Verein Industrie 4.0 Österreich
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
INHALTSVERZEICHNIS INHALTSVERZEICHNIS VORWORT 5 1. EINLEITUNG 6 1.1 Executive Summary (deutsch) 8 1.2 Executive Summary (englisch) 9 2. POSITIONIERUNG 10 3. FORSCHUNGSFELDER INDUSTRIE 4.0 12 3.1 Virtualisierung 16 3.2 Sensorsysteme 19 3.3 Software Engineering 21 3.4 Physische Systeme 23 3.5 Cyber-physical Systems 26 3.6 Arbeits- und Assistenzsysteme 29 3.7 Wertschöpfungsnetzwerke und Geschäftsmodelle 32 3.8 Domänenwissen und Schlüsseltechnologien 34 4. FORSCHUNG, ENTWICKLUNG UND INNOVATION IN ÖSTERREICH 36 4.1 F&E-Finanzierung im Bereich Industrie 4.0 und Digitalisierung auf nationaler Ebene 37 4.2 EU-Forschungsrahmenprogramm 40 4.3 Zukunftsorientierte Gestaltung von Horizon Europe 41 4.4 Vorschläge zu einer verbesserten Nutzung von Förderprogrammen 41 4.5 Erhöhung der Dotierung des Programms Produktion der Zukunft 42 4.6 Absicherung eines Mix aus direkter F&E-Förderung und steuerlicher Begünstigung 43 5. ÖSTERREICHISCHE USE CASES 44 5.1 Salvagnini: Digitaler Zwilling für vollautomatisierte Produktion mit Losgröße 1 bei Blechbiegeautomaten 45 5.2 RHI Magnesita: Prozessoptimierung durch visuelle Analyse von Massendaten 47 5.3 Haas Fertigbau: Monitoring von Produkten im Umfeld Industrie 4.0 49 5.4 ABB: Software Engineering für Robotereinsatz in Holzindustrie 50 5.5 Metadynea Austria/Sandoz: Prozessoptimierung durch Prozessintegrierte Messtechnik 51 5.6 JELD-WEN: Umfassende Qualitätssicherung in der Losgröße 1 Türproduktion 54 5.7 Lithoz: Additive Fertigung von Hochleistungskeramik 56 6. DANK 58 LITERATURVERZEICHNIS/IMPRESSUM 60 3
VORWORT Geschätzte Leserinnen und Leser! Liebe Mitglieder der Plattform Industrie 4.0! Die Digitalisierung von Produkten, Dienstleistungen, Engineering- und Geschäftsprozessen hat die nächste Entwicklungsstu- fe der Produktion bereits eingeläutet und eröffnet der produzierenden Industrie eine Fülle an neuen Möglichkeiten. Mit den heute zur Verfügung stehenden technischen Errungenschaften lassen sich schon erste Visionen von Industrie 4.0 erfüllen. Um jedoch die volle Wirkungskraft entfalten zu können, bedarf es neuartiger Ansätze und Lösungen, für die das aktuelle Wissen erweitert und die verfügbaren Technologien weiterentwickelt werden müssen. Die Umsetzung von Industrie 4.0 birgt großes Potential: Durch Produktinnovationen, neue Geschäftsmodelle, verbesserte Produktivität, Qualitätsverbesserungen und Ressourceneffizienz geht man von einer Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und der Reindustrialisierung aus. Oder in Zahlen ausgedrückt: Industrie 4.0 bewirkt in Österreich bis 2025 47–48 Mrd. € an zusätzlicher Produktion und 22–38 Mrd. € an zusätzlicher Wertschöpfung 1. Nach heutigem Stand haben schon 6 % aller österreichischen Industrieunternehmen ihre Produktion nach Österreich zurückverlagert; Tendenz steigend! 2 Da Digitalisierung kein ausschließlich technisches Phänomen ist – entscheidend ist die Frage nach der bestmöglichen, verantwortungsvollen Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine –, verfolgte der ExpertInnenkreis einen interdisziplinären Ansatz und ließ auch Expertisen aus den anderen ExpertInnen-Schwerpunktgruppen der Plattform Industrie 4.0 einfließen. Diesem Ansatz liegt zugrunde, dass die digitale Transformation nicht nur eine Chance für Quali- täts-, Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen für bestehende Produkte und Produktionsanlagen ist, sondern vermehrt für völlig neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle. Die neuen technologischen Möglichkeiten müssen dazu genutzt werden, die Innovationsfähigkeit zu stärken, die wachsende Aufgabenkomplexität zu bewältigen und Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei der Gestaltung der Arbeit einzubinden, die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze zu analysieren und Tätigkeiten qualitativ aufzuwerten. Dabei gilt es, Chancen für Innovationen rasch zu erkennen und verantwortungsvoll umzusetzen. Vielerorts wird diskutiert, ob sich die produzierende Industrie inmitten einer Revolution befindet, oder in einer evolutionären Transformationsphase. Fakt jedoch ist, die digitale Transformation findet statt, und Österreichs Industrie ist davon nicht aus- genommen. Die von der ExpertInnengruppe der Plattform Industrie 4.0 erarbeiteten Handlungsfelder geben daher wichtige Forschungs- und Technologieimpulse, um die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs in der immer weiter fortschreitenden Phase der digitalen Transformation zu stärken. Mag. Isabella Meran-Waldstein Bereichsleiterin Forschung, Technologie & Innovation, Industriellenvereinigung Vorstandsmitglied Verein Industrie 4.0 Österreich 1 IWI/Pöchhacker Innovation Consulting (2015) 2 Dachs, B. et al. (2017) 5
EINLEITUNG 1 VEREIN INDUSTRIE 4.0 – richtungen, Politik und Verwaltung, Unternehmen und In- DIE PLATTFORM FÜR INTELLIGENTE teressensvertretungen fungieren dabei als zentrales Steu- PRODUKTION erungsgremium und legen Arbeitsschwerpunkte und die inhaltliche Ausrichtung der Aktivitäten der Plattform Indus- Der Verein „Industrie 4.0 Österreich“ wurde 2015 als Initi- trie 4.0 im Bereich „Forschung, Entwicklung & Innovation“ ative des österreichischen Bundesministeriums für Verkehr, fest. Innovation und Technologie sowie von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden gegründet. Diese erarbeiten ge- meinsam mit Mitgliedern aus Wirtschaft, Wissenschaft und VORGEHENSWEISE Interessenvertretungen in spezifischen ExpertInnengruppen Strategien zur nachhaltigen und erfolgreichen Umsetzung In den Workshops und Sitzungen der ExpertInnengruppe der digitalen Transformation im Kontext von Industrie 4.0. wurde ein breites Feld an Technologiekompetenzen und Ziel ist es, die technologischen Entwicklungen und Innovati- Forschungsbedarfen sondiert, die für Industrie 4.0 relevant onen durch Digitalisierung bestmöglich und sozialverträglich sind. In einem gemeinsamen Prozess wurden von konsultativ für Unternehmen, Beschäftigte und die Gesellschaft in Ös- eingebundenen ExpertInnen acht vorrangige Forschungs- terreich zu nutzen und verantwortungsvoll umzusetzen. Der felder identifiziert und Impulse zur Weiterentwicklung der Verein Industrie 4.0 Österreich nimmt dabei eine wichtige österreichischen Förderlandschaft gesetzt. Dabei wurde auf Rolle in der nationalen und internationalen Koordinierung, einen „Stärken stärken“-Ansatz gesetzt, um Österreich als Strategiefindung und Informationsbereitstellung ein. relevanten Akteur im globalen Wettbewerb zu positionieren. In weiterer Folge wurden jedem Kapitel Autoren zugewie- sen und der gesammelte Input durch ein Redaktionsteam EXPERTINNENGRUPPE verdichtet. „FORSCHUNG, ENTWICKLUNG & INNOVATION“ ZIELE DES ERGEBNISPAPIERS Eine hohe Innovationsleistung trägt maßgeblich dazu bei, im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu sein. Somit Das Ziel des vorliegenden Ergebnispapiers ist es, die in ei sind Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten unerlässlich nem breit angelegten Prozess identifizierten, für Industrie für ein exportorientiertes Land wie Österreich. Die voran- 4.0 relevanten Forschungsfelder vorzulegen. Dabei sollen schreitende Digitalisierung sowie die beschleunigte techni- der Politik und Unternehmen Inputs geliefert werden, in sche Entwicklung bergen viele Chancen für Österreichs Un- welche Richtung die Entwicklung geht, damit rechtzei ternehmen. Gleichzeitig entstehen dadurch aber auch neue tig geeignete Maßnahmen ergriffen werden können. Ge Herausforderungen. Insbesondere für Klein- und Mittel meinsam sollen das Bewusstsein um die Bedeutung von unternehmen (KMU) ist daher die Entwicklung und Imple- Forschung, Entwicklung und Innovation gesteigert und mentierung benutzerfreundlicher Systeme und Konzepte, Forschungseinrichtungen und Unternehmen dahingehend die wirtschaftlich und nutzbringend umsetzbar sind, von unterstützt werden, dass sie mit optimalen Rahmenbedin großer Relevanz. Die Übertragbarkeit erzielter Forschungs- gungen erfolgreich arbeiten können. ergebnisse auf KMU spielt dabei eine wesentliche Rolle. Diesem Ansatz soll Rechnung getragen werden, indem prag- matische Lösungen und Ansätze in den Forschungsfeldern mitgedacht werden. Die ExpertInnengruppe „Forschung, Entwicklung & In- novation“ wurde eingerichtet, um Empfehlungen für den Forschungs- und Entwicklungsbereich zu erarbeiten und relevante AkteurInnen zu vernetzen. VertreterInnen von universitären wie auch außeruniversitären Forschungsein- 7
EXECUTIVE SUMMARY (deutsch) Forschung und Entwicklung sind zweifellos wichtige Treiber im Kontext von Industrie 4.0 und Digitalisierung. Das Innovationssystem eines Landes hat große Auswirkungen auf die Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen und damit auf die gesamte Volkswirtschaft. Die voranschreitende Digitalisierung sowie die beschleunigte technische Entwicklung bergen viele Chancen für Österreichs Unternehmen. Gleichzeitig entstehen dadurch aber auch neue Herausforderungen. Berechnungen bis 2025 ergeben für Industrie 4.0 in Österreich 47–48 Mrd. € an zusätzlicher Produktion und 22–38 Mrd. € an zusätzlicher Wertschöpfung 3. Nach heutigem Stand haben schon 6 % aller österreichischen Industrieunter- nehmen ihre Produktion nach Österreich zurückverlagert; Tendenz steigend! 4 Die Plattform Industrie 4.0 hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Forschungsfelder ein besonders hohes Potential für Österreich darstellen und wie man den technologischen und finanziellen Bedarf der Firmen noch treffsicherer adressieren kann. In einem breit angelegten, transparenten Prozess wurde das vorliegende Ergeb- nispapier erarbeitet. Es möchte Antworten und Inputs geben, damit rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergriffen werden können, um Forschungs- und Entwicklungsanforderungen in Österreich bestmöglich zu erfüllen. Hierfür wurden Technologiekompetenzen sowie Forschungs- und Entwicklungsbedarfe identifiziert und zu die- sem Zweck acht vorrangige Forschungsfelder formuliert: Virtualisierung, Sensorsysteme, Software Engineering, Physische Systeme, Cyber-physical Systems, Arbeitssysteme, Geschäftsmodelle und Domänenwissen. Neben Vorschlägen zur verbesserten Nutzung von Förderprogrammen decken diese Handlungsfelder aus Sicht der Plattform Industrie 4.0 die wichtigsten Ansatzpunkte im Forschungsbereich rund um Industrie 4.0 ab. 3 IWI/Pöchhacker Innovation Consulting (2015) 4 Dachs, B. et al. (2017) 8 ERGEBNISPAPIER „FORSCHUNG, ENTWICKLUNG & INNOVATION IN DER INDUSTRIE 4.0“
EINLEITUNG 1 EXECUTIVE SUMMARY (english) Research and development are undoubtedly important drivers in the context of Industry 4.0 and digital trans- formation. A country´s innovation system has a major impact on the development and competitiveness of its companies, and thus on the entire economy. The progressive digital transformation and the accelerated technical development will result in many opportu- nities for Austrian companies. However, at the same time, this also creates new challenges. Forecasts for 2025 concerning Industry 4.0 in Austria amount to € 47–48 billion in additional production and € 22–38 billion in added value. Today, 6 % of all Austrian industrial companies have relocated their production to Austria – and this trend is growing. The national Platform Industry 4.0 has addressed the question, which research fields represent a particularly high potential for Austria and how to address the technological and financial needs of companies even more accurately. The present report has been developed in a broad and transparent process. It aims at providing answers and input so that suitable measures can be taken in good time to best meet Austria’s research and development requirements. To this end, technology competencies as well as research and development needs were identified by formulat- ing eight priority research fields: virtualization, sensor systems, software engineering, physical systems, cyber- physical systems, work systems, business models, and domain knowledge. In addition to suggestions for the improved use of funding programs, these fields of action cover the most important starting points in the area of Industry 4.0 research from the perspective of the Platform Industry 4.0. 9
POSITIONIERUNG
POSITIONIERUNG 2 INFORMATIONS- UND KOMMUNIKATIONSTECHNOLOGIEN PRODUKTIONSTECHNOLOGIEN BP IKT d. Z. FP PdZ KIRAS Virtuali Sensor sierung systeme Domänen Software wissen Engineering INDUSTRIE Relevante Relevante Relevante 4.0 europäische österreichische österreichische Roadmaps Roadmaps Förder Geschäfts Physische und Initiativen und Initiativen initiativen modelle Systeme Cyber- Arbeits physical systeme Systems Abbildung 1: Auszug aus wichtigen Initiativen I ndustrie 4.0 steht für die Verschmelzung von Produkti- Auf österreichischer Ebene existieren verschiedene Initiati- onstechnologien mit Informations- und Kommunikations- ven für elektronische Komponenten und Systeme (ECSEL- technologien (IKT). Wie in Abbildung 1 dargestellt, gibt es Austria, Silicon Alps), Additive Fertigung (AM Austria), Inter- sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene net der Dinge (IOT Austria), Photonik (Photonics Austria), entsprechende Initiativen. Mess-, Automatisierungs- und Robotertechnik (GMAR), Produktionstechnik (Ö-WGP) und schließlich Industrie 4.0 Auf europäischer Ebene wurden Roadmaps von ExpertIn- (Plattform Industrie 4.0 Österreich). nengruppen für Big Data (BDV), für Elektronikkomponenten und -systeme (ECSEL), Cybersicherheit (ECS), Internet der Die österreichische Forschungs- und Innovationsförderung Dinge (AIOTI) Smart Manufacturing (EFFRA) und die Pro- rund um Industrie 4.0 wird dabei durch eine ausgewogene zessindustrie (SPIRE) erstellt. Mischung aus Bottom-up- und Top-down-Förderungen und steuerlicher Forschungsförderung unterstützt. Eingebettet Des Weiteren wurde im Rahmen der Digitising European in dieses Umfeld besteht das Ziel des vorliegenden Doku- Industry Initiative (DEI) eine Europäische Plattform natio- ments darin, eine angemessene Fokussierung und damit naler Initiativen zur Digitalisierung der Industrie gegründet, verbundene Innovationsstrategie vorzuschlagen und Emp- um den Best-Practice-Austausch zu verbessern und si- fehlungen zu geben, um die Position Österreichs für Indus cherzustellen, dass die von den Mitgliedstaaten ergriffenen trie 4.0 endgültig zu stärken. Maßnahmen einander ergänzen und verstärken können. Er- wähnenswert in diesem Kontext sei hier die Initiative der deutschen Plattform Industrie 4.0, die eine Forschungsa- genda definierte. 5 5 BMWi (2016) 11
FORSCHUNGS FELDER INDUSTRIE 4.0
FORSCHUNGSFELDER INDUSTRIE 4.0 3 D ie digitale Transformation der industriellen Produk- Aufgrund der zu erwartenden weitreichenden Veränderun- tion eröffnet eine Vielzahl an Möglichkeiten. Neben gen durch Industrie 4.0 und dadurch entstehende Auswir- Kosteneinsparungen bzw. Effizienzsteigerungen las- kungen auf die Gesellschaft wurde ein interdisziplinärer An- sen sich durch Industrie-4.0-Technologien neue, intelligente satz bei der Erarbeitung der behandelten Themen gewählt. Produkte auf den Markt bringen und neue Geschäftsmodel- Dieser Ansatz spiegelt sich auch in den angeführten The- le entwickeln. Der Sammelbegriff Industrie 4.0 bezeichnet menkomplexen wider, da er nicht nur technische Aspekte dabei die Verschmelzung von Produktionstechnologien mit adressiert. Daher sollte gewährleistet sein, dass je nach Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Die Forschungstiefe und Umsetzungsgrad (z.B. ab TRL 6 – an- rasante Entwicklung der Kommunikations- und Webtech- gewandte Forschung) der Einfluss auf Menschen und Be- nologien bietet eine zunehmende Fülle neuer technischer schäftigte analysiert wird. Möglichkeiten für die Vernetzung zwischen den unter- schiedlichsten Objekten. Diese Vernetzung und die sinken- In den vorliegenden Abschnitten geht es einerseits darum, den Kosten für Sensoren, Rechenleistung und Netzwerke technologische Grenzen zu verschieben, also die Kompe- führen dazu, dass zahlreiche Ideen und Produkte, die vor tenzen im Bereich der Spitzentechnologien zu stärken, und ein paar Jahren nicht vorstellbar gewesen wären, nun reali- anderseits darum, robuste, kostengünstige und einfache Lö- sierbar werden. Dies bedeutet, dass diese technologischen sungen für den österreichischen Mittelstand zu entwickeln. Durchbrüche nun das Potential haben, klassische Volks- wirtschaften und tradierte Geschäftsmodelle von Industrie Die gewählte Kreisgrafik illustriert die einwirkenden The- unternehmen massiv zu bedrohen und zu disruptieren. menkomplexe der digitalen Transformation, deren Ziel, Industrie 4.0, in der Mitte angesiedelt ist. Die Grafik stellt Physische Objekte und ihre digitalen Repräsentationen im Gebiete dar, in denen Forschungsbestrebungen zu intensi- „Cyber-Space“, auch als digitale Zwillinge oder Digital Layers vieren sind, um für die Umsetzung von Industrie 4.0 geeig- bezeichnet, verschmelzen immer stärker zu einer neuen Re- nete Lösungen anbieten zu können. Sie dient als Orientie- alität. Diese neue Welt der Cyber-physical Systems (CPS) rungshilfe, in welchen Bereichen Weiterentwicklung sinnvoll bzw. Cyber-physical Production Systems (CPPS) gilt es rasch und notwendig ist, um Österreichs Position im globalen zu erkennen und verantwortungsvoll umzusetzen. Wettbewerb zu stärken. Virtuali Sensor sierung systeme Domänen Software wissen Engineering INDUSTRIE 4.0 Geschäfts Physische modelle Systeme Cyber- Arbeits physical systeme Systems 13
VIRTUALISIERUNG SOFTWARE ENGINEERING Das erste Kapitel behandelt die Thematik, bei der reale und Der Bereich der Softwareentwicklung ermöglicht die Verhal- virtuelle Welten aufeinandertreffen und immer mehr mitein- tenssteuerung und -kontrolle von einzelnen Systemen und ander verschmelzen. Digitale Transformation im Kontext von ganzen Prozessketten. Die zunehmende Verwendung von Industrie 4.0 erfordert es, dass Produkte, Produktionspro- Standardtechnologien, die Öffnung der Technologien für zesse und -systeme einschließlich deren relevanter Umge- breitere Anwendungsgebiete und die immer transparenter bungen möglichst vollständig, konsistent und durchgängig bzw. durchlässiger werdenden Systemgrenzen zur Außen- in Digitalrechnern (Cyber-Welt) abgebildet werden können, welt stellen uns vor neue und teilweise noch ungeklärte um Informationen über diese Objekte und Prozesse einer Herausforderungen. Verarbeitung in Computern zugänglich zu machen und dar- aus neue Nutzenpotentiale zu eröffnen. PHYSISCHE SYSTEME Unter dem Begriff Virtualisierung sollen alle Aktivitäten zur Schaffung solcher digitalen Abbildungen zusammengefasst Die Vernetzung mit Informationstechnologie und Sensorik werden. Begriffe wie digitaler Zwilling, Digital Layer, digitale schafft neue Chancen und Herausforderungen für die phy- Fabrik usw. tragen diesen Zielsetzungen ebenso Rechnung. sische Repräsentanz „smarter“ Produktideen. Das vierte Ka- Virtualisierung ist eine notwendige Voraussetzung zur Um- pitel geht auf den physischen Part von Produkten, Produk- setzung von Industrie 4.0 und ohne Modellierung und Simu- tionssystemen und -umgebungen ein und behandelt unter lation undenkbar. anderem Fragen, die Logistik, Maschinen, automatisierte Fertigungssysteme und Werkstoffe betreffen. SENSORSYSTEME CYBER-PHYSICAL SYSTEMS Virtualisierung ist am effektivsten, wenn viele Informationen zur Verfügung stehen. Um diese Informationen in Form von Cyber-physical Systems, wie sie in Kapitel fünf thematisiert Daten zu generieren, bedarf es effizienter Sensorsysteme, werden, bezeichnen den Verbund informatischer, software- welche im zweiten Kapitel behandelt werden. Sie spielen technischer Komponenten mit mechanischen und elektro- eine wesentliche Rolle bei der Qualitätskontrolle der Pro- nischen Teilen, die über eine Dateninfrastruktur kommuni- dukte, vorausschauender Instandhaltung und beim Product zieren. Die Begriffsbildung folgt dem Bedarf an einer neuen Lifecycle Management. theoretischen Grundlage für die Erforschung und Entwick- lung großer, verteilter, komplexer Systeme, wie zum Beispiel die Konstruktion neuartiger Industrieproduktionsanlagen, die sich hoch dynamisch an die jeweiligen Produktionserfor- dernisse anpassen können. 14 ERGEBNISPAPIER „FORSCHUNG, ENTWICKLUNG & INNOVATION IN DER INDUSTRIE 4.0“
FORSCHUNGSFELDER INDUSTRIE 4.0 3 ARBEITSSYSTEME DOMÄNENWISSEN Das sechste Kapitel behandelt Arbeitssysteme und Fragen, Den Abschluss der Forschungsfelder bildet Kapitel acht, wie man die technologischen Entwicklungen dazu nutzen welches Domänenwissen und Schlüsseltechnologien adres- kann, um Arbeit zu unterstützen bzw. neu zu organisieren. siert. Domänenwissen bezeichnet das bereits vorhandene Die Einführung von intelligenten Produktionssystemen be- Wissen in dem entsprechenden Anwendungsgebiet. Die einflusst die Mensch-Maschine-Schnittstelle, Aufgaben- erfolgreiche Einbettung von Industrie-4.0-Technologien in und Tätigkeitsprofile sowie die gesamte Arbeitsorganisation. die Produktion erfordert eine verstärkte Berücksichtigung Die Auswirkungen auf die Arbeitswelt ergeben sich aber des erforderlichen Prozess- bzw. Domänenwissens. Techno- nicht nur durch neue Technologien, sondern auch durch die logische Veränderungen müssen so gestaltet werden, dass Gestaltung des Einsatzes dieser Technologien und durch die das notwendige Wissen, einschließlich des aktuellen Erfah- Anpassung der Arbeitsorganisation an die neuen Rahmen- rungswissens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, bedingungen. Wie diese arbeitsorganisatorischen Hand- zur Verfügung steht. lungsspielräume optimal genutzt werden können, eröffnet ein großes Spektrum an Forschungsfragen. NEUE GESCHÄFTSMODELLE CASE STUDIES Die Vernetzung von Wertschöpfungsketten bis hin zur Bil- Im Anhang befinden sich Case Studies, die österreichische dung von Wertschöpfungsnetzwerken stellt Unternehmen Kompetenz im Kontext der Industrie 4.0 aufzeigen. Sie die- vor neue Herausforderungen und bietet gleichzeitig große nen der exemplarischen Veranschaulichung und sollen den Chancen im Hinblick auf ihr Geschäftsmodell. Dies reicht Praxistransfer der erhobenen Inhalte verdeutlichen. von der geringfügigen Anpassung der Geschäftsmodelle über Geschäftsmodell-Innovationen, die zum disruptiven Bruch führen können, bis hin zu völlig neuen Geschäfts ideen, die sich in innovativen Geschäftsmodellen wider- spiegeln. Kapitel sieben umreißt diese Thematik und wirft essentielle Fragen auf. 15
die rasch wachsenden Potentiale der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zur Wertsteigerung in innovativen Produkten und Produktionsprozessen genutzt werden können. Virtualisierung betrifft den gesamten Le benszyklus sowohl von materiellen Produkten (Sachgütern) als auch von Dienstleistungen bzw. deren Kombination in Form von Produkt-Service-Systemen (PSS), von der ersten 3.1 Idee über Produktplanung, Produktentwicklung, Produkti- VIRTUALISIERUNG onssystementwicklung, Produktion bzw. Bereitstellung, In- betriebnahme, Betrieb, Service, Wartung bis hin zur Ablö- Autoren: sung des Produktes vom Markt (End of Life, EoL), und muss O. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Klaus Zeman – daher auch alle für den Produktlebenszyklus relevanten Ge Johannes Kepler Universität Linz; schäftsprozesse wie z.B. Management-Prozesse, Enginee Dipl.-Ing. Herwig Zeiner – ring-Prozesse, Ingenieurstätigkeiten einschließen 11 12. JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft mbH Virtualisierung stellt damit eine notwendige Voraussetzung Unter Virtualisierung im Kontext von Industrie 4.0 soll und daher einen kritischen Erfolgsfaktor für die Umsetzung die angemessene Beschreibung bzw. Erfassung von pro- von Industrie 4.0 dar. Gleichzeitig bestehen hier Chancen, in duktionsbezogenen, physischen Objekten wie Produkten, Zukunft hohe Wettbewerbsvorteile zu erzielen 11 13. Produktionssystemen (z.B. Maschinen, Anlagen, Fabriken), Produktionsprozessen (z.B. in der Fertigung, Logistik), aber Messungen (siehe Sensorsysteme, 3.2) sind unverzichtbare auch der beteiligten Menschen, Tiere, Pflanzen usw. sowie Informationsquellen zur Schaffung digitaler Repräsentati- der Beziehungen (z.B. Material-, Energie-, Informationsflüs- onen von physischen Objekten in Computern. Vorausset- se) zwischen diesen Objekten verstanden werden, die not- zung dafür ist jedoch, dass das physische Objekt überhaupt wendig ist, um relevante Informationen über diese Objekte existiert, die interessierenden Größen (z.B. wichtige Eigen- und Beziehungen einer digitalen Verarbeitung in Compu- schaften der Objekte oder Prozessgrößen) einer Messung tern zugänglich zu machen 6 7 8 9 10. Die Sensor- und Prozess zugänglich sind und aus den Messwerten die gewünschten daten aus der physischen Welt müssen digital so aufberei- Rückschlüsse auf die interessierenden Größen gezogen tet werden, dass sie geeignet verarbeitet, aggregiert und werden können. Diese Voraussetzungen sind jedoch im Zu- interpretiert werden können, um daraus die beabsichtigten sammenhang mit Produktion höchstens in Ausnahmefällen Informationen generieren und nutzbringend verwenden zu erfüllt. In der Produktentwicklung z.B. existiert das neue können 11 12 13. Produkt zu Beginn ja noch gar nicht, und in der Produktion wiederum ist es bereits bei einfachen Aufgabenstellungen Ausreichend vollständige und durchgängige, digitale Reprä praktisch unmöglich, alle relevanten Informationen über die sentationen (digitale Abbildungen, Modelle, Virtualisierun- wichtigsten Eigenschaften eines Produktes ausschließlich gen) der genannten Objekte und Beziehungen einschließ- aus Messungen zu gewinnen 12 13. lich deren Eigenschaften sind die Voraussetzung dafür, dass 6 Geisberger, E. et al. (2012) 7 Acatech (2013) 8 Anderl, R. et al. (2012) 9 Lee, E.A. (2015) 10 Bauernhansl, T. et al. (2014) 11 Zeman, K. et al. (2016) 12 Vajna, S. et al. (2018) 13 Geisberger, E. et al. (2015) 16 ERGEBNISPAPIER „FORSCHUNG, ENTWICKLUNG & INNOVATION IN DER INDUSTRIE 4.0“
FORSCHUNGSFELDER INDUSTRIE 4.0 3 Als Beispiel soll hier die Herstellung von Spritzgießteilen ge- Virtualisierung kann in der Produktion wahrscheinlich am nannt werden. De facto ist es unmöglich, die instationäre, besten durch eine möglichst geschickte Kombination aus dreidimensionale Temperaturverteilung im Bauteil während Messung (Sensorik, Signalverarbeitung, Datenauswertung, seiner Entstehung in der Maschine zu messen. Die genaue Visualisierung und Interpretation) und Modellierung von Kenntnis der Temperaturverteilung ist aber für die minimal (zeitlich veränderlichen) Produkteigenschaften, Eigenschaf- mögliche Zykluszeit (optimale Wahl des Ausformzeitpunk- ten von Produktionssystemen, Prozessgrößen sowie deren tes) und damit für die Wirtschaftlichkeit des Prozesses ent- Zusammenwirken erreicht werden. Was nicht durch Mes- scheidend. Wird das Bauteil zu früh, d.h. bei zu hoher Tem- sung („direkt“) erfasst werden kann, muss durch Modelle peratur aus der Form ausgeworfen, kann unzulässig hoher ergänzt bzw. (re-)konstruiert werden. Dabei gilt die Regel: Verzug eintreten. Wird das Bauteil hingegen unnötig spät Je mehr Information durch Sensoren zur Verfügung steht, ausgeworfen, wird Produktionsleistung „verschenkt“. desto weniger Information muss durch Modelle (re-)konst- ruiert werden und desto zielsicherer kann i. Allg. eine Be- In der Produktion können die Messgrößen in der Regel nur schreibung erfolgen. an wenigen, ausgewählten Messpunkten durch Sensoren erfasst werden, die fehlende Information muss dann durch Um konsistente Modelle, etwa für Zwecke in der Pro- Modelle (virtuelle Sensoren) (re-)konstruiert werden. Selbst duktentwicklung oder im laufenden Betrieb, verwenden zu bei relativ einfachen Messaufgaben ist es notwendig, auch können, müssen sie erst einmal geschaffen werden, was die eine adäquate Modellvorstellung über die Messgrößen zu zentrale Frage der Modellbildung aufwirft. Domänenwis- entwickeln, da die Messwerte sonst nicht richtig interpre- sen, Erfahrung und aktuelles Methodenwissen im Bereich tiert werden können. Modellbildung und Simulation sind unerlässliche Voraus- setzungen, um Modelle durch Verifikation und Validierung Diese Beispiele und Überlegungen zeigen, dass Messun abzusichern, was einen erheblichen Aufwand und eine gro- gen alleine nicht ausreichen, um wichtige Eigenschaften ße Herausforderung darstellen kann. Die Zusammenhän- von Produkten oder Prozessgrößen in der Produktion aus- ge zwischen messbaren Einflussgrößen (z.B. Temperatur, reichend zu erfassen. Eine Ergänzung bis hin zum vollstän- Drehzahl) und Prozesszielgrößen sind für den laufenden digen Ersatz von Messungen durch geeignete Modelle ist Betrieb essentiell. Sind diese bekannt, kann mathematisch unerlässlich. Daraus kann geschlossen werden, dass eine mit White-Box-Modellierung gearbeitet werden. Oft ist dies vollständige und durchgängige Virtualisierung von Produk- jedoch nicht (ausreichend) der Fall, sodass auf Black- (oder ten und Produktion auf einer umfassenden, durchgängigen Grey-)Box-Modelle zurückgegriffen werden muss, wozu Modellbasis aufbauen muss 11 13. aufgezeichnete historische Daten benötigt werden 8 10 12 13. In manchen Branchen wie etwa in der Stahlerzeugung, in Da zu Beginn der Produktentwicklung keinerlei Messungen der Flugzeug- und Automobilindustrie hat die Unterstüt- von dem zu entwickelnden Produkt zur Verfügung stehen zung der Produktion durch Modellierung und Simulation und Erfahrungswissen zur Entwicklung komplexer Pro- bereits eine lange Tradition. Dies wird u.a. dadurch begüns- dukte kaum genügt, ist es erforderlich, zur Unterstützung tigt, dass durch sehr hohe Produktionsmengen (z.B. Stahler- der Gestaltung, Prognose und Absicherung von Produkt zeugung) oder Stückzahlen (z.B. Automobilindustrie) hohe eigenschaften auf umfassende Modellierung und Simula- Wiederholungseffekte erzielt werden. Kleine prozentuelle tion zurückzugreifen. Dadurch können innovative Produkte Verbesserungen haben einen hohen Nutzen-Multiplikator mit höherer Qualität schneller und zielsicherer auf den und können sich rasch amortisieren 14. In vielen Branchen, Markt gebracht werden 12. in denen es solch hohe Multiplikatoren nie gegeben hat, be- steht hingegen dringender Nachholbedarf. Im Unterschied dazu kann in der Produktion und Produkt nutzung auf eine Fülle von Messdaten zurückgegriffen wer- 14 Zeman, K. et al. (2006) 17
den (Big Data). Modellierung und Simulation können die In der Produktnutzung können Modelle in Verbindung mit Produktionsplanung wesentlich unterstützen, ebenso kön- Messungen dazu genutzt werden, um den Zustand des Pro- nen echtzeitfähige Modelle in Regelkreisen ganz wesent- duktes zu verfolgen und Prognosen über Wartungsbedarf, lich zur Einhaltung engster Toleranzen für die geforderten Schädigung oder Restlebensdauer zu machen. Dabei kön- Produkteigenschaften beitragen. Schließlich können Mes- nen extrem große Datenmengen anfallen (Big Data), die mit sungen und Modelle zur Steuerung, Verfolgung und Siche- KI-Methoden 15 (z.B. Machine Learning) ausgewertet wer- rung der Produkteigenschaften (Qualitätssicherung) und des den können, um als Feedbackschleife zur Produktentwick- Produktionsflusses genutzt werden. Insbesondere mit Hilfe lung Verbesserungspotentiale für die nächste Produktgene- von modernen In-Memory-Technologien können derartige ration zu erkennen und nutzbar zu machen 10 12 13. echtzeitfähige Modelle in bestehende ERP-Systeme und da- mit Geschäftsprozesse und -funktionen integriert werden, um damit die Voraussetzung für eine agile und intelligente Produktion zu schaffen 8 10 12. Forschungs- und Handlungsbedarf im Bereich der Virtualisierung gibt es zu folgenden Themenfeldern: Übergeordnete Vision: Eine lückenlose, modellbasierte Ge- Vollständigkeit, Konsistenz und Durchgängigkeit von Mo staltung, Vorhersage, Steuerung und Verfolgung von Pro- dellen und Daten: Die Entwicklung und Verbreiterung einer dukteigenschaften 14. möglichst vollständigen, konsistenten und durchgängigen Modellbasis ist entscheidend für die Umsetzung von Indus Beherrschung von Komplexität: Durch die Verschmelzung trie 4.0. Vollständigkeit, Konsistenz und Durchgängigkeit von physischer Welt und Cyber-Welt zu Cyber-physical Sys- von Daten können nur dann erreicht werden, wenn auch die tems (CPS) und die zunehmenden Möglichkeiten, alles mit Modelle, zu denen diese Daten gehören, vollständig, kon- jedem im Sinne eines Internet of Anything (IoA) zu vernet- sistent und durchgängig sind. Dazu sollen Methoden entwi- zen, entstehen immer komplexere Produkte, die in immer ckelt werden, mit denen folgende Teilziele verfolgt werden: komplexere Umgebungen eingebettet sind 8 13. Methoden zur Beherrschung dieser Vielschichtigkeit sind von hoher ››Vollständigkeit von Modellen und Daten Notwendigkeit. Das Denken in Systemen und die Sicht auf ››Konsistenz von Modellen und Daten das betrachtete „Gesamtsystem“ müssen dabei gestärkt ››Durchgängigkeit von Modellen und Daten über: werden. • den Produktlebenszyklus • verschiedene Disziplinen Modelle: Besonders für komplexe Produkte (Systeme), Pro- • das Wertschöpfungsnetz (Zulieferer, Kunden) duktionsprozesse und -systeme fehlen geeignete Modelle in vielen Bereichen gänzlich oder sind unterentwickelt. Von einer konsistenten, (horizontal und vertikal) durchgängigen Virtualisierung und Modellierung kann meist keine Rede sein, vielmehr bestehen heute existierende Modellland- schaften meist aus einer Fülle von kaum miteinander ver- bundenen Modellinseln, sodass zu deren Integration drin- gender Handlungsbedarf besteht 8 9. 15 Künstliche Intelligenz 18 ERGEBNISPAPIER „FORSCHUNG, ENTWICKLUNG & INNOVATION IN DER INDUSTRIE 4.0“
FORSCHUNGSFELDER INDUSTRIE 4.0 3 optimieren und Anforderungen für Verbesserungen ermög- lichen. Bestehende Fabrikanlagen und deren Prozesse können im Ist-Zustand mit moderner Sensorik aufgenommen werden, und diese Daten können auch als Basis für rasche und ef- fiziente Planungen von Fertigungsstraßen und operativen 3.2 Prozessen dieser Fertigungsanlagen herangezogen werden. SENSORSYSTEME Mittels Retrofitting-Ansätzen (=Nachrüsten von Sensoren auf Maschinenanlagen) wird die Kommunikation nicht-Inter- Autoren: netprotokoll-(IP-)fähiger Maschinen zu IT-Systemen der ver- Dipl.-Ing. Herwig Zeiner – tikalen Integration realisiert. So können Sensordaten für die JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft mbH; Datenmodellierung von Maschinen nutzbar gemacht und Dipl.-Ing. Stefan Rohringer – Infineon Technologies AG zur weiteren Verarbeitung bereitgestellt werden. Ein älterer Maschinenpark kann teilweise digitalisiert und I4.0-nutzbar Das Monitoring der Infrastruktur 16 und der Abläufe in der gemacht werden. Industrie erfordern neue intelligente Sensorik 17 und intelli- gente, echtzeitfähige Auswertungstechniken 18. Die Echtzeit Sensorik spielt dabei für eine Reihe von Aufgaben in der informationen über den Prozess werden zur Optimierung Produktion eine wesentliche Rolle: der Arbeitsabläufe (z.B. Produktion mit integrierter Sicher- heitsanalyse) und zur Verwendung der Betriebsmittel ge- Qualitätskontrolle der Produkte: Diese muss in der Lage nutzt. Betreiber von komplexen Industrieanlagen müssen sein, trotz hoher Diversität der Produkte bei flexibel ein- ihre Anlage ständig unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten setzbaren Produktionslinien schnell geeignete Qualitäts- optimieren. Diese Optimierung ist abhängig von der aktuel- parameter bereits während einzelner Produktionsschritte len Marktsituation und muss verschiedenste Kriterien ein- selbständig zu erfassen, um regelnd und optimierend in die beziehen (Ressourcenverbrauch, Auslastung und Durchsatz Produktionsabläufe eingreifen zu können. Dabei können je der Anlage, Qualität des Produkts etc.). Genaue und zuver- nach Anforderung sowohl autonome Regelvorgänge Ab- lässige Sensordaten und deren intelligente Auswertung sind weichungen von den gewünschten Parametern ausgleichen daher jetzt wichtiger denn je 19. Zukünftig werden intelligen- oder eine Interaktion der Cyber-physical Systems (CPS) mit te Sensoren auf Grund der Verschmelzung der Messtechnik Bedienern/Experten notwendig werden. Da der Mensch ein mit der Mikrocontroller-Technologie zunehmend autark und sehr visuell orientiertes Wesen ist, werden bildgebende Sys- automatisiert Prozesse übernehmen können, die aktuell von teme auch weiterhin eine große Rolle in der objektiven und IT-Systemen ausgeführt werden. oftmals auch subjektiven Bewertung der Qualität spielen. In einem sehr geringen Ausmaß stehen auch heute schon Mit der vorausschauenden Instandhaltung 20 werden mit von Produkten im praktischen Einsatz Informationen über Hilfe der Sensorik und der Datenanalytik die Anlagen best- die Verwendung zur Verfügung, die einerseits Auskunft über möglich gewartet. Mit Hilfe von z.B. Complex Event Pro- die Umgebung, den Zustand und die Veränderung der Le- cessing können anhand von aktuellen Maschinenzuständen bensdauer des Produkts geben, andererseits den Einsatz bzw. Maschinenparametern vorausschauend erforderliche 16 Geisberger, E. et al. (2015) 17 Maiwald, M. (2016) 18 Gröger, C. (2018) 19 Kagermann, H. (2017) 20 Larose, D. T. et al. (2015) 19
Wartungs- und Instandhaltungstätigkeiten abgeleitet und großen Anzahl an kleinen Partnern zusammenarbeitet, hat entsprechende Instandhaltungsaufträge im ERP-System andere Anforderungen als jemand, der eng mit einem oder angelegt werden. Die vorausschauende Instandhaltung er- wenigen (großen) Lieferanten arbeitet. Je nach Größe und höht nicht nur die Maschinenverfügbarkeit und vermeidet Branche des Unternehmens bedarf es verschiedener Me- Stillstandszeiten, sie eröffnet auch für Anlagenbauer und chanismen, um eine erfolgreiche Zusammenarbeit entlang Maschinenhersteller die Erschließung neuer Optimierungs- der Wertschöpfungskette zu ermöglichen. Enabler dieses potentiale. Ansatzes sind IT-Systeme. Durch den zunehmenden An- teil an Software in diesen Prozessen besteht die Heraus- Production Lifecycle Management umfasst den gesamten forderung darin, multidisziplinäre Systeme zu entwickeln, Lebenszyklus von der Konstruktion und Berechnung über zu simulieren, zu validieren und fertigzustellen und somit die Produktionsplanung bis hin zu Verkaufsplanung, Verkauf, mechanische, elektronische, elektrotechnische und weitere Vertriebslogistik sowie End-of-life Management inklusive Komponenten über gemeinsame Softwaresteuerungen zu Recycling und Servicefragen. Ein Hersteller, der mit einer integrieren. Forschungs- und Handlungsbedarf im Bereich der Sensorik gibt es zu folgenden Themenfeldern: Entwicklung und Integration von energieeffizienten und Intelligent Vision Systems für Produktionsprozesse: In der autarken Sensoren bzw. Sensorsystemen: Die Integration industriellen Automatisierung müssen räumlich abgegrenzte intelligenter Selbstdiagnose sowie von (Re-)Kalibrations- Bereiche vor dem unbeabsichtigten Eindringen von Perso- funktionen stellt hier eine besondere Anforderung dar. Des nen oder Objekten geschützt werden. In der industriellen Weiteren müssen Entwicklungsaktivitäten auf Adaptivität Inspektion und Qualitätskontrolle ist oftmals eine drei eingehen, d.h. die Fähigkeit, sich an wechselnde Umge- dimensionale optische Erfassung erforderlich, z.B. hochge- bungsbedingungen, Konzentrationen, Störeinflüsse etc. an- naue Prüfung von Oberflächen auf feinste Risse oder Lö- zupassen und weiterhin bestmöglich zu funktionieren. cher, dreidimensionale Vermessung von Formteilen. Energy Harvesting für Sensor-Betrieb und Datenübertra Sensorik auf Basis neuer Materialien: Neue Entwicklung für gung: Es bedarf Niedrigst-Spannungs-Elektronik (≤ 1,2 V), z.B. Detektion und Quantifizierung organischer und anorga- um Energie aus Energy Harvestern ohne verlustbehaftete nischer Stoffe, z.B. für die Prozessindustrien. Spannungskonverter direkt nutzen zu können. Dabei ist ein energieoptimierter Betrieb inklusive Daten-(Vor-)Verarbei- Life Cycle: Die Nachrüstbarkeit von Legacy-Anlagen ebenso tung im Sensormodul zu erzielen. wie Konzepte für Sensorfusion und virtuelle Sensoren inkl. der Wahrung der Security-Anforderungen stellen weiteren Forschungsbedarf dar. 20 ERGEBNISPAPIER „FORSCHUNG, ENTWICKLUNG & INNOVATION IN DER INDUSTRIE 4.0“
FORSCHUNGSFELDER INDUSTRIE 4.0 3 und der physischen Produkte. Es hat sich bei vielen smarten Produkten der ersten Generation gezeigt, dass diese inte grierten Systeme oft deswegen nicht eingesetzt werden, weil die Software nicht mehr betrieben werden kann, obwohl das physische Produkt durchaus noch eingesetzt werden kann. Es gilt, die heutigen Herausforderungen an Software im In- 3.3 dustrieumfeld zu meistern. Erstens brauchen wir Entwick- SOFTWARE ENGINEERING lungsmethoden und Validierungsstrategien für unterschied- liche Produktvarianten der Softwaresysteme. Zweitens gilt Autoren: es, die Qualität und Robustheit der Systeme sicherzustellen. Dipl.-Ing. Herwig Zeiner – Drittens geht es darum, Daten, die aus dem Betrieb von In- JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft mbH; dustrieanlagen und Industrieprodukten gewonnen werden, Dr. Eric Armengaud, MBA – AVL List GmbH wieder in sogenannte kognitive Softwarekomponenten ein- zuspeisen. Die erforderlichen Analysefähigkeiten werden Die steigende Nachfrage nach Software in wesentlichen diesen Komponenten mit selbstlernenden Verfahren und industriellen Anwendungsgebieten sowie vor allem die zu- Machine Learning beigebracht. Eine weitere Herausforde- nehmenden Fähigkeiten der Software, Aufgaben automati- rung ist die Integration von unterschiedlichen Softwaresys- siert durchzuführen, was zuvor durch verschiedene Arten temen (z.B. Individual- und Standardsoftware), die sowohl von Hardware erreicht werden musste, sind ein entschei- vertikal als auch horizontal integriert werden, um eine dender Vorteil für die Reduktion der Produktionskosten und durchgängige Digitalisierung der Wertschöpfungskette zu für bessere Anpassungsfähigkeit (Stichwort: Losgröße 1) im erreichen. Hierzu bedarf es des Einsatzes moderner Schnitt- Bereich der Industrie 4.0. Die Konzeption von komplexen stellen auf Basis von APIs 22, Web Services, Streamingschnitt- technischen Produktionskomponenten erfolgt meist aus stellen sowie der verstärkten Integration externer Systeme mechanischen, elektronischen und softwaretechnischen und Datenquellen, unterstützt durch die Cloud-Technologie. Einzelkomponenten. Software bezieht sich auch auf die System-Integration von physischen Maschinen mit vernetz- Aufgrund der durchgängigen Vernetzung werden Informati- ten Sensoren mit Software und ermöglicht dabei erst die onen und Daten verteilt verwaltet bzw. in Kombination mit Umsetzung von intelligenten Optimierungs- bzw. kogniti- verteilten Geräten, wie mobilen Geräten, Sensoren oder an- ven Lernverfahren, damit Prozessabläufe optimiert werden deren intelligenten mobilen Rechenknoten (Edge zwischen können. Internet und physischer Welt), verarbeitet. Die Querschnittstechnologie Software gehört zu den Schlüs- seltechnologien für den Transformationsprozess im Bereich der Industrie 4.0. Software bzw. Software Engineering spie- len dabei für die Integration dieser Einzelkomponenten eine entscheidende Rolle 21. Mit Hilfe von Software wird erst das intelligente Kombinieren von Algorithmen, Sensoren sowie deren gemessenen Daten, physikalischer Objekte und cy- ber-physischer Systeme ermöglicht. Eine Herausforderung für das Software Engineering im industriellen Umfeld sind die unterschiedlichen Updatezyklen der Softwaresysteme 21 Avgeriou, P. et al. (2016) 22 application programming interface/Programmierschnittstelle 21
Forschungs- und Handlungsbedarf im Bereich des Software Engineering gibt es zu folgenden Themenfeldern 23: Software für kognitive Systeme – von reaktiver zu proakti Software Life Cycle 28: Forschungsbedarf besteht auch in ver Steuerung: Forschungsbedarf besteht in der Entwicklung neuen Verfahren für den industriellen Software Life Cycle einer umfassenden, neuartigen Software-Kompetenz 24 25 mit automatisierter Analyse bestehender Programmstruktu- bzw. von kognitiven Methoden für proaktive Verfahren für ren, des Reengineering, des Reverse Engineering, der Um- die Steuerung im Bereich der Industrie 4.0. setzungsstrategien bei Updatezyklen und der Anpassung an neuartige Verteilungsumgebungen. Das inkludiert auch die Systems & Software Engineering für adaptive und zuver Umstellung von existierenden Steuerungsstrategien in Rich- lässige Systeme 26: Beherrschung der Systemkomplexität tung kognitiver Produktionssysteme. neuartiger, verteilter Softwarearchitekturen und Entwick- lung einer neuen Generation von zuverlässigen 27, verteilten Softwaretechnologien zur Realisierung von Smart-Applikati- onen und -Services, die sich während ihrer Laufzeit an die zukünftigen Anforderungen anpassen. 23 Spinnellis, D. (2017) 24 Kim, M. et al. (2016) 25 Kim, M. et al. (2017) 26 Hatcliff, J. et al. (2014) 27 Xie, F. et al. (2007) 28 Sharma, T. et al. (2018) 22 ERGEBNISPAPIER „FORSCHUNG, ENTWICKLUNG & INNOVATION IN DER INDUSTRIE 4.0“
FORSCHUNGSFELDER INDUSTRIE 4.0 3 ››Intelligente Teilsysteme (Komponenten, Module, Werkzeuge) ››Komplexe Gesamtsysteme (Geräte, Maschinen, „Smart Factory“) ››Verteilte Systeme (Produktionslogistik) Basissysteme (Werkstoffe, funktionale Oberflächen) 3.4 PHYSISCHE SYSTEME Im Zuge des Paradigmenwechsels hin zu Industrie 4.0 wird es zu einer Umstellung bzw. Weiterentwicklung aller Pro- Autoren: duktionsfaktoren kommen. Das Kernelement von Industrie Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Franz Haas – 4.0, die integrierte Produkt- und Produktionssystement- Technische Universität Graz; wicklung, erfordert maßgeschneiderte Materialien, aber Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ralf Schledjewski – auch neuartige Bearbeitungswerkzeuge. In diesem Kontext Montanuniversität Leoben wird eine Fülle von Werkstoffgruppen angesprochen, die optimiert und maßgeschneidert verarbeitet werden müssen. Im Maschinenbau lautet das Gebot der Stunde, die Kom- Dazu zählen neben Isolatoren, Halbleitern und Leitern auch plexität von Fertigungssystemen nicht nur steuerungsseitig, funktionale Materialien (z.B. für optimierte Sensoren, Aktu- sondern auch maschinenbautechnisch zu beherrschen und atoren) und nicht zuletzt die klassischen Strukturwerkstoffe. den Zielkonflikt zwischen technisch Machbarem und wirt- Es sind dies Metalle, Keramiken, Kunststoffe sowie deren schaftlich Leistbarem aufzulösen. Glücklicherweise befindet Verbundwerkstoffe. Die zu bearbeitenden Themen orientie- sich Österreichs Wirtschaft derzeit im Zehnjahreshoch, wo- ren sich dabei entlang der gesamten Wertschöpfungskette. durch sich die Chance eines nachhaltigen Strukturwandels Neue Hochleistungsmaterialien benötigen wiederum inno- mit einhergehender Modernisierung in allen Sektoren der vative Fertigungsprozesse, denn letztlich determinieren die Produktion eröffnet. Österreich ist und bleibt ein erfolgrei- Werkstoffeigenschaften die Prozesswahl und großteils die ches Industrieland mit hoher Kompetenz in der Elektronik Produktionskosten. Ein wichtiges Forschungsgebiet reprä- sowie im Maschinenbau und im verfahrenstechnischen An- sentiert das funktionale Oberflächendesign durch Beschich- lagenbau. tungen sowie durch verschiedenste Feinbearbeitungsver- fahren. Die größte Herausforderung stellt aus heutiger Sicht Die Vernetzung mit Informationstechnologie und Sensorik die Pulverentwicklung für die Metall-Additive-Serienferti- schafft für die physische Repräsentanz der „smarten“ Ma- gung der Zukunft dar. schinenkonzepte neue Chancen und Herausforderungen. In diesem Kontext wird die Ausbildung und die Sicherstellung Intelligente Teilsysteme einer ausreichenden Verfügbarkeit vom handwerklich hoch- (Komponenten, Module, Werkzeuge) qualifizierten bis zum wissenschaftlich exzellent ausgebilde- ten Personal als zentrale Aufgabe gesehen. Die Fähigkeit, aufgenommene Daten zu verarbeiten und diese an weitere vernetzte Systeme im Produktionsumfeld Forschungsbedarfe im Sektor „Physische Systeme“ weiterzugeben, macht ein Teilsystem zum „Intelligent Play- werden in Folge systemtechnisch für die folgenden er“ innerhalb des Gesamtsystems. Dazu wird für intelligen- Themen definiert: te Werkzeugsysteme ein Stufenmodell zur Klassifizierung vorgeschlagen 29. Die Komplexität und Testbarkeit von mo- ››Basissysteme (Werkstoffe, funktionale Oberflächen) dernen, mechatronischen Systemen kann nur durch Modu- 29 Reinhart, G. (2017), S. 324 23
larisierung und standardisierte Schnittstellen (physisch wie Verteilte Systeme (Produktionslogistik) informationstechnisch) beherrscht werden. Das zugehörige Leitparadigma wird mit „Plug and Play“ zusammengefasst Die „Smart Factory“ als zentraler Baustein von Industrie 4.0 und fordert das Einbinden neuer Komponenten mit minima- muss in der Lage sein, effizient und wenig störanfällig die lem Konfigurationsaufwand 30. Komplexität in der Fertigung zu managen. Wesentlicher Be- standteil einer Smart Factory ist Smart Logistics mit Themen Komplexe Gesamtsysteme wie Internet der Dinge, Physical Internet, Augmented Reality (Geräte, Maschinen, „Smart Factory“) und autonome, zellulare Transportsysteme. Diese neuarti- gen Transportsysteme ermöglichen die flexible Verkettung Die Produktionssysteme betreffend besteht Bedarf, die der Maschinen in automatisierten Fertigungssystemen. Möglichkeiten modernster Sensortechnik, Informations- Hierbei werden autonom fahrende „Shuttles“ eingesetzt, technik und flexibler Verkettung in die Systeme zu integrie- um Waren zwischen Maschinen, vom Rohteillager und ins ren, wobei die klassischen Ziele Produktivitätssteigerung, Fertigteillager zu transportieren. Kostenminimierung und hohes Qualitätsniveau die Richtung vorgeben. Die messtechnische Evaluierung der Maschinen, die Auswertung der Messdaten für die präventive Instand- haltung, die Integration unterschiedlicher Produktionsver- fahren zu Hybrid-Systemen und die Fähigkeit von Steuerun- gen zum „Plug and Produce“ sind zentrale Handlungsfelder in diesem Bereich. Auch die Ressourceneffizienz wird in naher Zukunft ein zentrales Forschungsthema bleiben. All diesen Bereichen ist jedoch die Notwendigkeit der Erstel- lung ausreichend genauer digitaler Modelle (Maschinen-, Produkt- und Prozessmodelle) überzuordnen. Diese sind sowohl im Entwicklungsprozess (CAx) als auch im Betrieb essentiell, da die Modellbeschreibung Voraussetzung für die Anwendung von künstlicher Intelligenz ist. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Bedeutung der Robotik zu verweisen. Die Roboterzahlen und die Robotereinsatzge- biete in Industrie, Service und zunehmend auch zu Hause steigen rasant an. Wertschöpfung und Standortsicherung können nur durch weitere Automatisierung erreicht werden. Nicht umsonst wird Österreich eine erfolgreiche Positionie- rung bei der Durchdringung von Industrie 4.0 bescheinigt. Es besteht jedoch Aufholbedarf im Einsatz von Industrie- robotern, da Österreich in den Statistiken derzeit nur am Ende des Mittelfeldes mit einem Drittel der Roboterdichte von Deutschland oder Südkorea liegt 31. Roboter werden uns helfen, den Weg zu kleineren Losgrößen und rascher Rekon- figurierbarkeit der individualisierten Produktion erfolgreich zu gehen. 30 Reinhart, G. (2017), S. 695 31 IFR-Study (2017) 24 ERGEBNISPAPIER „FORSCHUNG, ENTWICKLUNG & INNOVATION IN DER INDUSTRIE 4.0“
FORSCHUNGSFELDER INDUSTRIE 4.0 3 Forschungs- und Handlungsbedarf im Bereich der Physischen Systeme gibt es in folgenden Themenfeldern: Werkstoffe: Es gilt, maßgeschneiderte Werkstoffe (Kerami- Maschinenkonstruktion und -optimierung: Kinematikkon- ken, Kunststoffe, Metalle, Verbundwerkstoffe) für Industrie zepte der Werkzeugmaschinen und Industrieroboter, ob 4.0 mit optimierten Eigenschaften für Produkt und Produk- serieller, paralleler oder hybrider Natur, sind den hohen An- tion zu entwickeln 32. Ebenso soll die Weiterentwicklung der forderungen an Steifigkeit, Dynamik und thermische Stabi- Zerspanungswerkstoffe vorangetrieben werden, basierend lität anzupassen. Die Maschinenelemente der Zukunft, die auf z.B. polykristallinem Diamant, CBN, Hartmetallen und mechatronische Komponenten mit Funktionen zur Kom- Keramiken. pensation von Abweichungen und Schwingungen darstellen werden, müssen optimiert werden 33. Zerspanung, Umfor- Oberflächen: Neue Oberflächenbehandlungen zur Funktio- mung und additive Verfahren in Kombination müssen fein nalisierung (z.B. Benetzbarkeit, Verschleiß, Spannungen) und aufeinander abgestimmt werden, um Hochleistungs-Werk- Entwicklung neuer Beschichtungen zur Optimierung der stoffe der Zukunft in konkurrenzfähige, hochqualitative Schnittstelle zwischen Werkzeug und Werkstoff sind dabei Produkte zu verwandeln. Licht-Werkzeuge (Photonics) und ebenfalls von Bedeutung. Laser-Messtechnik sind als Schlüsseltechnologien in die Ma- schinenkonzepte zu integrieren. Die Automatisierung der Additive Fertigung: Additive Fertigung (3D-Druck) für Kera- nächsten Generation muss sich der Herausforderung stel- miken, Kunststoffe, Metalle und Verbundwerkstoffe muss len, mit dem Menschen bei einem Höchstmaß an Sicherheit schneller, prozesssicherer und in bestehende Produktions- zusammenzuarbeiten. linien integriert werden. Die Charakterisierung von additiv gefertigten Bauteilen (Festigkeit, Bearbeitbarkeit), deren Mi- Logistik: Um Smarte Logistik zu verwirklichen, bedarf es der krostruktur deutlich von konventionell gefertigten Bauteilen Entwicklung autonomer, zellularer, selbststeuernder Trans- abweicht, spielt dabei eine bedeutende Rolle. Die hoch- portsysteme, die idealerweise mit standardisierten Schnitt- produktive und automatisierte Fertigung von belastungs- stellen zu den Produktionsanlagen und Lagereinrichtungen optimierten Bauteilen (Metalle, Keramiken, Verbund- und der „Smart Factory“ ausgestattet sind. Kunststoffe) ist hierbei zu erzielen. 32 Mayrhofer, P. et al. (2015) 33 Haas, F. et al. (2015) 25
Sie können auch lesen