Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen

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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
Zeitschrift der        Hessen
                          für Erziehung, Bildung, Forschung

                        71. Jahr     Heft 6      Juni 2018
                                              zum Inhaltsverzeichnis

      TITELTHEMA:
Hochschulen in Hessen
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
GEW                                                                                                                                                 HLZ 6/2018         2

                                                                                                                              Zeitschrift der GEW Hessen
                                                                                                                              für Erziehung, Bildung, Forschung
                                                                                                                              ISSN 0935-0489

                                                                                                             I    M       P      R     E      S     S      U      M
                                                                                                             Herausgeber:
                                                                                                             Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
                                                                                                             Landesverband Hessen
                                                                 Im Rahmen der Kampagne „Bildung             Zimmerweg 12
                                                                 braucht bessere Bedingungen“ machten        60325 Frankfurt/Main
                                                                 GEW-Kreisverbände in einer regionalen       Telefon (0 69) 971 2930
                                                                                                             Fax (0 69) 97 12 93 93
                                                                 Aktionswoche auf aktuelle Probleme und      E-Mail: info@gew-hessen.de
                                                                 Mängel in hessischen Schulen aufmerk-       Homepage: www.gew-hessen.de
                                                                 sam. Veranstaltungen und Protestaktionen    Verantwortlicher Redakteur:
                                                                 gab es unter anderem in Fulda, Wiesbaden,   Harald Freiling
                                                                 Darmstadt, Frankfurt, Offenbach, Fried-     Klingenberger Str. 13
                                                                 berg, Limburg und Kassel. Kolleginnen und   60599 Frankfurt am Main
                                                                                                             Telefon (0 69) 636269
                                                                 Kollegen des GEW-Kreisverbands Groß-Ge-     Fax (069) 6313775
                                                                 rau luden die Passanten auf dem Rüssels-    E-Mail: freiling.hlz@t-online.de
                                                                 heimer Marktplatz ein, „neue Lehrerinnen    Mitarbeit:
                                                                 und Lehrer zu backen und gemeinsam die      Christoph Baumann (Bildung), Tobias Cepok (Hoch-
                                                                 Schule der Zukunft zu gestalten“. Weite-    schule), Dr. Franziska Conrad (Aus- und Fortbildung),
                                                                 re Berichte und Fotos: www.gew-hessen.de    Holger Giebel, Angela Scheffels (Mitbestimmung),
                                                                                                             Michael Köditz (Sozialpädagogik), Annette Loycke
                                                                                                             (Recht), Andrea Gergen (Aus- und Fortbildung), Ka-
                                                                                                             rola Stötzel (Weiterbildung), Gerd Turk (Tarifpolitik
                         GEW-Datenschutzerklärung                  Schwerpunktthemen der HLZ                 und Gewerkschaften)

                       Rechtzeitig vor Inkrafttreten der neuen                                               Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert †
                                                                 Für die nächsten Ausgaben der HLZ sind
                       EU-Datenschutzgrundverordnung hat         folgende Schwerpunktthemen vorgesehen:      Titelthema: Fachgruppe und Referat Hochschule
                       auch die GEW Hessen ihre Datenschutz­                                                 und Forschung
                                                                 • Arbeit in multiprofessionellen Teams
                       erklärung aktualisiert. Alle Informati-   (HLZ 7-8/2018)                              Illustrationen: Thomas Plaßmann (S. 33), Ruth Ul-
                       onen zum Schutz der Mitgliederdaten,      • Schwarz-Grün in Hessen: Eine Bilanz       lenboom (S. 4)
                       zu Auskunftsrechten und zur Nutzung       nach fünf Jahren (HLZ 9/2018)               Fotos, soweit nicht angegeben:
                       der Internetseiten der GEW findet man     • Landtagswahl: GEW-Forderungen und         Harald Freiling (Titel, S. 6), GEW (S. 2, 5, 9, 29, 38)
                       auf der Startseite der Homepage www.      Positionen der Parteien (HLZ 10-11/2018)
                                                                                                             Verlag:
                       gew-hessen.de und am Ende in der Ru-      • Nach der Wahl (HLZ 12/2018)               Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
                       brik „Datenschutz“. Mitglieder, die im    • Inklusion und sonderpädagogische          Niederstedter Weg 5
                       Rahmen ihres Mitgliedsantrags oder        Förderung (HLZ 1-2/2019)                    61348 Bad Homburg

                       zu einem späteren Zeitpunkt der GEW                                                   Anzeigenverwaltung:
                       ihre Mail-Adresse mitgeteilt haben, er-    Dieser Ausgabe der                         Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
                                                                                                             Peter Vollrath-Kühne
                       halten per E-Mail aktuelle Informati-                                                 Postfach 19 44
                       onen des Landesverbands, der Kreis-        HLZ ist der GEW-                           61289 Bad Homburg
                                                                                                             Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21
                       verbände und auch von lea. In jeder
                       Mail findet man einen Button, mit dem      Wandkalender für das                       E-Mail: mlverlag@wsth.de
                                                                                                             Erfüllungsort und Gerichtsstand:
                       man aus dem Verteiler gestrichen wer-
                       den kann.                                  Schuljahr 2018/2019                        Bad Homburg
                                                                                                             Bezugspreis:
                       • Anfragen, Anregungen und Be-
                       schwerden: datenschutz@gew-hessen.de       beigelegt.                                 Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein-
                                                                                                             schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten
                                                                                                             sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag
                                                                                                             enthalten.
      Aus dem Inhalt

                       Rubriken                                   19-22 lea-Fortbildungsprogramm             Zuschriften:
                                                                                                             Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder
                        4   Spot(t)light                                                                     wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver-
                                                                  Einzelbeiträge
                        5   Meldungen                                                                        öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen
                       32   Recht: Zuweisung von Lehrerstellen    18 Mit lea auf Spurensuche in Polen        vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen
                                                                                                             nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion
                       37   Jubilarinnen und Jubilare             23 Sexuelle Gewalt an Förderschulen        übereinstimmen.
                       38   Magazin / Briefe                      24 Lehrkräfte in Hessen:
                                                                     Nicht fit für die Digitalisierung?
                       Titelthema: Hochschulen in Hessen                                                     Redaktionsschluss:
                                                                  26 Licht und Schatten: Eine Umfrage
                                                                                                             Jeweils am 5. des Vormonats
                        6 Schwarz-grüne Hochschulpolitik             der Landesschülervertretung
                        8 Initiative: Für gute Arbeitsbedin-      28 Die AfD und die Bildungspolitik
                          gungen an Hochschulen                   30 Jüdisches Museum: Extremismus-          Nachdruck:
                                                                                                             Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti-
                       10 Rechte Gruppen an Hochschulen              prävention an Beruflichen Schulen       gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei-
                       12 Studiendauer für Lehrämter              34 Tarifrecht: Entgeltstufen und Be-       genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher
                       13 Grundschule: Engpässe im Studium                                                   Genehmigung der Redaktion und des Verlages.
                                                                     rufserfahrung an Hochschulen
                       14 Praktika und Employability              35 Welttag gegen Kinderarbeit              Druck:
                                                                                                             Druckerei und Verlag Gutenberg Riemann GmbH
                       16 Wissenschaftsunterstützende Arbeit      36 Nachruf: Albert Schobbe gestorben       Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
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3     HLZ 6/2018   zum Inhaltsverzeichnis                                                               KOMMENTAR

    Vor dem nächsten Hochschulpakt
    Die Parteien in Hessen diskutieren gerade ihre Pro-      dem 15. von 16 Plätzen. Die hessischen HAW haben
    gramme für die Landtagswahl am 28. Oktober. 2019         berechnet, dass an ihren Hochschulen die Zahl der
    beginnen die Verhandlungen über den Hessischen           Studierenden um rund 75 Prozent, die der Professu-
    Hochschulpakt für den Zeitraum 2021 bis 2026,            ren aber lediglich um 15 Prozent zugenommen hat.
    so dass das Wahlergebnis die Bedingungen an den          Das wirkt sich auch auf die Beschäftigungsstrukturen
    Hochschulen für die nächsten Jahre prägen wird.          aus. Nach Angaben des WR waren „von 7.527 aus
       Für welche Problembereiche müssen Lösungen            Hochschulpaktmitteln finanzierten zusätzlichen Be-
    gefunden werden? Der Wissenschaftsrat (WR) be-           schäftigungsverhältnissen während der zweiten Pha-
    schreibt in seinem Ende April veröffentlichten Posi­     se des Hochschulpakts (2011 bis 2015) rund 80 %
    tionspapier „Hochschulbildung im Anschluss an den        befristet“ (S.16).
    Hochschulpakt 2020“ einige Probleme, die auch für           Es fehlt nicht nur Geld in der Grundfinanzierung,
    die hessischen Hochschulen gelten. Zur Erinnerung:       das Geld muss auch dauerhaft fließen. Die Landes-
    Der WR besteht aus Wissenschaftlerinnen und Wis-         regierung hat zwar ermöglicht, dass der Landesan-
    senschaftlern, Repräsentantinnen und Repräsentan-        teil der Hochschulpaktmittel für die Finanzierung
    ten des öffentlichen Lebens und Vertreterinnen und       von Dauerstellen verwendet werden darf. Diese Re-
    Vertretern der Länder und des Bundes und steht           gelung muss aber auch für den Bundesanteil gelten!
    kaum im Verdacht, politisch extreme Positionen zu           Und dabei reden wir nicht über ein temporäres
    vertreten. Ein Kernproblem ist und bleibt auch für       Problem. Nach Auffassung des WR lassen alle Pro-
    den WR die angemessene Grundfinanzierung. Er             gnosen erwarten, „dass die Studienanfängerzahlen
    weist darauf hin, dass sich „die aus Grundmitteln        in den nächsten Jahren zwar nicht weiter anstei-
    zur Verfügung stehenden Mittel der Hochschulen je        gen, aber auf dem erreichten hohen Niveau verblei-
    Studierenden während der Laufzeit des Hochschul-         ben werden“ (S.13).
    pakts weiter verringert“ haben. Allerdings konn-            Unter den weiteren Baustellen des nächsten Hoch-
    te diese rückläufige Entwicklung „durch den Hoch-        schulpakts sind auch die Baustellen im Wortsinn.
    schulpakt gebremst werden“ (S. 9).                       Bei der Abfrage des Bedarf für das Bauprogramm
       In Hessen führen verantwortliche Politikerinnen       HEUREKA II sind rund drei Milliarden Euro gemel-
    und Politiker immer wieder an, dass die Hochschu-        det worden, aber nur eine Milliarde wurde zugesagt.
    len „so viel Geld erhalten wie niemals zuvor“. Bei Be-   Und wie sollen sich die Strukturen im hessischen
    trachtung der absoluten Zahlen ist das richtig. Infla-   Hochschulsystem weiter entwickeln, insbesondere
    tionsbereinigt stimmt es nicht mehr ganz und bezogen     was die Aufgabenverteilung zwischen HAW und Uni-
    auf die Studierendenzahl verkehren sich die Verhält-     versitäten angeht? Aber das wäre ein eigenständi-
    nisse. So ist die Zahl der Studierenden an den Hoch-     ger Kommentar ...
    schulen für angewandte Wissenschaften (HAW) im
    Zeitraum von 2007 bis 2017 um etwa 75 Prozent
    gestiegen. Niemand kann ernsthaft behaupten, die
    Budgets hätten sich annähernd adäquat entwickelt.
       Die Konsequenz sind verschlechterte Betreuungs-
    verhältnisse. Auch nach Auffassung des WR stel-
    len sich die Betreuungsrelationen von Studierenden
    zu Professorinnen und Professoren „ungeachtet des
    durch Hochschulpaktmittel ermöglichten Personal-
    ausbaus an Universitäten wie auch an Fachhoch-
    schulen im Jahr 2015 ungünstiger dar als im Jahr
    2007“ (S.19). Im Uni-Barometer des Statistischen                                      Prof. Dr.
                                                                                          Detlev Reymann
    Bundesamtes von 2016 rangiert Hessen bei den Uni-                                     Präsident der Hochschule
    versitäten in Bezug auf die Betreuungsrelationen auf                                  RheinMain
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
SPOT(T)LIGHT                                                                                    zum Inhaltsverzeichnis        HLZ 6/2018      4

 Erwecke das Kind in dir!
                                                                                                  ihrem Sommerfest alle Gäste in Gelbtö-
                                                                                                  nen erscheinen lassen möchte. Ich mel-
                                                                                                  de mich krank, obwohl ich gelbe Schu-
                                                                                                  he mein Eigen nenne. Auch die nächste
                                                                                                  Party schwänze ich: „Ball der zwanzi-
      Jede dritte Ehe wird geschieden, aber      Man verkleidet sich jetzt das ganze Jahr         ger Jahre“. Dabei schicken die Freun-
      Verlobungen, Junggesellenabschiede         über, nicht nur im Kölner Karneval.              de sogar die Adresse einer Tanzschule
      und Hochzeiten auf Schlössern sind be-         Eine Kollegin beklagt sich: Zu ihrem         mit, in der man Last-Minute-Charles-
      liebt wie nie zuvor. Auch meine Nich-      Deutschkurs erscheinen kurz vorm Abi-            ton lernen kann.
      te Lena will sich verloben. Aber nicht     tur nur noch wenige Klienten. „Und die               Eine Psychologie-Gazette verkün-
      einfach nur so. Sie lädt zu einer Mot-     haben es leistungsmäßig gar nicht nö-            det, dass Verkleiden mich offen und
      to-Party „Wilder Westen“. Die Nich-        tig. – Die anderen aber feiern Mottowo-          frei macht. Ich könnte in fremde Rol-
      te schickt mir netterweise einen Link      chen!“ Ziehen seltsame Klamotten an,             len schlüpfen und meine Sehnsüchte
      mit, wo ich die nötigen Utensilien er-     spielen an belebten Straßenkreuzun-              ausleben. Dabei schwärmt die Journa-
      werben kann: Henrystutzen und Silber-      gen laute Musik, konsumieren Alkohol             listin von einer „Ugly Christmas Swea-
      büchse, Lasso und Stiefel, Bohnenkessel    und betteln Autofahrer an. Jeden Tag             ter Party“ und einer Party, auf der zahl-
      und Lederweste, Tomahawk, Marter-          verkleiden sich die Mottowöchner an-             reiche Nonnen und Gouvernanten mit
      pfahl zum Umschnallen, Pferdekostüm        ders. Was für ein Riesenspaß am Ende             Strapsen rumtanzten. Aha, das bedeu-
      für zwei Personen und tief dekolletier-    der Schulzeit. Nach qualvollen 12 oder           tet also „Sehnsüchte ausleben“. Ich habe
      te Saloon-Kleider aus atmungsfreund-       13 Schuljahren. Und gleich nach dem              keine hässlichen Weihnachtsshirts, und
      lichem Polyester. Ich habe mich noch       Abi geht es zum Besaufen an die Cos-             Strapse fand ich schon als Kind doof:
      nie gern verkleidet. Das letzte Mal (als   ta Brava. Auch beliebt, weil preiswert:          Diese Leibchen mit Gummihaltern sol-
      Schülerin!) auf einer Faschingsparty in    der Plattensee in Ungarn. Man muss für           len sexy sein? Verkleiden ist lustig und
      der 7. Klasse, wo alle als Winnetou ka-    diese Mottowochen noch nicht mal ei-             verschafft mir Abstand vom Alltag, be-
      men. Die Adlerfeder habe ich vor Jah-      gene Ideen entwickeln. Alles findet sich         hauptet die Autorin weiter. Auf Dau-
      ren entsorgt, sonst könnte ich die noch    im Internet: Themen, Kostümvorschlä-             er macht es sogar tolerant. Mich nicht.
      mal zum Einsatz bringen. Irgendwie         ge und Requisiten. Wie wäre es z.B.                  Das zeitgenössische Streben nach
      ist ein Trend an mir vorbeigegangen.       mit einem „Assi-Tag“? Wir kommen                 kindlicher Neugier und Unschuld lässt
                                                 in Jogging-Hosen und mit ALDI-Tü-                sich in vielen Bereichen beobachten.
                                                     ten in die Schule. Glücklicherweise          Kulturpessimisten warnen gar vor ei-
                                                        bewahrt uns ja das ersehnte Ab-           ner allgemeinen Infantilisierung, vor
                                                         itur vor einer solchen Existenz.         Realitätsflucht und Neo-Biedermeier.
                                                           Oder ein Rentner-Tag? Wie se-          Psychologen sprechen vom „Peter-Pan-
                                                            hen wir in 60 Jahren aus?             Syndrom“ und von einer „One-Age-Ge-
                                                              Es gibt Baby-Motto-Tage,            sellschaft“. Ausmalbücher für Erwach-
                                                               Tier-Motto-Tage, Märchen-          sene werden millionenfach verkauft.
                                                                figuren- und Hawaii-Tage.         Groß und Klein liest „Harry Potter“. Er-
                                                                 Und obwohl man sein Ge-          wachsene beschießen sich beim Paint-
                                                                 schlecht jetzt flowmäßig         ball mit Farbpatronen, lassen sich in
                                                                  jederzeit wechseln kann,        Escape-Rooms sperren und gehen auch
                                                                   ist der Mottotag „Rollen-      ohne kindliche Begleitung in Freizeit-
                                                                   tausch“ immer noch ein         parks und Kindermusicals. Den ewi-
                                                                    Renner. Eine Rennerin?        gen Meckerern wird empfohlen, doch
                                                                    Was gibt es Lustigeres        mal selber einen fröhlichen Regenbo-
                                                                    als behaarte Männerwa-        gen auszumalen!
                                                                    den in High Heels!? Kul-          Ich will auch wieder zurück in den
                                                                    turhistorische Ursprün-       Kindergarten! Man darf nicht immer
                                                                    ge der Mottowochen            nur destruktiv sein. Meine nächste Par-
                                                                    lassen sich nicht finden.     ty steht unter dem Motto „Am FKK-
                                                                    Angeblich stammt die-         Strand“ oder „Hexensabbat auf dem
                                                                   ses „Jugend-Ritual“ aus        Brocken“! Und alle Gäste müssen Kul-
                                                                  den USA. Woher auch             lerkekse backen und an einem schö-
                                                                  sonst. Dahinter steht das       nen Mandala-Ausmal-Wettbewerb teil-
                                                                 Motto: „Wer will schon           nehmen. Zu gewinnen gibt es das Buch
                                                                erwachsen werden!“                „Ewige Kindheit für alle“.
                                                                     Der Drang sich zu ver-                            Gabriele Frydrych
                                                              kleiden hat enorm zuge-
                                                             nommen. Früher reichte es,           P.S. Für diese Glosse habe ich mich so-
                                                           sich für eine Party ein biss-          gar weitergebildet. Geholfen haben mir
                                                          chen zu stylen und schick an-           die Texte „Karneval ist überall“ (Kristi-
                                                        zuziehen. Jetzt muss man sich auf         na Appel in „emotion“ Nr. 4-2018) und
                                                      Themenabende vorbereiten. Da ist            „Die neue ewige Kindheit“ (Nina May in
                                                 es noch harmlos, dass eine Bekannte zu           „Sonntag“, 13.5.2016).
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
5     HLZ 6/2018      zum Inhaltsverzeichnis                                                                               MELDUNGEN

          GEW kritisiert Bundeswehr-                 Frankfurter Gesamtschulen
          auftritt beim Hessentag                    schlagen Alarm
    Die GEW Hessen problematisierte in ei-     Am 8. Mai demonstrierten Kolleginnen
    nem Schreiben an alle Schulleitungen       und Kollegen der Frankfurter Gesamt-
    die Planungen der Bundeswehr für de-       schulen vor dem Schulamt und über-
    ren Auftritt beim Hessentag 2018 in        gaben eine Fortschreibung ihrer Über-
    Korbach. Das Zurschaustellen von mi-       lastungsanzeigen, die sie im Lauf des
    litärischem Gerät und die „Vorführung      Vorjahres erstellt hatten. Mit ihren Über-
    von Nahkampfhandlungen zu martia-          lastungsanzeigen weisen die Kollegien
    lischer Musik“ habe schon in der Ver-      und Personalräte auf einen Notstand in
    gangenheit zu Irritationen und Kritik      den Schulen hin, der nicht nur ihre Ge-
    geführt. In Korbach garnierte sie ihre     sundheit, sondern auch ihren Bildungs-
    Einladung, „zu Gast beim Arbeitgeber       auftrag massiv und sichtbar gefährdet.       Schulen, die politisch erzeugt worden
    Bundeswehr“ zu sein, mit kostenlosem           Ende Mai soll sich erstmals der mit      ist, werde sich so nichts ändern.
    Transport und Mittagsimbiss. Die GEW       dem Staatlichen Schulamt vereinbar-              Aktuell wiesen die Kolleginnen
    wiederholte auch ihre Kritik an der Pra-   te „Praxisbeirat“ treffen, der konkre-       und Kollegen vor allem auf den hohen
    xis der Bundeswehr, auch Minderjähri-      ter über die Bedarfe der Gesamtschu-         Krankenstand hin, der Ausdruck der
    ge unter 18 Jahren zu rekrutieren, die     len und die Nöte der Lehrerinnen und         hohen Belastungen ist und zugleich die
    im Widerspruch zur UN-Kinderrechts-        Lehrer befinden soll. Durch Gespräche        Belastung der Kolleginnen und Kolle-
    konvention steht. Für diese Praxis und     auf Schulamtsebene lassen sich, so der       gen, die die Vertretung leisten müssen,
    für entsprechende Werbemaßnahmen           Tenor der Ansprachen, Details erörtern,      erhöht. Auf vielen bunten Zetteln wur-
    wurde die Bundeswehr bereits durch         die verbessert werden können, doch an        den die Probleme vor Ort noch einmal
    den UN-Fachausschuss gerügt. „Klas-        der personellen Unterversorgung der          eindrucksvoll konkretisiert.
    senausflüge“ zur Bundeswehr stünden
    zudem im Widerspruch zum „Überwäl-
    tigungsverbot“ und „Kontroversitätsge-           GEW und Schülerbündnis                       Emely Dilchert ist neue
    bot“ im Beutelsbacher Konsens für die            gegen marode Schulen                         Landesschulsprecherin
    politische Bildung.
        Kultusminister Lorz freute sich auf    Die GEW Kassel und das Bündnis von           Anfang Mai wählte die Landesschüler-
    seinen Besuch am Stand der Bundes-         Schülerinnen und Schülern überreich-         vertretung (LSV) ihren neuen Vorstand.
    wehr. Es sei Aufgabe der Landesregie-      ten den Stadtverordneten einen Brief         Neue Landesschulsprecherin ist Emely
    rung, „über die Arbeit der Bundeswehr      zum neuen Schulentwicklungsplan. Sie         Dilchert aus Wiesbaden. Ihr Stellvertre-
    als staatliche Institution in Schulen      begrüßen „erste Maßnahmen zur Sa-            ter Marcel Kalif kommt aus Frankfurt.
    zu informieren“. HNA-Redakteur Pe-         nierung maroder Schulen“ und fordern         Fabian Pflume (HLZ S.26) hat inzwi-
    ter Klebe meinte dagegen, es gebe „ge-     „klare Aussagen, in welchem Zeitraum         schen sein Abitur abgelegt und konnte
    nügend Möglichkeiten für junge Leute       die Mittel fließen werden und vor allem      nicht mehr kandidieren. Die Neuwahl
    sich über die Bundeswehr zu informie-      darüber, nach welcher Schwerpunkt-           des Vorstands des Landeselternbeirats
    ren: Aber nicht zwischen Wurstbuden,       setzung sie verwendet werden sollen“.        (LEB) war bei Redaktionsschluss noch
    Karussells und Bierständen“.               • Weitere Infos: www.gew-nordhessen.de       nicht abgeschlossen.

          Rechtspopulismus in Hessen
          Hanau, 21. Juni, 18 Uhr                        Die Arbeit in multiprofessionellen Teams:
    Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe
                                                        Anforderungen an die Lehrer_innenbildung
    zur Landtagswahl laden die Arbeits-            Fachtagung der GEW Hessen – Referat Aus- und Fortbildung
    gemeinschaft der Ausländerbeiräte                             6. September 2018, 14 bis 18 Uhr
    (agah) und der Ausländerbeirat Hanau
                                                DGB-Haus Frankfurt, Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77 (Nähe Hauptbahnhof)
    am Donnerstag, dem 21. Juni, um 18
    Uhr in das Olof-Palme Haus in Hanau
    ein (Pfarrer-Hufnagel-Str. 2).             14.15 Uhr: Rollen, Ziele und Rahmen-         16.15 Uhr: Podiumsdiskussion mit So-
       Professor Benno Hafeneger referiert     bedingungen für multiprofessionel-           zialpädagogischen Fachkräften, För-
    über „rechten Populismus in Europa,        le Zusammenarbeit klären (Martina            derschullehrkräften Ausbilderinnen
    Deutschland und Hessen“. Der agah-         Schmerr, GEW-Hauptvorstand)                  und Ausbildern und Lehrkräften im
    Vorsitzende Enis Gülegen gibt „Einbli-                                                  Vorbereitungsdienst
    cke in das Parteiprogramm der AfD“         14.45 Uhr: Multiprofessionelle Zusam-
    und Tim van Slobbe, Vorsitzender des       menarbeit als Basis für Inklusion an         17.30 Uhr: Abschlussdiskussion: Per-
    Ausländerbeirats im Landkreis Gießen,      Ganztagsgrundschulen: Forschungs-            spektiven und Forderungen zur Aus-
    berichtet über regionale Erfahrungen       projekt „StEG-Kooperation“ (Stephan          und Fortbildung zu multiprofessionel-
    mit dem „Rechtspopulismus in der           Kielblock, Johanna M. Gaiser und Mar-        ler Zusammenarbeit
    Kommunalpolitik“.                          tin Reinert, Justus-Liebig-Universität
    • Weitere Termine: www.agah-hessen.de      Gießen)                                      • Anmeldung: info@gew-hessen.de
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
TITELTHEMA: HOCHSCHULEN IN HESSEN                                                         zum Inhaltsverzeichnis          HLZ 6/2018      6

                                                                       Hochschule für alle?
                     Eine Bilanz der schwarz-grünen Hochschulpolitik in Hessen
     Eine umfassende Analyse der schwarz-grünen Hochschulpoli-         schulen auch durch die Politik mit verschuldet. Je nach Zu-
     tik in den Jahren 2014 bis 2018 von Tobias Cepok und Simone       lassungskriterien kann der Zugang zum Master nach dem
     Claar erscheint im August 2018 in dem Sammelband „Verläss-        Bachelorabschluss erschwert werden.
     lich gestaltet – Perspektiven eröffnet?“ zur „Bilanz und Aus-         Um allen jungen Menschen unabhängig von ihrer so-
     sicht der Landespolitik in Hessen“. Die HLZ veröffentlicht eine   zialen Herkunft ein Studium zu ermöglichen, ist günstiger
     stark gekürzte Zusammenfassung, die insbesondere die Be-          Wohnraum in relativer Hochschulnähe ein wichtiger Faktor.
     dingungen für die Studierenden und die soziale Selektivität       Nach der Wohnraumstatistik des Deutschen Studentenwerkes
     des Hochschulzugangs in den Blick nimmt.                          stieg die Zahl der Wohnheimplätze in Hessen zwischen 2014
     Zu Beginn des Wintersemesters 2017/18 waren 260.184 Stu-          und 2017 von 14.960 auf lediglich 15.752 (2). Es sind zwar
     dierende an den hessischen Hochschulen eingeschrieben.            aktuell knapp 700 Wohnheimplätze im Bau, jedoch decken
     36.829 nahmen ein Studium auf, mehr als jemals zuvor in           diese nicht den notwendigen Bedarf ab. Die Wohnraumver-
     Hessen. Trotz dieses Rekords verlangsamte sich der Zuwachs        sorgungsquote betrug 2016/17 6,29 %, im Jahr 2014 lag sie
     an Studierenden in der vergangenen Legislaturperiode, der         noch bei 7,32 %. Der Bedarf liegt nach Angaben der hessi-
     unter anderem auf die Verkürzung der Schulzeit und die Aus-       schen Studierendenwerke bei rund 4.000 zusätzlichen Plät-
     setzung der Wehrpflicht zurückzuführen war. Zur zukünfti-         zen. In allen hessischen Universitätsstädten, insbesondere in
     gen Entwicklung der Studierendenzahlen gibt es sehr unter-        Frankfurt, haben sich die Mietpreise deutlich erhöht und tra-
     schiedliche Berechnungen und Einschätzungen. Die Prognose         gen ihren Teil zur sozialen Auslese an hessischen Hochschu-
     der Kultusministerkonferenz (KMK) für die Jahre 2014 bis          len bei. Die soziale Infrastruktur, die für die Aufnahme eines
     2025 basiert auf der Vorausberechnung der Zahl der Schü-          Studiums notwendig ist, wurde von der derzeitigen Landes-
     lerinnen und Schüler, die sich mehrfach als falsch erwies. So     regierung nur zaghaft angegangen und muss deutlich inten-
     ging die KMK in ihrer bereits korrigierten Berechnung 2014        siviert werden, damit ein Studium bezahlbar bleibt.
     von einem Höhepunkt der Studienanfänger im Jahr 2016 von
     504.000 aus, tatsächlich jedoch nahmen über 860.000 jun-
     ge Menschen 2016 ein Studium auf. Andere Berechnungen                            Öffnung der Hochschulen
     wie die der GEW und des Instituts für Hochschulforschung          In zwei kleinen Bereichen ging das Land Hessen neue Wege,
     kommen zu deutlich höheren Studierendenzahlen, stets ab-          die bundesweit beispielhaft für Bemühungen um die Öff-
     hängig von den politischen Rahmensetzungen.                       nung der Hochschulen sind. Mit der Änderung des Hessischen
                                                                       Hochschulgesetzes (HHG) im Jahr 2017 wurde der Zugang
               Zahl der Studierenden bleibt hoch                       für beruflich Qualifizierte über die von der KMK beschlosse-
                                                                       nen bundesweiten Standards hinaus geöffnet. Nun können
     Trotz der sehr unterschiedlichen Einschätzungen kann für          auch Berufstätige mit einem mittleren Schulabschluss, guter
     die Studierendenzahlen in Hessen von einem anhaltenden            Berufsausbildung (Abschluss besser als 2,5) und mindestens
     „Hochplateau“ ausgegangen werden, zumal Hessen innerhalb          dreijähriger Berufserfahrung ein Studium aufnehmen – zwei-
     Deutschlands aufgrund seiner ökonomischen und geographi-          fellos ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die bisher ge-
     schen Lage auch viele Studierende aus anderen Bundeslän-          ringe Nachfrage verweist auf Probleme bei der Einführung:
     dern anzieht. So geht die GEW Hessen davon aus, dass selbst       Die Möglichkeit ist neu, noch relativ unbekannt und neben
     bei vorübergehend niedrigeren Abiturientenzahlen langfris-        der notwendigen Überzeugungsarbeit sind die Rahmenbe-
     tig rund 250.000 junge Menschen ein Studium in Hessen be-         dingungen für Berufstätige das zentrale Hindernis. Abschre-
     ginnen werden. 2016 nahmen rund 56,7 % eines Jahrganges           ckend sind auch fehlende Teilzeitmodelle, die eine Berufs-
     in Deutschland ein Studium auf. Damit ist die Schaffung zu-       tätigkeit neben dem Studium ermöglichen, und die Zeit der
     sätzlicher Studienplätze die zentrale hochschulpolitische He-     finanziellen Unsicherheit während des Studiums.
     rausforderung der nächsten Jahre.                                     Bundesweit einmalig ist auch das eigenständige Promo-
         Große Teile der Landesregierung, Hochschulleitungen, Ge-      tionsrecht für forschungsstarke Bereiche an den ehemaligen
     werkschaften und Studierendenvertretungen sind sich über-         Fachhochschulen, nun Hochschulen für Angewandte Wis-
     raschend einig, dass es nicht darum gehen kann, einen ver-        senschaften (HAW). Es eröffnet neue Möglichkeiten für Pro-
     meintlichen „Akademisierungswahn“ zu bekämpfen, sondern           motionen, aber auch intensivere Kooperationen zwischen
     die Gestaltung der Bildungsexpansion als Aufgabe der Poli-        den Universitäten und den HAW. Die Hürden für ein eigen-
     tik anzunehmen. Allerdings hat die schwarz-grüne Landes-          ständiges Promotionsrecht sind hoch. So müssen zwölf be-
     regierung die bisherige Praxis der Beschränkung des Hoch-         teiligte Professuren mit jeweils 300.000 Euro an Drittmitteln
     schulzugangs durch Numerus clausus und hochschuleigene            sowie zahlreiche Peer-Review-Artikel nachgewiesen waren.
     Auswahlverfahren beibehalten. So sind nach wie vor alle           Neben den vom Wissenschaftsministerium festgelegten Kri-
     Lehramtsstudiengänge in Hessen aufnahmebeschränkt und             terien für die Forschungsstärke des Fachbereichs, die selbst
     viele junge Menschen können ihrem Studierwunsch nicht             einige Fachbereiche an Universitäten nicht erfüllen, liegt die
     nachkommen. Aufgrund der geringen Zahl der Absolven-              eigentliche Herausforderung in der Schaffung guter Promo-
     tinnen und Absolventen ist der Lehrkräftemangel in Grund-         tions- und Arbeitsbedingungen für Promovierende und be-
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
7     HLZ 6/2018     zum Inhaltsverzeichnis

    treuende Professuren. Das reicht von der Finanzierung der
    Promotion bis zu Labor- und Arbeitsplätzen. Insbesondere
    im Bereich der Sozialen Arbeit der HAWs ist es schwierig,
    überhaupt eine Betreuerin oder einen Betreuer für die Ar-
    beit zu finden. Die Kooperationsvereinbarungen mit Fach-
    bereichen benachbarter Universitäten lösen dieses praktische
    Problem bisher nicht.
        Mit der Verleihung des eigenständigen Promotionsrech-
    tes wird der Weg zur Dissertation auch sozial geöffnet. Deut-
    lich mehr junge Menschen aus „Arbeiterfamilien“ nehmen
    ein Studium an einer Fachhochschule auf und können über
    diesen Weg an wissenschaftlicher Forschung partizipieren.
    Dass die Verleihung des Promotionsrechts von vielen Uni-
    versitätspräsidenten und dem Deutschen Hochschulverband
    kritisch gesehen wird, zeugt mehr vom konservativen Stan-
    desdenken der Universitäten als von Argumenten.

         Ziele des Bologna-Prozesses nicht erreicht
                                                                                                                                          Das Semester
    Der Bologna-Prozess kann in Hessen in großen Teilen als                                                                               beginnt (Foto:
    abgeschlossen gelten. Die Anzahl der Studiengänge hat sich                                                                            Harald Freiling)
    massiv erhöht, die Studienvielfalt hat sich unter Schwarz-
    Grün weiter ausdifferenziert, wenn auch langsamer als im        rerbildungsgesetzes und damit eine Entscheidung, ob die Er-
    letzten Jahrzehnt. Die Landesregierung hat bei der Novel-       probungsphase erfolgreich war, wurde auf die nächste Le-
    lierung des HHG die Kompetenzen der externen Akkreditie-        gislaturperiode verschoben. Die GEW Hessen hält an ihrer
    rungsagenturen nicht angetastet, und daher bleibt der Ge-       Kritik insbesondere an der „frühen Situierung des Praxisse-
    staltungsspielraum der Hochschulakteure vor Ort gering. Die     mesters im Studienverlauf“ fest.
    Grundausrichtung auf mehr Leistungs- und Prüfungsdruck
    ist unverändert ein zentrales Merkmal der Studienreform.
                                                                      Betreuungsrelationen haben sich verschlechtert
        Zentrale Ziele des Bologna-Prozesses wie die Verkür-
    zung der Studienzeit, die Reduzierung der Abbruchquoten,        Neben der starken Verschulung des Studiums haben sich die
    die Steigerung der internationalen Mobilität und eine stär-     Betreuungsrelationen zwischen Studierenden und Lehren-
    kere Praxisorientierung wurden nicht erreicht. Nach einer       den unter Schwarz-Grün weiter verschlechtert und liegen
    Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissen-        deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt. Die Kapazi-
    schaftsforschung aus dem Jahr 2014 liegt die bundesweite        tätsgrenzen der Seminare und Vorlesungen werden in vielen
    Abbruchquote bei rund 29 % mit starken studiengangspezi-        Fällen überschritten, so dass die Lehr- und Studienqualität
    fischen Unterschieden und einer deutlichen Benachteiligung      leidet. Insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaf-
    von Studierenden mit Migrationshintergrund mit einer Ab-        ten sind mit Regelgrößen von 60 Studierenden pro Seminar
    bruchquote von 43 % (3). In den „alten“ Studiengängen Ma-       die Grenzen des pädagogisch Sinnvollen längst überschrit-
    gister/Diplom lag die Abbruchquote zwischen 17 und ma-          ten. Die Ausgaben des Landes Hessen je Studierenden lie-
    ximal 29 % (4). Dieser bundesweiten Entwicklung hat die         gen für die HAW auf dem Bundesdurchschnitt, für die Uni-
    schwarz-grüne Landesregierung kaum etwas entgegensetzt.         versitäten sogar darunter. Dies hat ebenso negative Folgen
        Mit der Novellierung des HHG hat die schwarz-grüne          für die Arbeitsbedingungen der Lehrenden. Erschwerend
    Mehrheit im Landtag auf Vorschlag der Hochschulrektoren-        kommt hinzu, dass die Lehrverpflichtung in Hessen, insbe-
    konferenz den Hochschulen die Möglichkeit gegeben, ein          sondere für Professuren und Lehrkräfte für besondere Auf-
    Orientierungsstudium anzubieten und Studienbewerberin-          gaben an HAW zu hoch ist.
    nen und -bewerber zur Teilnahme an Online-Selfassessments                                  Tobias Cepok und Simone Claar
    zu verpflichten. Ob sie tatsächlich zu einer besseren Studi-    Tobias Cepok ist Referent für Hochschule und Jugendbildung der
    enorientierung beitragen, ist noch unklar. Sollten sie über-    GEW Hessen. Dr. Simone Claar ist wissenschaftliche Mitarbeiterin
    haupt einen nachweisbaren Effekt haben, ist anzunehmen,         an der Universität Kassel und Mitglied im Referat Hochschule und
    dass Assessments in jeglicher Form eher eine weitere sozi-      Forschung der GEW. Sie forscht zur Energiewende in Afrika.
    ale Hürde bei der Aufnahme eines Studiums bilden als tat-
    sächlich Studienorientierung zu bieten (5).                     (1) Liv Dizinger, Kai Eicker-Wolf und Michael Rudolph: Verlässlich
        Auch bei der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern         gestaltet – Perspektiven eröffnet? Bilanz und Aussicht der Landes-
    stand die Auslese der Studierenden anstelle einer sinnvol-      politik in Hessen. Büchner Verlag Darmstadt. August 2018, 25 Euro.
    len Arbeitsweltorientierung im Fokus der schwarz-grünen         (2) Wohnraum für Studierende. Statistische Übersicht 2017 des
    Landesregierung. Mit der Erprobung des Praxissemesters          Deutschen Studentenwerkes. Berlin 2017
                                                                    (3) Ulrich Heublein u.a.: Zwischen Studienerwartung und Studi-
    für einzelne Lehramtsstudiengänge setzte sie zwar einen
                                                                    enwirklichkeit. In: Forum Hochschule, DZHW, 1/2017, Hannover
    Beschluss der Vorgängerregierung um, betrachtete das Vor-       (4) Ulrich Heublein: Ursachen des Studienabbruchs. In: Forum
    haben aber auch dezidiert als ihr Projekt. Schon nach dem       Hochschule, HIS, 2/2010, Hannover.
    zweiten Semester ist ein viermonatiger Einsatz in der Schu-     (5) Annette Höpfner: Self-Assessment als Studienberatung und Be-
    le vorgesehen, der die bisherigen zwei aufeinanderfolgenden     werbervorselektion. In: Helfried Moosbrugger u.a. (Hrsg.): Arbeiten
    Praxisphasen ersetzt. Eine Novellierung des Hessischen Leh-     aus dem Institut für Psychologie, Heft 2/2005, S. 235–246
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
TITELTHEMA                                                                               zum Inhaltsverzeichnis         HLZ 6/2018     8

     Für gute Arbeitsbedingungen an Hochschulen

     Wissenschaftliche und administrativ-technische Mitarbeiterinnen   gute Arbeitsbedingungen an Hessens Hochschulen zusammenge-
     und Mitarbeiter, wissenschaftliche Hilfskräfte, Lehrbeauftragte   schlossen, um im Vorfeld der Landtagswahl Druck auf die Lan-
     und Promovierende haben sich mit Unterstützung der GEW Hes-       desregierung auszuüben, die Arbeitsbedingungen an Hochschulen
     sen, dem ver.di Fachbereich Bildung und Wissenschaft und dem      nachhaltig zu verbessern. Die HLZ dokumentiert die gemeinsam
     Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft zur Initiative für   entwickelten und verabschiedeten Positionen.

     Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an hessischen Hochschulen        lerweile zum Alltag an hessischen Hochschulen. Zukunftsfä-
     sollen durch exzellente Arbeit zu ebenso exzellenter Lehre,       hige Hochschulen sehen anders aus.
     Verwaltung und Forschung beitragen, doch sie arbeiten seit            Im Koalitionsvertrag sprach sich die Landesregierung
     Jahren unter schlechter werdenden Bedingungen. Arbeits-           2014 für „verlässliche Karrierewege“ in der Wissenschaft und
     und Leistungsdruck nehmen überhand, die Zukunftsaus-              „Dauerarbeitsplätze“ für Daueraufgaben aus. Doch das Wis-
     sichten der Beschäftigten sind ungewiss. Obwohl der Hoch-         senschaftszeitvertragsgesetz, die Einführung von Qualifika-
     schulbetrieb ohne sie zum Stillstand käme, haben in Hessen        tionsprofessuren und der Hessische Hochschulpakt haben die
     85 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeitenden befristete       Probleme nicht gelöst. Die Hochschulen als Arbeitgeber kön-
     Arbeitsverträge. Selbst in der Verwaltung nehmen Befristun-       nen oder wollen ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Es
     gen in den letzten Jahren stark zu. Dabei unterminieren be-       liegt nun am Land Hessen, den Worten Taten folgen zu las-
     fristete Verträge – nicht selten für ein Jahr oder sogar bloß     sen, um bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaf-
     für zwei Monate abgeschlossen – nicht nur die Lebenspla-          fen. Was muss geschehen, um dieses Ziel zu erreichen?
     nung der Beschäftigten, sondern auch die Qualität von Ver-
     waltung, Forschung und Lehre.                                        Die Initiative fordert als erste dringend notwendige
         Da deutsche Hochschulen im OECD-Vergleich seit langem         Schritte:
     unterfinanziert sind, die Studierendenzahlen aber anstiegen,      1. Befristete Stellen systematisch entfristen
     gibt es viel zu wenige Stellen in Lehre und Verwaltung, um        Das Land muss sich mit den Hochschulen auf einen Stufen-
     Studierende auch in Zukunft gut zu betreuen. Die Konse-           plan verständigen, um schrittweise den Anteil unbefristeter
     quenz: Teilzeitstellen, auf denen Vollzeit gearbeitet werden      Arbeitsverhältnisse deutlich zu erhöhen. Stellen mit Dauer-
     muss, werden zur Regel. Immer mehr Aufgaben bei wach-             aufgaben in der Lehre und direkter Betreuung von Studie-
     sendem Leistungsdruck und unbezahlter Lehre gehören mitt-         renden sowie Lehrkräfte für besondere Aufgaben müssen un-
                                                                       mittelbar entfristet werden. Wir fordern die Festschreibung
            Uni Kassel: Initiative für Entfristungen                   von Dauerstellen für Daueraufgaben im Hessischen Hoch-
                                                                       schulgesetz. Dies betrifft jedoch keineswegs nur die Leh-
     Kein Einzelfall: An der Uni Kassel sind 90 Prozent des wis-       re. Auch wenn Forschung oft projektgebunden ist, bleibt es
     senschaftlichen Personals, das heißt der wissenschaftli-          auch Aufgabe öffentlich finanzierter Hochschulen, dauer-
     chen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Lehrkräfte          haft unabhängige Forschung durch festes Personal langfris-
     für besondere Aufgaben, befristet angestellt. Einen erheb-        tig zu sichern. Befristungen außerhalb der Promotion müssen
     lichen Teil ihres regulären Lehrangebots deckt die Univer-        begründete und tatsächliche Ausnahmen sein und generell
     sität zudem über semesterweise vergebene Lehraufträge ab.         mindestens drei Jahre umfassen.
     Die Glücklicheren haben einen Dreijahresvertrag, teilweise
     mit der Möglichkeit auf eine Verlängerung um zwei oder            2. Qualifikationsstellen aufwerten und von feudalen
     drei weitere Jahre. Andere arbeiten – vielfach in Teilzeit –      Abhängigkeiten befreien
     auf Grundlage einer Befristung von sechs oder zwölf Mona-         Um wissenschaftliche Qualifikation auf hohem Niveau zu
     ten. Auch im technischen und im administrativen Bereich           sichern, muss das Hessische Hochschulgesetz festschreiben,
     greifen befristete Arbeitsverträge um sich, etwa aufgrund         dass die Qualifikation bei Qualifikationsstellen mit einem
     der zunehmenden Bedeutung von Drittmitteln und damit              Anteil von 75 Prozent (und nicht wie heute 33 Prozent) der
     befristet finanzierter Projekte. Die Initiative UNIKASSEL         Arbeitszeit die prägende Tätigkeit sein muss. Wir fordern bei
     UNBEFRISTET will diesen Zustand nicht länger hinnehmen            Promotionsstellen mindestens 65-Prozent-Stellen. Die Zuord-
     und fordert die Universitätsleitung auf, verbindliche Re-         nung von Qualifikationsstellen zu Arbeitsbereichen muss be-
     gelungen zur umfassenden Entfristung des wissenschaft-            endet werden, um die quasi-feudalen Abhängigkeitsverhält-
     lichen, technischen und administrativen Personals an der          nisse abzuschaffen, die dadurch entstehen, dass in der Regel
     Universität Kassel zu schaffen.                                   Vorgesetzte und Betreuende der Qualifikation ein und die-
     • Weitere Infos: https://unikasselunbefristet.wordpress.com       selbe Person sind.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
9     HLZ 6/2018      zum Inhaltsverzeichnis

    3. Zeit für gute Lehre schaffen
    Die Lehrverpflichtungsverordnung muss so angepasst wer-
    den, dass Vor- und Nachbereitung der Lehre und Betreuung
    der Studierenden Teil aller Lehre leistenden Stellen wird, was
    in etwa der dreifachen Zeit der Präsenzlehre entspricht. Dies
    soll für Lehrbeauftragte ebenso gelten wie für Lehrkräfte für
    besondere Aufgaben, wissenschaftliche Mitarbeitende oder
    professorale Lehrende. Kurzfristig ist die Lehrverpflichtung,
    insbesondere für Lehrkräfte für besondere Aufgaben, deut-
    lich abzusenken. Nur so ist es ihnen möglich, innerhalb ih-
    rer Arbeitszeit aktuelle Diskussionen ihres Fachs zu verfol-
    gen und sich didaktisch weiterzubilden.
    4. Hochschulen ausreichend finanzieren
    Demokratische Gesellschaften brauchen eine vom Einfluss in-       6. Mitbestimmung stärken
    teressengeleiteter Geldgeber unabhängige Wissenschaft. Eine       Wir sind zufriedener und arbeiten besser, wenn wir mitbe-
    solide wissenschaftliche Ausbildung durch Lehre auf höchs-        stimmen können. Das gilt für die Gestaltung der einzelnen
    tem didaktischem und wissenschaftlichem Niveau sowie eine         Arbeitsplätze und Prozesse in den Instituten und Fachberei-
    von direkten ökonomischen Interessen unabhängige dauer-           chen, aber auch für unsere Personalvertretung. Damit die Per-
    haft etablierte Forschung können verlässlich und langfris-        sonalräte an Hessens Hochschulen als Stimme der Beschäf-
    tig nur durch ausreichend öffentlich grundfinanzierte Hoch-       tigten fungieren können, müssen sie stärker anerkannt und
    schulen sichergestellt werden. Drittmittel müssen ihre für den    einbezogen werden. Wir fordern im Zuge einer Überarbei-
    laufenden Betrieb notwendige Funktion verlieren und dürfen        tung des Hessischen Personalvertretungsgesetzes, dass unsere
    nur für die Finanzierung echter Zusatzaufgaben herangezo-         Personalräte bei der Einstellung von wissenschaftlichen Mit-
    gen werden. Stattdessen müssen die hessischen Hochschu-           arbeiterinnen und Mitarbeitern voll mitbestimmen können.
    len als öffentliche Institutionen mit ausreichend konstanter      Außerdem sollen sie analog zum Betriebsverfassungsgesetz
    öffentlicher Grundfinanzierung ausgestattet werden.               bessere Freistellungsstaffeln erhalten. Die „vertrauensvolle“
                                                                      soll um eine „gleichberechtigte“ Zusammenarbeit ergänzt
    5. Mehr Personal einstellen
                                                                      werden, damit auch per Gesetz klargestellt wird, dass unsere
    Es herrscht Notstand an Hessens Hochschulen: Mit immer
                                                                      Personalräte mit der Dienststelle auf Augenhöhe verhandeln.
    mehr Aufgaben, starker Arbeitsverdichtung, Leistungsdruck
                                                                          Zur weiteren Anerkennung müssen alle Promovierenden,
    und einem dauerhaften Anstieg der Studierendenzahlen hält
                                                                      auch ohne Stelle, als Mitglieder der Hochschulen anerkannt
    der Zuwachs an Beschäftigung nicht Schritt. Dies belastet
                                                                      werden. Die Statusgruppen Promovierende und Hilfskräfte
    nicht nur die Beschäftigten, sondern verschlechtert auch die
                                                                      gehören zum Mittelbau und müssen dementsprechende Mit-
    Qualität der Lehre, Forschung und Verwaltung. Diesem seit
                                                                      bestimmungsrechte haben.
    vielen Jahren anhaltenden Trend gilt es eine Wende für gute
    Qualität im Studium entgegenzusetzen. Hierfür müssen deut-        • Die Initiative ist offen für alle, die schon aktiv sind oder es
    lich mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Lehre und Ver-      werden wollen. Unter dem folgenden Link kann man sich in den
    waltung eingestellt und auch neue, zusätzliche, unbefristete      Mailverteiler eintragen: http://lists.gew-landesverband-hessen.
    Professuren geschaffen werden.                                    de/cgi-bin/mailman/listinfo/mittelbauvernetzung

      Landesfachgruppe Hochschule und Forschung
     Neben der regionalen Gliederung in Schul- und Betriebsgrup-      gruppe mit gesellschaftspolitischen Fragen und Entwicklun-
     pen, Kreis- und Bezirksverbände hat die GEW eine Struktur zur    gen. Dazu gehört auch, dem allgemeinen gesellschaftlichen
     Gestaltung und Umsetzung der inhaltlichen Schwerpunkte in        Rechtsruck entgegenzuwirken. Die Fachgruppe trifft sich
     Fach- und Personengruppen. Die Mitarbeit in den Landesfach-      alle sechs Wochen an unterschiedlichen hessischen Hoch-
     gruppen und Landespersonengruppen ist offen für alle Mitglie-    schulstandorten. Sie wird durch hauptamtliche Referentin-
     der – auch zum zunächst unverbindlichen „Reinschnuppern“.        nen und Referenten des GEW-Landesverbands und durch
     In den folgenden Ausgaben stellt die HLZ in lockerer Folge die   Simone Claar (Kassel) und Wolfgang Richter-Girard (Frank-
     Arbeit der Fach- und Personengruppen vor.                        furt) unterstützt, die ehrenamtlich das Referat Hochschule
     Die Fachgruppe Hochschule und Forschung innerhalb der            und Forschung im GEW-Landesvorstand leiten.
     GEW Hessen vertritt die Interessen der Beschäftigten an              Eine enge Zusammenarbeit gibt es auch mit dem Lan-
     Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrich-            desausschuss der Studentinnen und Studenten in der GEW
     tungen auf Landesebene. Die Fachgruppe dient der hoch-           (LASS). Die Landesfachgruppe Hochschule und Forschung
     schulpolitischen Willensbildung der GEW nach innen und           wird von einem ehrenamtlichen Team geleitet. Es besteht
     vertritt Kampagnen nach außen. Sie entwickelt Stellung-          zur Zeit aus Philip Fehling (Kassel), Felix Hauf (Frankfurt)
     nahmen gegenüber dem Landtag oder der Landesregierung            und Svenja Marks (Kassel).
     und ist an tarifpolitischen Auseinandersetzungen mit dem         • Kontakt zur Fachgruppe: p.fehling@uni-kassel.de; hauf@
     Land Hessen beteiligt. Nicht zuletzt befasst sich die Fach-      soz.uni-frankfurt.de und s.marks@uni-kassel.de
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
TITELTHEMA                                                                              zum Inhaltsverzeichnis        HLZ 6/2018      10

                                    Wer sitzt denn da im Seminar?
                     Extreme Rechte und neurechte Gruppen an Hochschulen
     Seit geraumer Zeit befindet sich die Rechte in Deutschland       Zwecke genutzt wird (2): So kann ein rechtswissenschaftli-
     und Europa im Aufwind. Neben den sichtbaren Wahlerfolgen         ches Studium helfen, um später Kameraden als Anwalt ver-
     der AfD treten Rechtsextreme auch in anderen gesellschaftli-     teidigen zu können, oder es wird bewusst das Studienfach
     chen Bereichen mehr und mehr offen in Erscheinung, sei es        Soziale Arbeit gewählt, um hier später politisch wirken zu
     im öffentlichen Raum, wie beispielsweise bei den Buchmes-        können. Zumeist verhalten sich Studierende aus diesem
     sen in Frankfurt 2017 und Leipzig 2018, oder mit eigenen         Spektrum eher unauffällig und versuchen mit ihrer poli-
     Hausprojekten, die wie das Zentrum der identitären Grup-         tischen Gesinnung hinterm Berg zu halten. Häufig erfährt
     pe „Kontrakultur“ in der Nähe des Unicampus in Halle als         man von dem politischen Engagement der Studierenden erst
     Wohn- und Schulungsraum für Rechtsextreme dienen sol-            durch „Outings“ der Antifa, die über rechtsextreme Aktivi-
     len. Zuletzt riefen neurechte Gruppierungen dazu auf, ver-       täten informieren wollen.
     mehrt in die Gewerkschaften zu drängen und auch hier ak-             Im Rahmen rechter Mobilisierung an Hochschulen sind
     tiv den Diskurs von rechts mitzubestimmen. Zwar ist auf der      es derzeit vielmehr vor allem neuere rechte Gruppierun-
     Einstellungsebene in den vergangenen Jahren eine Konstanz        gen, die aktiv werden. Ihr Ziel ist es, Diskurse vermehrt von
     rechtsextremer und rechtspopulistischer Positionen in der Ge-    rechts zu besetzen und so anstelle eines Kampfes auf der
     sellschaft auszumachen, doch die Stimmen derjenigen, die         Straße den Kampf um die Köpfe zu führen. Sie nutzen hier-
     solche Positionen vertreten, werden gerade lauter (1).           für Wort­ergreifungsstrategien und versuchen, Begriffe umzu-
         Rechte sind inzwischen auch Teil der Hochschulland-          deuten und für sich zu vereinnahmen (3). Im Gegensatz zur
     schaft, Universitäten zum politischen Agitationsfeld rech-       alten Rechten sind es nicht die ewig gleichen dumpfen ras-
     ter Gruppierungen geworden. Der Beitrag versucht daher,          sistischen Parolen, die heraus gebrüllt werden, sondern die
     die aktuelle Situation rechter Bestrebungen an Hochschulen       eigenen Positionen werden mit Statistiken und vermeintli-
     und die damit verbundenen Herausforderungen zu betrach-          chen Fakten unterfüttert, um dem Ganzen eine intellektuelle
     ten und Strategien für einen aktiven Umgang mit der rech-        Erscheinungsform einzuhauchen und den Korridor des Sag-
     te Szene zu diskutieren.                                         baren nach und nach zu erweitern und nach rechts zu ver-
                                                                      schieben. Die Gründung rechter Hochschulgruppen beispiels-
                                                                      weise der AfD in Kassel soll es möglich machen, im Rahmen
                Neue Rechte sind oft unauffällig
                                                                      studentischer Mitbestimmung Politik betreiben zu können.
     Die extreme Rechte differenziert sich in den vergangenen         Auch die studentischen Verbindungen, die sogenannten Bur-
     Jahren immer mehr aus. Das Bild des prügelnden, sozial ab-       schenschaften, sind oft im Umfeld der extremen Rechten ak-
     gehängten Glatzennazis ist längst überholt, bei rechten Agi-     tiv. Rechte Gruppen und Personen agieren aber vor allem au-
     tationsversuchen an Hochschulen trifft man weniger auf die       ßerhalb vorgegebener politischer Hochschulstrukturen. Die
     klassischen Neonazis, die hier für ihre menschenfeindliche       Übergänge zwischen konservativen und extrem rechten Mi-
     Politik mobilisieren, als auf die Identitären und die AfD. Po-   lieus und Gruppen sind fließend.
     litisches Wirken und Ausbildung sind eher getrennte Sphä-            In Hessen besuchte 2016 ein Student, inzwischen stellver-
     ren, auch wenn der Studienabschluss durchaus für politische      tretender Landessprecher der Jungen Alternative, der Jugend-
                                                                      organisation der AfD, an der Goethe-Universität in Frank-
                                                                      furt einen Antirassismusworkshop. Im Anschluss denunzierte
                             Leitfaden zum Umgang mit                 er in einem Youtube-Video den Leiter des Workshops. Von
                                 der neuen Rechten                    dem Erfolg des Videos motiviert legten 2017 weitere Mitglie-
                                                                      der der Jungen Alternative nach und verteilten Flugblätter
                         Der AStA der Johann Wolfgang Goe-            an der Hochschule, um gegen vermeintliche „Manipulatoren
                         the-Universität Frankfurt veröffentlich-     und Gesinnungsdiktatoren“ zu hetzen. Gemeint waren kri-
                         te 2017 einen Handlungsleitfaden zum         tische Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Lehrende.
                         Umgang mit der (neuen) Rechten an            Immer wieder findet man an hessischen Hochschulen Flyer
                         Hochschulen. Die Autorinnen und Au-          und Aufkleber der „Identitären Bewegung“, einer neurechten
                         toren wollen die Leserinnen und Le-          Gruppierung, die mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen ge-
                         ser ermutigen, „in ihrem unmittelbaren       gen Zuwanderung und Muslime mobil macht. So störten sie
                         Umfeld und nach ihren Fähigkeiten ak-        im Februar 2018 eine Abendveranstaltung des Allgemeinen
                         tiv zu werden und vielfältige Aktionen       Studierendenausschusses im Audimax der Universität in Ros-
                         gegen rechte Akteurinnen und Akteu-          tock, indem sie ein Banner ausbreiteten und via Megaphon
                         re und ihre menschenfeindliche Hetze         rechte Parolen skandierten. Immer wieder wird auch von Leh-
                         zu starten“.                                 renden an hessischen Hochschulen berichtet, wie ihre Ver-
                         Der Leitfaden kann auf der Homepage          anstaltungen gestört werden. Dabei sind es oft nur einzelne
                         des AStA heruntergeladen werden:             Studierende, die im Seminar versuchen, den Diskurs an sich
                         • http://asta-frankfurt.de/aktuelles/zum-    zu reißen und politisch zu agitieren, bis hin zur Unmöglich-
                         umgang-mit-neuen-rechten-hochschule
                                                                      keit, Lehre sachgemäß durchführen zu können.
11     HLZ 6/2018      zum Inhaltsverzeichnis                                                                                 TITELTHEMA

               Alle haben ein Recht auf Bildung
     Universitäten und Hochschullehrende stehen hier vor einer
     besonderen Herausforderung im Umgang mit extrem Rech-
     ten. Unabhängig von der politischen Positionierung haben
     nach Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschen-
     rechte alle Menschen unabhängig von ihrer politischen Ein-
     stellung ein Recht auf Bildung. Das gilt auch für Rechts-
     extreme. Konsequenzen für politisches Handeln wie eine
     Exmatrikulation können also nur in Frage kommen, wenn
     beispielsweise eindeutig gegen die Hausordnung verstoßen
     wurde oder es gar zu Gewalthandlungen kommt. Hochschu-
     len haben einen menschenrechtsorientierten Bildungsauftrag
     zu erfüllen, der auch diejenigen einschließt, die ihn offen
     poli­tisch bekämpfen. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage
     nach dem aktiven Umgang mit diesem Dilemma. Viele Leh-
     rende fühlen sich mit der Situation im Umgang mit rechten
     Strategien im Seminar überfordert und teilweise auch von
     der Hochschule zu wenig unterstützt.

           Rechten Agitationen keinen Raum geben
     Hochschulen können den Umgang mit dem Thema Rechts-
     extremismus selbst aktiv gestalten. Das muss jedoch über ein     „March for Science“ ist eine Bewegung, die an amerikanischen
     reines Bekenntnis gegen Rechts hinaus gehen und bedeutet,        Universitäten entstand, um gegen Trumps wissenschaftsfeindliche
     Betroffenen rechter Agitation von sich aus Unterstützung         Politik der „alternativen Fakten“, gegen Verschwörungstheorien und
     anzubieten. Gleichzeitig gilt es, für dieses Thema zu sensi-     die Leugnung des Klimawandels zu protestieren. 2017 und 2018
     bilisieren und entsprechende Weiterbildungsangebote dau-         fanden auch in Frankfurt erste Demonstrationen und Kundgebungen
                                                                      statt.(Foto: March for Science Germany)
     erhaft zu initialisieren. Oft erkennen weder Lehrende noch
     Studierende, welche politische Strategie sich gerade vor ih-
     ren Augen im Seminar entfaltet. Sie können somit die Ge-         ren, sondern es muss auch deutlich werden, warum das ein
     schehnisse nur schwerlich als rechtsextreme Agitation ein-       Problem ist – auch um Betroffene vor rechtsextremer Propa-
     ordnen und dem aktiv etwas entgegensetzen. Hier helfen           ganda und Übergriffen zu schützen. Hier lassen sich neben
     Informationsveranstaltungen und Workshops, die Studie-           der Aufklärungsarbeit auch Solidarisierungseffekte erzielen,
     rende und Lehrende im Umgang mit den rechten Störerin-           die nicht nur den Lehrenden, sondern auch den Studieren-
     nen und Störern schulen.                                         den die Möglichkeit eines aktiven Umgangs mit rechter Pro-
         Den Lehrenden selbst sei geraten, sich nicht in politi-      paganda an Hochschulen bieten.
     sche Debatten verstricken zu lassen. Die Herausforderung
     ist, kritische und kontroverse Diskussionen zuzulassen und              Demokratische Studierende adressieren
     gleichzeitig in der Lage zu sein, die Grenzen so zu stecken,
     dass menschenfeindliche Positionen keinen Platz im Semi-         Strategien und Handlungskonzepte in dieser Form zu initiie-
     nar bekommen. Die oft artikulierte Vorstellung, Rechte im        ren, gibt die Möglichkeit, aktiv zu werden, den Diskurs wieder
     Diskurs mit dem besseren Argument zu stellen, ist fatal. Es      selbst zu steuern und nicht nur auf entsprechende Vorfälle
     geht ihnen nicht um eine offene Auseinandersetzung über          zu reagieren. Auch wenn sich Hochschulen politisch neutral
     verhandelbare Positionen, sondern um die gezielte Verbrei-       zu positionieren haben, kann so aktiv eine menschenrechts-
     tung politischer Ideologien. Jede Diskussion mit Rechten im      orientierte Alltagspraxis etabliert werden, die im Sinne einer
     öffentlichen Raum, und dazu zählen auch die Studiensemi-         vielfältigen, toleranten Gesellschaft ausbildet.
     nare, gibt ihnen die Möglichkeit, ihre menschenfeindlichen                                                          Alice Blum
     Positionen zu vertreten. Zudem schulen Rechte hier regel-
     recht ihr Diskussionsvermögen und man selbst gerät leicht        Alice Blum ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovendin
                                                                      am Institut für allgemeine Erziehungswissenschaften an der Justus-
     in die Position, die eigene Arbeit zu verteidigen, die man ei-   Liebig-Universität in Gießen. Sie forscht zu rechten Szenen in der
     gentlich nicht zu rechtfertigen braucht. Die in Artikel 5 im     Gegenwart.
     Grundgesetz festgeschriebene Freiheit von Lehre und For-
     schung kann ein schneller Anker sein, sich einer solchen De-
     batte zu entledigen und das Seminarprogramm entsprechend         (1) Andreas Zick, Daniela Krause und Beate Küpper (2016): Ver-
     fortführen zu können.                                            breitung rechtspopulistischer Einstellungen 2014 – 2016. In: Ralf
         Darüber hinaus kann es hilfreich sein, die anderen Stu-      Melzer: Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände, Bonn Dietz-Verlag.
                                                                      S. 116-125
     dierenden zu adressieren und über die entstandene Situati-
                                                                      (2) Claudia Luzar und Dierk Borstel (2014): Umgang mit rechts-
     on aufzuklären. In dem Fall ist nicht mehr die extrem rechte     extremen Studierenden an Hochschulen. http://denk-doch-mal.de
     Person Gesprächspartnerin oder Gesprächspartner, sondern         (Suche: Luzar Borstel)
     deren politische Agitation selbst wird zum Thema, über das       (3) Alice Blum, Max Pichl und Tom Uhlig (2017): Wo das Gespräch
     gesprochen werden kann. Dabei kann es nicht nur darum ge-        aufhört – Reflexionen über den Umgang mit Rechten in öffentlichen
     hen, etwas als rassistisch oder antisemitisch zu klassifizie-    Räumen. Online: www.belltower.news > Debatten
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