ZAHNÄRZTEBLATT 09 Wahlen allein - KZV Schleswig-Holstein
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ZAHNÄRZTEBL AT T der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein 09 2021 Wahlen allein ... ... machen noch keine echte Demokratie. BAR ACK OBAMA
Z A H N Ä R Z T E B L AT T INHALT EDITORIAL 3 VERTRETERVERSAMMLUNG DER KZV S-H 4 GROSSE EINIGKEIT BEI POLITISCHEN BESCHLÜSSEN „ D I G I TA L I S I E R U N G F Ü R G E S U N D H E I T “ 10 ABSCHIED VON DER DATENSPARSAMKEIT E L E K T R O N I S C H E PAT I E N T E N A K T E 12 INDUSTRIEVERBÄNDE FORDERN ZUGRIFF Herausgeber: AUF DATEN ZU FORSCHUNGSZWECKEN Kassenzahnärztliche Vereinigung und Zahnärztekammer Schleswig-Holstein C O R O N A - DAT E N S P E N D E - A P P 13 Redaktion: HOHE BEREITSCHAFT ZUR SPENDE Zahnärztekammer: VON GESUNDHEITSDATEN Dr. Claudia Stange (verantw.) www.zaek-sh.de P O L I T I S C H E KO M M U N I K AT I O N I N C O R O N A - Z E I T E N 14 Kassenzahnärztliche Vereinigung: Peter Oleownik (verantw.) „RELATIV UNVERSTÄNDLICH“ Kirsten Behrendt www.kzv-sh.de D I G I TA L I S I E R U N G 15 verantwortlich für diese Ausgabe: DIE WEBSITE WURDE 30 JAHRE ALT Peter Oleownik Verlag: FA KT E N Z Ä H L E N ! – DA S Z Ä P P G E H T I N D I E V I E RT E R U N D E 16 Zahnärztekammer Schleswig-Holstein ANFANG SEPTEMBER STARTETE Westring 496 · 24106 Kiel DER VERSAND DER UNTERLAGEN Tel. 0431 260926-13 Fax 0431 260926-15 ONLINE-RECHERCHE: 17 E-Mail: central@zaek-sh.de www.zaek-sh.de ERGÄNZUNG ZUM ARZTBESUCH Design / Layout: Stamp Media GmbH · Kiel KURZNACHRICHTEN AUS DEM VORSTAND 18 Agentur für Kommunikation & Design Druck: B E H A N D LU N G V O N C O V I D - N OT FA L L- PAT I E N T E N I M U K S H 19 Schmidt & Klaunig · Kiel INTERVIEW PROF. DR. DR. WILTFANG Druckerei & Verlag seit 1869 Bildnachweise: LANDESVERBAND DER FREIEN BERUFE 20 Titel: stock.adobe.com/Melinda Nagy EHRUNG DER JAHRGANGSBESTEN AUSZUBILDENDEN Seite 10: stock.adobe.com/FATIR29 Seite 11: stock.adobe.com/tadamichi ARBEITSRECHT IN DER ZAHNARZTPRAXIS 21 Seite 12: stock.adobe.com/bluedesign AB WANN SPRICHT MAN VON ÜBERSTUNDEN? Seite 13: stock.adobe.com/penofoto.de Seite 14: stock.adobe.com/dankos D E U T S C H -T Ü R K I S C H E S K I N D E R B U C H Seite 15: stock.adobe.com/Tobrono FÜR KINDERGARTEN- UND GRUNDSCHULKINDER 23 Seite 16: stock.adobe.com/goir „ZÄHNEPUTZEN IST TIERISCH STARK“ Seite 22: stock.adobe.com/SpicyTruffel DIE ZAHNÄRZTLICHE STELLE RÖNTGEN INFORMIERT 24 Namentlich gezeichnete Beiträge geben WELCHE PATIENTENSCHUTZMITTEL nicht unbedingt die Meinung der Heraus- SIND IN DER PRAXIS ERFORDERLICH? geber oder der Redaktion wieder. Das Zahnärzteblatt Schleswig-Holstein V E R A N S T A LT U N G D E R I D H 26 erscheint 11-mal jährlich; darunter eine Doppelausgabe; RESISTANCE GEGEN RESISTENZ Auflage 3.750; Preis d. Einzelhefts: 4 EUR; der Bezugspreis ist in den Körperschafts- FORTBILDUNG IM HEINRICH-HAMMER-INSTITUT 28 beiträgen enthalten. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. RUNDSCHREIBEN DER KZV S-H 30 2 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 0 9 | 2021
SCHLESWIG-HOLSTEIN ED I TO R I A L „WAHLEN ALLEIN MACHEN NOCH KEINE (ECHTE) DEMOKR ATIE.“ Dieses Zitat des ehemaligen US-Prä- Jetzt ist es wieder einmal so weit: sidenten Barack Obama findet sich Bundestagswahl. Wir sind heute in einer viel beachteten Rede, die mit Superlativen schnell zur Hand, er 2009 an der Universität von Kairo doch in diesem Fall ist es sicher zu- gehalten hat. Was meinte er damit? treffend, vom Ende einer politischen Wahlen sind wichtig, aber nicht alles! Ära zu sprechen. Seit dem Herbst Wenn man Wahlen allein als Mittel zur 2005 regiert Dr. Angela Merkel als Herrschaftsübertragung betrachte Bundeskanzlerin die Bundesrepub- und die Regierung dann, einmal an lik Deutschland. Doch nicht nur die der Macht, tun und lassen könne, was Länge ihrer Amtszeit lassen diese 16 sie wolle, verfehle man den Kern der Jahre in einem besonderen Licht er- Demokratie. scheinen: Sie war und ist die erste Frau in diesem Amt, die erste Bundeskanz- Foto: Studioline Kiel In einer Demokratie sollte es immer lerin der Bundesrepublik. Ihre Leistun- darum gehen, die Zustimmung der gen für das Land sind unstrittig. Menschen zur Politik anzustreben und nicht einfach mit Zwang die Das Rennen um ihre Nachfolge im Entscheidungen von oben durchzu- Kanzleramt ist auf der Zielgeraden, drücken. das Ergebnis noch offen. Auch wir Zahnärztinnen und Zahnärzte tra- Kann es legitim sein, wenn eine von gen mit unseren Stimmen zum Aus- Liebe Kolleginnen und Kollegen, je- der Mehrheit gewählte Regierung die gang der Wahl bei. Dabei lohnt sich der von uns wird seine persönlichen Rechte einer Minderheit unterdrückt? ein Blick in die Wahlprogramme der Präferenzen bei der Wahl einer Partei Selbst wenn sie dafür die Zustimmung Parteien. Wo soll die Reise hingehen, oder eines Kandidaten/einer Kandi- der überwiegenden Mehrheit der Be- wenn eine Partei zukünftig die Regie- datin haben. Wichtig ist, dass wir uns völkerung erhält? Eine solche abge- rung übernimmt oder an der Regie- gerade nach dieser langen Pande- speckte Version von Demokratie, die rung beteiligt wird? mie und der damit verbundenen ge- nur darauf schaut, dass die Macht- sellschaftlichen Ausnahmesituation haber gewählt werden, droht schnell Die Erfahrungen mit der Pandemie immer wieder aktiv in das politische in ihr Gegenteil umzukippen, in eine sowie deren Nachwirkungen und Aus- Geschehen einmischen und unsere Unrechtsherrschaft, die vom Schrift- wirkungen haben das Gesundheitswe- Zukunft gemeinsam gestalten. Dies steller Alexis de Tocqueville schon sen in den Mittelpunkt des Interesses beginnt mit Ihrer Stimmabgabe bei im 19. Jahrhundert als „Tyrannei der gerückt. Nie wurde so viel über die dieser wichtigen Bundestagswahl, Mehrheit“ bezeichnet wurde. Gesundheitsversorgung und die Leis- doch Ihr Engagement ist auch darü- tungserbringer im Gesundheitswesen ber hinaus gefordert: Wahlen allein In einer relativ stabilen und gut funk- gesprochen wie in den vergangenen machen noch keine Demokratie. tionierenden Demokratie wie der 1,5 Jahren. Nie zuvor stand ein Bun- Bundesrepublik Deutschland neigen desgesundheitsminister so im Mittel- Sie haben nun die Wahl! wir dazu, solche Gedanken auszublen- punkt des politischen Handelns und den und mit Demokratie zuallererst ist mit so weitreichenden politischen „Wahlen“ zu assoziieren. Sie schei- Vollmachten ausgestattet worden. Wir nen uns das sichtbarste Merkmal der dürfen gespannt sein, ob das gesell- demokratischen Regierungsform zu schaftliche, mediale und politische In- sein. Es täte uns gut, wenn wir uns ab teresse am Gesundheitswesen nach // Dr. Nils Borchers und zu daran erinnern, dass Wahlen der Pandemie in diesem Umfang an- Vorsitzender der zwar wichtig, aber allein nicht ausrei- hält und die guten Vorsätze zur Fort- Vertreterversammlung chend sind. entwicklung des Gesundheitswesens der KZV S-H auch eine Umsetzung finden? 0 9 | 2021 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 3
K ASSENZ AHNÄRZTLICHE VEREINIGUNG V ER T R E T ER V ER S A M M LU N G D ER K Z V S - H GROSSE EINIGKEIT BEI POLITISCHEN BESCHLÜSSEN Erhalt des dualen Systems statt Bürgerversicherung, Verhinderung der weite- es sei denn, ein Ausschussmitglied ren Kommerzialisierung der ambulanten vertragszahnärztlichen Versorgung, plante, selbst für den Vorstand zu Aufhebung der Sanktionsmaßnahmen bei der Einführung neuer Dienste in der kandidieren. Aktuell war dies sogar Telematikinfrastruktur, eine epidemiebedingte Zuschlagsposition im BEMA, bei zwei Mitgliedern des Hauptaus- Bürokratieabbau: Eine außerordentliche Vertreterversammlung der KZV Schles- schusses der Fall: Dr. Yasmin Mokhtari wig-Holstein, die am 11. August unter Hygieneauflagen als Präsenzveranstal- (Eutin) und Dr. Gerrit Schüßeler (Kiel) tung in Kiel stattfand, holte eine Vielzahl zwischenzeitlich aufgeschobener poli- gaben vor der VV bekannt, dass sie tischer Beschlüsse nach. Außerdem stellte sie die Weichen für die Nachwahl sich für das vakante Vorstandsamt eines dritten Vorstandsmitglieds auf der ordentlichen Vertreterversammlung bewerben würden. Die Delegierten im November. wählten daraufhin Dr. Nils Borchers, Dr. Björn-Erik Schultz, ZA Heinrich Vor rund einem Jahr hatte die letz- Pohlmeyer, ZA Harald Schrader und te Vertreterversammlung der KZV Dr. Jens Dreesen (alle Mitglieder des Schleswig-Holstein in Präsenz statt- Hauptausschusses) sowie Dr. Gabriela gefunden; zwei beratende Video- Haas und ZA Jan-Philipp Schmidt in Fotos: Thomas Eisenkrätzer konferenzen gab es seitdem. Das die Findungskommission. Die Kom- Online-Format stehe einer politischen mission wird mit den Anwärtern auf Diskussion entgegen, hatten die VV- das Vorstandsamt bereits im Vorwege Delegierten im Januar und im April in Verhandlungen über einen Dienst- 2021 festgestellt – und zugleich den vertrag eintreten. Nach der Wahl des Hauptausschuss damit beauftragt, neuen Vorstandsmitglieds wird die gegenüber dem VV-Vorsitzenden Borchers empfahl den Einsatz einer Fin- Vertreterversammlung über den Ver- dungskommisson „das Verlangen einer außerordentli- trag beraten und abstimmen. Eine chen Vertreterversammlung als Prä- Ausschreibung des Vorstandspostens senzveranstaltung“ auszusprechen, lich formal den beiden verbliebenen erfolgte direkt im Anschluss an die VV sobald dies unter Berücksichtigung Vorstandsmitgliedern Diercks und im Zahnärzteblatt August. der Pandemielage vertretbar sei. Not- Peter Oleownik übertragen worden. wendig war eine außerordentliche VV Der geänderte Geschäftsverteilungs- AUSZ AHLUNG DES aber auch, um die Frage der Nachfol- plan belege, dass Diercks und Oleow- PA N D E M I E Z U S C H L A G E S ge von Helmut Steinmetz zu regeln, nik nun ein „breites Aufgabenfeld“ IM SEPTEMBER den die Delegierten Ende April auf zu bearbeiteten hätten, erläuterte eigenen Wunsch von seinem Amt als Borchers. Als Dauerzustand sei das Der Umgang mit der Corona-Pan- Mitglied des KZV-Vorstandes entbun- aufgrund der Arbeitsbelastung nicht demie beschäftige die KZV Schles- den hatten. Steinmetz ist inzwischen vertretbar, ergänzte Diercks: Denn wig-Holstein nach wie vor, berichtete in sein ursprüngliches Amt als kauf- die „Endverantwortung“ der unter- Diercks, der einen Überblick über die männischer Geschäftsführer der KZV schiedlichen Aufgabenbereiche wer- Arbeit des Vorstandes seit der bera- S-H zurückgekehrt; der Vorstand be- de auf Vorstandsebene abgebildet. tenden Videokonferenz im April gab. steht derzeit damit nur noch aus zwei Ausschließlich der Vorstand führe Aus schleswig-holsteinischer Sicht Mitgliedern. Die Satzung sieht jedoch die KZV, vertrete sie nach außen und erfreulich: Die vorliegenden Zahlen einen dreiköpfigen Vorstand vor. hafte auch. belegten, dass die Zahnärzte im Land aufgrund der besonderen Vertragssi- Dass die Nachbesetzung allein schon Borchers und Diercks empfahlen tuation in Schleswig-Holstein bisher aus praktischen Erwägungen heraus den Einsatz einer Findungskommis- besser als viele ihrer Kollegen in an- dringend geboten sei, zeigten sowohl sion, die die Nachwahl eines dritten deren KZV-Bereichen durch die Krise der Vorsitzende der Vertreterver- Vorstandsmitglieds auf der Vertreter- gekommen seien. sammlung Dr. Nils Borchers als auch versammlung am 6. November 2021 der Vorstandsvorsitzende Dr. Michael vorbereitet. Traditionell bestand eine Mit Blick auf die anstehende Bun- Diercks auf. Die von Steinmetz verant- Findungskommission bisher aus den destagswahl am 26. September be- worteten Ressorts seien zwischenzeit- Mitgliedern des Hauptausschusses – dauerte Diercks, dass der Wahlkampf 4 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 0 9 | 2021
SCHLESWIG-HOLSTEIN V ER T R E T ER V ER S A M M LU N G D ER K Z V S - H gungsstrukturen stehe. Diese hätten April 2020 bis Juni 2021. Die Höhe sich im Übrigen besonders während der Zuwendungen richte sich nach der Pandemie als „robust und erfolg- der tatsächlichen Tätigkeit in diesem reich“ erwiesen. Zeitraum und werde auf Vollzeitäqui- valente umgerechnet. Während für Gemäß einer Vereinbarung des Vor- den ersten Zahnarzt pro Praxis die standes der Kassenzahnärztlichen volle vorgesehene Summe zur Aus- Bundesvereinigung (KZBV) mit dem zahlung komme, erfolge für weitere Spitzenverband Bund der Kranken- Zahnärzte in abgestufter Form eine kassen steht für die Zahnärzteschaft Quotierung. Diercks: Pandemiezuschlag stellt „Gerech- tigkeit im System“ wieder her insgesamt ein Volumen von 275 Mil- lionen Euro als Pandemiezuschlag Die erste Rate der Zahlung sei von al- bisher nicht durch Sachthemen oder zur Verfügung. Abgegolten würden len Kostenträgern in Schleswig-Hol- Programme, sondern vielmehr durch damit die „erheblichen zusätzlichen stein zum 1. Juli bei der KZV einge- Personaldiskussionen bestimmt wer- Aufwendungen“ für die Versorgung gangen, lobte Diercks und bedankte de: „Bundestagswahlen sind kein der Patienten, Sachkosten und Pra- sich bei den Vertragspartnern für das Event und Spitzenkandidaten sind xisinvestitionen sowie der Mehrauf- „korrekte und partnerschaftliche Ver- nicht Teil einer Castingshow“, ver- wand für Kommunikation, Behand- halten“. Die zweite Tranche werde im deutlichte er. Gerade auch im Ge- lung und Dokumentation, so Diercks. Oktober folgen. Der Vorstand habe sundheitsbereich stünden wichtige Das Geld werde entsprechend der jedoch beschlossen, die Zahlung Fragen im Raum: „Wie soll zukünftig Zahl der Versicherten im jeweiligen nicht wie vorgesehen in zwei Raten, die Finanzierung des GKV-Systems KZV-Bereich verteilt. Auf die KZV sondern in einer Summe bereits mit erfolgen? Sollen die Zusatzbeiträge Schleswig-Holstein entfielen ca. 9,5 der Quartalsabrechnung für das II. weiter angehoben werden oder müs- Millionen Euro. Quartal zu leisten – selbstverständ- sen die Beiträge durch weitere Steu- lich ohne Verwaltungskostenabzug, ermilliarden stabilisiert werden? Soll Die Verteilung des Betrages auf die kündigte Diercks an. das duale System überhaupt erhalten einzelnen Zahnärzte erfolge nach ei- werden oder droht nun die Bürger- nem bundeseinheitlichen Schlüssel, Nachdem die Zahnärzte im letzten versicherung?“ Zugleich unterstrich den die KZBV festgelegt habe. Be- Jahr zunächst mit einem Darlehen Diercks, dass die Zahnärzteschaft für rücksichtigt würden dabei zugelas- statt eines „echten“ Rettungsschirms die Stärkung der Selbstverwaltung sene Zahnärzte, angestellte Zahnärz- „abgefunden“ wurden, werde mit der und den Erhalt bewährter Versor- te und Assistenten für den Zeitraum Zahlung des Pandemiezuschlages „die BESCHLÜSSE DER VERTRETERVERSAMMLUNG DER KZV SCHLESWIG-HOLSTEIN VOM 8. AUGUST 2021 RESOLUTION Medien und Politik haben zur Ver- Insbesondere durch: Die Feststellung der epidemischen besserung der Lage der Zahnärz- Lage von nationaler Tragweite traf teschaft kaum beigetragen. Der • die Lieferung von Masken und Vi- Deutschlands Zahnarztpraxen hart. Gesetzgeber hat auf die besondere sieren konnte der große Mangel Unter großem persönlichen und fi- Situation in den Zahnarztpraxen nur an Material abgemildert werden nanziellen Einsatz haben die Zahn- unzureichend reagiert und der Zahn- ärztinnen und Zahnärzte zusammen ärzteschaft einen echten Schutz- • die Aussetzung des HVMs im mit ihren Mitarbeiterinnen und schirm verweigert. Der Berufsstand 2. Quartal 2020 konnte unbudge- Mitarbeitern die zahnmedizinische hat sich selbst geholfen: Die zahn- tiert weitergearbeitet werden Versorgung aufrechterhalten. Trotz ärztliche Selbstverwaltung hat durch des Risikos bei der zahnärztlichen ihr schnelles und effizientes Handeln • die Errichtung von Notdienst- und Behandlung gab es in den Praxen ihre Funktionstüchtigkeit bewiesen. Vertretungspraxen war die Versor- keine Infektionen – weder bei Zahn- gung zu jedem Zeitpunkt gesichert ärzten noch beim Personal oder bei Die KZV S-H hat ihre Mitglieder stets Patienten. aktuell informiert und über Gebühr unterstützt. 0 9 | 2021 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 5
K ASSENZ AHNÄRZTLICHE VEREINIGUNG V ER T R E T ER V ER S A M M LU N G D ER K Z V S - H Gerechtigkeit im System“ wiederher- Alternative der Abrechnung zur Ver- Die Beschlüsse im Einzelnen: In einer gestellt, kommentierte er. Mehr noch: fügung steht, plädierte Diercks den- Resolution stellten die Delegierten Die Regelung, die die KZBV nun auf noch dafür, bei den Abrechnungen noch einmal die Verdienste der Zahn- dem Verhandlungsweg erreicht habe, neuer PAR-Pläne für die Monate Juli ärzte und ihrer Selbstverwaltung bei sei sogar wertvoller als die seinerzeit bis September auf die Erhebung der der Bewältigung der Corona-Pande- von der Zahnärzteschaft geforderte Zusatzgebühr von einem Euro pro Fall mie heraus. Politik und Medien hätten Überstellung von 90 Prozent der Ge- zu verzichten, die die KZV normaler- dagegen kaum zur Verbesserung der samtvergütung ohne Rückzahlungs- weise für die Einreichung papierge- Lage der Zahnärzteschaft beigetra- verpflichtung. bundener Abrechnungen fordert. gen, monierten sie. Von den politi- Einem entsprechenden Antrag des schen Entscheidungsträgern fordert Diercks ging außerdem auf die neue Vorstandes stimmte die VV der KZV die VV nun „ein klares Bekenntnis zur PAR-Behandlungsstrecke ein: Sie sei S-H einstimmig zu. Selbstverwaltung“. Zugleich dankten ein „Meilenstein“ für die Versorgung die Delegierten dem Vorstand der der Patienten – aber auch eine Her- NEUN POLITISCHE KZV S-H für die in der Coronakrise ausforderung für die Praxen und die ANTR ÄGE EINSTIMMIG geleistete Arbeit. KZV. Nach wie vor gingen viele Anrufe BESCHLOSSEN zur Beantragung und zur Abrechnung Zahnmedizin sei ein „integraler Be- ein. Diercks kündigte dazu einen FAQ- Insgesamt neun politische Beschlüs- standteil der medizinischen Versor- Katalog der Arbeitsgruppe PAR der se fasste die außerordentliche Ver- gung“, unterstrich die VV zudem: KZBV – der er selbst angehört – an. treterversammlung am 11. August. Eine Ungleichbehandlung gegenüber Die Zahl deutet darauf hin, dass es ärztlichen Praxen sei nicht zu begrün- Zugleich warb er dafür, für die Ab- hier durchaus Nachholbedarf gab. den. So seien zahnärztliche Praxen in rechnung die im Serviceportal der Über die einzuschlagende Richtung der ersten Zeit der Pandemie bei der KZV Schleswig-Holstein geschaffene herrschte dabei große Einigkeit – viel Versorgung mit Desinfektions- und Möglichkeit der Erfassung, Bean- Diskussionsbedarf zu den Anträgen Hygieneprodukten als nachrangig tragung und Abrechnung der neu- hatten die Delegierten daher nicht. eingestuft worden. In dieser „patien- en PAR-Fälle zu nutzen, solange die Alle politischen Beschlüsse wurden ten- und versorgungsgefährdenden Hersteller von Praxisverwaltungssys- einstimmig gefasst und sendeten da- Situation“ sei es nur durch das per- temen die entsprechenden Module mit ein eindeutiges Signal: „Diese Ein- sönliche Engagement der Praxisteams noch nicht programmiert haben (s. stimmigkeit ist wichtig“, kommentierte nicht zu „schwerwiegenden Folgen“ auch Zahnärzteblatt August, S. 23). Borchers die Abstimmungsergebnisse gekommen. Mit dem einstimmigen Auch wenn damit eine papierlose im Anschluss. Beschluss des Antrags „Freie Praxen • die Gewährung einer Sonderzah- der Praxen während der Corona-Pan- wig-Holsteins in seiner Regierungs- lung wurden in bundesweit ein- demie vereinbaren. erklärung an, die Bürokratiekosten zigartiger Weise die finanziellen bis zum Jahr 2020 halbieren zu Folgen für die Praxen abgefedert Von den politischen Entscheidungs- wollen. Das Gesetz der Bundesre- trägern fordert die Vertreterversamm- gierung zur Bürokratieentlastung • die energische Forderung an das lung der KZV S-H ein klares Bekennt- wurde durch die Teilnahme Schles- schleswig-holsteinische Ministe- nis zur Selbstverwaltung und dankt wig-Holsteins an der Bund-Länder- rium für Soziales, Gesundheit, dem Vorstand der KZV S-H für die in Arbeitsgruppe „Bürokratieabbau“ Jugend, Familie und Senioren der Coronakrise geleistete Arbeit. begleitet. Auch die aktuelle Landes- wurde die Eingruppierung aller regierung kündigt in ihren Initiativen Zahnärzte und Mitarbeiter in die BÜROKRATIEABBAU JETZT großzügig Maßnahmen zum Büro- Gruppe der höchsten Impfpriori- Die Vertreterversammlung der KZV kratieabbau an. tät erreicht S-H fordert die Landesregierung auf, den vollmundigen Versprechungen Die Vertreterversammlung fordert Schließlich konnte die KZBV in Ver- zum Bürokratieabbau endlich Taten verbindliche zeitliche Vorgaben zur handlungen mit dem GKV-Spitzen- folgen zu lassen. Umsetzung. verband einen Pandemiezuschlag in Form eines Einmalbetrages zur Ab- Bereits im Jahr 2012 kündigte der geltung der besonderen Aufwände damalige Ministerpräsident Schles- 6 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 0 9 | 2021
SCHLESWIG-HOLSTEIN V ER T R E T ER V ER S A M M LU N G D ER K Z V S - H Eindeutiges Signal: Die VV der KZV S-H fasste alle politischen Beschlüsse einstimmig sind die Pandemie-Helden“ verban- VV der KZV S-H nun die Einführung rechte aller Bürger auch in Pande- den die Delegierten zugleich einen einer Zuschlagsposition in den BEMA, miezeiten gewährleistet sein müsse. Dank an alle Praxen im Land für die die bei der Feststellung einer regio- Eingriffe in Grundrechte seien be- geleistete Arbeit. nalen oder nationalen Epidemie abre- gründungspflichtig. Ärzte und Wis- chenbar ist. Dies würde die tatsächlich senschaftler dürften nicht durch poli- Auch wenn die Vereinbarung des Pan- entstandenen Mehraufwendungen in tische Vorgaben unter Druck gesetzt demiezuschlages zwischen KZBV und den Praxen „zeitnah“ auffangen, argu- werden: „Wissenschaftler und Medi- Spitzenverband Bund der Krankenkas- mentierten die Delegierten. ziner treffen keine Entscheidungen, sen ein großer Erfolg der Selbstverwal- sondern liefern Daten und Fakten als tung ist – es handelt sich dabei um eine Überdies stellten sie klar, dass der Grundlage für Verwaltungsentschei- einmalige Regelung: Daher fordert die Schutz der unveräußerlichen Grund- dungen“, verdeutlichten sie. EPIDEMIEBEDINGTE VERGEWERBLICHUNG DER Verweigerer“ sind aufzuheben. Die ZUSCHLAGSPOSITION MEDIZINISCHEN VERSORGUNG Erhebung von angemessenen Ge- Die Vertreterversammlung der KZV VERHINDERN bühren bei besonderem Aufwand, S-H fordert den G-BA auf, eine Zu- Die Vertreterversammlung der KZV die im Einzelfall entstehen, bleibt schlagsposition in den BEMA ein- Schleswig-Holstein fordert die Ab- davon unberührt. zuführen, die bei Feststellung einer geordneten des neu zu wählenden bundesweiten oder regionalen Epi- Deutschen Bundestages auf, der FREIE PRAXEN SIND demie abrechenbar ist. weiteren Kommerzialisierung der DIE PANDEMIE-HELDEN ambulanten vertragszahnärztlichen Die Vertreterversammlung der KZV GRUNDRECHTE SICHERN Versorgung entgegenzutreten. Schleswig-Holstein begrüßt, dass es Die Vertreterversammlung der KZV nach langen und zähen Verhandlun- Schleswig-Holstein fordert alle poli- DIGITALISIERUNG MIT gen zwischen KZBV und dem GKV- tischen Entscheidungsträger dazu VERSTAND – NICHT MIT ZWANG Spitzenverband gelungen ist, für die auf, den Schutz der unveräußerli- Die Vertreterversammlung der KZV vertragszahnärztlichen Praxen einen chen Grundrechte aller Bürger die- Schleswig-Holstein fordert das Ende partiellen Ausgleich der pandemie- ses Landes zu garantieren und sie der Einführung neuer Informations- bedingten Mehrkosten zu nicht Praktikabilitäts- und Zweck- technologie im Gesundheitswesen mäßigkeitserwägungen einer Pan- „mit der Brechstange“. Sanktions- demiebekämpfung unterzuordnen. maßnahmen gegen so genannte „TI- 0 9 | 2021 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 7
K ASSENZ AHNÄRZTLICHE VEREINIGUNG V ER T R E T ER V ER S A M M LU N G D ER K Z V S - H Seit Jahren warnt die Zahnärzteschaft außerdem. Der Zeitaufwand für die vielmehr mit Argumenten, nicht je- vor einer zunehmenden Vergewerb- Umsetzung bürokratischer Pflichten doch mit Strafmaßnahmen begegnet lichung des Gesundheitswesens und habe in den letzten Jahren weiter zu- werden, erklärten die Delegierten. den Gefahren, die den freiberuflichen genommen und gehe auf Kosten der Der stellvertretende Vorstandsvor- Versorgungsstrukturen durch Kapi- Behandlungszeit. Nun fordern die sitzende Peter Oleownik erinnerte in talinvestoren drohen. Vorsorglich Delegierten von der Landesregie- diesem Zusammenhang daran, dass fordert auch die VV der KZV Schles- rung verbindliche zeitliche Vorgaben die gesetzliche – und sanktionsbe- wig-Holstein die neue Bundesregie- für die Umsetzung des bereits 2012 wehrte – Vorgabe, nach der Zahnärzte rung bereits jetzt auf, der weiteren angekündigten Bürokratieabbaus. bis zum 1. Juli nachweisen mussten, Kommerzialisierung der ambulanten über die notwendigen Komponenten vertragszahnärztlichen Versorgung TI: SKEPTIKER und Dienste für den Zugriff auf die entgegenzutreten: Dass freiberuflich MIT ARGUMENTEN elektronische Patientenakte (ePA) zu tätige, selbstständige niedergelasse- ÜBERZEUGEN! verfügen, schon allein deshalb nicht ne Zahnärzte ein Garant für eine flä- zu halten gewesen sei, weil die not- chendeckende, qualitativ hochwerti- Zudem lehnte die VV Sanktionen ge- wendigen Updates der Konnektoren ge zahnärztliche Versorgung sind, gen „sogenannte ‚TI-Verweigerer‘“ ab: nicht rechtzeitig zur Verfügung stan- habe gerade auch die Corona-Pan- Sie förderten die Akzeptanz der TI-An- den. Die KZV Schleswig-Holstein wer- demie erneut unter Beweis gestellt, wendungen nicht; Skeptikern müsse de eine Überprüfung der Nachweise heißt es zur Begründung. der Praxen, dass sie „ePA-fähig“ sind, daher frühestens zum Ablauf des III. Auch der Bürgerversicherung erteil- Quartals 2021 durchführen. Bis dahin te die VV eine klare Absage. Vielmehr würden auch keine Sanktionen vor- unterstrichen die Delegierten ihre genommen. Erwartung an die neue Bundesregie- rung, sich für den Erhalt und die Wei- Zugleich nahm Oleownik den Antrag terentwicklung des bewährten dualen zum Anlass, erneut auf den Start der Systems einzusetzen. elektronischen Arbeitsunfähigkeits- bescheinigung zum 1. Oktober 2021 Überbordende Bürokratie und weit- hinzuweisen. Ab diesem Datum müs- reichende Dokumentationsanforde- sen Ärzte und Zahnärzte Krankschrei- rungen behindern den zahnärztli- Oleownik: Prüfung der ePA-Fähigkeit bungen auf elektronischem Wege chen Praxisalltag, kritisierte die VV frühestens zum Ende des III. Quartals an die Krankenkassen übermitteln. erreichen. Zahnärztinnen und Zahn- setzen und sich allen Bestrebungen WAHL EINER ärzte und ihre Mitarbeiterinnen und zur Einführung einer Einheits-Kran- FINDUNGSKOMMISSION Mitarbeiter haben in der Pandemie kenkasse mit dem euphemistischen Die VV der KZV S-H wählt die Mit- ihre Einsatzbereitschaft und ihre Namen „Bürgerversicherung“ zu glieder der Vertreterversammlung Leistungsfähigkeit bewiesen. Zahn- widersetzen. Dr. Borchers, Dr. Schultz, ZA Pohl- medizin ist integraler Bestandteil der meyer, ZA Schrader, Dr. Dreesen, medizinischen Versorgung. Eine Un- VERWALTUNGSKOSTEN- Dr. Haas und ZA Schmidt in eine gleichbehandlung gegenüber ärzt- ORDNUNG (VERTRAGSZAHN- Findungskommission zur Ersatzwahl lichen Praxen ist nicht zu begründen. ÄRZTLICHE VERSORGUNG) eines hauptamtlichen Mitgliedes des Die Regelung der Ziffer 8 lit a) der Vorstandes der KZV S-H für die Rest- DUALES SYSTEM für das Haushaltsjahr 2021 gelten- dauer der Legislaturperiode 2017- STATT EINHEITSK ASSE den Verwaltungskostenordnung 2022. Die Findungskommission tritt Die Vertreterversammlung der KZV findet für Leistungsabrechnungen in Verhandlungen über den Dienst- Schleswig-Holstein fordert die Ab- gemäß dem BEMA-Teil 4, die auf vertrag mit den Anwärtern auf eine geordneten des neu zu wählenden Grundlage der ab dem 01.07.2021 Vorstandsmitgliedschaft ein. Vor Deutschen Bundestages auf, sich geltenden Regelungen erbracht Abschluss des Vertrages wird die- für den Erhalt und die Weiterent- wurden, für die Monatsabrechnun- ser von der Vertreterversammlung wicklung des bewährten dualen gen Juli 2021 bis September 2021 der Legislaturperiode 2017-2022 Krankenversicherungssystems einzu- keine Anwendung. beraten und abgestimmt. 8 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 0 9 | 2021
SCHLESWIG-HOLSTEIN V ER T R E T ER V ER S A M M LU N G D ER K Z V S - H Oleownik rief die Zahnärzte dazu auf, sich bis dahin mit den notwendigen TI-Komponenten auszustatten: Dazu zählen ein elektronischer Heilberufs- ausweis, ein entsprechendes Kon- nektor-Update und der Dienst „Kom- munikation im Medizinwesen“ (KIM). Sanktionen seien in diesem Fall zwar nicht geplant, wer jedoch bis dahin die technischen Voraussetzungen nicht erfülle, könne keine Arbeitsun- fähigkeitsbescheinigungen mehr aus- stellen. – Eine Übergangsregelung war zum damaligen Zeitpunkt nicht vorge- sehen, wurde jedoch inzwischen ein- geführt (s. Seite 30). WAHLEN Die Wahlkommission (Dr. Marianne Stahl, ZA Christian Anthony und Dr. Malte Uhrigshardt) kümmerte sich um die ordnungsgemäße Auszählung der Stimmen Nach dem Ausscheiden von Dr. Hans Gebhard Friese aus der Vertreter- Haushaltsausschusses setzte sich ZA glied im Zulassungsausschuss ist versammlung mussten in zwei Aus- Thorsten Mahlke (Rendsburg) gegen Dr. Ingo Brehme (Kiel). schüssen Mitglieder ergänzt werden: Dr. Anke Zeinecker (Norderstedt) Bei der Nachwahl eines Mitglieds des durch. Neues stellvertretendes Mit- // Kirsten Behrendt DANK AN DR. HANS GEBHARD FRIESE Nach der Rückgabe seiner Zu- lassung schied Dr. Hans Gebhard Friese (Kiel) auch aus der Vertreter- versammlung der KZV Schleswig- Holstein aus. Friese war seit 2017 VV-Delegierter sowie Mitglied des Haushaltsausschusses. Außerdem war er stellvertretendes Mitglied des Zulassungsausschusses, der Prü- fungsstelle (Beratungskommission 2), des Landesschiedsamtes für die vertragszahnärztliche Versorgung, des Vertragsausschusses, des Pro- thetik-Einigungs- und des Prothetik- Widerspruchsausschusses. Mit einem Präsent bedankte sich der VV-Vorsitzende Dr. Nils Borchers bei Friese für seine Tätigkeit. Frieses Nachfolger in der Vertreterver- sammlung ist Dr. Ingo Brehme. 0 9 | 2021 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 9
K ASSENZ AHNÄRZTLICHE VEREINIGUNG „ D I G I TA L I S I ER U N G F Ü R G E SU N D H EI T “ ABSCHIED VON DER DATENSPARSAMKEIT Ein „digitales, systematisch lernendes Gesundheitssystem“ hatte der Sach- verständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswe- sen (SVR) in seinem Ende März vor- gestellten Gutachten „Digitalisierung für Gesundheit“ gefordert. Zugleich hatte er für einen leichteren Zugriff auf Gesundheitsdaten zu Forschungs- zwecken plädiert. Dazu müsse unter anderem auch der Datenschutz „neu gedacht“ werden. Auf einem digita- len Symposium am 17. Juni stellte der Sachverständigenrat die wichtigsten Aspekte seines knapp 400 Seiten um- fassenden Gutachtens noch einmal dar und forderte zugleich, das „An- recht von Patienten auf bestmögliche Nutzung ihrer Gesundheitsdaten“ ge- setzlich zu verankern. Dazu gehöre auch, sich von den bislang Das Patientenwohl müsse der Maß- bestmöglichen Behandlung und der vertretenen Konzepten „Datensparsam- stab sein, an dem Digitalisierung im Verbesserung des Gesundheitssys- keit“ und „unmittelbare Zweckbindung“ Gesundheitswesen ausgerichtet wer- tems sowie zum Zweck einer die Vor- zu lösen – sie seien „lebensfremd, irre- den sollte: „Dazu brauchen wir für For- beugung, Diagnose oder Behandlung führend und manchmal sogar schäd- schung und Versorgung verwertbare verbessernden Forschung“ nicht ent- lich“ (Stichworte: maschinelles Lernen, Daten.“ Dabei geht es dem Rat nicht gegenstehen. Vielmehr müsse Daten- Künstliche Intelligenz, Big Data). Zwar nur um die bereits jetzt verfügbaren schutz diesen „Grundanspruch jedes halte es auch der Sachverständigenrat Abrechnungsdaten der gesetzlichen Menschen“ sogar berücksichtigen. für unabdingbar, dass „Gesundheits- Krankenkassen, sondern ebenso um daten nicht in falsche Hände fallen“, die dazugehörigen Behandlungs- Dabei kündigt der Sachverständigen- betonte der Rats-Vorsitzende Prof. Dr. daten, insbesondere die Daten aus rat gleich an, dass „für den Großteil Ferdinand Gerlach bei der Vorstellung der elektronischen Patientenakte: der Forschungsfragen“ pseudonymi- des Gutachtens. Zugleich müssten sie Es bedürfe der „Auswertung großer sierte Daten benötigt würden – denn jedoch in die „richtigen“ Hände ge- Datenmengen“, heißt es im Gutachten mit einer Anonymisierung sei „ein ho- langen können: „Daten teilen heißt explizit. her Informationsverlust“ verbunden. besser heilen“, lautet die Devise des In punkto Einwilligungsverfahren Rates. Datensicherheit müsse die „vor- RECHT AUF schlägt der Rat vor zu prüfen, ob für rangige Norm“ werden – in Verbindung D AT E N V E R A R B E I T U N G Versorgungsdaten, die für die For- mit „wirksamen Kontrollen“ und „emp- S TAT T A U F D AT E N S C H U T Z ? schung besonderes relevant sind, die findlichen strafrechtlichen Sanktionen“ Möglichkeit einer Verarbeitung auf gegenüber denjenigen, die die „ge- Die informationelle Selbstbestim- gesetzlicher Grundlage ohne Zustim- zogenen Grenzen“ überschritten. – In mung der Patienten solle nicht län- mungserfordernis oder Opt-out-Mög- anderen Ländern funktioniere das trotz ger „allein als Schutz personenbe- lichkeit geschaffen werden könnte. Datenschutzgrundverordnung schließ- zogener Daten“ verstanden werden. Behandlungsdaten, die „im Rahmen lich auch, argumentieren die Ratsmit- Datenschutz dürfe dem „Anrecht“ solidarisch finanzierter Gesundheits- glieder und verweisen auf bessere jedes einzelnen Versicherten auf versorgung erhoben und ohnehin do- Datenpools im Ausland, von denen eine „adäquate Verarbeitung seiner kumentiert werden“, sollten über die auch Deutschland profitiere. Gesundheitsdaten zum Zweck der ePA an eine zentrale „Sammelstelle“ 10 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 0 9 | 2021
SCHLESWIG-HOLSTEIN „ D I G I TA L I S I ER U N G F Ü R G E SU N D H EI T “ (Forschungsdatenzentrum) weiterge- leitet werden, die diese Daten treuhän- sprechen. Außerdem sollten Inhalte der Akte gegenüber einzelnen „Leis- INFO i derisch verwaltet und für Forschungs- tungserbringern“ gezielt „verschattet“ zwecke „kuratiert“ zur Verfügung stellt, – wohlgemerkt: nicht gelöscht – wer- Das aktuelle Gutachten des empfiehlt der Rat – auch dies gegebe- den können. Das derzeit vorgesehene Sachverständigenrats zur Be- nenfalls ohne Zustimmungserforder- „mehrfache Opt-in-Verfahren“ für die gutachtung der Entwicklung im nis: Die freiwillige Bereitstellung der Einrichtung der ePA, die Befüllung, Gesundheitswesen kann unter Daten mindere ihren Nutzen für die die Einsichtnahme sowie für erneute www.svr-gesundheit.de einge- Forschung „deutlich“, stellte Ratsmit- Zugriffe und die Nutzung der Daten sehen werden. Dort ist auch ein glied Prof. Dr. Jonas Schreyögg anläss- für Forschungszwecke berge die Ge- Video-Stream des Symposiums lich des Symposiums fest. fahr, dass eine „so grundlegende Leis- abrufbar. tung der Gesundheitsversorgung mit Als Beleg für die Notwendigkeit die- all ihren Potenzialen und Chancen“ ses Eingriffs führt der Rat unter an- aufgrund des Aufwands zu wenig ge- Schlüssig ist für Spahn auch, dass Ver- derem die Pandemiebekämpfung ins nutzt werde. Und Patienten könnten sicherte sich mit Blick auf eine leich- Feld – die durch das „weltfremde Dog- schließlich immer dann am besten be- tere Nutzung ihrer (anonymisierten ma der Datensparsamkeit“ erschwert handelt werden, „wenn alle notwen- bzw. pseudonymisierten) Daten „so- worden sei. Maßnahmen zur Eindäm- digen Gesundheitsdaten vollständig lidarisch“ zeigen sollten - immerhin mung des Virus könnten „gezielter“ und aktuell zur Verfügung stehen“ – profitierten sie andererseits davon, sein, wenn Gesundheitsdaten „wie von den Vorteilen für die Forschung jederzeit Zugang zur medizinischen eine nachgewiesene Ansteckung“ einmal abgesehen. Versorgung zu haben: „Solidarität mit Bewegungs- und Kontaktdaten ist keine Einbahnstraße“, bemerkte verknüpft werden könnten“, erklärte EINE FR AGE DER Spahn. Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Gesund- S O L I D A R I TÄT ? heitsökonom und stellvertretender Wer die Empfehlungen des Sach- SVR-Vorsitzender, bereits im März: Dass Bundesgesundheitsminister verständigenrats „für eine patien- „Die Corona-Krise zeigt, dass es beim Jens Spahn große Sympathien für die tenwohldienliche Digitalisierung der Thema Datennutzung nicht nur um Empfehlungen des Rates hegen dürf- Gesundheitsversorgung“ – die dieser den effizienten Schutz von Leben und te, liegt in der Rückschau der nun zu durchaus als Blaupause verstanden Gesundheit des Einzelnen und seiner Ende gehenden Legislaturperiode auf wissen will – umsetzt, werden die Bun- Mitmenschen geht, sondern auch der Hand. Klar ist außerdem, dass er destagswahl und die anschließende darum, das Wirtschaftsleben ebenso persönlich in der Digitalisierung eher Regierungsbildung zeigen. Wohin wie Bildung, Kultur und Freizeitakti- Chancen als Risiken sieht. So vermag die Reise im Gesundheitswesen und vitäten nicht unnötig einzuschränken. es kaum zu überraschen, dass er auf beim Schutz persönlicher Daten ge- Es geht um die materiellen und ideel- dem Symposium des Sachverstän- hen könnte, zeigt das SVR-Gutachten len Grundlagen unserer Gesellschaft. digenrats eine eindeutige digitale in jedem Fall jetzt bereits auf. Um beurteilen zu können, welche Ein- Identität für jeden Bürger, in der bei- schränkungen wirklich nötig und an- spielsweise die Steuer- und die „Sozi- // Kirsten Behrendt gemessen sind, müssen Forschende alversicherungsnummer“ zusammen- Daten auswerten dürfen.“ laufen, ins Spiel brachte. E PA M I T O P T- O U T Da scheint es nur folgerichtig, dass der Sachverständigenrat auf dem Symposium im Juni seine Forderung, grundsätzlich für jeden Bürger „mit Geburt oder Zuzug“ eine elektroni- sche Patientenakte (ePA) anzulegen und zugleich den Zugriff durch „be- handelnde Leistungserbringer“ zu er- möglichen, noch einmal bekräftigte. Dabei solle jedem Versicherten aller- dings das Recht eingeräumt werden, der Einrichtung jederzeit zu wider- 0 9 | 2021 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 11
K ASSENZ AHNÄRZTLICHE VEREINIGUNG EL EK T R O N I S C H E PAT I EN T EN A K T E INDUSTRIEVERBÄNDE FORDERN ZUGRIFF AUF DATEN ZU FORSCHUNGSZ WECKEN Zehn Industrieverbände, darunter der Zum Hintergrund: Ab 2023 können rechtlich und technisch ausgeschlos- Bundesverband der deutschen Indus- Versicherte die Daten aus ihrer elek- sen, monieren die zehn Industrie- trie (BDI), fordern zu Forschungszwe- tronischen Patientenakte freiwillig verbände nun in einer gemeinsamen cken einen Zugang zu Daten aus der für Forschungszwecke zur Verfügung Pressemitteilung. elektronischen Patientenakte (ePA). stellen. Dafür existieren zwei Szena- rien: Zum einen können die Daten Gegenwärtig könnten Forschungs- Der BDI und die Verbände BIO unabhängig von einem bestimmten daten aus der ePA „nur mit wieder- Deutschland (Branchenverband der Forschungsvorhaben freigegeben holtem aktiven Zutun der Versicher- Biotechnologie-Industrie), bitkom werden. In diesem Fall werden sie an ten“ genutzt werden, beanstanden (Bundesverband Informationswirt- ein Forschungsdatenzentrum über- sie außerdem. Gleichzeitig bestehe schaft, Telekommunikation und neue mittelt, dessen Einrichtung das SGB keine Möglichkeit, „die Patienten zum Medien e.V.), bvitg (Bundesverband V zu diesem Zweck vorschreibt. Den Öffnen ihrer ePA überhaupt aufzufor- Gesundheits-IT), BVMed (Bundesver- Umfang der Datenfreigabe können dern“. Das sei weder praktikabel noch band Medizintechnologie), SVDGV Versicherte frei wählen und auf be- für wissenschaftliche Forschungszwe- (Spitzenverband Digitale Gesund- stimmte Kategorien, Gruppen von Do- cke – bei denen das Einhalten von heitsversorgung e.V.), Spectaris (Deut- kumenten und Datensätzen oder auf definierten Erhebungszeitpunkten scher Industrieverband für Optik, Pho- spezifische Dokumente und Datensät- Grundvoraussetzung sei – geeignet. tonik, Analysen- und Medizintechnik), ze beschränken. Die Freigabe wird in Der dem Datenschutz geschuldete VDGH (Verband der Diagnostica-In- der elektronischen Patientenakte do- Nachweis für jedes konkret für For- dustrie e.V.), vfa (Verband Forschen- kumentiert. Das Forschungsdatenzen- schungszwecke übermittelte Doku- der Arzneimittelhersteller) und ZVEI trum stellt die Daten auf Antrag zur ment verhindere zudem eine prospek- (Zentralverband Elektrotechnik und Verfügung. Nutzungsberechtigt ist ein tive Freigabe von Daten, die erst nach Elektroindustrie), kritisieren, dass die im SGB V genau definierter Kreis – die der Einwilligung des Patienten in die „forschungskompatible“ ePA zum vor- Industrie gehört nicht dazu. ePA eingestellt werden. gesehenen Starttermin am 1. Januar 2023 nicht in der Lage sein werde, Zum anderen können Versicherte Die Verbände regen daher eine „dis- „wichtige Vorgaben der medizini- Daten ihrer ePA gezielt für ein be- kriminierungsfreie, zentrale Einwilli- schen Forschung“ zu unterstützen. stimmtes Forschungsvorhaben oder gung in die Nutzung von Daten zu Die praktische Umsetzung scheitere für bestimmte Bereiche der wissen- Forschungszwecken“ an. Patienten dabei nicht am Handlungswillen der schaftlichen Forschung zur Verfügung müssten eigenverantwortlich über gematik, sondern an der gegenwär- stellen. In beiden Fällen ist es not- ihre Daten bestimmen können, for- tigen Ausgestaltung der Telematik- wendig, dass der Patient sich in einer dern sie. Freigegebene Forschungs- infrastruktur (TI) und den rechtlichen Praxis bzw. einem Klinikum befindet, datensätze sollten regelmäßig und Rahmenbedingungen. Die vorgesehe- das an die Telematikinfrastruktur an- automatisiert aktualisiert werden ne Einwilligung der Patienten in die gebunden ist. Dadurch würden „we- können. Nach Ansicht der Industrie- Nutzung von Forschungsdaten drohe sentliche Bereiche der medizinischen verbände erhöht das die „Autonomie“ damit „ins Leere zu laufen“. Forschung“ von der Datennutzung der Patienten „bei voller Transparenz über laufende Forschungsvorhaben und der daraus resultierenden Er- gebnisse“. Das wiederum stärke die industrielle Forschung in Deutsch- land. Damit einher geht die Auffor- derung an die neue Bundesregie- rung, „dringend“ den rechtlichen Rahmen für „Spitzenforschung mit Gesundheitsdaten“ zu schaffen. Dazu gehöre auch, dass die forschende Gesundheitswirtschaft „endlich“ ein Antragsrecht für die Arbeit mit For- 12 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 0 9 | 2021
SCHLESWIG-HOLSTEIN EL EK T R O N I S C H E PAT I EN T EN A K T E schungsdaten beim geplanten For- „nutzenstiftende“ Forschung nicht unter gewissen Voraussetzungen den schungsdatenzentrum erhalte. ausschließlich durch „nichtkommerzi- Zugang zu Gesundheitsdaten ermög- elle Akteure“ geleistet werden könne, licht“, heißt es im aktuellen Gutachten Schützenhilfe für die Industrieverbän- sollten auch Regelungen geschaffen „Digitalisierung für Gesundheit“ des de leistet der Sachverständigenrat zur werden, die „forschenden Unterneh- Sachverständigenrats (s. S. 10f). Begutachtung der Entwicklung im men aus dem Bereich Pharmazie, Gesundheitswesen: Da für Patienten Medizintechnik und Gesundheits-IT // Kirsten Behrendt CO R O N A - DAT EN S PEN D E- A PP HOHE BEREITSCHAF T ZUR SPENDE VON GESUNDHEITSDATEN In der Corona-Pandemie sind viele frühzeitige Erkennung von Corona- Menschen bereit, ihre Gesundheits- Hotspots – bewusst, den persönlichen daten für die Forschung zur Verfü- Wert ihrer Datenspende konnten sie gung zu stellen. Das zeigt eine Studie jedoch nicht nachvollziehen. Daraus des Technologie-Zentrums Informatik schließen die Bremer Forscher, dass und Informationstechnik (TZI) der Uni- für die Nutzer das Gemeinwohl die versität Bremen. vorherrschende Motivation war. Da- bei hätten sie sich nicht einmal von Mehr als 500.000 Personen haben technischen Problemen entmutigen bisher die Corona-Datenspende-App lassen. Einige Nutzer hätten sogar des Robert-Koch-Instituts herunterge- Unverständnis darüber geäußert, dass laden. Die Bereitschaft, persönliche sie nicht noch zusätzliche persönliche Gesundheitsdaten für die wissen- Daten eingeben konnten, die ihnen für schaftliche Auswertung zur Verfügung das Projekt nützlich erschienen, be- zu stellen, erwies sich dabei nach An- richteten die Studienautoren. gaben der Arbeitsgruppe „Mensch- Technik Interaktion“ am TZI als „über- Für künftige vergleichbare Projekte werden, raten die Wissenschaftler – raschend hoch“. Die Wissenschaftler betonen die Wissenschaftler die Be- beispielsweise durch regelmäßige untersuchten die Motivation der Nut- deutung von Kommunikation, Trans- Benachrichtigungen in der App. Auch zer, indem sie mehr als 100.000 Erfah- parenz und Verantwortung. Bewährt der Aufbau einer Community, die sich rungsberichte auswerteten und indi- habe sich zum Beispiel die Unterstüt- bei Fragen regelmäßig unterstützt, viduelle Befragungen durchführten. zung der Corona-Datenspende-App sei ratsam. Um technische Probleme durch die Bundesregierung und das zu vermeiden und die Entwicklung Entgegen bisherigen Erfahrungen mit Robert-Koch-Institut, glaubt Prof. Dr. zu beschleunigen, sollten vorhande- anderen Projekten aus der Gesund- Johannes Schöning vom TZI. Es sei ne Gesundheits-Apps genutzt und heitsforschung geben die App-Nut- ratsam, dass offizielle Institutionen durch krisenspezifische Technolo- zer demnach ihre Daten auch dann für solche Projekte aktiv unterstützen und gien ergänzt werden, schlagen sie die Forschung frei, wenn sie keinen di- ihren Nutzen für die Gesellschaft klar vor. – Die Corona-Datenspende-App rekten Nutzen für sich selbst sehen: aufzeigen. ist beispielsweise mit verschiedenen Offenbar genüge in diesem Fall der Fitness-Apps verbunden. Anreiz, einen Beitrag zur „Bewältigung Um den persönlichen Anteil der ein- eines großen gesellschaftlichen Pro- zelnen Teilnehmer und ihre direkten // Universität Bremen/Red. blems“ zu leisten, vermutet das For- Vorteile zu verdeutlichen, sollten schungsteam. So war den meisten Informationen allerdings auch auf Nutzern zwar das Ziel der App – die individueller Ebene kommuniziert 0 9 | 2021 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 13
K ASSENZ AHNÄRZTLICHE VEREINIGUNG P O L I T I S C H E KO M M U N I K AT I O N I N CO R O N A - Z EI T EN „REL ATIV UNVERSTÄNDLICH“ „Corona Matching Fazilität“, „oberflächenelektromyographisch“, „Krankheits- erregerSurveillance“, „Pandemie-Tunnels“, „‚coparion’ Liquiditätshilfen“: Die DER HOHENHEIMER i Bundesregierung kommuniziert „relativ unverständlich“ über Corona. Zu die- VERSTÄNDLICH- sem Ergebnis kommt die Universität Hohenheim nach einer ersten Studie im Sommer 2020 nun bereits zum zweiten Mal. Für die aktuelle Untersuchung KEITSINDEX (HIX) analysierten Kommunikationswissenschaftler alle 1.362 Pressemitteilungen der Bundesregierung mit Corona-Bezug, die im Zeitraum März 2020 bis Januar Kommunikationswissenschaftler 2021 erschienen. an der Universität Hohenheim untersuchen seit 15 Jahren die Das Ergebnis: Lange Sätze, Schach- ge überregionaler Zeitungen wie der formale Verständlichkeit zahlrei- telsätze, „Wortungetüme“ und nicht Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der cher Texte wie Wahlprogramme, erklärte Fachbegriffe erschweren Welt oder der Süddeutschen Zeitung Medienberichterstattung oder die Aufnahme von Informationen zur auf Werte zwischen 11 und 14. Verwaltungs- und Regierungs- Corona-Pandemie. „In Krisenzeiten kommunikation. Mit Hilfe einer suchen Menschen Informationen und Am besten schneidet in der aktu- Analyse-Software fahnden sie un- Orientierung. Regierungen sollten ellen Studie zur Corona-Kommuni- ter anderem nach Fachbegriffen, beides liefern. Und zwar in einer auch kation das Bundesministerium für zusammengesetzten Wörtern, für Laien verständlichen Form. Infor- Verkehr und digitale Infrastruktur ab überlangen Sätzen, Einschüben mationen zur Corona-Pandemie und (HIX = 9,7). Den letzten Platz belegt und Halbsätzen. Anhand solcher zu den staatlichen Schutzmaßnahmen das Bundesministerium für Justiz und Merkmale bilden sie den soge- sollten besonders verständlich sein. Verbraucherschutz (HIX = 4,9). Das nannten Hohenheimer Verständ- Sie sind es aber nicht“, kritisiert der Bundesgesundheitsministerium be- lichkeitsindex (HIX). Er reicht von Kommunikationswissenschaftler Prof. wegt sich mit einem HIX von 6,6 im 0 (formal schwer verständlich) bis Dr. Frank Brettschneider von der Uni- unteren Drittel. 20 (formal leicht verständlich). versität Hohenheim. Am unverständlichsten sind laut Stu- Pressemitteilungen der deutschen die Pressemitteilungen zum Thema Bundesministerien zur Corona-Pan- „Alltag und Soziales“ (HIX = 7,0), am verständlichsten Pressemitteilungen demie weisen laut Studie nur einen zum Bereich „Kitas, Schule und Uni“ durchschnittlichen HIX von 7,4 auf (HIX = 8,4). Der Bereich Gesundheit (siehe Info-Kasten). Einen Lerneffekt rangiert mit einem HIX von 7,3 auf hat es dabei offensichtlich nicht gege- dem vorletzten Platz. ben: Die Verständlichkeit der Presse- mitteilungen hat sich seit März 2020 Lange „Monster- und Bandwurm- nicht gebessert; der HIX schwankt auf sätze“ erschweren die Aufnahme der Monatsbasis zwischen 6,9 und 8,4. Information. „Schachtelsätze mit 40 bis 50 Wörtern sind keine Seltenheit“, Die Politik mache es den Lesern sagt Kerstin Keller von der Universi- schwer, die Informationen aufzu- tät Hohenheim. „Dabei gilt: Ein Ge- nehmen, stellen die Hohenheimer danke, ein Satz.“ Auch ein komplexer Forscher fest. „Die Verständlichkeit Sprachstil kann nach Erkenntnissen sollte deutlich größer sein. Anzu- der Uni Hohenheim eine Hürde für streben wäre ein Wert von 14“, sagt die Verständlichkeit sein. Das gelte Brettschneider. Zum Vergleich: AGBs insbesondere für die Kommunikation von Banken haben nach Analysen der zwischen Experten und Laien. Einen Universität Hohenheim einen durch- ähnlichen Effekt haben Wort-Zusam- schnittlichen HIX von 3,5. Hörfunk- mensetzungen. Einfache Begriffe Nachrichten kommen dagegen im würden so zu „Wortungetümen“: „Ge- Schnitt auf 16,4 Punkte, Politik-Beiträ- sundheitsversorgungsweiterentwick- 14 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 0 9 | 2021
SCHLESWIG-HOLSTEIN P O L I T I S C H E KO M M U N I K AT I O N I N CO R O N A - Z EI T EN lungsgesetz“, „Vereinfachter-Zugang oder „Covax-Fazilität“. Zudem seien nen das den ‚Fluch des Wissens‘“, Verlängerungsverordnung“, „COVID-19- auch nicht alle Corona-Wortschöp- kommentiert er. Krankenhausentlastungsgesetz“, „First- fungen selbsterklärend. Das gelte In-First-Out-Abverkaufsprinzip“, „‚Rol- beispielsweise für „CoronaCare“, „CO- Die Universität Hohenheim gesteht ling-Review‘-Einreichungsprozess“. VID-19-Evidenz-Ökosystem“, „Corona- allerdings auch zu, dass die forma- Toolbox“, „Corona Audio Campaign“. le Verständlichkeit nicht das einzige Fremd- und Fachwörter stellten be- Kriterium für die Güte einer Presse- sonders für Leser ohne Vorwissen „Unverständlichkeit hat viele Gründe“, mitteilung sei: „Deutlich wichtiger ist eine große Verständlichkeitshürde weiß Brettschneider. „Zeitdruck, Ge- der Inhalt. Unfug wird nicht dadurch dar, zeigen die Kommunikationswis- wöhnung an abstraktes Verwaltungs- richtig, dass er formal verständlich senschaftler auf. Darunter fallen im Zu- deutsch, vor allem aber das eigene formuliert ist. Und unverständliche sammenhang mit Corona Begriffe wie Fachwissen von Experten.“ Oftmals Formulierungen bedeuten nicht, dass „Corona-Hackathon“, „Point-of-Care- sei den Experten gar nicht bewusst, der Inhalt falsch ist“, konstatieren sie. Antigentest“, „Coronavirus Digital dass die Mehrheit der Bürger ihren Content Hub“, „Provenienzforschung“ Fachjargon nicht verstehe. „Wir nen- // Kirsten Behrendt D I G I TA L I S I ER U N G DIE WEBSITE WURDE 30 JAHRE ALT Die erste Website der Welt wurde Netzwerk-Infrastrukturen, die den am 6. August 1991 in der Schweiz Zugriff auf zentral verwaltete Daten vorgestellt. Sie existiert noch im- erschwerten. Grundlage für Berners- mer (http://info.cern.ch); allerdings Lees World Wide Web war eine Erfin- sind die ursprünglichen Inhalte nur dung, die zu diesem Zeitpunkt bereits noch als Kopie aus dem Jahr 1992 20 Jahre alt war: das Internet, das seit abrufbar. Die Seite erläutert unter 1969 – zunächst als ARPANET mit ur- anderem, was das World Wide Web sprünglich militärischem Hintergrund überhaupt darstellt, wie man einen – vor allem Großrechner von Univer- In Deutschland nutzen laut Bitkom 89 Webbrowser nutzt und wie man ei- sitäten und Forschungseinrichtungen Prozent der Personen ab 16 Jahren das nen Webserver aufsetzt. Überdies vernetzte. Internet – das sind rund 61 Millionen beschreibt sie die Geschichte des Menschen. Allerdings sind nur acht Projekts „Website“ und listet die be- 30 JAHRE ONLINE – WA S Prozent unter ihnen 70 Jahre und älter. teiligten Personen auf. KO M M T A L S N ÄCHS T E S? Der inzwischen 66-jährige Berners- Erstellt hat die erste Webpräsenz der Heute gibt es nach Angaben des Di- Lee warnte 2019 zum 30. Geburtstag britische Physiker und Informatiker Sir gitalverbands Bitkom rund 1,8 Mil- des World Wide Web in einem offe- Timothy John Berners-Lee, der damals liarden Websites – im langfristigen nen Brief – „30 years on, what’s next am europäischen Kernforschungszen- Schnitt würden jedes Jahr etwa 60 Mil- #ForTheWeb“ – übrigens vor Daten- trum CERN in Genf arbeitete. Bereits lionen weitere Seiten online gestellt. missbrauch, Online-Kriminalität, ge- 1989 hatte er mit dem World Wide Die weltweit meistgenutzte Domain zielten Falschinformationen und Hass- Web eine Möglichkeit geschaffen, ist demnach „.com“ mit über 149 Mil- reden im Netz. Mit seiner Stiftung den Austausch von Informationen lionen Adressen. Mit großem Abstand Web Foundation setzt er sich dafür zwischen Wissenschaftlern zu er- folgen die chinesischen Domains „.cn“ ein, dass Regierungen, Unternehmen leichtern. Eine Rolle hatte dabei auch (rund 21 Millionen). Auf Platz drei lie- und die Nutzer selbst Gesetze, Nor- gespielt, dass sich Laboratorien des gen die deutschen Domains „.de“ mit men und Standards für ein „besseres CERN sowohl in Frankeich als auch mehr als 17 Millionen Websites. Über Netz“ schaffen. in der Schweiz befinden. Beide Län- vier Milliarden Menschen sind heute der nutzten damals unterschiedliche weltweit miteinander vernetzt. // Kirsten Behrendt 0 9 | 2021 Z A H N Ä R Z T E B L AT T 15
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