Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan

Die Seite wird erstellt Pascal Schilling
 
WEITER LESEN
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
76. Jahrgang · Nr. 2 · Herbst 2021

   Pfarrblatt

     Glücklich ist …
Schwerpunkt        Die Seligpreisungen Jesu – Anleitung zum Glücklichsein?
Dompfarre          Hl. Johannes als Weihwasserspender · Himmelsleiter · In Memoriam
Spirituelles       Hl. Ludmilla · Lieblingsgebet · Die Virgilkapelle und die Maria-Magdalena-Kapelle
Lesestoff          Die Bibel in Reimen · Der alte Steffl und die Impfstation
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Inhalt                                           Editorial
◼ Editorial                             2
◼ Wort des Dompfarrers
◼ Glück. Über die Kunst und das
                                        3
                                            Viele Wege zum Glück
  ­Geschenk gelingenden Lebens          4                                                  und auch einprägenden Worte Jesu stehen
◼ »Wir haben das Glück erfunden …« 6                                                       am Anfang seiner Verkündigung und sei-
◼ Glücklich oder selig?                 7                                                  nes Wirkens. Es sind Sätze, die trösten und
                                                                                           zugleich in Frage stellen. Das Tröstliche: Es
◼ Selig, ihr Armen                      8
                                                                                           gibt keine Situation des Lebens, auch kei-
◼ Selig, die Trauernden                 9                                                  ne noch so große Traurigkeit oder Not, in
◼ Selig die Sanftmütigen               10                                                  der nicht das Glück der Gegenwart Gottes
◼ »… andechtig und fridsam« –                                                              erfahrbar wäre. Denn das wahre Glück be-
  Kaiser Friedrich III.                11                                                  steht darin, diese Verbundenheit mit Gott
◼ Es ist gut, Mensch zu sein.          12                                                  in sich zu entdecken und zu entfalten:
                                                                                           Gott nimmt mich trotz meiner vielen Un-
◼ Für die Erde zum Segen werden        13
                                                                                           zulänglichkeiten und Mittelmäßigkeit an
◼ Nicht verhärteten, ­sondern reinen
                                                                                           und liebt mich. Dieses Glück weitet meinen
  Herzens                            14
                                                                                           Blick. Ich erkenne und sehe, was mir alles in
◼ Diplomatie im Dienst der                  Von Albert Einstein stammt der wunder-         meinem Leben geschenkt ist und was ich
  Menschen                             15
                                            bare Satz: „Es gibt viele Wege zum Glück.      genießen darf. Diese Verbundenheit weitet
◼ Selig, wer gerecht sein will, – er        Einer davon ist aufhören zu jammern.“          auch mein Herz, gibt Vertrauen und Kraft:
  erntet ­garantiert Verfolgung!       16
                                            Ich muss gestehen, da fühle ich mich ein       Gott will, dass ich meine Durchschnittlich-
◼ Glaube wider alle Hoffnung           18   wenig angesprochen, ich ertappe mich           keit überwinde. Er will, dass ich zu einer
◼ Kann man Glück messen?               19   selbst immer wieder dabei, dass ich mich       besseren Welt beitrage, dass ich nicht nur
◼ Die Kunst radikal neuen Glücks       20   über allerlei beklage. Dieses Verhaltens-      gerecht handle, sondern großzügiger wer-
                                            muster, das Menschen vom Glücklich-            de, warmherziger, milder und mich für den
◼ Glück bedeutet für mich …            21
                                            sein fernhält, wird auch in einem alten        Frieden in dieser Welt einsetze.
◼ Über die Stufen der Tugenden in           Kirchenlied besungen: „Was helfen uns              Mehr noch: Wer ein großes Herz hat,
  den Himmel                      24
                                            die schweren Sorgen, was hilft uns unser       freut sich nicht nur am Glück des anderen,
◼ Hl. Johannes der Täufer              25   Weh und Ach? Was hilft es, dass wir alle       er bemüht sich, aktiv zum Glück anderer
◼ Pfarrfirmung am 19. Juni 2021        26   Morgen beseufzen unser Ungemach? Wir           beizutragen und findet im Wohlergehen
◼ Pfarrfirmung 2022                    27   machen unser Kreuz und Leid nur größer         der anderen das eigene große Glück. Die
◼ Blitzlichter aus St. Stephan         28   durch die Traurigkeit.“ Beim Verfassen die-    vielen Bilder und Statuen von Seligen und
                                            ses Liedtextes im 17. Jahrhundert soll der     Heiligen in unseren Kirchen bezeugen die-
◼ Erstkommunion 27. Juni 2021          29
                                            Komponist Georg Neumark sein persönli-         ses Glück von Menschen, die ihr Leben für
◼ Buchvorstellung:                          ches Leid reflektiert haben. Er wurde über-    andere hingegeben haben.
  Die Bibel in Reimen                  30
                                            fallen, ausgeraubt und reiste in den Wirren
◼ »Und schaut der Steffl ­                  des 30-jährigen Kriegs auf der Suche nach      Nicht müde werden
  lächelnd auf uns nieder …«           31   Arbeit mittellos durch Deutschland. Sein       Ich wünsche Ihnen und mir, dass wir uns
◼ Mein Lieblingsgebet                  32   Lebensrezept, das er in seiner Unglücks-       von den Worten Jesu ermutigen und auch
◼ Heilige Ludmilla von Böhmen          33   situation für sich entdeckt hat: Man soll      in Frage stellen lassen: Worin suchst du
◼ Jahr des hl. Josef: »Ite ad Joseph« 34    still werden, „in sich selbst vergnügt“ sein   dein Glück? Lebst du glücklich? Und dass
                                            und nicht auf das Glück anderer schauen.       wir nicht aufhören, offen zu sein für das
◼ Wegzeichen des Glaubens:
                                            Es gilt, auf Gottes Wegen zu gehen und         Wunder des Lebens und die Liebe Gottes.
  Virgilkapelle                        35
                                            verlässlich das zu tun, was in der eigenen     So wie es die Dichterin Hilde Domin for-
◼ Dr. Zimmermann – ein
                                            Macht steht. Und bei allem anderen: den        muliert hat:
  faszinierender Stephaner             36
                                            lieben Gott walten lassen und auf den Se-          Nicht müde werden
◼ Pater Edi – ein Brückenbauer         37   gen des Himmels vertrauen.                         sondern dem Wunder
◼ Vorstellung Domkurat Kreier          37                                                      leise
◼ Antonio Vivaldi und St. Stephan      38   Selig seid ihr                                     wie einem Vogel
◼ Chronik                              39   Die Seligpreisungen Jesu sind jener Ab-            die Hand hinhalten.
                                            schnitt der Heiligen Schrift, der sich am
◼ Einige Termine zum Vormerken         40
                                                                                                                                           Martin Staudinger

                                            dichtesten und am kontroversesten mit
◼ Zum Nachdenken                       44   dem Thema der menschlichen Glückse-
◼ Impressum                            44   ligkeit auseinandersetzt. Die prägnanten                  Herzlich, Ihre Birgit Staudinger

2 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Wort des Dompfarrers

                          Liebe Freunde!
                          „Glücklich ist, wer vergisst,                 tun, was mir möglich ist, und sorgsames
                          was doch nicht zu ändern ist!“                Abwägen und Unterscheiden und Ge-
                          Johann Strauß Sohn hat in der Operette        wichten, welche Schritte vielleicht doch
                          „Die Fledermaus“ diesen Text klassisch        zu mancher Änderung beitragen können.
                          vertont, und viele von uns können ihn
                          beim Hören mitsummen. In vielen Lebens-       In schwierigen Lebenssituationen
                          lagen lebt es sich damit wirklich leichter.   von festgefügten
                          Wie unglücklich sind Menschen, die im-        Vorstellungen loslassen
                          mer versuchen gegen Windmühlen anzu-          Mein persönliches Glück hat nichts mit
                          rennen und mit dem Kopf durch die Wand        dem Fehlen jeglicher Störung und He-
                          zu kommen. Aber die Erfolglosigkeit lässt     rausforderungen zu tun, sondern viel-
                          sie trotzdem nicht ruhen, und sie laufen      mehr mit der möglichen Überwindung
                          weiter und weiter.                            und Integration mancher ganz neuer
                                                                        und unerwarteter Facetten des Lebens.
                          Unrecht verzeihen und mich                    Im Rückblick gerade auf die schwierigs-      Abstand gewinnen und mich
                          dort für andere einsetzen,                    ten Momente in meinem Leben vermag           von der befreienden Kraft
                          wo ich etwas verändern kann                   ich mehr Wachsen der Gelassenheit zu         des Gebets tragen lassen
                          Entlastung und neue Ziele sind oft über-      erkennen, als in einer notorischen Panik-    Jedes Mal, wenn ich selbst in eine Sack-
                          lebensnotwendig. In der Seelsorge und         mache. Ja, gerade am Boden mancher           gasse gelange, versuche ich mir mit inten-
                          Therapie müssen solche Knoten und Spi-        Krise hat so manch Neues wieder zu           siver Suche etwas auszuwählen, was mich
                          ralen oft genug erst langsam und bestän-      wachsen begonnen. Die Umwandlung             von dem Belastenden ablenkt, mir Freude
                          dig gelöst werden.                            und Redimensionierung von festge-            schenkt und bei dem ich etwas zum Bes-
                              Aber vergessen können wir selbst er-      fügten Vorstellungen und Wünschen            seren ändern kann. Aus dieser Erfahrung
                          littenes Unrecht nicht so leicht und es       haben bei mir immer wieder ein neues         der Distanz und des Abstandes gelingt
                          scheint auch nicht wirklich gesund zu         Glücksgefühl wachsen lassen, das mir         es dann vielleicht, nach ein paar Tagen
                          sein. Der Weg des bewussten Verzeihens,       zuvor unvorstellbar schien. Der erste        in dem bedrückenden Unglück etwas ins
                          auch wenn ich selbst nicht darum gebe-        Genuss eines ganz einfachen und un-          Licht zu verschieben.
                          ten werde, ist sicher der heilsamere für      gewürzten Erdäpfelpürees im Kranken-             Hoffentlich haben auch Sie schon oft
                          mich und meine bedrängende Unruhe des         haus nach einer Phase der künstlichen        den Mehrwert des Glaubens in der befrei-
                          Herzens. Und allgemein beklagenswerte         Ernährung hatte mehr Geschmacks-             enden Kraft des Gebetes und des Getra-
                          Zustände unserer Umwelt und Notlagen          erlebnischarakter als so manches Hau-        genseins in einem bergenden, tröstenden
                          in dieser Welt sind auch nicht einfach        benkoch-Menü. Mein Herz ist oft genug        und ermutigenden Kirchenraum erfahren.
                          durch Zur-Seite-Schieben und Vergessen        von einer Glückswelle in der freien Natur        Mit den besten Grüßen und Segens-
                          zu lösen. Die 690 Millionen Hungernden        ergriffen worden und das Frische-Luft-       wünschen für einen hoffentlich entspann-
                          auf der ganzen Welt haben hoffentlich         holen am neuen Morgen hat viel an Be-        ten Herbst
                          Ende Juli nicht nur die Kirchenglocken        nommenheit und Befangenheit in alten
                          zum Schwingen gebracht, sondern auch          Mustern und Verstrickungen des Alltags
                          manche Herzen: Beherzt heute das zu           weggeblasen.                                                  Ihr dankbarer Toni Faber

                                                                                                                       Gender-Hinweis
                                                                                                                       Wir bitten Autoren und Leser um
                                                                                                                       Verständnis, dass wir aus Gründen
                                                                                                                       der besseren Lesbarkeit und der Un-
                                                                                                                       versehrtheit der Sprache allgemeine
                                                                                             Titelseite:               Bezeichnungen wie zum Beispiel
                                                                                             Bildausschnitt            „Christ“, „Lehrer“ etc. sowie das
                                                                                             © Billi Thanner,          ebenfalls grammatikalisch maskuli-
Dompfarrer: Suzy Stöckl

                                                                                             Titel: Mein Paradies,     ne Wort „Mensch“ als inklusiv (also
                                                                                             Jahr 2021, Größe:         geschlechtsneutral) verstehen und
                                                                                             160 × 100 cm,             verwenden. Die Redaktion.
                                                                                             Technik: Mix-Media

                                                                                                              Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021 3
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Glücklich ist …

  Glück. Über die Kunst und das
  ­Geschenk gelingenden Lebens
  Was ist das Geheimnis des Glücks? Was muss man tun, um glücklich zu werden?
  Der Benediktinermönch Anselm Grün über Wege zum Glück und den Himmel in uns.

  Heute gibt es viele Glücksbücher. Sie           Für die Griechen ist es vor allem die Übung   Zufriedenheit und Glück erreichen. Viel-
  sprechen eine Sehnsucht an, die jeder           der Tugend, die mir das Glück beschert, vor   mehr wird das eigentliche Glück darin
  Mensch kennt.                                   allem der höchsten Tugend, der Weisheit.      bestehen, dass wir in allen Situationen
       Denn jeder Mensch möchte glücklich             Das dritte Wort ist Makarios. „Makari-    unseres Lebens einen Weg zum Himmel-
  sein. Doch in unserer Zeit meint man,           os = glücklich, selig“ ist bei den Griechen   reich finden. In der ersten und letzten
  Glück könne man machen. Man brauche             allein den Göttern vorbehalten. Die Göt-      Seligpreisung verheißt Jesus den Armen
  nur zu joggen, dann würden Glückshor-           ter auf dem Olymp waren frei. Sie waren       und den um der Gerechtigkeit willen Ver-
  mone ausgeschüttet und man sei glück-           nicht der Arbeit und Mühsal des Lebens        folgten das Himmelreich. Himmelreich
  lich. Oder man bräuchte nur auf ein Well-       unterworfen. Sie brauchten sich nach          oder Reich Gottes meint den inneren
  ness-Wochenende in ein Hotel gehen und          niemandem zu richten. Sie waren ganz          Raum auf dem Grund unserer Seele, in
  sich verwöhnen lassen, dann würde sich          sie selbst, ganz im Einklang mit sich, un-    dem Gott in uns herrscht. Wo Gott in
  Glück einstellen. All das kann helfen, sich     abhängig von Menschen und Mächten.            uns herrscht, da werden wir nicht mehr
  gut zu fühlen. Doch Glück kann man sich         Sie waren glücklich wegen ihrer Unsterb-      beherrscht von den Erwartungen und
  nicht kaufen. Glück ist Ausdruck von ge-        lichkeit und Alterslosigkeit. Ausgerechnet    Meinungen anderer Menschen und auch
  lingendem Leben. Und damit das Leben            diesen dritten Begriff benutzt Jesus nun      nicht von unseren eigenen Bedürfnissen.
  gelingt, braucht es seelische Arbeit. Und       bei den acht Seligpreisungen.                 Da sind wir wahrhaft frei. Und in die-
  es bedarf der richtigen Einstellung. Glück                                                    sem Raum des Reiches Gottes in uns sind
  ist eine Frage der inneren Haltung und der      Jesus verheißt keine heile Welt,              wir ganz wir selber. Da lösen sich all die
  Deutung all dessen, was mir widerfährt.         sondern Wege zum Glück                        Bilder auf, die andere uns übergestülpt
  Es gibt durchaus Wege zum Glück. Aber           Der Evangelist Matthäus versteht die          haben oder die wir uns selbst auferlegt
  sie zu beschreiten, kann Mühe kosten            acht Seligpreisungen Jesu als einen rea-      haben, sowohl Bilder unserer Selbstent-
  und vor allem ein Abschiednehmen von            listischen und konkreten Weg zu einem         wertung (ich bin nicht richtig) als auch
  Illusionen, als ob man Glück für immer          glücklichen Leben. Jesus verheißt uns         Bilder unserer Selbstüberschätzung (ich
  besitzen könnte.                                nicht einfach das Glück. Er zeigt uns         muss immer perfekt oder cool sein).
                                                  Wege, auf denen wir immer wieder              Wenn die Bilder sich auflösen, dann bin
  Glücklicher Zufall –                            glücklich sein dürfen. Aber Glück ist kein    ich einfach da, ganz ich selber. Ich muss
  Weisheit – Glückseligkeit                       Dauerzustand. Doch wenn wir die Wei-          mich nicht beweisen, mich vor andern
  Wir haben nur ein einziges Wort für Glück.      sungen Jesu befolgen, werden wir immer        nicht darstellen. Ich bin einfach im Ein-
  Die griechische Philosophie kannte drei         wieder Glück erfahren. Jesus verheißt uns     klang mit mir. Da bin ich dann wahrhaft
  Worte: Der erste Begriff für Glück ist Eu-      keine heile Welt. Vielmehr zeigt er uns       glücklich. Aber wir werden das Himmel-
  tyche. Tyche ist der Zufall. Eutyche ist also   Wege zum Glück mitten in der Realität         reich nicht immer in uns spüren. Doch
  das, was mir in einer guten Weise zufällt.      unseres Lebens, mitten in Situationen         allein dass wir darum wissen, relativiert
  Wir sagen im Deutschen: Ich habe Glück          von Armut, von Trauer, von Verfolgung,        die Sorgen und Nöte unseres Lebens.
  gehabt. Mir ist etwas Glückliches passiert,     von Unfrieden.                                Wenn wir uns mitten in der Traurigkeit
  widerfahren. Dieses Glück fällt einem von                                                     vorstellen, dass da in uns ein Raum der
  außen zu. Es liegt nicht in unserer Hand.       In allen Situationen                          Stille ist, in dem Gott in uns wohnt, der
  Aber es ist auch nur oberflächlich.             unseres Lebens einen Weg                      die Liebe ist, wandelt sich die Traurigkeit
      Der zweite Begriff ist Eudaimonia. Eu       zum Himmel finden                             in Hoffnung auf Frieden.
  heißt gut und daimon ist der Engel der          Der Mystiker Gregor von Nyssa sieht
  Seele, der innere Bereich der Seele, das        die Seligpreisungen als einen Stufen-         Gott gibt nicht nur die Kraft
  seelische Potential im Menschen. Glück-         weg zur mystischen Erfahrung Gottes.          für den Weg, sondern ist auch
  lich ist also der Mensch, der eine gute         Wenn wir versuchen die acht Haltungen         das eigentliche Geschenk
  Beziehung hat zu seiner Seele, zu seinem        einzuüben, von denen Jesus in den Se-         Die Seligpreisungen beschreiben einen
  göttlichen Kern. An dieser Beziehung zum        ligpreisungen spricht, dann werden wir        Weg zum Glück. Aber sie sind zugleich
  Potential meiner Seele kann ich arbeiten.       nicht einfach das psychologische Ziel von     Verheißung. Jesus traut uns zu, dass wir

4 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
»Wo Gott in uns herrscht, da werden wir nicht mehr
                                              beherrscht von den Erwartungen und Meinungen
                                              anderer Menschen und auch nicht von unseren
                                              eigenen Bedürfnissen. Da sind wir wahrhaft frei.
                                              Da lösen sich all die Bilder unserer Selbstentwertung
                                              und unserer Selbstüberschätzung auf … Dann
                                              bin ich einfach da, ganz ich selber, im Einklang
                                              mit mir. Dann bin ich wahrhaft glücklich.                 «       Anselm Grün

                                       in uns die Fähigkeiten finden, diesen           Die Kunst des gesunden                       ter verstehen die Bergpredigt, die ja mit
                                       Weg zu gehen und die acht Haltungen,            und gelingenden Lebens                       den Seligpreisungen beginnt, nicht zuerst
                                       die er beschreibt auch zu verwirklichen.        Man könnte den achtfachen Pfad Jesu,         als Auflistung moralischer Forderungen,
                                       Der frühchristliche Theologe und Bibel-         den er uns in den Seligpreisungen be-        sondern als einen Weg zum gelingen-
                                       gelehrte Origenes ist überzeugt, Jesus          schreibt, vergleichen mit dem achtfa-        den Leben. Es ist ein Weg voller Weisheit.
                                       selber gibt uns die Kraft, die Tugenden         chen Pfad Buddhas zum gelingenden            Doch die Bedingung, diesen Weg gehen
                                       zu verwirklichen, die er in den Seligprei-      Leben. Im Matthäusevangelium kommen          zu können, ist die Erfahrung Gottes. Da-
                                       sungen anspricht. Wir müssen diese Kraft        ja die Weisen aus dem Osten und fallen       her steht in der Mitte der Bergpredigt das
                                       nur nutzen und ihr mit unseren eigenen          vor dem Kind in der Krippe nieder um         Vaterunser. Die Mitte unseres Glaubens
                                       Fähigkeiten antworten. Jesus gibt uns           zu bekennen, dass in ihm die Weisheit        ist die Erfahrung Gottes. Aus dieser Er-
                                       aber nicht nur die Kraft, damit wir auf         des Ostens und Westens für alle Men-         fahrung aber entspringt ein neues Ver-
                                       den Berg des Glücks gelangen. Er selbst         schen aufscheint. Jesus erfüllt also die     halten. Beides – die Erfahrung Gottes und
                                       ist auch das eigentliche Geschenk. Er ist       Sehnsucht aller Völker und aller Religio-    das neue Verhalten, das dieser Erfahrung
                                       der Trost, mit dem wir getröstet werden.        nen nach wahrer Weisheit, nach einer         entspricht – führt uns zum wahren Glück.
                                       Er ist das Land, das wir besitzen. Er ist der   Weisheit, die uns mitten in der Reali-       Wir müssen den Weg zum Glück selber
                                       Lohn, den wir bekommen. Er ist das Bild,        tät unseres Lebens immer wieder zum          gehen. Aber wir dürfen vertrauen, dass Je-
                                       in dem wir Gott schauen. Durch die Tu-          Glück führt.                                 sus selbst uns auf diesem Weg begleitet
Julia Martin/Abtei Münsterschwarzach

                                       genden gelangen wir zu Christus, der in             Die griechischen Ärzte lehrten um die    und uns immer wieder stärkt, damit uns
                                       uns ist. Und durch Christus gelangen wir        Zeit Jesu die Menschen die Kunst des ge-     dieser Weg auch gelingt.
                                       zu unserem wahren Selbst, zur kostbaren         sunden Lebens. Origenes versteht Jesus            P. Anselm Grün OSB, Mönch der ­Abtei
                                       Perle, für die sich lohnt, alles hinzugeben     als den Chefarzt, der uns die wahre Kunst               Münsterschwarzach ist bekannt
                                       (vgl. Matthäus 13,45f). Durch Christus ge-      lehrt, wie wir gesund und wie wir glück-              als geistlicher Begleiter und Autor
                                       langen wir zu unserem reinsten Glück.           lich leben können. Die frühen Kirchenvä-                  zahlreicher spiritueller Bücher.

                                                                                                                              Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021 5
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Glücklich ist …

                                                                                                       Konrad Paul
                                                                                                         Liessmann

  »Wir haben das
                                                                                                     ist Philosoph,
                                                                                                Essayist, Literatur­
                                                                                                        kritiker und

  Glück erfunden…«
                                                                                                   Kultur­publizist.

  Der Philosoph Friedrich Nietzsche              die Gegenden, wo es hart war zu leben,         stellte. Der innere Zusammenhang zwi-
  lebte im 19. Jahrhundert. Dass                 und suchen die „Wärme“ der anderen             schen Lust und Leid wird ausgeblendet.
  manche seiner Gedanken                         Menschen; Krankwerden gilt ihnen als
  nahezu als prophetisch für                     sündhaft, ebenso wie die Bekundung             Nur keine Konflikte und
  unsere westliche Konsum- und                   von Misstrauen. Und dann steht da ein          keinen Schmerz
  Spaßgesellschaft betrachtet                    geradezu prophetischer Satz: „Man geht         Der letzte Mensch scheut deshalb den
  werden können, beleuchtet                      achtsam einher.“ Man kann, wenn man            Konflikt und den Schmerz, er nimmt „ein
  Konrad Paul Liessmann.                         will, darin eine Vorwegnahme des Ge-           wenig Gift ab und zu“, um angenehm
                                                 sundheitskultes und der Achtsamkeits-          zu träumen und „viel Gift zuletzt: das
  In seinem berühmten und berüchtigten           trainings unserer Tage sehen, die sug-         macht angenehmes Sterben“. Unwillkür-
  poetisch-philosophischen Hauptwerk             gerieren, dass alle Gegensätze mit ein         lich denkt man an die Debatten um den
  Also sprach Zarathustra erwähnt Fried-         bisschen Mindfulness in Wohlgefallen           assistierten Suizid, bei dem es ja längst
  rich Nietzsche den „letzten Menschen“          aufgelöst werden könnten. Natürlich:           nicht mehr nur um die Beendigung eines
  – eine schwach und müde gewordene              Man arbeitet noch, aber auch die Arbeit        unheilbaren, schmerzhaften Leidens geht,
  Gestalt, die in vielem an die Life-Style-Fi-   muss wie alles zu einer „Unterhaltung“         sondern um ein angenehmes Sterben, das
  guren der Gegenwart und ihre Convenien-        werden, die den Menschen nicht weiter          den Betroffenen ebenso zugutekommt
  ce-Kultur erinnert: „,Wir haben das Glück      angreift. Gamification und Entertainment       wie den Angehörigen und den Sozialver-
  erfunden‘ – sagen die letzten Menschen         als die bestimmenden Prinzipien von Ar-        sicherungssystemen.
  und blinzeln.“ Nietzsche hat hellsichtig       beit, Lernen und Leben werden ja forciert,
  erkannt, dass das Glück eine späte Errun-      alles muss „Spaß“ machen.                      Genügt uns dieses Glück?
  genschaft ist. Es war die Moderne, die im                                                     „,Wir haben das Glück erfunden‘ – sagen
  Glück das Ziel und den Sinn des Daseins        Zusammenhang von Lust und                      die letzten Menschen und blinzeln.“ – Es
  sehen wollte. Das größtmögliche Glück für      Leid wird ausgeblendet                         sind die Facetten des modernen Glücks,
  die größtmögliche Zahl: Diese ethische         Das Leben des letzten Menschen wird            die hier entfaltet werden, es ist das Glück
  Maxime des angelsächsischen Utilitaris-        dominiert von den Aspekten des Ange-           des Konsums und der Bequemlichkeit,
  mus markiert diese Entwicklung ebenso          nehmen, Nützlichen, leicht Zugänglichen        das Glück der sanften Betäubungen und
  wie der berühmte Passus in der amerika-        und Mittelmäßigen: „Man hat sein Lüst-         harmlosen Vergnügungen. Ob uns dieses
  nischen Unabhängigkeitserklärung von           chen für den Tag und sein Lüstchen für         Glück genügt oder ob wir bereit sind, dar-
  1776, der das Streben nach Glück neben         die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit.“      über hinauszugehen, ist eine Frage, deren
  dem Leben und der Freiheit zu den unver-       Nicht nur in Zeiten einer grassierenden        Beantwortung niemandem von uns ab-
  äußerlichen Rechten des Menschen zählte.       Pandemie erscheinen diese Sätze in ihrer       genommen wird.
  Nietzsche inspirierte dies zu dem bitterbö-    Bissigkeit hellsichtig. Die Lüste selbst un-
  sen Aphorismus: „Der Mensch strebt nicht       terliegen dem Regime der Gesundheit, das
  nach Glück; nur der Engländer tut das.“        trifft das Rauchen ebenso wie den Sex, das                             Das neueste Buch
                                                 Essen ebenso wie das Trinken, und es trifft                            von Konrad Paul
                                                                                                                                              Liessmann: Zsolnay Verlag / Heribert Corn

  Gesundheitskult und                            auch die rar gewordenen geistigen Genüs-                               Liessmann: Alle
  Achtsamkeitstraining                           se: nur keine allzu radikalen Gedanken,                                Lust will Ewigkeit.
  Tatsächlich gemahnt Nietzsches hämi-           nur keine inkorrekten Formulierungen,                                  Mitternächtliche
  sche Skizze des letzten Menschen an            nur keine Sprache, die irgendein Gleich-                               Versuchungen,
  zahlreiche Moden und Trends, die das           stellungsprinzip verletzen könnte, nur                                 Zsolnay Verlag,
  moderne Leben und seine Ideologie aus-         kein Stil, der die Schönheit einer Formulie-                           Wien 2021,
  machen. Die letzten Menschen verlassen         rung über die Geschlechtergerechtigkeit                                320 Seiten

6 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Glücklich oder selig?
                                                                                      Die Bergpredigt mit den
                                                                                      Seligpreisungen Jesu zählt                                                                      Ort, wo sich Himmel und Erde berühren: der
                                                                                      zu den zentralsten und                                                                           Berg der Seligpreisungen. Am Nordufer des
                                                                                      provokantesten Texten des Neuen                                                                    Sees Genesareth wurde auf einer Anhöhe
                                                                                      Testaments. Die Seligkeit, von                                                                     ein schlichtes Gotteshaus gebaut, das an
                                                                                      der Jesus spricht, meint weder                                                                        die Bergpredigt Jesu erinnern und zum
                                                                                      vordergründig banales Glück                                                                       Nachdenken und zum Gebet einladen soll.
                                                                                      noch eine Vertröstung auf das
                                                                                      Jenseits. Von Martin Stowasser

                                                                                      „Verkauft’s mei G’wand, i’ bin im Himm’l“,
                                                                                      besingt ein Wienerlied das irdische Glück
                                                                                      der Weinseligkeit. Und was viel Anderes
                                                                                      soll denn gemeint sein, wenn Lk 6,20f.
                                                                                      hungernden Bettlern ein „makarioi“,
                                                                                      ein „glücklich“, zugerufen wird, weil ihr
                                                                                      Schicksal sich wendet? Jesus selbst galt als         Nun richtet aber Gott selbst (im Wir-        in die Bergpredigt nebeneinander, die
                                                                                      „Fresser und Säufer“ (Lk 7,34) – Gleich und      ken Jesu) seine endzeitlich verheißene           konkretes Handeln als Realisierung des
                                                                                      Gleich gesellt sich gern. Aber ist „glücklich“   Herrschaft auf, was „makarioi“ zu einem          Evangeliums einfordert. Damit verlagert
                                                                                      nicht zu banal? Die gängigen deutschen           „religiösen“ Begriff macht und auf die Be-       er einerseits deutlich die Stoßrichtung der
                                                                                      Übersetzungen geben das altgriechische           ziehung zu Gott (bis über den Tod hinaus)        jesuanischen „Seligpreisungen“, anderer-
                                                                                      „makarioi“ mit „selig“ wider. Damit ver-         weitet. Menschen, an denen Gott handelt,         seits fängt er den von Jesus intendierten
                                                                                      schiebt sich die Perspektive nicht nur in        sind „selig“, auch wenn zugleich sehr ir-        Realitätsbezug der anbrechenden Got-
                                                                                      den Bereich religiöser Sondersprache, son-       dische Verhältnisse auf den Kopf gestellt        tesherrschaft auf seine Weise ein. Jesus
                                                                                      dern auch ins Jenseits: Die „Seligen“ sind       werden. „Glücklich“ ist also keineswegs          verstand den Gang an die Ränder der
                                                                                      alltagssprachlich die „Verstorbenen“ – aber      banal, sondern bewahrt die irdisch kon-          Gesellschaft als Konkretisierung seiner
                                                                                      auf Vertröstung ins Jenseits zielt der bibli-    krete Dimension der Gottesherrschafts-           Verkündigung, dass Gott handelt, für
                                                                                      sche Text nicht ab. Man kann es bei einer        predigt Jesu. Banal ist solch eine Verände-      Matthäus realisiert sich Gottesherrschaft
                                                                                      Übersetzung von „makarioi“ ins Deutsche          rung nur für diejenigen, für die sich nichts     nachösterlich als Nachfolge Jesu in kon-
                                                                                      im Grunde nur falsch machen, da beide            zu ändern braucht. Das ist auch bereits          kretem Tun. Der Zuspruch des „makarioi“
                                                                                      Aspekte – der (vordergründig) banale wie         Jesus klar, weshalb er gezielt provokativ        setzt für ihn das Christusereignis voraus,
                                                                                      der religiöse – mitschwingen.                    formuliert: „Selig die Armen“. Jesu „Se-         sodass das Zuerst dieses geschenkhaf-
                                                                                                                                       ligpreisungen“ formulieren eine Zusage,          ten Handelns Gottes das Gebot ermög-
                                                                                      Jesu „Seligpreisungen“ –                         deren Verbindlichkeit von Seiten Gottes er       licht und umfängt. Als Geliebter soll der
                                                                                      ein Garantieschein Gottes                        mit seinem Gehen an die Ränder der Ge-           Christ lieben.
                                                                                      Die „Seligpreisungen“ werden durch               sellschaft demonstriert und real werden              Jesus preist Arme selig, aber weiß,
                                                                                      Lk 6,20-23 und Mt 5,3-12 überliefert. Ihr        lässt. Sie sind ein Garantieschein Gottes.       dass sie dazu auch glücklich sein müssen.
Stowasser: Universität Wien | Kirche am Berg der Seligpreisungen: Helmut Staudinger

                                                                                      deutlich unterschiedlicher Wortlaut zeigt,                                                        Matthäus hat trotz aller Spiritualisierung
                                                                                      dass sie nachösterlich bearbeitet wie er-        „Seligpreisungen“ –                              der „Seligpreisungen“ Jesu seine Gemein-
                                                                                      gänzt wurden, ihr Kern geht jedoch auf           Zuspruch oder Anspruch?                          de dafür in die Pflicht genommen.
                                                                                      Jesus selbst zurück. Den Bettelarmen, die        „Seligpreisungen“ besitzen im Alten Testa-
                                                                                      deshalb hungern und weinen, spricht er           ment eine lange Tradition. Sie sind zwar
                                                                                      bedingungslos Gottes Zuwendung zu.               grundsätzlich Zuspruch, zumeist besitzen
                                                                                      Vielfach mahnen Tora wie Israels Prophe-         sie jedoch einen mahnenden Unterton:
                                                                                      ten die Sorge um Arme und Rechtlose ein.         „Selig der Mann, der nicht nach dem Rat
                                                                                      Für Jesus ist Endzeit. Gott selbst setzt nun     der Frevler geht“ (Ps 1,1). Diesen fordern-       Martin Stowasser
                                                                                      sein Recht durch und wird daher das Elend        den Akzent unterstreicht Matthäus in               ist Professor für
                                                                                      dieser Menschen ins glückliche Gegen-            seinen acht Seligpreisungen, wenn Barm-           Neues Testament
                                                                                      teil verkehren. Mit den „Seligpreisungen“        herzige wie Friedensstifter nun ebenfalls           und Vizedekan
                                                                                      bringt Jesus seine Predigt vom Anbruch           adressiert werden. So setzt er Gnaden-             der Kath.-Theol.
                                                                                      der Herrschaft Gottes auf eine Kurzformel.       zuspruch und Forderung als Eingangstor              Fakultät Wien.

                                                                                                                                                                               Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021 7
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Glücklich ist …
                                                                                               tinnen umso mehr als Konsumverzicht aus
                                                                                               sozialen wie ökologischen Gründen heute
                                                                                               eine globale Forderung ist. Es gilt, so Papst
                                                                                               Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si,
                                                                                               die Klage einer Schöpfung, die durch Über-
                                                                                               konsum zerstört wird, ebenso wie jene der
                                                                                               Armen zu hören. Die im selben Jahr 2015
                                                                                               verabschiedeten Sustainable Development
                                                                                               Goals (SDG’s) der Vereinten Nationen nen-
                                                                                               nen als oberstes Ziel der Weltgemeinschaft
                                                                                               die Überwindung extremer Armut bis 2030.
                                                                                               Man mag skeptisch sein, doch tragen sol-

  »Selig, ihr Armen …«                                                                         che Ziele wesentlich zur globalen Bewusst-
                                                                                               seinsbildung in der Armutsbekämpfung bei,
                                                                                               auch wenn es schwerwiegende Rückschläge
                                                                                               durch die Coronapandemie gibt. Das Elend
  Alle Seligpreisungen sind paradox und eine Herausforderung für                               von 10 % der Weltbevölkerung (etwa 800
  den gesunden Menschenverstand. Für kaum eine gilt das mehr als                               Millionen Menschen!) ist angesichts des
  für jene, die die Armen glücklich preist: „Selig, ihr Armen, denn                            Weltreichtums eine himmelschreiende Sün-
  euch gehört das Reich Gottes.“ (Lk 6,20b) Von Ingeborg Gabriel                               de und ein Skandal. Ein Zehent der Reiche-
                                                                                               ren würde locker ausreichen, um ihn zu be-
  Bei Lukas muss „selig, ihr Armen“ zusam-     Tag drei Predigten zum Thema. Alle mein-        seitigen. Entwicklungshilfe für die ärmsten
  men gelesen werden mit dem folgenden         ten ausweichend, dass es nicht um Kritik        Länder ist eine zentrale Forderung der Ge-
  Wehe gegen die Reichen (Lk 6,24 und          am Reichtum, sondern darum gehe, nicht          rechtigkeit, ebenso wie die Unterstützung
  Matthäus fügt ein „im Geiste“ hin. Doch      an Gütern zu hängen. Mit einer derartigen       jener Armen, die bei uns unter Obdachlosig-
  dies macht die Aussage nicht weniger an-     spiritualistischen Deutung macht man es         keit, prekären Arbeitsbedingungen, moder-
  stößig. Marx sah bekanntlich darin eine      sich jedoch eindeutig zu einfach.               nen Formen der Sklaverei und Ähnlichem
  christliche Vertröstung auf das Jenseits.                                                    leiden. Die Kirche als karitative Großmacht
  Aber wie verhält sich der zentrale Text      Einfachheit als Tor zur Freiheit                ist hier ebenso gefordert wie jeder einzelne
  wirklich zum Gebot, die Armut zu über-       in der Nachfolge Jesu                           und die staatlichen Institutionen.
  winden, das die ganze Bibel wie ein roter    Das Ethos des Christentums ist – anders als
  Faden durchzieht? Im Alten Testament         jenes der Antike – sozialkritisch und univer-   Seligpreisung der Armen ist
  gilt Reichtum als Segen Gottes. Ein hohes    sal. Die praktische Umsetzung war immer         keine Seligpreisung der Armut
  Gerechtigkeits- und Liebesethos verlangt     herausfordernd. Menschen hängen am              Die Seligpreisung der Armen ist offen-
  jedoch, die Güter mit den Armen zu teilen.   Reichtum. Eine Begrenzung des Konsums           bar keine Seligpreisung der Armut. Sie ist
  Das Neue Testament ist reichtumsskep-        und der eigenen Bedürfnisse war und ist         eine eschatologische Heilszusage und ein
  tischer. Der Mammon erscheint hier als       nie und nirgends einfach. Die mittelalter-      dringlicher Aufruf an jene, die helfen kön-
  eine Art widergöttlicher Macht (Mt 6,24)     lichen Bettelorden oder in jüngster Zeit die    nen. In dieser Spannung ist sie zu meditie-
  und das ewige Heil der Reichen prekär        Gemeinschaften von Charles de Foucauld          ren. Sie stellt sie vor die ernste Frage nach
  (Mk 10,25). Die kritische Haltung gegen-     suchen die Seligpreisung des Evangeliums        Genügsamkeit, Maßhaltung und Verzicht
  über dem Zehent der Pharisäer zielt so auf   mit Leben zu erfüllen in Solidarität mit den    im Umgang mit materiellen Gütern und
  ein Mehr an Großzügigkeit nicht ein We-      Armen und im Vertrauen auf eine göttliche       ist ein Aufruf zur Solidarität. Sie kann auch
  niger (Mt 5,17)! Ich hörte einmal an einem   Vorsehung, die uns alles zum Leben Not-         zur Entdeckung einer Freiheit werden, die
                                                                                                                                                Gabriel: Joseph Krpelan | Berg der Seligpreisungen: Helmut Staudinger

                                               wendige gibt (Mt 6,28). Ein äußerst genüg-      Gott näherbringt und die das Evangelium
                                               samer Lebensstil, der achtsame Umgang           als höchstes Glück preist. Es gilt damit zu
                                               mit den Dingen und das Bemühen um               experimentieren.
                                               Schönheit und Dankbarkeit sollen zeigen,              Literatur zur Vertiefung: Die brilliante
   Ingeborg Gabriel                            dass Glück nicht von materiellen Gütern               Studie von Peter Brown, Einen Schatz
      ist emeritierte                          abhängt. Es geht darum, dem Elend eine               im Himmel. Der Aufstieg des Christen-
     Professorin für                           Einfachheit entgegenzustellen, die ein Tor        tums und der Untergang des römischen
      Sozialethik an                           zur geistigen Freiheit in der Nachfolge Jesu           Weltreichs (2018) und die gut lesbare
    der Kath.-Theol.                           öffnet. Gerade in Wohlstandsgesellschaften              Studie der Nobelpreisträgerin Esther
        Fakultät der                           sehnen sich Menschen heute nach einem               Duflo, Poor Economics (2019), die neue
   Universität Wien.                           derartigen Zeugnis aller Christen und Chris-            Wege zur Armutsbekämpfung zeigt.

8 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
»Selig, die Trauernden,…
                                                    … denn sie werden getröstet werden.« (Mt 5,4) Über Trauer und Tod – mitten im Leben. Gedanken zur
                                                    zweiten Seligpreisung von Monika Loiskandl, die seit vielen Jahren auch als Begräbnisleiterin tätig ist.

                                                    Es gibt kein Leben, in dem es nicht auch     zentrum zu besuchen. Der direkte Kontakt      unterschiedlich, wenn sie um einen ge-
                                                    Trauer gibt. Spannend ist es, wie wir in     mit Leid sensibilisiert doch mehr als das,    liebten Menschen trauern. Für viele ist ihr
                                                    unserer Gesellschaft mit Trauer umge-        was wir aus den Medien erfahren.              Glaube Stütze und Halt.
                                                    hen. Trauer ist zumeist unerwünscht, so-                                                        Aber es gibt auch diejenigen, die in
                                                    zusagen ein Spaßverderber. Wir sind ge-      Trauer wird sehr persönlich                   dieser prekären Situation mit ihrem Glau-
                                                    wohnt, gegen jedes Ungemach ein Mittel       empfunden und gelebt                          ben hadern. Dies ist dann besonders der
                                                    zu haben. Ein schmerzloses Dasein steht      Eine besonders intensive Trauer ist si-       Fall, wenn es sich um einen aus mensch-
                                                    im Mittelpunkt unserer Gesellschaft.         cher die, welche mit dem Verlust eines        licher Sicht unbegreiflichen Tod handelt.
                                                    Dazu zählen wohl auch die seelischen         geliebten Menschen einhergeht und              Manchen Menschen sind in ihrer Trauer
                                                    Schmerzen, zu denen die Trauer, zumin-       der Tod ins Spiel kommt. Bei                               die religiösen Begräbnisritua-
                                                    dest vorerst einmal zählt. Unterdrückt       den zahlreichen Be-                                              le hilfreich. Ich bin aber
                                                    kann sie wohl auch körperliche Schmer-       gräbnissen, die ich                                                  überzeugt davon,
                                                    zen nach sich ziehen. Das berühmte Lied      halten darf, er-                                                        dass wir jenen,
                                                    von Franz Lehar aus der Operette „Land       wähne ich auch                                                            die damit we-
                                                    des Lächelns“; „Immer nur lächeln und im-    öfters, dass                                                                nig anfangen
                                                    mer vergnügt, (…) lächeln trotz Weh und      Trauer etwas                                                                 können, nicht
                                                    tausend Schmerzen“, würde ich jedenfalls     sehr Persön-                                                                 zu viel davon
                                                    nicht empfehlen.                             liches ist. Sie                                                              aufzwingen
                                                        Jesus verweist mit dem Passus aus        wird sehr                                                                    sollen. Ihnen
                                                    den Seligpreisungen auf unser künftiges      persönlich                                                                   ist es oft sehr
                                                    Leben, ein Leben ohne die Mühen, Sorgen      empfunden                                                                   wichtig, den
                                                    und Leid. Wie kann uns diese wichtige Zu-    und sehr per-                                                              verlorenen
                                                    sage bereits in diesem Leben weiterhel-      sönlich gelebt.               Füreinander da sein, wenn Tod               Menschen mit
                                                    fen? Ich sehe darin auch einen Auftrag,      Es gibt keine gülti-            und Trauer uns mitten im               seiner Lebensge-
                                                    Trauer bereits in unserem Erdenleben         gen Muster. Deshalb                 Leben umfangen                 schichte nochmals in
                                                    wahrzunehmen und Trauernde nach Mög-         ist der Dienst des Begräb-                                     den Mittelpunkt zu rücken
                                                    lichkeit zu trösten.                         nisleiters, der Begräbnisleiterin                       und bzw. oder auch seine Lieb-
                                                                                                 ein sehr sensibler Dienst. In erster Linie    lingsmusikstücke zu spielen. Wichtig ist
                                                    Trauer zulassen und Leid                     verlangt er das, was Jesus bereits in sei-    für mich jener Satz aus dem 1. Petrusbrief
                                                    sichtbar machen                              ner Menschwerdung gelehrt hat: sich           geworden: „Seid stets bereit, jedem Rede
                                                    Vorerst scheint es mir einmal wichtig        den Menschen zuwenden, sich in andere         und Antwort zu stehen, der von euch Re-
                                                    Trauer zuzulassen und durchaus auch          einfühlen und, was in der heutigen Ge-        chenschaft fordert über die Hoffnung, die
                                                    sichtbar zu machen. Wichtig ist es auch      sellschaft eine besondere Herausforde-        euch erfüllt!“ (1 Petr 3,15) Wenn man die-
                                                    nachzufragen, wenn wir Menschen be-          rung ist, sich Zeit zu nehmen. Ich habe       se Hoffnung ausstrahlt, dann wird echte
                                                    gegnen, die in irgendeiner Form mit Trauer   erfahren, dass es für trauernde Menschen      Trauerbegleitung greifbar.
                                                    konfrontiert sind. Es gibt viele Gelegen-    sehr wichtig ist, wenn sie reden können
                                                    heiten, bei denen Trauer in unserem Leben    und ihnen jemand zuhört. Reden über den
                                                    eine Rolle spielt. Trauer darüber, versagt   Menschen, den sie verloren haben, eben-
                                                    zu haben, Trauer einer Trennung, Trauer      so, wie über ihre persönlichen Gefühle.
                                                    darüber, keine Anerkennung zu erfahren,      Dafür braucht es oft sehr viel Intuition,
Loiskandl: Gerhard Fally | Rose: Franz Kerschbaum

                                                    und so weiter. In der Konfrontation mit      denn öfters vergraben sich Trauernde und
                                                    Leid und Tod, sollte der Mensch nicht ab-    man muss ihnen erst dazu verhelfen, die         Monika Loiskandl
                                                    stumpfen, was leider oft passiert. Die Me-   Trauer in Worte zu fassen. Dabei darf man         war bis zu ihrer
                                                    dien überhäufen uns täglich damit, aber      mit Sicherheit auf Gottes Hilfe zählen,            Pensionierung
                                                    es ist doch eine gewisse Distanz, mit der    damit das Schriftwort „selig, die Trauern-    Pastoralassistentin
                                                    wir diese Berichte sehen. So war es mir      den, denn sie werden getröstet werden“                im zehnten
                                                    auch immer wichtig, mit Firmkandida-         bereits jetzt ein wenig Erfüllung erfährt.                Wiener
                                                    tinnen und Firmkandidaten ein Geriatrie-     Auch gläubige Menschen reagieren sehr              Gemeindezirk.

                                                                                                                                         Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021 9
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Glücklich ist …

   Selig die Sanftmütigen…
   „Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben“, lautet
   die dritte Seligpreisung beim Evangelisten Matthäus (Mt 5,5).
   Sanftmut – ein Begriff wie aus einer anderen Welt, eine Eigenschaft,
   mit der man in einer Ellbogengesellschaft eigentlich nur das
   Nachsehen haben kann. Doch das Gegenteil ist der Fall. Persönliche
   Gedanken und Erfahrungen von P. Gregor Oberguggenberger

   Sanftmut kann die Welt heilen. Menschen,          ter konnte ich viele Menschen, gütig an-
   die es schwer haben, öffnen Herz und Au-          nehmen – mit großem Vertrauen, dass
   gen, wenn sie einem/einer Sanftmütigen            der barmherzige und sanftmütige Jesus
   begegnen. Sie werden getröstet, blicken           da ist, heilt und wirkt – und so schöpfen
   auf und bekommen Vertrauen. Sie brau-             sie Freude und Aufmunterung für ihren
   chen keine Angst zu haben, weil Jesu Liebe        weiteren Lebensweg. Bei den Kranken und
   so groß ist und ich nehme sie auch an, so         in schwierigen traurigen Situationen habe
   wie sie sind und habe sie lieb. Das ist wie       ich mich öfters gefragt: Jesus wie würdest
   ein wärmendes Aufleuchten aus dem Her-            du jetzt handeln? Ich habe mich bemüht
   zen Gottes: „Lernt von mir, denn ich bin          in seinem Geiste zu handeln. Sanftmütig!
   gütig und von Herzen demütig.“ (Mt 11,29)
       Mit Feingefühl und Geduld den ande-           In der Sanftmut wachsen viele

                                                                                                        »… andechtig
   ren annehmen in seinem Anderssein, mit            kleine Pflänzchen, die blühen
   seinem Benehmen und seinen Fehlern. Ich           und gute Früchte bringen
   denke oft, vielleicht muss mich der an-           Ich hoffe, dass ich vielen den Weg zum
   dere/die andere mit meinen Fehlern, in
   meiner Art auch annehmen. „So nehmet
   euch eins um das andere an, wie auch der
                                                     Heil gewiesen habe. In der Sanftmut
                                                     wachsen viele kleine Pflänzchen, die blü-
                                                     hen und gute Früchte bringen. Wenn ich
                                                                                                        Kaiser Friedri
   Herr an uns getan“, heißt es in einem alten       zu sanftmütig, zu nachgiebig, zu geduldig
   Kirchenlied.                                      war, habe ich es nie bereut, denn die Gna-      Ein langer Atem und ein
                                                     de Gottes wirkt durch uns und der Geist         überraschender Ratschlag.
   „Gott hat dich unendlich                          Gottes führt! „Jesus ist sanftmütig und         Reinhard H. Gruber
   lieb, so wie du bist.                             demütig von Herzen.“ Sanftmut ist auch          über einen als friedsam
   Nimm auch diese Liebe an!“                        eine Frucht des Heiligen Geistes (Gal 5,23),    bezeichneten Regenten,
   Sanftmut in der Seelsorge, in der Kirche,         die wir alle brauchen. Papst Franziskus         der im Dom zu St. Stephan
   in der Regierung, bei den Kranken, Armen,         schreibt in Gaudete et Exsultate 74: „Mit       seine letzte Ruhe fand.
   Hilflosen ist wunderwirkend. In meinen vie-       demütiger Sanftmut reagieren, das ist
   len Jahren als Seelsorger mit Kindern, im         Heiligkeit“. Und aus unbekannter Quelle         Kaiser Friedrich III., 1415 in Innsbruck ge-
   Jahrzehnte langen Religionsunterricht habe        heißt es „Gott ist so stark, dass er die gan-   boren, 1493 in Linz gestorben und im
   ich mit Güte, Milde, Liebe und Freude für         ze Welt in den Händen hält und so sanft,        bedeutenden Kaisergrab im Südchor
   ihr ganzes Leben Licht, Heimat und Gott-          dass er unsere Tränen abwischt.“                des Stephansdoms bestattet, ist der am
   Vertrauen gegeben. Mir wurde nachgesagt:              Möge der Geist Gottes uns mit die-          längsten regierende Herrscher (ab 1440)
   „Du bist viel zu gut.“ Gott ist nie viel zu gut   sem wunderbaren Geschenk der Sanft-             des Heiligen Römischen Reiches – 53 Jahre
   mit uns. Er ist „die Liebe“. Wenn ich dem         mut erfüllen!                                   lang. Seine Regentschaft galt in der His-
   Kind, auch dem Erwachsenen fürs Leben                                                             toriographie lange Zeit als höchstens mit-
   mitgebe: „Gott hat dich unendlich lieb, so              P. Gregor M.                              telmäßig, Friedrich sei zaudernd, unfähig,
   wie du bist. Nimm auch diese Liebe an!“, so       Oberguggenberger                                zu friedliebend gewesen, noch dazu ein
   wird die Liebe Gottes aufblühen. Ich meine,                  OSM ist                              Stubenhocker, der Alchemie und Astrolo-
   die geduldige, sanftmütige Begegnung hält               Mitglied des                              gie zugeneigt, naiv fromm und kriegsfaul.
   bei vielen Menschen das ganze Leben an.              Servitenordens                               Diese Charakterisierung des Kaisers gip-
        Eine Schülerin schreibt mir: „In deiner      und Kirchenrektor                               felte in der Bezeichnung von Friedrich als
   Sanftmut habe ich deine Stärke gespürt                      auf dem                               „des Hauses Österreich Erzschlafmütze“.
   in einer Gelassenheit und Güte. Du hast               Mariahilfberg                               Erst in den letzten vierzig Jahren erfolg-
                                                                                                                                                    privat

   die Sanftmut gelebt.“ Auch als Beichtva-              in Gutenstein.                              te eine intensivere Auseinandersetzung

10 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021
Der Deckel des
                                                                                                                                                       Grabmonuments
                                                                                                                                                       zeigt Friedrich III.
                                                                                                                                                       in seinem
                                                                                                                                                       Krönungsornat.

                                                                                                                                                       allerdings steht uns ein endgültiges Urteil
                                                                                                                                                       nicht zu. Kaiser Friedrich steht gleichsam
                                                                                                                                                       an der Zeitenwende zur Neuzeit, der
                                                                                                                                                       Humanismus erwacht, die Reformation
                                                                                                                                                       bahnt sich an. Der Kaiser hatte Geduld,
                                                                                                                                                       er saß Konflikte aus, hatte einen langen
                                                                                                                                                       Atem, überlebte seine Feinde und blieb
                                                                                                                                                       somit Sieger über sie. Krieg war für ihn
                                                                                                                                                       die letzte Notwendigkeit, um sein Reich
                                                                                                                                                       zu schützen, die Würde seines Namens
                                                                                                                                                       und damit seiner Familie zu bewahren.
                                                                                                                                                       Friedrich war ein „sesshafter“ Kaiser, der

und fridsam« –
                                                                                                                                                       sein Reich von Wien und Wiener-Neu-
                                                                                                                                                       stadt, also der Peripherie her regierte
                                                                                                                                                       und wenige Reisen unternahm. Trotz-

ch III.                                                                                                                                                dem: Alle Versuche, ihm seine Macht zu
                                                                                                                                                       entreißen scheiterten, seine Regentschaft
                                                                                                                                                       hatte Bestand.
                                                                                                                                                           Friedrich III. hat in sein Notizbuch un-
                                                         und Neubewertung seiner Regierung im            schaftsanspruchs vor dem Volk und dies        ter anderem auch den Satz geschrieben:
                                                         Zusammenhang mit der systematischen             erklärt auch die vielen Pfeilerfiguren im     „Rerum irrecuperabilium summa felici-
                                                         Erfassung und Erforschung der ungeheu-          Langhaus der Domkirche. Ganz offensicht-      tas est oblivio“. Frei übersetzt bedeuten
                                                         ren Anzahl von Urkunden aus seinen Re-          lich und augenscheinlich führte dies die      diese Worte: „Glücklich ist, wer vergisst,
                                                         gierungsjahren.                                 Krönung und Salbung des Kaisers durch         was doch nicht zu ändern ist.“ Mit diesem
                                                                                                         Papst Nikolaus V. am 16. März 1452 in Rom     Spruch gibt uns der alte Kaiser aus längst
                                                         Der Fromme und Gottesfürchtige                  den Menschen vor Augen. Fortan betete         vergangenen Zeiten einen weisen Rat für
                                                         Kaiser Friedrich III. galt unter seinen Zeit-   Friedrich täglich das Kaiseroffizium, zwar    unser Leben. Den Frieden zu bewahren
                                                         genossen als frommer, gottesfürchtiger          nicht zum Priester geweiht gehörte er         und zu leben bedeutet vor allem, einen
                                                         Mann und wird in den verschiedenen              durch die feierliche Krönung auch nicht       langen Atem, Geduld und Zeit zu haben,
                                                         Nachrufen auch als solcher gewürdigt. Als       mehr dem Laienstand an.                       sich selber nicht zu wichtig zu nehmen,
                                                         regierender Fürst war er der Abkömmling                                                       aus der Geschichte zu lernen und an ein
                                                         einer Herrscherdynastie und damit schon         Der Friedfertige und Andächtige               gutes Ende zu glauben.
                                                         durch seine Geburt zur Regentschaft beru-       In den Nachrufen wird Kaiser Friedrich als
                                                         fen. Dies haben er und seine Zeitgenossen       friedfertiger und andächtiger Fürst be-
                                                         als Vorherbestimmung und Gnade Gottes           schrieben. Der Frieden liege ja schon in
 Gruber: Lukas Cioni | Friedrich III.: Renate Kohn/ÖAW

                                                         empfunden. Um dieses Gottesgnadentum            seinem Namen, analog zum biblischen
                                                         dem Willen Gottes entsprechend in sei-          König Salomon, in dessen Namen das
                                                         ner Herrschaft erfolgreich umzusetzen,          Wort Schalom (Friede) steckt. Jakob Men-             Reinhard H.
                                                         bedurfte es der Fürbitte aller Heiligen.        nel betont in seiner Chronik den religiösen            Gruber ist
                                                         Bestimmte Heilige wurden speziell aus-          Eifer mit dem der Kaiser seine Andachts-       Domarchivar von
                                                         gewählt, besonders die „Geblütsheiligen“,       übungen verrichtete. Und trotzdem führ-         St. Stephan und
                                                         also Heilige der eigenen Familie bzw. der       te auch Kaiser Friedrich Krieg und unter-        Autor mehrerer
                                                         ganzen Dynastie. Man betrachtete sie            schrieb Todesurteile. Aus heutiger Sicht        Bücher über den
                                                         schlichtweg als Legitimation des Herr-          schütteln wir über so manches den Kopf,           Stephansdom.

                                                                                                                                                Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021 11
Glücklich ist …

   Es ist gut, Mensch zu sein.
   Hunger und Ungerechtigkeit – in der vierten Seligpreisung spricht Jesus Menschen in Not an. Not zu
   wenden, Hungrige zu sättigen, kann glücklich machen, weiß Klaus Schwertner, Geschäftsführer der
   Caritas Wien. Wir müssen nicht auf die Veränderung zum Positiven warten, wir können sie selbst sein.

   Eine dramatische Hungersnot im Südsu-         fe, die die Mitarbeiter und Mitarbeiterin-                             Klaus Schwertner,
   dan als Folge von Klimakrise, Krieg und       nen sowie Freiwilligen leisten und die die                             Gut, Mensch
   jetzt Corona, durch die acht Millionen        Spender ermöglichen, wirkt. Weil wir se-                               zu sein,
   Menschen nicht ausreichend zu essen           hen, wie viel diese Hilfe verändert: Wenn                              Molden Verlag,
   haben, über eine Million davon Kinder.        die Hungersnot durch Saatgut, Gießkan-                                 2021, 192 Seiten
   Ein Tornado im Nachbarland Tschechien,        nen und Werkzeuge für junge Bäuerinnen
   der über tausend Häuser beschädigte,          und ihre Familien im Südsudan durch
   Dächer abdeckte, Bäume entwurzelte,           Spenden gelindert werden kann. Weil
   Autos durch die Luft wirbelte. Unwetter       diese Hilfe satt macht. Wenn Menschen
   und damit verbundene Hochwasser in            von nah und fern nach den Unwetterschä-
   Deutschland und Österreich, die Schäden       den mitanpacken, um ganze Dörfer und
   in Millionenhöhe und Menschen ohne Zu-        Städte wiederaufzubauen. Wenn unsere           können sie selbst sein. Dazu braucht es
   hause hinterlassen.                           Sozialberatungsstellen, Dank der großen        Mut, Mut hin- und nicht wegzuschauen.
                                                 Spendenbereitschaft, unmittelbar vor Ort       Die eigene Komfortzone zu verlassen und
   Wenn Hilfe satt macht und                     Soforthilfe leisten können.                    auf andere zuzugehen, die in Not geraten
   Hoffnung erfahrbar wird                                                                      sind oder nie eine echte Chance hatten.
   Es sind Bilder und Geschichten, die einen     Not verbindet                                  Aktiv zu werden, anstatt zu resignieren.
   betroffen bis sprachlos machen. Die Not       Der Evangelist Lukas richtet sich mit          Mut ist ein großes Wort, doch er wird
   ist bei vielen unserer täglichen Tätigkei-    seinen Worten „Selig, die ihr jetzt hun-       gerade auch in den kleinen Dingen und
   ten spürbar. Aber genau da sind neben der     gert, denn ihr werdet gesättigt werden.        Taten deutlich. Der Theologe Johannes
   Not eben auch sehr viel Mut, Hoffnung         (Lk 6,21)“ an Menschen, die akut von Hun-      Huber schreibt: „Gutsein lässt sich üben
   und Zuversicht erfahrbar. Hoffnung, weil      ger und Not bedroht sind. Matthäus wen-        und trainieren wie einen Muskel. Moral ist
   wir darauf vertrauen dürfen, dass jene Hil-   det sich an uns alle: „Selig, die hungern      ein Muskel, der ermüden, aber auch ge-
                                                 und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn       stärkt werden kann. Und gute Taten sind
                                                 sie werden gesättigt werden.“ (Mt 5,6) In      Taten, bei denen wir der Stimme unseres
                                                 unserer täglichen Arbeit bei der Caritas       Gewissens folgen. Wenn wir diese Stim-
                                                 gehen beide Aussagen Hand in Hand:             me trainieren, einfach indem wir auf sie
                                                 Denn Hunger und Not können nur durch           hören, wird sie lauter.“
                                                 ein gemeinschaftliches Zusammenwir-
                                                 ken überwunden werden - durch unsere           Wenn viele mit kleinen Taten
                                                 Spenderinnen und Spender, all unsere           kleine Dinge verändern
                                                 Freiwilligen und durch ein klares Bekennt-     Das gibt Hoffnung, denn das Match Gut
                                                 nis seitens der politisch Verantwortlichen     gegen Böse findet zuallererst nicht irgend-
                                                 und der öffentlichen Hand, dass Armut bei      wo dort draußen, auf den großen Bühnen
                                                 uns keinen Platz haben soll. Not verbin-       statt, sondern immer auch in uns selbst.
                                                 det. Gerade in Krisensituationen gelingt       Wir tragen stets beides in uns – die Liebe
                                                 es uns Menschen, ungeahnte Kräfte zu           und den Hass. Die Angst und den Mut.
                                                 mobilisieren, ein hohes Tempo zu gehen,        Den Zweifel und die Hoffnung. Das Licht
                                                 mit voller Energie zu versuchen, möglichst     und den Schatten. Und das ist eine gute
                                                 viele Dinge gemeinsam zum Positiven zu         Nachricht! Wir können und sollen uns
                                                                                                                                              Canisibus Praterstern: Stefanie J. Steindl

                                                 verändern. Es ist dazu nicht nötig, zur Hel-   entscheiden, auf welcher Seite wir ste-
                                                 din oder zum Helden zu werden. Es kann         hen wollen. Ich bin überzeugt: Wir können
                                                 genügen, uns immer und immer wieder            uns darauf verlassen, dass wir viele sind.
   Es gibt viele Wege, Hungrige zu sättigen.     in Erinnerung zu rufen, dass es gut ist,       Viele, die mit ihren vielen kleinen Taten
   Helfen Sie mit, tun Sie sich und anderen      Mensch zu sein. Wir müssen nicht auf die       die kleinen Dinge verändern und damit
   etwas Gutes! www.wirhelfen.shop               Veränderung zum Positiven warten, wir          gemeinsam Großes bewirken.

12 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021
Für die Erde
                                                                zum Segen werden
                                                                Erfahrung von Gerechtigkeit                        Es gilt, Gerechtigkeit und Barmherzig-
                                                                und die Beseitigung von Unrecht                keit miteinander in ein richtiges Verhält-
                                                                gehören zweifelsohne zu einem                  nis zu setzen. Beides ist für ein friedliches
                                                                guten Leben. In der fünften                    Miteinander von Menschen notwendig.
                                                                Seligpreisung spricht Jesus jedoch             Ohne Gerechtigkeit ist keine Gesellschaft
                                                                eine weitere Haltung an, die über              lebensfähig. Aber gedeihliches Zusam-             Joachim Wanke
                                                                die Gerechtigkeit hinaus geht                  menleben von Menschen auf Dauer                    ist emeritierter
                                                                und das zwischenmenschliche                    braucht mehr als Gerechtigkeit.                         Bischof der
                                                                Miteinander erst erfüllt und                       Ich knüpfe an dieser Beobachtung                    deutschen
                                                                segensreich macht: „Selig die                  an: Gesetzgebung, die Gerechtigkeit im             Diözese Erfurt.
                                                                Barmherzigen; denn sie werden                  gesellschaftlichen Leben durch Normen
                                                                Erbarmen finden.“ (Mt 5,7)                     und Vorschriften abzusichern sucht, kennt       um ihre Grenzen weiß, aber eben dem
                                                                Von Bischof em. Joachim Wanke                  so etwas wie eine Präambel. Diese geht          Ganzen des Sozialen, also auch in sei-
                                                                                                               normativ den Einzelparagraphen voraus.          ner politisch-gesellschaftlichen Gestalt
                                                                Barmherzigkeit hat heute kaum Kon-             Sie definiert den „Geist“, aus dem heraus       seine Abrundung, wenn man will: seine
                                                                junktur. Das Schlüsselwort unseres ge-         und in dem das ganze Gesetzeswerk aus-          „Menschlichkeit“ gibt.
                                                                sellschaftlichen Grundgefühls lautet:          zulegen bzw. anzuwenden ist, also etwa
                                                                Gerechtigkeit. „Ich muss meine Rechte          unter Beachtung der „Unantastbarkeit der        Wer den Himmel ernst nimmt,
                                                                einfordern!“ „Das steht mir gesetzlich         Menschenwürde“ oder (bei der Straßen-           wird für die Erde zum Segen
                                                                zu!“ Nichts gegen Gesetze. Es ist schon        verkehrsordnung) mit dem grundsätz-             Dazu kommt für uns als Christen noch
                                                                gut, wenn die Grundrechte der Menschen,        lichen Verweis auf „Vorsicht und gegen-         eine zusätzliche, kostbare Erfahrung hin-
                                                                der Behinderten z. B. oder der Kinder ge-      seitige Rücksichtnahme“.                        zu: Barmherzigkeit als zweckfreie Zuwen-
                                                                sichert werden. Es ist gut, wenn man sich                                                      dung zum Nächsten macht Gottes Liebe
                                                                vor Gerichten gegen Willkür und Benach-        Weil Gott barmherzig ist, sollen                erfahrbar, gegenwärtig, anschaulich. Sie
                                                                teiligungen wehren kann.                       (und dürfen) es auch wir sein                   verändert auch den, der sich auf Barmher-
                                                                                                               Jesus hat dem jüdischen Gesetz gleich-          zigkeit einlässt. Sie macht ihn „mensch-
                                                                Gerechtigkeit kann man                         sam als „Präambel“ das Liebesgebot vor-         lich“. Das ist für mich so etwas wie eine
                                                                einfordern. Barmherzigkeit nicht.              geordnet. Weil Gott barmherzig ist, sollen      Quintessenz dessen, was beispielsweise
                                                                Das Problem ist nur: Gerechtigkeit kann        (und dürfen) es auch wir sein, so lesen wir     in der Biographie der hl. Elisabeth von
                                                                man einfordern. Barmherzigkeit nicht.          in der Bergpredigt. Jesu Intention ist zu       Thüringen aufleuchtet. Wer den Himmel
                                                                „Sie fällt“ – frei nach Shakespeare (in: Der   zeigen, dass jede Menschenfeindlichkeit,        ernst nimmt, wird für die Erde zum Segen.
                                                                Kaufmann von Venedig, 4. Aufzug) – „vom        jede Unbarmherzigkeit, auch wenn sie            Und Segensträger werden auch morgen
                                                                Himmel, wie die Erquickung des Regens          nicht eigens genannt wird, der Intention        willkommen sein.
                                                                …“ Genau das ist das Problem: Gerechtes        seines Vaters im Himmel widerspricht.
                                                                Handeln ist eine Pflicht, Barmherzigkeit       Denn Gottes Wille ist das Heil des Men-
                                                                hingegen scheinbar nicht. Oder doch?           schen, der zwar mit Freiheit ausgestat-
                                                                Für die Gerechtigkeit sind Rechtsanwäl-        tet, aber in seiner Schwachheit vor deren          Sieben Werke der
                                                                te, Richter und Verteidiger, Sozialämter       Missbrauch nicht gefeit ist.                       Barmherzigkeit für heute
Wanke: Peter Weidemann/Bistum Erfurt in: Pfarrbriefservice.de

                                                                zuständig. Wer ist für die Barmherzigkeit           Ich gebrauche noch ein anderes Bild:
                                                                zuständig?                                     Die Gerechtigkeit ist so etwas wie das             Einem Menschen sagen:
                                                                    Zeigen wir nicht sofort mit dem Finger     „Skelett“ des gesellschaftlichen Körpers.          Du gehörst dazu.
                                                                auf andere. Fragen wir uns selbst: Kann        Aber ein Skelett als solches ist auf Dau-          Ich höre dir zu.
                                                                ich barmherzig sein? Am leichtesten ge-        er nicht gut anzuschauen. Es sollte von            Ich rede gut über dich.
                                                                lingt dies, wenn man das selbst schon ein-     einem wohl gestalteten Körper umgeben              Ich gehe ein Stück mit dir.
                                                                mal erfahren hat: angenommen zu wer-           sein, sonst bekommt man das Fürchten!              Ich teile mit dir.
                                                                den, unerwartet Hilfe zu erfahren, Schuld      Und dieser lebendige, bewegliche und vor           Ich besuche dich.
                                                                vergeben zu bekommen, einen Neuanfang          allem auch gut anzuschauende „Körper“              Ich bete für dich.
                                                                machen zu dürfen.                              ist eine kluge Alltagsbarmherzigkeit, die          Bischof em. Joachim Wanke

                                                                                                                                                        Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021 13
Sie können auch lesen