Eine Schule für alle - Die Umsetzung des Sonderschulkonkordats Integration braucht Reform der selektiven Regelschule Schule vom Kind her denken ...

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nr. 160 Juli 2009

Die Umsetzung des
Sonderschulkonkordats

Integration braucht
Reform der selektiven
Regelschule

Schule vom Kind
her denken

Eine Schule für alle.
inhalt                                                                                                                                                                                                                                                                editorial

                                                     bücher
                                                     24     Neue wissenschaftliche Literatur
                                                            zur Berufsbildung
                                                            Ein Überblick über Publikationen zur
                                                            Entwicklung der Berufsbildung in der
                                                            Schweiz.
                                                                                                          aktuell

                                                     27     Der unternommene Mensch                       32     Haben Lehrer versagt, wenn
                                                                                                                 Teenager schwanger werden?
                                                            Eine aktuelle Studie untersucht
                                                            Eindimensionalisierungsprozesse des                  Sexuelle Aufklärung ist wichtiger denn je.
                                                            Sozialen, des Politischen und der Bildung.           Schule und Fachleute können dabei die
  thema                                                                                                          Eltern unterstützen.

       Eine Schule für alle.                         28     Schule vom Kind her denken
                                                                                                          34     So werden Kinder und Jugendliche

                                                                                                                                                                 M
       Im Oktober 2007 wurde das Sonder-                    Remo Largos und Martin Beglingers neues                                                                                 it der «Interkantonalen Vereinba-        Dass sich etwas tut in Richtung Integration zeigen auch
                                                                                                                  zu Handyprofis                                                    rung über die Zusammenarbeit im          Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte im Sinne des
       schulkonkordat verabschiedet. Damit                  Buch «Schülerjahre».
       ergeben sich neue Möglichkeiten für die                                                                   Ein Projekt von pro juventute vermittelt                           Bereich der Sonderpädagogik» –           Masters «Integrative Förderung» an der PHZ Luzern
       Integration von Kindern und Jugendlichen                                                                  Kompetenzen für den Umgang mit Handys.                             kurz auch «Sonderschulkonkordat»         (S. 23) oder etwa die Arbeit an den Schulen mit Instru-
       mit Behinderungen in der Regelschule.                                                                                                                                        oder «Sonderpädagogikkonkordat»          menten wie dem «Index für Inklusion» (S. 18).
                                                     film                                                                                                                           genannt – soll die Integration von
                                                                                                          nachruf                                                                                                            Allen Bemühungen sind jedoch enge Grenzen gesetzt,
  4    Eine Schule für alle.                         29     Kindern beim Lernen zusehen                                                                          Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in die           wenn sich die Regelschule nicht insgesamt verändert.
                                                                                                          36     Hans Hehlen
       Rahmenbedingungen für                                Reinhard Kahls Film «Kinder» zeigt                                                                   Regelschule gefördert werden. Dieses Ziel ist weitge-       Georg Feuser hält in seinem Beitrag «Durch Integration
                                                                                                          38     Vreni Heer
       integrative Schulen                                  Lernfreude und Lernbegeisterung.                                                                     hend unbestritten.                                          zur inklusiven Schule!» ein eindrückliches Plädoyer für
       Der vpod fordert ausreichende Mittel                                                                                                                      Wie kommt es aber, dass in der Neuen Zürcher Zei-           die Abschaffung von Selektion und die Überwindung
                                                                                                          nachlese
       zur Finanzierung der Reform sowie eine        30     Wasser, Privatisierung und Tourismus.                                                                tung vom 17. Juni 2009 Riccardo Bonfranchi, Leiter          eines fächerorientierten Unterrichts durch «koopera-
       Verbesserung der Arbeitsbedingungen.                                                               39     Erwiderung auf Thomas Ragnis                    der Heilpädagogischen Schule Zürich, schreibt, dass         tives Lernen» und eine «entwicklungsniveaubezogene
                                                            Das blaue Gold
  6    Reform der Sonderschulung                                                                                 Artikel «Unerbittlicher Wettlauf im             die «in der Deutschschweiz stattfindende Integration        Individualisierung» des Unterrichts (S. 8-17).
                                                            Damien de Pierponts Film über die                    Bildungswesen» in «bildungspolitik»
       im Kanton Waadt                                                                                                                                           von geistig behinderten Kindern in den Regelschulbe-        «Schule vom Kind her denken», so Susi Oser in ihrer
                                                            Bedeutung von Wasser für Marrakesch.
                                                                                                                 158/09                                          reich» (B 9) deren Würde verletze? Die Kinder würden        Rezension des neuen Buches von Remo Largo und
  7    Umsetzung des
                                                                                                                                                                 nicht mehr die in «Heilpädagogischen Sonderschulen»         Martin Beglinger, bedeutet eine Individualisierung von
       Sonderschulkonkordats
                                                                                                                                                                 mögliche optimale Förderung erhalten und in die Rolle       Lernprozessen, bei der die Kinder ihren Stärken und
       in Freiburg
                                                                                                                                                                 des Aussenseiters gedrängt. Überfordert durch Leis-         Neigungen entsprechend gefördert werden und ihnen
                                                                                                                                                                 tungsdruck, müssten sie an der Regelschule notwendig        durch Lernerfolge ein positives Selbstwertgefühl vermit-
  8    Eine Schule für alle. Durch                                                                                                                               scheitern. Zudem würde die Separation von Behinder-         telt wird (S. 28-29).
                                                                                                               Das aktuelle Heft und die früheren
       Integration zur inklusiven Schule!                                                                      Ausgaben sind auf unserer homepage                ten und Nichtbehinderten durch eine derartige Inte-         Während an einer selektiven Regelschule tendenziell
       Die Integrationsprozesse auf dem Weg zu                                                                 zu finden:                                        grationspraxis noch verstärkt, da schwer- und mehr-         die Würde aller Kinder bedroht wird, bilden derartige
       einer inklusiven Schule erfordern den Bruch                                                             www.vpod-bildungspolitik.ch                       fachbehinderte Kinder von dieser Form von Integration       Ansätze eine pädagogische Grundlage für die Verwirk-
       mit dem selektiven Schulsystem und dem                                                                  Dort sind auch weitere Infos und Tipps            ausgenommen blieben und so noch stärker separiert
       fächerorientierten Unterricht.
                                                                                                                                                                                                                             lichung «Einer Schule für alle», die dem individuellen
                                                                                                               sowie der Inseratetarif einzusehen.               würden.                                                     Recht der Kinder auf Bildung gerecht wird.
                                                     Impressum                                                                                                   Es wird deutlich, dass die entscheidende Frage ist,
  18   Vielfältige Nutzung des Index für                                                                                                                         unter welchen Bedingungen die Integration geschieht.
       Inklusion zur Schulentwicklung                                                                                                                            Liest man die einzelnen Beiträge des Themenschwer-
                                                     Redaktion / Koordinationsstelle:                    Erscheint 5 x jährlich
                                                     Birmensdorferstr. 67, Postfach 8279, 8036 Zürich    Redaktionsschluss Heft 161: 3. August 2009              punkts «Eine Schule für alle» in dieser Nummer der
  19   Stolpersteine auf dem Weg zur                 Tel. 044 266 52 17                                  Auflage Heft 160: 3’500 Exemplare                       vpod bildungspolitik, so gibt es viele Berührungspunkte
                                                     Fax 044 266 52 53                                   Zahlungen:                                              mit der Kritik Bonfranchis, ohne dass dabei jedoch
       inklusiven Schule in der Schweiz
                                                     mail: johannes.gruber@vpod-bildungspolitik.ch       PC 80 - 69140 - 0, vpod bildungspolitik, Zürich
       Trotz fehlendem Widerstand gegen das                                                                                                                      seine Folgerungen geteilt werden. Im Gegenteil werden       Johannes Gruber
                                                     Homepage: www.vpod-bildungspolitik.ch               Inserate: Gemäss Tarif 2006; die Redaktion kann die
       Sonderschulkonkordat werden der Integration   Herausgeberin: Trägerschaft im Rahmen des vpod      Aufnahme eines Inserates ablehnen.                      die Integrationsdefizite in der Absicht kritisiert, diese   Redaktor
       im selektiven Schweizer Schulsystem enge      Einzelabonnement: Fr. 40.– pro Jahr (5 Nummern)                                                             zu beheben.                                                 vpod-bildungspolitik
       Grenzen gesetzt. Was tun?                     Einzelheft: Fr. 8.–                                 Redaktion: Verantwortlich im Sinne des Presserechts:
                                                                                                                                                                 Die vpod-Verbandskommission Bildung, Erziehung und
                                                     Kollektivabonnement: Sektion ZH Lehrberufe;         Johannes Gruber
                                                     Lehrberufsgruppen AG, BL, BE (ohne Biel), LU, SG.   Redaktionsgruppe: Christine Flitner, Markus Holen-      Wissenschaft fordert ausreichende finanzielle Mittel
  23   Der Weiterbildungsmaster                      Satz: erfasst auf Macintosh                         stein, Werner Kallenberger, Ruedi Lambert (Zeichnun-    und pädagogische Konzepte, bei denen die individuelle
       Integrative Förderung (MAS IF)                Gestaltung und Layout: Sarah Maria Lang, New York   gen), Urs Loppacher, Thomas Ragni, Ruedi Tobler         heilpädagogische Förderung eine Schlüsselrolle spielt
                                                     Titelseite: Zeichnung Ruedi Lambert                 Beteiligt an Heft 160: Bruno Achermann, Catherine       (S. 4-6). Eine solche Verbesserung der Rahmenbedin-
       der PHZ Luzern
                                                     Druck: Ropress, Zürich                              Aubert Barry, Philippe Blanc, Ines Boban, Bernard
                                                                                                                                                                 gungen für integrative Schulen ist zwingend erfor-
                                                                                                         Gasser, Ivo Grossrieder, Ruth Gurny, Andreas Hinz,
                                                                                                         Susi Oser, Peter Sigerist, Etienne Steiner, Pius Wid-   derlich. Auf dem Weg zur Integration sind, wie Ruedi
                                                                                                         mer, Christian Urech, Sybille Zürcher                   Tobler schreibt, noch viele «Stolpersteine» zu bewälti-
                                                                                                                                                                 gen (S. 19-22).

  2         vpod-bildungspolitik 160/09                                                                                                                                                                                                                vpod-bildungspolitik 160/09    3
thema

Eine Schule für alle.
                                                                                                                                                                                                lungsprozess, mit welchem die obligatori-                          Arbeitsbedingungen                              Teamarbeit muss bezahlte Arbeitszeit zur
                                                                                                                                                                                                sche Schule grundlegend umgebaut wird.                                                                             Verfügung stehen.
                                                                                                                                                                                                Die notwendigen Instrumente dafür sind                             Die Lehrpersonen sind die wichtigsten Ak-          Die Integration darf nicht ausschliesslich
                                                                                                                                                                                                in anderen Ländern bereits entwickelt und                          teure bei der Umsetzung der integrativen        die Sache der heilpädagogischen Fachkraft
                                                                                                                                                                                                eingesetzt worden.2                                                Schulen. Ob die Integration gelingt, hängt      sein, alle Lehrkräfte müssen dabei mitwir-

Rahmenbedingungen für                                                                                                                                                                           Finanzielle und administrative
                                                                                                                                                                                                Voraussetzungen
                                                                                                                                                                                                                                                                   massgeblich von den Rahmenbedingungen
                                                                                                                                                                                                                                                                   und der Unterstützung ab, die sie erhalten.
                                                                                                                                                                                                                                                                      Die bisherigen Kleinklassenlehrkräfte
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   ken.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die HeilpädagogInnen und andere För-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   derlehrkräfte müssen voll in die Teams inte-

integrative Schulen                                                                                                                                                                             Für die Umstellung der heutigen Volks-
                                                                                                                                                                                                schulen auf integrative Schulen braucht
                                                                                                                                                                                                                                                                   müssen in die Regelschulen überführt wer-
                                                                                                                                                                                                                                                                   den. Das Wissen und die langjährige Er-
                                                                                                                                                                                                                                                                   fahrung der Kleinklassenlehrkräfte dürfen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   griert werden.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Es müssen kantonale Fachstellen (Kom-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   petenzzentren) eingerichtet werden, bei
                                                                                                                                                                                                es ausreichend finanzielle Mittel, insbe-                          nicht verloren gehen, und ihre Stellen dür-     welchen Lehrkräfte, Schulen und Gemein-
                                                                                                                                                                                                sondere für Team-Teaching, Angebote in                             fen nicht abgebaut werden.                      den informiert und beraten werden. Zur
                                                                                                                                                                                                interkultureller Pädagogik, heilpädagogi-                               Beim Unterricht muss eine Binnendif-       Aufgabe dieser Fachstellen gehört es unter
                                                                                                                                                                                                schen Unterricht, Deutsch als Zweitspra-                           ferenzierung möglich sein (integrierter heil-   anderem, über Beispiele für gelungene in-
Christine Flitner, vpod Zentralsekretärin für Bildung, Erziehung,                Faktisch haben aber schon weit mehr Kantone mit der                                                            che, Zusatz- und Spezialunterricht sowie                           pädagogischer Unterricht, Zusatzlektionen       tegrative Schulen zu informieren und den
Wissenschaft                                                                  Umsetzung begonnen und teilweise auch schon eigene                                                                Supervision und Coaching. Auf keinen Fall                          für Team-Teaching, Mitarbeit von Assistie-      Austausch unter den involvierten Personen
                                                                              Integrationsgesetze verabschiedet. Die Ratifizierung des                                                          darf die vorgesehene Integration zu einem                          renden).                                        zu fördern.
Das Sonderschulkonkordat – genauer: Die Interkantona-                         Konkordats scheint daher in diesem Fall nur eine formale                                                          Sparprogramm werden. Besonders in der                                 Die Klassengrösse und -zusammenset-             Ausserdem müssen zusätzliche Ressour-
le Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der                                                                                                                                          Einführungsphase müssen von Kantonen                               zung muss vom Anteil an Kindern mit be-         cen für Projektentwicklung zur Verfügung
                                                                              Angelegenheit zu sein, und im Gegensatz zum HarmoS-
Sonderpädagogik – wurde im Oktober 2007 verabschie-                                                                                                                                             und Gemeinden zusätzliche Mittel zur Ver-                          sonderen Bedürfnissen abhängig sein. Die        stehen.
                                                                              Konkordat, welches in der Zwischenzeit weitreichende
det. Das Konkordat tritt in Kraft, wenn 10 Kantone bei-                                                                                                                                         fügung gestellt werden, damit die Umstel-                          Pflichtstundenzahl muss gesenkt werden.            Es müssen ausreichend Ressourcen für
                                                                              Opposition hervorruft, trifft die Sonderschulvereinbarung                                                         lung tatsächlich gelingt.                                             Die Zusammenarbeit von Lehrkräften,          die Fortbildung der Lehrkräfte zur Verfü-
getreten sind, frühestens aber auf den 1. Januar 2011.                        kaum auf offenen Widerstand.
                                                                                                                                                                                                2 Vgl. zum Beispiel International Classification of Function ICF   Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, Spe-        gung stehen.
Bis dahin läuft eine vom Bundesparlament beschlossene                         Die Erfahrungen der betroffenen Lehrpersonen in den                                                               sowie den Index für Inklusion: http://www.eenet.org.uk/index_in-   ziallehrkräften und anderen Fachpersonen           Die Räumlichkeiten müssen den Anfor-
Übergangsfrist. Während dieser Zeit müssen die Kanto-                         Kantonen sind allerdings sehr unterschiedlich. Offenbar                                                           clusion/Index%20German.pdf (siehe auch den Artikel von Boban/
                                                                                                                                                                                                                                                                   muss institutionalisiert werden; für diese      derungen angepasst werden.
                                                                                                                                                                                                HInz in diesem Heft, S. 18)
ne für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen (das                          gibt es eine Reihe von Kantonen, welche die verordne-
heisst für die bisherigen IV-Versicherten) in Qualität und                    te Integration im Hauruck-Verfahren ohne ausreichende
Umfang die Angebote gemäss IV-Gesetzgebung gewähr-                            Begleitmassnahmen umsetzen. Andere versuchen an den
leisten. In den meisten Kantonen liegt der Entscheid für                      vorhandenen Erfahrungen mit Integrationsschulen anzu-
den Beitritt beim kantonalen Parlament und dieser Be-                         knüpfen.
schluss unterliegt einem fakultativen Referendum.                                Die vpod-Verbandskommission Bildung, Erziehung und
   Bisher haben die Kantone Obwalden, Schaffhausen,                           Wissenschaft hat sich verschiedene Male mit den vorge-
Wallis und Genf ihren Beitritt definitiv beschlossen. In                      sehenen Reformen auseinandergesetzt und die Folgen für
Luzern und Uri wurde der Beitritt durch das Parlament                         die obligatorische Schule diskutiert. Der untenstehende
entschieden, die Referendumsfristen sind aber noch nicht                      Artikel fasst die wichtigsten Punkte der Diskussion zu-
abgelaufen.                                                                   sammen.

                                                                                                      Integration als Weg und Ziel

Z
          weifellos handelt es sich bei der           se in Finnland – keine Selektion gibt. Das
          vorgesehenen Integration um eine            heisst: Damit die Jahrhundertreform gelin-      Grundsätzlich heisst Integration, dass Kin-
          der grundlegendsten Reformen,               gen kann, braucht es auch eine Reform der       dergärten und Schulen so gestaltet wer-
          welche die Schweizer Volksschule            Sekundarstufe 1, nämlich die Aufhebung          den, dass jedes Kind seinen individuellen
je gesehen hat. Sie stellt eine grosse Chan-          der jetzigen Unterteilung in verschiedene       Voraussetzungen gemäss gefördert und
ce dar, dass aus unserem aussondernden                Leistungsniveaus.                               unterrichtet werden kann. Das Ziel kann
Schulsystem ein einschliessendes System                  Darüber hinaus gibt es eine ganze Rei-       also nicht die Integration von einzelnen be-
wird, welches Bildungschancen und Ent-                he von Rahmenbedingungen, die gegeben           hinderten Kindern in eine Regelklasse sein,
wicklungsmöglichkeiten für alle bietet.               sein müssen, wenn die Reform gelingen           sondern es geht um die Entwicklung einer
    Allerdings steht dem eine grosse Hür-             soll. Nicht zuletzt müssen Kantone und Ge-      Schule für alle Kinder mit ihren je individu-
                                                                                                                                                                     Zeichnung: Ruedi Lambert

de entgegen, nämlich die Selektivität der             meinden die notwendigen Mittel für die In-      ellen Voraussetzungen und Bedürfnissen.1
Schule. Eine selektive Schule, wie sie in             tegration bereitstellen. Schon jetzt wird die   Wird die Integration ernst genommen, dann
der Schweiz besteht, kann niemals wirklich            grosse Heterogenität an den Schulen kaum        handelt es sich um einen Schulentwick-
integrativ werden. Und umgekehrt: Echte               oder gar nicht bewältigt und die Schule ist
                                                                                                      1 Vgl. dazu zum Beispiel die Ausführungen von Prof. Georg
Integration in der obligatorischen Schule             nicht ausreichend für ihre Aufgaben ausge-      Feuser «Integrative Schule – eine Schule für alle» in diesem
ist nur möglich, wenn es – wie beispielswei-          stattet.                                        Heft, S. 8-17.

4         vpod-bildungspolitik 160/09                                                                                                                                                                                                                                                                                             vpod-bildungspolitik 160/09   5
thema                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    thema

    Bei Bedarf muss es im Schulhaus medi-        zwischen Schulen und Hochschulen.              «Heimatliche Sprache und Kultur HSK»).                                                                tablen Bedingungen zu Zwischenfällen,
 zinisches Personal für die medizinische und        Für Regellehrkräfte, die eine heilpäda-     Ausserdem ist es notwendig, dass auch die                                                             die sich teilweise schwerwiegend auf die
 körperliche Versorgung der Kinder geben.        gogische Ausbildung machen, müssen ver-        Nahtstellen und Übergänge in die nachob-                                                              Gesundheit und die Motivation der Lehr-
                                                 kürzte Ausbildungswege angeboten werden.       ligatorische Ausbildung angesehen werden                                                              personen wie auch auf die Entwicklung der
                                                 Im Hinblick auf das starke Anwachsen der       und Konzepte dafür entwickelt werden.                                                                 betroffenen Kinder auswirken.
 Aus- und Weiterbildung
                                                 schulischen      Tagesbetreuungsangebote                                                                                                                Im Zusammenhang mit der Reform der

                                                                                                D
    Die Ausbildungen der zukünftigen Lehr-       müssen auch hier integrative Konzepte                  ie Integration von Kindern mit beson-                                                         Sonderschulung hat der Kanton Waadt
 personen müssen an die neuen Herausforde-       entwickelt und die Ausbildungsgänge über-              deren Bedürfnissen in die Regelschu-                                                          eine Kommission gegründet, die alle Akteu-
 rungen angepasst werden. Integrationspäd-       dacht werden. Es braucht entsprechende                 len ist eine grosse Herausforderung                                                           re des Bereichs einschliesslich dem vpod
 agogische Inhalte müssen in die allgemeine      Weiterbildungsangebote für Sozialpädago-       und eine grosse Chance für alle Beteiligten.                                                          versammelt. In diesem Rahmen wurde eine
 Lehrpersonenausbildung einfliessen.             gInnen und ErzieherInnen.                      Wenn die notwendigen Voraussetzungen                                                                  Gruppe beauftragt, ein pädagogisches Kon-
    Insbesondere muss für alle Dozierenden                                                      gegeben sind, könnte sie zu einer der wich-                                                           zept zu entwerfen. Dieses Konzept, zu dem
 und Studierenden in Aus- und Weiterbil-
 dung deutlich werden, dass es in Zukunft
 keine homogenen Gruppen und Jahrgangs-
                                                 Strukturelle
                                                 Rahmenbedingungen
                                                                                                tigsten Reformen der Schule überhaupt
                                                                                                werden.
                                                                                                   Allerdings sieht es im Augenblick noch
                                                                                                                                                                                                      mehr als 100 Personen beigetragen haben,
                                                                                                                                                                                                      liegt nun nach zwei Jahren vor. Der Bericht
                                                                                                                                                                                                      ist jetzt in den Händen einer Pilotgruppe,
                                                                                                                                                                                                                                                     Umsetzung des
 klassen mehr geben wird.
    Es braucht eine Weiterbildungsoffensi-
                                                 Eine Reihe von Reformen oder Reformvor-
                                                 schlägen der letzten Jahre unterstützt die
                                                                                                nicht so aus, als ob diese Chance in den
                                                                                                Kantonen wirklich wahrgenommen wür-
                                                                                                                                                                                                      welche auf dieser Basis einen Vorschlag
                                                                                                                                                                                                      zur organisatorischen und finanziellen Um-
                                                                                                                                                                                                                                                     Sonderschulkonkordates
 ve für alle Lehrkräfte, welche diese auf die
 neue Struktur der Schule vorbereitet. Dafür
 müssen ausreichend Ressourcen (Zeit und
                                                 Integration an der Schule und sollte daher
                                                 dringend vorangetrieben werden.
                                                    Tagesstrukturen, insbesondere Tages-
                                                                                                de. An vielen Orten sind die Bedingungen
                                                                                                unbefriedigend oder sogar richtiggehend
                                                                                                schlecht, so dass die betroffenen Lehrper-
                                                                                                                                                                                                      setzung erarbeiten soll.
                                                                                                                                                                                                         Die Reform steht noch ganz am Anfang,
                                                                                                                                                                                                      aber es gibt schon einen starken Druck von
                                                                                                                                                                                                                                                     in Freiburg
 Geld) zu Verfügung gestellt werden, sowohl      schulen, müssen zügig ausgebaut werden.        sonen und Fachkräfte als wichtigste Akteu-                                                            Seiten der Verwaltung, die Integration von     Philippe Blanc                                  bleiben, um im richtigen Moment die Hand-
 für Weiterbildungen an den PHs also auch            Die Einführung der Basisstufe und der      re zunehmend skeptisch werden.                                                                        Schülern und Schülerinnen mit besonde-                                                         bremse ziehen zu können. Viele sind der

                                                                                                                                                                                                                                                     U
 an den einzelnen Schulhäusern.                  Mehrjahrgangsklassen muss sorgfältig eva-         Es ist daher dringend notwendig, dass                                                              ren Bedürfnissen überstürzt umzusetzen,                   m die NFA (Neugestaltung des         Meinung, dass sie keinen Einfluss auf den
    Es braucht gezielte Aus- und Weiterbil-      luiert werden, insbesondere auch im Hin-       die ErziehungsdirektorInnen die Integrati-                                                            ohne pädagogisches Projekt und ohne vor-                  Finanzausgleichs und der Aufga-      Ausgang der Reform haben.
 dungen für die Schulleitungen ebenso wie        blick auf ihren Nutzen für die Integration.    on als Jahrhundertreform begreifen und die                                                            herige organisatorische Massnahmen. Die                   benteilung zwischen Bund und         2. In den Arbeitsgruppen zeigen sich Pro-
 für die heilpädagogischen Fachkräfte.              Der Unterricht anderssprachiger Kinder      notwendigen Ressourcen dafür zur Verfü-                                                               Lehrpersonen stehen also ohne Mittel und                  Kantonen) und das Sonderschul-       bleme wie sie traditionell aus tripartiten
    Es braucht klare Aufträge der EDK an die     in ihrer Erstsprache muss vollständig in die   gung stellen, damit diese Reform erreicht,                                                            ohne die nötige Vorbereitung vor der Auf-      konkordat umzusetzen hat der Kanton Frei-       Kommissionen bekannt sind. Das Kräfte-
 PHs zur Aus- und Weiterbildung. Ausser-         Schule integriert werden (unter Einbezug       was sie erreichen könnte: eine echte Schule                                                           gabe, die Schülerinnen und Schüler aufzu-      burg eine breite Reform des Sonder- und         verhältnis steht zu Ungunsten der Arbeit-
 dem braucht es eine enge Zusammenarbeit         der existierenden Strukturen im Bereich        für alle.                                                                                             nehmen. Daraus entstehen sehr unbefriedi-      Regelschulwesens initiiert. Dazu wurden         nehmenden. Meist sind VertreterInnen der
                                                                                                                                                                                                      gende Situationen für Lehrpersonen, Eltern     eine Steuergruppe und insgesamt 14 Ar-          Administration und ArbeitgeberInnen in
                                                                                                                                                                                                      und SchülerInnen.                              beitsgruppen gebildet. 116 Personen sind        der Überzahl und besser organisiert. Es ist
                                                                                                                                                                                                         Im vpod wurde eine interprofessionelle      an der Erarbeitung beteiligt. Dazu zählen       somit schwierig, die wichtigen Standpunkte
                                                                                                                                                                                                      Gruppe von ca. 20 Personen vom Sekti-          VertreterInnen des Staates, ExpertInnen,        des Personals einfliessen zu lassen.
                                                                                                                                                                                                      onskomitee beauftragt, die Reform zu ver-      ArbeitgeberInnen und PersonalvertreterIn-       3. Für den vpod Region Freiburg besteht
                                                                                                                                                                                                      folgen. Diese Gruppe hat eine Reihe von        nen. Auch der vpod Region Freiburg nimmt        die Schwierigkeit darin, dass unser Organi-
                                                                                                                                                                                                      dringenden Massnahmen vorgeschlagen,           aktiv an den Arbeitsgruppen teil.               sationsgrad im Bereich der Regelschul- und
                                                                                                                                                                                                      um die Situation zu stabilisieren. Insbeson-       Unabhängig und unkoordiniert erarbei-       Sonderschullehrpersonen relativ gering ist.
                                                                                                                                                                                                      dere fordert sie mit Nachdruck, dass keine     ten die Arbeitsgruppen Einschätzungen           Zudem erscheinen unsere Positionen den

 Reform der                                                                                                                                                                                           Integrationsmassnahmen stattfinden, ohne
                                                                                                                                                                                                      dass zuvor ein pädagogisches Projekt dis-
                                                                                                                                                                                                                                                     und Vorschläge zu Reformschwerpunkten
                                                                                                                                                                                                                                                     wie «Leistungsverträge», «Privatanbieter»,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                     kantonalen (meist korporatistischen) Be-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                     rufsverbänden rasch zu radikal.

 Sonderschulung im
                                                                                                                                                                                                      kutiert und bei den involvierten Fachperso-    «Kompetenzzentren»        «Qualitätsevaluati-      Der vpod Region Freiburg schätzt die Si-
                                                                                                                                                                                                      nen etabliert wurde und ohne dass die nöti-    on» usw. Ende dieses Jahres soll von der        tuation folgendermassen ein: Der Staatsrat
                                                                                                                                                                                                      gen finanziellen Mittel und Stellenprozente    Steuergruppe ein Schlussbericht vorgelegt       weiss genau, worauf er mit der Reform hin-

 Kanton Waadt                                                                                                                                                                                         bereitgestellt wurden.
                                                                                                                                                                                                         Ausserdem fordert der vpod offiziell,
                                                                                                                                                                                                      dass Verhandlungen über die Frage der Ar-
                                                                                                                                                                                                                                                     werden, welcher das neue Konzept zur
                                                                                                                                                                                                                                                     Sonderschulung vorstellt. Bisher liegen
                                                                                                                                                                                                                                                     verschiedene Zwischenberichte vor. Paral-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                     aus will. Sicherlich besteht ein Interesse
                                                                                                                                                                                                                                                                                                     daran, die Integration zu fördern. Unter die-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                     sem Deckmantel soll jedoch auch gespart
 Julien Eggenberger, Präsident vpod Vaud-Etat    stellt daher eine wichtige Änderung dar.       Ghettoklassen, die administrativen Auf-                                                               beitsbedingungen stattfinden. Unter ande-      lel zur Arbeit in den Arbeitsgruppen wurde      und rationalisiert werden. Dies realisiert
                                                    Aus der Sicht des vpod bietet sich die      gaben für die Lehrpersonen wachsen und                                                                rem braucht es Zeit für Absprachen und         das Personal anlässlich verschiedener In-       das Personal mehr und mehr. Die zahlrei-

 I
     m Kanton Waadt weist der Bildungsbe-        Gelegenheit, eine Schule für alle zu schaf-    das Hilfspersonal ist teilweise nicht ausge-                                                          Team-Unterricht, das Pensum der Regel-         formationsveranstaltungen durch Staatsrä-       chen Arbeitsgruppen sind bewusst so orga-
     reich eine Reihe von Besonderheiten         fen und das Funktionieren der Schule zu        bildet. Es müssten sehr schnell konkrete                                                              schul-Lehrpersonen (28 Lektionen) muss         tin Isabelle Chassot informiert.                nisiert, dass eine ganzheitliche Sicht der
     auf: Insbesondere gibt es einen hohen       verbessern. Gleichzeitig stellen sich wich-    Massnahmen ergriffen werden.                                                                          dem der Sonderschul-Lehrpersonen (25               Auf verschiedenen Ebenen treten jedoch      Dinge verunmöglicht wird. Alle sollen sich
     Anteil von Schülern und Schülerinnen,       tige Fragen in Bezug auf die Arbeitsbedin-        Der vpod Region Waadt möchte verhin-                                                               Lektionen) angepasst werden, die Modali-       Schwierigkeiten auf:                            in Details verlieren. Wir denken, dass die
                                                                                                                                                Zeichnung: Ruedi Lambert

                                                                                                                                                                           Zeichnung: Ruedi Lambert

 die nicht in die Regelschule integriert sind,   gungen, und die aktuellen Probleme bei der     dern, dass die aktuelle chaotische Situation                                                          täten für Team-Unterricht und Unterstüt-       1. Das Personal beklagt sich darüber, dass      wichtigen Entscheidungen bereits gefallen
 die Entscheidungsabläufe sind sehr kom-         Umsetzung wecken Befürchtungen für die         dazu führt, dass sich die engagierten Perso-                                                          zung im Klassenzimmer müssen geklärt           laufend Entscheidungen getroffen werden         sind und dass die Arbeit der Arbeitsgrup-
 pliziert und heilpädagogische Leistungen        Zukunft. Tatsächlich sind zahlreiche Lehr-     nen entmutigen lassen und der Integration                                                             werden, und es braucht qualifizierte Hilfs-    über die sie nicht genügend informiert wur-     pen sich in vielen Fällen als Alibiübungen
 werden überwiegend von privaten Einrich-        personen schon jetzt überlastet und sehr       von Kindern mit besonderen Bedürfnissen                                                               kräfte.                                        den. Allgemein wird die Reform von vielen       entpuppen wird. Zurzeit ist es jedoch un-
 tungen im öffentlichen Auftrag erbracht.        beunruhigt, denn die Integration geschieht     in die Regelschule zunehmend mit Skepsis                                                                                                             als bedrohlich wahrgenommen. Es sei zu          möglich eine präzise Gesamtbeurteilung
 Die Umsetzung des Sonderschulkonkordats         ohne pädagogisches Konzept, es entstehen       begegnen. Im übrigen führen die unakzep-                                                                                                             komplex und zeitlich schwierig am Ball zu       abzugeben.

 6         vpod-bildungspolitik 160/09                                                                                                                                                                                                                                                                              vpod-bildungspolitik 160/09   7
thema                                                                                                                                                                                                                                                                       thema

 Eine Schule für alle.
                                                                                                                                         Georg Feuser
                                                                                                                                                                                                                    Prof. Dr. Georg Feuser, Jg. 1941, Grund-, Haupt-,
                                                                                                                                                                                                                    Real- und Sonderschullehrer, Sonderschulrektor a.D., war

                                                                                                                                         M
                                                                                                                                                      it den nachfolgenden Ausführungen möchte ich meine
                                                                                                                                                      Einschätzung des Entwicklungsstandes der Integrati-           von 1978 bis 2006 Professor für Behindertenpädagogik

 Durch Integration zur
                                                                                                                                                                                                                    an der Universität Bremen. Er vertritt in Forschung und
                                                                                                                                                      on, die für eine fachlich gelingende Integration notwen-
                                                                                                                                                                                                                    Lehre die Bereiche «Behindertenpädagogik, Didaktik,
                                                                                                                                                      digen Momente, aber auch meine Sorge zu den in der
                                                                                                                                                                                                                    Therapie und Integration bei geistiger Behinderung und
                                                                                                                                         Schweiz mit dem Begriff der Integration intendierten Entwicklun-           schweren Entwicklungsstörungen». Schwerpunkte sind u.a.
                                                                                                                                         gen thematisieren. Dies als jemand, der die Entwicklung der Inte-          «Pädagogik und Therapie bei Menschen mit Autismus-

 inklusiven Schule!
                                                                                                                                         gration im internationalen und seit deren Beginn im deutschspra-           Syndrom» und «Allgemeine (integrative) Pädagogik und
                                                                                                                                         chigen Raum vor nun mehr als drei Jahrzehnten nicht nur verfolgt,          entwicklungslogische Didaktik».
                                                                                                                                         sondern sehr zentral mit initiiert, human- und erziehungswissen-              Zahlreiche Veröffentlichungen, der Aufbau einer
                                                                                                                                         schaftlich wie konzeptionell weit vorangetrieben und in Bremen             Fachzeitschrift «Behindertenpädagogik» und deren
                                                                                                                                         – ausgehend von der Frühen Bildung im Kindergarten – weit länger           Schriftleitung über 18 Jahre, die Herausgabe von zwei
 Um das reformpädagogische Ziel einer inklusiven Schule zu erreichen, sind vielfältige Integrationsprozesse                              als zwei Jahrzehnte verfolgt und mehr als ein Jahrzehnt umgesetzt          Buchreihen und eines Jahrbuches der Behindertenpädagogik
                                                                                                                                         und wissenschaftlich begleitet hat. Aus dieser Perspektive lässt           (zusammen mit W. Jantzen) sowie Mitherausgeber
 vonnöten. Insbesondere ist dies nur durch einen Bruch mit dem bestehenden selektiven Schulsystem, die                                                                                                              eines 10-bändigen Enzyklopädischen Handbuches der
 Überwindung des fächerorientierten Unterricht sowie den Rückgriff auf eine entwicklungslogische Didaktik                                der Begriff der Integration wie das damit verbundene fachliche An-
                                                                                                                                                                                                                    Behindertenpädagogik zur Thematik «Behinderung,
 möglich. Die aktuellen Reformen in der Schweiz laufen dagegen Gefahr, Selektion lediglich zu verlagern und                              liegen im Feld des Erziehungs-, Bildungs- und Unterrichtssystems
                                                                                                                                                                                                                    Bildung, Partizipation» (zusammen mit Iris Beck, Wolfgang
                                                                                                                                         keine andere Bestimmung zu, als die Schaffung «einer Schule für
 neue Spaltungen zu erzeugen, anstatt die Regelschule strukturell zu verändern.                                                                                                                                     Jantzen und Peter Wachtel) und Gastprofessuren an den
                                                                                                                                         alle».                                                                     Universitäten Innsbruck, Klagenfurt, Wien und Zürich
                                                                                                                                                                                                                    dokumentieren eine breite Forschungsarbeit in Theorie und
                                                                                                                                                                                                                    Praxis.

                                                                                                                                         1. Eine Schule für alle!? –                                                   Prof. Dr. Feuser entwickelte im Rahmen der vorstehenden
                                                                                                                                                                                                                    Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte eine umfassende

                                                                                                                                         Zur Positionierung der                                                     Konzeption einer «Allgemeinen Pädagogik», die eine
                                                                                                                                                                                                                    integrative Erziehung und Unterrichtung aller behinderten

                                                                                                                                         Integration                                                                Kinder (also unabhängig von Art und/oder Schweregrad
                                                                                                                                                                                                                    der Behinderung) in Regelkindergärten und Regelschulen
                                                                                                                                                                                                                    erlaubt. Er hat diese über 10 Jahre auch in der
                                                                                                                                         Mit der Bestimmung von Integration als «eine Schule für alle» wird,
                                                                                                                                                                                                                    Elementarerziehung und Frühen Bildung in Kindergärten und
                                                                                                                                         mit Bezug auf die Wirklichkeit, wie man sagen könnte, ein grosses          dem Unterricht der Primarstufe und Sekundarstufe I erprobt
                                                                                                                                         Wort gelassen ausgesprochen. Selbst im vierten Jahrzehnt der               und wissenschaftlich begleitet.
                                                                                                                                         Entwicklung der Integration im deutschsprachigen Raum ist ein                 In seiner pädagogisch-therapeutischen Praxis befasst er
                                                                                                                                         solches Verständnis – es drängt mich, zu sagen – noch Lichtjahre           sich seit drei Jahrzehnten – mit dem Ziel weitestgehender
                                                                                                                                         davon entfernt, Allgemeingut zu werden, weshalb ich mir erlaube,           Integration – mit Fragen der Krisenintervention, Therapie
                                                                                                                                         auch ein Fragezeichen hinter diese Bestimmung zu setzen. Dies              und der Rehabilitation von Kindern, Jugendlichen und
                                                                                                                                         nicht, um zu meiner Aussage, dass sie die einzig fachlich richtige         Erwachsenen mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (z.B.
                                                                                                                                         und gesellschaftlich wie politisch vernünftige ist, auf Distanz zu ge-     Autismus und schwersten selbstverletzenden, stereotypen,
                                                                                                                                         hen, sondern um zu betonen, dass die Jahrzehnte der Umsetzung              aggressiven und destruktiven Verhaltensweisen), mit
                                                                                                                                                                                                                    schweren geistigen (z.B. Koma, Apallisches Syndrom) und
                                                                                                                                         des Integrationsgedankens in die Praxis pädagogischer Felder eine
                                                                                                                                                                                                                    psychischen Beeinträchtigungen/Behinderungen (z.B. im
                                                                                                                                         Geschichte höchster Kontinuität der Verhinderung eines solchen
                                                                                                                                                                                                                    Grenzbereich zur Psychose). Für diese Personen entwickelte
                                                                                                                                         reformpädagogischen Anliegens ist. Und dies führt schon zu der             er mit der «Substituierend Dialogisch-Kooperativen
                                                                                                                                         Frage, der noch nachzuspüren sein wird, ob man denn wirklich               Handlungs-Therapie (SDKHT)» eine subjektorientierte,
                                                                                                                                         will, was man da sagt. Das soll das Fragezeichen symbolisieren.            auf die Rehistorisierung der Betroffenen orientierte
                                                                                                                                                                                                                    basistherapeutische Konzeption, unter deren Einsatz auch
                                                                                                                                                                                                                    mit als «austherapiert», «therapieresistent» oder «nicht
                                                                                                                                         Zwei verschiedene Formen von Integration                                   mehr förderbar», «nicht mehr rehabilitierbar» bzw. «nicht
                                                                                                                                         In einer ersten groben Einschätzung könnte man festhalten, dass            gemeinschaftsfähig» geltenden Personen gearbeitet werden
                                                                                                                                         zwei Herangehensweisen an die Integration konkurrieren. Im Sinne           kann und diese selbst wieder handlungsfähig werden und
                                                                                                                                         einer «äusseren Reform» werden behinderte Kinder und Schüler je            selbstbestimmter und unabhängiger von Hilfe leben können.
                                                                                                                                         nach Art und Schweregrad ihrer Behinderung für die Integration in
                                                                                                                                         einen Regelkindergarten oder in den Unterricht einer Regelschule         Schüler unabhängig von Art und Schweregrad ihrer Beeinträchti-
                                                                                                                                         selektioniert, dort anhand unterschiedlicher Lehrpläne für behin-        gung in das «kooperative Lernen an einem ‹Gemeinsamen Gegen-
                                                                                                                                         derte und nichtbehinderte Schüler zieldifferent unterrichtet und         stand›» einbezogen; dies durch innere Differenzierung anhand ent-
                                                                                                              Zeichnung: Ruedi Lambert

                                                                                                                                         damit Formen äusserer Differenzierung und der im gegliederten            wicklungsniveaubezogener Individualisierung des «Gemeinsamen
                                                                                                                                         System bestehende Bildungsreduktionismus fortgeschrieben. Es             Gegenstands». Das kann ein Kindergarten und eine Schule für alle
                                                                                                                                         wird nur zu lernen angeboten, was man glaubt, dass jemanden ler-         konstituieren, wenn darüber hinaus bei allen Verantwortlichen und
                                                                                                                                         nen kann, ohne zu wissen, was jemand lernen kann – und lernen            Betroffenen die Bereitschaft besteht, Lehren und Lernen in Projek-
                                                                                                                                         will! Das gegliederte Schulsystem bleibt folglich unangetastet. Im       ten, vorhabenorientiert und in jahrgangsübergreifenden Gruppen
                                                                                                                                         Sinne einer «inneren Reform» werden alle behinderten Kinder und          und Klassen zu ermöglichen und folglich von einem Fächerunter-

 8      vpod-bildungspolitik 160/09                                                                                                                                                                                                                   vpod-bildungspolitik 160/09   9
thema                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   thema

                                                                                                                                                                                   wie kein anderer aufzeigt, dass entweder nicht verstanden wird,          unähnlich sind. Dies vor allem hinsichtlich der Integration von Kin-
      Von der Segregation durch Integration zur Inklusion                                                                                                                          was zu machen ist oder nicht gewollt, was Integration verlangt.          dern und Jugendlichen mit schwereren mentalen und psychischen
                                                                                                                                                                                   Gleichwohl wird der geschundene Begriff der Integration, für den         Beeinträchtigungen und sehr herausfordernden Verhaltensweisen.
      Entwicklung der Pädagogik                                                                                                                                                    es nun mal keinen adäquaten Ersatz gibt und zu geben braucht,
                                                                                                                                                                                   weiter desavouiert.
                         Heil- u. Sonderpädagogik                                                 Regelpädagogik                                                                                                                                            Integration bedeutet
  Vergangenheit          biologistisch/medizinisch-psychiatrisches Defizitmodell
                                                                                                  so genannte allgemeine Pädagogik                                                                                                                          Aufhebung von Selektion und Segregation
                                                                                                                                                                                   Durch die Integration zur Inklusion
                                                                                                  normativ orientiertes Normalitätskonzept                                                                                                                  Integration ist einerseits ein wesentlich fachintern zu bewältigen-
                                                                           selektierend / segregierend                                                                             Dass Integration, wie schon angesprochen, in den allermeisten Fäl-       der erziehungswissenschaftlicher Prozess, der andererseits, wie
                                                                                                                                                                                   len ausschliesslich aus der Perspektive des selektierend-segregie-       deutlich geworden sein dürfte, wie kein anderer hinsichtlich seiner
                                                                                                                                                                                   renden Schulsystems und einer traditionalistischen Heil- und Son-        Umsetzung eine gesellschafts- und bildungspolitische, wie sozio-
                                                                                                                                                                                   derpädagogik gesehen und praktiziert wurde und wird, zeigt ein           ökonomische Regulation erfährt. Fachimmanent erfordert die Um-
                         Behindertenpädagogik                                                     Kategoriale Bildung                                                              Fehlverständnis und eine Fehlentwicklung, die schliesslich und al-       setzung integrativen Denkens in der Pädagogik die Synthese von
  Gegenwart              Subjektwissenschaftlich, am Kompetenzmodell und                          doppelseitige Erschliessung                                                      lenfalls in eine pluralistisch-modernistische Passung des Systems        Heil- und Sonderpädagogik mit der von mir als Regelpädagogik
                         biographieorientiert / dialogisch; rehistorisierend in                   Allgemeinbildungskonzeption                                                      der Sonderbeschulung mündet. Das aber qualifiziert den Integrati-        bezeichneten so genannten allgemeinen Pädagogik, die bis heute
                         Diagnostik, Pädagogik und Therapie                                       Bildung für ALLE im Medium des                                                   onsbegriff als solchen nicht. Ihn ohne differenzierte Analysen der       nicht erfolgt ist. Dies, obwohl durch die Entwicklung der «Behin-
                                                                                                  Allgemeinen anhand                                                               über dreissigjährigen Geschichte des Bemühens um Integration             dertenpädagogik» seit den 1970er Jahren und die auf der «katego-
                                                                                                  epochaltypischer Schlüsselprobleme                                               durch den Inklusionsbegriff zu ersetzen, verändert die Problemla-        rialen Bildungstheorie» seit den 1950er Jahren aufbauende «Allge-
                                                                                                                                                                                   ge ebenso wenig, wie anzunehmen ist, dass ein schlechter Wein            meinbildungskonzeption» in beiden historisch parallel laufenden
                                                                                                                                                                                   durch das Aufbringen des Etiketts eines Spitzenweines auf die Fla-       Pädagogiken ein für die Synthese eines qualitativ neuen erzie-
                                                                       Erziehungswissenschaft                                                                                      sche, in der er sich befindet, zu diesem werden würde. Im Gegen-         hungswissenschaftlichen Bewusstseins hinreichendes Denkniveau
                                                                                                                                                                                   teil: Hier passiert eine gefährliche Verdeckung der Ursachen, die        entwickelt wurde und vorliegt – nämlich ein subjektwissenschaftli-
                                                                                                                                                                                   zu der nicht zu beschönigenden Lage der Integrationsentwicklung          ches und dialektisches. Dieses kann in der Konzeption einer «Allge-
                         Integration                                                              «Integrationspädagogiken»                                                        geführt haben. Darüber hinaus wird nicht zur Kenntnis genommen,          meinen Pädagogik» und «entwicklungslogischen Didaktik» gefasst
  Zukunft                Behinderte / Nichtbehinderte / Interkulturell durch                      Koop-Modell / Förderzentren / Kompetenzzentren                                   dass es zur Dialektik von Inklusion und Exklusion in der Soziologie,     werden und realisiert sich in einem resultierenden pädagogischen
                         Kooperation am Gemeinsamen Gegenstand /                                  mit Schülern / integrative Sonderschulung                                        in der diese Begriffe wissenschaftlich beheimatet sind, einen be-        Reformprozess, der das selektierende und segregierende Erzie-
                         Innere Differenzierung durch entwicklungs-
                         niveaubezogene Individualisierung
                                                                                                  - reduzierte/parzellierte Lehrpläne
                                                                                                  - äussere Differenzierung                   ?                                    deutenden Diskurs gibt (z.B. Baumann 2005, Luhmann 1997), den
                                                                                                                                                                                   Stichweh (2005) als «Leitunterscheidung der Gesellschaftstheorie»
                                                                                                                                                                                   kennzeichnet. Um uns hier weiterhin begrifflich eindeutig verstän-
                                                                                                                                                                                                                                                            hungs-, Bildungs- und Unterrichtssystem nicht nur in Frage stellt,
                                                                                                                                                                                                                                                            sondern es notwendigerweise umbauen muss – und dieser Umbau
                                                                                                                                                                                                                                                            ist die Integration!
                                                                                                                                                                                   digen zu können, noch folgende Hinweise:
   Eine Schule für alle                                                                                                                                                               Die Fremdwörter «integrieren» und «Integration» sind im 19./20.
   Inklusion                                                                                                                                                                                                                                                Integration als Menschenrecht
                                                 Allgemeine Pädagogik und entwicklungslogische Didaktik                                                                            Jahrhundert als Ableitungen aus dem lateinischen integer, was als
                                                                                                                                                                                   integrare bedeutet «heil, unversehrt machen, wiederherstellen;           In diesem Kontext ist vor allem die didaktische Abstinenz in der
                                                                                                                                                                                   ergänzen», dem mittellateinischen integralis «ein Ganzes ausma-          fachlichen Integrationsdebatte, die «des Pudels Kern» der Integra-
 richt im Stundentakt Abschied zu nehmen, dessen Inhalte unver-                      le es sehr bewusst – Kinder und Jugendliche unterschiedlichster                               chend», und integratio «Wiederherstellung eines Ganzen» (Duden           tion noch immer in der Relation von Kindern und Schülern mit und
 mittelt nebeneinander stehen. Dass die beiden aufgezeigten Model-                   Entwicklungsniveaus, Lernerfahrungen und Möglichkeiten – auch                                 Bd. 7, 2001, S. 365) hervorgegangen. Relevant ist die soziologische      ohne Behinderung und Migrationshintergrund sieht, aus meiner
 le konkurrieren, ist gleichwohl sofort wieder zu relativieren – aus                 unabhängig von Art und Schweregrad ihrer Beeinträchtigungen                                   Bedeutung, die als «Verbindung einer Vielfalt von einzelnen Perso-       Sicht essentiell für die Problemlage des Reformprozesses im Innern
 meiner Sicht in einem Verhältnis 99 : 1 – so die Wirklichkeit, was                  – eingebunden auch Kinder anderer Sprache, Nationalität und                                   nen oder Gruppen zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Ein-        der Pädagogik. Dies in engem Zusammenhang mit der Vorstellung,
 gleichzeitig die Legitimität verdeutlicht, den Begriff der «Integrati-              Religion, gemeinsam miteinander lernen dürfen. Dies als Schritt                               heit» (Duden, Bd. 5, 1999, S. 459) verstanden wird.                      Integration durch die additive Hereinnahme sonderpädagogischer
 on» überhaupt verwenden zu dürfen.                                                  hin zu einem nicht mehr selektierenden und segregierenden Er-                                    Der Begriff der Inklusion leitet sich in gleicher Weise aus dem La-   Kompetenzen in die Regelschule bewerkstelligen zu können, ohne
                                                                                     ziehungs-, Bildungs- und Unterrichtssystem, das man dann als ein                              teinischen bzw. Mittellateinischen ab und bezeichnet «einschlies-        dass sich diese selbst grundlegend ändert. Die ideologischen Ver-
                                                                                     inklusives bezeichnen könnte. Integration muss aus historischen                               sen, einschliesslich, inbegriffen» und steht als «inklusive» im Gegen-   stellungen dahingehend, dass trotz eines demokratisch verfassten
 Integration und Segregation widersprechen sich
                                                                                     Gründen also notwendigerweise auf dem Fundament ihres krassen                                 satz zu «exklusive». Dieser Begriff beschreibt also einen Zustand        Gesellschafts- und Staatssystems ein auf Ausgrenzung und Separa-
 Ich habe weit vorgegriffen und gehe nun zu einer schrittweisen Be-                  Gegenteils aufgebaut werden. Wird dieser Sachverhalt einerseits                               einer Ganzheit, die der Logik nach, so sie zuvor nicht bestand, erst     tion setzendes Bildungssystem der Garant der Reproduktion der
 handlung der Problematik zurück. Der Weg, der mit dem Begriff der                   nicht ständig bewusst gehalten und andererseits das Anliegen der                              durch einen Prozess der Integration erreicht werden kann.                gesellschaftlichen Produktivkräfte und der Kultur sei, wird nicht
 Integration charakterisiert, beschritten wurde, ist einer «von der                  Integration nicht gründlich gedacht, was heisst, eine gesellschafts-                             Genau das kennzeichnet unsere gegenwärtige Situation in der           als Widerspruch erfahren. Eben so wenig empört, dass der Selek-
 Segregation über die Integration zur Inklusion». Wir haben es bei                   historisch relevante und den heute vorliegenden Erkenntnissen                                 Bildungslandschaft. Die bestehenden gesellschaftlichen Wider-            tionsprozess in den Bildungslandschaften, wie die OECD-Studien
 dem Vorhaben der Integration mit einem historischen, fachlichen                     im naturphilosophischen und humanwissenschaftlichen Bereich                                   sprüche hinsichtlich Inklusion und Exklusion, die sich im Main-          hinreichend nachweisen, selbst bei gleichen Leistungen im Be-
 und gesellschaftlichen Prozess von besonderer Dynamik zu tun.                       adäquate, erziehungswissenschaftlich gefasste und nicht aus dem                               stream der Globalisierung und der nationalen Deregulierungen in          reich zentraler Kulturtechniken überwiegend auf den Sozialstatus
 Viele Prozesse des gesellschaftlichen Wandels und der Erweite-                      Bauch heraus generierte Sichtweise der Integration zu entwickeln,                             einer kürzeren Zeitspanne, als sie die Entwicklung der Integration       der Lernenden und einen Migrationshintergrund bezogen ist, was
 rung unseres natur- und humanwissenschaftlichen Erkenntnisstan-                     mündet das in gut gemeinte, aber völlig inadäquate Versuche, Inte-                            umfasst, dramatisch verschärft haben, werden sich noch über lan-         im Grunde einem gesellschaftlichen Skandal gleich kommt, der im
 des lassen über lange Perioden eine gewisse Kontinuität erkennen.                   gration mit Mitteln des segregierenden Erziehungs-, Bildungs- und                             ge Zeiträume in die Integrationsbemühungen hinein fortschreiben          Sinne einer zynischen political correctness noch mit dem Begriff
 Integration skizziert das Vorhaben, von einer seit der Entstehung                   Unterrichtssystems zu realisieren; ich nenne hier nur Leistungs-                              und auf der Integrationsebene auch neue Widersprüche generieren.         der Wahrung der «Chancengleichheit» garniert wird. Global haben
 einer wissenschaftlichen und arbeitsteilig praktizierten intentiona-                gruppenbildung, äussere Differenzierung, unterschiedliche, also in-                           Bezogen darauf bewirkt der Inklusions- an Stelle des Integrations-       wir es mit der Frage der Integration längst mit einer Menschen-
                                                                                                                                                            Grafik: Georg Feuser

 len Pädagogik, die zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte je eine                     dividuelle, an normierenden Standards und Lernstandsmessungen                                 begriffes weder eine Aufklärung in der Sache noch die Auflösung          rechtsfrage zu tun. Ich erinnere hier nur an das UN-Weltaktions-
 wirklich «allgemeine», sondern eine hochgradig nach unterschied-                    oder an Behinderungsdiagnosen orientierte Curricula und vieles                                der Widersprüche. Selbst in jenen Ländern, die sich am Leitbegriff       programm für behinderte Menschen von 1983, wo gesagt wird,
 lichsten Kriterien selektierende und ausgrenzende war, zu einer                     andere mehr. Am deutlichsten wird das in dem im Kanton Zürich                                 Inklusion orientieren, sind im Unterrichtssystem vergleichbare           «... die Erziehung von behinderten Menschen sollte so weit wie mög-
 «Allgemeinen Pädagogik» derart zu gelangen, dass – ich wiederho-                    sich etablierenden Begriff der «integrativen Sonderschulung», der                             Probleme und auch Schieflagen entstanden, die den unseren nicht          lich im Regelschulsystem stattfinden ... (Art. 120). Entsprechend

 10        vpod-bildungspolitik 160/09                                                                                                                                                                                                                                                            vpod-bildungspolitik 160/09   11
thema                                                                                                                                                                                                                                                                                                             thema

 fordert die UN-Konvention über die Rech-                                                                                                                                        Bildungssystem Struktur gewordenen äusseren Differenzierung          sind hier unverzichtbar. Gegen die der Segregierung immanente
 te des Kindes von 1989, in Art 23. 1/3, dass                                                                                                                                    und ihrer unterrichtsimmanenten Praxis einen sich selbst generie-    äussere Differenzierung anhand individueller Curricula ist eine in-
 «... das behinderte Kind wirklichen Zugang                                                                                                                                      renden Zirkel der Produktion und Reproduktion von Ungleichheit       nere Differenzierung im Sinne einer entwicklungsniveaubezogenen
 zu Erziehung, Ausbildung und Gesundheits-                                                                                                                                       und Be-Hinderung einleiten.                                          Individualisierung der Bildungsinhalte, die aus dem «Gemeinsa-
 diensten hat und diese nutzen kann, [...] so                                                                                                                                                                                                         men Gegenstand» resultieren. Kurz gefasst: Die «Kooperation am
 dass die möglichst vollständige soziale In-                                                                                                                                                                                                          Gemeinsamen Gegenstand» und eine «innere Differenzierung durch
                                                                                                                                                                                 Integrales Menschenbild, kooperatives Lernen
 tegration des Kindes ermöglicht wird ...».                                                                                                                                                                                                           entwicklungsniveaubezogene Individualisierung» konstituieren
 Auch das UNESCO-Salamanca-Statement
                                                                                                                                                                                 und innere Differenzierung                                           das didaktische Fundamentum einer Allgemeinen (integrativen)
 von 1994 ist hier zu nennen, das im Punkt                                                                                                                                       Das Prinzip von Selektion, Ausgrenzung und Segregierung domi-        Pädagogik als Basis einer «entwicklungslogischen Didaktik».
 3 unter anderem alle Regierungen auffor-                                                                                                                                        niert das gesamte Bildungssystem und betrifft alle Kinder und
 dert, «das Prinzip Erziehung ohne Ausgren-                                                                                                                                      Schüler, aber dennoch sitzen – entgegen dem scheinbar schlauen
                                                                                                                                                                                                                                                      Ansätze einer entwicklungslogischen Didaktik
 zung auf rechtlicher oder politischer Ebene                                                                                                                                     Spruch – eben nicht alle im gleichen Boot. Wie immer: In Fortset-
 anzuerkennen ...» und im Punkt 2 betont,                                                                                                                                        zung der Konzeption eines gemeinsamen Lernens ohne Ausschluss        Konstitutiv für eine solche entwicklungslogische Didaktik sind ne-
 dass Regelschulen mit einer integrativen                                                                                                                                        war uns schon Ende der 70er Jahre klar geworden, dass gegen je-      ben den Arbeiten von Jean Piaget und René Spitz die Entwicklung
 Orientierung das wirksamste Mittel sind,                                                                                                                                        des der Momente, die das bestehende segregierende Erziehungs-,       einer «kritischen und materialistischen Behindertenpädagogik»,
 «eine Gesellschaft ohne Ausgrenzung auf-                                                                                                                                        Bildungs- und Unterrichtssystems hervorbringen und es repro-         die auf einem neurowissenschaftlich, psychologisch und soziolo-
 zubauen und eine Erziehung für alle zu ver-                                                                                                                                     duzieren, ein Gegenpart, eine Gegenkraft errichtet werden muss,      gisch fundierten Verständnis der Persönlichkeitsentwicklung des
 wirklichen» und «Kinder mit Sondererzie-                                                                                                                                        wenn wir eine Allgemeine Pädagogik, die inklusiv ist, begründen      Menschen fusst. Dies wiederum basiert auf der Tätigkeitstheorie
 hungsbedürfnissen Zugang zur Regelschule                                                                                                                                        und praktizieren wollen. Bleibt in integrativen Ansätzen auch nur    der Kulturhistorischen Schule. Ich erinnere hier nur an wenige
 haben» (Pkt. 3) müssen. Dementsprechend                                                                                                                                         eines der aufgezeigten sechs Momente erhalten, das dem funktio-      Namen wie Vygotskij, Lurija, Leont’ev, Gal’perin, deren didaktisch
 heisst es im Abschlussbericht: «Der tiefs-                                                                                                                                      nalen Kreislauf des sich selbst reproduzierenden segregierenden      hoch relevante Arbeiten zu Entwicklungsfragen in der deutschen
 te Grund für Lernschwierigkeiten liegt im                                                                                                                                       Systems entspricht, zwingt es, wie das in der Praxis immer wieder    Regel- wie Heil- und Sonder- und Sozialpädagogik noch immer weit-
 Schulsystem selber».                                                                                                                                                            beobachtbar ist, das ganze System in die alten Pfade. Zur Verdeut-   gehend unbekannt sind. Mit dieser von Wolfgang Jantzen (2007)
     Wenn Integration also als Menschen-                                                                                                                                         lichung der angesprochenen «Gegenmomente», die auf der Basis         sehr zentral entwickelten und von uns gemeinsam getragenen
 recht erkannt wird, müssen die notwendi-                                                                                                                                        einer Allgemeinen Pädagogik Integration ermöglichen, wäre auf der    Konzeption wurde es nicht nur möglich, eine traditionelle, defek-
 gen politischen Massnahmen ergriffen wer-                                                                                                                                       Ebene des zu Grunde liegenden Menschenbildes gegen die defekt-       torientierte und biologistisch medizinisch-psychiatrisch fundierte
 den, damit «die Herrschaft der Schnellsten,                                                                                                                                     und abweichungsbezogene Atomisierung der als behindert gel-          Heil- und Sonderpädagogik zu überwinden, sondern eine vom Sub-
 Klügsten und Skrupellosesten beendet und                                                                                                                                        tenden bzw. sozial diskreditierten Menschen ein Verständnis des      jekt ausgehende Sichtweise menschlicher Aneignungstätigkeit zu
 durch die Herrschaft des Rechtes» ersetzt                                                                                                                                       Menschen als integrale Einheit seiner biologischen, psychischen      entfalten. Das bedeutet auch, Behinderung im wahrsten Sinne des
 wird, wie der Soziologe Zygmunt Bauman in                                                                                                                                       und sozialen Systeme und Wirklichkeit zu entfalten. Grösst mög-      Wortes als «Be-Hinderung» eines Menschen in seiner Lebenstätig-
 seinem Werk über die «Ausgegrenzten der                                                                                                                                         liche Heterogenität der Lerngruppen wäre gegen das zum Dogma         keit, in seinem Lernen und in seiner Entwicklung zu verstehen und
 Moderne», das er mit dem Titel «Verworfe-                                                                                                                                       geronnene Verständnis zu setzen, dass in homogenen Gruppen           zu begreifen, dass der behinderte Mensch unter den Ausgangs- und
 nes Leben» (2005, S. 124) versieht, im Kapi-                                                                                                                                    besser und leichter gelernt und gelehrt werden könnte. Gegen die     Randbedingungen seiner Lebensgeschichte ein kompetent han-
 tel «Abfall der Globalisierung» schreibt. Es                                                                                                                                    Selektion nach Leistungskriterien und deren Beantwortung mit re-     delndes Subjekt ist, auch wenn seine Handlungen uns grosse päda-
 geht nicht darum, dass die Integration den Verantwortlichen das       entwicklungslogischen Didaktik» zu verstehen ist. Sie ist Voraus-                                         duzierten und parzellierten Bildungsangeboten wäre die Koopera-      gogische und therapeutische Probleme aufwerfen.
 politische Handwerk abnimmt, sondern dass sie deutlich kenn-          setzung zur Schaffung eines inklusiven Erziehungs-, Bildungs- und                                         tion aller miteinander an einem «Gemeinsamen Gegenstand» in ent-        In gleicher Weise konstitutiv für eine entwicklungslogische
 zeichnet, was pädagogisch machbar ist und was politisch gemacht       Unterrichtssystems. Im Sinne einer programmatischen Analyse der                                           sprechend organisierten Lernfeldern zu setzen. Projektunterricht     Didaktik ist die auf der kategorialen Bildungstheorie der geistes-
 werden muss, damit das Pädagogische gemacht werden kann, so           Funktionszusammenhänge im selektierenden und segregierenden                                               und offene Lernformen in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen         wissenschaftlichen Pädagogik aufbauende «Allgemeinbildungskon-
 es gewollt wird. Dass es gewollt wird, wird die Anstrengungen vie-    Erziehungs-, Bildungs- und Unterrichtssystem kann exemplarisch

                                                                                                                                                                       Inserat
 ler gesellschaftlicher Gruppierungen erforderlich machen. So tut      aufgezeigt werden, dass die Selektion der Kinder und Schüler nach
 es gut, in den Statuten des Verbandes des Personals öffentlicher      normwertorientierten Leistungskriterien zum Ausschluss aus den
 Dienste (vpod) im Art. 3, Abs. (2) unter «Zweck und Ziel» zu lesen:   regulären Lernfeldern (oft auch aus den regulären Lebensfeldern)
 «Ziel des vpod ist eine demokratische Gesellschaft ohne Diskrimi-     und zur Segregierung in Sonderinstitutionen führt, wenn ein «son-
 nierung, in der die Entfaltung der schöpferischen Initiative aller    derpädagogischer Förderbedarf» festgestellt wird. Dies erfolgt in
 Menschen, die soziale Sicherheit, das Leben in einer gesunden         der Wahrnehmung von Behinderung als individuelle Kategorie in
 Umwelt und der Friede gewährleistet sind». Kehren wir nun aber        defekt- und abweichungsbezogener Weise. Dadurch werden die
 wieder zurück zu der inneren Problematik der Integration.             Kinder und Jugendlichen in Reduktion auf ihre vermeintlichen
                                                                       Defizite und Auffälligkeiten atomisiert und entsprechend in homo-
                                                                       genen Gruppen, die der diagnostizierten Art ihrer Behinderung

 2. Die pädagogische
                                                                       entsprechen, zusammengefasst, was sich im Sonderschulwesen in
                                                                       den verschiedensten Sonderschultypen wie im Regelschulwesen

 Kernfrage der Integration                                             in der Hierarchisierung der Schulformen ausdrückt – sie sind, wie
                                                                                                                                            Zeichnung: Ruedi Lambert

                                                                       ich bildlich sage, zu Stein gewordene Formen äusserer Differenzie-
 Es dürfte deutlich geworden sein, dass Integration im Fluss der Ge-   rung. Entsprechend werden den Schülern unseren Annahmen fol-
 schichte der Pädagogik als ein Prozess der Transformation eines       gend, was zu lernen sie in der Lage wären und von individuellem
 auf gleichberechtigte und gleichwertige Teilhabe aller an Bildung     wie gesellschaftlichen Nutzen sein könnte, entsprechend verengte
 für alle orientierten erziehungswissenschaftlichen Erkenntnisstan-    und parzellierte Bildungsangebote gemacht, also ein pädagogi-
 des in die pädagogische Praxis einer «Allgemeinen Pädagogik und       scher Reduktionismus praktiziert, der in Kombination mit der im

 12       vpod-bildungspolitik 160/09                                                                                                                                                                                                                                                      vpod-bildungspolitik 160/09   13
thema                                                                                                                                                                                                                                                                                                          thema

                                                                                                korrespondiert mit Vorstellungen über Ler-                                 eines Projekts wie die Äste eines Baumes vorstellen, die aus dessen     erfasst mich trotz der humanistischen Worte und Werte, auf denen
                                                                                                nen und Entwicklung die von einem heute                                    Stamm, entspringen, während die Wurzeln den heute vorliegenden          sie berechtigt basieren, grosse Sorge, die ich abschliessend in Be-
                                                                                                vorliegenden humanwissenschaftlichen Er-                                   Erkenntnisstand in den verschiedensten Wissenschaftsbereichen           zug auf einige Aspekte in Thesenform äussern und mit Wünschen,
                                                                                                kenntnisstand weit entfernt sind.                                          repräsentieren. Die Äste sind also nicht die traditionellen Unter-      ja Empfehlungen für die weitere Umsetzung verbinden möchte.
                                                                                                    Traditionelles Lehren und Lernen kann                                  richtsfächer. Sie charakterisieren vom Astansatz bis hin zur Astspit-       In Anbetracht der mit der «Neugestaltung des Finanzausgleichs
                                                                                                hinsichtlich seiner didaktischen Grund-                                    ze die Repräsentation des zu bearbeitenden Sachverhaltes auf den        und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen» – kurz NFA
                                                                                                legung im Sinne einer eindimensionalen                                     verschiedensten Entwicklungsniveaus, weshalb jeder Schüler mit          – verbundenen Strukturreform des Bildungswesens für Behinderte
                                                                                                Didaktik, die weitgehend nur der Sach-                                     jedem lernen und eine ihm adäquate Erkenntnis ausbilden kann.           ist man geneigt zu erwarten, dass der über mehr als drei Jahrzehn-
                                                                                                strukturanalyse der Lerngegenstände                                                                                                                te der Integrationsentwicklung und ihrer praktischen Umsetzung
                                                                                                verpflichtet ist, gekennzeichnet werden.                                                                                                           allein in den deutschsprachigen Ländern vorliegende Erkenntnis-
                                                                                                Auf der Basis der heute unbestreitbaren
                                                                                                Annahme, dass der Mensch das erkennen-                                     3. «Integrative                                                         stand, sowie der Forschungsstand im eigenen Land rezipiert wor-
                                                                                                                                                                                                                                                   den wäre und in den «Standards» einen konstruktiven Niederschlag
                                                                                                de Subjekt ist und die Erkenntnis in der
                                                                                                internen Rekonstruktion der erfahrenen                                     Sonderschulung?»                                                        gefunden hätte – dem ist nicht so! Im Spiegel dieser Erwartungen
                                                                                                                                                                                                                                                   erregt es Aufmerksamkeit, wenn Begriffe wie «integrative Sonder-
                                                                                                Welt liegt und nicht draussen in dieser,                                   Auf der Basis dieser Konzeption begannen wir mit dem Kinder-            schulung» nicht nur ab und an auftauchen, sondern in Fachkreisen
                                                                                                verhalten wir uns in der Pädagogik in ex-                                  gartenjahr 1982/83 in Bremen mit der Umsetzung der Integration,         Verständigungsmittel sind. Wie können derart widersprüchliche
                                                                                                tremer Weise anachronistisch. Die Leistun-                                 die sich über die Kindergärten hinweg nahtlos in die Schule und         Begriffe überhaupt in einen einheitlichen begrifflichen Zusammen-
                                                                                                gen beurteilen wir zum Beispiel weiterhin                                  dort von der Primarstufe in die Sekundarstufe hinein fortsetzte.        hang gebracht werden? Konträrer kann eine Formulierung im Feld
                                                                                                nach der Vollständigkeit der Rezeption der                                 Mitte der 1990er Jahre wurde diese als Vollintegration bezeichnete      der Integration im Grunde nicht sein. Man fühlt, wie zwei Domä-
                                                                                                Unterrichtsinhalte im Sinne des Wissens-                                   Entwicklung politisch beendet und in ein so genanntes Koopera-          nen (möglicherweise feindlich?) zu fusionieren scheinen: Die eine
                                                                                                standes und nicht am Erkenntnisprozess                                     tionsmodell überführt. Grenzen der Integration gibt es dann, wenn       skizzierbar als traditionell-separatistische Sonderpädagogik, die
                                                                                                und -gewinn, das heisst nicht danach, un-                                  Gesellschaft und Politik sie ziehen oder die Bildungsinstitutionen      andere als traditionell ausgrenzende (allgemeine) Pädagogik, wo-
                                                                                                ter welchen Bedingungen und in welcher                                     sich nicht entsprechend qualifizieren und verändern – sie liegen        bei diese ihrer Aussonderungspraxis wegen die Behinderten nicht
                                                                                                Qualität der Lernende sie in seinem Inne-                                  nicht in den als behindert oder nichtbehindert bezeichneten Kin-        kennt und die andere, der Separierung der Behinderten wegen kei-
 zeption» Klafkis. Mit ihr geht es um «Bildung für alle im Medium       ren durch handelnde Auseinandersetzung mit den Menschen und                                        dern und Schülern. Die integrative Kindergarten- und Schularbeit        ne Nichtbehinderten. Ist das Ganze nur ein Dilemma der Deskrip-
 des Allgemeinen» (Klafki 1996, S. 53), die in ihrer Zielperspektive    der Welt hervorgebracht hat, so, als gäbe es die Funktionen und                                    war streng an folgenden, sich bis heute bestätigenden Organisa-         tion, als die diese Begrifflichkeit anmutet? Ich meine Nein!
 die «Befähigung aller Lernenden zu Selbstbestimmung, Mitbestim-        Bedeutungen der Dinge für den Menschen an sich und nicht aus-                                      tionsprinzipien orientiert: Die Regionalisierung der Lernangebote           Nach Befassung mit den «Standards» und zahlreichen resultie-
 mung und Solidaritätsfähigkeit» (a.a.O., S. 52) anstrebt, was durch    schliesslich nur durch ihn selbst.                                                                 und die Dezentralisierung der Erfordernisse für Kinder und Schü-        renden Analysen und Kommentaren dazu bleibt mir ganz allgemein
 eine curriculare Orientierung an «epochaltypischen Schlüsselpro-                                                                                                          ler mit Lernproblemen, Behinderung und therapeutischen Be-              nur eine sehr nüchterne Feststellung: Die Standards sind formali-
 blemen» erfolgen soll, die «von gesamtgesellschaftlicher, meistens                                                                                                        darfen an die regulären Orte ihres Lernens, die Realisierung der        sierte Inhaltslosigkeit. Davon, dass es im Bereich von Erziehung,
                                                                        Überwindung des fächerorientierten Unterrichts
 sogar übernationaler bzw. weltumspannender Bedeutung» sind,                                                                                                               Elementar- und Schulpädagogik in multiprofessionellen Teams von         Bildung und Unterricht, aufbauend auf der vorobligatorischen Frü-
 «gleichwohl jeden einzelnen zentral betreffen» (a.a.O., S. 56). Es     Das lenkt den Blick auf die Tätigkeitsstruktur des Menschen. Durch                                 Regel- und Sonderschullehrern, Therapeuten und Assistenten, die         hen Bildung, wesentlich um die Ermöglichung eines Entwicklung
 wird deutlich, dass es um die Schaffung von «Mündigkeit» geht,         sie gewinnt Didaktik ihre entwicklungslogische Dimension, der die                                  im Sinne des Kompetenztransfers sich wechselseitig in gemein-           indizierenden Lernens gehen sollte, ist in den Standards, die aus
 die «Aufklärung» zur Grundlage hat und «Denken lernen» zum Ziel.       führende Rolle in der Planung und Durchführung von Unterricht                                      samer Verantwortung vor den Kindern und Schülern kompetent              der Sicht der Leistungserbringer erarbeitet wurden, aber nicht die
 Auch hier leuchtet die Notwendigkeit der Abkehr vom klassischen        zugestanden werden muss, da die Erkenntnis von Welt nur durch                                      machen und ihr Wissen an die jeweils anderen Teammitglieder             Rede. Es ist gleichwohl sinnvoll, wenn in Rückbezug auf wissen-
 Lehrplan zu Gunsten umfassender Projektarbeit auf, damit ein Ler-      die Tätigkeit des Subjekts konstituiert werden kann. Das heisst ver-                               transferieren und die integrierte Therapie; das heisst auch die the-    schaftlich gesicherte Erkenntnisse über Entwicklungsverläufe und
 nen realisiert werden kann, das Entwicklung induziert und primär       einfacht, der Stoff hat dem Schüler und nicht dieser dem Stoff zu                                  rapeutischen Erfordernisse sind in die curricular-didaktischen Vor-     das Lernen im Altersbereich 0-20 und unter Einbezug der sozialen
 auf Erkenntnisgewinn und nicht auf die additive Wissensvermitt-        dienen – wenn Lernen entwicklungsinduzierend sein soll, denn Ler-                                  haben in Kindergarten und Schule integriert zu realisieren. Die zen-    und ökonomischen Lage der Kinder und Jugendlichen Aufgaben
 lung angelegt ist, darauf also, das Lernen zu lernen. Lernen durch     nen findet stets in der «nächsten Zone der Entwicklung» (Vygotskij                                 trale Ressource des Ganzen ist aber die Bereitschaft zur eigenen        in Richtlinien gefasst werden, die zum einen die Bedarfslage der
 Kooperation am «Gemeinsamen Gegenstand» kann hier, um es nur           1987) statt. Und es wird deutlich: Der Stoff des Unterrichts hat kei-                              Veränderung, gleichwohl, ob sie als Lehrer, in der Schuladministra-     sich Bildenden deutlich skizzieren und zum anderen eine an dieser
 kurz zu erwähnen, beschrieben werden als Handeln, das über die         nen Wert an sich, sondern nur dadurch, dass er für den einen wie                                   tion oder der Bildungspolitik tätig sind, denn «Integration fängt in    orientierte hoch qualifizierte Umsetzung verlangen, um diesbezüg-
 Wahrnehmungstätigkeit und interne Konstruktion von Information         den anderen Schüler durch dessen Auseinandersetzung mit ihm                                        den Köpfen an» – in unseren! Die häufig geäusserte Aussage, dass        lich Beliebigkeiten und selektive Bevorzugungen bzw. Benachteili-
 Handlungen verändert, das heisst durch Sinnbildung und Bedeu-          entwicklungsfördernd ist. Das aber kann die gleiche Sache zum                                      man damit warten müsse, bis die Gesellschaft dazu bereit sei, weil      gungen zu minimieren. Aber davon ist nichts zu lesen! Wird dazu
 tungskonstitution Wissen generiert und Erfahrung gedächtnismäs-        gleichen Zeitpunkt für unterschiedliche Schüler nie sein. Damit ist                                es zuvor den Kindern nicht zumutbar sei, ist nicht mehr, denn eine      die Tatsache in Beziehung gesetzt, wie die Standards vom 01. Juli
 sig deponiert.                                                         im Grunde ein zielgleiches Lernen nach Massgabe der vermeintli-                                    perfide Scheinbegründung, alles zu belassen, wie es ist. Die Gesell-    2006 zu Beginn der Erläuterungen betonen, dass die Leistungser-
                                                                        chen Sachlogik eines Faches im Stundentakt des fächerorientierten                                  schaft bin ich, sind Sie, sind wir – nicht irgendwelche anonyme         bringer «im Sinne eines proaktiven Vorgehens selber definieren
                                                                        Unterrichts schlicht und einfach obsolet.                                                          Anderen. Integration ist auch kein Gnadenakt für Behinderte. Alle       können, was sie unter Qualität verstehen» (SZH 2006, S. 2), wird
 Wider eine eindimensionale Didaktik
                                                                           Das orientiert auf eine weitere didaktische Dimension, die zwi-                                 Kinder und Schüler profitieren umfassend (und mehr, als ich je zu       das Prinzip Ausschluss zum Strukturmoment – auch der Aus-
 Eine solche didaktische Konzeption erlaubt es im Feld der Integ-       schen der den Menschen grundsätzlich auf die Welt orientierenden                                   erwarten gedacht habe) vom gemeinsamen Lernen und Unterricht            schluss wissenschaftlicher und erfahrungsbedingter Erkenntnisse
 ration, dass alle Kinder und Schüler alles lernen dürfen, jede und     Tätigkeit und deren realen Wirklichkeit vermittelt – die Handlung.                                 in den affektiv-erlebnismässigen, emotionalen, motivationalen, so-      und der Betroffenen, was die Negation ihrer sozio-ökonomischen
 jeder auf ihre bzw. seine Weise lernen darf und alle die sächlichen    Sie ist durch bedürfnisrelevante Motive initiiert, Zielen unterwor-                                zialen und kognitiven Bereichen ihrer Persönlichkeitsentwicklung.       Lage, ihrer subjektiven Bildungsbedürfnisse und die humanwissen-
 und persönlichen Hilfen erhalten, derer sie bedürfen. Es gibt kei-     fen und damit auf die objektive Seite des Gegenstandes bezogen.                                                                                                            schaftliche Objektivierung dieser Aspekte einschliesst. Die «Selbst-
                                                                                                                                                Zeichnung: Ruedi Lambert

 ne integrationsfähigen oder nicht integrationsfähigen Kinder und       Damit dient die Sache in Umkehrung der bestehenden Verhältnisse                                                                                                            deklaration» als ein Element im Prozess des Qualitätsmanagements
                                                                                                                                                                           Das Integrationsverständnis
 Schüler, sondern allenfalls, wie ich sie nenne, «Integrationspäda-     – oder diese vom Kopf auf die Beine gestellt – primär der weiteren                                                                                                         (QM) kann nie alleine und ausschliesslich Qualität bestimmen. Das
 gogiken», die vor allem auf Grund ihrer organisatorischen und          Persönlichkeitsentwicklung des Schülers, seiner fortschreitenden                                   der aktuellen Reformen in der Schweiz                                   widerspricht allen Regeln, wie sie in der Qualitätssicherung inter-
 didaktischen Defizite, die – wie sich oft zeigt, ihrerseits in einem   Realitätskontrolle und sozial verantwortungsbewussten Emanzipa-                                    Blicke ich auf die Wege, die man hier zu Lande gehen möchte, wie        national praktiziert werden.
 traditionell orientierten Menschen- und Behinderungsbild veran-        tion. In ein Bild gefasst, können wir uns das Lernen am «Gemein-                                   sie zum Beispiel in den «Standards für die Sonderschulung (0-20)            In allen Verlautbarungen wird in besonderer Weise betont, dass
 kert sind – Integration nicht zu leisten vermögen. Das wiederum        samen Gegenstand» in zahlreichen Handlungszusammenhängen                                           aus der Sicht der Leistungserbringer» exemplarisch aufscheinen,         «im sonderpädagogischen Bereich integrierende Massnahmen den

 14       vpod-bildungspolitik 160/09                                                                                                                                                                                                                                                   vpod-bildungspolitik 160/09   15
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