Wirtschaftsreport Januar 2023 - Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit
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Wirtschaftsreport Jan 23 1 Editorial „Jede Krise bietet auch Chancen!“ Das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945, die Mondlandung 24 Jahre später, der war. Auch dieses „Wümmschen“ verdeutlicht: Unser Land hat kein Erkenntnis-, Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989: Es gibt Jahre, die brennen sich in das sondern ein Umsetzungsproblem. Einzig bei den LNG-Terminals an der Nordsee kollektive Gedächtnis der Menschheit ein. Sie symbolisieren Zeitenwenden, die sah man, dass es auch schneller geht. Das wiederum ändert nichts am Zustand grundlegende Veränderungen gesellschaftlichen Zusammenlebens auslösen unseres Gemeinwesens. Wir sind zu träge und zu langsam geworden. Wir – international, aber auch unmittelbar vor der eigenen Haustür. Das Jahr 2022 kündigen viel an, setzen jedoch zu wenig um. Der schleppende Fortschritt gehört in diese Kategorie. Nach dem Balkan-Krieg vor gut 20 Jahren erleben beim Brückenneubau in Lüdenscheid versinnbildlicht dies. Mehr als bedauer- wir abermals eine militärische Auseinandersetzung mitten in Europa; mit Kon- lich ist es aus unserer Sicht, dass die politischen Akteure in Südwestfalen das sequenzen, die auch am Jahresende nur in Schemen zu erkennen sind. Klar ist: Brückenthema nicht „streitfrei“ stellten, um hierdurch mehr Druck in Düssel- Die internationalen Beziehungen erfahren eine Neujustierung; sowohl wirt- dorf und Berlin zu erzeugen! Hierfür warben Gewerkschaften, Verbände und schaftlich als auch politisch. Sicher erscheint zugleich, dass das Geschäfts- Kammern mit besonderem Nachdruck mehrfach bei ihnen – leider vergebens. modell der „Deutschland-AG“ 2022 in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Auch so vergibt man Gestaltungschancen! Über Jahrzehnte verfügten wir über eine außerordentlich starke Exportwirt- schaft. Sie stützte sich auf hervorragende Produkte, aber eben auch auf billi- Am Jahresende schließlich ein bizarres Bild. Die Zeichen stehen für 2023 auf ges Gas aus Russland und riesige Absatzmärkte in Fernost, insbesondere in Rezession. Zugleich gibt es auch leichte Hoffnungsschimmer. Schließlich blieb China. Und auch vom nahezu hemmungslosen Fluten der europäischen Märkte der Beschäftigungsstand auch gegen Ende des Jahres hoch. Die meisten Firmen durch geliehenes Geld profitierte dieses Modell. versuchen, ihre Beschäftigten zu halten. Und dies, obwohl überall dort, wo die hohen Energiekosten nicht in steigende Preise auf den Märkten abzuwälzen Das alles wird nach Lage der Dinge auf Strecke nicht mehr funktionieren. Der sind, die Sorgen perspektivisch eher noch zunehmen dürften. Hinzu kommen in den vergangenen Jahrzehnten realisierte Wohlstand wird nicht zu halten zweistellige Inflationsraten, die Deutschland zuletzt Anfang der 1950er Jahre sein. Die Strom- und Gasrechnung wird teuer bleiben. Hohe zweistellige, wenn erlebte. Wir gehen also unsicher, viele von uns auch ängstlich in das neue Jahr. nicht sogar dreistellige Milliardenbeträge werden wir als energieimportieren- Angst jedoch ist gerade in Krisenzeiten immer ein schlechter Ratgeber. Hilf- des Land dauerhaft in Drittstaaten zu überweisen haben. Geld, das in unserem reicher ist es, sich seiner eigenen Stärken bewusst zu werden: 180.000 Men- Land nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Mit allen Konsequenzen für unser schen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, so viele wie nie zuvor! Gemeinwesen. Dass dies erhebliche Verunsicherung in Wirtschaft und Gesell- Eine Arbeitslosenquote von 4,5 % – nahezu Vollbeschäftigung! Ein vernünfti- schaft auslöst, erstaunt nicht wirklich. Bemerkenswert und bedauerlich er- ges, sozialpartnerschaftliches Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeit- scheint zugleich, dass die daraus folgenden Konsequenzen politisch nicht nehmern – zumindest weit überwiegend. Ein Gesundheitssystem, das sich im klarer formuliert werden. weltweiten Maßstab sehen lassen kann. Und ein Staat, der dem Recht ver- pflichtet ist. Dies alles sind Pfunde, die man in die Waagschale werfen kann. Die regionale Wirtschaft startete mit einem gewissen Grundoptimismus in das Jahr 2022. Viele in den Unternehmen meinten, Covid-19 sei halbwegs im Griff. Gewiss, wir laufen Gefahr, deutlich an Wohlstand zu verlieren, jedoch nicht Da könne es doch nur noch bergauf gehen. Welch ein Irrtum! Statt einer Kon- dramatisch. Hierzulande geht es dabei weit überwiegend nicht um bittere junkturbelebung durch Nachholeffekte löste der russische Überfall auf die Armut oder das nackte Überleben. Dort, wo Leib und Leben wirklich gefährdet Ukraine durch die Decke schießende Kosten für Gas und Strom, sinkende Auf- sind, ist unser Staat stark genug zu helfen. Es wird im Kern darum gehen, über tragseingänge sowie steigende Investitionszurückhaltung aus. Zugleich wur- Jahrzehnte hinweg gewachsene Ansprüche zu reduzieren. Das wird vielen den dem Land die völlig verfehlten Prämissen der heimischen Energiepolitik sicherlich wehtun, lebensgefährlich ist es nicht. Dafür sorgen schon die rund schonungslos vor Augen geführt. Die Politik reagierte zwar schnell, zuweilen 1.200 Mrd. €, die wir an Sozialleistungen aufwenden. Gehen wir also trotz jedoch zu hektisch. Ein Entlastungspaket löste das nächste ab. Statt selektiv allem mit Zuversicht ins neue Jahr! Schließlich bietet jede Krise auch erheb- bedürftige Unternehmen und Privatpersonen zu fördern, wählte man die Gieß- liche Chancen. Allein zu jammern, löst kein einziges Problem. Besinnen wir uns kanne. Dabei traten erhebliche handwerkliche Fehler zu Tage. Deutlich wurde auf unsere Stärken und arbeiten wir gemeinsam daran, dass unsere Firmen dies, als Deutschland im Spätsommer wochenlang die „Segnungen“ einer Gas- stark bleiben. Wenn wir bei Flächen und Stromleitungen, bei Straßen, Brücken umlage erörterte, die erst der „Doppel-Wumms“ im Oktober in der Versenkung und Schienen, in der IT-Infrastruktur sowie der schulischen und betrieblichen verschwinden ließ. Ende November fiel dann auf, dass von dem im Februar Bildung mehr Fahrt aufnehmen, können wir neue Stärke entwickeln. Dass uns angekündigten ersten „Wumms“, also den 100 Mrd. € zusätzlicher Schulden dies aller Widrigkeiten zum Trotz gelingt, das wünschen wir Ihnen und uns für die Landesverteidigung, bis zum Jahresende so gut wie nichts verausgabt allen zum Jahreswechsel von Herzen. Walter Viegener Klaus Gräbener Präsident Hauptgeschäftsführer
2 Jan 23 Wirtschaftsreport Inhaltsverzeichnis Titelthema Arbeitsschutz 4 und Arbeitssicherheit: Gesetzliche und moralische Verantwortung Das Arbeitsschutz- und das Arbeitssicherheits- gesetz regeln bedeutende Pflichten für Arbeitgeber. Den damit einhergehenden rechtlichen Korridor einzuhalten, ist für Unternehmen eine prioritäre Aufgabe. Gerade in den letzten Jahren hat das Thema noch einmal stark an Bedeutung gewonnen. Titelseite: Foto: Carsten Schmale 38 Juwelier Linschmann Nostalgie und der Blick 44 GeBrax GmbH Innovativ in die Zukunft 47 Breuer Metallbearbeitung GmbH Breites Leistungsportfolio nach vorn Impressum Der WIRTSCHAFTSREPORT ist das offizielle Organ der IHK Siegen Herausgeber Layout ' $ und wird den kammerzugehörigen Unternehmen im Rahmen Industrie- und Handelskammer Siegen, Christian Reeh ihrer beitragspflichtigen Mitgliedschaft ohne besonderes Be- Hauptgeschäftsstelle, Postfach 10 04 51, 57069 Siegen, zugsentgelt geliefert. Im freien Verkauf jährlich EURO 25,20 Druck, Anzeigen und Verlag Koblenzer Straße 121, 57072 Siegen + Porto und MwSt. Einzelheft EURO 2,10 + Porto und MwSt. Vorländer GmbH & Co. KG Telefon 0271 3302-0 Bestellung nur durch den Verlag. Buch- und Offsetdruckerei · Verlag · Werbeagentur Telefax 0271 3302-400 Obergraben 39, 57072 Siegen E-Mail: si@siegen.ihk.de, Erscheinungsweise: jeweils am 1. jedes Monats. Telefon 0271 5940-0 Internet: http://www.ihk-siegen.de Druckauflage: 22 466 Exemplare Anzeigenannahme: Quartal 3/2022 Geschäftsstelle Olpe, Postfach 14 46, 57444 Olpe, Michaela Hartrumpf-Schneider, Telefon 0271 5940-335 A 4791 In der Trift 11, 57462 Olpe, Telefon 02761 9 44 50, Philip Tordeur, Telefon 0271 5940-331 Telefax 02761 9445-40, E-Mail: oe@siegen.ihk.de Telefax 0271 5940-373 Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die Meinung der IHK Siegen Redaktion: Mail: wirtschaftsreport@vorlaender.de wieder. Nachdruck mit Genehmigung des Herausgebers und Patrick Kohlberger: 0271 3302-317 Zustellung Quellenangabe sowie fotomechanische Vervielfältigung für Hans-Peter Langer: 0271 3302-313 Für Fragen, die die Zustellung betreffen, wenden Sie sich innerbetrieblichen Bedarf gestattet. Für unverlangt eingesand- E-Mail: presse@siegen.ihk.de bitte an zustellung@siegen.ihk.de oder 0271 3302-273. te Manuskripte und Fotos wird keine Gewähr übernommen. Der WIRTSCHAFTSREPORT ist keine auf Erwerb ausgerichtete Mitarbeiter dieser Ausgabe: Veröffentlichung. Christina Spill Zurzeit gültige Anzeigenpreisliste Nr. 61
Wirtschaftsreport Jan 23 3 IHK online Pressemeldungen finden Sie zusätzlich zur Printausgabe auch online unter www.ihk-siegen.de. »Gekürzte Dazu geben Sie bitte die dem Text beigefügte ID in das Suchfeld unserer Website ein.« 38 | Berichte 10 | Nachrichten » 61 Handelsregister » 38 Nostalgie und der Blick » 12 IHK- Vollversammlung » 62 Jubiläen/Bücher nach vorn » 18 Energiepreise 62 | Börsen » 41 Eine Gute-Nacht-Geschichte » 19 Berufsbildung » 62 Recyclingbörse » 44 Innovativ in die Zukunft » 56 Medienseminar » 63 Unternehmensnachfolgebörse » 47 Breites Leistungsportfolio » 57 Lieferketten » 64 Veranstaltungskalender » 50 Glückliche Kühe und ein » 57 Auslandsmesse Lädchen am Rande der Welt 0- '4 ' 0) %DXXQWHUQHKPHQ 6LHJHQ 4 :HLGHQDXHU 6WUD¼H * 0 6 6LHJHQ 7 ) 4 (# + 6 +RFKEDX ' ).' 6WUD¼HQ XQG 7LHIEDX 6FKOÙVVHOIHUWLJEDX ' %HWRQIHUWLJWHLOH $ 6SH]LDOWLHIEDX 7ULQNZDVVHUEHKÁOWHU %DXZHUWHUKDOWXQJ ,QJHQLHXUEDX .RQ]HSWLRQ ZZZTXDVWGH
4 Jan 23 Wirtschaftsreport Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit Gesetzliche und moralische Verantwortung
Wirtschaftsreport Jan 23 5 Das Arbeitsschutz- und das Arbeitssicherheitsgesetz regeln bedeutende Pflichten für Arbeitgeber. Den damit einhergehenden rechtlichen Korridor einzuhalten, ist für Unternehmen eine prioritäre Aufgabe. Gerade in den letzten Jahren hat das Thema noch einmal stark an Bedeutung gewonnen. Der Wirtschaftsreport rückt die zentralen Grundsätze in den Fokus und gewährt Einblicke in die innerbetriebliche Umsetzung der Vorgaben. Text: Patrick Kohlberger | Fotos: Carsten Schmale (2), Fortdress Group GmbH, Pixabay, Christian Wickler » „Arbeitsmedizin an sich gibt es in Deutschland schon seit den Tagen, als wir in den Gruben tätig waren. Mit der Zeit hat unsere Studentenschaft diesen Teilbereich aber immer mehr als Alternative für den eigenen beruflichen Werdegang aus der Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte Mitte des vergangenen Jahrzehnts damit begonnen, intensiv um Nach- wuchs zu werben – unter anderem mit einer Tagung, die inte- ressierten Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet of- dem Blick verloren“, resümiert Alexander Gräf, selbstständiger fenstand. „Und die hatte durchaus großen Erfolg“, lächelt Gräf. Betriebsarzt aus Siegen. Diese Entwicklung vor Augen, habe Neben ihm, konstatiert er, hätten schließlich auch fast alle übrigen Anwesenden danach eine Karriere in diesem Feld an- getreten. Er selbst avancierte nach Stationen im Arbeitsmedizinischen Zentrum (Standorte: Siegen und Olpe) zum ärztlichen Leiter im Werksarztzentrum in Haiger und machte sich 2020 mit seinem Betriebsarztzentrum West in Siegen selbstständig. Seither steht der heute 40-Jährige zahlreichen hiesigen Einrichtungen, Institutionen und Unternehmen mit seiner Expertise zur Seite – egal, ob Altenheim, metallverarbeitendes Unternehmen oder Start-up. In den vergangenen Monaten habe sich die Gesamt- zahl der eingehenden Anfragen merklich erhöht, bilanziert der Mediziner. Hintergrund: Die EU habe die Bundesrepublik Deutschland ein- dringlich ermahnt, die Umsetzung der Richtlinien in puncto Arbeitsschutz und -sicherheit in den Unternehmen intensiver zu überprüfen – analog zu den in Ländern wie Polen bereits deutlich stärker ausgeprägten Kontrollmaßnahmen. Durch das 2020 eingeführte Arbeitsschutzkontrollgesetz sind die Behör- den (für die Kreise Siegen-Wittgenstein und Olpe ist die Be- zirksregierung Arnsberg in der Verantwortung) nun verpflich- tet, pro Jahr mindestens 5 % der Firmen aller Branchen zu überprüfen. Auch der Datenaustausch zwischen den Ämtern und den Berufsgenossenschaften wurde vertieft, um mehr Transparenz zu schaffen. Dies soll sicherstellen, dass die Be- triebe ihrer Pflicht, eine Sicherheitsfachkraft und einen Be- triebsarzt (schon ab dem 1. Mitarbeiter erforderlich) offiziell zu benennen, nachkommen. In seiner Funktion, erklärt Alexander Gräf, trage er dafür Sorge, die Planung und Ausführung von Betriebsanlagen zu begleiten und die Gesunderhaltung der Mitarbeiter in den Mittelpunkt zu rücken. „Das hat im Detail natürlich sehr viele Facetten“, beschreibt er. Letztlich gehe es um alle Faktoren, die sich auf die Gesundheit der Beschäftigten auswirken (können) – und zwar auf unterschiedlichsten Ebenen: „Wie hoch ist die psy- chische Belastung der Belegschaft? Wie ist es um die Hygiene Carsten Schmale am Arbeitsplatz bestellt? Werden die Beschäftigten ausrei- chend vor Arbeitsunfällen geschützt? Diese und viele weitere Fragen beleuchten wir mit größter Sorgfalt, um dann gemein-
6 Jan 23 Wirtschaftsreport Betriebsarzt Alexander Gräf steht Unternehmen aller Branchen mit seiner Expertise zur Verfügung. Mitarbeiter notwendig ist – und wie sich diese konkret aus- gestalten lässt. Darüber hinaus gibt Gräf den Unternehmen Hilfestellungen in vielen weiteren Bereichen – etwa, wenn es darum geht, Mit- arbeiter auf Auslandseinsätze und die in dem jeweiligen Land gültigen Richtlinien sowie das dort vorherrschende Notfallsys- tem vorzubereiten. „Ich muss mich also immer wieder weiter- bilden und bei allen Themen auf dem neuesten Stand bleiben. Das macht diesen Job für mich so besonders“, konstatiert er. Auch für Pascal Walz ist dies ein wichtiger Punkt. Der Inge- Carsten Schmale nieur bietet Dienstleistungen in den Bereichen Arbeitssicher- heit, betrieblicher Umweltschutz und Brandschutz. Als externe Fachkraft arbeitet er in erster Linie mit kleinen und mittleren Unternehmen aus dem Siegerland zusammen – in ergänzender sam mit den Unternehmen die notwendigen Schritte zur Ver- Unterstützung auch mit größeren Firmen und Konzernen. Zu- besserung der Situation einzuleiten.“ dem ist er von der IHK Siegen öffentlich bestellter und verei- digter Sachverständiger für die Prüfung von Verdunstungs- In der für jede Firma obligatorischen Gefährdungsbeurteilung kühlanlagen, Kühltürmen und Nassabscheidern. werde präzise dokumentiert, welche Risiken für die Mitarbeiter mit der Tätigkeit an ihrem Arbeitsplatz einhergehen – von kör- „Die Aufträge fallen im Einzelfall natürlich sehr unterschied- perlicher Überlastung über Gefahren durch Hitze oder Strom lich aus, aber es gibt Grundlagen, die allen gemein sind“, be- bis hin zu Aspekten wie dem Mutterschutz. Betriebsärzte klä- richtet der 38-Jährige. Betriebe ab 20 Mitarbeitern, schildert ren die Firmen über ihre gesetzlichen Verpflichtungen auf und er, seien zu einer quartalsweisen Arbeitsschutzausschusssit- beraten beispielsweise auch in komplizierten Fragen der Wie- zung (ASA-Sitzung) verpflichtet. In dieser Runde sollten Ver- dereingliederung von Mitarbeitern. treter der Geschäftsführung und aus dem Betriebsrat (sofern vorhanden), die Sicherheitsbeauftragten, der Arbeitsmediziner „Ist etwa ein Beschäftigter sechs Wochen nach einem Motor- und eben die Fachkraft für Arbeitssicherheit zusammenkom- radunfall wieder voll einsatzfähig, gibt es kein Problem. Sig- men und sich über etwaige Unfälle, Änderungen im Firmen- nalisiert er aber, dass er bei der Ausübung seiner Aufgaben ablauf oder bei den Vorschriften austauschen. Schmerzen in der Schulter hat, ist eine kompetente Beratung extrem wichtig“, erläutert Alexander Gräf. Er informiert in sol- Bei kleinen Unternehmen, in denen es vor allem um reine Bü- chen Fällen über Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung rotätigkeiten gehe, falle die Gefährdungsbeurteilung natur- durch den Staat, aber auch über die Frage, ob die betreffende gemäß eher schmal aus. „Hier muss aber zum Beispiel auch Arbeit eventuell durch technische Hilfsmittel weiter ausgeübt geklärt werden, wie es um die Notfallvorsorge bestellt ist – ob werden kann oder eine Veränderung des Stellenprofils für den also die Bestimmungen an Fluchtwege eingehalten werden,
Wirtschaftsreport Jan 23 7 genug Feuerlöscher vorhanden und genügend Mitarbeiter als nehmern hat im Hörsaal an der Uni viel Know-how aufgesaugt, Ersthelfer qualifiziert sind etc.“ Auch Themen wie Arbeitszeit wenn es um die Bedeutung von Arbeitssicherheit geht. Am oder Arbeitsplatzergonomie seien obligatorisch. Ende des Tages drohen ja schließlich unter Umständen sogar strafrechtliche Konsequenzen, wenn man seiner Verantwor- „Mit steigenden Gefährdungen in den Betriebsabläufen gibt es tung im Betrieb nicht gerecht wird.“ Die Sensibilität dafür dann entsprechend mehr Aufwand für mich“, erklärt Walz. Er werde immer größer. prüfe die Sicherheit von Maschinen und sonstigen Arbeits- So habe sich dementsprechend inzwischen auch schon sehr mitteln und analysiere technische Details im Maschinenpark viel getan. „Heute entstehen Arbeitsunfälle in der Regel nicht – zum Beispiel, ob Schutzeinrichtungen defekt oder sogar ma- mehr wegen fehlender Unterweisung und mangelhafter Sicher nipuliert sind. Dabei identifiziere er Schwachstellen und Risi- heitseinrichtungen, sondern hauptsächlich dann, wenn verschie kopunkte. Insgesamt sei Arbeitssicherheit ein kontinuierlicher dene unglückliche Umstände zusammenkommen.“ In vielen Prozess, ordnet der Experte ein: „Es reicht nicht, sich einmal Fällen sei es auch einfach das klassische Beispiel des Hammers, alles anzuschauen und dann entsprechende Vorkehrungen zu der auf dem Finger statt auf dem Nagel lande. treffen.“ Vom sogenannten „Unternehmermodell“, bei dem der Ge- Entscheidend sei nicht zuletzt eine offene Kommunikation schäftsführer die Arbeitssicherheit zur Chefsache macht und zwischen allen Beteiligten. „Die Beschäftigten, die acht Stun- ohne externe Hilfe alles selbst übernimmt, rät Pascal Walz ab. den am Tag ihrer Tätigkeit nachgehen, wissen in ganz vielen „Das ist logistisch kaum zu meistern. Die betreffende Person Fällen selbst am besten, wo der Schuh drückt. Mein Job ist es muss sich intensiv weiterbilden und dauerhaft sehr viel Zeit dann, den Ursachen für diese Probleme auf den Grund zu ge- und Arbeit investieren, um in die Themen reinzukommen. Die- hen, sodass wir gemeinsam Lösungen erarbeiten können.“ se Kapazitäten fehlen dann an anderer Stelle.“ Letztlich seien auch die Offenheit und das Vertrauen seitens der jeweiligen Geschäftsführung unentbehrlich für eine ge- Zur Frage, welchen finanziellen Profit die Beauftragung einer deihliche Zusammenarbeit. externen Fachkraft mit sich bringt, stellt der Experte zunächst eines fest: „Es ist nicht möglich, den Nutzen 1:1 in Euro aus- In diesem Punkt stellt Walz seit einigen Jahren ein deutliches zudrücken. Unfälle, die aufgrund guter Vorarbeit nicht passie- Umdenken fest: „Gerade die jüngere Generation von Unter- ren, kann man in letzter Konsequenz nicht messen.“ Klar sei Prüfender Blick: Ingenieur und Sicherheitsfachkraft Pascal Walz bei der Arbeit. Christian Wickler
8 Jan 23 Wirtschaftsreport Melanie Schönauer rückt gemeinsam mit ihrem Team das Thema Arbeitssicherheit in den Fokus. tiger fanden wir es, dass wir uns in diesem Bereich gut auf- stellen“, verdeutlicht Schönauer. Ihr eigentlicher Ansatz zu Beginn: die Etablierung eines Betrieblichen Gesundheitsma- nagements (BGM). In diesem Kontext sei ihr aufgefallen, dass das Unternehmen noch keine Gefährdungsbeurteilung erarbei- tet hatte und zudem die interne Fachkraft für Arbeitssicherheit sowie der Betriebsarzt fehlten. „Das Bewusstsein war einfach noch nicht so stark ausgeprägt.“ Nach dieser Analyse des Status quo habe man umgehend die Entscheidung gefällt, die vakanten Positionen zu füllen und dabei auf ausgewiesene Expertise von außen zurückzugreifen. Fortdress So knüpfte Melanie Schönauer den Kontakt zu Pascal Walz und engagierte ihn als externe Fachkraft. „Wir wollten ganz bewusst jemanden aus der Region auswählen“, erklärt sie. Die aber auch: Jeder eintretende Unfall, der vermeidbar gewesen geografische Nähe ermögliche es, bei unterschiedlichsten Fra- wäre, sei einer zu viel. „Außerdem bringen solche Situationen gen oder Problemen kurzfristige Lösungen zu finden und Pro- freilich hohe Kosten für das Unternehmen mit sich. Wenn ein zesse in der Praxis konsequent voranzutreiben. Rasch kam Mitarbeiter sechs Wochen lang ausfällt, bekommt er in dieser auch Betriebsarzt Alexander Gräf hinzu. Zeit weiterhin sein Gehalt und man muss gleichzeitig seine Arbeit auf andere Beschäftigte verteilen oder im schlimmsten Bereits im Zuge der ersten ASA-Sitzung und der anschließen- Fall Umsatzverluste in Kauf nehmen, weil die Produktivitäts- den Firmenbegehung mit der Geschäftsführung seien zahlrei- ziele nicht mehr erreicht werden können.“ che Ansatzpunkte zur Optimierung der innerbetrieblichen Ab- läufe auf die Agenda gekommen – zunächst einmal einige Von positiven Erfahrungen in der praktischen Zusammenarbeit grundlegende Dinge, die sich recht einfach beheben ließen. Ein mit Alexander Gräf und Pascal Walz weiß indes Melanie Schö- Beispiel: die Lichtqualität im großen Lagerbereich des Unter- nauer von der Fortdress Group GmbH aus Wilnsdorf zu be- nehmens. „Die Messungen haben ergeben, dass wir an vielen richten. Sie ist seit rund anderthalb Jahren für das auf Kleidung Stellen die Schwellenwerte nicht erreicht hatten. Durch die für Kunden aus der Lebensmittelindustrie spezialisierte Fami- Umstellung auf LED-Beleuchtung war die Sache gelöst.“ Ganz lienunternehmen tätig und hat in dieser Zeit weitreichende nebenbei spart Fortdress durch die damit einhergehende Effi- Veränderungen angestoßen. zienzsteigerung auch in erheblichem Maße Kosten ein. Die Assistentin der Geschäftsführung und Personalverantwort- Pascal Walz führte Sicherheitsunterweisungen für alle Mit- liche hat sich von Beginn an der Aufgabe verschrieben, ge- arbeiter durch und klärte die Firmenleitung zudem darüber auf, meinsam mit der Belegschaft an verschiedenen Stellschrauben mit welchem – über die Berufsgenossenschaft kostenfrei zur zu drehen. „Die Firma war über die Jahre sehr stark gewachsen. Verfügung gestellten – System eine Gefährdungsbeurteilung Inzwischen hatten wir mehr als 50 Beschäftigte. Umso wich- entwickelt werden kann. Alexander Gräf machte überdies auf
Wirtschaftsreport Jan 23 9 eine Gefahrenquelle aufmerksam, die der Betrieb zu jenem Zeitpunkt noch gar nicht auf dem Schirm hatte: Papier und Gefährdungsbeurteilung weitere Materialien waren unmittelbar unter einer Treppe ge- Hilfreiches Onlineportal lagert – aus brandschutztechnischer Sicht ein nicht zu unter- schätzendes Risiko. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) bietet ein hilfreiches Onlineportal (gefaehrdungs- Im Fokus standen und stehen ferner freilich diverse juristische beurteilung.de) an. Es unterstützt Unternehmen bei der Aspekte des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit. „Wir Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung, zu der sie haben gemeinsam mit den Experten alle Themen durchgespro- gesetzlich verpflichtet sind. Die Betriebe erhalten so chen – und eben nicht nur die Frage, ob es im Betrieb genü- wertvolle Grundlagen für einen systematischen und er- gend Erst- und Brandschutzhelfer gibt“, verdeutlicht Melanie folgreichen Arbeitsschutz. Schönauer. Auch vermeintliche „Kleinigkeiten“ wie das klassi- sche Verbandbuch – im Falle der Fortdress Group GmbH aus Datenschutzgründen ein Abreißblock – hätten schließlich eine mitunter auch die Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Hier sei entscheidende Bedeutung. durch die entsprechende Optimierung ein deutlich positiver Effekt zu verzeichnen. „Glücklicherweise hatten wir im Unternehmen bisher noch keine größeren Arbeitsunfälle – aber es ist wichtig, die schrift- Ferner gewinnt das Unternehmen wertvolle Zeit, da Betriebs- liche Dokumentation ernst zu nehmen und auch kleinere Vor- arzt Alexander Gräf Vorsorgemaßnahmen wie die Eignungs- fälle zu protokollieren.“ Schließlich könne auch aus einer auf untersuchung „G25“ für die Staplerfahrer direkt vor Ort durch- den ersten Blick harmlosen Schnittverletzung, etwa mit einem führt. Auch Impfungen nimmt er im Betrieb vor. Kunden- Blatt Papier, im schlimmsten Fall eine Blutvergiftung – und wünsche, wie die Vitamin-C-Infusion für die Mitarbeiter, setzt somit eine Gefahr für Leib und Leben – resultieren. er ebenfalls zeitnah um. Dass es aber natürlich längst nicht nur darum geht, für be- Für die Assistentin der Geschäftsführung steht fest, dass es sonders bedrohliche Szenarien zu sensibilisieren, sondern oft- sich für jede Firma aus vielen Gründen lohnt, den Fokus auf mals auch schon kleine Erleichterungen einen großen Mehr- Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz zu richten – eben nicht wert bieten, erläutert sie an einem anderen Beispiel: der nur aus der reinen rechtlichen Verpflichtung heraus: „Man Arbeitsplatzergonomie. „Es war zwar keineswegs so, dass wir profitiert von der Unterstützung durch kompetente Ansprech- wegen dieses Themas unmittelbare Ausfallzeiten unserer Mit- partner und kann unheimlich viele Verbesserungen ansto- arbeiter beklagen mussten. Trotzdem hatten viele einfach im- ßen. Allein ist es einfach unheimlich schwierig, immer den mer wieder Kopf- und Nackenschmerzen, weil ihre Schreibti- Überblick zu behalten und die richtigen Entscheidungen zu sche oder Stühle nicht passend eingestellt waren.“ Dies habe treffen.“ Kommentar: Hans-Peter Langer Weniger ist mehr Der Jugendschutz gab einst den Anstoß häufigsten mit bürokratischen Be- beurteilung für einen Kopierer, für staatliche Arbeitsschutzbemühungen in lastungen verbunden sind. Zur Wahr- weil jemand im ungünstigsten Fall Deutschland. Vor den teils erheblichen kör- heit gehört nämlich auch: Regelungsdichte mit den Haaren in den Papiereinzug ge- perlichen Schäden bei Kindern und Jugendli- und -intensität überragen nicht selten die Gren- raten könnte? chen wollte die Preußische Regierung nicht zen des Nachvollziehbaren. Wenn für die Nut- einfach die Augen verschließen und erließ ein zung eines Fahrrades auf dem Betriebsgelände Hier soll keine Rede gegen den Schutz von Beschäftigungsverbot von Kindern unter 9 ausführlich darauf hingewiesen werden muss, Leib und Leben geführt werden. Im Gegenteil: Jahren in Fabriken oder Hüttenwerken. Nie- dass es umfallen kann, erscheint dies zumindest Wenn eine höhere Akzeptanz arbeitsschutz- mand würde heute die Sinnhaftigkeit dieser lächerlich. Auch die Stehleiter im Büro, die ein- rechtlicher Erfordernisse das Ziel ist, sollte der Regelung ernsthaft in Frage stellen. Wenn es mal jährlich geprüft werden muss, führt zu bürokratische Aufwand dringend auf ein er- jetzt nach wie vor als Ziel erachtet wird, die Kopfschütteln. Wenn Betriebe eigens eine ver- forderliches Minimum reduziert werden, ins- Bedeutung des Arbeitsschutzes in den Betrie- sierte Fachkraft einstellen müssen, die sich aus- besondere bei sehr geringen Verletzungspo- ben stärker zu verankern, sollte zuerst die schließlich um die Einhaltung von Normen in tenzialen. Wenn nicht gefühlt jeder Prozess Frage stehen, weshalb dies 183 Jahre nach der Produktion kümmert, wird dort niemand die mit einer Gefährdungsbeurteilung belegt dem Preußischen Regulativ überhaupt noch Korken knallen lassen, wenn eine neue arbeits- würde, könnte dies am Ende ein sehr wichti- erklärt werden muss. Der Arbeitsschutz ge- schutzrechtliche Vorgabe nach der anderen ein- ger Beitrag zu mehr Sicherheit dort sein, wo hört zu den Themen, die für Unternehmen am trudelt. Braucht es wirklich eine Gefährdungs- sie tatsächlich vonnöten ist.
10 Jan 23 Wirtschaftsreport A45, Route 57, Bahnstrecken und Schwertransporte: Offener Austausch mit NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer warnte hierbei vor weiteren Verteuerungen für die Betriebe. „Seit einem Jahr sagt uns niemand etwas dazu, wie der Wirtschaftsraum entlastet werden soll, der nicht nur jetzt, sondern in den nächsten Jahren mit dem immensen Wettbe- werbsnachteil durch die Sperrung kämpfen muss!“ Klaus-Dieter Wolf, Geschäftsführer des Behälterbauunternehmens Robert Josef Wolf GmbH & Co. KG, wies ergänzend darauf hin, dass Kunden zunehmend nicht mehr fragten, wie ein Produkt gefertigt werde, sondern nur noch, wie es transportiert werden solle. Man habe sich für einen Nachteilsausgleich für die Region den „Mund fusselig geredet“ und auch konkrete Vor- IHK Siegen schläge unterbreitet, ohne jemals aus offizieller Stelle eine aussagekräftige Antwort erhalten zu Austausch über verkehrspolitische Themen: Vertreter der heimischen Wirtschaft und des DGB im Gespräch mit haben, bestätigte auch IHK-Hauptgeschäfts- Minister Oliver Krischer und leitenden Mitarbeitern des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr. führer Klaus Gräbener. Oliver Krischer zeigte „Die Unternehmen bekommen keine Fachkräfte fragen ins Gespräch zu kommen. Das beherr- Verständnis für die Lage der Betriebe und ver- mehr, Auszubildende brechen ihre Lehre ab, wir schende Thema: die A45. Ihm sei von Anfang sprach, sich hierüber mit der NRW-Wirtschafts- haben mit Materialmangel und fehlendem klar gewesen, was die Vollsperrung für die Re- ministerin auszutauschen und auch auf Bundes- Frachtraum zu kämpfen. Der volkswirtschaftli- gion bedeute, bis hin zu Existenzsorgen in den ebene entsprechende Gespräche zu suchen. che Schaden durch die Vollsperrung der A45 Betrieben, betonte Oliver Krischer: „Es ist eine beläuft sich auf mindestens 1 Mio. € – pro Tag!“ Besonderheit des südwestfälischen Wirtschafts- Route 57 läuft im Planverfahren weiter Eindringlich warb Walter Viegener bei NRW- raumes, dass verkehrliche Ausweichmöglichkei- Beim Thema Route 57 machte der Minister deut- Verkehrsminister Oliver Krischer um Unterstüt- ten kaum bestehen. Hinzu kommt der unzurei- lich, dass es sich um ein beschlossenes Verkehrs- zung in verkehrspolitischen Fragen. Gemeinsam chende Zustand der Schienenverbindungen.“ projekt des Bundes handele, das im Planverfah- mit einer Delegation von zehn Unternehmern ren weiterlaufen werde. „Gleichwohl sollte allen aus dem heimischen Wirtschaftsraum und dem Die Landesregierung bekenne sich bewusst zur Beteiligten klar sein, dass die Planungen ange- Kreisverbandsvorsitzenden des Deutschen Ge- Grundausrichtung, dem Erhalt der Infrastruktur sichts der Komplexität voraussichtlich noch viel werkschaftsbundes (DGB) stattete der Präsident absolute Priorität vor dem Aus- und Neubau Zeit in Anspruch nehmen.“ Die Route 57 umfasst der IHK Siegen dem Minister einen Besuch ab, einzuräumen. „Die Herausforderung des 21. Straßenbauvorhaben in einer naturräumlich sen- um mit ihm über die drängendsten Verkehrs- Jahrhunderts besteht darin, die Infrastruktur des siblen und topografisch anspruchsvollen Region. 20. Jahrhunderts zu ertüchtigen.“ Die Zustän- Damit gehen besondere umweltfachliche und digkeit für den Neubau der Rahmede-Talbrücke technische Anforderungen an die Planung einher, liege bei der Autobahn GmbH des Bundes. Das die es sorgfältig abzuarbeiten gilt. Zuvor hatte Land arbeite konstruktiv mit dem Bundesminis- Christian F. Kocherscheidt das zentrale Ziel der terium für Digitales und Verkehr, der Autobahn Route 57 erläutert: Es gelte, die besonders indus- GmbH sowie dem Bürgerbeauftragten und Bür- triell geprägte Region Wittgenstein an die Kreis- germeister der Stadt Lüdenscheid zusammen. stadt Siegen anzubinden. Es fehlten Mitarbeiter, Mit Hochdruck und in Absprache mit dem Bund zunehmend müsse auch um Fachkräfte außer- würden die Schäden an den Umleitungsstrecken halb Wittgensteins geworben werden. „Wir kön- der Rahmede-Talbrücke so gut wie möglich be- nen uns nicht erlauben, nochmal jahrzehntelang hoben. Aus Sicht von Minister Krischer eine auf die Ortsumgehungskette zu warten“, stellte Daueraufgabe: „Das nachgelagerte Straßennetz Ingo Degenhardt, DGB-Kreisverbandsvorsitzen- kann den Autobahnverkehr nicht einfach auf- der Siegen-Wittgenstein, klar. „Hier muss im Vor- nehmen, ohne immer wieder Schaden zu neh- dergrund stehen, den Standort zu sichern und die men. Sonst bräuchten wir keine Autobahn!“ Beschäftigung zu erhalten. Wenn es um die Ver- Eine zentrale Frage sei, die gesamte Region kehrsinfrastruktur oder die Fachkräftesicherung vom Durchgangsverkehr und insbesondere vom geht, stehen Wirtschaft und Gewerkschaften Werkfoto Schwerverkehr zu entlasten. deshalb Schulter an Schulter zusammen!“ Ge- meinsam habe man etliche Resolutionen und Unternehmer Dirk Pöppel wies im Zuge des Besuchs Michael Kröhl, Leiter Logistik der Krombacher Initiativen auf den Weg gebracht, „ganz bewusst beim Minister auf die Bedeutung einer guten Verkehrs- Brauerei Bernhard Schadenberg GmbH & Co. KG auch zur Route 57, die gleichermaßen ökonomi- infrastruktur für die heimische Wirtschaftsregion hin. und Vorsitzender des IHK-Verkehrsausschusses, schen, sozialen und ökologischen Zielen dient!“
Wirtschaftsreport Jan 23 11 Dirk Pöppel wies hierzu auf die fatalen Umwelt- lisiert wurden, tut sich hier nichts. Wir fühlen transporte, die unter anderem für die Energie- folgen des jahrelangen Stop-and-go-Verkehrs in uns gnadenlos vergessen.“ Die Bahnverbindung, wende eine wichtige Rolle spielen. Peter Bender, den Ortslagen hin. Mit der Route 57 ließen sich auf der zwischen Bad Berleburg und Siegen vor Spedition Bender GmbH, kritisierte die „längst auch beträchtliche Mengen an CO² einsparen. 100 Jahren bereits die Dampflok nur zehn Mi- aus dem Ruder gelaufene Bürokratie“: „Wir stel- Der Geschäftsführer der REGUPOL BSW GmbH nuten langsamer unterwegs gewesen sei als der len hier seit Jahren keine Verbesserungen fest, berichtete aus eigener Erfahrung, dass erst im heutige Zug, sei keine ernsthafte Alternative. stattdessen sehen wir uns mit einem Wahnsinn vergangenen Jahr zwei vielversprechende Nach- Die Menschen seien hier schlichtweg auf das an zum Teil absurden Regelungen konfrontiert!“ wuchskräfte wegen der schlechten Verkehrsan- Auto angewiesen. Oliver Krischer versicherte, dass mit Hochdruck bindung ihre Ausbildung abgesagt hätten. „Um daran gearbeitet werde, die Abläufe zu verein- es klar zu sagen: Wir fühlen uns als Menschen Weiteres Thema neben dem Ausbau der Ruhr- fachen. „Die Aufgabe ist allerdings auch ange- zweiter Klasse. Während auf hessischer Seite Sieg-Strecke und der Siegstrecke waren die sichts des Zustandes der Straßen keine einfa- der Landesgrenze etliche Ortsumgehungen rea- schwierigen Rahmenbedingungen für Schwer- che.“ „Sauerland Initiativ“ Klare Forderungen an die Politik Nach einem Jahr politischer Diskrepanzen hat „Sauerland Initiativ“ (SI) seine 85 Mitglieder zu Auswirkungen und Maßnahmen der gesperrten Lüdenscheider A45-Talbrücke Rahmede befragt. Das Ergebnis der Aktion „A45 – Es reicht“ ist eindeutig: Der Druck auf politische Entschei- dungsträger müsse erhöht werden und der un- haltbare Zustand für Menschen und Unterneh- men in der Region ein schnellstmögliches Ende finden. Die Forderung nach wirkungsvollen Aus- nahmeregelungen und konkreten Zeitplänen für die Umsetzung der geplanten Verkehrsverbesse- Cedric Nougrigat rungen dürften, so die Meinung der Mitglieder, nicht nur immer wieder neu geprüft, sondern müssen auch umgesetzt werden. Die Talbrücke Rahmende wird seit über einem Jahr nicht mehr befahren – ein unhaltbarer Zustand für die Unter- Si-Vorsitzender Tobias Metten fordert eine so- nehmen und die Menschen in der Region. fortige Rückkehr zur vereinbarten parteiüber- Bedeutung der Region zu bekunden. Kommt es edenkenträgern entgegensetzen.“ Nach An- B greifenden Zusammenarbeit: „Wir haben keine so, bin ich bei der Demo dabei.“ SI-Vorstands- sicht der Unternehmer-Vereinigung müssen die Zeit mehr für parteipolitisches Taktieren. Wir mitglied Walter Mennekes unterstreicht: „Der Aufbauarbeiten der neuen Brücke im Jahr 2023 brauchen einen konkreten Zeitplan und eine Be- Wiederaufbau der Brücke hat Signalkraft. Ent- beginnen, damit spätestens 2025 der Verkehr schleunigung des Verfahrens. Dafür müssen wir schlossenes Handeln müssen wir allein schon wieder ungestört auf der A45 fließen kann aus der Region geschlossen mit einer Stimme für die Menschen in der drittgrößten Industrie- und die Menschen in der Region aufatmen kön- Richtung Berlin sprechen.“ region Deutschlands den Zeitschindern und nen. Die SI-Mitgliedsunternehmen stehen für mehr als 120.000 Beschäftigte und 52 Mrd. € Um- satzvolumen. Die von den vorgeschlagenen Maßnahmen reichen von der Organisation auf- merksamkeitsstarker Demonstrationen und Lkw- Hygienische Sternfahrten im Herzen der Hauptstadt Berlin bis hin zur Durchführung von Diskussions- und Arbeitsräume Informationsveranstaltungen mit Wirtschaft Individuelle Beratung durch und Politik. unseren regionalen Außendienst Arndt Kirchhoff, NRW-Arbeitgeberpräsident und SI-Mitglied, fasst dies in Worte: „Die poli- tischen Gremien müssen den Druck spüren. Es Pit Müller Daniel Kohl gilt dabei ins Auge zu fassen, in Berlin eine Demonstration zu organisieren, um die nationale
12 Jan 23 Wirtschaftsreport IHK-Vollversammlung Erneute Investition in regionale Strukturprojekte Staatsversagen bei Infrastruktur auf vielen Ebenen Die A45 stand auch im weiteren Verlauf der Sit- zung im Zentrum einer lebhaften Debatte. Eine Bilanz zu den vielfältigen Aktivitäten der IHK mit dem Ziel einer Planungsbeschleunigung und eines Nachteilsaugleichs zum Erhalt der Wett- bewerbsfähigkeit zog Hans-Peter Langer. Wich- tig sei, dass sämtliche Aktivitäten unter den regionalen Akteuren abgestimmt seien, beton- te der IHK-Geschäftsführer einen Punkt, den Christian F. Kocherscheidt unterstützte: „Wir haben in den vergangenen Monaten erlebt, wie eng der DGB, die Arbeitgeberverbände, die Handwerk und die IHKs hierbei zusammenarbei- ten. Das Thema wurde streitfrei gestellt, damit wir in Düsseldorf und Berlin einstimmig wahr- Carsten Schmale genommen werden. Gäbe es das doch in der Politik!“ Jens Brinkmann, Volksbank in Südwestfalen eG, IHK-Vizepräsident Christian F. Kocherscheidt (r.) wies in der Sitzung der Vollversammlung unter anderem auf das hob die Auswirkungen der Brückensperrung auf Debakel rund um die Talbrücke Rahmede hin. die Fachkräftegewinnung hervor: „Das ist bei „Die Misere um die Talbrücke Rahmede steht von 0,25 % auf 0,10 % gesunken war, wird er im vielen Unternehmen ein Riesenthema. Wo neue, sinnbildlich dafür, wie in Deutschland mit wirt- kommenden Jahr auf 0,20 % steigen. Jost qualifizierte Mitarbeiter nicht mehr gewonnen schaftlichen Lebensadern umgegangen wird. Bei Schneider: „Wir konnten innerhalb von nur zwei werden können, sieht es für die Zukunft der Ber- Infrastrukturmaßnahmen ist Deutschland mitt- Jahren über den Abbau von Rücklagen 5 Mio. € triebe duster aus!“ Er hätte sich gewünscht, die lerweile Klassenprimus im perfekt geregelten an die Mitgliedsbetriebe auskehren und sie so in Vollsperrung wäre genutzt worden, beide Brü- Stillstand!“ Die Bestandsaufnahme, die IHK-Vize- der schwierigen Zeit der Pandemie entlasten. ckenhälften gleichzeitig zu erneuern – ein Vor- präsident Christian F. Kocherscheidt in Vertretung Mit der jetzt beschlossenen, maßvollen Erhö- schlag, den Reinhard Quast bereits vor Monaten von Präsident Walter Viegener in der jüngsten hung bleiben wir auch angesichts der gegen- als machbaren Weg in die Diskussion einge- Sitzung der IHK-Vollversammlung präsentierte, wärtigen Herausforderungen der Unternehmen bracht hatte. Maik Rosenberg, aquatherm fiel schonungslos und geradezu alarmierend aus. bewusst unter dem Vorkrisenniveau.“ GmbH, lobte die unter Federführung der süd- „Wo wir hinschauen: Stillstand oder sich ewig westfälischen IHKs mit dem Titel „Südwestfalen hinziehende Projekte. Angesichts der gegenwär- IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener hat- startet durch“ erarbeiteten Projektansätze. Mit tigen Bedingungen ist das fatal: Hohe Energie- te der Vollversammlung zuvor die maßgeblichen ihrer Förderung würden wertvolle Strukturim- preise, eine historische Inflation, Auftragsrück- Projekte der Fachkräftesicherung sowie die ver- pulse für den Wirtschaftsraum ermöglicht. „Die gänge und Fachkräftemangel bestimmen das kehrspolitischen und dienstleistungsbezogenen Vorschläge gehen weit über das Thema der Brü- Bild.“ Die IHK will hier gegenhalten: Mit Verab- Vorhaben vorgestellt, mit denen die IHK 2023 cke hinaus und bilden das ganze Spektrum der schiedung ihres Wirtschaftsplans hat die Vollver- erneut Impulse setzen will. „Alleine für Fach- Betroffenheit des südwestfälischen Wirt- sammlung abermals erhebliche Finanzmittel für kräfte und Strukturprojekte werden im kom- schaftsraumes ab. Jetzt liegt der Ball bei der eigene Projekte und Initiativen freigegeben. Mit menden Jahr 369.000 € freigegeben. Einen be- Politik.“ ihnen will die Kammer die regionale Wirtschafts- sonderen Schwerpunkt bilden dabei Maßnahmen entwicklung auch 2023 vorantreiben. zur Förderung der beruflichen Bildung. Diesen Klaus Gräbener: „Wir sehen bei der Infrastruktur Markenkern der IHK-Tätigkeit wollen wir weiter ein Staatsversagen auf vielen Ebenen. Zur IHK-Vizepräsident Jost Schneider, Walter ausprägen.“ Beispiele sind die Schulung von Bestandsaufnahme gehören eine marode Stra- Schneider GmbH & Co. KG, hatte den Haushalt „Ausbildungsbotschaftern“, die Schülerinnen ßeninfrastruktur, abgelastete Brücken, ein sto- als Vorsitzender des Finanzprüfungsausschusses und Schülern Ausbildungsberufe auf Augenhöhe ckender Ausbau erneuerbarer Energien und in die Beratungen eingebracht und die wesent- nahebringen, die psychosoziale Unterstützung nicht durchsetzbare neue Gewerbegebiete. Neu lichen Eckdaten erläutert. Für das Wirtschafts- von Auszubildenden oder Maßnahmen im Be- zu bauende Straßen, wie die Route 57: Fehlan- jahr 2023 plant die IHK mit Erträgen von 7,7 reich des Ausbildungsmarketings. Im Zeitraum zeige. Wir müssen in Deutschland endlich den Mio. €, die größtenteils auf Mitgliedsbeiträge von 2020 bis 2023 wird die IHK somit struktur- Vorwärtsgang einlegen. Allein politisch den zurückgehen. Nachdem der Umlagesatz auf die relevante Projekte mit einem Gesamtvolumen Stillstand zu verwalten, reicht dafür nicht Gewerbeerträge in den letzten beiden Jahren von 2 Mio. € umgesetzt haben. aus!“
Wirtschaftsreport Jan 23 13 Lkw-Durchfahrtsverbot Lüdenscheid Appell der südwestfälischen Industrie- und Handelskammern Ein Jahr nach Sperrung der Talbrücke Rahmede wird immer häufiger ein Lkw-Durchfahrtsverbot für die Bedarfsumleitung der gesperrten A45 durch Lüdenscheid diskutiert. Damit sollen vor allem die Anwohner an der Strecke entlastet werden, die den Folgen der zusätzlichen über- regionalen Verkehre ausgesetzt sind. Nachdem sich Bund und Land gemeinsam für ein Durch- fahrtsverbot ausgesprochen hatten, haben die Carsten Schmale örtlichen Behörden nunmehr die Möglichkeit, entsprechende Anordnungen zu treffen. Nach wie vor unklar ist jedoch, wie die konkrete Um- setzung aussehen könnte. Bislang haben sich die In der Diskussion um die Umsetzung von Lkw-Fahrverboten fordern die südwestfälischen IHKs die Einbindung der Stadt Lüdenscheid und der Märkische Kreis auf regionalen Wirtschaft. keine Lösung für die Umsetzung verständigt. In einem Gespräch heimischer Unternehmen mit von 75 km südlich der Anschlussstelle Lüden- Langer: „Die Lage der Unternehmen in Südwest- Vertretern des Ministeriums für Umwelt, Natur- scheid-Mitte und nördlich der Anschlussstelle falen hat sich durch die Sperrung der Autobahn schutz und Verkehr (MUNV) NRW wurden die Lüdenscheid-Nord vorsieht. Vordringlich ist, ohnehin schon verschlechtert. Wichtig ist daher, bestehenden Überlegungen diskutiert. Ziel ist dass die Lösung rechtssicher ist und eine bloße dass sie durch ein Durchfahrtsverbot keine demnach, den überregionalen Schwerlastver- Problemverlagerung an andere Orte vermieden Nachteilsdopplung erfahren und Lösungen im kehr aus der Stadt herauszuhalten und die süd- wird. Zu klären ist zudem, wie Kontrollen im Lü- Dialog erarbeitet werden.“ Die Unternehmen westfälischen Unternehmen nicht zusätzlich zu denscheider Stadtgebiet durchgeführt werden raten zudem dringend zu einer Schilderkampa- schädigen. Daher wird derzeit eine rechtliche können, ohne dass es hierdurch zu Behinderun- gne in mehreren Sprachen entlang der A45. Regelung favorisiert, die einen Ausnahmeradius gen kommt. IHK-Geschäftsführer Hans-Peter
14 Jan 23 Wirtschaftsreport Medizinprodukte-Verordnung Guter Ansatz, aber Probleme in der Umsetzung Seit Monaten sprechen Experten von Eng- pässen bei zahlreichen Medizinprodukten, die in Kliniken und Arztpraxen gebraucht werden. Eine der Ursachen dafür ist die so- genannte Medical Device Regulation (MDR) – ein neues Zulassungsverfahren, das Her- steller als zu aufwendig beschreiben. Der Siegener Unternehmer Bernd Ginsberg ord- net die Situation aus zwei Perspektiven ein: Er leitet als Geschäftsführer die Geschicke des Medizinprodukte-Importeurs WEGIMED GmbH und des regionalen Fachhändlers be- Sascha Müller-Harmsen gicare57. Im Interview mit Wirtschaftsre- port-Redakteur Patrick Kohlberger erklärt er die Hintergründe und Folgen der MDR. Herr Ginsberg, die Medical Device Regula- Unternehmer Bernd Ginsberg, hier mit Geschäftspartnerin Vera Nierzwiki, ordnet die MDR-Richtlinien ein. tion ist ja keine ganz neue Verordnung mehr. Schließlich trat sie bereits im Mai 2021 in gespannte Lage in puncto Lieferketten betrach- Inwiefern? Kraft. Erklären Sie bitte zunächst einmal, tet, wird schnell klar, warum einige Hersteller Man darf Medizinprodukte nur für ihren je- was damals die grundlegende Intention war. inzwischen aufgegeben haben und vom Markt weils zugelassenen Zweck einsetzen. Früher Ins Leben gerufen wurde die MDR seinerzeit, verschwunden sind. gab es aber die Möglichkeit, auch mal ganz um das Thema Patientensicherheit mehr in den pragmatische Lösungen zu finden – immer Vordergrund zu rücken – und zwar in der ge- Welche Medizinprodukte sind von den Prob- unter der Voraussetzung, dass die maximale samten Europäischen Union. Das Ziel bestand lemen hinsichtlich der Zertifizierung beson- Sicherheit für den Patienten gewährleistet und darin, die Anforderungen für die Herstellung ders betroffen? der Einsatz des Produktes zielführend und von Medizinprodukten in allen Mitgliedsstaa- Das geht im Prinzip von A bis Z. Die größten sinnvoll ist. Ein Beispiel: Bei tiefen Wunden ten zu harmonisieren. Auslöser war damals der Probleme sieht man aber im Bereich der Implan- konnte man bisher sogenannte Frauen-Ein- Brustimplantat-Skandal in Frankreich, der eu- tate – egal, ob es beispielsweise um Hüft- und malkatheter zum Wundspülen einsetzen. Die ropaweit für Schlagzeilen gesorgt hatte. Wir in Kniegelenke oder um Stents bei Gefäßerkran- waren offiziell dementsprechend nicht für die- Deutschland waren schon zum damaligen Zeit- kungen geht. Ein namhafter Hersteller aus sen Zweck vorgesehen, aber der Einsatz war punkt rechtlich sehr gut aufgestellt, beispiels- Hessen hat sich etwa erst kürzlich vor dem Hin- allgemein akzeptiert, denn er war zu 100 % weise durch das Medizinproduktegesetz, aber tergrund der MDR-Problematik und der Liefer- sicher, sehr effektiv und für die Patienten mit auch durch viele weitere Verordnungen, die das ketten-Situation von der Produktion sogenann- keinen Schmerzen verbunden. Zudem spre- Geschehen am Markt bewacht haben. Die jetzt ter Irrigationsprodukte verabschiedet, die man chen wir hier lediglich von Kosten in Höhe von seit gut anderthalb Jahren geltende MDR ist zur Stomaversorgung benötigt. Ein anderer An- ein paar Cent pro Einsatz. Es gab also nur Vor- den nationalen Gesetzen übergeordnet und bieter hat in diesem Segment nun quasi eine teile. Nach den neuen MDR-Richtlinien darf löst diese Stück für Stück ab. Monopol-Stellung – und so etwas kann niemals das genannte Produkt nur noch für die Kathe- gut sein. terisierung der weiblichen Blase verwendet Das klingt ja erst einmal nach hehren Zielen werden. Man muss zum Wundspülen dagegen und einem guten Ansatz. Warum sorgt die Würden Sie unter dem Strich sagen, dass die jetzt teure Knopfkanülen verwenden, die von MDR dann aber in der Umsetzung für MDR-Verordnung zwar gut gemeint war, aber der Krankenkasse nicht bezahlt werden. Das ist Schwierigkeiten? schlecht umgesetzt wird? nur eines von vielen Beispielen, aber es zeigt Nach den MDR-Richtlinien müssen sehr viele An sich ist sie eine gute Sache. Auch wir als recht anschaulich: Die MDR-Verordnung ist Medizinprodukte neu zertifiziert werden. Das Unternehmen stehen im Grundsatz hinter dieser nicht in allen Punkten sinnvoll zu Ende ge- Problem dabei ist, dass es einfach viel zu we- Lösung. Die Patientensicherheit gehört ohne dacht. Die jeweiligen Bezirksregierungen nige „benannte Stellen“ gibt, die diese Zerti- Zweifel an oberste Stelle – so wie es hier in überwachen die Einhaltung der Verordnung fizierungen vornehmen dürfen. Dadurch Deutschland ja ohnehin schon längst praktiziert und können auch entsprechende Bußgelder kommt es zu einem ganz erheblichen Stau bei wurde. Aber die Richtlinie kam eben zu einem einleiten. den Genehmigungsverfahren. In der Folge sind sehr ungünstigen Zeitpunkt. Wegen Corona hat- viele Produkte europaweit nicht verfügbar, ten wir ja alle ohnehin schon mit großen Logis- Insgesamt können wir als Unternehmen zwar weil sie eben nicht über eine gültige Zertifizie- tikproblemen zu kämpfen. Jetzt werden alle gut mit den MDR-Richtlinien umgehen, da wir rung verfügen. Dazu kommt, dass zum Teil Produkte teurer – und viele sehr knapp. Die Pra- es ohnehin gewohnt sind, mit größter Vorsicht noch sehr langwierige Studien durchgeführt xisumsetzung ist also alles andere als ideal. zu arbeiten und die Patientensicherheit mit werden müssen, ehe ein Produkt die entspre- höchster Priorität zu versehen. Dennoch ist die chenden MDR-Normen erfüllt und dement- Ein weiterer Punkt, der uns momentan beschäf- Situation auf dem internationalen Markt der sprechend auf den Markt gebracht werden tigt, ist die sogenannte Zweckbestimmung von Medizinprodukte derzeit eben wahrlich nicht darf. Wenn man dann noch die ohnehin an- Medizinprodukten. befriedigend.
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