VORSICHT! BAUSTELLE Sanierungsstau in Bildungseinrichtungen - Erziehung & Wissenschaft 09/2019 - GEW
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Gewerkscha Erziehung und Wissenscha Erziehung & Wissenschaft 09/2019 Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft GEW VORSICHT! BAUSTELLE Sanierungsstau in Bildungseinrichtungen
2 GASTKOMMENTAR Foto: SRH Hochschule Heidelberg MARC KIRSCHBAUM Pädagogik braucht Raum Die gesellschaftspolitische Debatte über Bildung im Allgemei- me; Inklusion erfordert häufig andere Raumarrangements. nen und den „richtigen“ pädagogischen Weg hat Tradition. Sie Durch die Ganztagsschule halten sich Schülerinnen und Schü- wird ebenso intensiv wie kontrovers und ebenso qualifiziert ler zum Beispiel viel länger in unseren Bildungslandschaften wie tendenziös geführt. Viel zu wenig sprechen wir hingegen auf, sie benötigen dadurch Räume für Kooperation, Kreativi- über die Gebäude unserer Bildungslandschaft und aktuell tät oder Rückzug. Selbst die Digitalisierung ist raumrelevant über den enormen Sanierungsstau. Ob Kindergärten, Schulen (siehe Interview S. 9 f.). Zweitens handelt es sich beim Großteil oder Hochschulen – vielerorts zeigen sich triste Gebäude mit des Schulbaus um Umbau. Der Bestand an guten Schulgebäu- völlig überholten Lernräumen, verwahrlosten Toiletten und den aus der Gründerzeit oder den 1950er-Jahren ist groß. lieblosen Außenanlagen. Um einen gängigen Gedanken wider den Strich zu bürsten: Aus Dabei ist auch die bauliche Qualität unserer Bildungsland- den vielfach geäußerten Bedenken baulicher Restriktionen im schaften so enorm wichtig: Die Schulzeit ist die Zeit, in der jun- Bestand lassen sich tatsächlich ungeahnte Potenziale bergen. ge Menschen auf das Leben vorbereitet werden und in der wir Hinzu kommt, dass die architektonische Qualität – insbeson- ihnen eine Vorstellung von demokratischem und nachhaltigem dere bei historischen Schulgebäuden – der heutigen vielfach Handeln vermitteln. Und Architektur ist immer auch Ausdruck überlegen ist. Ein nicht geringer Teil heutiger Neubauten wird einer gesellschaftlichen Haltung. Es ist ebenso zu konstatie- aufgrund mediokrer Bauqualität keine lange Zukunft haben. ren, dass sich die Pädagogik historisch nie angemessen für die Die Kommunalpanels der Kreditanstalt für Wiederaufbau der Räume interessiert hat, in denen sie stattfindet. Eine solche vergangenen Jahre zeigen den enormen Sanierungsstau an „Raumvergessenheit“ ist ein großer Fehler. Der Mensch ist per deutschen Schulen. So beträgt er aktuell 42,8 Milliarden Euro. se ein räumliches, körperliches Wesen (Tilmann Habermas), Diese Investitionsbedarfe zeigen uns aber nicht, wie viel da- der Raum bestimmt unser Dasein und unsere Interaktion in von tatsächlich in bessere Lernräume investiert wird. Aktuell Räumen (Erving Goffman) ganz maßgeblich mit. Die wenigen haben wir eine lange nicht wiederkehrende Möglichkeit, mit Pädagogen, die die Relevanz des Raumes für die Pädagogik er- besseren Räumen die pädagogischen Handlungsoptionen zu kannten, taten dies umso nachdrücklicher: Maria Montessori unterstützen. Wenn wir „nur“ energetisch und brandschutz- legte Wert auf die „vorbereitete Umgebung“, Loris Malaguzzi technisch sanieren, verspielen wir eine große Chance: die betonte den „Raum als dritten Pädagogen“ und Otto Friedrich Weichen für das Lernen der Zukunft zu stellen. Bollnow hat mit „Mensch und Raum“ ein Grundlagenwerk zur Beziehung beider zueinander vorgelegt. Prof. Marc Kirschbaum, Dass Räume uns beeinflussen, erscheint aus architektonischer, Architekt und Professor für Architekturtheorie und Entwerfen umweltpsychologischer und pädagogischer Sicht unstrittig. an der SRH Hochschule Heidelberg, Leiter des Forschungsprojekts Und was historisch bislang unterrepräsentiert war, wird nun Reallabor STADT-RAUM-BILDUNG vermehrt wahrgenommen. Aktuell gibt es zahlreiche Anlässe, uns mit unseren Lernräumen zu befassen. Erstens sind eini- ge der heutigen pädagogischen Herausforderungen äußerst Zukunftsfähige Lernraumgestaltung im digitalen Zeitalter raumrelevant. Individualisierung und Differenzierung benöti- (2019). Arbeitspapier Nr. 45. Hochschulforum Digitalisierung gen im Gegensatz zum Ex-cathedra-Lehren vielfältigere Räu- (erscheint voraussichtlich im Herbst 2019) Erziehung und Wissenschaft | 09/2019
INHALT 3 Prämie Inhalt des Monat s Seite 5 Gastkommentar IMPRESSUM Pädagogik braucht Raum Seite 2 Erziehung und Wissenschaft Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung · 71. Jg. Impressum Seite 3 Herausgeberin: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Auf einen Blick Seite 4 im Deutschen Gewerkschaftsbund Vorsitzende: Marlis Tepe Redaktionsleiter: Ulf Rödde Prämie des Monats Seite 5 Redaktion: Jürgen Amendt Redaktionsassistentin: Katja Wenzel Postanschrift der Redaktion: Schwerpunkt: Sanierungsstau in Bildungseinrichtungen Reifenberger Straße 21 60489 Frankfurt am Main 1. Sonderprogramme für marode Schulen: Investitionen, die sich lohnen Seite 6 Telefon 069 78973-0 2. Interview mit Schulberater Rainer Schweppe: Abschied von der Lernfabrik Seite 9 Fax 069 78973-202 katja.wenzel@gew.de 3. Gegensätze in Leipziger Schulgebäuden: Alt und doch neu, neu und doch alt Seite 12 www.gew.de 4. Schleppender Kita-Ausbau in Berlin: Ohne Mitbestimmung geht es nicht Seite 14 facebook.com/GEW.DieBildungsgewerkschaft twitter.com/gew_bund 5. Baufällige Hochschulgebäude: Ruinen, die sich Universität nennen Seite 16 6. Die Hürden bei Kita und Schule: Zuständigkeitswirrwarr Seite 18 Redaktionsschluss ist in der Regel der 7. eines jeden Monats. Erziehung und Wissenschaft erscheint elfmal jährlich. Hintergrund Inklusion am Gymnasium Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste und Internet sowie Vervielfältigung auf Datenträger der „Erziehung 1. Unterricht mit blinder Schülerin in der Klasse: Eine Grenzerfahrung Seite 20 und Wissenschaft“ auch auszugweise nur nach vorheri- 2. Organisation von Schule: Träge wie ein großer Tanker Seite 22 ger schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Die E&W finden Sie als PDF auf der GEW-Website unter: Schule www.gew.de/eundw. Hier wird die E&W auch archiviert. 1. GEW-Kommentar: Werben für den Lehrberuf Seite 24 2. Interview mit Uschi Kruse: Die Unzufriedenheit wächst Seite 30 Gestaltung: Werbeagentur Zimmermann, Heddernheimer Landstraße 144 Bildungspolitik 60439 Frankfurt 1. Digitalisierung in der Weiterbildung: Mehr bilden, besser qualifizieren Seite 25 Für die Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitglieds- 2. Bund-Länder-Verhandlungen: Nationaler Bildungsrat ohne Gewerkschaften? Seite 26 beitrag enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der 3. Interview mit Oskar Negt: „Humanität benötigt Bindungen ...“ Seite 28 Bezugspreis jährlich Euro 7,20 zuzüglich Euro 11,30 Zustellgebühr inkl. MwSt. Für die Mitglieder der Landesverbände Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Gesellschaftspolitik Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen werden die 1. Forschungsstand Projekt „GEW-Geschichte“: Pragmatismus statt Reflexion Seite 32 jeweiligen Landeszeitungen der E&W beigelegt. Für un- 2. Präventionsprojekt in Hessen: Ist das schon antisemitisch? Seite 40 verlangt eingesandte Manuskripte und Rezensionsexem- plare wird keine Verantwortung übernommen. Die mit dem Namen des Verfassers gekennzeichneten Beiträge Jugendhilfe stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder der Herausgeberin dar. „Kita des Jahres 2019“ in Südhessen: Ihr Wort zählt – egal, wie klein sie sind Seite 36 Verlag mit Anzeigenabteilung: Stamm Verlag GmbH Berufliche Bildung Goldammerweg 16 Funktionaler Analphabetismus: Der Albtraum mit den Buchstaben Seite 38 45134 Essen Verantwortlich für Anzeigen: Mathias Müller Telefon 0201 84300-0 Initiative „Bildung. Weiter denken!“ Fax 0201 472590 anzeigen@stamm.de „GEW in Bildung unterwegs“ in Hessen: „Gute Bildung braucht gute Gebäude“ Seite 42 www.erziehungundwissenschaft.de gültige Anzeigenpreisliste Nr. 41 vom 01.01.2019, Nachruf Anzeigenschluss Nachruf auf Jesper Juul: „Kinder brauchen keine Grenzen“ Seite 43 ca. am 5. des Vormonats Erfüllungsort und Gerichtsstand: Frankfurt am Main Leserforum Seite 44 Diesmal Seite 48 ISSN 0342-0671 Die E&W wird auf 100 Prozent chlorfrei Titel: Werbeagentur Zimmermann gebleichtem Recyclingpapier gedruckt. Erziehung und Wissenschaft | 09/2019
4 AUF EINEN BLICK 2019 Streiken fürs Klima Integration statt Ausgrenzung Seit dem Ende der Sommerferien demonstrieren wieder Carsten Linnemann, stellvertretender Vorsitzender der Unions viele Tausend Schülerinnen und Schüler sowie Studierende fraktion im Bundestag, sprach sich Anfang August in einem des Bündnisses „Fridays for Future“ für schnell wirksame Interview mit der „Rheinischen Post“ dafür aus, Kinder, die Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung. Höhepunkt der schlecht Deutsch sprechen, vom Schulbesuch zunächst zurück- Protestaktionen soll am 20. September ein bundesweiter zustellen und in Vorschulklassen zu unterrichten. Die Forde- YOUNG TEACHERS, THE FUTURE OF THE PROFESSION Klimastreik sein. rung stieß auf vielfache öffentliche Kritik. Für die GEW erklärte Die GEW begrüßt die Demonstrationen von „Fridays for Fu- Ilka Hoffmann, im Vorstand für den Bereich Schule zuständig, ture“ und fordert die Gliederungen der GEW zur Unterstüt- nicht ein Mangel an Deutschkenntnissen sei das Problem im #WorldTeachersDay WTD2017_EN_alt2_final_.indd 1 11/09/17 14:51:03 Der von der Inter- zung vor Ort auf. Die soziale Bewegung „Fridays for Future“ Alltag der Schulen, sondern ein Mangel an ordentlich ausge- nationalen Arbeits- trage die Bedrohung der Welt durch den Klimawandel in das bildeten Lehrerinnen und Lehrern. Kritik gab es auch aus der organisation (ILO), öffentliche Bewusstsein, erklärte der Geschäftsführende Schulpraxis. So meinte der Berliner Lehrer Olaf Schäfer, der UNESCO und der Vorstand der GEW Mitte August. Die GEW engagiere sich seit 24 Jahren an Brennpunktschulen unterrichtet, gegenüber Bildungsinternatio- in vielfältiger Weise für die Umsetzung der Nachhaltigkeits dem Nachrichtenportal watson.de: „Kinder lernen am meisten nale (BI) ins Leben ziele und bekenne sich dabei zu den umfassenden UN- von anderen Kindern. Nimmt man ihnen die gleichaltrige Peer- gerufene und jähr- Entwicklungszielen, die soziale und ökologische Ziele syste- Group weg (…), kann das gar nicht funktionieren.“ lich am 5. Oktober misch miteinander verbinden. Wie wichtig für Schülerinnen und Schüler ohne ausreichen- begangene World de Deutschkenntnisse der gemeinsame Unterricht ist, da Teachers‘ Day wid- rauf wies die Publizistin Lena Gorelik wenige Tage nach Lin- met sich in diesem Haltung zeigen nemanns Äußerungen in einem Beitrag für die Süddeutsche Jahr dem pädagogi- Ob in Wahlergebnissen, der Zunahme von Hate Speech oder Zeitung hin („Vierte Klasse. Keine Deutschkenntnisse“). Die schen Nachwuchs. rechtsextremer Gewalt – Rechtsradikalismus zeigt sich in ver- heute in München lebende Journalistin und Schriftstellerin schiedenen Facetten. Unter dem Motto „Haltung zeigen – De- wurde 1981 in Leningrad geboren und emigrierte 1992 zu- mokratie und Zivilcourage stärken“ sollen auf einer Fach- und sammen mit ihren Eltern nach Deutschland. Hier besuchte Vernetzungstagung am 1. und 2. November in Leipzig pädago- sie eine schwäbische Grundschule und lernte dort unter gische und gewerkschaftliche Handlungsperspektiven im Um- anderem mit der verständigen Hilfe eines Lehrers und ih- gang mit Rechtspopulismus und -extremismus erarbeitet wer- rer Mitschüler Deutsch sprechen, lesen und schreiben. den. Die Tagung richtet sich an Kolleginnen und Kollegen in der Den Beitrag hat die GEW auf der Website veröffentlicht: schulischen und außerschulischen Bildung, in der Aus-, Fort- www.gew.de/sz-gorelik-deutschlernen und Weiterbildung sowie an alle anderen interessierten Ge- werkschafterinnen und Gewerkschafter (Anmeldung bis zum 15. September unter: www.gew.de/veranstaltungen/detailseite/ Alle Jahre wieder haltung-zeigen-demokratie-und-zivilcourage-staerken). Zu Beginn des neuen Schuljahres zeichnet sich ab, dass bun- desweit erneut viele Lehrerinnen und Lehrer fehlen. Dies geht aus einer Datenabfrage des GEW-Hauptvorstandes bei den Tepe bleibt BI-Vizepräsidentin Landesverbänden hervor. Vor allem im Osten ist es in keiner Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe ist Ende Juli von den Dele- Schulart gelungen, alle ausgeschriebenen Stellen mit voll aus- gierten des 8. Weltkongress der Bildungsinternationale (BI) in gebildeten Lehrkräften zu besetzen. Besonders dramatisch ist Bangkok erneut zur Vizepräsidentin gewählt worden. In ihrer die Lage in Sachsen (s. Interview Seite 30 f.). Bremen, Schles- zweiten Amtszeit werde sie sich weiter für das Recht auf freie wig-Holstein und Hamburg greifen ebenfalls immer häufiger Bildung für alle Menschen engagieren, erklärte Tepe. Für ei- auf Quereinsteigerinnen und -einsteiger zurück. nen fairen Zugang zu guter Bildung müssten die weltweiten In Baden-Württemberg und Bayern, aber auch in Rheinland- Ausgaben für Bildung dringend erhöht werden (E&W berich- Pfalz zeigt sich ein etwas anderes Bild: Dort gibt es zudem tet in der Oktober-Ausgabe über den BI-Kongress). Engpässe an Förderschulen, Berufsschulen und in einigen Regionen auch an Grundschulen. Gleichzeitig bleiben Absol- venten des Referendariats für das Gymnasium zu Tausenden Buchmesse: EDU-Konferenz zu Diversität ohne Stellenangebot. Diversität ist ein Thema, das auch in Schule und Kita immer größere Bedeutung bekommt. Welche Projekte aber sind sinnvoll, und wie setzt man sie in den vorhandenen Struktu- Beitrag wird angepasst ren um? Diesen Fragen gehen Expertinnen und Experten in Für GEW-Mitglieder, die im Geltungsbereich des Tarif- Vorträgen und Gesprächsrunden auf der EDU-Konferenz am vertrages der Länder (TV-L) angestellt sind, wird der Ge- 16. Oktober im Rahmen der Frankfurter Buchmesse (16. bis werkschaftsbeitrag rückwirkend zum 1. Januar 2019 an- 20. Oktober) auf den Grund. GEW-Mitglieder zahlen 35 Euro gepasst – bezugnehmend auf die Tariferhöhung um 3,01 (statt 45 Euro) inkl. Messeeintritt und Mittagsimbiss. Beim Prozent bzw. mindestens 100 Euro. Ticketkauf den Rabattcode eingeben: FEK19PartnerGEW Petra Grundmann, Schatzmeisterin der GEW www.buchmesse.de/edukonferenz Erziehung und Wissenschaft | 09/2019
Mitmachen lohnt sich ... ... für jedes neu geworbene GEW-Mitglied erwartet Sie ein Weinset der Lebenshilfe.* Prämie des Monats September: Weinset der Lebenshilfe Drei Bio-Weine aus dem Weinbau der Lebenshilfe. Sozial, ökologisch und qualitätsbewusst. Eine gute Wahl. Neues Mitglied werben und Prämie online anfordern www.gew.de/praemienwerbung *Dieses Angebot gilt nicht für Mitglieder des GEW-Landesverbandes Niedersachsen. Keine Lust auf unser Online-Formular? Fordern Sie den Prämienkatalog an! E&W-Prämie des Monats September 2019/Weinset der Lebenshilfe Per E-Mail: mitglied-werden@gew.de | Per Telefon: 0 69 / 7 89 73-211 oder per Coupon: Bitte in Druckschrift ausfüllen. Vorname/Name GEW-Landesverband Straße/Nr. Telefon Fax PLZ/Ort E-Mail Bitte den Coupon vollständig ausfüllen und an folgende Adresse senden: # Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Reifenberger Straße 21, 60489 Frankfurt a. M., Fax: 0 69 / 7 89 73-102
6 SANIERUNGSSTAU IN BILDUNGSEINRICHTUNGEN Aus Alt mach Neu: Die Umbauarbeiten an der Averbruchschule in Dinslaken bei Duisburg sind so gut wie abgeschlossen. Künftig wird die einst zweizügige Schule drei Klassen pro Jahrgangsstufe beherbergen. Neue, lichtdurchflutete Räume ersetzen die alten Klassenzimmer. Ein Beispiel, von dem es leider noch zu wenige gibt. Bundesweit wird der Investitionsbedarf in die Schulinfrastruktur auf 42,8 Milliarden Euro geschätzt. Bei einer repräsentativen Umfrage stuften im vergangenen Jahr 59 Prozent der GEW-Mitglieder „größere Sanierungs- und Umbauarbeiten“ als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ ein. Investitionen, die sich lohnen // Sanierungsstau an Schulen, Henjes. Jetzt folgen Erdarbeiten. Dann Ausschreibung kann in vier oder fünf veraltete Lernumgebungen, kommen die Spielgeräte. Bepflanzt und Wochen erledigt sein.“ 19 Beschäftigte fehlende IT-Ausstattung: Bund begrünt wird im Laufe des neuen Schul- arbeiten derzeit in der GmbH, darunter Bildung. Weiter denken! und Länder reagieren mit Sonder- jahres. Architektinnen, Bauleiter und Fachleute programmen. Reichen die aus? Dinslaken, 71.000 Einwohner. Die Stadt für Heizungs- oder Sanitärplanung. „Un- Und welche Schritte geht die Gewerkscha Erziehung und Wissenscha am Niederrhein beschloss 2013, ihre term Strich“, so Wüster, „erreichen wir Stadt Dinslaken am Niederrhein? Schulen umfassend zu sanieren und zu eine Kostenersparnis zwischen 10 und Ein Report. // erweitern. Kosten für 16 Schulen: 63 14 Prozent.“ Millionen Euro*. „Wie wir heute mit Im Treppenhaus liegt feiner weißer der jungen Generation umgehen, wel- Gewaltiger Finanzbedarf Staub. Irgendwo dröhnt eine Bohrma- che Bildung wir anbieten, entscheidet Kaputte Schulgebäude. Stinkende Schul- schine, Kabeltrommeln liegen herum, darüber, wie unsere Gesellschaft mor- toiletten. Lernumgebungen, die den Glasscheiben stapeln sich an der Wand. gen aussehen wird.“ Diese Richtschnur Ansprüchen von Ganztag, Digitalisie- Wir sind in Dinslaken bei Duisburg, es ist formulierte Dinslakens Bürgermeister rung, Inklusion und Integration keines- Mitte Juni. Umbau und Erweiterung der Michael Heidinger (SPD). Doch nicht das falls genügen. Dies treibt den Schulver- Averbruchschule, einer Grundschule, städtische Bauamt kümmert sich um antwortlichen in Städten und Kreisen sind in vollem Gang. Die energetische die Sanierungen. Dies ist Aufgabe der den Schweiß auf die Stirn. „Erhebli- Sanierung sei bereits erledigt, erläutert ProZent GmbH, einer 100-prozentigen chen Investitionsrückstau“ meldet das Architektin Eva Henjes, 34 Jahre. „Das Tochter der Stadt Dinslaken, gegründet Deutsche Institut für Urbanistik (difu). Dach ist neu, die Fassade gedämmt“, 2014. Vorteil sei, „dass deutlich zügiger Kämmerer der deutschen Kommunen sagt sie. Die einst zweizügige Schule gebaut wird“, erklärt Walburga Wüster, schätzten den „Investitionsbedarf in wird künftig drei Klassen pro Jahrgangs- 63 Jahre, Geschäftsführerin der ProZent die Schulinfrastruktur für 2018 auf ca. stufe beherbergen. Im dritten Stock des GmbH. Sie verweist auf die Ausschrei- 47,7 Milliarden Euro“, so das difu. Ak- Hauptgebäudes sehen wir neue Unter- bungen. Wenn die über die Kommune tuell liege der Investitionsrückstand bei richts- und Differenzierungsräume, hell laufen, gebe es viele Beteiligte. Es gel- Schulen immer noch bei 42,8 Milliarden und großzügig, mit eigener WC-Anlage. te, eine Vorlage zu erarbeiten, Ange- Euro, berichtete das difu im Juni 2019. Blick durchs Fenster, hinunter auf den bote müssten extern geprüft werden Die GEW wollte 2018 im Rahmen einer Schulhof: Ein Schaufelbagger wühlt sich und vieles mehr. „Das dauert bis zu bundesweiten Umfrage wissen, welche durch das Erdreich. „Der hat gerade drei Monate“, betont Wüster. Bei der Verbesserungen in Bildungseinrichtun- die Asphaltdecke abgetragen“, erklärt ProZent liege alles in einer Hand. „Die gen als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ Erziehung und Wissenschaft | 09/2019
SANIERUNGSSTAU IN BILDUNGSEINRICHTUNGEN 7 einzustufen sind**. 59 Prozent der re- investitionsförderungsfonds“. Daraus liner Zeitung im Juni 2018. Kompeten- präsentativ befragten GEW-Mitglieder fließen 3,5 Milliarden Euro an Kommu- te Leute wurden laut Berliner Zeitung nannten „größere Sanierungs- und Um- nen, die damit unter anderem die Bil- „weggespart unter Sarrazin und Wowe- bauarbeiten“. 66 Prozent verwiesen auf dungsinfrastruktur verbessern dürfen reit“. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) „Sanierung der Sanitäreinrichtungen“. (Laufzeit bis 2020). Weitere 3,5 Milli- war von 2002 bis 2009 im Amt, der 79 Prozent wünschten sich „Maßnah- arden Euro gehen an finanzschwache Regierende Bürgermeister Klaus Wo- men gegen Lärm“. 80 Prozent forderten Kommunen, um Schulen zu sanieren wereit (SPD) von 2002 bis 2014. Auch „Verbesserung der digitalen Ausstat- (Laufzeit bis 2022). Im Jahr 2019 fiel der in Berlin steigen die Schülerzahlen. Der tung“. Eine Studie der GEW Hessen*** Startschuss für den „DigitalPakt Schu- rot-rot-grüne Senat plant deshalb, bis zeigt zudem auf, dass Städte und Kreise le“, der in den nächsten Jahren 5,5 Milli- 2026 insgesamt 60 neue Schulen zu höchst unterschiedlich viel Geld in ihre arden Euro für IT-Technik verteilen wird bauen. Mit den veranschlagten 5,5 Mil- Schulgebäude investieren: Das Schluss- (s. E&W 1/2019 und 10/2018). Hinzu liarden Euro werde Berlin jedoch „nicht licht bildet die Stadt Kassel mit durch- kommt, was einzelne Bundesländer an- so weit kommen wie erhofft“, schreibt schnittlich 246 Euro im Jahr pro Schü- bieten. So verabschiedete Nordrhein- der Tagesspiegel. Ein Grund seien „un- lerin und Schüler. Die Stadt Darmstadt Westfalen 2016 das Programm „Gute realistisch niedrige Schätzungen“, mit nimmt 460 Euro pro Jahr und Kopf in die Schule 2020“. Zwei Milliarden Euro, ver- denen der Senat anfangs geplant habe, Hand. Spitzenreiter Hochtaunuskreis, teilt auf vier Jahre, stehen bereit. Aus sowie „exorbitante Preissteigerungen gelegen im Speckgürtel von Frankfurt diesem Programm erhält Dinslaken 6,5 in der Bauwirtschaft“. am Main, stellt 1.299 Euro bereit (s. Millionen Euro. Zurück an der Averbruchschule in Dins- auch S. 44). laken. Architektin Henjes zeigt uns den Bund und Länder reagieren. Doch im Schwierige Personalsuche künftigen Mehrzweckraum, mit Büh- Vergleich zum gewaltigen Finanzbedarf Viele Kommunen haben jedoch Proble- nenpodest und Ausgabestelle für war- fallen die staatlichen Förderprogramme me, das Geld sinnvoll in Schulgebäude me Mahlzeiten. „Fast 225 Quadratme- bescheiden aus. So beschloss die Bun- zu investieren – es fehlt qualifiziertes ter groß“, erläutert sie. Noch liegt dort desregierung 2015 den „Kommunal- Personal. Beispiel Köln. In der Gebäu- nackter Estrich, ein Handwerker schnei- >>> dewirtschaft der Stadt Köln (GW) seien von 500 Stellen seit Jahren 80 bis 100 Stellen nicht besetzt. Das berichtet Heiner Kockerbeck, Kölner Stadtrat der Linken. „Insbesondere Bauingenieure und Architekten sind für die Gehälter, die die Stadt Köln bezahlt, schwer zu bekommen“, erklärt Kockerbeck. Es fehlten „insbesondere solche, die genü- gend qualifiziert sind, um größere Bau- projekte zu leiten“. Die Stadt erklärt auf Anfrage, seit 2017 habe die GW ihr Personal aufgestockt und 144 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewonnen. Ak- tuell liege die Zahl der offenen Stellen bei „ca. 85“. Derweil steigen in Köln die Schülerzahlen. Die Domstadt müsse „in Fotos: Bert Butzke den nächsten Jahren“ mehr als 40 neue Schulen bauen, berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger im Mai 2019. Zusätzliche Walburga Wüster leitet die ProZent Lasten verursacht laut Stadt-Anzeiger, Bei der Sanierung von Schulen steckt GmbH. Der 100-prozentigen Tochter der dass die schwarz-gelbe Landesregie- der Teufel oft im Detail. Häufig machen Stadt Dinslaken obliegen Planung und rung die verbindliche Verkürzung der die Räumlichkeiten zwar etwas her, Durchführung der Sanierung von öffentli- Schulzeit zurückgenommen hat. „Fünf doch im Sommer ist bei großer Hitze an chen Gebäuden. Die 63-Jährige verweist bis acht Gymnasien werden allein we- Unterricht nicht zu denken. An der Aver- auf den Vorteil eines solchen Systems: gen der Umstellung von G8 auf G9 be- bruchschule in Dinslaken hat Architektin Bei der Sanierungsgesellschaft liege alles nötigt.“ Eva Henjes auch an solche Situationen in einer Hand. „Die Ausschreibung kann Dramatisch auch die Lage in Berlin. Die gedacht. „Es gibt eine Lüftungsanlage“, in vier oder fünf Wochen erledigt sein. Hauptstadt habe mit einer Verwaltung versichert sie. Hinzu kommen Markisen Unterm Strich erreichen wir eine Kosten- zu tun, „die es schon lange nicht mehr vor den Fenstern – „die werden das ersparnis zwischen 10 und 14 Prozent.“ gewohnt ist, zu investieren“, so die Ber- Ganze verschatten“. Erziehung und Wissenschaft | 09/2019
8 SANIERUNGSSTAU IN BILDUNGSEINRICHTUNGEN sacht auch durch die Steuerreform der Hoch umstritten: Public Private Partnership im Schulbau damaligen rot-grünen Bundesregie- Ein öffentliches Gebäude, um dessen Finanzierung, Bau und Betrieb sich ein rung. „Die Infrastruktur in Deutschland Bildung. Weiter denken! privates Unternehmen kümmert. Und eine Kommune, die im Gegenzug dem läuft somit seit rund 15 Jahren auf Ver- Unternehmen 20 oder 25 Jahre lang eine Art Pachtrate zahlt. Dieses Konstrukt schleiß“, schreibt die KfW-Bank. Dies Gewerkscha Erziehung und Wissenscha heißt Public Private Partnership (PPP), auch Öffentlich-Private Partnerschaft gelte selbst für die letzten Jahre, „in (ÖPP) genannt. Seit 2003 starteten bundesweit 111 PPP-Projekte im Schul- denen niedrige Zinsen und eine robuste bau, meldet der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Kommunen und Konjunktur den deutschen Kommunen Eltern seien mit den ÖPP-Schulprojekten zufrieden, behauptet der Verband zusätzliche finanzielle Handlungsspiel- und verweist auf entsprechende Studien. Die Stadt Mülheim an der Ruhr hin- räume eröffnet haben“. Was tun? Der gegen liegt im Clinch mit ihren PPP-Partnern, den Bauunternehmen Strabag KfW-Report kommt zu dem Schluss, und Züblin. Der jahrelange Streit dreht sich um zwei Mülheimer Schulgebäu- dass „die zunehmende Delegation von de, die via PPP saniert wurden. Von „teils erheblichen Feuchtigkeitsschäden“, Finanzierungsverantwortung an den berichtete die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) im März 2019. Das Bund“ sowie „die Einführung einmaliger Landgericht Duisburg urteilte inzwischen, die privaten Partner müssten die Sonderprogramme“ keine dauerhafte Schäden beheben. Strabag und Züblin legten Berufung ein. Es sei „nicht klar, Lösung ermögliche. „Vielmehr sollten ob es nun endlich und zeitnah zu einer Sanierung kommt“, schreibt die WAZ. die Handlungsspielräume der Kommu- Auch andernorts sind die Erfahrungen gemischt (vgl. E&W 7-8/2016). Zwar nen wieder verbessert werden.“ Was sind private Firmen im Rahmen von PPP-Projekten oft schneller als städtische bedeutet: Entlastung der Städte und Bauabteilungen. Zudem muss die häufig hochverschuldete Kommune keinen Gemeinden bei den Sozialausgaben. Kredit aufnehmen – das ist Sache der PPP-Gesellschaft. Holger Mühlenkamp, Und Steuererhöhungen zugunsten der Professor für öffentliche Betriebswirtschaftslehre in Speyer, hält jedoch nichts Kommunen. Damit Städte und Kreise in davon, „Staatsverschuldung zu verdecken“. „Man ist nicht mehr Herr im eige- die Lage versetzt werden, dauerhaft für nen Haus“, warnte 2016 die damalige Kölner Schul-Beigeordnete Agnes Klein funktionstüchtige, moderne und attrak- (SPD). Sind die Verträge unterschrieben, so Klein, seien Änderungswünsche tive Schulgebäude zu sorgen. „schwer realisierbar“. Kritiker betonen zudem: PPP-Projekte seien häufig teu- rer, da die privaten Partner Gewinne erzielen wollten und höhere Zinsen als Matthias Holland-Letz, die öffentliche Hand zu zahlen hätten. M. H.-L. freier Journalist >>> det Kunststoffbahnen zurecht. „Hier gern mit uns“, betont Wüster. „Weil wir *Broschüre „Dinslaken macht Schule“: sind die Bodenleger zugange“, erklärt schneller beim Bezahlen sind als die bit.ly/dinslaken-macht-schule-pdf Henjes. Zwei Seiten des Raumes sind bis Kommune.“ Sie berichtet, „dass wir uns **GEW-Studie zur Gebäudequalität zum Boden verglast. Und wenn die Son- bemühen, in der Region auszuschrei- von Bildungseinrichtungen: ne reinknallt? „Es gibt eine Lüftungsan- ben.“ Damit Firmen zum Zuge kommen, www.gew.de/studie-gebaeude lage“, antwortet die Architektin. Hinzu „die ihre Gewerbesteuer in Dinslaken ***Studie der GEW Hessen zur kommen Markisen vor den Fenstern – zahlen“. Entwicklung der Bauinvestitionen: „die werden das Ganze verschatten“. www.gew.de/gewhessen-bauinvest-pdf Hat ProZent ebenfalls Probleme, Per- Kapitalstock geschrumpft ****KfW-Studie „Bundesrepublik en sonal zu finden? Nein, antwortet Ge- Doch Kommunen ächzen nicht nur un- marche?! Kommunale Investitionsrück- schäftsführerin Wüster. Die angestell- ter der Last, Schulgebäude zu sanieren stände in Frankreich und Deutschland“: ten Fachleute verdienten „hier besser oder zu bauen. Vielerorts sind auch bit.ly/kommunale-investrueck-pdf als in einem kleinen Architekturbüro in andere öffentliche Gebäude marode, unserer Region“. Man bewege sich zwar zerbröseln Straßen und Brücken. „Deut- GEW-Flyer „lerntRÄUME gestalten“: im Rahmen des Tarifvertrags für den öf- sche Kommunen haben auch im euro- www.gew.de/flyer-lerntraeume-pdf fentlichen Dienst. Allerdings sei ProZent päischen Vergleich überdurchschnitt- Siehe auch E&W-Schwerpunkt 9/2016 „ein wenig flexibler“. Im Oktober 2018 liche Investitionsrückstände“, so ein habe der Stadtrat zudem beschlossen, Bericht der staatlichen Kreditanstalt für Gewerkscha Erziehung und Wissenscha die Personalsituation „zu verstetigen“. Wiederaufbau (KfW) von Juli 2018****. Erziehung & Wissenschaft 09/2016 Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft GEW Nun hätten alle Beschäftigten unbefris- Sie beruft sich dabei auf eine Studie der tete Arbeitsverträge. Hätte der Stadt- Europäischen Investitionsbank. Dem- rat dies nicht beschlossen, so Wüster, nach hätten deutsche Städte und Kreise Lern-Räume „dann hätte sich der eine oder andere „seit 2003 durchgehend weniger inves- Defekte Heizungen, undichte Fenster, Schimmel an den Wänden: nach anderen Stellen umgesehen“. tiert als abgeschrieben“, der Kapital- Viele Schulen in Deutschland sind in einem erbärmlichen Zustand … Und was ist mit Baufirmen und Hand- stock sei also geschrumpft. Spätestens werksbetrieben – die sind doch oft ab 2003 litten die Kommunen unter ausgebucht? „Viele Baufirmen arbeiten wegbrechenden Einnahmen – verur- Erziehung und Wissenschaft | 09/2019
SANIERUNGSSTAU IN BILDUNGSEINRICHTUNGEN 9 Abschied von der Lernfabrik // Hunderte Schulgebäude E&W: Lassen sich die bestehenden in Deutschland sind marode; Schulgebäude problemlos umge- der Sanierungsbedarf ist groß. stalten? Gleichzeitig steigt aufgrund Schweppe: Grundsätzlich funktio wachsender Schülerzahlen niert das. Das geht einerseits mit der Bedarf an Neubauten. ganz einfachen Mitteln, beispiels- Der Schulberater Rainer weise einer anderen Raumzu- Schweppe sieht darin eine ordnung – verbunden mit einer Chance, Schulen so zu gestal- neuen farblichen Gestaltung der ten, dass in ihnen auch ein Wände, Türen etc. Einen Karten- moderner Unterricht möglich raum könnte man leicht zum Team- ist, der auf Inklusion und raum umwidmen. Mit etwas mehr Methodenvielfalt setzt. // Bauaufwand kann man aber auch SCHUTZ in die Bausubstanz eingreifen und VERSICHERUNGS ! E&W: Die meisten Schulen in zum Beispiel Wände einreißen, um BIS 67 MÖG CH LI Deutschland sind vor mehr als Platz zu schaffen und Flure päda- gogisch nutzbar zu machen. Das 100 Jahren oder in den 1970er- Jahren im Zuge der Bildungsex- bietet sich zum Beispiel dann an, Nutzen Sie unsere attraktiven pansion gebaut worden. Sie sind reine Zweckbauten, die den Geist wenn sowieso größere Sanierungs- arbeiten anstehen. Sonderkonditionen ihrer Zeit atmen: Lernfabriken für E&W: Sie haben das Konzept Lern- den 45-Minuten-Takt und Fron- hausschule entwickelt und in Dienstunfähigkeitsversicherung talunterricht. Der Schulunterricht Herford, München und Berlin um- Berufsunfähigkeitsversicherung hat sich mittlerweile aber geän- gesetzt. Was ist unter diesem zu dert. Wie muss die Schularchi- verstehen? tektur für diesen Unterricht aus- Schweppe: Eine Schule besteht sehen? neben den Fachräumen aus mehre- Rainer Schweppe: Die Schulgebäu- ren Lernhäusern. In so einem Lern- Sicherheit für den Fall der Dienst- oder Berufsunfähigkeit de wurden früher ausschließlich für haus gibt es keine herkömmlichen ist wichtig! Denn dieses Risiko wird oft unterschätzt. Die den Halbtagsunterricht gebaut: Am engen Klassenzimmer an Fluren, sondern offene, lichtdurchflutete HUK-COBURG bietet Ihnen Sonderkonditionen bei Neu- Vormittag sollte so viel Wissen wie möglich bzw. wie vorgeschrieben Räume, die sich mit Differenzie- abschluss einer Dienst- oder Berufsunfähigkeitsversicherung. vermittelt werden. Für die Ganz- rungsräumen um ein Forum herum Damit sparen Sie über die gesamte Laufzeit bares Geld! tagsschule, aber auch für die In- gruppieren und auch einen Team- klusion und die Digitalisierung des raum beinhalten. Bauphysikalisch Sprechen Sie mit uns. Wir beraten Sie gerne auch persönlich Unterrichts braucht es ganz andere wird auf ein angenehmes Raumkli- vor Ort: Die Adressen unserer Geschäftsstellen finden Sie in Konzepte. Das heißt, die Gebäude ma geachtet, also darauf, dass die Ihrem örtlichen Telefonbuch unter „HUK-COBURG“ oder unter müssen völlig anders gestaltet und Räume zum Beispiel im Sommer ausgestattet sein als die traditio- nicht überhitzen. Natürlich sind www.HUK.de/Ansprechpartner nellen „Flurschulen“. Sie müssen Räume wie bisher als Klassenzim- einen Unterricht ermöglichen, der mer nutzbar, aber eben flexibel, so auf Methodenvielfalt setzt, sie dass auch mehr pädagogische Me- müssen eine flexible Raumnutzung thoden als der Frontalunterricht zulassen, die auch Ruhe und Ent- möglich sind, etwa das Arbeiten spannungsmöglichkeiten bietet. in kleinen Lerngruppen. Die Lern- Dazu benötigen Lehrerinnen und häuser verhindern zudem eine zu Lehrer bessere räumliche Arbeits- große Anonymität, wie man sie bedingungen, wenn sie längere aus der traditionellen Schule mit Zeit in der Schule sind. 1.000 Schülern, 100 Lehrern >>>
10 SANIERUNGSSTAU IN BILDUNGSEINRICHTUNGEN >>> und sich gleichenden Klassenzimmern Schweppe: Ja, das ist in der Tat ein geschlossen werden. Da ist für innovati- kennt. Eine kleinere Gruppe von Lehr- Problem. Nordrhein-Westfalen (NRW) ve Lösungen kaum noch Platz, oder? kräften ist im Lernhaus einige Jahre für redet den Schulträgern beim Schulbau Schweppe: Ganz im Gegenteil. Wenn die Bildung. Weiter denken! eine kleinere Anzahl von Schülerinnen überhaupt nicht rein, dort gibt es eine Schülerzahlen zurückgehen, kann das und Schülern da. Pauschale, die jährlich über die Gemein- sogar eine Chance sein. Man darf dann E&W: Wie nehmen die Lehrerinnen und definanzierung ausgeschüttet wird. allerdings nicht der Versuchung verfal- Gewerkscha Erziehung und Wissenscha Lehrer dieses Konzept an? Damit sind Förderanträge nicht mehr len, Schulen zurückzubauen, sondern Schweppe: Die Erfahrungen und die nötig. Es fehlt hier allerdings ein päda- sollte die vorhandenen Gebäude mög- Rückmeldungen sind positiv. Wichtig gogisches Raumkonzept, wie es jetzt als lichst erhalten und das Mehr an Raum ist natürlich, dass die Beschäftigten von erstes Bundesland Berlin hat. Andere auch im Sinne von Ganztagsschule und Anfang an bei der praktischen Arbeit Bundesländer fördern nach Mindest- Inklusion flexibel nutzbar machen. und der Schulentwicklung unterstützt standards – etwa bei der Raumgröße. E&W: Und bei steigenden Schülerzah- werden. Wichtig ist uns auch, dass sich Die Kommunen nutzen diese Freiräu- len? sowohl Pädagoginnen und Pädagogen me ganz unterschiedlich. Herford in Schweppe: Auch hier kommt es auf die mit langjähriger Berufspraxis eingela- NRW und München in Bayern verfü- richtige Architektur an. Städte wie Ber- den fühlen, etwas Neues auszuprobie- gen schon lange Zeit über bewährte lin können ja gar nicht anders, als ganz ren, als auch Kolleginnen und Kollegen, eigene Raumstandards. Ich würde mir schnell viele neue Schulen zu bauen die mit neuen Lehr- und Lernmethoden wünschen, dass die Kommunen beim bzw. bestehende Einrichtungen rasch bereits vertraut sind, die dafür notwen- Neubau wie dem Bestandsumbau eine zu erweitern. Wenn man aber weiß, digen räumlichen Bedingungen vorfin- neutrale überregionale Fachberatung dass die „Notlösung“ zu einer Dauer den. In Berlin hat sich auch die GEW in in Anspruch nehmen könnten, die päda- lösung werden kann, die zehn oder die Facharbeitsgruppe Schulraumquali- gogische und architektonische Aspekte mehr Jahre Bestand haben wird, dann tät eingebracht und das Projekt unter- verbindet. Der Bund und insbesondere muss man dies schon bei der Planung stützt. die Länder sollten hier initiativ werden, berücksichtigen. In Zuwachsregionen E&W: Die Schulbauverordnungen un- damit pädagogische Ziele beim Schul- ist es auch aus wirtschaftlichen Grün- terscheiden sich von Bundesland zu bau überall Priorität haben. den wichtig, schnell pädagogisch sinn- Bundesland; manche Länder haben E&W: Der Bedarf nach Schulneubau ist volle Schulgebäude zu errichten, damit überhaupt keine Verordnungen in den Kommunen unter- weniger Übergangslösungen wie Con- mehr. Während die Länder schiedlich hoch. In Bal- tainer, Pavillons oder andere „mobile überwiegend für das päda- lungsgebieten steigen die Bauten“ erforderlich sind. Typen- oder gogische Personal zuständig Schülerzahlen, anderswo Modulbauten können dabei durchaus sind, fallen der Bau und die sinken sie. Während etwa zeitgemäße adäquate Schulen sein, sachliche Ausstattung der in Berlin Schulen in mo- wenn sie für die pädagogische Nutzung Schulen in die Verantwor- dularer Bauweise aus konzipiert werden. Auch solche Bauten tung der Kommunen. Hemmt dem Boden gestampft lassen sich als Lernhäuser konzipieren. diese Aufgabenverteilung werden sollen, müssen den Schulneu- und -um- in anderen Orten Ein- Interview: Jürgen Amendt, bau? richtungen Redakteur der „Erziehung und Wissenschaft“ Info Lernhauskonzept: bit.ly/lernhaus-muenchen-pdf Zur Person Rainer Schweppe (65) leitet in Ber- lin für die Senatsbildungsverwal- tung als externer Berater die Fach- arbeitsgruppe Schulraumqualität. Davor hatte er in Herford und als Stadtschulrat in München ein neu- es Konzept für den Bau und Um- Rainer Schweppe bau von Schulen – das sogenannte Lernhauskonzept – entwickelt und umgesetzt, das Modellcharakter Foto: privat für andere Städte hat. jam Erziehung und Wissenschaft | 09/2019
DAS LEBEN iST WiSSEN. Bleib Neugierig! KLASSENFAHRT IN DIE JUGENDHERBERGE Tipps und Programmangebote: jugendherberge.de/klassenfahrten
12 SANIERUNGSSTAU IN BILDUNGSEINRICHTUNGEN Alt und doch neu, neu und doch alt Den Kontrast dazu bildet die frisch renovierte Ober- schule Ratzelstraße. Das lichtdurchflu- tete Gebäude ist ein Beispiel dafür, wie Schulsanierung gelingen kann. „Baulich ist fast alles Unter den rund 130 Schulen perfekt“, sagt Schul- in Leipzig ist die 100. Grund- leiterin Christiane schule eines der Stiefkinder. Brielmann. Eine Sanierung der 1985 gebauten Schule fand nicht statt. In den Schulfluren bilden sich Pfützen. // Ein Stadtteil, zwei Welten: In Winter zieht es kalt herein. Tapeten und gezeichnet. „Sonst verliere ich ja den einer Plattenbauschule in Leipzig- Putz bröckeln, der PVC-Bodenbelag wellt Überblick“, scherzt die 37-Jährige mit Grünau läuft das Wasser von den sich. Die orangen Vorhänge im DDR-Stil Galgenhumor. Derzeit werden immer- Wänden – doch wenige Straßen spotten jeder Brandschutzverordnung, hin einige neue Fußböden gelegt. Aber weiter glänzt eine frisch sanierte und die 35 Jahre alten Schränke sollte die Lamellen für den Sonnenschutz feh- Oberschule im Bauhausstil mit allem, man nicht rücken, weil sie sonst ausein- len immer noch – obwohl Horn sie seit was sich Lehrkräfte wünschen. // anderfallen. Immerhin die Toiletten des 2017 beantragt. „Die baulichen Aufga- Schulgebäudes wurden gerade neu ge- ben“, sagt sie, „halten mich ständig von In der 100. Grundschule in Leipzig- macht. Aber in den Retro-Umkleiden der der pädagogischen Arbeit ab.“ Grünau haben sie ihren Humor nicht Sporthalle kann man noch riechen, wie Seit 2011 ist Horn hier Lehrerin, seit 2013 verloren, trotz allem: An einem war- der Ursprungszustand war. Im Keller hat Schulleiterin. In den ersten Jahren war men Sommertag ist Musikstunde im es reingeregnet, das Fallrohr ist undicht. die dritte Etage gesperrt, aber der Platz dritten Stock des Plattenbaus, die Luft reichte nicht aus. Auch das Kunstzimmer ist heiß und drückend. Der kleine Lüfter Tafeln aus DDR-Zeiten musste sie wieder in einen Klassenraum schafft kaum mehr als eine Geräuschku- Dass die Zimmer und Flure trotzdem verwandeln. Für kleine Anschaffungen lisse. Also guckt die Klasse einen Film. in knalligen Farben leuchten, ist nur sammeln die mehr als 300 Kinder Altpa- Die Schneekönigin! „Zur Abkühlung“, dem Engagement der stellvertretenden pier. Vier Tonnen waren es voriges Schul- scherzt die Musiklehrerin. Schulleiterin Grit Trepte zu verdanken, jahr – bringt etwa 1.000 Euro für ein Unter den rund 130 Schulen in Leipzig die sich in ihrer Freizeit mit Farbeimern Schulfest und ein wenig neues Material. ist die 100. Grundschule eines der Stief- und Freunden auf die Leiter stellt. Zu- Während andere Schulen neue Anschaf- kinder. Gebaut 1985, hat sich bis heute sammen mit Schulleiterin Franziska fungen aus den Mitteln des Digitalpakts wenig geändert. Eine Sanierung fand Horn bildet sie ein Team, das gelernt planen, braucht die 100. Grundschule nicht statt, denn die Schule sollte 2012 hat, den Kopf nicht hängenzulassen. erstmal eine ordentliche Internetleitung. geschlossen werden. Doch dann wuch- „Natürlich stelle ich ständig Anträ- Während andere Schulen interaktive sen die Schülerzahlen, der Standort ge“, sagt Horn und zeigt einen dicken Whiteboards nutzen, stammen hier die wurde gebraucht – auch wenn er sich Ordner mit allen Grundrissen. Darin meisten grünen Tafeln aus DDR-Zeiten. kaum noch dafür eignet: Die uralten sind für jedes Zimmer der vierzügigen Doch mit ihrem kleinen Etat kann die Holzfenster sind undicht, im Sommer Grundschule die größten Probleme und Schule nicht mehr als Löcher stopfen. heizen sich die Räume im Nu auf, im die kleinsten Reparaturen farblich ein- „Ich hätte gern einen strukturierten Erziehung und Wissenschaft | 09/2019
SANIERUNGSSTAU IN BILDUNGSEINRICHTUNGEN 13 Plan, wie es weitergehen soll“, sagt die säumt zu haben, weil man auf wach- werker neidisch werden. In der großen Schulleiterin. „Aber unsere Perspektive sende Geburtenzahlen und den positi- Lehrküche kann man sogar die Höhe der ist gleich null.“ ven Wanderungssaldo zu spät reagiert Dunstabzugshauben elektrisch verstel- Die Leute in der Schulverwaltung wis- habe. „Von der Geburt bis zur Einschu- len. Mehr als 15 Millionen Euro haben sen um die Misere, man ist ja ständig lung vergehen sechs Jahre. Da hätte Stadt und Freistaat für die denkmalge- im Gespräch. Doch Leipzig leidet massiv man trotz langer Genehmigungsverfah- rechte Sanierung ausgegeben, bevor die unter Wachstumsschmerzen. Die Be- ren frühzeitiger reagieren können“, sagt 1929 gebaute Schule voriges Jahr wie- dereröffnet wurde. Bei ihrer Gründung vor 90 Jahren galt sie als eine der kin- derfreundlichsten Volksschulen. Auch heute sind Gebäudehülle und Klassen- zimmer wieder makellos. In die Wände auf den Fluren sind historische Schränke eingelassen, in einem Atrium zum hinte- ren Hof befindet sich die Schülermensa mit Ausgabeküche. Heizung, Elektrik, Sanitärräume, Treppenhäuser und zwei Aufzüge sind nagelneu und barrierefrei, ebenso die Pausen- und Sportflächen. „Die traumhafte Ausstattung erleichtert natürlich das Arbeiten deutlich“, sagt Brielmann. Fotos: Sebastian Willnow Die 56-jährige Deutschlehrerin hat schon an verschiedenen Positionen in Sach- sens Schullandschaft gearbeitet, auch als Schulleiterin. Nun genießt sie den allmählichen Aufwuchs der Schule. Seit diesem Jahr sind vorerst gut 340 Schü- völkerung ist in den vergangenen acht Fabian Wolff, Vorsitzender des GEW- lerinnen und Schüler der Klassen 5 bis Jahren um rund 80.000 Menschen auf Bezirksvorstands. Inzwischen reagiere 8 aufgenommen. Bis in zwei Jahren alle annähernd 600.000 Einwohner gewach- die Stadt aber und investiere sehr viel. Klassenstufen vorhanden sind, bietet sen, die Schülerzahlen stiegen mit. Eine Doch ein Ende des Bedarfs ist nicht ab- das offene Haus daher noch Ausweich- Herkulesaufgabe: Von den aktuell 132 zusehen: Die Stadt selbst rechnet bis räume für andere Standorte, die gerade Schulen der Stadt sind in den vergan- 2030 mit einem Zuwachs von mindes- saniert werden. Auch das Team wächst genen fünf Jahren sieben Schulen neu tens 20.000 Schülern. mit, es sind vor allem junge Kolleginnen gebaut und etwa 40 komplett saniert und Kollegen. Schwierigkeiten mit Lehr- worden. „Bei etwa 60 Schulen laufen Gute Räume, gutes Lernklima kräftemangel oder zu wenigen Schülern derzeit Sanierungen; etwa ein Drittel be- Wie schön eine sanierte Schule sein haben sie in der Ratzelstraße nicht – im findet sich im Bau, bei zwei Dritteln lau- kann, ist nur ein paar Straßen von der Gegenteil. Die Bewerberzahlen gehören fen die Planungen“, sagt Nicolas Tsapos, 100. Grundschule entfernt zu bestau- zu den höchsten im Freistaat. „Die Kin- Leipzigs Amtsleiter für Jugend, Familie nen: Die neue Oberschule Ratzelstraße der lieben ihre Schule. Es herrscht eine und Bildung. Unter dem Strich bedeutet ist schon äußerlich ein architektonisches große Verbundenheit, die auch ein gutes das aber auch: 25 Schulen müssen noch Schmuckstück. Der ockerfarbene Bau Lernklima schafft“, sagt Brielmann. saniert werden. Für Tsapos ist damit mit den langen Reihen weißer Spros- Nur ein Vorzug der Schule hat sich zu- jedoch absehbar, „dass man in naher senfenster strahlt auf Besucher eine be- gleich als Fluch erwiesen: Die 850 Fens- Zukunft davon ausgehen kann, dass alle sondere Ruhe aus. Beim Gang durch die ter und die hellen Gänge haben das Schulen der Stadt Leipzig saniert sind“. lichtdurchfluteten Räume zeigt Christi- Gebäude im Hitze-Sommer fast in ein Dieses Jahr plant die Stadt immerhin mit ane Brielmann, wie Schulalltag funktio- tropisches Gewächshaus verwandelt. 150 Millionen Euro für Neubauten, Sa- nieren kann. „Baulich ist fast alles per- Schon morgens herrschten 30 Grad, Un- nierungen und Brandschutz. Weitere 23 fekt“, sagt die Schulleiterin. „Hier gibt terricht wurde verkürzt und in die Höfe Millionen sind für Instandhaltungen und es nichts, das nicht neu wäre.“ verlegt. „Ich hoffe, dass den Bau-Exper- kleinere Teilsanierungen geplant. Schon Der Idealzustand ist besonders in den ten noch eine Lösung für eine bessere 2018 hatte die Stadt ein Sofortbaupro- Fachkabinetten zu sehen: Für Informatik, Beschattung oder Lüftung einfällt“, sagt gramm für Schulen mit 150 Millionen Chemie, Bio und Physik sind gut ausge- die Schulleiterin. Euro bis 2022 aufgelegt. stattete Lehrräume mit vielen Materi- Kritiker werfen dem Rathaus allerdings alien entstanden. Der Werkraum samt Sven Heitkamp, vor, rechtzeitige Planungen lange ver- Sägetisch mit Absauganlage lässt Hand- freier Journalist Erziehung und Wissenschaft | 09/2019
14 SANIERUNGSSTAU IN BILDUNGSEINRICHTUNGEN Besonders stolz ist man in der Integrations-Kita Karow KidZ im Nordosten Berlins auf den Fotos: Rolf Schulten großen, extra schall- und zudem stoßgedämmten Bewegungsraum. Bildung. Weiter denken! Ohne Mitbestimmung Gewerkscha Erziehung und Wissenscha geht es nicht // Berlin braucht dringend neue Kinder, mit einem großen, extra schall- all das, wovon Bauherren immer wieder Kitas. Doch der Ausbau scheitert und zudem stoßgedämmten Bewe- berichten: Nicht immer läuft mit allen nicht nur an der Bürokratie, son- gungsraum und einem großen Garten Firmen alles glatt; zudem herrscht auch dern auch am Fachkräftemangel nebst Spielplatz. in diesen Branchen Fachkräftemangel. auf dem Bau. // Auch an kurze und barrierefreie Wege Bauleiter Olaf Meinke sagt es so: „Über- wurde gedacht. So geht es etwa nicht all wird gebaut. Wir hatten noch Glück, In einer Stadt, deren Kita-Mangel eine nur via Haupttreppe und Fahrstuhl, dass wir eine Reihe Leute kennen und Website* hat und Geschichten über sondern auch aus den Gruppenräumen ins Boot holen konnten.“ Menschen kursieren, die Tausende über Außentreppen auf den Spielplatz. Der Bezirk Pankow sowie Scheeres’ Euro Belohnung für einen Platz anbie- „So wird Unruhe aus dem Haus ge- Senatsverwaltung hätten das Projekt ten, kann es kaum verwundern, bei nommen. Und die Wege zu den Toilet- engagiert unterstützt, betont Duda- der Eröffnung einer Einrichtung auf die ten sind von draußen kurz“, sagt Silke schwili. Gehakt habe es bei der für den zuständige Senatorin zu treffen. Sand- Anders-Holtz. Die Kita-Leiterin ergänzt, Baubeginn nötigen Rückübertragung ra Scheeres (SPD) ist in den äußersten das sei nur ein Beispiel von vielen, bei des Grundstücks vom Land Berlin an Nordosten Berlins gereist, um anlässlich dem deutlich werde, dass die Erziehe- den Bezirk. Die habe „fast ein Jahr ge- der Schaffung von 100 Plätzen einige rinnen in den Bauprozess mit eingebun- dauert – dabei wäre schön, wenn alle Worte an die Gäste zu richten. Als die den waren: „Die Ausstattung ist auch wüssten, worum es eigentlich geht.“ Senatorin für Bildung, Jugend und Fa- deswegen so gut, weil wir als Menschen Darum nämlich, dass berlinweit min- milie erwähnt, dass Berlin dank eines mit Insider-Wissen und Kita-Erfahrung destens 3.000 Kita-Plätze fehlen, und Landesprogramms binnen eines Jah- mitgestaltet haben.“ auch hier in Karow Eltern auf heißen res 6.000 Kita-Plätze geschaffen habe, Kohlen saßen. „Ich musste nach einem brandet Applaus auf – allerdings am Kompliziertes Verfahren Jahr wieder arbeiten gehen und hatte lautesten, als sie anfügt, dass das noch Trägerin der Kita ist die „Cooperative dann doch noch keinen Platz“, erzählt nicht reiche (s. Kasten S. 15). Mensch eG“, 1958 als „Spastikerhilfe eine Mutter, „über Monate musste ich Heute ist die Stimmung gut – nicht nur, Berlin“ gegründet. Seit 2015, als er das Zwischenlösungen suchen.“ Ebenso we- weil die Eltern, die nahezu ein halbes Projekt Kita-Bau in Angriff nahm, hat nig glücklich war der Träger der Kita, Jahr Bauverzögerung mit Zwischenlö- der Vorstand zudem fortgeschrittene deren Bau 3,4 Millionen Euro gekostet sungen kompensieren mussten, nun Grundkenntnisse in Bau- und Ausschrei- hat, von denen die Hälfte vom Land und einen Platz für ihre Kinder haben. Son- bungsrecht erworben. „Das ist unsere vom Bund finanziert worden sind und dern auch, weil mit der Integrations- zweite Kita – die erste haben wir vor die sich nur refinanzieren lassen, wenn Kita Karow KidZ ein ganz tolles Gebäude 50 Jahren gebaut“, erklärt Georg Du- Kita-Beiträge eingehen. entstanden ist. Ein zweigeschossiger daschwili, „und wir haben eine Menge Woran der dringend notwendige Kita- Bau, hell und nicht laut, inklusiv und Vorschriften und Paragrafen kennenge- Ausbau noch scheitern kann, wurde im ohne Notlösungen für beeinträchtigte lernt.“ Ebenfalls kennengelernt hat er März frappierend deutlich: In elf Berli- Erziehung und Wissenschaft | 09/2019
SANIERUNGSSTAU IN BILDUNGSEINRICHTUNGEN 15 ner Bezirken sollten 27 „Modulare Kita- Kati Nguimba, Kita-Leiterin in Berlin- Bauten“ (MOKIB) mit insgesamt 3.300 Wedding, bestätigt, wie wichtig ein ge- Berliner Landesprogramm Plätzen entstehen. Die „Schnellbau-Ki- meinsames Vorgehen bei Kita-Bauten Aus dem Programm des Landes tas“ waren europaweit ausgeschrieben und -Sanierungen ist. „Pädagogik und Berlin zur Schaffung neuer Kita- worden – und von anfänglich 30 inte- Architektur gehen Hand in Hand, Mitbe- Plätze werden den Trägern für ressierten Firmen war am Ende keine stimmung ist dafür zentral“, erzählt sie, die Jahre 2018 und 2019 insge- bereit, den Auftrag umzusetzen. Die und dass diese nicht der Regelfall sei: samt 60 Millionen Euro zur Ver- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Ein freier Träger, bei dem sie früher tätig fügung gestellt. Für den Aus- und will jetzt die Kriterien anpassen und eine war, habe eine Kita mit „null Mitsprache Umbau erhalten sie bis zu 10.000 zweite Ausschreibungsrunde starten. der Erzieherinnen“ saniert, mit dem Er- Euro, für den Neu- und Erwei- „Tatsächlich sind nicht nur die öffentli- gebnis, dass einer der Räume so verbaut terungsbau bis zu 20.000 Euro chen Vergabeverfahren äußerst kompli- sei, dass man ihn gar nicht nutzen kann. pro Platz. In den Bau „Modula- ziert – auch finanziell lohnt sich die Teil- Vor allem kleinere Träger bauten häufig rer Kita-Bauten“ (MOKIB), die in nahme für Firmen häufig kaum“, sagt „möglichst schnell und günstig, zuweilen Holzbauweise errichtet werden Ronny Fehler, Kita-Experte bei der GEW ohne gründliche Überlegungen“, sagt und je nach Typ Platz für 60 bzw. Berlin. Allerdings fügt er hinzu, dass der Nguimba. Sie plädiert dafür, bereits Ki- 120 bis 150 Kinder bieten sollen, Mangel an Gebäuden nicht das größ- ta-Kinder in die Planung einzubeziehen: will der Senat nach derzeitigem te Problem sei. „Das ist und bleibt der „Ich habe schon ganz tolle partizipative Stand mehr als 75 Millionen Euro Fachkräftemangel!“ Überfällig sei zual- Prozesse erlebt; zum Teil mit Kindern, die investieren. lererst, den Beruf der Erzieherin, des selbst gezeichnet haben, wie sie sich ihre Erziehers attraktiver zu machen: unter Kita vorstellen.“ bit.ly/berlin-kitaausbau anderem mit angemesseneren Arbeits- bedingungen und höheren Gehältern. Größtes Problem: der Lärm Dennoch: Gute Räume bleiben wich- Heute leitet Nguimba eine in den Das größte Problem ist der Lärm (s. tig für eine gute pädagogische Arbeit. 1970er-Jahren gebaute Kita im Soldiner E&W 5/2018). Vor drei Jahren, berich- Erzieherin Katrin Stümer führt nicht Kiez in Berlin-Wedding. Der Bau könnte tet Nguimba, sei in allen 56 Kitas der ohne Stolz durch die Räume der Kita eine Überholung gut gebrauchen; kürz- Dezibelpegel gemessen und eine Prio- Karow KidZ – und erzählt, dass das neu lich sprach Nguimba mit einer Kollegin ritätenliste erstellt worden. Passiert ist zusammengewürfelte Team aus Erzie- darüber, wann die sanitären Anlagen seither nichts: „Drei bis vier Kitas pro hern, Sonderpädagogen und Querein- zuletzt saniert wurden. Die Antwort: Jahr werden lärmtechnisch saniert. steigern die Bauverzögerung eigentlich nicht in den letzten 20 Jahren. Die Kita Wir wissen nicht einmal, auf welchem gut gebrauchen konnte. „Während hier gehört zum Eigenbetrieb Kindergarten Listenplatz wir stehen.“ Dabei sei es gebaut wurde, hatten wir Gelegenheit, City, mit 56 Kitas einer der größten überall zu laut – in den Fluren, im Trep- uns konzeptionell aufzustellen und zu Träger Berlins. Vieles laufe nicht penhaus, in den Räumen. Selbst ange- schauen, wo man noch etwas verbes- schlecht, sagt die Leiterin. So gibt es ein hen dürfe die Kita kaum etwas, wegen sern kann.“ Eine Gelegenheit, die es Gebäudemanagement und angestellte der Brandschutzbestimmungen. So nicht immer gibt. Handwerker; wird ein Tischler, Klemp- groß ist das Problem, dass es bereits ner, Elektriker benötigt, können klei- die Personalversammlungen erreicht nere Reparaturen schnell erledigt wer- hat. Dort wurde besprochen, ob die den. Steht eine größere Sanierung an, Erzieherinnen Ohrstöpsel tragen soll- müssen Kindergarten- ten. Nguimba: „Und was ist mit den City-Kinder nicht Kindern?“ auf der Baustelle weiterspielen, Jeannette Goddar, sondern kön- freie Journalistin nen in eine „Ausflugskita“ umz iehen. *www.kitakriseberlin.org Gute Räume seien wichtig für eine gute Pädagogik, betont Erzieherin Katrin Stümer (links). Kita-Leiterin Silke Anders-Holtz ergänzt: „Die Ausstattung ist auch deswegen so gut, weil wir als Menschen mit Insider- Wissen und Kita-Erfahrung mitgestaltet haben.“ Erziehung und Wissenschaft | 09/2019
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