem Campus ist der Botani- Universitätsklinikums Ulm – und „Gründungstier“ sche Garten der Universität Ulm. Er ist Naherho- wurde ein betagtes Nashorn. Als Vorhut des Kran- lungsgebiet für die Stadt und dient der Uni kenhauses der Maximalversorgung baute man zu zugleich als Bildungs- und Forschungsstätte. Dass dieser Zeit die Universitätsklinik für Innere Medi- auf dem alten Schießplatz heute Bäume, Blumen zin auf dem Eselsberg. Mit dem benachbarten und Kräuter gedeihen, ist nicht nur dem Engage- Bundeswehrkrankenhaus und dem damaligen ment der Initiatoren und Unterstützer zu verdan- Rehabilitationskrankenhaus Ulm sollte der Neu- ken, sondern auch einem eher zufälligen bauli- bau einen Verbund bilden und später durch eine chen Umstand geschuldet. So konnte Anfang der neue chirurgische Uniklinik ergänzt werden. Doch 80er-Jahre mit dem Aushub für den Bau der Klinik bei den Bauarbeiten gab es einen Überraschungs- für Innere Medizin der Südost-Hang zum Lehrer Tal fund: Im Boden schlummerten 20 Millionen Jahre modelliert und das „Tälchen“ in seiner ursprüngli- alte Fossilien, darunter ein beinahe vollständiges chen Form wiederhergestellt werden. Hiermit Nashorn-Skelett. Eine hölzerne Nachbildung des wurde sozusagen das Fundament für den 1981 von Gründungstiers aus dem Miozän wohnte im Sep- der Landesregierung genehmigten Lehr- und For- tember 1982 dem Richtfest der Klinik für Innere schungsgarten gelegt. Mit seinen 28 Hektar Medizin bei. Und schließlich wurde eine Nashorn- gehört der Botanische Garten nicht nur zu den Wetterfahne auf dem Dach der 1988 übergebenen größten Universitätsgärten, sondern hat mit sei- Klinik montiert. Die Chirurgie sollte erst 2012 auf nen Tropenhäusern, dem Bauern- und Rosengar- den Eselsberg ziehen und etliche Unikliniken ver- ten, dem Arboretum und dem Apothekergarten bleiben bis heute auf dem Michelsberg. zudem zahlreiche botanische Attraktionen vorzu- weisen, die sich auch bei den Ulmer Bürgern gro- ßer Beliebtheit erfreuen. Vor Kurzem entstand eine weitere ökologische Kostbarkeit, die Wissen- schaftler und Besucher gleichermaßen fasziniert: das Farntal. 10.10.1983 Fertigstellung der Baustufe C 1 WS 1982/1983 Aufnahme des Lehr 1.1.1982 betriebs im Fach Bildung des Universitäts Zahnmedizin klinikums Ulm 30.1.1979 Inkrafttreten der 30.9.1980 Grundordnung Teilweise Fertigstellung der Baustufe C 1 uni ulm intern 339/Februar 2017
Campus | 11 Eine Schreibmaschine als „Keim 7.9.1987 zelle“ der Geisteswissenschaften Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Auf einer alten, eingerosteten Olympia-Schreib- zur Wissenschaftsstadt maschine in einem abgelegenen Physik-Prakti- Ulm sowie zum Ausbau der Universität Ulm um kumsraum wurde ein Stück geisteswissenschaftli- Informatik und Inge che Universitätsgeschichte geschrieben. Aus dem nieurwissenschaften Altgerätelager hervorgekramt wurde diese 1984 für den Pädagogen und Philosophen Professor Klaus Giel, der an der Uni Ulm mit dem Aufbau 3.6.1986 eines Seminars für Pädagogik für die Lehramts- Überreichung der Denkschrift ausbildung betraut worden war. Zwei Jahre später des Senats an Minister – die Maschine war nun ordentlich eingeschrie- präsident Lothar Späth ben – verfasste er auf dieser im Auftrag von Rektor Professor Theodor Fliedner große Teile eines Memorandums zur Gründung eines geisteswis- 6.4.1986 senschaftlichen Bildungs- Senatsbeschluss zur zentrums. Die Studieren- Gründung des Humboldt- den sollten die Möglich- Studienzentrums für keit bekommen, beglei- Geisteswissenschaften tend zu ihrem Fachstu- dium auch in die Geis- teswissenschaften 18.5.1984 und die Philosophie Einweihung der einzutauchen. So Zahnklinik wurde im Jahr 1986 das Humboldt-Studienzentrum für Geistes- und Sprachwissen- ab 1983 schaften (HSZ) geboren, aus des- Prof. Theodor Fliedner sen Schoß heraus sich zudem das Rektor 1992 in die Eigenständigkeit ent- lassene Zentrum für Sprachen und Philologie (ZSP) entwickelte. Unterstützt in seiner erziehungs- wissenschaftlichen Aufbauarbeit am Seminar für Pädagogik wurde Professor Giel übri- gens von einer Pädagogin, die an der Universität Ulm ebenfalls Geschichte schreiben sollte: Car- men Stadelhofer, die spätere Wegbereiterin und langjährige Geschäftsführerin des 1993 gegründe- ten Zentrums für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung (ZAWiW). Der Praktikumsraum, in dem die alte Schreibmaschine stand, wurde somit zur „Keimzelle“ für gleich drei erfolgreiche univer- sitäre Einrichtungen, die sich jeweils aus einer fachlichen Nische heraus einen festen Platz im öffentlichen Bewusstsein der Universität und der Stadt erarbeitet haben. Damit fanden nun die Sprachwissenschaften, die Philosophie und Päda gogik an der Uni Ulm eine kleine aber feine Hei- mat, heute unter einem Dach zusammengeführt im Department für Geisteswissenschaften. uni ulm intern 339/Februar 2017
12 | Campus „Baggerbiss“ für die Uni West Mit einem „Baggerbiss“, unter fachkundiger Anleitung ausgeführt von Rektor Professor Theo- dor Fliedner persönlich, feierte die Universität Anfang April 1990 den offiziellen Baubeginn der Universität West. Während Fliedner – als „Gene- ralzeitnehmer“ des universitären Fortschritts – eigens für diesen Job mit einem vergoldeten Schutzhelm samt knallroter Weckeruhr ausgerüs- tet wurde, erhielten die ingenieurwissenschaftli- chen Professoren vom Staatlichen Hoch- und Universitätsbauamt Ulm mit Fahnen bestückte vergoldete Positionsstangen. Ob diese von den Ingenieuren nun als Orientierungshilfe im noch Hoher Besuch in der unbebauten Gelände eingesetzt werden sollten Wissenschaftsstadt oder zur späteren Reviermarkierung, ist aller- dings nicht überliefert. Sollten sich doch sieben Film über die Am 14. September 1988 stattet Bundeskanzler „elektrotechnische“ Abteilungen den dort für 155 Wissenschaftsstadt Helmut Kohl der Universität Ulm und dem damali- Millionen DM entstehenden 13 000 Quadratme- http://t1p.de/ gen Rektor Professor Theodor Fliedner einen vier- ter großen Gebäudekomplex teilen. wissenschaftsstadt stündigen Besuch ab. Kohl lobt dabei die damals Zweieinhalb Jahre später – zur offiziellen Einwei- noch junge Ulmer Wissenschaftsstadt als ein hung – war auf dieser Baustelle ein eindrucksvol- „Stück Übermorgen“, das man unter die Leute ler Neubau entstanden; ein farbenfroher, lichthel- bringen müsse, weil hier die Zukunft mit Händen ler und sehr ungewöhnlich konstruierter Holzbau, zu greifen sei. Die Grundidee: im Umfeld der Uni dessen Pläne aus der Feder des Architekten Pro- siedeln sich auf dem Eselsberg forschungsstarke fessor Otto Steidle und seines Münchner Büros Unternehmen und Start-ups an. Von der Vernet- stammten. Mit der – von den Studierenden später zung universitärer Grundlagenforschung und liebevoll „Villa Kunterbunt“ genannten – Uni West anwendungsbezogener Industrieforschung soll- bekam die Universität nicht nur ein vielfach aus- ten dabei nicht nur Großunternehmen, sondern gezeichnetes architektonisches Wahrzeichen, auch der Mittelstand profitieren. Rief diese „pro- sondern auch ein neues akademisches Weltbild, vokative“ Vision in den Gründerjahren der Wissen- das eine vorläufige Abkehr darstellte von der schaftsstadt Mitte der 80er-Jahre noch enormen „Alles unter einem Dach“-Philosophie des Widerstand hervor, wird der enge Austausch zwi- ursprünglichen Reformkonzeptes. Und im „Beton- schen Wissenschaft und Wirtschaft heute mit zeitalter“ setzte der flach gebaute, intensiv durch- großer Selbstverständlichkeit gelebt. Übrigens grünte und ökologisch konzipierte Holzbau mit dauerte es kein halbes Jahr, bis Helmut Kohl wie- seinen angrenzenden ausgedehnten Biotopen 21.6.1988 der zu Gast an einer Einrichtung der Universität zudem einen besonderen Akzent. Dem ursprüngli- Einweihung der Ulm war. Gemeinsam mit dem französischen Prä- chen Auftrag des Architekten, die Arbeitsfreude, Medizinischen Klinik sidenten François Mitterand traf er sich im Früh- der Universität Entdeckerlust und Kreativität der Wissenschaftler jahr 1989 zum 65. deutsch-französischen Gipfel herauszufordern und zu fördern, ist der Neubau auf Schloss Reisensburg in Günzburg. jedenfalls gerecht geworden. Davon ließen sich auch die später zugezogenen Informatiker und 1.10.1989 Psychologen wissenschaftlich beflügeln, um wel- Inkrafttreten der Grund- che die Fakultät in den Folgejahren erweitert ordnungsänderung mit wurde. Neuordnung der Fakul- tätsstruktur 2.4.1990 Baubeginn Universität II (Ingenieurwissenschaften) ab 1991 Prof. Wolfgang Pechhold Rektor uni ulm intern 339/Februar 2017
Campus | 13 Heimat der Musen Kunstpfad und Musisches Zentrum Mit dem Ausbau der Universität und der Entste- 2.2.1995 hung der Wissenschaftsstadt wird zunehmend Die letzten Institute Wert gelegt auf die künstlerische Belebung des beziehen das neue Uni-Lebens. Gestalt gewinnt diese Idee mit dem Gebäude der Uni West „Kunstpfad“, der von Professor Caius Burri und der von ihm gegründeten Kunststiftung pro arte vorangetrieben und im September 1990 mit politi- scher Prominenz eröffnet wurde. Nachdem bereits in den 70er-Jahren erste Kunstwerke in und um die Feueralarm! Universität herum eine feste Heimstätte gefunden Doch auch von Unglücken blieb die Universität hatten, zogen über das „Kunst am Bau“-Programm Ulm nicht verschont. So kam es am Abend des 29. ab 1995 des Landes Baden-Württemberg drei Großplasti- November 1999 im Festpunkt O26 zu einem Brand. Prof. Hans Wolff ken auf den Campus, darunter Max Bills „Drei Rektor Das Feuer, ausgebrochen auf dem 4. Niveau im Bildsäulen“ und Niki de Saint Phalles „Der Dichter Praktikumsraum Chemie, entwickelte sich in kür- und seine Muse“. Heute zieht sich der 1,5 Kilome- zester Zeit zu einem Großbrand. 250 Einsatzkräfte ter lange Rundweg mit 58 Kunstwerken aus den waren bei den Löscharbeiten im Einsatz, doch Werkstätten renommierter zeitgenössischer Menschen kamen glücklicherweise nicht zu Scha- Künstler und junger Nachwuchstalente quer über den. Neben den Verheerungen am Brandort gab den Universitätscampus. es in den darunter liegenden Etagen beträchtliche 1.10.1993 Und auch die anderen Musen sollten auf dem Löschwasserschäden. Den Räumen des Universi- Vereinigung der Fakultä- Campus eine Heimat finden. Mit den vier tätsrechenzentrums darüber setzte die starke ten für Theoretische und gebrauchten Holzhütten, die aus dem Baubezirk Rauch- und Rußentwicklung zu. Glück im Unglück: Klinische Medizin zur Biberach an die Uni Ost zogen, bekam die Musi- die Überdruck-Klimatisierung konnte verhindern, Medizinischen Fakultät sche Werkstatt, wie sie damals hieß, im Juli 1991 dass die Großrechner beschädigt wurden. Der ihre neue Heimat samt Kulturbüro, Werkstatt, Schaden betrug insgesamt 30 bis 35 Millionen Atelier und Musikhaus. Selbstverständlich, dass DM. Zwar wurde bereits zehn Wochen später der dort die Kreativen – allen voran auch Hauptinitia- Lehrbetrieb wieder aufgenommen, und auch die tor Altrektor Professor Helmut Baitsch – selbst mit Mitarbeiter des Rechenzentrums fanden schnell Hand anlegten. Aus dem ursprünglichen Provisori- ein provisorisches Exil; jedoch sollten über zwei um – dank der Recycling-Idee des Universitäts- Jahre vergehen, bis die Sanierungsmaßnahmen bauamtes betrugen die Gesamtkosten für die abgeschlossen waren. Im Mai 2002 wurden die Errichtung damals lediglich 150 000 DM – ist totalrenovierten und modernisierten Praktikums- heute das Musische Zentrum (MUZ) eine feste räume offiziell eingeweiht. Größe im kulturellen Leben der Universität und Einen Schaden in ähnlicher Höhe – ebenfalls der Stadt geworden; und zwar in allen künstleri- mehr als 30 Millionen DM – hatte bereits zuvor die schen Sparten: in Musik und Tanz, der Literatur, Brandnacht am Safranberg Ende Oktober 1986 Malerei und Bildhauerei. verursacht, deren Feuerschein weithin sichtbar Infos zum Kunstpfad unter http://t1p.de/kunstpfad war. Wie das Anekdotenbuch zum 25. Jubiläum verrät, hatte ein 18-jähriger junger Mann, zuvor Denkschrift zur MUZ-Gründung http://t1p.de/denkschrift Patient des Hauses, im Mikroskopierraum im Untergeschoss mit einer brennbaren Flüssigkeit Akten in Brand gesetzt. Von dort aus breitete sich das Feuer schnell im ganzen Gebäude aus. Eine medizinisch-technische Assistentin aus dem Not- falllabor brach sich beim Sprung aus dem Fenster den Fuß. Da sich der Rauch des Großbrandes rasch über den Westflügel des Hauptgebäudes ausbreitete, mussten zudem gut 200 Patienten aus acht Krankenstationen evakuiert werden, dar- unter auch viele intensivmedizinisch betreute. uni ulm intern 339/Februar 2017
14 | Campus Die GUC: ein Meilenstein der Internationalisierung Dass die Universität Ulm mit der Universität Stutt- Etwa 25 Jahre später ist der Anteil der Studieren- gart einmal in Ägypten Pate stehen würde für die den aus dem Ausland an der Uni Ulm auf zehn Gründung einer Universität nach deutschem Vor- Prozent gestiegen, und sogar 13,6 Prozent der bild, wer hätte das gedacht? Doch genau so kam Studierenden hatte im Wintersemester 2016/17 es im Oktober 2003 zur feierlichen Eröffnung der einen ausländischen Pass. Besonders groß ist das German University in Cairo (GUC). Heute studie- Interesse der ausländischen Studierenden noch ren dort rund 10 000 junge Menschen in 71 Studi- immer am internationalen Masterstudiengang enprogrammen. Als akademische Brücke zwi- Communications Technology, der im Jahr 1998 an schen Deutschland und der arabischen Welt der Universität Ulm als erstes englischsprachiges wurde die GUC zu einem Erfolgsmodell und gilt Studienangebot ins Lehrprogramm genommen bis heute als eine der größten und erfolgreichsten wird, und auch bundesweit zum ersten Masterstu- Universitäten, die im Ausland nach deutschem diengang in der Elektrotrechnik gehört, der in Vorbild lehrt. Der ägyptische Gründervater der englischer Sprache angeboten wird. Aktuell sind GUC, der Physiker Professor Ashraf Mansour, der rund 120 junge Männer und Frauen für CT einge- in Ulm promoviert und habilitiert hat, gehörte im schrieben, die meisten davon kommen aus Indi- Jahr seiner Promotion (1992) zu den wenigen en, Bangladesh, Pakistan und Ägypten. Ulmer Studierenden, die aus dem Ausland Enge Partnerschaften unterhält die Universität kamen. Ulm heute nicht nur mit der GUC, sondern – geför- dert über die DAAD Programmlinie „Strategische Partnerschaften“ – auch mit der größten ägypti- schen Universität, der Cairo University mit ihren über 200 000 Studierenden, als auch mit for- schungsstarken Universitäten in Jinan und Nan- jing (China) sowie in Moskau und Krasnojarsk (Russland), den sogenannten U5. 9.4.2003 Einweihung des Klinikum-Verwaltungs- gebäudes ab 2003 Prof. Karl Joachim Ebeling Präsident 7.11.2002 Übergabe Betriebs- und Verwaltungsgebäude des Botanischen Gartens April 2001 Eröffnung der Zentralen Universitätsbibliothek Oberer Eselsberg uni ulm intern 339/Februar 2017
Campus | 15 „Holz für die Uni“ – Protest gegen Exzellente Nachwuchsförderung: die Verheizung von Studiengebühren die IGradU Mit der Aktion „Holz für die Uni“ protestierten Mit der International Graduate School in Molecu- rund 800 Studierende der Universität Ulm im lar Medicine Ulm (IGradU) punktet die Universität Januar 2007 gegen die „Verheizung“ von Studien- Ulm im Oktober 2007 in der zweiten Runde der gebühren. Der damalige AStA hatte Studentinnen Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder in und Studenten daher aufgerufen, Holz von zu der Förderlinie der „Graduiertenschulen“. Sie Hause mitzubringen und der Uni-Leitung zu spen- gehört zwar nicht in den engeren Kreis der erlauch- den. Auch Professoren haben sich an der Aktion ten Eliteuniversitäten, bekommt aber für die 2006 beteiligt – sie strampelten auf fixierten Zweirä- gegründete IGradU ein ordentlichen Stück ab vom dern öffentlichkeitswirksam für die Stromgewin- Kuchen: nämlich jährlich eine Million Euro für die nung per Dynamo. Andere Landesuniversitäten ersten fünf Jahre. Freude und Erleichterung sind zeigten sich ebenfalls solidarisch und spendeten groß (siehe Foto links unten), als die erfolgreiche Energie: die Universität Karlsruhe, die im Rahmen Doktorandenschmiede 2012 für eine zweite För- der Exzellenzinitiative zur Eliteuniversität gekürt derphase von der Deutschen Forschungsgemein- worden war, unterstützte die Aktion mit einer schaft verlängert wird, und das sogar mit 1,8 Milli- selbstironischen Ladung „Elite-Holz“. Sogar die onen Euro pro Jahr. Zurzeit durchlaufen 248 Dok- Mensa leistete einen kulinarischen Protest-Bei- toranden aus 37 Ländern dieses interdisziplinär trag und setzte ein „Holzfällersteak“ auf die Spei- angelegte biomedizinische Promotionsprogramm, sekarte. Kürzungen im Globalhaushalt der Lan- das medizinische, molekularbiologische und desuniversitäten, steigende Energiekosten und andere naturwissenschaftliche Ansätze in der eine Änderung im Energieversorgungsvertrag des Doktorandenausbildung miteinander verbindet. Landes hatten im Uni-Etat zu einer millionen- schweren Deckungslücke bei den Energiekosten geführt. Die Studierenden befürchteten, dass rund eine Million an Studiengeldern indirekt in die Heizkostenfinanzierung fließen würde. http://t1p.de/protest 5.10.2003 Eröffnung der German University Cairo (GUC) 1.10.2006 Inkrafttreten der neuen Grundordnung (u. a. Zusammenlegung der Fakultät für Ingenieur- wissenschaften und der Fakultät für Informatik zur Fakultät für Inge nieurwissenschaften und Informatik) uni ulm intern 339/Februar 2017
16 | Campus Bildungsstreik mit „Fliegender Wechsel“ am Uni- „eierlegender Wollmilchsau“ Klinikum – die Chirurgie zieht um! Im Rahmen der bundesweiten Bildungsstreiks in Eine logistische Meisterleistung war am 15. Juni den Jahren 2009 und 2010 engagierte sich auch 2012 der Umzug der Chirurgischen Klinik vom die Ulmer Studierendenschaft mit zahlreichen Safranberg in den Neubau Chirurgie / Dermatolo- Aktionen. Dass die Aktivisten dabei nicht nur kre- gie, akribisch geplant und vorbereitet von einer ativ waren, sondern auch handwerkliches fächerübergreifenden Projektgruppe des Uniklini- Geschick an den Tag legten, zeigte sich am kums. Für den Transport der insgesamt 118 Patien- Nordeingang der Uni Ost. In unmittelbarer Nach- ten waren 38 Fahrzeuge des Deutschen Roten barschaft zu Niki de Saint Phalles Skulptur „Der Kreuzes von 8:00 bis 12:00 Uhr unterwegs. Beson- Dichter und seine Muse“ leistete die – leider nicht ders herausfordernd war dabei der Transport von ganz wetterfeste – „eierlegende Wollmilchsau“ 21 Patienten unter notärztlicher und intensivmedi- ästhetischen Widerstand gegen die damalige zinischer Begleitung. Während am Safranberg um Hochschulpolitik. Aufs „Horn“ genommen wurden 11:00 Uhr die letzte Operation beendet wurde, damit die von der Landesregierung im Sommerse- gingen in der Neuen Chirurgie in der Albert-Ein- mester 2007 eingeführten Studiengebühren sowie stein-Allee eine halbe Stunde später die Ärzte in die Auswirkungen der 1999 beschlossenen Bolog- den nagelneuen Operationssälen ans Werk. An na-Reform, in deren Folge europaweit auf Bache- der Mammutaufgabe beteiligten sich neben zahl- lor- und Masterstudiengänge umgestellt wurde. reichen Klinikmitarbeitern über 100 Mitarbeiter Kritisiert wurden von den studentischen Aktivis- des DRK. Und auch die Polizei und das Technische ten nicht nur die starke Verschulung und die ext- Hilfswerk waren bei der Absicherung der Patien- rem hohe Prüfungsbelastung in den reformierten tenkonvois im Einsatz. Studiengängen. Auch die geringe Wahlfreiheit Dass dabei die Sicherheit der Patienten im Mittel- und die restriktive Zulassung zum Masterstudium punkt stand, versteht sich von selbst. Bei der war Gegenstand des Protestes. Und wofür steht abgebildeten rasanten Bettenfahrt, mit der Klini- sie nun, die „eierlegende Wollmilchsau“? Viel- kumsfotograf Heiko Grandel den fliegenden Wech- leicht für all die unrealistischen Erwartungen der sel am Universitätsklinikum in Szene gesetzt hat, 15.6.2012 Politik und Wirtschaft, die an die Studierenden in handelte es sich natürlich um eine Leerfahrt ganz Umzug der Chirurgie in den neuen, vermeintlich arbeitsmarktoptimierten ohne Patient. Übrigens bietet der rund 240 Millio- den Neubau auf dem Studiengängen herangetragen wurden? Eselsberg nen Euro teure Neubau Raum für 235 Normalpfle- ge- und 80 Intensivbetten. In den 15 OP-Sälen werden jährlich rund 20 000 ambulante und stati- onäre Operationen durchgeführt. Nach einer Bau- zeit von vier Jahren konnte das neue Klinikgebäu- de etwa einen Monat vor dem Umzug feierlich eröffnet werden. Zwar fiel die mediale Berichter- stattung zum Neubau aufgrund von Finanzie- rungsproblemen und Baumängeln teilweise recht kritisch aus, doch blieben dem Gebäude und sei- nen Schöpfern (Architekt: Jürgen Engel) die Lor- beeren nicht verwehrt. So wurde die „Neue Chirur- gie“ unter anderem rund ein Jahr später mit einem Architekturpreis für herausragende Gesundheits- bauten ausgezeichnet und genießt auch in der Medizin hohes Ansehen als Vorzeigemodell. Weitere Informationen zum Umzug http://www.uniklinik-ulm.de/news/article/1119/ wir-sind-da.html Weitere Bilder von Heiko Grandel aus der Fotoserie zum Umzug http://grandel-werbefotografie.de/portfolio/ chirurgen-auf-der-baustelle uni ulm intern 339/Februar 2017
Campus | 17 „Nabada auf dem Eselsberg“ Beim landesweiten Aktionstag Hochschulfinan- zierung, der im Sommer 2014 unter dem Motto „Weiter sparen heißt schließen! – Universitäten in Not“ ausgetragen wurde, gingen neben den Stu- dierenden auch die Hochschulleitungen auf die Straße. In Ulm trugen unter anderem Präsident Professor Karl Joachim Ebeling und Kanzler Dieter Kaufmann den Protest eigenhändig in die Stadt- mitte und warnten dort unter dem Motto „Nabada auf dem Eselsberg“ davor, dass die Universität Ulm baden geht, wenn die Grundfinanzierung für die Hochschulen nicht inflationsgemäß erhöht würde. Initiiert wurde der Aktionstag, an dem sich alle Universitäten in Baden-Württemberg beteiligt hatten, von der Landesrektorenkonferenz höchst- selbst. An der Universität Hohenheim wurde bei- Neue Heimat für die spielsweise mit Vorlesungen in der Straßenbahn Batterieforschung auf die dramatische Raumnot hingewiesen. Dass Mit der feierlichen Übergabe des Neubaus Ende die Landesregierung die Botschaft verstanden Oktober 2014 erhält das 2011 gegründete Helm- hatte, zeigte sich im Januar 2015 bei der Novellie- holtz-Institut Ulm für Elektrochemische Energie- rung des Hochschulfinanzierungsvertrags. Die speicherung (HIU) eine neue Forschungsstätte. grün-rote Landesregierung erhöhte dabei nicht Mit seiner metallisch glänzenden Fassade und nur die Grundfinanzierung der Landesuniversitä- seiner schnittig-kompakten Form ist das 12 Millio- ten, sondern sagte den Hochschulen zugleich die nen Euro teure Gebäude, das zu 90 Prozent vom Übernahme steigender Energiekosten zu. Bund und zu zehn Prozent vom Land Baden-Würt- temberg finanziert wurde, nicht nur ein echter Blickfang, sondern auch ein würdiges Zuhause für die außeruniversitäre Forschungseinrichtung auf dem Campus. Die hochmoderne Laborinfrastruk- tur und die 2400 Quadratmeter an Platz für Labore und Büros sind – unter dem Vorzeichen der Ener- giewende – allesamt der Batterieforschung gewid- met. Die vier HIU-Partner nutzen den Neubau gemeinsam. Nun arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Universität Ulm mit Bat- terieforschern des Deutschen Zentrums für Luft- An vorderster Front: Der damalige Präsident Prof. Karl und Raumfahrt (DLR) und des Zentrums für Son- Joachim Ebeling (links) mit Uni-Kanzler Dieter Kauf- nenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden- mann (rechts), flankiert von Unimitgliedern Württemberg (ZSW) unter einem Dach an der Ent- wicklung leistungsfähiger, langlebiger und kos- tengünstiger Energiespeicher. ab 2015 Prof. Michael Weber Präsident 31.10.2014 Eröffnung des Helm- holtz-Instituts Ulm für Elektrochemische Energiespeicherung uni ulm intern 339/Februar 2017
18 | Campus Beste junge Uni Deutschlands! Im Frühjahr 2014 wurde die Universität Ulm erst- mals zur besten jungen Uni Deutschlands gekürt. Sie landet im weltweiten Ranking „THE 150 Under 50“ auf Rang 16. Die Rankings des britischen Magazins „Times Higher Education“ gehören zu den renommiertesten internationalen universitä- ren Leistungsvergleichen, und die Uni Ulm punk- tet dort insbesondere in den Kategorien Zitatio- nen, Drittmittelaufkommen und Internationalisie- rungsgrad. Ein Jahr später – diesmal mit Rang 15 im selben Ranking – setzt sich die Uni Ulm wieder gegen die Konkurrenz aus Konstanz durch und wird erneut beste junge Uni Deutschlands. Im Jahr 2016 – die Uni Konstanz feierte ihr 50. Jubiläum – muss sich nun Ulm zwar der Jubilarin und dem erstmals in dieser Kategorie antretenden KIT geschlagen geben, kann sich im internationalen Vergleich allerdings erneut verbessern. uni ulm intern 339/Februar 2017
Campus | 19 Im weltweiten Leistungsvergleich, bei dem alte Das erfolgreiche Abschneiden der Universität Ulm und junge Universitäten gegeneinander antreten in internationalen Rankings sowie die hohen – dem „THE World University Ranking“ – lag die Drittmitteleinwerbungen und steigenden Studie- Uni Ulm 2016 auf Rang 135. Im bundesweiten Ver- rendenzahlen – zurzeit studieren hier fast 11 000 gleich schaffte es die Uni somit auf Platz 13 und junge Männer und Frauen – zeigen, dass sich die platzierte sich damit noch vor dem Karlsruher Ulmer Alma Mater im Jubiläumsjahr und auch Institut für Technologie (KIT), den Universitäten darüber hinaus durchaus mit traditionellen und Konstanz, Stuttgart, Dresden und Köln. Die Spit- weitaus größeren Universitäten messen kann. zenposition der Ulmer Universität bestätigt wie- Das Forschungsprofil, geprägt von Forschungsfra- derholt auch das QS University Ranking „Top 50 gen, die globale gesellschaftliche Herausforde- Under 50“, bei dem die Uni seit 2013 bereits rungen adressieren, hat in den vergangenen fünf dreimal als beste junge Uni Deutschlands ausge- Jahrzehnten nicht nur an Kontur und Schärfe zeichnet wurde (2013, 2014 und 2016). Dort schla- gewonnen, sondern zudem massiv an internatio- gen Faktoren zu Buche wie Ansehen bei Unterneh- naler Sichtbarkeit zugelegt. Auch wenn die Uni- men, Betreuungsverhältnis, Zitationsleistung und versität Ulm den Kreis der „jungen“ Universitäten Internationalisierungsgrad. im nächsten Jahr formell verlassen muss, ist sie bestens gerüstet, um zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. ab/wt Literatur: ■ 25 Jahre Universität Ulm 1967–1992. Universitätsgeschichte in Anekdoten von Universitätsmitgliedern. Ulm: Universitätsverlag Ulm, 1992. ■ Foos, Karl: Universität Ulm. Die bauliche Entwicklung. Ulm: Klemm+Oelschläger, 2013. ■ Hepach, Wolf-Dieter: Die Universität Ulm. Lebendige Tradition Neue Horizonte. Ulm: Süddeutsche Verlagsgesellschaft, 2007. ■ Schäuffelen, Barbara: Sag niemals nie! Wie sich die Ulmer ihre Universität ertrotzten. Ulm: Süddeutsche Verlagsgesellschaft, 2003. ■ Stadt Ulm (Hg): 20 Jahre Wissenschaftsstadt Ulm 2006. Wissen schafft Zukunft. Ulm: Ebner Verlag, 2006. ■ uni ulm intern 1971–2016 Bildquellen: Stadtarchiv Ulm, Südwest Presse, Universität Ulm, Univer- sitätsklinik Ulm, Vermögen und Bau Baden-Württemberg/ Ulm, M. Duckek/Ulm uni ulm intern 339/Februar 2017
20 | Rubrik ,Thema, Titel uni ulm intern 339/Februar 2017
Rubrik ,Thema, Titel | 21 Wissenschaftsstadt Ulm „Technopolis“ auf dem Eselsberg Mitte der 1980er-Jahre steckte die Stadt Ulm in einer tiefen wirtschaftli- chen Krise. Da hatte Rektor Professor Theodor Fliedner die rettende Idee: Eine Wissenschaftsstadt mit forschenden Unternehmen und Instituten sollte um die junge Universität entstehen. Scharfe Kritik ließ nicht lange auf sich warten, doch mittlerweile hat sich die „Zukunftsstadt“ auf dem Eselsberg zum vielfach kopierten Erfolgsmodell entwickelt. Tag für Tag pendeln mehr als 12 500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Wissenschaftsstadt auf dem Oberen Eselsberg. Dazu kommen mindes- tens ebenso viele Studierende an Universität und Hochschule. Doch Anfang der 1980er-Jahre war das Gebiet um die Universität Ulm noch dicht bewaldet. Gleichzeitig beutelte ein schwerer wirtschaftlicher Einbruch die Stadt Ulm und ihr Umland: Ausgelöst durch die Ölkrise und die daraus resultierende geringe- re Nachfrage nach Baustellenfahrzeugen baute Iveco-Magirus kontinuierlich Stellen ab, und auch AEG reduzierte die Belegschaft. Von einem Tag auf den anderen standen darüber hinaus etwa 1700 Arbeitnehmer durch die Stillle- gung des Videocolor-Werks (ehemals Telefunken) auf der Straße. Kurzum: Bis 1984 fielen, so schreibt der Historiker Dr. Wolf-Dieter Hepach, rund 7500 in- dustrielle Arbeitsplätze weg. In dieser Krise hatte der 1983 zum Rektor gewählte Gründungsprofessor, Theo- dor Fliedner, die zündende Idee: Eine Wissenschaftsstadt nach angelsächsi- schem und japanischem Vorbild müsste um die Uni Ulm entstehen. So sollte die in der Medizin erfolgreiche Kooperation von Grundlagenforschung und An- wendung auf andere Bereiche übertragen werden. Um die Gründung der Wissenschaftsstadt ranken sich verschiedene Mythen: Oft zitiert wird ein Spätzle-Essen im Lehrer Gasthof Engel, bei dem der dama- lige Oberbürgermeister Ernst Ludwig den AEG-Chef Heinz Dürr für den Standort Oberer Eselsberg begeistern wollte. Denn die gerade in der Daimler AG aufge- gangene AEG dachte über einen Neubau für ihre Forschungsaktivitäten nach. Weiterhin werden die Grundsteinlegung des An-Instituts für Lasertechnologi- en in der Medizin und Messtechnik (ILM) im Jahr 1985, ein Tennismatch mit anschließendem Umtrunk zwischen Ministerpräsident Späth und Dürr oder Verhandlungen des Landesvaters mit der Daimler-Benz AG über das Werk in Rastatt als Geburtsstunde gehandelt. Als gesichert gilt, dass die 1983 in einer Senatsklausur erstellte „Denkschrift Universität Ulm 2000“ rund drei Jahre später dem Ministerpräsidenten übergeben wurde. 1987 trat Lothar Späth vor die Medien und verkündete, dass die Ulmer Universität um die Ingenieurwissenschaften erweitert und in unmittelbarer Nähe Forschungszentren von Daimler beziehungsweise AEG ebenso wie außeruniversitäre Institute entstehen sollten. Zudem sei eine enge Zusammenarbeit der Uni mit der ebenfalls zu erweiternden Fach- hochschule vorgesehen. Kurz zuvor hatte man einen entsprechenden Len- kungsausschuss aus Wissenschaftlern, Industrievertretern und Amtsträgern eingesetzt, und die Wochenzeitung „Die ZEIT“ titulierte das Vorhaben als „Technopolis am Eselsberg“. uni ulm intern 339/Februar 2017
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