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nr. 160 Juli 2009 Die Umsetzung des Sonderschulkonkordats Integration braucht Reform der selektiven Regelschule Schule vom Kind her denken Eine Schule für alle.
inhalt editorial bücher 24 Neue wissenschaftliche Literatur zur Berufsbildung Ein Überblick über Publikationen zur Entwicklung der Berufsbildung in der Schweiz. aktuell 27 Der unternommene Mensch 32 Haben Lehrer versagt, wenn Teenager schwanger werden? Eine aktuelle Studie untersucht Eindimensionalisierungsprozesse des Sexuelle Aufklärung ist wichtiger denn je. Sozialen, des Politischen und der Bildung. Schule und Fachleute können dabei die thema Eltern unterstützen. Eine Schule für alle. 28 Schule vom Kind her denken 34 So werden Kinder und Jugendliche M Im Oktober 2007 wurde das Sonder- Remo Largos und Martin Beglingers neues it der «Interkantonalen Vereinba- Dass sich etwas tut in Richtung Integration zeigen auch zu Handyprofis rung über die Zusammenarbeit im Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte im Sinne des schulkonkordat verabschiedet. Damit Buch «Schülerjahre». ergeben sich neue Möglichkeiten für die Ein Projekt von pro juventute vermittelt Bereich der Sonderpädagogik» – Masters «Integrative Förderung» an der PHZ Luzern Integration von Kindern und Jugendlichen Kompetenzen für den Umgang mit Handys. kurz auch «Sonderschulkonkordat» (S. 23) oder etwa die Arbeit an den Schulen mit Instru- mit Behinderungen in der Regelschule. oder «Sonderpädagogikkonkordat» menten wie dem «Index für Inklusion» (S. 18). film genannt – soll die Integration von nachruf Allen Bemühungen sind jedoch enge Grenzen gesetzt, 4 Eine Schule für alle. 29 Kindern beim Lernen zusehen Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in die wenn sich die Regelschule nicht insgesamt verändert. 36 Hans Hehlen Rahmenbedingungen für Reinhard Kahls Film «Kinder» zeigt Regelschule gefördert werden. Dieses Ziel ist weitge- Georg Feuser hält in seinem Beitrag «Durch Integration 38 Vreni Heer integrative Schulen Lernfreude und Lernbegeisterung. hend unbestritten. zur inklusiven Schule!» ein eindrückliches Plädoyer für Der vpod fordert ausreichende Mittel Wie kommt es aber, dass in der Neuen Zürcher Zei- die Abschaffung von Selektion und die Überwindung nachlese zur Finanzierung der Reform sowie eine 30 Wasser, Privatisierung und Tourismus. tung vom 17. Juni 2009 Riccardo Bonfranchi, Leiter eines fächerorientierten Unterrichts durch «koopera- Verbesserung der Arbeitsbedingungen. 39 Erwiderung auf Thomas Ragnis der Heilpädagogischen Schule Zürich, schreibt, dass tives Lernen» und eine «entwicklungsniveaubezogene Das blaue Gold 6 Reform der Sonderschulung Artikel «Unerbittlicher Wettlauf im die «in der Deutschschweiz stattfindende Integration Individualisierung» des Unterrichts (S. 8-17). Damien de Pierponts Film über die Bildungswesen» in «bildungspolitik» im Kanton Waadt von geistig behinderten Kindern in den Regelschulbe- «Schule vom Kind her denken», so Susi Oser in ihrer Bedeutung von Wasser für Marrakesch. 158/09 reich» (B 9) deren Würde verletze? Die Kinder würden Rezension des neuen Buches von Remo Largo und 7 Umsetzung des nicht mehr die in «Heilpädagogischen Sonderschulen» Martin Beglinger, bedeutet eine Individualisierung von Sonderschulkonkordats mögliche optimale Förderung erhalten und in die Rolle Lernprozessen, bei der die Kinder ihren Stärken und in Freiburg des Aussenseiters gedrängt. Überfordert durch Leis- Neigungen entsprechend gefördert werden und ihnen tungsdruck, müssten sie an der Regelschule notwendig durch Lernerfolge ein positives Selbstwertgefühl vermit- 8 Eine Schule für alle. Durch scheitern. Zudem würde die Separation von Behinder- telt wird (S. 28-29). Das aktuelle Heft und die früheren Integration zur inklusiven Schule! Ausgaben sind auf unserer homepage ten und Nichtbehinderten durch eine derartige Inte- Während an einer selektiven Regelschule tendenziell Die Integrationsprozesse auf dem Weg zu zu finden: grationspraxis noch verstärkt, da schwer- und mehr- die Würde aller Kinder bedroht wird, bilden derartige einer inklusiven Schule erfordern den Bruch www.vpod-bildungspolitik.ch fachbehinderte Kinder von dieser Form von Integration Ansätze eine pädagogische Grundlage für die Verwirk- mit dem selektiven Schulsystem und dem Dort sind auch weitere Infos und Tipps ausgenommen blieben und so noch stärker separiert fächerorientierten Unterricht. lichung «Einer Schule für alle», die dem individuellen sowie der Inseratetarif einzusehen. würden. Recht der Kinder auf Bildung gerecht wird. Impressum Es wird deutlich, dass die entscheidende Frage ist, 18 Vielfältige Nutzung des Index für unter welchen Bedingungen die Integration geschieht. Inklusion zur Schulentwicklung Liest man die einzelnen Beiträge des Themenschwer- Redaktion / Koordinationsstelle: Erscheint 5 x jährlich Birmensdorferstr. 67, Postfach 8279, 8036 Zürich Redaktionsschluss Heft 161: 3. August 2009 punkts «Eine Schule für alle» in dieser Nummer der 19 Stolpersteine auf dem Weg zur Tel. 044 266 52 17 Auflage Heft 160: 3’500 Exemplare vpod bildungspolitik, so gibt es viele Berührungspunkte Fax 044 266 52 53 Zahlungen: mit der Kritik Bonfranchis, ohne dass dabei jedoch inklusiven Schule in der Schweiz mail: johannes.gruber@vpod-bildungspolitik.ch PC 80 - 69140 - 0, vpod bildungspolitik, Zürich Trotz fehlendem Widerstand gegen das seine Folgerungen geteilt werden. Im Gegenteil werden Johannes Gruber Homepage: www.vpod-bildungspolitik.ch Inserate: Gemäss Tarif 2006; die Redaktion kann die Sonderschulkonkordat werden der Integration Herausgeberin: Trägerschaft im Rahmen des vpod Aufnahme eines Inserates ablehnen. die Integrationsdefizite in der Absicht kritisiert, diese Redaktor im selektiven Schweizer Schulsystem enge Einzelabonnement: Fr. 40.– pro Jahr (5 Nummern) zu beheben. vpod-bildungspolitik Grenzen gesetzt. Was tun? Einzelheft: Fr. 8.– Redaktion: Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Die vpod-Verbandskommission Bildung, Erziehung und Kollektivabonnement: Sektion ZH Lehrberufe; Johannes Gruber Lehrberufsgruppen AG, BL, BE (ohne Biel), LU, SG. Redaktionsgruppe: Christine Flitner, Markus Holen- Wissenschaft fordert ausreichende finanzielle Mittel 23 Der Weiterbildungsmaster Satz: erfasst auf Macintosh stein, Werner Kallenberger, Ruedi Lambert (Zeichnun- und pädagogische Konzepte, bei denen die individuelle Integrative Förderung (MAS IF) Gestaltung und Layout: Sarah Maria Lang, New York gen), Urs Loppacher, Thomas Ragni, Ruedi Tobler heilpädagogische Förderung eine Schlüsselrolle spielt Titelseite: Zeichnung Ruedi Lambert Beteiligt an Heft 160: Bruno Achermann, Catherine (S. 4-6). Eine solche Verbesserung der Rahmenbedin- der PHZ Luzern Druck: Ropress, Zürich Aubert Barry, Philippe Blanc, Ines Boban, Bernard gungen für integrative Schulen ist zwingend erfor- Gasser, Ivo Grossrieder, Ruth Gurny, Andreas Hinz, Susi Oser, Peter Sigerist, Etienne Steiner, Pius Wid- derlich. Auf dem Weg zur Integration sind, wie Ruedi mer, Christian Urech, Sybille Zürcher Tobler schreibt, noch viele «Stolpersteine» zu bewälti- gen (S. 19-22). 2 vpod-bildungspolitik 160/09 vpod-bildungspolitik 160/09 3
thema Eine Schule für alle. lungsprozess, mit welchem die obligatori- Arbeitsbedingungen Teamarbeit muss bezahlte Arbeitszeit zur sche Schule grundlegend umgebaut wird. Verfügung stehen. Die notwendigen Instrumente dafür sind Die Lehrpersonen sind die wichtigsten Ak- Die Integration darf nicht ausschliesslich in anderen Ländern bereits entwickelt und teure bei der Umsetzung der integrativen die Sache der heilpädagogischen Fachkraft eingesetzt worden.2 Schulen. Ob die Integration gelingt, hängt sein, alle Lehrkräfte müssen dabei mitwir- Rahmenbedingungen für Finanzielle und administrative Voraussetzungen massgeblich von den Rahmenbedingungen und der Unterstützung ab, die sie erhalten. Die bisherigen Kleinklassenlehrkräfte ken. Die HeilpädagogInnen und andere För- derlehrkräfte müssen voll in die Teams inte- integrative Schulen Für die Umstellung der heutigen Volks- schulen auf integrative Schulen braucht müssen in die Regelschulen überführt wer- den. Das Wissen und die langjährige Er- fahrung der Kleinklassenlehrkräfte dürfen griert werden. Es müssen kantonale Fachstellen (Kom- petenzzentren) eingerichtet werden, bei es ausreichend finanzielle Mittel, insbe- nicht verloren gehen, und ihre Stellen dür- welchen Lehrkräfte, Schulen und Gemein- sondere für Team-Teaching, Angebote in fen nicht abgebaut werden. den informiert und beraten werden. Zur interkultureller Pädagogik, heilpädagogi- Beim Unterricht muss eine Binnendif- Aufgabe dieser Fachstellen gehört es unter schen Unterricht, Deutsch als Zweitspra- ferenzierung möglich sein (integrierter heil- anderem, über Beispiele für gelungene in- Christine Flitner, vpod Zentralsekretärin für Bildung, Erziehung, Faktisch haben aber schon weit mehr Kantone mit der che, Zusatz- und Spezialunterricht sowie pädagogischer Unterricht, Zusatzlektionen tegrative Schulen zu informieren und den Wissenschaft Umsetzung begonnen und teilweise auch schon eigene Supervision und Coaching. Auf keinen Fall für Team-Teaching, Mitarbeit von Assistie- Austausch unter den involvierten Personen Integrationsgesetze verabschiedet. Die Ratifizierung des darf die vorgesehene Integration zu einem renden). zu fördern. Das Sonderschulkonkordat – genauer: Die Interkantona- Konkordats scheint daher in diesem Fall nur eine formale Sparprogramm werden. Besonders in der Die Klassengrösse und -zusammenset- Ausserdem müssen zusätzliche Ressour- le Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Einführungsphase müssen von Kantonen zung muss vom Anteil an Kindern mit be- cen für Projektentwicklung zur Verfügung Angelegenheit zu sein, und im Gegensatz zum HarmoS- Sonderpädagogik – wurde im Oktober 2007 verabschie- und Gemeinden zusätzliche Mittel zur Ver- sonderen Bedürfnissen abhängig sein. Die stehen. Konkordat, welches in der Zwischenzeit weitreichende det. Das Konkordat tritt in Kraft, wenn 10 Kantone bei- fügung gestellt werden, damit die Umstel- Pflichtstundenzahl muss gesenkt werden. Es müssen ausreichend Ressourcen für Opposition hervorruft, trifft die Sonderschulvereinbarung lung tatsächlich gelingt. Die Zusammenarbeit von Lehrkräften, die Fortbildung der Lehrkräfte zur Verfü- getreten sind, frühestens aber auf den 1. Januar 2011. kaum auf offenen Widerstand. 2 Vgl. zum Beispiel International Classification of Function ICF Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, Spe- gung stehen. Bis dahin läuft eine vom Bundesparlament beschlossene Die Erfahrungen der betroffenen Lehrpersonen in den sowie den Index für Inklusion: http://www.eenet.org.uk/index_in- ziallehrkräften und anderen Fachpersonen Die Räumlichkeiten müssen den Anfor- Übergangsfrist. Während dieser Zeit müssen die Kanto- Kantonen sind allerdings sehr unterschiedlich. Offenbar clusion/Index%20German.pdf (siehe auch den Artikel von Boban/ muss institutionalisiert werden; für diese derungen angepasst werden. HInz in diesem Heft, S. 18) ne für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen (das gibt es eine Reihe von Kantonen, welche die verordne- heisst für die bisherigen IV-Versicherten) in Qualität und te Integration im Hauruck-Verfahren ohne ausreichende Umfang die Angebote gemäss IV-Gesetzgebung gewähr- Begleitmassnahmen umsetzen. Andere versuchen an den leisten. In den meisten Kantonen liegt der Entscheid für vorhandenen Erfahrungen mit Integrationsschulen anzu- den Beitritt beim kantonalen Parlament und dieser Be- knüpfen. schluss unterliegt einem fakultativen Referendum. Die vpod-Verbandskommission Bildung, Erziehung und Bisher haben die Kantone Obwalden, Schaffhausen, Wissenschaft hat sich verschiedene Male mit den vorge- Wallis und Genf ihren Beitritt definitiv beschlossen. In sehenen Reformen auseinandergesetzt und die Folgen für Luzern und Uri wurde der Beitritt durch das Parlament die obligatorische Schule diskutiert. Der untenstehende entschieden, die Referendumsfristen sind aber noch nicht Artikel fasst die wichtigsten Punkte der Diskussion zu- abgelaufen. sammen. Integration als Weg und Ziel Z weifellos handelt es sich bei der se in Finnland – keine Selektion gibt. Das vorgesehenen Integration um eine heisst: Damit die Jahrhundertreform gelin- Grundsätzlich heisst Integration, dass Kin- der grundlegendsten Reformen, gen kann, braucht es auch eine Reform der dergärten und Schulen so gestaltet wer- welche die Schweizer Volksschule Sekundarstufe 1, nämlich die Aufhebung den, dass jedes Kind seinen individuellen je gesehen hat. Sie stellt eine grosse Chan- der jetzigen Unterteilung in verschiedene Voraussetzungen gemäss gefördert und ce dar, dass aus unserem aussondernden Leistungsniveaus. unterrichtet werden kann. Das Ziel kann Schulsystem ein einschliessendes System Darüber hinaus gibt es eine ganze Rei- also nicht die Integration von einzelnen be- wird, welches Bildungschancen und Ent- he von Rahmenbedingungen, die gegeben hinderten Kindern in eine Regelklasse sein, wicklungsmöglichkeiten für alle bietet. sein müssen, wenn die Reform gelingen sondern es geht um die Entwicklung einer Allerdings steht dem eine grosse Hür- soll. Nicht zuletzt müssen Kantone und Ge- Schule für alle Kinder mit ihren je individu- Zeichnung: Ruedi Lambert de entgegen, nämlich die Selektivität der meinden die notwendigen Mittel für die In- ellen Voraussetzungen und Bedürfnissen.1 Schule. Eine selektive Schule, wie sie in tegration bereitstellen. Schon jetzt wird die Wird die Integration ernst genommen, dann der Schweiz besteht, kann niemals wirklich grosse Heterogenität an den Schulen kaum handelt es sich um einen Schulentwick- integrativ werden. Und umgekehrt: Echte oder gar nicht bewältigt und die Schule ist 1 Vgl. dazu zum Beispiel die Ausführungen von Prof. Georg Integration in der obligatorischen Schule nicht ausreichend für ihre Aufgaben ausge- Feuser «Integrative Schule – eine Schule für alle» in diesem ist nur möglich, wenn es – wie beispielswei- stattet. Heft, S. 8-17. 4 vpod-bildungspolitik 160/09 vpod-bildungspolitik 160/09 5
thema thema Bei Bedarf muss es im Schulhaus medi- zwischen Schulen und Hochschulen. «Heimatliche Sprache und Kultur HSK»). tablen Bedingungen zu Zwischenfällen, zinisches Personal für die medizinische und Für Regellehrkräfte, die eine heilpäda- Ausserdem ist es notwendig, dass auch die die sich teilweise schwerwiegend auf die körperliche Versorgung der Kinder geben. gogische Ausbildung machen, müssen ver- Nahtstellen und Übergänge in die nachob- Gesundheit und die Motivation der Lehr- kürzte Ausbildungswege angeboten werden. ligatorische Ausbildung angesehen werden personen wie auch auf die Entwicklung der Im Hinblick auf das starke Anwachsen der und Konzepte dafür entwickelt werden. betroffenen Kinder auswirken. Aus- und Weiterbildung schulischen Tagesbetreuungsangebote Im Zusammenhang mit der Reform der D Die Ausbildungen der zukünftigen Lehr- müssen auch hier integrative Konzepte ie Integration von Kindern mit beson- Sonderschulung hat der Kanton Waadt personen müssen an die neuen Herausforde- entwickelt und die Ausbildungsgänge über- deren Bedürfnissen in die Regelschu- eine Kommission gegründet, die alle Akteu- rungen angepasst werden. Integrationspäd- dacht werden. Es braucht entsprechende len ist eine grosse Herausforderung re des Bereichs einschliesslich dem vpod agogische Inhalte müssen in die allgemeine Weiterbildungsangebote für Sozialpädago- und eine grosse Chance für alle Beteiligten. versammelt. In diesem Rahmen wurde eine Lehrpersonenausbildung einfliessen. gInnen und ErzieherInnen. Wenn die notwendigen Voraussetzungen Gruppe beauftragt, ein pädagogisches Kon- Insbesondere muss für alle Dozierenden gegeben sind, könnte sie zu einer der wich- zept zu entwerfen. Dieses Konzept, zu dem und Studierenden in Aus- und Weiterbil- dung deutlich werden, dass es in Zukunft keine homogenen Gruppen und Jahrgangs- Strukturelle Rahmenbedingungen tigsten Reformen der Schule überhaupt werden. Allerdings sieht es im Augenblick noch mehr als 100 Personen beigetragen haben, liegt nun nach zwei Jahren vor. Der Bericht ist jetzt in den Händen einer Pilotgruppe, Umsetzung des klassen mehr geben wird. Es braucht eine Weiterbildungsoffensi- Eine Reihe von Reformen oder Reformvor- schlägen der letzten Jahre unterstützt die nicht so aus, als ob diese Chance in den Kantonen wirklich wahrgenommen wür- welche auf dieser Basis einen Vorschlag zur organisatorischen und finanziellen Um- Sonderschulkonkordates ve für alle Lehrkräfte, welche diese auf die neue Struktur der Schule vorbereitet. Dafür müssen ausreichend Ressourcen (Zeit und Integration an der Schule und sollte daher dringend vorangetrieben werden. Tagesstrukturen, insbesondere Tages- de. An vielen Orten sind die Bedingungen unbefriedigend oder sogar richtiggehend schlecht, so dass die betroffenen Lehrper- setzung erarbeiten soll. Die Reform steht noch ganz am Anfang, aber es gibt schon einen starken Druck von in Freiburg Geld) zu Verfügung gestellt werden, sowohl schulen, müssen zügig ausgebaut werden. sonen und Fachkräfte als wichtigste Akteu- Seiten der Verwaltung, die Integration von Philippe Blanc bleiben, um im richtigen Moment die Hand- für Weiterbildungen an den PHs also auch Die Einführung der Basisstufe und der re zunehmend skeptisch werden. Schülern und Schülerinnen mit besonde- bremse ziehen zu können. Viele sind der U an den einzelnen Schulhäusern. Mehrjahrgangsklassen muss sorgfältig eva- Es ist daher dringend notwendig, dass ren Bedürfnissen überstürzt umzusetzen, m die NFA (Neugestaltung des Meinung, dass sie keinen Einfluss auf den Es braucht gezielte Aus- und Weiterbil- luiert werden, insbesondere auch im Hin- die ErziehungsdirektorInnen die Integrati- ohne pädagogisches Projekt und ohne vor- Finanzausgleichs und der Aufga- Ausgang der Reform haben. dungen für die Schulleitungen ebenso wie blick auf ihren Nutzen für die Integration. on als Jahrhundertreform begreifen und die herige organisatorische Massnahmen. Die benteilung zwischen Bund und 2. In den Arbeitsgruppen zeigen sich Pro- für die heilpädagogischen Fachkräfte. Der Unterricht anderssprachiger Kinder notwendigen Ressourcen dafür zur Verfü- Lehrpersonen stehen also ohne Mittel und Kantonen) und das Sonderschul- bleme wie sie traditionell aus tripartiten Es braucht klare Aufträge der EDK an die in ihrer Erstsprache muss vollständig in die gung stellen, damit diese Reform erreicht, ohne die nötige Vorbereitung vor der Auf- konkordat umzusetzen hat der Kanton Frei- Kommissionen bekannt sind. Das Kräfte- PHs zur Aus- und Weiterbildung. Ausser- Schule integriert werden (unter Einbezug was sie erreichen könnte: eine echte Schule gabe, die Schülerinnen und Schüler aufzu- burg eine breite Reform des Sonder- und verhältnis steht zu Ungunsten der Arbeit- dem braucht es eine enge Zusammenarbeit der existierenden Strukturen im Bereich für alle. nehmen. Daraus entstehen sehr unbefriedi- Regelschulwesens initiiert. Dazu wurden nehmenden. Meist sind VertreterInnen der gende Situationen für Lehrpersonen, Eltern eine Steuergruppe und insgesamt 14 Ar- Administration und ArbeitgeberInnen in und SchülerInnen. beitsgruppen gebildet. 116 Personen sind der Überzahl und besser organisiert. Es ist Im vpod wurde eine interprofessionelle an der Erarbeitung beteiligt. Dazu zählen somit schwierig, die wichtigen Standpunkte Gruppe von ca. 20 Personen vom Sekti- VertreterInnen des Staates, ExpertInnen, des Personals einfliessen zu lassen. onskomitee beauftragt, die Reform zu ver- ArbeitgeberInnen und PersonalvertreterIn- 3. Für den vpod Region Freiburg besteht folgen. Diese Gruppe hat eine Reihe von nen. Auch der vpod Region Freiburg nimmt die Schwierigkeit darin, dass unser Organi- dringenden Massnahmen vorgeschlagen, aktiv an den Arbeitsgruppen teil. sationsgrad im Bereich der Regelschul- und um die Situation zu stabilisieren. Insbeson- Unabhängig und unkoordiniert erarbei- Sonderschullehrpersonen relativ gering ist. dere fordert sie mit Nachdruck, dass keine ten die Arbeitsgruppen Einschätzungen Zudem erscheinen unsere Positionen den Reform der Integrationsmassnahmen stattfinden, ohne dass zuvor ein pädagogisches Projekt dis- und Vorschläge zu Reformschwerpunkten wie «Leistungsverträge», «Privatanbieter», kantonalen (meist korporatistischen) Be- rufsverbänden rasch zu radikal. Sonderschulung im kutiert und bei den involvierten Fachperso- «Kompetenzzentren» «Qualitätsevaluati- Der vpod Region Freiburg schätzt die Si- nen etabliert wurde und ohne dass die nöti- on» usw. Ende dieses Jahres soll von der tuation folgendermassen ein: Der Staatsrat gen finanziellen Mittel und Stellenprozente Steuergruppe ein Schlussbericht vorgelegt weiss genau, worauf er mit der Reform hin- Kanton Waadt bereitgestellt wurden. Ausserdem fordert der vpod offiziell, dass Verhandlungen über die Frage der Ar- werden, welcher das neue Konzept zur Sonderschulung vorstellt. Bisher liegen verschiedene Zwischenberichte vor. Paral- aus will. Sicherlich besteht ein Interesse daran, die Integration zu fördern. Unter die- sem Deckmantel soll jedoch auch gespart Julien Eggenberger, Präsident vpod Vaud-Etat stellt daher eine wichtige Änderung dar. Ghettoklassen, die administrativen Auf- beitsbedingungen stattfinden. Unter ande- lel zur Arbeit in den Arbeitsgruppen wurde und rationalisiert werden. Dies realisiert Aus der Sicht des vpod bietet sich die gaben für die Lehrpersonen wachsen und rem braucht es Zeit für Absprachen und das Personal anlässlich verschiedener In- das Personal mehr und mehr. Die zahlrei- I m Kanton Waadt weist der Bildungsbe- Gelegenheit, eine Schule für alle zu schaf- das Hilfspersonal ist teilweise nicht ausge- Team-Unterricht, das Pensum der Regel- formationsveranstaltungen durch Staatsrä- chen Arbeitsgruppen sind bewusst so orga- reich eine Reihe von Besonderheiten fen und das Funktionieren der Schule zu bildet. Es müssten sehr schnell konkrete schul-Lehrpersonen (28 Lektionen) muss tin Isabelle Chassot informiert. nisiert, dass eine ganzheitliche Sicht der auf: Insbesondere gibt es einen hohen verbessern. Gleichzeitig stellen sich wich- Massnahmen ergriffen werden. dem der Sonderschul-Lehrpersonen (25 Auf verschiedenen Ebenen treten jedoch Dinge verunmöglicht wird. Alle sollen sich Anteil von Schülern und Schülerinnen, tige Fragen in Bezug auf die Arbeitsbedin- Der vpod Region Waadt möchte verhin- Lektionen) angepasst werden, die Modali- Schwierigkeiten auf: in Details verlieren. Wir denken, dass die Zeichnung: Ruedi Lambert Zeichnung: Ruedi Lambert die nicht in die Regelschule integriert sind, gungen, und die aktuellen Probleme bei der dern, dass die aktuelle chaotische Situation täten für Team-Unterricht und Unterstüt- 1. Das Personal beklagt sich darüber, dass wichtigen Entscheidungen bereits gefallen die Entscheidungsabläufe sind sehr kom- Umsetzung wecken Befürchtungen für die dazu führt, dass sich die engagierten Perso- zung im Klassenzimmer müssen geklärt laufend Entscheidungen getroffen werden sind und dass die Arbeit der Arbeitsgrup- pliziert und heilpädagogische Leistungen Zukunft. Tatsächlich sind zahlreiche Lehr- nen entmutigen lassen und der Integration werden, und es braucht qualifizierte Hilfs- über die sie nicht genügend informiert wur- pen sich in vielen Fällen als Alibiübungen werden überwiegend von privaten Einrich- personen schon jetzt überlastet und sehr von Kindern mit besonderen Bedürfnissen kräfte. den. Allgemein wird die Reform von vielen entpuppen wird. Zurzeit ist es jedoch un- tungen im öffentlichen Auftrag erbracht. beunruhigt, denn die Integration geschieht in die Regelschule zunehmend mit Skepsis als bedrohlich wahrgenommen. Es sei zu möglich eine präzise Gesamtbeurteilung Die Umsetzung des Sonderschulkonkordats ohne pädagogisches Konzept, es entstehen begegnen. Im übrigen führen die unakzep- komplex und zeitlich schwierig am Ball zu abzugeben. 6 vpod-bildungspolitik 160/09 vpod-bildungspolitik 160/09 7
thema thema Eine Schule für alle. Georg Feuser Prof. Dr. Georg Feuser, Jg. 1941, Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschullehrer, Sonderschulrektor a.D., war M it den nachfolgenden Ausführungen möchte ich meine Einschätzung des Entwicklungsstandes der Integrati- von 1978 bis 2006 Professor für Behindertenpädagogik Durch Integration zur an der Universität Bremen. Er vertritt in Forschung und on, die für eine fachlich gelingende Integration notwen- Lehre die Bereiche «Behindertenpädagogik, Didaktik, digen Momente, aber auch meine Sorge zu den in der Therapie und Integration bei geistiger Behinderung und Schweiz mit dem Begriff der Integration intendierten Entwicklun- schweren Entwicklungsstörungen». Schwerpunkte sind u.a. gen thematisieren. Dies als jemand, der die Entwicklung der Inte- «Pädagogik und Therapie bei Menschen mit Autismus- inklusiven Schule! gration im internationalen und seit deren Beginn im deutschspra- Syndrom» und «Allgemeine (integrative) Pädagogik und chigen Raum vor nun mehr als drei Jahrzehnten nicht nur verfolgt, entwicklungslogische Didaktik». sondern sehr zentral mit initiiert, human- und erziehungswissen- Zahlreiche Veröffentlichungen, der Aufbau einer schaftlich wie konzeptionell weit vorangetrieben und in Bremen Fachzeitschrift «Behindertenpädagogik» und deren – ausgehend von der Frühen Bildung im Kindergarten – weit länger Schriftleitung über 18 Jahre, die Herausgabe von zwei Um das reformpädagogische Ziel einer inklusiven Schule zu erreichen, sind vielfältige Integrationsprozesse als zwei Jahrzehnte verfolgt und mehr als ein Jahrzehnt umgesetzt Buchreihen und eines Jahrbuches der Behindertenpädagogik und wissenschaftlich begleitet hat. Aus dieser Perspektive lässt (zusammen mit W. Jantzen) sowie Mitherausgeber vonnöten. Insbesondere ist dies nur durch einen Bruch mit dem bestehenden selektiven Schulsystem, die eines 10-bändigen Enzyklopädischen Handbuches der Überwindung des fächerorientierten Unterricht sowie den Rückgriff auf eine entwicklungslogische Didaktik der Begriff der Integration wie das damit verbundene fachliche An- Behindertenpädagogik zur Thematik «Behinderung, möglich. Die aktuellen Reformen in der Schweiz laufen dagegen Gefahr, Selektion lediglich zu verlagern und liegen im Feld des Erziehungs-, Bildungs- und Unterrichtssystems Bildung, Partizipation» (zusammen mit Iris Beck, Wolfgang keine andere Bestimmung zu, als die Schaffung «einer Schule für neue Spaltungen zu erzeugen, anstatt die Regelschule strukturell zu verändern. Jantzen und Peter Wachtel) und Gastprofessuren an den alle». Universitäten Innsbruck, Klagenfurt, Wien und Zürich dokumentieren eine breite Forschungsarbeit in Theorie und Praxis. 1. Eine Schule für alle!? – Prof. Dr. Feuser entwickelte im Rahmen der vorstehenden Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte eine umfassende Zur Positionierung der Konzeption einer «Allgemeinen Pädagogik», die eine integrative Erziehung und Unterrichtung aller behinderten Integration Kinder (also unabhängig von Art und/oder Schweregrad der Behinderung) in Regelkindergärten und Regelschulen erlaubt. Er hat diese über 10 Jahre auch in der Mit der Bestimmung von Integration als «eine Schule für alle» wird, Elementarerziehung und Frühen Bildung in Kindergärten und mit Bezug auf die Wirklichkeit, wie man sagen könnte, ein grosses dem Unterricht der Primarstufe und Sekundarstufe I erprobt Wort gelassen ausgesprochen. Selbst im vierten Jahrzehnt der und wissenschaftlich begleitet. Entwicklung der Integration im deutschsprachigen Raum ist ein In seiner pädagogisch-therapeutischen Praxis befasst er solches Verständnis – es drängt mich, zu sagen – noch Lichtjahre sich seit drei Jahrzehnten – mit dem Ziel weitestgehender davon entfernt, Allgemeingut zu werden, weshalb ich mir erlaube, Integration – mit Fragen der Krisenintervention, Therapie auch ein Fragezeichen hinter diese Bestimmung zu setzen. Dies und der Rehabilitation von Kindern, Jugendlichen und nicht, um zu meiner Aussage, dass sie die einzig fachlich richtige Erwachsenen mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (z.B. und gesellschaftlich wie politisch vernünftige ist, auf Distanz zu ge- Autismus und schwersten selbstverletzenden, stereotypen, hen, sondern um zu betonen, dass die Jahrzehnte der Umsetzung aggressiven und destruktiven Verhaltensweisen), mit schweren geistigen (z.B. Koma, Apallisches Syndrom) und des Integrationsgedankens in die Praxis pädagogischer Felder eine psychischen Beeinträchtigungen/Behinderungen (z.B. im Geschichte höchster Kontinuität der Verhinderung eines solchen Grenzbereich zur Psychose). Für diese Personen entwickelte reformpädagogischen Anliegens ist. Und dies führt schon zu der er mit der «Substituierend Dialogisch-Kooperativen Frage, der noch nachzuspüren sein wird, ob man denn wirklich Handlungs-Therapie (SDKHT)» eine subjektorientierte, will, was man da sagt. Das soll das Fragezeichen symbolisieren. auf die Rehistorisierung der Betroffenen orientierte basistherapeutische Konzeption, unter deren Einsatz auch mit als «austherapiert», «therapieresistent» oder «nicht Zwei verschiedene Formen von Integration mehr förderbar», «nicht mehr rehabilitierbar» bzw. «nicht In einer ersten groben Einschätzung könnte man festhalten, dass gemeinschaftsfähig» geltenden Personen gearbeitet werden zwei Herangehensweisen an die Integration konkurrieren. Im Sinne kann und diese selbst wieder handlungsfähig werden und einer «äusseren Reform» werden behinderte Kinder und Schüler je selbstbestimmter und unabhängiger von Hilfe leben können. nach Art und Schweregrad ihrer Behinderung für die Integration in einen Regelkindergarten oder in den Unterricht einer Regelschule Schüler unabhängig von Art und Schweregrad ihrer Beeinträchti- selektioniert, dort anhand unterschiedlicher Lehrpläne für behin- gung in das «kooperative Lernen an einem ‹Gemeinsamen Gegen- derte und nichtbehinderte Schüler zieldifferent unterrichtet und stand›» einbezogen; dies durch innere Differenzierung anhand ent- Zeichnung: Ruedi Lambert damit Formen äusserer Differenzierung und der im gegliederten wicklungsniveaubezogener Individualisierung des «Gemeinsamen System bestehende Bildungsreduktionismus fortgeschrieben. Es Gegenstands». Das kann ein Kindergarten und eine Schule für alle wird nur zu lernen angeboten, was man glaubt, dass jemanden ler- konstituieren, wenn darüber hinaus bei allen Verantwortlichen und nen kann, ohne zu wissen, was jemand lernen kann – und lernen Betroffenen die Bereitschaft besteht, Lehren und Lernen in Projek- will! Das gegliederte Schulsystem bleibt folglich unangetastet. Im ten, vorhabenorientiert und in jahrgangsübergreifenden Gruppen Sinne einer «inneren Reform» werden alle behinderten Kinder und und Klassen zu ermöglichen und folglich von einem Fächerunter- 8 vpod-bildungspolitik 160/09 vpod-bildungspolitik 160/09 9
thema thema wie kein anderer aufzeigt, dass entweder nicht verstanden wird, unähnlich sind. Dies vor allem hinsichtlich der Integration von Kin- Von der Segregation durch Integration zur Inklusion was zu machen ist oder nicht gewollt, was Integration verlangt. dern und Jugendlichen mit schwereren mentalen und psychischen Gleichwohl wird der geschundene Begriff der Integration, für den Beeinträchtigungen und sehr herausfordernden Verhaltensweisen. Entwicklung der Pädagogik es nun mal keinen adäquaten Ersatz gibt und zu geben braucht, weiter desavouiert. Heil- u. Sonderpädagogik Regelpädagogik Integration bedeutet Vergangenheit biologistisch/medizinisch-psychiatrisches Defizitmodell so genannte allgemeine Pädagogik Aufhebung von Selektion und Segregation Durch die Integration zur Inklusion normativ orientiertes Normalitätskonzept Integration ist einerseits ein wesentlich fachintern zu bewältigen- selektierend / segregierend Dass Integration, wie schon angesprochen, in den allermeisten Fäl- der erziehungswissenschaftlicher Prozess, der andererseits, wie len ausschliesslich aus der Perspektive des selektierend-segregie- deutlich geworden sein dürfte, wie kein anderer hinsichtlich seiner renden Schulsystems und einer traditionalistischen Heil- und Son- Umsetzung eine gesellschafts- und bildungspolitische, wie sozio- derpädagogik gesehen und praktiziert wurde und wird, zeigt ein ökonomische Regulation erfährt. Fachimmanent erfordert die Um- Behindertenpädagogik Kategoriale Bildung Fehlverständnis und eine Fehlentwicklung, die schliesslich und al- setzung integrativen Denkens in der Pädagogik die Synthese von Gegenwart Subjektwissenschaftlich, am Kompetenzmodell und doppelseitige Erschliessung lenfalls in eine pluralistisch-modernistische Passung des Systems Heil- und Sonderpädagogik mit der von mir als Regelpädagogik biographieorientiert / dialogisch; rehistorisierend in Allgemeinbildungskonzeption der Sonderbeschulung mündet. Das aber qualifiziert den Integrati- bezeichneten so genannten allgemeinen Pädagogik, die bis heute Diagnostik, Pädagogik und Therapie Bildung für ALLE im Medium des onsbegriff als solchen nicht. Ihn ohne differenzierte Analysen der nicht erfolgt ist. Dies, obwohl durch die Entwicklung der «Behin- Allgemeinen anhand über dreissigjährigen Geschichte des Bemühens um Integration dertenpädagogik» seit den 1970er Jahren und die auf der «katego- epochaltypischer Schlüsselprobleme durch den Inklusionsbegriff zu ersetzen, verändert die Problemla- rialen Bildungstheorie» seit den 1950er Jahren aufbauende «Allge- ge ebenso wenig, wie anzunehmen ist, dass ein schlechter Wein meinbildungskonzeption» in beiden historisch parallel laufenden durch das Aufbringen des Etiketts eines Spitzenweines auf die Fla- Pädagogiken ein für die Synthese eines qualitativ neuen erzie- Erziehungswissenschaft sche, in der er sich befindet, zu diesem werden würde. Im Gegen- hungswissenschaftlichen Bewusstseins hinreichendes Denkniveau teil: Hier passiert eine gefährliche Verdeckung der Ursachen, die entwickelt wurde und vorliegt – nämlich ein subjektwissenschaftli- zu der nicht zu beschönigenden Lage der Integrationsentwicklung ches und dialektisches. Dieses kann in der Konzeption einer «Allge- Integration «Integrationspädagogiken» geführt haben. Darüber hinaus wird nicht zur Kenntnis genommen, meinen Pädagogik» und «entwicklungslogischen Didaktik» gefasst Zukunft Behinderte / Nichtbehinderte / Interkulturell durch Koop-Modell / Förderzentren / Kompetenzzentren dass es zur Dialektik von Inklusion und Exklusion in der Soziologie, werden und realisiert sich in einem resultierenden pädagogischen Kooperation am Gemeinsamen Gegenstand / mit Schülern / integrative Sonderschulung in der diese Begriffe wissenschaftlich beheimatet sind, einen be- Reformprozess, der das selektierende und segregierende Erzie- Innere Differenzierung durch entwicklungs- niveaubezogene Individualisierung - reduzierte/parzellierte Lehrpläne - äussere Differenzierung ? deutenden Diskurs gibt (z.B. Baumann 2005, Luhmann 1997), den Stichweh (2005) als «Leitunterscheidung der Gesellschaftstheorie» kennzeichnet. Um uns hier weiterhin begrifflich eindeutig verstän- hungs-, Bildungs- und Unterrichtssystem nicht nur in Frage stellt, sondern es notwendigerweise umbauen muss – und dieser Umbau ist die Integration! digen zu können, noch folgende Hinweise: Eine Schule für alle Die Fremdwörter «integrieren» und «Integration» sind im 19./20. Inklusion Integration als Menschenrecht Allgemeine Pädagogik und entwicklungslogische Didaktik Jahrhundert als Ableitungen aus dem lateinischen integer, was als integrare bedeutet «heil, unversehrt machen, wiederherstellen; In diesem Kontext ist vor allem die didaktische Abstinenz in der ergänzen», dem mittellateinischen integralis «ein Ganzes ausma- fachlichen Integrationsdebatte, die «des Pudels Kern» der Integra- richt im Stundentakt Abschied zu nehmen, dessen Inhalte unver- le es sehr bewusst – Kinder und Jugendliche unterschiedlichster chend», und integratio «Wiederherstellung eines Ganzen» (Duden tion noch immer in der Relation von Kindern und Schülern mit und mittelt nebeneinander stehen. Dass die beiden aufgezeigten Model- Entwicklungsniveaus, Lernerfahrungen und Möglichkeiten – auch Bd. 7, 2001, S. 365) hervorgegangen. Relevant ist die soziologische ohne Behinderung und Migrationshintergrund sieht, aus meiner le konkurrieren, ist gleichwohl sofort wieder zu relativieren – aus unabhängig von Art und Schweregrad ihrer Beeinträchtigungen Bedeutung, die als «Verbindung einer Vielfalt von einzelnen Perso- Sicht essentiell für die Problemlage des Reformprozesses im Innern meiner Sicht in einem Verhältnis 99 : 1 – so die Wirklichkeit, was – eingebunden auch Kinder anderer Sprache, Nationalität und nen oder Gruppen zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Ein- der Pädagogik. Dies in engem Zusammenhang mit der Vorstellung, gleichzeitig die Legitimität verdeutlicht, den Begriff der «Integrati- Religion, gemeinsam miteinander lernen dürfen. Dies als Schritt heit» (Duden, Bd. 5, 1999, S. 459) verstanden wird. Integration durch die additive Hereinnahme sonderpädagogischer on» überhaupt verwenden zu dürfen. hin zu einem nicht mehr selektierenden und segregierenden Er- Der Begriff der Inklusion leitet sich in gleicher Weise aus dem La- Kompetenzen in die Regelschule bewerkstelligen zu können, ohne ziehungs-, Bildungs- und Unterrichtssystem, das man dann als ein teinischen bzw. Mittellateinischen ab und bezeichnet «einschlies- dass sich diese selbst grundlegend ändert. Die ideologischen Ver- inklusives bezeichnen könnte. Integration muss aus historischen sen, einschliesslich, inbegriffen» und steht als «inklusive» im Gegen- stellungen dahingehend, dass trotz eines demokratisch verfassten Integration und Segregation widersprechen sich Gründen also notwendigerweise auf dem Fundament ihres krassen satz zu «exklusive». Dieser Begriff beschreibt also einen Zustand Gesellschafts- und Staatssystems ein auf Ausgrenzung und Separa- Ich habe weit vorgegriffen und gehe nun zu einer schrittweisen Be- Gegenteils aufgebaut werden. Wird dieser Sachverhalt einerseits einer Ganzheit, die der Logik nach, so sie zuvor nicht bestand, erst tion setzendes Bildungssystem der Garant der Reproduktion der handlung der Problematik zurück. Der Weg, der mit dem Begriff der nicht ständig bewusst gehalten und andererseits das Anliegen der durch einen Prozess der Integration erreicht werden kann. gesellschaftlichen Produktivkräfte und der Kultur sei, wird nicht Integration charakterisiert, beschritten wurde, ist einer «von der Integration nicht gründlich gedacht, was heisst, eine gesellschafts- Genau das kennzeichnet unsere gegenwärtige Situation in der als Widerspruch erfahren. Eben so wenig empört, dass der Selek- Segregation über die Integration zur Inklusion». Wir haben es bei historisch relevante und den heute vorliegenden Erkenntnissen Bildungslandschaft. Die bestehenden gesellschaftlichen Wider- tionsprozess in den Bildungslandschaften, wie die OECD-Studien dem Vorhaben der Integration mit einem historischen, fachlichen im naturphilosophischen und humanwissenschaftlichen Bereich sprüche hinsichtlich Inklusion und Exklusion, die sich im Main- hinreichend nachweisen, selbst bei gleichen Leistungen im Be- und gesellschaftlichen Prozess von besonderer Dynamik zu tun. adäquate, erziehungswissenschaftlich gefasste und nicht aus dem stream der Globalisierung und der nationalen Deregulierungen in reich zentraler Kulturtechniken überwiegend auf den Sozialstatus Viele Prozesse des gesellschaftlichen Wandels und der Erweite- Bauch heraus generierte Sichtweise der Integration zu entwickeln, einer kürzeren Zeitspanne, als sie die Entwicklung der Integration der Lernenden und einen Migrationshintergrund bezogen ist, was rung unseres natur- und humanwissenschaftlichen Erkenntnisstan- mündet das in gut gemeinte, aber völlig inadäquate Versuche, Inte- umfasst, dramatisch verschärft haben, werden sich noch über lan- im Grunde einem gesellschaftlichen Skandal gleich kommt, der im des lassen über lange Perioden eine gewisse Kontinuität erkennen. gration mit Mitteln des segregierenden Erziehungs-, Bildungs- und ge Zeiträume in die Integrationsbemühungen hinein fortschreiben Sinne einer zynischen political correctness noch mit dem Begriff Integration skizziert das Vorhaben, von einer seit der Entstehung Unterrichtssystems zu realisieren; ich nenne hier nur Leistungs- und auf der Integrationsebene auch neue Widersprüche generieren. der Wahrung der «Chancengleichheit» garniert wird. Global haben einer wissenschaftlichen und arbeitsteilig praktizierten intentiona- gruppenbildung, äussere Differenzierung, unterschiedliche, also in- Bezogen darauf bewirkt der Inklusions- an Stelle des Integrations- wir es mit der Frage der Integration längst mit einer Menschen- Grafik: Georg Feuser len Pädagogik, die zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte je eine dividuelle, an normierenden Standards und Lernstandsmessungen begriffes weder eine Aufklärung in der Sache noch die Auflösung rechtsfrage zu tun. Ich erinnere hier nur an das UN-Weltaktions- wirklich «allgemeine», sondern eine hochgradig nach unterschied- oder an Behinderungsdiagnosen orientierte Curricula und vieles der Widersprüche. Selbst in jenen Ländern, die sich am Leitbegriff programm für behinderte Menschen von 1983, wo gesagt wird, lichsten Kriterien selektierende und ausgrenzende war, zu einer andere mehr. Am deutlichsten wird das in dem im Kanton Zürich Inklusion orientieren, sind im Unterrichtssystem vergleichbare «... die Erziehung von behinderten Menschen sollte so weit wie mög- «Allgemeinen Pädagogik» derart zu gelangen, dass – ich wiederho- sich etablierenden Begriff der «integrativen Sonderschulung», der Probleme und auch Schieflagen entstanden, die den unseren nicht lich im Regelschulsystem stattfinden ... (Art. 120). Entsprechend 10 vpod-bildungspolitik 160/09 vpod-bildungspolitik 160/09 11
thema thema fordert die UN-Konvention über die Rech- Bildungssystem Struktur gewordenen äusseren Differenzierung sind hier unverzichtbar. Gegen die der Segregierung immanente te des Kindes von 1989, in Art 23. 1/3, dass und ihrer unterrichtsimmanenten Praxis einen sich selbst generie- äussere Differenzierung anhand individueller Curricula ist eine in- «... das behinderte Kind wirklichen Zugang renden Zirkel der Produktion und Reproduktion von Ungleichheit nere Differenzierung im Sinne einer entwicklungsniveaubezogenen zu Erziehung, Ausbildung und Gesundheits- und Be-Hinderung einleiten. Individualisierung der Bildungsinhalte, die aus dem «Gemeinsa- diensten hat und diese nutzen kann, [...] so men Gegenstand» resultieren. Kurz gefasst: Die «Kooperation am dass die möglichst vollständige soziale In- Gemeinsamen Gegenstand» und eine «innere Differenzierung durch Integrales Menschenbild, kooperatives Lernen tegration des Kindes ermöglicht wird ...». entwicklungsniveaubezogene Individualisierung» konstituieren Auch das UNESCO-Salamanca-Statement und innere Differenzierung das didaktische Fundamentum einer Allgemeinen (integrativen) von 1994 ist hier zu nennen, das im Punkt Das Prinzip von Selektion, Ausgrenzung und Segregierung domi- Pädagogik als Basis einer «entwicklungslogischen Didaktik». 3 unter anderem alle Regierungen auffor- niert das gesamte Bildungssystem und betrifft alle Kinder und dert, «das Prinzip Erziehung ohne Ausgren- Schüler, aber dennoch sitzen – entgegen dem scheinbar schlauen Ansätze einer entwicklungslogischen Didaktik zung auf rechtlicher oder politischer Ebene Spruch – eben nicht alle im gleichen Boot. Wie immer: In Fortset- anzuerkennen ...» und im Punkt 2 betont, zung der Konzeption eines gemeinsamen Lernens ohne Ausschluss Konstitutiv für eine solche entwicklungslogische Didaktik sind ne- dass Regelschulen mit einer integrativen war uns schon Ende der 70er Jahre klar geworden, dass gegen je- ben den Arbeiten von Jean Piaget und René Spitz die Entwicklung Orientierung das wirksamste Mittel sind, des der Momente, die das bestehende segregierende Erziehungs-, einer «kritischen und materialistischen Behindertenpädagogik», «eine Gesellschaft ohne Ausgrenzung auf- Bildungs- und Unterrichtssystems hervorbringen und es repro- die auf einem neurowissenschaftlich, psychologisch und soziolo- zubauen und eine Erziehung für alle zu ver- duzieren, ein Gegenpart, eine Gegenkraft errichtet werden muss, gisch fundierten Verständnis der Persönlichkeitsentwicklung des wirklichen» und «Kinder mit Sondererzie- wenn wir eine Allgemeine Pädagogik, die inklusiv ist, begründen Menschen fusst. Dies wiederum basiert auf der Tätigkeitstheorie hungsbedürfnissen Zugang zur Regelschule und praktizieren wollen. Bleibt in integrativen Ansätzen auch nur der Kulturhistorischen Schule. Ich erinnere hier nur an wenige haben» (Pkt. 3) müssen. Dementsprechend eines der aufgezeigten sechs Momente erhalten, das dem funktio- Namen wie Vygotskij, Lurija, Leont’ev, Gal’perin, deren didaktisch heisst es im Abschlussbericht: «Der tiefs- nalen Kreislauf des sich selbst reproduzierenden segregierenden hoch relevante Arbeiten zu Entwicklungsfragen in der deutschen te Grund für Lernschwierigkeiten liegt im Systems entspricht, zwingt es, wie das in der Praxis immer wieder Regel- wie Heil- und Sonder- und Sozialpädagogik noch immer weit- Schulsystem selber». beobachtbar ist, das ganze System in die alten Pfade. Zur Verdeut- gehend unbekannt sind. Mit dieser von Wolfgang Jantzen (2007) Wenn Integration also als Menschen- lichung der angesprochenen «Gegenmomente», die auf der Basis sehr zentral entwickelten und von uns gemeinsam getragenen recht erkannt wird, müssen die notwendi- einer Allgemeinen Pädagogik Integration ermöglichen, wäre auf der Konzeption wurde es nicht nur möglich, eine traditionelle, defek- gen politischen Massnahmen ergriffen wer- Ebene des zu Grunde liegenden Menschenbildes gegen die defekt- torientierte und biologistisch medizinisch-psychiatrisch fundierte den, damit «die Herrschaft der Schnellsten, und abweichungsbezogene Atomisierung der als behindert gel- Heil- und Sonderpädagogik zu überwinden, sondern eine vom Sub- Klügsten und Skrupellosesten beendet und tenden bzw. sozial diskreditierten Menschen ein Verständnis des jekt ausgehende Sichtweise menschlicher Aneignungstätigkeit zu durch die Herrschaft des Rechtes» ersetzt Menschen als integrale Einheit seiner biologischen, psychischen entfalten. Das bedeutet auch, Behinderung im wahrsten Sinne des wird, wie der Soziologe Zygmunt Bauman in und sozialen Systeme und Wirklichkeit zu entfalten. Grösst mög- Wortes als «Be-Hinderung» eines Menschen in seiner Lebenstätig- seinem Werk über die «Ausgegrenzten der liche Heterogenität der Lerngruppen wäre gegen das zum Dogma keit, in seinem Lernen und in seiner Entwicklung zu verstehen und Moderne», das er mit dem Titel «Verworfe- geronnene Verständnis zu setzen, dass in homogenen Gruppen zu begreifen, dass der behinderte Mensch unter den Ausgangs- und nes Leben» (2005, S. 124) versieht, im Kapi- besser und leichter gelernt und gelehrt werden könnte. Gegen die Randbedingungen seiner Lebensgeschichte ein kompetent han- tel «Abfall der Globalisierung» schreibt. Es Selektion nach Leistungskriterien und deren Beantwortung mit re- delndes Subjekt ist, auch wenn seine Handlungen uns grosse päda- geht nicht darum, dass die Integration den Verantwortlichen das entwicklungslogischen Didaktik» zu verstehen ist. Sie ist Voraus- duzierten und parzellierten Bildungsangeboten wäre die Koopera- gogische und therapeutische Probleme aufwerfen. politische Handwerk abnimmt, sondern dass sie deutlich kenn- setzung zur Schaffung eines inklusiven Erziehungs-, Bildungs- und tion aller miteinander an einem «Gemeinsamen Gegenstand» in ent- In gleicher Weise konstitutiv für eine entwicklungslogische zeichnet, was pädagogisch machbar ist und was politisch gemacht Unterrichtssystems. Im Sinne einer programmatischen Analyse der sprechend organisierten Lernfeldern zu setzen. Projektunterricht Didaktik ist die auf der kategorialen Bildungstheorie der geistes- werden muss, damit das Pädagogische gemacht werden kann, so Funktionszusammenhänge im selektierenden und segregierenden und offene Lernformen in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen wissenschaftlichen Pädagogik aufbauende «Allgemeinbildungskon- es gewollt wird. Dass es gewollt wird, wird die Anstrengungen vie- Erziehungs-, Bildungs- und Unterrichtssystem kann exemplarisch Inserat ler gesellschaftlicher Gruppierungen erforderlich machen. So tut aufgezeigt werden, dass die Selektion der Kinder und Schüler nach es gut, in den Statuten des Verbandes des Personals öffentlicher normwertorientierten Leistungskriterien zum Ausschluss aus den Dienste (vpod) im Art. 3, Abs. (2) unter «Zweck und Ziel» zu lesen: regulären Lernfeldern (oft auch aus den regulären Lebensfeldern) «Ziel des vpod ist eine demokratische Gesellschaft ohne Diskrimi- und zur Segregierung in Sonderinstitutionen führt, wenn ein «son- nierung, in der die Entfaltung der schöpferischen Initiative aller derpädagogischer Förderbedarf» festgestellt wird. Dies erfolgt in Menschen, die soziale Sicherheit, das Leben in einer gesunden der Wahrnehmung von Behinderung als individuelle Kategorie in Umwelt und der Friede gewährleistet sind». Kehren wir nun aber defekt- und abweichungsbezogener Weise. Dadurch werden die wieder zurück zu der inneren Problematik der Integration. Kinder und Jugendlichen in Reduktion auf ihre vermeintlichen Defizite und Auffälligkeiten atomisiert und entsprechend in homo- genen Gruppen, die der diagnostizierten Art ihrer Behinderung 2. Die pädagogische entsprechen, zusammengefasst, was sich im Sonderschulwesen in den verschiedensten Sonderschultypen wie im Regelschulwesen Kernfrage der Integration in der Hierarchisierung der Schulformen ausdrückt – sie sind, wie Zeichnung: Ruedi Lambert ich bildlich sage, zu Stein gewordene Formen äusserer Differenzie- Es dürfte deutlich geworden sein, dass Integration im Fluss der Ge- rung. Entsprechend werden den Schülern unseren Annahmen fol- schichte der Pädagogik als ein Prozess der Transformation eines gend, was zu lernen sie in der Lage wären und von individuellem auf gleichberechtigte und gleichwertige Teilhabe aller an Bildung wie gesellschaftlichen Nutzen sein könnte, entsprechend verengte für alle orientierten erziehungswissenschaftlichen Erkenntnisstan- und parzellierte Bildungsangebote gemacht, also ein pädagogi- des in die pädagogische Praxis einer «Allgemeinen Pädagogik und scher Reduktionismus praktiziert, der in Kombination mit der im 12 vpod-bildungspolitik 160/09 vpod-bildungspolitik 160/09 13
thema thema korrespondiert mit Vorstellungen über Ler- eines Projekts wie die Äste eines Baumes vorstellen, die aus dessen erfasst mich trotz der humanistischen Worte und Werte, auf denen nen und Entwicklung die von einem heute Stamm, entspringen, während die Wurzeln den heute vorliegenden sie berechtigt basieren, grosse Sorge, die ich abschliessend in Be- vorliegenden humanwissenschaftlichen Er- Erkenntnisstand in den verschiedensten Wissenschaftsbereichen zug auf einige Aspekte in Thesenform äussern und mit Wünschen, kenntnisstand weit entfernt sind. repräsentieren. Die Äste sind also nicht die traditionellen Unter- ja Empfehlungen für die weitere Umsetzung verbinden möchte. Traditionelles Lehren und Lernen kann richtsfächer. Sie charakterisieren vom Astansatz bis hin zur Astspit- In Anbetracht der mit der «Neugestaltung des Finanzausgleichs hinsichtlich seiner didaktischen Grund- ze die Repräsentation des zu bearbeitenden Sachverhaltes auf den und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen» – kurz NFA legung im Sinne einer eindimensionalen verschiedensten Entwicklungsniveaus, weshalb jeder Schüler mit – verbundenen Strukturreform des Bildungswesens für Behinderte Didaktik, die weitgehend nur der Sach- jedem lernen und eine ihm adäquate Erkenntnis ausbilden kann. ist man geneigt zu erwarten, dass der über mehr als drei Jahrzehn- strukturanalyse der Lerngegenstände te der Integrationsentwicklung und ihrer praktischen Umsetzung verpflichtet ist, gekennzeichnet werden. allein in den deutschsprachigen Ländern vorliegende Erkenntnis- Auf der Basis der heute unbestreitbaren Annahme, dass der Mensch das erkennen- 3. «Integrative stand, sowie der Forschungsstand im eigenen Land rezipiert wor- den wäre und in den «Standards» einen konstruktiven Niederschlag de Subjekt ist und die Erkenntnis in der internen Rekonstruktion der erfahrenen Sonderschulung?» gefunden hätte – dem ist nicht so! Im Spiegel dieser Erwartungen erregt es Aufmerksamkeit, wenn Begriffe wie «integrative Sonder- Welt liegt und nicht draussen in dieser, Auf der Basis dieser Konzeption begannen wir mit dem Kinder- schulung» nicht nur ab und an auftauchen, sondern in Fachkreisen verhalten wir uns in der Pädagogik in ex- gartenjahr 1982/83 in Bremen mit der Umsetzung der Integration, Verständigungsmittel sind. Wie können derart widersprüchliche tremer Weise anachronistisch. Die Leistun- die sich über die Kindergärten hinweg nahtlos in die Schule und Begriffe überhaupt in einen einheitlichen begrifflichen Zusammen- gen beurteilen wir zum Beispiel weiterhin dort von der Primarstufe in die Sekundarstufe hinein fortsetzte. hang gebracht werden? Konträrer kann eine Formulierung im Feld nach der Vollständigkeit der Rezeption der Mitte der 1990er Jahre wurde diese als Vollintegration bezeichnete der Integration im Grunde nicht sein. Man fühlt, wie zwei Domä- Unterrichtsinhalte im Sinne des Wissens- Entwicklung politisch beendet und in ein so genanntes Koopera- nen (möglicherweise feindlich?) zu fusionieren scheinen: Die eine standes und nicht am Erkenntnisprozess tionsmodell überführt. Grenzen der Integration gibt es dann, wenn skizzierbar als traditionell-separatistische Sonderpädagogik, die und -gewinn, das heisst nicht danach, un- Gesellschaft und Politik sie ziehen oder die Bildungsinstitutionen andere als traditionell ausgrenzende (allgemeine) Pädagogik, wo- ter welchen Bedingungen und in welcher sich nicht entsprechend qualifizieren und verändern – sie liegen bei diese ihrer Aussonderungspraxis wegen die Behinderten nicht Qualität der Lernende sie in seinem Inne- nicht in den als behindert oder nichtbehindert bezeichneten Kin- kennt und die andere, der Separierung der Behinderten wegen kei- zeption» Klafkis. Mit ihr geht es um «Bildung für alle im Medium ren durch handelnde Auseinandersetzung mit den Menschen und dern und Schülern. Die integrative Kindergarten- und Schularbeit ne Nichtbehinderten. Ist das Ganze nur ein Dilemma der Deskrip- des Allgemeinen» (Klafki 1996, S. 53), die in ihrer Zielperspektive der Welt hervorgebracht hat, so, als gäbe es die Funktionen und war streng an folgenden, sich bis heute bestätigenden Organisa- tion, als die diese Begrifflichkeit anmutet? Ich meine Nein! die «Befähigung aller Lernenden zu Selbstbestimmung, Mitbestim- Bedeutungen der Dinge für den Menschen an sich und nicht aus- tionsprinzipien orientiert: Die Regionalisierung der Lernangebote Nach Befassung mit den «Standards» und zahlreichen resultie- mung und Solidaritätsfähigkeit» (a.a.O., S. 52) anstrebt, was durch schliesslich nur durch ihn selbst. und die Dezentralisierung der Erfordernisse für Kinder und Schü- renden Analysen und Kommentaren dazu bleibt mir ganz allgemein eine curriculare Orientierung an «epochaltypischen Schlüsselpro- ler mit Lernproblemen, Behinderung und therapeutischen Be- nur eine sehr nüchterne Feststellung: Die Standards sind formali- blemen» erfolgen soll, die «von gesamtgesellschaftlicher, meistens darfen an die regulären Orte ihres Lernens, die Realisierung der sierte Inhaltslosigkeit. Davon, dass es im Bereich von Erziehung, Überwindung des fächerorientierten Unterrichts sogar übernationaler bzw. weltumspannender Bedeutung» sind, Elementar- und Schulpädagogik in multiprofessionellen Teams von Bildung und Unterricht, aufbauend auf der vorobligatorischen Frü- «gleichwohl jeden einzelnen zentral betreffen» (a.a.O., S. 56). Es Das lenkt den Blick auf die Tätigkeitsstruktur des Menschen. Durch Regel- und Sonderschullehrern, Therapeuten und Assistenten, die hen Bildung, wesentlich um die Ermöglichung eines Entwicklung wird deutlich, dass es um die Schaffung von «Mündigkeit» geht, sie gewinnt Didaktik ihre entwicklungslogische Dimension, der die im Sinne des Kompetenztransfers sich wechselseitig in gemein- indizierenden Lernens gehen sollte, ist in den Standards, die aus die «Aufklärung» zur Grundlage hat und «Denken lernen» zum Ziel. führende Rolle in der Planung und Durchführung von Unterricht samer Verantwortung vor den Kindern und Schülern kompetent der Sicht der Leistungserbringer erarbeitet wurden, aber nicht die Auch hier leuchtet die Notwendigkeit der Abkehr vom klassischen zugestanden werden muss, da die Erkenntnis von Welt nur durch machen und ihr Wissen an die jeweils anderen Teammitglieder Rede. Es ist gleichwohl sinnvoll, wenn in Rückbezug auf wissen- Lehrplan zu Gunsten umfassender Projektarbeit auf, damit ein Ler- die Tätigkeit des Subjekts konstituiert werden kann. Das heisst ver- transferieren und die integrierte Therapie; das heisst auch die the- schaftlich gesicherte Erkenntnisse über Entwicklungsverläufe und nen realisiert werden kann, das Entwicklung induziert und primär einfacht, der Stoff hat dem Schüler und nicht dieser dem Stoff zu rapeutischen Erfordernisse sind in die curricular-didaktischen Vor- das Lernen im Altersbereich 0-20 und unter Einbezug der sozialen auf Erkenntnisgewinn und nicht auf die additive Wissensvermitt- dienen – wenn Lernen entwicklungsinduzierend sein soll, denn Ler- haben in Kindergarten und Schule integriert zu realisieren. Die zen- und ökonomischen Lage der Kinder und Jugendlichen Aufgaben lung angelegt ist, darauf also, das Lernen zu lernen. Lernen durch nen findet stets in der «nächsten Zone der Entwicklung» (Vygotskij trale Ressource des Ganzen ist aber die Bereitschaft zur eigenen in Richtlinien gefasst werden, die zum einen die Bedarfslage der Kooperation am «Gemeinsamen Gegenstand» kann hier, um es nur 1987) statt. Und es wird deutlich: Der Stoff des Unterrichts hat kei- Veränderung, gleichwohl, ob sie als Lehrer, in der Schuladministra- sich Bildenden deutlich skizzieren und zum anderen eine an dieser kurz zu erwähnen, beschrieben werden als Handeln, das über die nen Wert an sich, sondern nur dadurch, dass er für den einen wie tion oder der Bildungspolitik tätig sind, denn «Integration fängt in orientierte hoch qualifizierte Umsetzung verlangen, um diesbezüg- Wahrnehmungstätigkeit und interne Konstruktion von Information den anderen Schüler durch dessen Auseinandersetzung mit ihm den Köpfen an» – in unseren! Die häufig geäusserte Aussage, dass lich Beliebigkeiten und selektive Bevorzugungen bzw. Benachteili- Handlungen verändert, das heisst durch Sinnbildung und Bedeu- entwicklungsfördernd ist. Das aber kann die gleiche Sache zum man damit warten müsse, bis die Gesellschaft dazu bereit sei, weil gungen zu minimieren. Aber davon ist nichts zu lesen! Wird dazu tungskonstitution Wissen generiert und Erfahrung gedächtnismäs- gleichen Zeitpunkt für unterschiedliche Schüler nie sein. Damit ist es zuvor den Kindern nicht zumutbar sei, ist nicht mehr, denn eine die Tatsache in Beziehung gesetzt, wie die Standards vom 01. Juli sig deponiert. im Grunde ein zielgleiches Lernen nach Massgabe der vermeintli- perfide Scheinbegründung, alles zu belassen, wie es ist. Die Gesell- 2006 zu Beginn der Erläuterungen betonen, dass die Leistungser- chen Sachlogik eines Faches im Stundentakt des fächerorientierten schaft bin ich, sind Sie, sind wir – nicht irgendwelche anonyme bringer «im Sinne eines proaktiven Vorgehens selber definieren Unterrichts schlicht und einfach obsolet. Anderen. Integration ist auch kein Gnadenakt für Behinderte. Alle können, was sie unter Qualität verstehen» (SZH 2006, S. 2), wird Wider eine eindimensionale Didaktik Das orientiert auf eine weitere didaktische Dimension, die zwi- Kinder und Schüler profitieren umfassend (und mehr, als ich je zu das Prinzip Ausschluss zum Strukturmoment – auch der Aus- Eine solche didaktische Konzeption erlaubt es im Feld der Integ- schen der den Menschen grundsätzlich auf die Welt orientierenden erwarten gedacht habe) vom gemeinsamen Lernen und Unterricht schluss wissenschaftlicher und erfahrungsbedingter Erkenntnisse ration, dass alle Kinder und Schüler alles lernen dürfen, jede und Tätigkeit und deren realen Wirklichkeit vermittelt – die Handlung. in den affektiv-erlebnismässigen, emotionalen, motivationalen, so- und der Betroffenen, was die Negation ihrer sozio-ökonomischen jeder auf ihre bzw. seine Weise lernen darf und alle die sächlichen Sie ist durch bedürfnisrelevante Motive initiiert, Zielen unterwor- zialen und kognitiven Bereichen ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Lage, ihrer subjektiven Bildungsbedürfnisse und die humanwissen- und persönlichen Hilfen erhalten, derer sie bedürfen. Es gibt kei- fen und damit auf die objektive Seite des Gegenstandes bezogen. schaftliche Objektivierung dieser Aspekte einschliesst. Die «Selbst- Zeichnung: Ruedi Lambert ne integrationsfähigen oder nicht integrationsfähigen Kinder und Damit dient die Sache in Umkehrung der bestehenden Verhältnisse deklaration» als ein Element im Prozess des Qualitätsmanagements Das Integrationsverständnis Schüler, sondern allenfalls, wie ich sie nenne, «Integrationspäda- – oder diese vom Kopf auf die Beine gestellt – primär der weiteren (QM) kann nie alleine und ausschliesslich Qualität bestimmen. Das gogiken», die vor allem auf Grund ihrer organisatorischen und Persönlichkeitsentwicklung des Schülers, seiner fortschreitenden der aktuellen Reformen in der Schweiz widerspricht allen Regeln, wie sie in der Qualitätssicherung inter- didaktischen Defizite, die – wie sich oft zeigt, ihrerseits in einem Realitätskontrolle und sozial verantwortungsbewussten Emanzipa- Blicke ich auf die Wege, die man hier zu Lande gehen möchte, wie national praktiziert werden. traditionell orientierten Menschen- und Behinderungsbild veran- tion. In ein Bild gefasst, können wir uns das Lernen am «Gemein- sie zum Beispiel in den «Standards für die Sonderschulung (0-20) In allen Verlautbarungen wird in besonderer Weise betont, dass kert sind – Integration nicht zu leisten vermögen. Das wiederum samen Gegenstand» in zahlreichen Handlungszusammenhängen aus der Sicht der Leistungserbringer» exemplarisch aufscheinen, «im sonderpädagogischen Bereich integrierende Massnahmen den 14 vpod-bildungspolitik 160/09 vpod-bildungspolitik 160/09 15
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