Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 71. Jahr Heft 6 Juni 2018 zum Inhaltsverzeichnis TITELTHEMA: Hochschulen in Hessen
GEW HLZ 6/2018 2 Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung ISSN 0935-0489 I M P R E S S U M Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Landesverband Hessen Im Rahmen der Kampagne „Bildung Zimmerweg 12 braucht bessere Bedingungen“ machten 60325 Frankfurt/Main GEW-Kreisverbände in einer regionalen Telefon (0 69) 971 2930 Fax (0 69) 97 12 93 93 Aktionswoche auf aktuelle Probleme und E-Mail: info@gew-hessen.de Mängel in hessischen Schulen aufmerk- Homepage: www.gew-hessen.de sam. Veranstaltungen und Protestaktionen Verantwortlicher Redakteur: gab es unter anderem in Fulda, Wiesbaden, Harald Freiling Darmstadt, Frankfurt, Offenbach, Fried- Klingenberger Str. 13 berg, Limburg und Kassel. Kolleginnen und 60599 Frankfurt am Main Telefon (0 69) 636269 Kollegen des GEW-Kreisverbands Groß-Ge- Fax (069) 6313775 rau luden die Passanten auf dem Rüssels- E-Mail: freiling.hlz@t-online.de heimer Marktplatz ein, „neue Lehrerinnen Mitarbeit: und Lehrer zu backen und gemeinsam die Christoph Baumann (Bildung), Tobias Cepok (Hoch- Schule der Zukunft zu gestalten“. Weite- schule), Dr. Franziska Conrad (Aus- und Fortbildung), re Berichte und Fotos: www.gew-hessen.de Holger Giebel, Angela Scheffels (Mitbestimmung), Michael Köditz (Sozialpädagogik), Annette Loycke (Recht), Andrea Gergen (Aus- und Fortbildung), Ka- rola Stötzel (Weiterbildung), Gerd Turk (Tarifpolitik GEW-Datenschutzerklärung Schwerpunktthemen der HLZ und Gewerkschaften) Rechtzeitig vor Inkrafttreten der neuen Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert † Für die nächsten Ausgaben der HLZ sind EU-Datenschutzgrundverordnung hat folgende Schwerpunktthemen vorgesehen: Titelthema: Fachgruppe und Referat Hochschule auch die GEW Hessen ihre Datenschutz und Forschung • Arbeit in multiprofessionellen Teams erklärung aktualisiert. Alle Informati- (HLZ 7-8/2018) Illustrationen: Thomas Plaßmann (S. 33), Ruth Ul- onen zum Schutz der Mitgliederdaten, • Schwarz-Grün in Hessen: Eine Bilanz lenboom (S. 4) zu Auskunftsrechten und zur Nutzung nach fünf Jahren (HLZ 9/2018) Fotos, soweit nicht angegeben: der Internetseiten der GEW findet man • Landtagswahl: GEW-Forderungen und Harald Freiling (Titel, S. 6), GEW (S. 2, 5, 9, 29, 38) auf der Startseite der Homepage www. Positionen der Parteien (HLZ 10-11/2018) Verlag: gew-hessen.de und am Ende in der Ru- • Nach der Wahl (HLZ 12/2018) Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH brik „Datenschutz“. Mitglieder, die im • Inklusion und sonderpädagogische Niederstedter Weg 5 Rahmen ihres Mitgliedsantrags oder Förderung (HLZ 1-2/2019) 61348 Bad Homburg zu einem späteren Zeitpunkt der GEW Anzeigenverwaltung: ihre Mail-Adresse mitgeteilt haben, er- Dieser Ausgabe der Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH Peter Vollrath-Kühne halten per E-Mail aktuelle Informati- Postfach 19 44 onen des Landesverbands, der Kreis- HLZ ist der GEW- 61289 Bad Homburg Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21 verbände und auch von lea. In jeder Mail findet man einen Button, mit dem Wandkalender für das E-Mail: mlverlag@wsth.de Erfüllungsort und Gerichtsstand: man aus dem Verteiler gestrichen wer- den kann. Schuljahr 2018/2019 Bad Homburg Bezugspreis: • Anfragen, Anregungen und Be- schwerden: datenschutz@gew-hessen.de beigelegt. Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein- schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag enthalten. Aus dem Inhalt Rubriken 19-22 lea-Fortbildungsprogramm Zuschriften: Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder 4 Spot(t)light wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver- Einzelbeiträge 5 Meldungen öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen 32 Recht: Zuweisung von Lehrerstellen 18 Mit lea auf Spurensuche in Polen vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion 37 Jubilarinnen und Jubilare 23 Sexuelle Gewalt an Förderschulen übereinstimmen. 38 Magazin / Briefe 24 Lehrkräfte in Hessen: Nicht fit für die Digitalisierung? Titelthema: Hochschulen in Hessen Redaktionsschluss: 26 Licht und Schatten: Eine Umfrage Jeweils am 5. des Vormonats 6 Schwarz-grüne Hochschulpolitik der Landesschülervertretung 8 Initiative: Für gute Arbeitsbedin- 28 Die AfD und die Bildungspolitik gungen an Hochschulen 30 Jüdisches Museum: Extremismus- Nachdruck: Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti- 10 Rechte Gruppen an Hochschulen prävention an Beruflichen Schulen gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei- 12 Studiendauer für Lehrämter 34 Tarifrecht: Entgeltstufen und Be- genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher 13 Grundschule: Engpässe im Studium Genehmigung der Redaktion und des Verlages. rufserfahrung an Hochschulen 14 Praktika und Employability 35 Welttag gegen Kinderarbeit Druck: Druckerei und Verlag Gutenberg Riemann GmbH 16 Wissenschaftsunterstützende Arbeit 36 Nachruf: Albert Schobbe gestorben Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
3 HLZ 6/2018 zum Inhaltsverzeichnis KOMMENTAR Vor dem nächsten Hochschulpakt Die Parteien in Hessen diskutieren gerade ihre Pro- dem 15. von 16 Plätzen. Die hessischen HAW haben gramme für die Landtagswahl am 28. Oktober. 2019 berechnet, dass an ihren Hochschulen die Zahl der beginnen die Verhandlungen über den Hessischen Studierenden um rund 75 Prozent, die der Professu- Hochschulpakt für den Zeitraum 2021 bis 2026, ren aber lediglich um 15 Prozent zugenommen hat. so dass das Wahlergebnis die Bedingungen an den Das wirkt sich auch auf die Beschäftigungsstrukturen Hochschulen für die nächsten Jahre prägen wird. aus. Nach Angaben des WR waren „von 7.527 aus Für welche Problembereiche müssen Lösungen Hochschulpaktmitteln finanzierten zusätzlichen Be- gefunden werden? Der Wissenschaftsrat (WR) be- schäftigungsverhältnissen während der zweiten Pha- schreibt in seinem Ende April veröffentlichten Posi se des Hochschulpakts (2011 bis 2015) rund 80 % tionspapier „Hochschulbildung im Anschluss an den befristet“ (S.16). Hochschulpakt 2020“ einige Probleme, die auch für Es fehlt nicht nur Geld in der Grundfinanzierung, die hessischen Hochschulen gelten. Zur Erinnerung: das Geld muss auch dauerhaft fließen. Die Landes- Der WR besteht aus Wissenschaftlerinnen und Wis- regierung hat zwar ermöglicht, dass der Landesan- senschaftlern, Repräsentantinnen und Repräsentan- teil der Hochschulpaktmittel für die Finanzierung ten des öffentlichen Lebens und Vertreterinnen und von Dauerstellen verwendet werden darf. Diese Re- Vertretern der Länder und des Bundes und steht gelung muss aber auch für den Bundesanteil gelten! kaum im Verdacht, politisch extreme Positionen zu Und dabei reden wir nicht über ein temporäres vertreten. Ein Kernproblem ist und bleibt auch für Problem. Nach Auffassung des WR lassen alle Pro- den WR die angemessene Grundfinanzierung. Er gnosen erwarten, „dass die Studienanfängerzahlen weist darauf hin, dass sich „die aus Grundmitteln in den nächsten Jahren zwar nicht weiter anstei- zur Verfügung stehenden Mittel der Hochschulen je gen, aber auf dem erreichten hohen Niveau verblei- Studierenden während der Laufzeit des Hochschul- ben werden“ (S.13). pakts weiter verringert“ haben. Allerdings konn- Unter den weiteren Baustellen des nächsten Hoch- te diese rückläufige Entwicklung „durch den Hoch- schulpakts sind auch die Baustellen im Wortsinn. schulpakt gebremst werden“ (S. 9). Bei der Abfrage des Bedarf für das Bauprogramm In Hessen führen verantwortliche Politikerinnen HEUREKA II sind rund drei Milliarden Euro gemel- und Politiker immer wieder an, dass die Hochschu- det worden, aber nur eine Milliarde wurde zugesagt. len „so viel Geld erhalten wie niemals zuvor“. Bei Be- Und wie sollen sich die Strukturen im hessischen trachtung der absoluten Zahlen ist das richtig. Infla- Hochschulsystem weiter entwickeln, insbesondere tionsbereinigt stimmt es nicht mehr ganz und bezogen was die Aufgabenverteilung zwischen HAW und Uni- auf die Studierendenzahl verkehren sich die Verhält- versitäten angeht? Aber das wäre ein eigenständi- nisse. So ist die Zahl der Studierenden an den Hoch- ger Kommentar ... schulen für angewandte Wissenschaften (HAW) im Zeitraum von 2007 bis 2017 um etwa 75 Prozent gestiegen. Niemand kann ernsthaft behaupten, die Budgets hätten sich annähernd adäquat entwickelt. Die Konsequenz sind verschlechterte Betreuungs- verhältnisse. Auch nach Auffassung des WR stel- len sich die Betreuungsrelationen von Studierenden zu Professorinnen und Professoren „ungeachtet des durch Hochschulpaktmittel ermöglichten Personal- ausbaus an Universitäten wie auch an Fachhoch- schulen im Jahr 2015 ungünstiger dar als im Jahr 2007“ (S.19). Im Uni-Barometer des Statistischen Prof. Dr. Detlev Reymann Bundesamtes von 2016 rangiert Hessen bei den Uni- Präsident der Hochschule versitäten in Bezug auf die Betreuungsrelationen auf RheinMain
SPOT(T)LIGHT zum Inhaltsverzeichnis HLZ 6/2018 4 Erwecke das Kind in dir! ihrem Sommerfest alle Gäste in Gelbtö- nen erscheinen lassen möchte. Ich mel- de mich krank, obwohl ich gelbe Schu- he mein Eigen nenne. Auch die nächste Party schwänze ich: „Ball der zwanzi- Jede dritte Ehe wird geschieden, aber Man verkleidet sich jetzt das ganze Jahr ger Jahre“. Dabei schicken die Freun- Verlobungen, Junggesellenabschiede über, nicht nur im Kölner Karneval. de sogar die Adresse einer Tanzschule und Hochzeiten auf Schlössern sind be- Eine Kollegin beklagt sich: Zu ihrem mit, in der man Last-Minute-Charles- liebt wie nie zuvor. Auch meine Nich- Deutschkurs erscheinen kurz vorm Abi- ton lernen kann. te Lena will sich verloben. Aber nicht tur nur noch wenige Klienten. „Und die Eine Psychologie-Gazette verkün- einfach nur so. Sie lädt zu einer Mot- haben es leistungsmäßig gar nicht nö- det, dass Verkleiden mich offen und to-Party „Wilder Westen“. Die Nich- tig. – Die anderen aber feiern Mottowo- frei macht. Ich könnte in fremde Rol- te schickt mir netterweise einen Link chen!“ Ziehen seltsame Klamotten an, len schlüpfen und meine Sehnsüchte mit, wo ich die nötigen Utensilien er- spielen an belebten Straßenkreuzun- ausleben. Dabei schwärmt die Journa- werben kann: Henrystutzen und Silber- gen laute Musik, konsumieren Alkohol listin von einer „Ugly Christmas Swea- büchse, Lasso und Stiefel, Bohnenkessel und betteln Autofahrer an. Jeden Tag ter Party“ und einer Party, auf der zahl- und Lederweste, Tomahawk, Marter- verkleiden sich die Mottowöchner an- reiche Nonnen und Gouvernanten mit pfahl zum Umschnallen, Pferdekostüm ders. Was für ein Riesenspaß am Ende Strapsen rumtanzten. Aha, das bedeu- für zwei Personen und tief dekolletier- der Schulzeit. Nach qualvollen 12 oder tet also „Sehnsüchte ausleben“. Ich habe te Saloon-Kleider aus atmungsfreund- 13 Schuljahren. Und gleich nach dem keine hässlichen Weihnachtsshirts, und lichem Polyester. Ich habe mich noch Abi geht es zum Besaufen an die Cos- Strapse fand ich schon als Kind doof: nie gern verkleidet. Das letzte Mal (als ta Brava. Auch beliebt, weil preiswert: Diese Leibchen mit Gummihaltern sol- Schülerin!) auf einer Faschingsparty in der Plattensee in Ungarn. Man muss für len sexy sein? Verkleiden ist lustig und der 7. Klasse, wo alle als Winnetou ka- diese Mottowochen noch nicht mal ei- verschafft mir Abstand vom Alltag, be- men. Die Adlerfeder habe ich vor Jah- gene Ideen entwickeln. Alles findet sich hauptet die Autorin weiter. Auf Dau- ren entsorgt, sonst könnte ich die noch im Internet: Themen, Kostümvorschlä- er macht es sogar tolerant. Mich nicht. mal zum Einsatz bringen. Irgendwie ge und Requisiten. Wie wäre es z.B. Das zeitgenössische Streben nach ist ein Trend an mir vorbeigegangen. mit einem „Assi-Tag“? Wir kommen kindlicher Neugier und Unschuld lässt in Jogging-Hosen und mit ALDI-Tü- sich in vielen Bereichen beobachten. ten in die Schule. Glücklicherweise Kulturpessimisten warnen gar vor ei- bewahrt uns ja das ersehnte Ab- ner allgemeinen Infantilisierung, vor itur vor einer solchen Existenz. Realitätsflucht und Neo-Biedermeier. Oder ein Rentner-Tag? Wie se- Psychologen sprechen vom „Peter-Pan- hen wir in 60 Jahren aus? Syndrom“ und von einer „One-Age-Ge- Es gibt Baby-Motto-Tage, sellschaft“. Ausmalbücher für Erwach- Tier-Motto-Tage, Märchen- sene werden millionenfach verkauft. figuren- und Hawaii-Tage. Groß und Klein liest „Harry Potter“. Er- Und obwohl man sein Ge- wachsene beschießen sich beim Paint- schlecht jetzt flowmäßig ball mit Farbpatronen, lassen sich in jederzeit wechseln kann, Escape-Rooms sperren und gehen auch ist der Mottotag „Rollen- ohne kindliche Begleitung in Freizeit- tausch“ immer noch ein parks und Kindermusicals. Den ewi- Renner. Eine Rennerin? gen Meckerern wird empfohlen, doch Was gibt es Lustigeres mal selber einen fröhlichen Regenbo- als behaarte Männerwa- gen auszumalen! den in High Heels!? Kul- Ich will auch wieder zurück in den turhistorische Ursprün- Kindergarten! Man darf nicht immer ge der Mottowochen nur destruktiv sein. Meine nächste Par- lassen sich nicht finden. ty steht unter dem Motto „Am FKK- Angeblich stammt die- Strand“ oder „Hexensabbat auf dem ses „Jugend-Ritual“ aus Brocken“! Und alle Gäste müssen Kul- den USA. Woher auch lerkekse backen und an einem schö- sonst. Dahinter steht das nen Mandala-Ausmal-Wettbewerb teil- Motto: „Wer will schon nehmen. Zu gewinnen gibt es das Buch erwachsen werden!“ „Ewige Kindheit für alle“. Der Drang sich zu ver- Gabriele Frydrych kleiden hat enorm zuge- nommen. Früher reichte es, P.S. Für diese Glosse habe ich mich so- sich für eine Party ein biss- gar weitergebildet. Geholfen haben mir chen zu stylen und schick an- die Texte „Karneval ist überall“ (Kristi- zuziehen. Jetzt muss man sich auf na Appel in „emotion“ Nr. 4-2018) und Themenabende vorbereiten. Da ist „Die neue ewige Kindheit“ (Nina May in es noch harmlos, dass eine Bekannte zu „Sonntag“, 13.5.2016).
5 HLZ 6/2018 zum Inhaltsverzeichnis MELDUNGEN GEW kritisiert Bundeswehr- Frankfurter Gesamtschulen auftritt beim Hessentag schlagen Alarm Die GEW Hessen problematisierte in ei- Am 8. Mai demonstrierten Kolleginnen nem Schreiben an alle Schulleitungen und Kollegen der Frankfurter Gesamt- die Planungen der Bundeswehr für de- schulen vor dem Schulamt und über- ren Auftritt beim Hessentag 2018 in gaben eine Fortschreibung ihrer Über- Korbach. Das Zurschaustellen von mi- lastungsanzeigen, die sie im Lauf des litärischem Gerät und die „Vorführung Vorjahres erstellt hatten. Mit ihren Über- von Nahkampfhandlungen zu martia- lastungsanzeigen weisen die Kollegien lischer Musik“ habe schon in der Ver- und Personalräte auf einen Notstand in gangenheit zu Irritationen und Kritik den Schulen hin, der nicht nur ihre Ge- geführt. In Korbach garnierte sie ihre sundheit, sondern auch ihren Bildungs- Einladung, „zu Gast beim Arbeitgeber auftrag massiv und sichtbar gefährdet. Schulen, die politisch erzeugt worden Bundeswehr“ zu sein, mit kostenlosem Ende Mai soll sich erstmals der mit ist, werde sich so nichts ändern. Transport und Mittagsimbiss. Die GEW dem Staatlichen Schulamt vereinbar- Aktuell wiesen die Kolleginnen wiederholte auch ihre Kritik an der Pra- te „Praxisbeirat“ treffen, der konkre- und Kollegen vor allem auf den hohen xis der Bundeswehr, auch Minderjähri- ter über die Bedarfe der Gesamtschu- Krankenstand hin, der Ausdruck der ge unter 18 Jahren zu rekrutieren, die len und die Nöte der Lehrerinnen und hohen Belastungen ist und zugleich die im Widerspruch zur UN-Kinderrechts- Lehrer befinden soll. Durch Gespräche Belastung der Kolleginnen und Kolle- konvention steht. Für diese Praxis und auf Schulamtsebene lassen sich, so der gen, die die Vertretung leisten müssen, für entsprechende Werbemaßnahmen Tenor der Ansprachen, Details erörtern, erhöht. Auf vielen bunten Zetteln wur- wurde die Bundeswehr bereits durch die verbessert werden können, doch an den die Probleme vor Ort noch einmal den UN-Fachausschuss gerügt. „Klas- der personellen Unterversorgung der eindrucksvoll konkretisiert. senausflüge“ zur Bundeswehr stünden zudem im Widerspruch zum „Überwäl- tigungsverbot“ und „Kontroversitätsge- GEW und Schülerbündnis Emely Dilchert ist neue bot“ im Beutelsbacher Konsens für die gegen marode Schulen Landesschulsprecherin politische Bildung. Kultusminister Lorz freute sich auf Die GEW Kassel und das Bündnis von Anfang Mai wählte die Landesschüler- seinen Besuch am Stand der Bundes- Schülerinnen und Schülern überreich- vertretung (LSV) ihren neuen Vorstand. wehr. Es sei Aufgabe der Landesregie- ten den Stadtverordneten einen Brief Neue Landesschulsprecherin ist Emely rung, „über die Arbeit der Bundeswehr zum neuen Schulentwicklungsplan. Sie Dilchert aus Wiesbaden. Ihr Stellvertre- als staatliche Institution in Schulen begrüßen „erste Maßnahmen zur Sa- ter Marcel Kalif kommt aus Frankfurt. zu informieren“. HNA-Redakteur Pe- nierung maroder Schulen“ und fordern Fabian Pflume (HLZ S.26) hat inzwi- ter Klebe meinte dagegen, es gebe „ge- „klare Aussagen, in welchem Zeitraum schen sein Abitur abgelegt und konnte nügend Möglichkeiten für junge Leute die Mittel fließen werden und vor allem nicht mehr kandidieren. Die Neuwahl sich über die Bundeswehr zu informie- darüber, nach welcher Schwerpunkt- des Vorstands des Landeselternbeirats ren: Aber nicht zwischen Wurstbuden, setzung sie verwendet werden sollen“. (LEB) war bei Redaktionsschluss noch Karussells und Bierständen“. • Weitere Infos: www.gew-nordhessen.de nicht abgeschlossen. Rechtspopulismus in Hessen Hanau, 21. Juni, 18 Uhr Die Arbeit in multiprofessionellen Teams: Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe Anforderungen an die Lehrer_innenbildung zur Landtagswahl laden die Arbeits- Fachtagung der GEW Hessen – Referat Aus- und Fortbildung gemeinschaft der Ausländerbeiräte 6. September 2018, 14 bis 18 Uhr (agah) und der Ausländerbeirat Hanau DGB-Haus Frankfurt, Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77 (Nähe Hauptbahnhof) am Donnerstag, dem 21. Juni, um 18 Uhr in das Olof-Palme Haus in Hanau ein (Pfarrer-Hufnagel-Str. 2). 14.15 Uhr: Rollen, Ziele und Rahmen- 16.15 Uhr: Podiumsdiskussion mit So- Professor Benno Hafeneger referiert bedingungen für multiprofessionel- zialpädagogischen Fachkräften, För- über „rechten Populismus in Europa, le Zusammenarbeit klären (Martina derschullehrkräften Ausbilderinnen Deutschland und Hessen“. Der agah- Schmerr, GEW-Hauptvorstand) und Ausbildern und Lehrkräften im Vorsitzende Enis Gülegen gibt „Einbli- Vorbereitungsdienst cke in das Parteiprogramm der AfD“ 14.45 Uhr: Multiprofessionelle Zusam- und Tim van Slobbe, Vorsitzender des menarbeit als Basis für Inklusion an 17.30 Uhr: Abschlussdiskussion: Per- Ausländerbeirats im Landkreis Gießen, Ganztagsgrundschulen: Forschungs- spektiven und Forderungen zur Aus- berichtet über regionale Erfahrungen projekt „StEG-Kooperation“ (Stephan und Fortbildung zu multiprofessionel- mit dem „Rechtspopulismus in der Kielblock, Johanna M. Gaiser und Mar- ler Zusammenarbeit Kommunalpolitik“. tin Reinert, Justus-Liebig-Universität • Weitere Termine: www.agah-hessen.de Gießen) • Anmeldung: info@gew-hessen.de
TITELTHEMA: HOCHSCHULEN IN HESSEN zum Inhaltsverzeichnis HLZ 6/2018 6 Hochschule für alle? Eine Bilanz der schwarz-grünen Hochschulpolitik in Hessen Eine umfassende Analyse der schwarz-grünen Hochschulpoli- schulen auch durch die Politik mit verschuldet. Je nach Zu- tik in den Jahren 2014 bis 2018 von Tobias Cepok und Simone lassungskriterien kann der Zugang zum Master nach dem Claar erscheint im August 2018 in dem Sammelband „Verläss- Bachelorabschluss erschwert werden. lich gestaltet – Perspektiven eröffnet?“ zur „Bilanz und Aus- Um allen jungen Menschen unabhängig von ihrer so- sicht der Landespolitik in Hessen“. Die HLZ veröffentlicht eine zialen Herkunft ein Studium zu ermöglichen, ist günstiger stark gekürzte Zusammenfassung, die insbesondere die Be- Wohnraum in relativer Hochschulnähe ein wichtiger Faktor. dingungen für die Studierenden und die soziale Selektivität Nach der Wohnraumstatistik des Deutschen Studentenwerkes des Hochschulzugangs in den Blick nimmt. stieg die Zahl der Wohnheimplätze in Hessen zwischen 2014 Zu Beginn des Wintersemesters 2017/18 waren 260.184 Stu- und 2017 von 14.960 auf lediglich 15.752 (2). Es sind zwar dierende an den hessischen Hochschulen eingeschrieben. aktuell knapp 700 Wohnheimplätze im Bau, jedoch decken 36.829 nahmen ein Studium auf, mehr als jemals zuvor in diese nicht den notwendigen Bedarf ab. Die Wohnraumver- Hessen. Trotz dieses Rekords verlangsamte sich der Zuwachs sorgungsquote betrug 2016/17 6,29 %, im Jahr 2014 lag sie an Studierenden in der vergangenen Legislaturperiode, der noch bei 7,32 %. Der Bedarf liegt nach Angaben der hessi- unter anderem auf die Verkürzung der Schulzeit und die Aus- schen Studierendenwerke bei rund 4.000 zusätzlichen Plät- setzung der Wehrpflicht zurückzuführen war. Zur zukünfti- zen. In allen hessischen Universitätsstädten, insbesondere in gen Entwicklung der Studierendenzahlen gibt es sehr unter- Frankfurt, haben sich die Mietpreise deutlich erhöht und tra- schiedliche Berechnungen und Einschätzungen. Die Prognose gen ihren Teil zur sozialen Auslese an hessischen Hochschu- der Kultusministerkonferenz (KMK) für die Jahre 2014 bis len bei. Die soziale Infrastruktur, die für die Aufnahme eines 2025 basiert auf der Vorausberechnung der Zahl der Schü- Studiums notwendig ist, wurde von der derzeitigen Landes- lerinnen und Schüler, die sich mehrfach als falsch erwies. So regierung nur zaghaft angegangen und muss deutlich inten- ging die KMK in ihrer bereits korrigierten Berechnung 2014 siviert werden, damit ein Studium bezahlbar bleibt. von einem Höhepunkt der Studienanfänger im Jahr 2016 von 504.000 aus, tatsächlich jedoch nahmen über 860.000 jun- ge Menschen 2016 ein Studium auf. Andere Berechnungen Öffnung der Hochschulen wie die der GEW und des Instituts für Hochschulforschung In zwei kleinen Bereichen ging das Land Hessen neue Wege, kommen zu deutlich höheren Studierendenzahlen, stets ab- die bundesweit beispielhaft für Bemühungen um die Öff- hängig von den politischen Rahmensetzungen. nung der Hochschulen sind. Mit der Änderung des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG) im Jahr 2017 wurde der Zugang Zahl der Studierenden bleibt hoch für beruflich Qualifizierte über die von der KMK beschlosse- nen bundesweiten Standards hinaus geöffnet. Nun können Trotz der sehr unterschiedlichen Einschätzungen kann für auch Berufstätige mit einem mittleren Schulabschluss, guter die Studierendenzahlen in Hessen von einem anhaltenden Berufsausbildung (Abschluss besser als 2,5) und mindestens „Hochplateau“ ausgegangen werden, zumal Hessen innerhalb dreijähriger Berufserfahrung ein Studium aufnehmen – zwei- Deutschlands aufgrund seiner ökonomischen und geographi- fellos ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die bisher ge- schen Lage auch viele Studierende aus anderen Bundeslän- ringe Nachfrage verweist auf Probleme bei der Einführung: dern anzieht. So geht die GEW Hessen davon aus, dass selbst Die Möglichkeit ist neu, noch relativ unbekannt und neben bei vorübergehend niedrigeren Abiturientenzahlen langfris- der notwendigen Überzeugungsarbeit sind die Rahmenbe- tig rund 250.000 junge Menschen ein Studium in Hessen be- dingungen für Berufstätige das zentrale Hindernis. Abschre- ginnen werden. 2016 nahmen rund 56,7 % eines Jahrganges ckend sind auch fehlende Teilzeitmodelle, die eine Berufs- in Deutschland ein Studium auf. Damit ist die Schaffung zu- tätigkeit neben dem Studium ermöglichen, und die Zeit der sätzlicher Studienplätze die zentrale hochschulpolitische He- finanziellen Unsicherheit während des Studiums. rausforderung der nächsten Jahre. Bundesweit einmalig ist auch das eigenständige Promo- Große Teile der Landesregierung, Hochschulleitungen, Ge- tionsrecht für forschungsstarke Bereiche an den ehemaligen werkschaften und Studierendenvertretungen sind sich über- Fachhochschulen, nun Hochschulen für Angewandte Wis- raschend einig, dass es nicht darum gehen kann, einen ver- senschaften (HAW). Es eröffnet neue Möglichkeiten für Pro- meintlichen „Akademisierungswahn“ zu bekämpfen, sondern motionen, aber auch intensivere Kooperationen zwischen die Gestaltung der Bildungsexpansion als Aufgabe der Poli- den Universitäten und den HAW. Die Hürden für ein eigen- tik anzunehmen. Allerdings hat die schwarz-grüne Landes- ständiges Promotionsrecht sind hoch. So müssen zwölf be- regierung die bisherige Praxis der Beschränkung des Hoch- teiligte Professuren mit jeweils 300.000 Euro an Drittmitteln schulzugangs durch Numerus clausus und hochschuleigene sowie zahlreiche Peer-Review-Artikel nachgewiesen waren. Auswahlverfahren beibehalten. So sind nach wie vor alle Neben den vom Wissenschaftsministerium festgelegten Kri- Lehramtsstudiengänge in Hessen aufnahmebeschränkt und terien für die Forschungsstärke des Fachbereichs, die selbst viele junge Menschen können ihrem Studierwunsch nicht einige Fachbereiche an Universitäten nicht erfüllen, liegt die nachkommen. Aufgrund der geringen Zahl der Absolven- eigentliche Herausforderung in der Schaffung guter Promo- tinnen und Absolventen ist der Lehrkräftemangel in Grund- tions- und Arbeitsbedingungen für Promovierende und be-
7 HLZ 6/2018 zum Inhaltsverzeichnis treuende Professuren. Das reicht von der Finanzierung der Promotion bis zu Labor- und Arbeitsplätzen. Insbesondere im Bereich der Sozialen Arbeit der HAWs ist es schwierig, überhaupt eine Betreuerin oder einen Betreuer für die Ar- beit zu finden. Die Kooperationsvereinbarungen mit Fach- bereichen benachbarter Universitäten lösen dieses praktische Problem bisher nicht. Mit der Verleihung des eigenständigen Promotionsrech- tes wird der Weg zur Dissertation auch sozial geöffnet. Deut- lich mehr junge Menschen aus „Arbeiterfamilien“ nehmen ein Studium an einer Fachhochschule auf und können über diesen Weg an wissenschaftlicher Forschung partizipieren. Dass die Verleihung des Promotionsrechts von vielen Uni- versitätspräsidenten und dem Deutschen Hochschulverband kritisch gesehen wird, zeugt mehr vom konservativen Stan- desdenken der Universitäten als von Argumenten. Ziele des Bologna-Prozesses nicht erreicht Das Semester Der Bologna-Prozess kann in Hessen in großen Teilen als beginnt (Foto: abgeschlossen gelten. Die Anzahl der Studiengänge hat sich Harald Freiling) massiv erhöht, die Studienvielfalt hat sich unter Schwarz- Grün weiter ausdifferenziert, wenn auch langsamer als im rerbildungsgesetzes und damit eine Entscheidung, ob die Er- letzten Jahrzehnt. Die Landesregierung hat bei der Novel- probungsphase erfolgreich war, wurde auf die nächste Le- lierung des HHG die Kompetenzen der externen Akkreditie- gislaturperiode verschoben. Die GEW Hessen hält an ihrer rungsagenturen nicht angetastet, und daher bleibt der Ge- Kritik insbesondere an der „frühen Situierung des Praxisse- staltungsspielraum der Hochschulakteure vor Ort gering. Die mesters im Studienverlauf“ fest. Grundausrichtung auf mehr Leistungs- und Prüfungsdruck ist unverändert ein zentrales Merkmal der Studienreform. Betreuungsrelationen haben sich verschlechtert Zentrale Ziele des Bologna-Prozesses wie die Verkür- zung der Studienzeit, die Reduzierung der Abbruchquoten, Neben der starken Verschulung des Studiums haben sich die die Steigerung der internationalen Mobilität und eine stär- Betreuungsrelationen zwischen Studierenden und Lehren- kere Praxisorientierung wurden nicht erreicht. Nach einer den unter Schwarz-Grün weiter verschlechtert und liegen Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissen- deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt. Die Kapazi- schaftsforschung aus dem Jahr 2014 liegt die bundesweite tätsgrenzen der Seminare und Vorlesungen werden in vielen Abbruchquote bei rund 29 % mit starken studiengangspezi- Fällen überschritten, so dass die Lehr- und Studienqualität fischen Unterschieden und einer deutlichen Benachteiligung leidet. Insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaf- von Studierenden mit Migrationshintergrund mit einer Ab- ten sind mit Regelgrößen von 60 Studierenden pro Seminar bruchquote von 43 % (3). In den „alten“ Studiengängen Ma- die Grenzen des pädagogisch Sinnvollen längst überschrit- gister/Diplom lag die Abbruchquote zwischen 17 und ma- ten. Die Ausgaben des Landes Hessen je Studierenden lie- ximal 29 % (4). Dieser bundesweiten Entwicklung hat die gen für die HAW auf dem Bundesdurchschnitt, für die Uni- schwarz-grüne Landesregierung kaum etwas entgegensetzt. versitäten sogar darunter. Dies hat ebenso negative Folgen Mit der Novellierung des HHG hat die schwarz-grüne für die Arbeitsbedingungen der Lehrenden. Erschwerend Mehrheit im Landtag auf Vorschlag der Hochschulrektoren- kommt hinzu, dass die Lehrverpflichtung in Hessen, insbe- konferenz den Hochschulen die Möglichkeit gegeben, ein sondere für Professuren und Lehrkräfte für besondere Auf- Orientierungsstudium anzubieten und Studienbewerberin- gaben an HAW zu hoch ist. nen und -bewerber zur Teilnahme an Online-Selfassessments Tobias Cepok und Simone Claar zu verpflichten. Ob sie tatsächlich zu einer besseren Studi- Tobias Cepok ist Referent für Hochschule und Jugendbildung der enorientierung beitragen, ist noch unklar. Sollten sie über- GEW Hessen. Dr. Simone Claar ist wissenschaftliche Mitarbeiterin haupt einen nachweisbaren Effekt haben, ist anzunehmen, an der Universität Kassel und Mitglied im Referat Hochschule und dass Assessments in jeglicher Form eher eine weitere sozi- Forschung der GEW. Sie forscht zur Energiewende in Afrika. ale Hürde bei der Aufnahme eines Studiums bilden als tat- sächlich Studienorientierung zu bieten (5). (1) Liv Dizinger, Kai Eicker-Wolf und Michael Rudolph: Verlässlich Auch bei der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern gestaltet – Perspektiven eröffnet? Bilanz und Aussicht der Landes- stand die Auslese der Studierenden anstelle einer sinnvol- politik in Hessen. Büchner Verlag Darmstadt. August 2018, 25 Euro. len Arbeitsweltorientierung im Fokus der schwarz-grünen (2) Wohnraum für Studierende. Statistische Übersicht 2017 des Landesregierung. Mit der Erprobung des Praxissemesters Deutschen Studentenwerkes. Berlin 2017 (3) Ulrich Heublein u.a.: Zwischen Studienerwartung und Studi- für einzelne Lehramtsstudiengänge setzte sie zwar einen enwirklichkeit. In: Forum Hochschule, DZHW, 1/2017, Hannover Beschluss der Vorgängerregierung um, betrachtete das Vor- (4) Ulrich Heublein: Ursachen des Studienabbruchs. In: Forum haben aber auch dezidiert als ihr Projekt. Schon nach dem Hochschule, HIS, 2/2010, Hannover. zweiten Semester ist ein viermonatiger Einsatz in der Schu- (5) Annette Höpfner: Self-Assessment als Studienberatung und Be- le vorgesehen, der die bisherigen zwei aufeinanderfolgenden werbervorselektion. In: Helfried Moosbrugger u.a. (Hrsg.): Arbeiten Praxisphasen ersetzt. Eine Novellierung des Hessischen Leh- aus dem Institut für Psychologie, Heft 2/2005, S. 235–246
TITELTHEMA zum Inhaltsverzeichnis HLZ 6/2018 8 Für gute Arbeitsbedingungen an Hochschulen Wissenschaftliche und administrativ-technische Mitarbeiterinnen gute Arbeitsbedingungen an Hessens Hochschulen zusammenge- und Mitarbeiter, wissenschaftliche Hilfskräfte, Lehrbeauftragte schlossen, um im Vorfeld der Landtagswahl Druck auf die Lan- und Promovierende haben sich mit Unterstützung der GEW Hes- desregierung auszuüben, die Arbeitsbedingungen an Hochschulen sen, dem ver.di Fachbereich Bildung und Wissenschaft und dem nachhaltig zu verbessern. Die HLZ dokumentiert die gemeinsam Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft zur Initiative für entwickelten und verabschiedeten Positionen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an hessischen Hochschulen lerweile zum Alltag an hessischen Hochschulen. Zukunftsfä- sollen durch exzellente Arbeit zu ebenso exzellenter Lehre, hige Hochschulen sehen anders aus. Verwaltung und Forschung beitragen, doch sie arbeiten seit Im Koalitionsvertrag sprach sich die Landesregierung Jahren unter schlechter werdenden Bedingungen. Arbeits- 2014 für „verlässliche Karrierewege“ in der Wissenschaft und und Leistungsdruck nehmen überhand, die Zukunftsaus- „Dauerarbeitsplätze“ für Daueraufgaben aus. Doch das Wis- sichten der Beschäftigten sind ungewiss. Obwohl der Hoch- senschaftszeitvertragsgesetz, die Einführung von Qualifika- schulbetrieb ohne sie zum Stillstand käme, haben in Hessen tionsprofessuren und der Hessische Hochschulpakt haben die 85 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeitenden befristete Probleme nicht gelöst. Die Hochschulen als Arbeitgeber kön- Arbeitsverträge. Selbst in der Verwaltung nehmen Befristun- nen oder wollen ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Es gen in den letzten Jahren stark zu. Dabei unterminieren be- liegt nun am Land Hessen, den Worten Taten folgen zu las- fristete Verträge – nicht selten für ein Jahr oder sogar bloß sen, um bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaf- für zwei Monate abgeschlossen – nicht nur die Lebenspla- fen. Was muss geschehen, um dieses Ziel zu erreichen? nung der Beschäftigten, sondern auch die Qualität von Ver- waltung, Forschung und Lehre. Die Initiative fordert als erste dringend notwendige Da deutsche Hochschulen im OECD-Vergleich seit langem Schritte: unterfinanziert sind, die Studierendenzahlen aber anstiegen, 1. Befristete Stellen systematisch entfristen gibt es viel zu wenige Stellen in Lehre und Verwaltung, um Das Land muss sich mit den Hochschulen auf einen Stufen- Studierende auch in Zukunft gut zu betreuen. Die Konse- plan verständigen, um schrittweise den Anteil unbefristeter quenz: Teilzeitstellen, auf denen Vollzeit gearbeitet werden Arbeitsverhältnisse deutlich zu erhöhen. Stellen mit Dauer- muss, werden zur Regel. Immer mehr Aufgaben bei wach- aufgaben in der Lehre und direkter Betreuung von Studie- sendem Leistungsdruck und unbezahlter Lehre gehören mitt- renden sowie Lehrkräfte für besondere Aufgaben müssen un- mittelbar entfristet werden. Wir fordern die Festschreibung Uni Kassel: Initiative für Entfristungen von Dauerstellen für Daueraufgaben im Hessischen Hoch- schulgesetz. Dies betrifft jedoch keineswegs nur die Leh- Kein Einzelfall: An der Uni Kassel sind 90 Prozent des wis- re. Auch wenn Forschung oft projektgebunden ist, bleibt es senschaftlichen Personals, das heißt der wissenschaftli- auch Aufgabe öffentlich finanzierter Hochschulen, dauer- chen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Lehrkräfte haft unabhängige Forschung durch festes Personal langfris- für besondere Aufgaben, befristet angestellt. Einen erheb- tig zu sichern. Befristungen außerhalb der Promotion müssen lichen Teil ihres regulären Lehrangebots deckt die Univer- begründete und tatsächliche Ausnahmen sein und generell sität zudem über semesterweise vergebene Lehraufträge ab. mindestens drei Jahre umfassen. Die Glücklicheren haben einen Dreijahresvertrag, teilweise mit der Möglichkeit auf eine Verlängerung um zwei oder 2. Qualifikationsstellen aufwerten und von feudalen drei weitere Jahre. Andere arbeiten – vielfach in Teilzeit – Abhängigkeiten befreien auf Grundlage einer Befristung von sechs oder zwölf Mona- Um wissenschaftliche Qualifikation auf hohem Niveau zu ten. Auch im technischen und im administrativen Bereich sichern, muss das Hessische Hochschulgesetz festschreiben, greifen befristete Arbeitsverträge um sich, etwa aufgrund dass die Qualifikation bei Qualifikationsstellen mit einem der zunehmenden Bedeutung von Drittmitteln und damit Anteil von 75 Prozent (und nicht wie heute 33 Prozent) der befristet finanzierter Projekte. Die Initiative UNIKASSEL Arbeitszeit die prägende Tätigkeit sein muss. Wir fordern bei UNBEFRISTET will diesen Zustand nicht länger hinnehmen Promotionsstellen mindestens 65-Prozent-Stellen. Die Zuord- und fordert die Universitätsleitung auf, verbindliche Re- nung von Qualifikationsstellen zu Arbeitsbereichen muss be- gelungen zur umfassenden Entfristung des wissenschaft- endet werden, um die quasi-feudalen Abhängigkeitsverhält- lichen, technischen und administrativen Personals an der nisse abzuschaffen, die dadurch entstehen, dass in der Regel Universität Kassel zu schaffen. Vorgesetzte und Betreuende der Qualifikation ein und die- • Weitere Infos: https://unikasselunbefristet.wordpress.com selbe Person sind.
9 HLZ 6/2018 zum Inhaltsverzeichnis 3. Zeit für gute Lehre schaffen Die Lehrverpflichtungsverordnung muss so angepasst wer- den, dass Vor- und Nachbereitung der Lehre und Betreuung der Studierenden Teil aller Lehre leistenden Stellen wird, was in etwa der dreifachen Zeit der Präsenzlehre entspricht. Dies soll für Lehrbeauftragte ebenso gelten wie für Lehrkräfte für besondere Aufgaben, wissenschaftliche Mitarbeitende oder professorale Lehrende. Kurzfristig ist die Lehrverpflichtung, insbesondere für Lehrkräfte für besondere Aufgaben, deut- lich abzusenken. Nur so ist es ihnen möglich, innerhalb ih- rer Arbeitszeit aktuelle Diskussionen ihres Fachs zu verfol- gen und sich didaktisch weiterzubilden. 4. Hochschulen ausreichend finanzieren Demokratische Gesellschaften brauchen eine vom Einfluss in- 6. Mitbestimmung stärken teressengeleiteter Geldgeber unabhängige Wissenschaft. Eine Wir sind zufriedener und arbeiten besser, wenn wir mitbe- solide wissenschaftliche Ausbildung durch Lehre auf höchs- stimmen können. Das gilt für die Gestaltung der einzelnen tem didaktischem und wissenschaftlichem Niveau sowie eine Arbeitsplätze und Prozesse in den Instituten und Fachberei- von direkten ökonomischen Interessen unabhängige dauer- chen, aber auch für unsere Personalvertretung. Damit die Per- haft etablierte Forschung können verlässlich und langfris- sonalräte an Hessens Hochschulen als Stimme der Beschäf- tig nur durch ausreichend öffentlich grundfinanzierte Hoch- tigten fungieren können, müssen sie stärker anerkannt und schulen sichergestellt werden. Drittmittel müssen ihre für den einbezogen werden. Wir fordern im Zuge einer Überarbei- laufenden Betrieb notwendige Funktion verlieren und dürfen tung des Hessischen Personalvertretungsgesetzes, dass unsere nur für die Finanzierung echter Zusatzaufgaben herangezo- Personalräte bei der Einstellung von wissenschaftlichen Mit- gen werden. Stattdessen müssen die hessischen Hochschu- arbeiterinnen und Mitarbeitern voll mitbestimmen können. len als öffentliche Institutionen mit ausreichend konstanter Außerdem sollen sie analog zum Betriebsverfassungsgesetz öffentlicher Grundfinanzierung ausgestattet werden. bessere Freistellungsstaffeln erhalten. Die „vertrauensvolle“ soll um eine „gleichberechtigte“ Zusammenarbeit ergänzt 5. Mehr Personal einstellen werden, damit auch per Gesetz klargestellt wird, dass unsere Es herrscht Notstand an Hessens Hochschulen: Mit immer Personalräte mit der Dienststelle auf Augenhöhe verhandeln. mehr Aufgaben, starker Arbeitsverdichtung, Leistungsdruck Zur weiteren Anerkennung müssen alle Promovierenden, und einem dauerhaften Anstieg der Studierendenzahlen hält auch ohne Stelle, als Mitglieder der Hochschulen anerkannt der Zuwachs an Beschäftigung nicht Schritt. Dies belastet werden. Die Statusgruppen Promovierende und Hilfskräfte nicht nur die Beschäftigten, sondern verschlechtert auch die gehören zum Mittelbau und müssen dementsprechende Mit- Qualität der Lehre, Forschung und Verwaltung. Diesem seit bestimmungsrechte haben. vielen Jahren anhaltenden Trend gilt es eine Wende für gute Qualität im Studium entgegenzusetzen. Hierfür müssen deut- • Die Initiative ist offen für alle, die schon aktiv sind oder es lich mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Lehre und Ver- werden wollen. Unter dem folgenden Link kann man sich in den waltung eingestellt und auch neue, zusätzliche, unbefristete Mailverteiler eintragen: http://lists.gew-landesverband-hessen. Professuren geschaffen werden. de/cgi-bin/mailman/listinfo/mittelbauvernetzung Landesfachgruppe Hochschule und Forschung Neben der regionalen Gliederung in Schul- und Betriebsgrup- gruppe mit gesellschaftspolitischen Fragen und Entwicklun- pen, Kreis- und Bezirksverbände hat die GEW eine Struktur zur gen. Dazu gehört auch, dem allgemeinen gesellschaftlichen Gestaltung und Umsetzung der inhaltlichen Schwerpunkte in Rechtsruck entgegenzuwirken. Die Fachgruppe trifft sich Fach- und Personengruppen. Die Mitarbeit in den Landesfach- alle sechs Wochen an unterschiedlichen hessischen Hoch- gruppen und Landespersonengruppen ist offen für alle Mitglie- schulstandorten. Sie wird durch hauptamtliche Referentin- der – auch zum zunächst unverbindlichen „Reinschnuppern“. nen und Referenten des GEW-Landesverbands und durch In den folgenden Ausgaben stellt die HLZ in lockerer Folge die Simone Claar (Kassel) und Wolfgang Richter-Girard (Frank- Arbeit der Fach- und Personengruppen vor. furt) unterstützt, die ehrenamtlich das Referat Hochschule Die Fachgruppe Hochschule und Forschung innerhalb der und Forschung im GEW-Landesvorstand leiten. GEW Hessen vertritt die Interessen der Beschäftigten an Eine enge Zusammenarbeit gibt es auch mit dem Lan- Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrich- desausschuss der Studentinnen und Studenten in der GEW tungen auf Landesebene. Die Fachgruppe dient der hoch- (LASS). Die Landesfachgruppe Hochschule und Forschung schulpolitischen Willensbildung der GEW nach innen und wird von einem ehrenamtlichen Team geleitet. Es besteht vertritt Kampagnen nach außen. Sie entwickelt Stellung- zur Zeit aus Philip Fehling (Kassel), Felix Hauf (Frankfurt) nahmen gegenüber dem Landtag oder der Landesregierung und Svenja Marks (Kassel). und ist an tarifpolitischen Auseinandersetzungen mit dem • Kontakt zur Fachgruppe: p.fehling@uni-kassel.de; hauf@ Land Hessen beteiligt. Nicht zuletzt befasst sich die Fach- soz.uni-frankfurt.de und s.marks@uni-kassel.de
TITELTHEMA zum Inhaltsverzeichnis HLZ 6/2018 10 Wer sitzt denn da im Seminar? Extreme Rechte und neurechte Gruppen an Hochschulen Seit geraumer Zeit befindet sich die Rechte in Deutschland Zwecke genutzt wird (2): So kann ein rechtswissenschaftli- und Europa im Aufwind. Neben den sichtbaren Wahlerfolgen ches Studium helfen, um später Kameraden als Anwalt ver- der AfD treten Rechtsextreme auch in anderen gesellschaftli- teidigen zu können, oder es wird bewusst das Studienfach chen Bereichen mehr und mehr offen in Erscheinung, sei es Soziale Arbeit gewählt, um hier später politisch wirken zu im öffentlichen Raum, wie beispielsweise bei den Buchmes- können. Zumeist verhalten sich Studierende aus diesem sen in Frankfurt 2017 und Leipzig 2018, oder mit eigenen Spektrum eher unauffällig und versuchen mit ihrer poli- Hausprojekten, die wie das Zentrum der identitären Grup- tischen Gesinnung hinterm Berg zu halten. Häufig erfährt pe „Kontrakultur“ in der Nähe des Unicampus in Halle als man von dem politischen Engagement der Studierenden erst Wohn- und Schulungsraum für Rechtsextreme dienen sol- durch „Outings“ der Antifa, die über rechtsextreme Aktivi- len. Zuletzt riefen neurechte Gruppierungen dazu auf, ver- täten informieren wollen. mehrt in die Gewerkschaften zu drängen und auch hier ak- Im Rahmen rechter Mobilisierung an Hochschulen sind tiv den Diskurs von rechts mitzubestimmen. Zwar ist auf der es derzeit vielmehr vor allem neuere rechte Gruppierun- Einstellungsebene in den vergangenen Jahren eine Konstanz gen, die aktiv werden. Ihr Ziel ist es, Diskurse vermehrt von rechtsextremer und rechtspopulistischer Positionen in der Ge- rechts zu besetzen und so anstelle eines Kampfes auf der sellschaft auszumachen, doch die Stimmen derjenigen, die Straße den Kampf um die Köpfe zu führen. Sie nutzen hier- solche Positionen vertreten, werden gerade lauter (1). für Wortergreifungsstrategien und versuchen, Begriffe umzu- Rechte sind inzwischen auch Teil der Hochschulland- deuten und für sich zu vereinnahmen (3). Im Gegensatz zur schaft, Universitäten zum politischen Agitationsfeld rech- alten Rechten sind es nicht die ewig gleichen dumpfen ras- ter Gruppierungen geworden. Der Beitrag versucht daher, sistischen Parolen, die heraus gebrüllt werden, sondern die die aktuelle Situation rechter Bestrebungen an Hochschulen eigenen Positionen werden mit Statistiken und vermeintli- und die damit verbundenen Herausforderungen zu betrach- chen Fakten unterfüttert, um dem Ganzen eine intellektuelle ten und Strategien für einen aktiven Umgang mit der rech- Erscheinungsform einzuhauchen und den Korridor des Sag- te Szene zu diskutieren. baren nach und nach zu erweitern und nach rechts zu ver- schieben. Die Gründung rechter Hochschulgruppen beispiels- weise der AfD in Kassel soll es möglich machen, im Rahmen Neue Rechte sind oft unauffällig studentischer Mitbestimmung Politik betreiben zu können. Die extreme Rechte differenziert sich in den vergangenen Auch die studentischen Verbindungen, die sogenannten Bur- Jahren immer mehr aus. Das Bild des prügelnden, sozial ab- schenschaften, sind oft im Umfeld der extremen Rechten ak- gehängten Glatzennazis ist längst überholt, bei rechten Agi- tiv. Rechte Gruppen und Personen agieren aber vor allem au- tationsversuchen an Hochschulen trifft man weniger auf die ßerhalb vorgegebener politischer Hochschulstrukturen. Die klassischen Neonazis, die hier für ihre menschenfeindliche Übergänge zwischen konservativen und extrem rechten Mi- Politik mobilisieren, als auf die Identitären und die AfD. Po- lieus und Gruppen sind fließend. litisches Wirken und Ausbildung sind eher getrennte Sphä- In Hessen besuchte 2016 ein Student, inzwischen stellver- ren, auch wenn der Studienabschluss durchaus für politische tretender Landessprecher der Jungen Alternative, der Jugend- organisation der AfD, an der Goethe-Universität in Frank- furt einen Antirassismusworkshop. Im Anschluss denunzierte Leitfaden zum Umgang mit er in einem Youtube-Video den Leiter des Workshops. Von der neuen Rechten dem Erfolg des Videos motiviert legten 2017 weitere Mitglie- der der Jungen Alternative nach und verteilten Flugblätter Der AStA der Johann Wolfgang Goe- an der Hochschule, um gegen vermeintliche „Manipulatoren the-Universität Frankfurt veröffentlich- und Gesinnungsdiktatoren“ zu hetzen. Gemeint waren kri- te 2017 einen Handlungsleitfaden zum tische Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Lehrende. Umgang mit der (neuen) Rechten an Immer wieder findet man an hessischen Hochschulen Flyer Hochschulen. Die Autorinnen und Au- und Aufkleber der „Identitären Bewegung“, einer neurechten toren wollen die Leserinnen und Le- Gruppierung, die mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen ge- ser ermutigen, „in ihrem unmittelbaren gen Zuwanderung und Muslime mobil macht. So störten sie Umfeld und nach ihren Fähigkeiten ak- im Februar 2018 eine Abendveranstaltung des Allgemeinen tiv zu werden und vielfältige Aktionen Studierendenausschusses im Audimax der Universität in Ros- gegen rechte Akteurinnen und Akteu- tock, indem sie ein Banner ausbreiteten und via Megaphon re und ihre menschenfeindliche Hetze rechte Parolen skandierten. Immer wieder wird auch von Leh- zu starten“. renden an hessischen Hochschulen berichtet, wie ihre Ver- Der Leitfaden kann auf der Homepage anstaltungen gestört werden. Dabei sind es oft nur einzelne des AStA heruntergeladen werden: Studierende, die im Seminar versuchen, den Diskurs an sich • http://asta-frankfurt.de/aktuelles/zum- zu reißen und politisch zu agitieren, bis hin zur Unmöglich- umgang-mit-neuen-rechten-hochschule keit, Lehre sachgemäß durchführen zu können.
11 HLZ 6/2018 zum Inhaltsverzeichnis TITELTHEMA Alle haben ein Recht auf Bildung Universitäten und Hochschullehrende stehen hier vor einer besonderen Herausforderung im Umgang mit extrem Rech- ten. Unabhängig von der politischen Positionierung haben nach Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschen- rechte alle Menschen unabhängig von ihrer politischen Ein- stellung ein Recht auf Bildung. Das gilt auch für Rechts- extreme. Konsequenzen für politisches Handeln wie eine Exmatrikulation können also nur in Frage kommen, wenn beispielsweise eindeutig gegen die Hausordnung verstoßen wurde oder es gar zu Gewalthandlungen kommt. Hochschu- len haben einen menschenrechtsorientierten Bildungsauftrag zu erfüllen, der auch diejenigen einschließt, die ihn offen politisch bekämpfen. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage nach dem aktiven Umgang mit diesem Dilemma. Viele Leh- rende fühlen sich mit der Situation im Umgang mit rechten Strategien im Seminar überfordert und teilweise auch von der Hochschule zu wenig unterstützt. Rechten Agitationen keinen Raum geben Hochschulen können den Umgang mit dem Thema Rechts- extremismus selbst aktiv gestalten. Das muss jedoch über ein „March for Science“ ist eine Bewegung, die an amerikanischen reines Bekenntnis gegen Rechts hinaus gehen und bedeutet, Universitäten entstand, um gegen Trumps wissenschaftsfeindliche Betroffenen rechter Agitation von sich aus Unterstützung Politik der „alternativen Fakten“, gegen Verschwörungstheorien und anzubieten. Gleichzeitig gilt es, für dieses Thema zu sensi- die Leugnung des Klimawandels zu protestieren. 2017 und 2018 bilisieren und entsprechende Weiterbildungsangebote dau- fanden auch in Frankfurt erste Demonstrationen und Kundgebungen statt.(Foto: March for Science Germany) erhaft zu initialisieren. Oft erkennen weder Lehrende noch Studierende, welche politische Strategie sich gerade vor ih- ren Augen im Seminar entfaltet. Sie können somit die Ge- ren, sondern es muss auch deutlich werden, warum das ein schehnisse nur schwerlich als rechtsextreme Agitation ein- Problem ist – auch um Betroffene vor rechtsextremer Propa- ordnen und dem aktiv etwas entgegensetzen. Hier helfen ganda und Übergriffen zu schützen. Hier lassen sich neben Informationsveranstaltungen und Workshops, die Studie- der Aufklärungsarbeit auch Solidarisierungseffekte erzielen, rende und Lehrende im Umgang mit den rechten Störerin- die nicht nur den Lehrenden, sondern auch den Studieren- nen und Störern schulen. den die Möglichkeit eines aktiven Umgangs mit rechter Pro- Den Lehrenden selbst sei geraten, sich nicht in politi- paganda an Hochschulen bieten. sche Debatten verstricken zu lassen. Die Herausforderung ist, kritische und kontroverse Diskussionen zuzulassen und Demokratische Studierende adressieren gleichzeitig in der Lage zu sein, die Grenzen so zu stecken, dass menschenfeindliche Positionen keinen Platz im Semi- Strategien und Handlungskonzepte in dieser Form zu initiie- nar bekommen. Die oft artikulierte Vorstellung, Rechte im ren, gibt die Möglichkeit, aktiv zu werden, den Diskurs wieder Diskurs mit dem besseren Argument zu stellen, ist fatal. Es selbst zu steuern und nicht nur auf entsprechende Vorfälle geht ihnen nicht um eine offene Auseinandersetzung über zu reagieren. Auch wenn sich Hochschulen politisch neutral verhandelbare Positionen, sondern um die gezielte Verbrei- zu positionieren haben, kann so aktiv eine menschenrechts- tung politischer Ideologien. Jede Diskussion mit Rechten im orientierte Alltagspraxis etabliert werden, die im Sinne einer öffentlichen Raum, und dazu zählen auch die Studiensemi- vielfältigen, toleranten Gesellschaft ausbildet. nare, gibt ihnen die Möglichkeit, ihre menschenfeindlichen Alice Blum Positionen zu vertreten. Zudem schulen Rechte hier regel- recht ihr Diskussionsvermögen und man selbst gerät leicht Alice Blum ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovendin am Institut für allgemeine Erziehungswissenschaften an der Justus- in die Position, die eigene Arbeit zu verteidigen, die man ei- Liebig-Universität in Gießen. Sie forscht zu rechten Szenen in der gentlich nicht zu rechtfertigen braucht. Die in Artikel 5 im Gegenwart. Grundgesetz festgeschriebene Freiheit von Lehre und For- schung kann ein schneller Anker sein, sich einer solchen De- batte zu entledigen und das Seminarprogramm entsprechend (1) Andreas Zick, Daniela Krause und Beate Küpper (2016): Ver- fortführen zu können. breitung rechtspopulistischer Einstellungen 2014 – 2016. In: Ralf Darüber hinaus kann es hilfreich sein, die anderen Stu- Melzer: Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände, Bonn Dietz-Verlag. S. 116-125 dierenden zu adressieren und über die entstandene Situati- (2) Claudia Luzar und Dierk Borstel (2014): Umgang mit rechts- on aufzuklären. In dem Fall ist nicht mehr die extrem rechte extremen Studierenden an Hochschulen. http://denk-doch-mal.de Person Gesprächspartnerin oder Gesprächspartner, sondern (Suche: Luzar Borstel) deren politische Agitation selbst wird zum Thema, über das (3) Alice Blum, Max Pichl und Tom Uhlig (2017): Wo das Gespräch gesprochen werden kann. Dabei kann es nicht nur darum ge- aufhört – Reflexionen über den Umgang mit Rechten in öffentlichen hen, etwas als rassistisch oder antisemitisch zu klassifizie- Räumen. Online: www.belltower.news > Debatten
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