Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
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76. Jahrgang · Nr. 2 · Herbst 2021 Pfarrblatt Glücklich ist … Schwerpunkt Die Seligpreisungen Jesu – Anleitung zum Glücklichsein? Dompfarre Hl. Johannes als Weihwasserspender · Himmelsleiter · In Memoriam Spirituelles Hl. Ludmilla · Lieblingsgebet · Die Virgilkapelle und die Maria-Magdalena-Kapelle Lesestoff Die Bibel in Reimen · Der alte Steffl und die Impfstation
Inhalt Editorial ◼ Editorial 2 ◼ Wort des Dompfarrers ◼ Glück. Über die Kunst und das 3 Viele Wege zum Glück Geschenk gelingenden Lebens 4 und auch einprägenden Worte Jesu stehen ◼ »Wir haben das Glück erfunden …« 6 am Anfang seiner Verkündigung und sei- ◼ Glücklich oder selig? 7 nes Wirkens. Es sind Sätze, die trösten und zugleich in Frage stellen. Das Tröstliche: Es ◼ Selig, ihr Armen 8 gibt keine Situation des Lebens, auch kei- ◼ Selig, die Trauernden 9 ne noch so große Traurigkeit oder Not, in ◼ Selig die Sanftmütigen 10 der nicht das Glück der Gegenwart Gottes ◼ »… andechtig und fridsam« – erfahrbar wäre. Denn das wahre Glück be- Kaiser Friedrich III. 11 steht darin, diese Verbundenheit mit Gott ◼ Es ist gut, Mensch zu sein. 12 in sich zu entdecken und zu entfalten: Gott nimmt mich trotz meiner vielen Un- ◼ Für die Erde zum Segen werden 13 zulänglichkeiten und Mittelmäßigkeit an ◼ Nicht verhärteten, sondern reinen und liebt mich. Dieses Glück weitet meinen Herzens 14 Blick. Ich erkenne und sehe, was mir alles in ◼ Diplomatie im Dienst der Von Albert Einstein stammt der wunder- meinem Leben geschenkt ist und was ich Menschen 15 bare Satz: „Es gibt viele Wege zum Glück. genießen darf. Diese Verbundenheit weitet ◼ Selig, wer gerecht sein will, – er Einer davon ist aufhören zu jammern.“ auch mein Herz, gibt Vertrauen und Kraft: erntet garantiert Verfolgung! 16 Ich muss gestehen, da fühle ich mich ein Gott will, dass ich meine Durchschnittlich- ◼ Glaube wider alle Hoffnung 18 wenig angesprochen, ich ertappe mich keit überwinde. Er will, dass ich zu einer ◼ Kann man Glück messen? 19 selbst immer wieder dabei, dass ich mich besseren Welt beitrage, dass ich nicht nur ◼ Die Kunst radikal neuen Glücks 20 über allerlei beklage. Dieses Verhaltens- gerecht handle, sondern großzügiger wer- muster, das Menschen vom Glücklich- de, warmherziger, milder und mich für den ◼ Glück bedeutet für mich … 21 sein fernhält, wird auch in einem alten Frieden in dieser Welt einsetze. ◼ Über die Stufen der Tugenden in Kirchenlied besungen: „Was helfen uns Mehr noch: Wer ein großes Herz hat, den Himmel 24 die schweren Sorgen, was hilft uns unser freut sich nicht nur am Glück des anderen, ◼ Hl. Johannes der Täufer 25 Weh und Ach? Was hilft es, dass wir alle er bemüht sich, aktiv zum Glück anderer ◼ Pfarrfirmung am 19. Juni 2021 26 Morgen beseufzen unser Ungemach? Wir beizutragen und findet im Wohlergehen ◼ Pfarrfirmung 2022 27 machen unser Kreuz und Leid nur größer der anderen das eigene große Glück. Die ◼ Blitzlichter aus St. Stephan 28 durch die Traurigkeit.“ Beim Verfassen die- vielen Bilder und Statuen von Seligen und ses Liedtextes im 17. Jahrhundert soll der Heiligen in unseren Kirchen bezeugen die- ◼ Erstkommunion 27. Juni 2021 29 Komponist Georg Neumark sein persönli- ses Glück von Menschen, die ihr Leben für ◼ Buchvorstellung: ches Leid reflektiert haben. Er wurde über- andere hingegeben haben. Die Bibel in Reimen 30 fallen, ausgeraubt und reiste in den Wirren ◼ »Und schaut der Steffl des 30-jährigen Kriegs auf der Suche nach Nicht müde werden lächelnd auf uns nieder …« 31 Arbeit mittellos durch Deutschland. Sein Ich wünsche Ihnen und mir, dass wir uns ◼ Mein Lieblingsgebet 32 Lebensrezept, das er in seiner Unglücks- von den Worten Jesu ermutigen und auch ◼ Heilige Ludmilla von Böhmen 33 situation für sich entdeckt hat: Man soll in Frage stellen lassen: Worin suchst du ◼ Jahr des hl. Josef: »Ite ad Joseph« 34 still werden, „in sich selbst vergnügt“ sein dein Glück? Lebst du glücklich? Und dass und nicht auf das Glück anderer schauen. wir nicht aufhören, offen zu sein für das ◼ Wegzeichen des Glaubens: Es gilt, auf Gottes Wegen zu gehen und Wunder des Lebens und die Liebe Gottes. Virgilkapelle 35 verlässlich das zu tun, was in der eigenen So wie es die Dichterin Hilde Domin for- ◼ Dr. Zimmermann – ein Macht steht. Und bei allem anderen: den muliert hat: faszinierender Stephaner 36 lieben Gott walten lassen und auf den Se- Nicht müde werden ◼ Pater Edi – ein Brückenbauer 37 gen des Himmels vertrauen. sondern dem Wunder ◼ Vorstellung Domkurat Kreier 37 leise ◼ Antonio Vivaldi und St. Stephan 38 Selig seid ihr wie einem Vogel ◼ Chronik 39 Die Seligpreisungen Jesu sind jener Ab- die Hand hinhalten. schnitt der Heiligen Schrift, der sich am ◼ Einige Termine zum Vormerken 40 Martin Staudinger dichtesten und am kontroversesten mit ◼ Zum Nachdenken 44 dem Thema der menschlichen Glückse- ◼ Impressum 44 ligkeit auseinandersetzt. Die prägnanten Herzlich, Ihre Birgit Staudinger 2 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021
Wort des Dompfarrers Liebe Freunde! „Glücklich ist, wer vergisst, tun, was mir möglich ist, und sorgsames was doch nicht zu ändern ist!“ Abwägen und Unterscheiden und Ge- Johann Strauß Sohn hat in der Operette wichten, welche Schritte vielleicht doch „Die Fledermaus“ diesen Text klassisch zu mancher Änderung beitragen können. vertont, und viele von uns können ihn beim Hören mitsummen. In vielen Lebens- In schwierigen Lebenssituationen lagen lebt es sich damit wirklich leichter. von festgefügten Wie unglücklich sind Menschen, die im- Vorstellungen loslassen mer versuchen gegen Windmühlen anzu- Mein persönliches Glück hat nichts mit rennen und mit dem Kopf durch die Wand dem Fehlen jeglicher Störung und He- zu kommen. Aber die Erfolglosigkeit lässt rausforderungen zu tun, sondern viel- sie trotzdem nicht ruhen, und sie laufen mehr mit der möglichen Überwindung weiter und weiter. und Integration mancher ganz neuer und unerwarteter Facetten des Lebens. Unrecht verzeihen und mich Im Rückblick gerade auf die schwierigs- Abstand gewinnen und mich dort für andere einsetzen, ten Momente in meinem Leben vermag von der befreienden Kraft wo ich etwas verändern kann ich mehr Wachsen der Gelassenheit zu des Gebets tragen lassen Entlastung und neue Ziele sind oft über- erkennen, als in einer notorischen Panik- Jedes Mal, wenn ich selbst in eine Sack- lebensnotwendig. In der Seelsorge und mache. Ja, gerade am Boden mancher gasse gelange, versuche ich mir mit inten- Therapie müssen solche Knoten und Spi- Krise hat so manch Neues wieder zu siver Suche etwas auszuwählen, was mich ralen oft genug erst langsam und bestän- wachsen begonnen. Die Umwandlung von dem Belastenden ablenkt, mir Freude dig gelöst werden. und Redimensionierung von festge- schenkt und bei dem ich etwas zum Bes- Aber vergessen können wir selbst er- fügten Vorstellungen und Wünschen seren ändern kann. Aus dieser Erfahrung littenes Unrecht nicht so leicht und es haben bei mir immer wieder ein neues der Distanz und des Abstandes gelingt scheint auch nicht wirklich gesund zu Glücksgefühl wachsen lassen, das mir es dann vielleicht, nach ein paar Tagen sein. Der Weg des bewussten Verzeihens, zuvor unvorstellbar schien. Der erste in dem bedrückenden Unglück etwas ins auch wenn ich selbst nicht darum gebe- Genuss eines ganz einfachen und un- Licht zu verschieben. ten werde, ist sicher der heilsamere für gewürzten Erdäpfelpürees im Kranken- Hoffentlich haben auch Sie schon oft mich und meine bedrängende Unruhe des haus nach einer Phase der künstlichen den Mehrwert des Glaubens in der befrei- Herzens. Und allgemein beklagenswerte Ernährung hatte mehr Geschmacks- enden Kraft des Gebetes und des Getra- Zustände unserer Umwelt und Notlagen erlebnischarakter als so manches Hau- genseins in einem bergenden, tröstenden in dieser Welt sind auch nicht einfach benkoch-Menü. Mein Herz ist oft genug und ermutigenden Kirchenraum erfahren. durch Zur-Seite-Schieben und Vergessen von einer Glückswelle in der freien Natur Mit den besten Grüßen und Segens- zu lösen. Die 690 Millionen Hungernden ergriffen worden und das Frische-Luft- wünschen für einen hoffentlich entspann- auf der ganzen Welt haben hoffentlich holen am neuen Morgen hat viel an Be- ten Herbst Ende Juli nicht nur die Kirchenglocken nommenheit und Befangenheit in alten zum Schwingen gebracht, sondern auch Mustern und Verstrickungen des Alltags manche Herzen: Beherzt heute das zu weggeblasen. Ihr dankbarer Toni Faber Gender-Hinweis Wir bitten Autoren und Leser um Verständnis, dass wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit und der Un- versehrtheit der Sprache allgemeine Titelseite: Bezeichnungen wie zum Beispiel Bildausschnitt „Christ“, „Lehrer“ etc. sowie das © Billi Thanner, ebenfalls grammatikalisch maskuli- Dompfarrer: Suzy Stöckl Titel: Mein Paradies, ne Wort „Mensch“ als inklusiv (also Jahr 2021, Größe: geschlechtsneutral) verstehen und 160 × 100 cm, verwenden. Die Redaktion. Technik: Mix-Media Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021 3
Glücklich ist … Glück. Über die Kunst und das Geschenk gelingenden Lebens Was ist das Geheimnis des Glücks? Was muss man tun, um glücklich zu werden? Der Benediktinermönch Anselm Grün über Wege zum Glück und den Himmel in uns. Heute gibt es viele Glücksbücher. Sie Für die Griechen ist es vor allem die Übung Zufriedenheit und Glück erreichen. Viel- sprechen eine Sehnsucht an, die jeder der Tugend, die mir das Glück beschert, vor mehr wird das eigentliche Glück darin Mensch kennt. allem der höchsten Tugend, der Weisheit. bestehen, dass wir in allen Situationen Denn jeder Mensch möchte glücklich Das dritte Wort ist Makarios. „Makari- unseres Lebens einen Weg zum Himmel- sein. Doch in unserer Zeit meint man, os = glücklich, selig“ ist bei den Griechen reich finden. In der ersten und letzten Glück könne man machen. Man brauche allein den Göttern vorbehalten. Die Göt- Seligpreisung verheißt Jesus den Armen nur zu joggen, dann würden Glückshor- ter auf dem Olymp waren frei. Sie waren und den um der Gerechtigkeit willen Ver- mone ausgeschüttet und man sei glück- nicht der Arbeit und Mühsal des Lebens folgten das Himmelreich. Himmelreich lich. Oder man bräuchte nur auf ein Well- unterworfen. Sie brauchten sich nach oder Reich Gottes meint den inneren ness-Wochenende in ein Hotel gehen und niemandem zu richten. Sie waren ganz Raum auf dem Grund unserer Seele, in sich verwöhnen lassen, dann würde sich sie selbst, ganz im Einklang mit sich, un- dem Gott in uns herrscht. Wo Gott in Glück einstellen. All das kann helfen, sich abhängig von Menschen und Mächten. uns herrscht, da werden wir nicht mehr gut zu fühlen. Doch Glück kann man sich Sie waren glücklich wegen ihrer Unsterb- beherrscht von den Erwartungen und nicht kaufen. Glück ist Ausdruck von ge- lichkeit und Alterslosigkeit. Ausgerechnet Meinungen anderer Menschen und auch lingendem Leben. Und damit das Leben diesen dritten Begriff benutzt Jesus nun nicht von unseren eigenen Bedürfnissen. gelingt, braucht es seelische Arbeit. Und bei den acht Seligpreisungen. Da sind wir wahrhaft frei. Und in die- es bedarf der richtigen Einstellung. Glück sem Raum des Reiches Gottes in uns sind ist eine Frage der inneren Haltung und der Jesus verheißt keine heile Welt, wir ganz wir selber. Da lösen sich all die Deutung all dessen, was mir widerfährt. sondern Wege zum Glück Bilder auf, die andere uns übergestülpt Es gibt durchaus Wege zum Glück. Aber Der Evangelist Matthäus versteht die haben oder die wir uns selbst auferlegt sie zu beschreiten, kann Mühe kosten acht Seligpreisungen Jesu als einen rea- haben, sowohl Bilder unserer Selbstent- und vor allem ein Abschiednehmen von listischen und konkreten Weg zu einem wertung (ich bin nicht richtig) als auch Illusionen, als ob man Glück für immer glücklichen Leben. Jesus verheißt uns Bilder unserer Selbstüberschätzung (ich besitzen könnte. nicht einfach das Glück. Er zeigt uns muss immer perfekt oder cool sein). Wege, auf denen wir immer wieder Wenn die Bilder sich auflösen, dann bin Glücklicher Zufall – glücklich sein dürfen. Aber Glück ist kein ich einfach da, ganz ich selber. Ich muss Weisheit – Glückseligkeit Dauerzustand. Doch wenn wir die Wei- mich nicht beweisen, mich vor andern Wir haben nur ein einziges Wort für Glück. sungen Jesu befolgen, werden wir immer nicht darstellen. Ich bin einfach im Ein- Die griechische Philosophie kannte drei wieder Glück erfahren. Jesus verheißt uns klang mit mir. Da bin ich dann wahrhaft Worte: Der erste Begriff für Glück ist Eu- keine heile Welt. Vielmehr zeigt er uns glücklich. Aber wir werden das Himmel- tyche. Tyche ist der Zufall. Eutyche ist also Wege zum Glück mitten in der Realität reich nicht immer in uns spüren. Doch das, was mir in einer guten Weise zufällt. unseres Lebens, mitten in Situationen allein dass wir darum wissen, relativiert Wir sagen im Deutschen: Ich habe Glück von Armut, von Trauer, von Verfolgung, die Sorgen und Nöte unseres Lebens. gehabt. Mir ist etwas Glückliches passiert, von Unfrieden. Wenn wir uns mitten in der Traurigkeit widerfahren. Dieses Glück fällt einem von vorstellen, dass da in uns ein Raum der außen zu. Es liegt nicht in unserer Hand. In allen Situationen Stille ist, in dem Gott in uns wohnt, der Aber es ist auch nur oberflächlich. unseres Lebens einen Weg die Liebe ist, wandelt sich die Traurigkeit Der zweite Begriff ist Eudaimonia. Eu zum Himmel finden in Hoffnung auf Frieden. heißt gut und daimon ist der Engel der Der Mystiker Gregor von Nyssa sieht Seele, der innere Bereich der Seele, das die Seligpreisungen als einen Stufen- Gott gibt nicht nur die Kraft seelische Potential im Menschen. Glück- weg zur mystischen Erfahrung Gottes. für den Weg, sondern ist auch lich ist also der Mensch, der eine gute Wenn wir versuchen die acht Haltungen das eigentliche Geschenk Beziehung hat zu seiner Seele, zu seinem einzuüben, von denen Jesus in den Se- Die Seligpreisungen beschreiben einen göttlichen Kern. An dieser Beziehung zum ligpreisungen spricht, dann werden wir Weg zum Glück. Aber sie sind zugleich Potential meiner Seele kann ich arbeiten. nicht einfach das psychologische Ziel von Verheißung. Jesus traut uns zu, dass wir 4 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021
»Wo Gott in uns herrscht, da werden wir nicht mehr beherrscht von den Erwartungen und Meinungen anderer Menschen und auch nicht von unseren eigenen Bedürfnissen. Da sind wir wahrhaft frei. Da lösen sich all die Bilder unserer Selbstentwertung und unserer Selbstüberschätzung auf … Dann bin ich einfach da, ganz ich selber, im Einklang mit mir. Dann bin ich wahrhaft glücklich. « Anselm Grün in uns die Fähigkeiten finden, diesen Die Kunst des gesunden ter verstehen die Bergpredigt, die ja mit Weg zu gehen und die acht Haltungen, und gelingenden Lebens den Seligpreisungen beginnt, nicht zuerst die er beschreibt auch zu verwirklichen. Man könnte den achtfachen Pfad Jesu, als Auflistung moralischer Forderungen, Der frühchristliche Theologe und Bibel- den er uns in den Seligpreisungen be- sondern als einen Weg zum gelingen- gelehrte Origenes ist überzeugt, Jesus schreibt, vergleichen mit dem achtfa- den Leben. Es ist ein Weg voller Weisheit. selber gibt uns die Kraft, die Tugenden chen Pfad Buddhas zum gelingenden Doch die Bedingung, diesen Weg gehen zu verwirklichen, die er in den Seligprei- Leben. Im Matthäusevangelium kommen zu können, ist die Erfahrung Gottes. Da- sungen anspricht. Wir müssen diese Kraft ja die Weisen aus dem Osten und fallen her steht in der Mitte der Bergpredigt das nur nutzen und ihr mit unseren eigenen vor dem Kind in der Krippe nieder um Vaterunser. Die Mitte unseres Glaubens Fähigkeiten antworten. Jesus gibt uns zu bekennen, dass in ihm die Weisheit ist die Erfahrung Gottes. Aus dieser Er- aber nicht nur die Kraft, damit wir auf des Ostens und Westens für alle Men- fahrung aber entspringt ein neues Ver- den Berg des Glücks gelangen. Er selbst schen aufscheint. Jesus erfüllt also die halten. Beides – die Erfahrung Gottes und ist auch das eigentliche Geschenk. Er ist Sehnsucht aller Völker und aller Religio- das neue Verhalten, das dieser Erfahrung der Trost, mit dem wir getröstet werden. nen nach wahrer Weisheit, nach einer entspricht – führt uns zum wahren Glück. Er ist das Land, das wir besitzen. Er ist der Weisheit, die uns mitten in der Reali- Wir müssen den Weg zum Glück selber Lohn, den wir bekommen. Er ist das Bild, tät unseres Lebens immer wieder zum gehen. Aber wir dürfen vertrauen, dass Je- in dem wir Gott schauen. Durch die Tu- Glück führt. sus selbst uns auf diesem Weg begleitet Julia Martin/Abtei Münsterschwarzach genden gelangen wir zu Christus, der in Die griechischen Ärzte lehrten um die und uns immer wieder stärkt, damit uns uns ist. Und durch Christus gelangen wir Zeit Jesu die Menschen die Kunst des ge- dieser Weg auch gelingt. zu unserem wahren Selbst, zur kostbaren sunden Lebens. Origenes versteht Jesus P. Anselm Grün OSB, Mönch der Abtei Perle, für die sich lohnt, alles hinzugeben als den Chefarzt, der uns die wahre Kunst Münsterschwarzach ist bekannt (vgl. Matthäus 13,45f). Durch Christus ge- lehrt, wie wir gesund und wie wir glück- als geistlicher Begleiter und Autor langen wir zu unserem reinsten Glück. lich leben können. Die frühen Kirchenvä- zahlreicher spiritueller Bücher. Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021 5
Glücklich ist … Konrad Paul Liessmann »Wir haben das ist Philosoph, Essayist, Literatur kritiker und Glück erfunden…« Kulturpublizist. Der Philosoph Friedrich Nietzsche die Gegenden, wo es hart war zu leben, stellte. Der innere Zusammenhang zwi- lebte im 19. Jahrhundert. Dass und suchen die „Wärme“ der anderen schen Lust und Leid wird ausgeblendet. manche seiner Gedanken Menschen; Krankwerden gilt ihnen als nahezu als prophetisch für sündhaft, ebenso wie die Bekundung Nur keine Konflikte und unsere westliche Konsum- und von Misstrauen. Und dann steht da ein keinen Schmerz Spaßgesellschaft betrachtet geradezu prophetischer Satz: „Man geht Der letzte Mensch scheut deshalb den werden können, beleuchtet achtsam einher.“ Man kann, wenn man Konflikt und den Schmerz, er nimmt „ein Konrad Paul Liessmann. will, darin eine Vorwegnahme des Ge- wenig Gift ab und zu“, um angenehm sundheitskultes und der Achtsamkeits- zu träumen und „viel Gift zuletzt: das In seinem berühmten und berüchtigten trainings unserer Tage sehen, die sug- macht angenehmes Sterben“. Unwillkür- poetisch-philosophischen Hauptwerk gerieren, dass alle Gegensätze mit ein lich denkt man an die Debatten um den Also sprach Zarathustra erwähnt Fried- bisschen Mindfulness in Wohlgefallen assistierten Suizid, bei dem es ja längst rich Nietzsche den „letzten Menschen“ aufgelöst werden könnten. Natürlich: nicht mehr nur um die Beendigung eines – eine schwach und müde gewordene Man arbeitet noch, aber auch die Arbeit unheilbaren, schmerzhaften Leidens geht, Gestalt, die in vielem an die Life-Style-Fi- muss wie alles zu einer „Unterhaltung“ sondern um ein angenehmes Sterben, das guren der Gegenwart und ihre Convenien- werden, die den Menschen nicht weiter den Betroffenen ebenso zugutekommt ce-Kultur erinnert: „,Wir haben das Glück angreift. Gamification und Entertainment wie den Angehörigen und den Sozialver- erfunden‘ – sagen die letzten Menschen als die bestimmenden Prinzipien von Ar- sicherungssystemen. und blinzeln.“ Nietzsche hat hellsichtig beit, Lernen und Leben werden ja forciert, erkannt, dass das Glück eine späte Errun- alles muss „Spaß“ machen. Genügt uns dieses Glück? genschaft ist. Es war die Moderne, die im „,Wir haben das Glück erfunden‘ – sagen Glück das Ziel und den Sinn des Daseins Zusammenhang von Lust und die letzten Menschen und blinzeln.“ – Es sehen wollte. Das größtmögliche Glück für Leid wird ausgeblendet sind die Facetten des modernen Glücks, die größtmögliche Zahl: Diese ethische Das Leben des letzten Menschen wird die hier entfaltet werden, es ist das Glück Maxime des angelsächsischen Utilitaris- dominiert von den Aspekten des Ange- des Konsums und der Bequemlichkeit, mus markiert diese Entwicklung ebenso nehmen, Nützlichen, leicht Zugänglichen das Glück der sanften Betäubungen und wie der berühmte Passus in der amerika- und Mittelmäßigen: „Man hat sein Lüst- harmlosen Vergnügungen. Ob uns dieses nischen Unabhängigkeitserklärung von chen für den Tag und sein Lüstchen für Glück genügt oder ob wir bereit sind, dar- 1776, der das Streben nach Glück neben die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit.“ über hinauszugehen, ist eine Frage, deren dem Leben und der Freiheit zu den unver- Nicht nur in Zeiten einer grassierenden Beantwortung niemandem von uns ab- äußerlichen Rechten des Menschen zählte. Pandemie erscheinen diese Sätze in ihrer genommen wird. Nietzsche inspirierte dies zu dem bitterbö- Bissigkeit hellsichtig. Die Lüste selbst un- sen Aphorismus: „Der Mensch strebt nicht terliegen dem Regime der Gesundheit, das nach Glück; nur der Engländer tut das.“ trifft das Rauchen ebenso wie den Sex, das Das neueste Buch Essen ebenso wie das Trinken, und es trifft von Konrad Paul Liessmann: Zsolnay Verlag / Heribert Corn Gesundheitskult und auch die rar gewordenen geistigen Genüs- Liessmann: Alle Achtsamkeitstraining se: nur keine allzu radikalen Gedanken, Lust will Ewigkeit. Tatsächlich gemahnt Nietzsches hämi- nur keine inkorrekten Formulierungen, Mitternächtliche sche Skizze des letzten Menschen an nur keine Sprache, die irgendein Gleich- Versuchungen, zahlreiche Moden und Trends, die das stellungsprinzip verletzen könnte, nur Zsolnay Verlag, moderne Leben und seine Ideologie aus- kein Stil, der die Schönheit einer Formulie- Wien 2021, machen. Die letzten Menschen verlassen rung über die Geschlechtergerechtigkeit 320 Seiten 6 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021
Glücklich oder selig? Die Bergpredigt mit den Seligpreisungen Jesu zählt Ort, wo sich Himmel und Erde berühren: der zu den zentralsten und Berg der Seligpreisungen. Am Nordufer des provokantesten Texten des Neuen Sees Genesareth wurde auf einer Anhöhe Testaments. Die Seligkeit, von ein schlichtes Gotteshaus gebaut, das an der Jesus spricht, meint weder die Bergpredigt Jesu erinnern und zum vordergründig banales Glück Nachdenken und zum Gebet einladen soll. noch eine Vertröstung auf das Jenseits. Von Martin Stowasser „Verkauft’s mei G’wand, i’ bin im Himm’l“, besingt ein Wienerlied das irdische Glück der Weinseligkeit. Und was viel Anderes soll denn gemeint sein, wenn Lk 6,20f. hungernden Bettlern ein „makarioi“, ein „glücklich“, zugerufen wird, weil ihr Schicksal sich wendet? Jesus selbst galt als Nun richtet aber Gott selbst (im Wir- in die Bergpredigt nebeneinander, die „Fresser und Säufer“ (Lk 7,34) – Gleich und ken Jesu) seine endzeitlich verheißene konkretes Handeln als Realisierung des Gleich gesellt sich gern. Aber ist „glücklich“ Herrschaft auf, was „makarioi“ zu einem Evangeliums einfordert. Damit verlagert nicht zu banal? Die gängigen deutschen „religiösen“ Begriff macht und auf die Be- er einerseits deutlich die Stoßrichtung der Übersetzungen geben das altgriechische ziehung zu Gott (bis über den Tod hinaus) jesuanischen „Seligpreisungen“, anderer- „makarioi“ mit „selig“ wider. Damit ver- weitet. Menschen, an denen Gott handelt, seits fängt er den von Jesus intendierten schiebt sich die Perspektive nicht nur in sind „selig“, auch wenn zugleich sehr ir- Realitätsbezug der anbrechenden Got- den Bereich religiöser Sondersprache, son- dische Verhältnisse auf den Kopf gestellt tesherrschaft auf seine Weise ein. Jesus dern auch ins Jenseits: Die „Seligen“ sind werden. „Glücklich“ ist also keineswegs verstand den Gang an die Ränder der alltagssprachlich die „Verstorbenen“ – aber banal, sondern bewahrt die irdisch kon- Gesellschaft als Konkretisierung seiner auf Vertröstung ins Jenseits zielt der bibli- krete Dimension der Gottesherrschafts- Verkündigung, dass Gott handelt, für sche Text nicht ab. Man kann es bei einer predigt Jesu. Banal ist solch eine Verände- Matthäus realisiert sich Gottesherrschaft Übersetzung von „makarioi“ ins Deutsche rung nur für diejenigen, für die sich nichts nachösterlich als Nachfolge Jesu in kon- im Grunde nur falsch machen, da beide zu ändern braucht. Das ist auch bereits kretem Tun. Der Zuspruch des „makarioi“ Aspekte – der (vordergründig) banale wie Jesus klar, weshalb er gezielt provokativ setzt für ihn das Christusereignis voraus, der religiöse – mitschwingen. formuliert: „Selig die Armen“. Jesu „Se- sodass das Zuerst dieses geschenkhaf- ligpreisungen“ formulieren eine Zusage, ten Handelns Gottes das Gebot ermög- Jesu „Seligpreisungen“ – deren Verbindlichkeit von Seiten Gottes er licht und umfängt. Als Geliebter soll der ein Garantieschein Gottes mit seinem Gehen an die Ränder der Ge- Christ lieben. Die „Seligpreisungen“ werden durch sellschaft demonstriert und real werden Jesus preist Arme selig, aber weiß, Lk 6,20-23 und Mt 5,3-12 überliefert. Ihr lässt. Sie sind ein Garantieschein Gottes. dass sie dazu auch glücklich sein müssen. Stowasser: Universität Wien | Kirche am Berg der Seligpreisungen: Helmut Staudinger deutlich unterschiedlicher Wortlaut zeigt, Matthäus hat trotz aller Spiritualisierung dass sie nachösterlich bearbeitet wie er- „Seligpreisungen“ – der „Seligpreisungen“ Jesu seine Gemein- gänzt wurden, ihr Kern geht jedoch auf Zuspruch oder Anspruch? de dafür in die Pflicht genommen. Jesus selbst zurück. Den Bettelarmen, die „Seligpreisungen“ besitzen im Alten Testa- deshalb hungern und weinen, spricht er ment eine lange Tradition. Sie sind zwar bedingungslos Gottes Zuwendung zu. grundsätzlich Zuspruch, zumeist besitzen Vielfach mahnen Tora wie Israels Prophe- sie jedoch einen mahnenden Unterton: ten die Sorge um Arme und Rechtlose ein. „Selig der Mann, der nicht nach dem Rat Für Jesus ist Endzeit. Gott selbst setzt nun der Frevler geht“ (Ps 1,1). Diesen fordern- Martin Stowasser sein Recht durch und wird daher das Elend den Akzent unterstreicht Matthäus in ist Professor für dieser Menschen ins glückliche Gegen- seinen acht Seligpreisungen, wenn Barm- Neues Testament teil verkehren. Mit den „Seligpreisungen“ herzige wie Friedensstifter nun ebenfalls und Vizedekan bringt Jesus seine Predigt vom Anbruch adressiert werden. So setzt er Gnaden- der Kath.-Theol. der Herrschaft Gottes auf eine Kurzformel. zuspruch und Forderung als Eingangstor Fakultät Wien. Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021 7
Glücklich ist … tinnen umso mehr als Konsumverzicht aus sozialen wie ökologischen Gründen heute eine globale Forderung ist. Es gilt, so Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si, die Klage einer Schöpfung, die durch Über- konsum zerstört wird, ebenso wie jene der Armen zu hören. Die im selben Jahr 2015 verabschiedeten Sustainable Development Goals (SDG’s) der Vereinten Nationen nen- nen als oberstes Ziel der Weltgemeinschaft die Überwindung extremer Armut bis 2030. Man mag skeptisch sein, doch tragen sol- »Selig, ihr Armen …« che Ziele wesentlich zur globalen Bewusst- seinsbildung in der Armutsbekämpfung bei, auch wenn es schwerwiegende Rückschläge durch die Coronapandemie gibt. Das Elend Alle Seligpreisungen sind paradox und eine Herausforderung für von 10 % der Weltbevölkerung (etwa 800 den gesunden Menschenverstand. Für kaum eine gilt das mehr als Millionen Menschen!) ist angesichts des für jene, die die Armen glücklich preist: „Selig, ihr Armen, denn Weltreichtums eine himmelschreiende Sün- euch gehört das Reich Gottes.“ (Lk 6,20b) Von Ingeborg Gabriel de und ein Skandal. Ein Zehent der Reiche- ren würde locker ausreichen, um ihn zu be- Bei Lukas muss „selig, ihr Armen“ zusam- Tag drei Predigten zum Thema. Alle mein- seitigen. Entwicklungshilfe für die ärmsten men gelesen werden mit dem folgenden ten ausweichend, dass es nicht um Kritik Länder ist eine zentrale Forderung der Ge- Wehe gegen die Reichen (Lk 6,24 und am Reichtum, sondern darum gehe, nicht rechtigkeit, ebenso wie die Unterstützung Matthäus fügt ein „im Geiste“ hin. Doch an Gütern zu hängen. Mit einer derartigen jener Armen, die bei uns unter Obdachlosig- dies macht die Aussage nicht weniger an- spiritualistischen Deutung macht man es keit, prekären Arbeitsbedingungen, moder- stößig. Marx sah bekanntlich darin eine sich jedoch eindeutig zu einfach. nen Formen der Sklaverei und Ähnlichem christliche Vertröstung auf das Jenseits. leiden. Die Kirche als karitative Großmacht Aber wie verhält sich der zentrale Text Einfachheit als Tor zur Freiheit ist hier ebenso gefordert wie jeder einzelne wirklich zum Gebot, die Armut zu über- in der Nachfolge Jesu und die staatlichen Institutionen. winden, das die ganze Bibel wie ein roter Das Ethos des Christentums ist – anders als Faden durchzieht? Im Alten Testament jenes der Antike – sozialkritisch und univer- Seligpreisung der Armen ist gilt Reichtum als Segen Gottes. Ein hohes sal. Die praktische Umsetzung war immer keine Seligpreisung der Armut Gerechtigkeits- und Liebesethos verlangt herausfordernd. Menschen hängen am Die Seligpreisung der Armen ist offen- jedoch, die Güter mit den Armen zu teilen. Reichtum. Eine Begrenzung des Konsums bar keine Seligpreisung der Armut. Sie ist Das Neue Testament ist reichtumsskep- und der eigenen Bedürfnisse war und ist eine eschatologische Heilszusage und ein tischer. Der Mammon erscheint hier als nie und nirgends einfach. Die mittelalter- dringlicher Aufruf an jene, die helfen kön- eine Art widergöttlicher Macht (Mt 6,24) lichen Bettelorden oder in jüngster Zeit die nen. In dieser Spannung ist sie zu meditie- und das ewige Heil der Reichen prekär Gemeinschaften von Charles de Foucauld ren. Sie stellt sie vor die ernste Frage nach (Mk 10,25). Die kritische Haltung gegen- suchen die Seligpreisung des Evangeliums Genügsamkeit, Maßhaltung und Verzicht über dem Zehent der Pharisäer zielt so auf mit Leben zu erfüllen in Solidarität mit den im Umgang mit materiellen Gütern und ein Mehr an Großzügigkeit nicht ein We- Armen und im Vertrauen auf eine göttliche ist ein Aufruf zur Solidarität. Sie kann auch niger (Mt 5,17)! Ich hörte einmal an einem Vorsehung, die uns alles zum Leben Not- zur Entdeckung einer Freiheit werden, die Gabriel: Joseph Krpelan | Berg der Seligpreisungen: Helmut Staudinger wendige gibt (Mt 6,28). Ein äußerst genüg- Gott näherbringt und die das Evangelium samer Lebensstil, der achtsame Umgang als höchstes Glück preist. Es gilt damit zu mit den Dingen und das Bemühen um experimentieren. Schönheit und Dankbarkeit sollen zeigen, Literatur zur Vertiefung: Die brilliante Ingeborg Gabriel dass Glück nicht von materiellen Gütern Studie von Peter Brown, Einen Schatz ist emeritierte abhängt. Es geht darum, dem Elend eine im Himmel. Der Aufstieg des Christen- Professorin für Einfachheit entgegenzustellen, die ein Tor tums und der Untergang des römischen Sozialethik an zur geistigen Freiheit in der Nachfolge Jesu Weltreichs (2018) und die gut lesbare der Kath.-Theol. öffnet. Gerade in Wohlstandsgesellschaften Studie der Nobelpreisträgerin Esther Fakultät der sehnen sich Menschen heute nach einem Duflo, Poor Economics (2019), die neue Universität Wien. derartigen Zeugnis aller Christen und Chris- Wege zur Armutsbekämpfung zeigt. 8 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021
»Selig, die Trauernden,… … denn sie werden getröstet werden.« (Mt 5,4) Über Trauer und Tod – mitten im Leben. Gedanken zur zweiten Seligpreisung von Monika Loiskandl, die seit vielen Jahren auch als Begräbnisleiterin tätig ist. Es gibt kein Leben, in dem es nicht auch zentrum zu besuchen. Der direkte Kontakt unterschiedlich, wenn sie um einen ge- Trauer gibt. Spannend ist es, wie wir in mit Leid sensibilisiert doch mehr als das, liebten Menschen trauern. Für viele ist ihr unserer Gesellschaft mit Trauer umge- was wir aus den Medien erfahren. Glaube Stütze und Halt. hen. Trauer ist zumeist unerwünscht, so- Aber es gibt auch diejenigen, die in zusagen ein Spaßverderber. Wir sind ge- Trauer wird sehr persönlich dieser prekären Situation mit ihrem Glau- wohnt, gegen jedes Ungemach ein Mittel empfunden und gelebt ben hadern. Dies ist dann besonders der zu haben. Ein schmerzloses Dasein steht Eine besonders intensive Trauer ist si- Fall, wenn es sich um einen aus mensch- im Mittelpunkt unserer Gesellschaft. cher die, welche mit dem Verlust eines licher Sicht unbegreiflichen Tod handelt. Dazu zählen wohl auch die seelischen geliebten Menschen einhergeht und Manchen Menschen sind in ihrer Trauer Schmerzen, zu denen die Trauer, zumin- der Tod ins Spiel kommt. Bei die religiösen Begräbnisritua- dest vorerst einmal zählt. Unterdrückt den zahlreichen Be- le hilfreich. Ich bin aber kann sie wohl auch körperliche Schmer- gräbnissen, die ich überzeugt davon, zen nach sich ziehen. Das berühmte Lied halten darf, er- dass wir jenen, von Franz Lehar aus der Operette „Land wähne ich auch die damit we- des Lächelns“; „Immer nur lächeln und im- öfters, dass nig anfangen mer vergnügt, (…) lächeln trotz Weh und Trauer etwas können, nicht tausend Schmerzen“, würde ich jedenfalls sehr Persön- zu viel davon nicht empfehlen. liches ist. Sie aufzwingen Jesus verweist mit dem Passus aus wird sehr sollen. Ihnen den Seligpreisungen auf unser künftiges persönlich ist es oft sehr Leben, ein Leben ohne die Mühen, Sorgen empfunden wichtig, den und Leid. Wie kann uns diese wichtige Zu- und sehr per- verlorenen sage bereits in diesem Leben weiterhel- sönlich gelebt. Füreinander da sein, wenn Tod Menschen mit fen? Ich sehe darin auch einen Auftrag, Es gibt keine gülti- und Trauer uns mitten im seiner Lebensge- Trauer bereits in unserem Erdenleben gen Muster. Deshalb Leben umfangen schichte nochmals in wahrzunehmen und Trauernde nach Mög- ist der Dienst des Begräb- den Mittelpunkt zu rücken lichkeit zu trösten. nisleiters, der Begräbnisleiterin und bzw. oder auch seine Lieb- ein sehr sensibler Dienst. In erster Linie lingsmusikstücke zu spielen. Wichtig ist Trauer zulassen und Leid verlangt er das, was Jesus bereits in sei- für mich jener Satz aus dem 1. Petrusbrief sichtbar machen ner Menschwerdung gelehrt hat: sich geworden: „Seid stets bereit, jedem Rede Vorerst scheint es mir einmal wichtig den Menschen zuwenden, sich in andere und Antwort zu stehen, der von euch Re- Trauer zuzulassen und durchaus auch einfühlen und, was in der heutigen Ge- chenschaft fordert über die Hoffnung, die sichtbar zu machen. Wichtig ist es auch sellschaft eine besondere Herausforde- euch erfüllt!“ (1 Petr 3,15) Wenn man die- nachzufragen, wenn wir Menschen be- rung ist, sich Zeit zu nehmen. Ich habe se Hoffnung ausstrahlt, dann wird echte gegnen, die in irgendeiner Form mit Trauer erfahren, dass es für trauernde Menschen Trauerbegleitung greifbar. konfrontiert sind. Es gibt viele Gelegen- sehr wichtig ist, wenn sie reden können heiten, bei denen Trauer in unserem Leben und ihnen jemand zuhört. Reden über den eine Rolle spielt. Trauer darüber, versagt Menschen, den sie verloren haben, eben- zu haben, Trauer einer Trennung, Trauer so, wie über ihre persönlichen Gefühle. darüber, keine Anerkennung zu erfahren, Dafür braucht es oft sehr viel Intuition, Loiskandl: Gerhard Fally | Rose: Franz Kerschbaum und so weiter. In der Konfrontation mit denn öfters vergraben sich Trauernde und Leid und Tod, sollte der Mensch nicht ab- man muss ihnen erst dazu verhelfen, die Monika Loiskandl stumpfen, was leider oft passiert. Die Me- Trauer in Worte zu fassen. Dabei darf man war bis zu ihrer dien überhäufen uns täglich damit, aber mit Sicherheit auf Gottes Hilfe zählen, Pensionierung es ist doch eine gewisse Distanz, mit der damit das Schriftwort „selig, die Trauern- Pastoralassistentin wir diese Berichte sehen. So war es mir den, denn sie werden getröstet werden“ im zehnten auch immer wichtig, mit Firmkandida- bereits jetzt ein wenig Erfüllung erfährt. Wiener tinnen und Firmkandidaten ein Geriatrie- Auch gläubige Menschen reagieren sehr Gemeindezirk. Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021 9
Glücklich ist … Selig die Sanftmütigen… „Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben“, lautet die dritte Seligpreisung beim Evangelisten Matthäus (Mt 5,5). Sanftmut – ein Begriff wie aus einer anderen Welt, eine Eigenschaft, mit der man in einer Ellbogengesellschaft eigentlich nur das Nachsehen haben kann. Doch das Gegenteil ist der Fall. Persönliche Gedanken und Erfahrungen von P. Gregor Oberguggenberger Sanftmut kann die Welt heilen. Menschen, ter konnte ich viele Menschen, gütig an- die es schwer haben, öffnen Herz und Au- nehmen – mit großem Vertrauen, dass gen, wenn sie einem/einer Sanftmütigen der barmherzige und sanftmütige Jesus begegnen. Sie werden getröstet, blicken da ist, heilt und wirkt – und so schöpfen auf und bekommen Vertrauen. Sie brau- sie Freude und Aufmunterung für ihren chen keine Angst zu haben, weil Jesu Liebe weiteren Lebensweg. Bei den Kranken und so groß ist und ich nehme sie auch an, so in schwierigen traurigen Situationen habe wie sie sind und habe sie lieb. Das ist wie ich mich öfters gefragt: Jesus wie würdest ein wärmendes Aufleuchten aus dem Her- du jetzt handeln? Ich habe mich bemüht zen Gottes: „Lernt von mir, denn ich bin in seinem Geiste zu handeln. Sanftmütig! gütig und von Herzen demütig.“ (Mt 11,29) Mit Feingefühl und Geduld den ande- In der Sanftmut wachsen viele »… andechtig ren annehmen in seinem Anderssein, mit kleine Pflänzchen, die blühen seinem Benehmen und seinen Fehlern. Ich und gute Früchte bringen denke oft, vielleicht muss mich der an- Ich hoffe, dass ich vielen den Weg zum dere/die andere mit meinen Fehlern, in meiner Art auch annehmen. „So nehmet euch eins um das andere an, wie auch der Heil gewiesen habe. In der Sanftmut wachsen viele kleine Pflänzchen, die blü- hen und gute Früchte bringen. Wenn ich Kaiser Friedri Herr an uns getan“, heißt es in einem alten zu sanftmütig, zu nachgiebig, zu geduldig Kirchenlied. war, habe ich es nie bereut, denn die Gna- Ein langer Atem und ein de Gottes wirkt durch uns und der Geist überraschender Ratschlag. „Gott hat dich unendlich Gottes führt! „Jesus ist sanftmütig und Reinhard H. Gruber lieb, so wie du bist. demütig von Herzen.“ Sanftmut ist auch über einen als friedsam Nimm auch diese Liebe an!“ eine Frucht des Heiligen Geistes (Gal 5,23), bezeichneten Regenten, Sanftmut in der Seelsorge, in der Kirche, die wir alle brauchen. Papst Franziskus der im Dom zu St. Stephan in der Regierung, bei den Kranken, Armen, schreibt in Gaudete et Exsultate 74: „Mit seine letzte Ruhe fand. Hilflosen ist wunderwirkend. In meinen vie- demütiger Sanftmut reagieren, das ist len Jahren als Seelsorger mit Kindern, im Heiligkeit“. Und aus unbekannter Quelle Kaiser Friedrich III., 1415 in Innsbruck ge- Jahrzehnte langen Religionsunterricht habe heißt es „Gott ist so stark, dass er die gan- boren, 1493 in Linz gestorben und im ich mit Güte, Milde, Liebe und Freude für ze Welt in den Händen hält und so sanft, bedeutenden Kaisergrab im Südchor ihr ganzes Leben Licht, Heimat und Gott- dass er unsere Tränen abwischt.“ des Stephansdoms bestattet, ist der am Vertrauen gegeben. Mir wurde nachgesagt: Möge der Geist Gottes uns mit die- längsten regierende Herrscher (ab 1440) „Du bist viel zu gut.“ Gott ist nie viel zu gut sem wunderbaren Geschenk der Sanft- des Heiligen Römischen Reiches – 53 Jahre mit uns. Er ist „die Liebe“. Wenn ich dem mut erfüllen! lang. Seine Regentschaft galt in der His- Kind, auch dem Erwachsenen fürs Leben toriographie lange Zeit als höchstens mit- mitgebe: „Gott hat dich unendlich lieb, so P. Gregor M. telmäßig, Friedrich sei zaudernd, unfähig, wie du bist. Nimm auch diese Liebe an!“, so Oberguggenberger zu friedliebend gewesen, noch dazu ein wird die Liebe Gottes aufblühen. Ich meine, OSM ist Stubenhocker, der Alchemie und Astrolo- die geduldige, sanftmütige Begegnung hält Mitglied des gie zugeneigt, naiv fromm und kriegsfaul. bei vielen Menschen das ganze Leben an. Servitenordens Diese Charakterisierung des Kaisers gip- Eine Schülerin schreibt mir: „In deiner und Kirchenrektor felte in der Bezeichnung von Friedrich als Sanftmut habe ich deine Stärke gespürt auf dem „des Hauses Österreich Erzschlafmütze“. in einer Gelassenheit und Güte. Du hast Mariahilfberg Erst in den letzten vierzig Jahren erfolg- privat die Sanftmut gelebt.“ Auch als Beichtva- in Gutenstein. te eine intensivere Auseinandersetzung 10 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021
Der Deckel des Grabmonuments zeigt Friedrich III. in seinem Krönungsornat. allerdings steht uns ein endgültiges Urteil nicht zu. Kaiser Friedrich steht gleichsam an der Zeitenwende zur Neuzeit, der Humanismus erwacht, die Reformation bahnt sich an. Der Kaiser hatte Geduld, er saß Konflikte aus, hatte einen langen Atem, überlebte seine Feinde und blieb somit Sieger über sie. Krieg war für ihn die letzte Notwendigkeit, um sein Reich zu schützen, die Würde seines Namens und damit seiner Familie zu bewahren. Friedrich war ein „sesshafter“ Kaiser, der und fridsam« – sein Reich von Wien und Wiener-Neu- stadt, also der Peripherie her regierte und wenige Reisen unternahm. Trotz- ch III. dem: Alle Versuche, ihm seine Macht zu entreißen scheiterten, seine Regentschaft hatte Bestand. Friedrich III. hat in sein Notizbuch un- und Neubewertung seiner Regierung im schaftsanspruchs vor dem Volk und dies ter anderem auch den Satz geschrieben: Zusammenhang mit der systematischen erklärt auch die vielen Pfeilerfiguren im „Rerum irrecuperabilium summa felici- Erfassung und Erforschung der ungeheu- Langhaus der Domkirche. Ganz offensicht- tas est oblivio“. Frei übersetzt bedeuten ren Anzahl von Urkunden aus seinen Re- lich und augenscheinlich führte dies die diese Worte: „Glücklich ist, wer vergisst, gierungsjahren. Krönung und Salbung des Kaisers durch was doch nicht zu ändern ist.“ Mit diesem Papst Nikolaus V. am 16. März 1452 in Rom Spruch gibt uns der alte Kaiser aus längst Der Fromme und Gottesfürchtige den Menschen vor Augen. Fortan betete vergangenen Zeiten einen weisen Rat für Kaiser Friedrich III. galt unter seinen Zeit- Friedrich täglich das Kaiseroffizium, zwar unser Leben. Den Frieden zu bewahren genossen als frommer, gottesfürchtiger nicht zum Priester geweiht gehörte er und zu leben bedeutet vor allem, einen Mann und wird in den verschiedenen durch die feierliche Krönung auch nicht langen Atem, Geduld und Zeit zu haben, Nachrufen auch als solcher gewürdigt. Als mehr dem Laienstand an. sich selber nicht zu wichtig zu nehmen, regierender Fürst war er der Abkömmling aus der Geschichte zu lernen und an ein einer Herrscherdynastie und damit schon Der Friedfertige und Andächtige gutes Ende zu glauben. durch seine Geburt zur Regentschaft beru- In den Nachrufen wird Kaiser Friedrich als fen. Dies haben er und seine Zeitgenossen friedfertiger und andächtiger Fürst be- als Vorherbestimmung und Gnade Gottes schrieben. Der Frieden liege ja schon in Gruber: Lukas Cioni | Friedrich III.: Renate Kohn/ÖAW empfunden. Um dieses Gottesgnadentum seinem Namen, analog zum biblischen dem Willen Gottes entsprechend in sei- König Salomon, in dessen Namen das ner Herrschaft erfolgreich umzusetzen, Wort Schalom (Friede) steckt. Jakob Men- Reinhard H. bedurfte es der Fürbitte aller Heiligen. nel betont in seiner Chronik den religiösen Gruber ist Bestimmte Heilige wurden speziell aus- Eifer mit dem der Kaiser seine Andachts- Domarchivar von gewählt, besonders die „Geblütsheiligen“, übungen verrichtete. Und trotzdem führ- St. Stephan und also Heilige der eigenen Familie bzw. der te auch Kaiser Friedrich Krieg und unter- Autor mehrerer ganzen Dynastie. Man betrachtete sie schrieb Todesurteile. Aus heutiger Sicht Bücher über den schlichtweg als Legitimation des Herr- schütteln wir über so manches den Kopf, Stephansdom. Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021 11
Glücklich ist … Es ist gut, Mensch zu sein. Hunger und Ungerechtigkeit – in der vierten Seligpreisung spricht Jesus Menschen in Not an. Not zu wenden, Hungrige zu sättigen, kann glücklich machen, weiß Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas Wien. Wir müssen nicht auf die Veränderung zum Positiven warten, wir können sie selbst sein. Eine dramatische Hungersnot im Südsu- fe, die die Mitarbeiter und Mitarbeiterin- Klaus Schwertner, dan als Folge von Klimakrise, Krieg und nen sowie Freiwilligen leisten und die die Gut, Mensch jetzt Corona, durch die acht Millionen Spender ermöglichen, wirkt. Weil wir se- zu sein, Menschen nicht ausreichend zu essen hen, wie viel diese Hilfe verändert: Wenn Molden Verlag, haben, über eine Million davon Kinder. die Hungersnot durch Saatgut, Gießkan- 2021, 192 Seiten Ein Tornado im Nachbarland Tschechien, nen und Werkzeuge für junge Bäuerinnen der über tausend Häuser beschädigte, und ihre Familien im Südsudan durch Dächer abdeckte, Bäume entwurzelte, Spenden gelindert werden kann. Weil Autos durch die Luft wirbelte. Unwetter diese Hilfe satt macht. Wenn Menschen und damit verbundene Hochwasser in von nah und fern nach den Unwetterschä- Deutschland und Österreich, die Schäden den mitanpacken, um ganze Dörfer und in Millionenhöhe und Menschen ohne Zu- Städte wiederaufzubauen. Wenn unsere können sie selbst sein. Dazu braucht es hause hinterlassen. Sozialberatungsstellen, Dank der großen Mut, Mut hin- und nicht wegzuschauen. Spendenbereitschaft, unmittelbar vor Ort Die eigene Komfortzone zu verlassen und Wenn Hilfe satt macht und Soforthilfe leisten können. auf andere zuzugehen, die in Not geraten Hoffnung erfahrbar wird sind oder nie eine echte Chance hatten. Es sind Bilder und Geschichten, die einen Not verbindet Aktiv zu werden, anstatt zu resignieren. betroffen bis sprachlos machen. Die Not Der Evangelist Lukas richtet sich mit Mut ist ein großes Wort, doch er wird ist bei vielen unserer täglichen Tätigkei- seinen Worten „Selig, die ihr jetzt hun- gerade auch in den kleinen Dingen und ten spürbar. Aber genau da sind neben der gert, denn ihr werdet gesättigt werden. Taten deutlich. Der Theologe Johannes Not eben auch sehr viel Mut, Hoffnung (Lk 6,21)“ an Menschen, die akut von Hun- Huber schreibt: „Gutsein lässt sich üben und Zuversicht erfahrbar. Hoffnung, weil ger und Not bedroht sind. Matthäus wen- und trainieren wie einen Muskel. Moral ist wir darauf vertrauen dürfen, dass jene Hil- det sich an uns alle: „Selig, die hungern ein Muskel, der ermüden, aber auch ge- und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn stärkt werden kann. Und gute Taten sind sie werden gesättigt werden.“ (Mt 5,6) In Taten, bei denen wir der Stimme unseres unserer täglichen Arbeit bei der Caritas Gewissens folgen. Wenn wir diese Stim- gehen beide Aussagen Hand in Hand: me trainieren, einfach indem wir auf sie Denn Hunger und Not können nur durch hören, wird sie lauter.“ ein gemeinschaftliches Zusammenwir- ken überwunden werden - durch unsere Wenn viele mit kleinen Taten Spenderinnen und Spender, all unsere kleine Dinge verändern Freiwilligen und durch ein klares Bekennt- Das gibt Hoffnung, denn das Match Gut nis seitens der politisch Verantwortlichen gegen Böse findet zuallererst nicht irgend- und der öffentlichen Hand, dass Armut bei wo dort draußen, auf den großen Bühnen uns keinen Platz haben soll. Not verbin- statt, sondern immer auch in uns selbst. det. Gerade in Krisensituationen gelingt Wir tragen stets beides in uns – die Liebe es uns Menschen, ungeahnte Kräfte zu und den Hass. Die Angst und den Mut. mobilisieren, ein hohes Tempo zu gehen, Den Zweifel und die Hoffnung. Das Licht mit voller Energie zu versuchen, möglichst und den Schatten. Und das ist eine gute viele Dinge gemeinsam zum Positiven zu Nachricht! Wir können und sollen uns Canisibus Praterstern: Stefanie J. Steindl verändern. Es ist dazu nicht nötig, zur Hel- entscheiden, auf welcher Seite wir ste- din oder zum Helden zu werden. Es kann hen wollen. Ich bin überzeugt: Wir können genügen, uns immer und immer wieder uns darauf verlassen, dass wir viele sind. Es gibt viele Wege, Hungrige zu sättigen. in Erinnerung zu rufen, dass es gut ist, Viele, die mit ihren vielen kleinen Taten Helfen Sie mit, tun Sie sich und anderen Mensch zu sein. Wir müssen nicht auf die die kleinen Dinge verändern und damit etwas Gutes! www.wirhelfen.shop Veränderung zum Positiven warten, wir gemeinsam Großes bewirken. 12 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021
Für die Erde zum Segen werden Erfahrung von Gerechtigkeit Es gilt, Gerechtigkeit und Barmherzig- und die Beseitigung von Unrecht keit miteinander in ein richtiges Verhält- gehören zweifelsohne zu einem nis zu setzen. Beides ist für ein friedliches guten Leben. In der fünften Miteinander von Menschen notwendig. Seligpreisung spricht Jesus jedoch Ohne Gerechtigkeit ist keine Gesellschaft eine weitere Haltung an, die über lebensfähig. Aber gedeihliches Zusam- Joachim Wanke die Gerechtigkeit hinaus geht menleben von Menschen auf Dauer ist emeritierter und das zwischenmenschliche braucht mehr als Gerechtigkeit. Bischof der Miteinander erst erfüllt und Ich knüpfe an dieser Beobachtung deutschen segensreich macht: „Selig die an: Gesetzgebung, die Gerechtigkeit im Diözese Erfurt. Barmherzigen; denn sie werden gesellschaftlichen Leben durch Normen Erbarmen finden.“ (Mt 5,7) und Vorschriften abzusichern sucht, kennt um ihre Grenzen weiß, aber eben dem Von Bischof em. Joachim Wanke so etwas wie eine Präambel. Diese geht Ganzen des Sozialen, also auch in sei- normativ den Einzelparagraphen voraus. ner politisch-gesellschaftlichen Gestalt Barmherzigkeit hat heute kaum Kon- Sie definiert den „Geist“, aus dem heraus seine Abrundung, wenn man will: seine junktur. Das Schlüsselwort unseres ge- und in dem das ganze Gesetzeswerk aus- „Menschlichkeit“ gibt. sellschaftlichen Grundgefühls lautet: zulegen bzw. anzuwenden ist, also etwa Gerechtigkeit. „Ich muss meine Rechte unter Beachtung der „Unantastbarkeit der Wer den Himmel ernst nimmt, einfordern!“ „Das steht mir gesetzlich Menschenwürde“ oder (bei der Straßen- wird für die Erde zum Segen zu!“ Nichts gegen Gesetze. Es ist schon verkehrsordnung) mit dem grundsätz- Dazu kommt für uns als Christen noch gut, wenn die Grundrechte der Menschen, lichen Verweis auf „Vorsicht und gegen- eine zusätzliche, kostbare Erfahrung hin- der Behinderten z. B. oder der Kinder ge- seitige Rücksichtnahme“. zu: Barmherzigkeit als zweckfreie Zuwen- sichert werden. Es ist gut, wenn man sich dung zum Nächsten macht Gottes Liebe vor Gerichten gegen Willkür und Benach- Weil Gott barmherzig ist, sollen erfahrbar, gegenwärtig, anschaulich. Sie teiligungen wehren kann. (und dürfen) es auch wir sein verändert auch den, der sich auf Barmher- Jesus hat dem jüdischen Gesetz gleich- zigkeit einlässt. Sie macht ihn „mensch- Gerechtigkeit kann man sam als „Präambel“ das Liebesgebot vor- lich“. Das ist für mich so etwas wie eine einfordern. Barmherzigkeit nicht. geordnet. Weil Gott barmherzig ist, sollen Quintessenz dessen, was beispielsweise Das Problem ist nur: Gerechtigkeit kann (und dürfen) es auch wir sein, so lesen wir in der Biographie der hl. Elisabeth von man einfordern. Barmherzigkeit nicht. in der Bergpredigt. Jesu Intention ist zu Thüringen aufleuchtet. Wer den Himmel „Sie fällt“ – frei nach Shakespeare (in: Der zeigen, dass jede Menschenfeindlichkeit, ernst nimmt, wird für die Erde zum Segen. Kaufmann von Venedig, 4. Aufzug) – „vom jede Unbarmherzigkeit, auch wenn sie Und Segensträger werden auch morgen Himmel, wie die Erquickung des Regens nicht eigens genannt wird, der Intention willkommen sein. …“ Genau das ist das Problem: Gerechtes seines Vaters im Himmel widerspricht. Handeln ist eine Pflicht, Barmherzigkeit Denn Gottes Wille ist das Heil des Men- hingegen scheinbar nicht. Oder doch? schen, der zwar mit Freiheit ausgestat- Für die Gerechtigkeit sind Rechtsanwäl- tet, aber in seiner Schwachheit vor deren Sieben Werke der te, Richter und Verteidiger, Sozialämter Missbrauch nicht gefeit ist. Barmherzigkeit für heute Wanke: Peter Weidemann/Bistum Erfurt in: Pfarrbriefservice.de zuständig. Wer ist für die Barmherzigkeit Ich gebrauche noch ein anderes Bild: zuständig? Die Gerechtigkeit ist so etwas wie das Einem Menschen sagen: Zeigen wir nicht sofort mit dem Finger „Skelett“ des gesellschaftlichen Körpers. Du gehörst dazu. auf andere. Fragen wir uns selbst: Kann Aber ein Skelett als solches ist auf Dau- Ich höre dir zu. ich barmherzig sein? Am leichtesten ge- er nicht gut anzuschauen. Es sollte von Ich rede gut über dich. lingt dies, wenn man das selbst schon ein- einem wohl gestalteten Körper umgeben Ich gehe ein Stück mit dir. mal erfahren hat: angenommen zu wer- sein, sonst bekommt man das Fürchten! Ich teile mit dir. den, unerwartet Hilfe zu erfahren, Schuld Und dieser lebendige, bewegliche und vor Ich besuche dich. vergeben zu bekommen, einen Neuanfang allem auch gut anzuschauende „Körper“ Ich bete für dich. machen zu dürfen. ist eine kluge Alltagsbarmherzigkeit, die Bischof em. Joachim Wanke Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Herbst 2021 13
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