STANDESPOLITIK, PRAXISAPOTHEKE, EINKAUF, FORTBILDUNG - DOXMART
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Standespolitik, Praxisapotheke, Einkauf, Fortbildung Nr. 3 | September 2018 Arzneimittelinformationen und Tipps für Sie und Ihre Praxis M. Parkinson: Was gibt es Neues? M. Parkinson und Mikrobiom Globalbudget durch die Hintertür? d oxm ar t .ch Ei n e D ien s t leis t un g von
3 • 2018 Editorial Die unheimlichen Therapeuten «Das Schweizer Gesundheitssystem ist akut krank. Es ge- Das bedeutet: Die Kostenentwicklung hat sich den Löhnen hört intensivmedizinisch betreut.» Das meint Dr. Gerhard anzupassen. Bei einer Steigerung der Nominallöhne um Pfister, Präsident der CVP. Eine mutige Diagnose. Aber die 0,7 Prozent wie beispielsweise 2016, dürfte das schwierig CVP beruhigt (sinngemäss): Wir kennen die richtige Thera- werden. Die Gesundheitskosten stiegen in diesem Zeit- pie, die Heilung bringt. raum um 3,4 Prozent. Im Zeitraum 1996 bis 2016 stiegen Wie beruhigend: gute Ärzte zu haben, die sich bei der die Gesundheitskosten um 255 Prozent! Diagnose und Klärung einer Gesundheitsstörung ebenso Der Initiativtext beschreibt die dann einzuleitende Therapie gut auskennen wie bei deren Behandlung. Doch leider: ziemlich vage. Was man sich unter «Anreizen», «Kosten- Der Präsident der helfenden Truppe ist kein «Dr. med.», bremse» und vor allem unter «Massnahmen» vorzustellen sondern ein «Dr. phil.». Herr Pfister hat Germanistik und hat, verraten die aggressiven Therapeuten nicht so genau. Philosophie studiert und ist Lehrer. Das ist ein ehrenwerter Dass die Therapie nach zwei Jahren einsetzen würde, Beruf nach einem anspruchsvollen Studium, nur verspricht ist aber klar, da Löhne und Prämien nun mal wenig mit- der Beruf nicht unbedingt Kompetenz in Fragen der einander zu tun haben und sich unvermeidlich weiter Heilung und intensivmedizinischen Betreuung von Kran- auseinander entwickeln werden. Man ahnt, dass mit ken. Aber Spass beiseite, es geht natürlich um eine politische «Massnahmen» in erster Linie die Abgabe und der Verkauf Diagnose und eine politische Therapie, und da darf man auch von angeblich zu vielen und zu teuren Medikamenten, letztlich als Dr. phil. beziehungsweise als politische Partei mitreden, aber generell das Angebot medizinischer Leistungen gemeint selbst wenn man vom Wesen, das man da abklären und heilen ist. will, nur Teile versteht. Nein, natürlich sind auch nicht nur Am Ende steht – unter Garantie und wohl zur Freude des Ärzte berechtigt, den Allgemeinzustand unseres Gesundheits- aktuellen SP-Bundesrats – ein Globalbudget. Denn in den wesens zu beurteilen, aber bei einer Therapie nicht auf die Augen der CVP «wissen alle, was zur Kostensenkung im Ge- Ärzte zu hören, aber ihre Beschränkung gar als Teil der sundheitswesen zu tun ist, aber sie tun es nicht». Da muss Therapie zu propagieren, verbessert die Aussichten auf eine man halt drohen. Da Drohungen allerdings weder die Demo- korrekte Diagnose und eine erfolgreiche Behandlung nicht. grafie noch den technischen Fortschritt und auch nicht die Die CVP plant für den Herbst eine Volksinitiative für eine Kos- Anspruchshaltung von Patienten und medizinischem Personal tenbremse im Gesundheitsbereich. Die Therapie (vorgeschla- werden eindämmen können, wird man um die angedrohte gener Initiativtext) tönt so: «Der Bund regelt (…) die Kosten- Therapie nicht herum kommen. Und die heisst – ziemlich übernahme der obligatorischen Krankenversicherung, so dass konkret: Weniger Geld für Ärzte und Spitäler bei gleichen Leis- sich dank wirksamer Anreize die Kostensteigerung entspre- tungen. Oder weniger (von den Kassen bezahlte) Leistung für chend der Gesamtwirtschaft und den durchschnittlichen Löh- die Patienten. Oder beides. Noch haben wir keine wirkliche nen entwickelt. Er führt eine Kostenbremse ein.» Und weiter: Zwei-klassenmedizin. Würde eine solche Initiative angenom- «Liegt die Kostensteigerung der durchschnittlichen Kosten je men, würde sie definitiv Realität. versicherte Person und Jahr (…) zwei Jahre nach Annahme der Initiative mehr als ein Fünftel über der Entwicklung der Nomi- Richard Altorfer und Peter H. Müller nallöhne (…), so ergreift der Bund zusammen mit den Kanto- nen Massnahmen zur Kostensenkung für das nachfolgende Jahr.» –1–
3 • 2018 Inhaltsverzeichnis Impressum Standespolitik Einführung des Globalbudgets «normal» oder durch die Hintertür? . . . . . . . . . . 4 doXmedical ist das Publikationsorgan von doXmart AG Erscheinungsweise 5- bis 6-mal jährlich Auflage: ca. 5000 Expl. Thema Herausgeber doXmart AG Morbus Parkinson: Schaffhauserstrasse 13, 8212 Neuhausen «Für die Parkinson-Patienten können wir heute viel tun» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 E-Mail: info@doxmart.ch, Internet: www.doxmart.ch Interview mit Prof. Dr. med. Stephan Bohlhalter, Neurozentrum Luzern Verlag Rosenfluh Publikationen AG Schaffhauserstrasse 13, 8212 Neuhausen Therapie des Morbus Parkinson: Die Pipeline ist gut gefüllt . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Tel. 052-675 50 60, Fax 052-675 50 61 E-Mail: info@rosenfluh.ch Morbus Parkinson im Fokus medizinisch-neurobiologischer Forschung . . . . . . . 14 Redaktion Dr. rer. nat. Claudia M. Reinke, c.reinke@rosenfluh.ch Dr. med. Richard Altorfer Morbus Parkinson und die Darm-Hirn-Achse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Dr. med. Peter H. Müller Was Mikroben im Bauch anrichten Sekretariat Sandra Sauter Tel. 052-675 50 60, Fax 052-675 50 61 E-Mail: s.sauter@rosenfluh.ch Kongressbericht Anzeigenverkauf Morbus Alzheimer – Biomarker sichern die Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Jeanine Bleiker Tel. 052-675 50 53, Fax 052-675 50 51 E-Mail: j.bleiker@rosenfluh.ch Anzeigenregie Manuela Behr doXmart-Angebote Tel. 052-675 50 52, Fax 052-675 50 51 Pharma-Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 E-Mail: m.behr@rosenfluh.ch GenerX – ein generischer Röntgenfilm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Layout Non-Pharma-Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Manuela Bührer, Tel. 052-675 51 72 E-Mail: buehrer@rosenfluh.ch Druck, Versand Druckerei Raisch GmbH + Co. KG Auchtertstrasse 14, D-72770 Reutlingen Rubriken Abonnementsdienst doXquiz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 AVD GOLDACH Sulzstrasse 10/Postfach, 9403 Goldach Tel. 071-844 91 71, Fax 071-844 93 45 News . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 E-Mail: rosenfluh@avd.ch Einzelheft: Fr. 10.– plus Porto, inkl. MwSt. doXnatur: Wenn Schönheit zum Verhängnis wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Copyright © by Rosenfluh Publikationen AG. Alle Rechte beim Verlag. Schweizerisch-niederländische Frauenschuh-Rettungsaktion Nachdruck und Kopien von Beiträgen und Abbildungen in jegli- cher Form, wie auch Wiedergaben auf elektronischem Weg und übers Internet, auch auszugsweise, sind verboten bzw. be- Pharma-News . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31–34 dürfen der schriftlichen Genehmigung des Verlags. 14. Jahrgang ISSN 1660-8186 Hinweise Der Verlag übernimmt keine Garantie oder Haftung für Preisan- gaben oder Angaben zu Diagnose und Therapie, im Speziellen für Dosierungsanweisungen. Mit der Einsendung oder anderweitigen Überlassung eines Manuskripts oder einer Abbildung zur Publikation erklärt sich der Autor/die Autorin damit einverstanden, dass der entspre- chende Beitrag oder die entsprechende Abbildung ganz oder teilweise in allen Publikationen und elektronischen Medien der Verlagsgruppe veröffentlicht werden kann. Bei einer Zweitver- öffentlichung werden der Autor informiert und die Quelle der Erstpublikation angegeben. DoXli meint: Für unaufgefordert eingehende Manuskripte übernimmt der Verlag keine Verantwortung. Bist du sauer, zähl bis vier; Bezahlte Texte sind entsprechend gekennzeichnet. hilft das nicht, dann explodier! –3–
Standespolitik 3 • 2018 Einführung des Globalbudgets «normal» oder durch die Hintertür? Kostendämpfungsmassnahmen durch die Steigen die Gesundheitskosten Von Herbert Widmer Einführung eines Globalbudgets, für wirklich? einige ein grossartiger Gedanke. Ein Angesichts der vielen Zahlen und Statistiken Thema voller Widersprüche. Eigentlich sollte es bes- würde es schwerfallen, einen signifikanten Kostenanstieg im ser «Wiedersprüche» heissen, denn ein weiteres schweizerischen Gesundheitswesen abzustreiten. Vor etwas Mal – eben wieder! – ist ein Themenbereich aus dem mehr als 20 Jahren waren es noch rund 30 Milliarden Fran- Gesundheitswesen so voller Widersprüche. Gehen ken, heute betragen die Gesundheitskosten mehr als 80 Mil- wir dieser Frage einmal auf den Grund! Beschäfti- liarden pro Jahr. Auch der Anstieg des prozentualen Anteils gen wir uns einmal mit den möglichen beziehungs- am BIP ist eindrücklich. Wenn dem so ist, müsste eigentlich weise zu erwartenden Folgen. Jeder aus der Ärzte- jeder daran interessiert sein zu wissen, weshalb denn die schaft kennt wenigstens ein eindrückliches Kosten ansteigen. Im Berset-Bericht (Expertenbericht Frau Fallbeispiel, wenn nicht mehrere. Gestatten Sie mir, Verena Diener) steht ganz klar: «Wir wissen es nicht.» Im Ge- hier ein solches einleitend zu schildern! gensatz dazu schreibt eine bürgerliche Bundesratspartei in einem Positionspapier «Kampf den hohen Gesundheitskos- Ich war in meiner hundert Meter vom Bahnhof Luzern ent- ten»: «Die Ursachen des Kostenwachstums sind hinlänglich fernten Praxis gerade mit einem Notfall beschäftigt, als man bekannt und liegen im medizintechnischen Fortschritt, in der einen mir bisher unbekannten Patienten in die Praxis demografischen Entwicklung, in der Mengenausweitung, in brachte. Dieser war auf der Rolltreppe des Bahnhofs gestürzt der Anspruchshaltung der Versicherten und nicht zuletzt in und hatte sich multiple Riss- und Quetschwunden zugezo- den nachhaltig falschen Anreizen bei der Finanzierung und gen. Wegen des anderen Notfalls konnte ich ihn nicht be- der Tarifierung.» Eine «tiefergehende Analyse» des Kosten- treuen, setzte ihn in ein Taxi und meldete ihn im Notfall des anstiegs im Gesundheitswesen habe ich nicht gefunden. Luzerner Kantonsspitals an. Als er dort auf die Behandlung Irgendwann habe ich gelernt, dass eine saubere Analyse von wartete, fragte ihn ein junger Arzt, ob er ihn «zwecks Trai- Ursachen und möglichen Wirkungen eine der Grundvoraus- ning» untersuchen dürfe. Unter anderem kultierte er das Ab- setzungen für eine erfolgreiche Therapie darstellt. domen des Patienten aus (was ich in diesem Falle nicht getan Da liegt nun der Lösungsvorschlag sehr nahe, eine Decke- hätte), hörte ein «verdächtiges» Geräusch und suchte Hilfe lung dieser Kosten, eine Kostenbremse einzuführen, zum beim Oberarzt und anschliessend bei einem Kardiologen. Beispiel im Sinne eines Globalbudgets. Dazu kommt eine Nach den sofort durchgeführten diagnostischen Abklärun- «normale politische» Lösung infrage oder ein Weg durch die gen wurde das vor einer Ruptur stehende abdominale Aneu- Hintertür. Hätte eine «normale» politische Lösung in der heu- rysma drei Stunden nach seinem Treppensturz operiert. Alles tigen Situation überhaupt eine Chance? Eine interessante, ging gut. Wenn ich für diesen Mann «Zeit gehabt» und ihn überlegenswerte Frage. genäht hätte, hätte er wahrscheinlich nicht überlebt. Bei einem weit entfernten Verwandten wurde in einem Land, das Was ist nun ein «Globalbudget»? mehr oder weniger faktisch ein Globalbudget im Gesund- Im Gesundheitsmonitor 2018 definiert das Meinungsfor- heitswesen eingeführt hatte, zwar die gleiche Diagnose schungsinstitut gfs.bern den Begriff mit folgender Aussage: korrekt gestellt, er musste jedoch eineinhalb Jahre auf die «Mit einem Globalbudget darf zum Beispiel ein Spital oder entsprechende Operation warten – glücklich, dass es inzwi- ein Arzt ein festgelegtes, fixes Budget nicht überschreiten. schen nicht zu einer Ruptur kam. Wäre er vorher wegen des Wenn ein Arzt sein Budget ausgeschöpft hat, darf er keine Aneurysmas gestorben – ein gar nicht unwahrscheinliches Leistungen mehr über die Grundversicherung abrechnen. Die Szenario –, hätte er unfreiwillig als Opfer des Globalbudgets Patienten könnten sich dann zwar immer noch behandeln zur Kostendämpfung beigetragen. lassen, aber sie müssen die Behandlung entweder selbst be- –4–
3 • 2018 Standespolitik balbudget aufgebraucht haben könnte. 86 Pro- zent sind der Ansicht, dass ein Globalbudget zu einer schlechteren Qualität im Gesundheitswesen führen würde, und 74 Prozent erwarten, dass dann nicht mehr jeder Patient die notwendigen Medikamente erhalten würde. Und wie sollte dieser normale politische Weg denn aussehen? In einem ersten Massnahmenpaket zur Dämp- fung der Kosten im Gesundheitswesen hat der Bundesrat auf die Einführung eines Globalbud- gets verzichtet – vorläufig! Er will erst verbindli- che Zielvorgaben prüfen und sich wohl überle- gen, welche Sanktionen bei Nichteinhaltung der Ziele «sinnvoll» wären. Einige weniger umstrit- tene Massnahmen, die aber auch gut beobachtet werden sollten, hat der Bundesrat beschlossen, wie zum Beispiel die Einführung eines Tarifbüros Foto: © Bumble Dee – fotolia.com für den ambulanten Bereich, zuständig für die Weiterentwicklung des Tarmed oder eines Refe- zahlen oder müssen warten, bis der Arzt wieder ein neues renzpreissystems bei Medikamenten mit abgelaufenem Pa- Budget zugesprochen bekommt.» Noch Fragen? Nun, dies tentschutz. Bis Ende 2018 plant der Bundesrat eine Ausspra- wäre das eine, verkompliziert werden die entsprechenden che zum Globalbudget, mit der drohenden Möglichkeit, Ideen – oder sind es Visionen? – dadurch, dass man Sanktio- dieses im Jahre 2019 zu starten. Gegen einen solchen Ent- nen vorschlägt, wenn das gesprochene Globalbudget nicht scheid könnte wohl ein Referendum ergriffen werden. eingehalten oder zu stark überschritten wird. Einen anderen Weg will die CVP Schweiz einschlagen. Sie will im Herbst 2018 mit der Unterschriftensammlung für eine Ini- Einführung eines Globalbudgets auf normalem tiative beginnen, mit dem Namen «Für tiefere Prämien – Kos- politischem Weg (durch die Vordertür) tenbremse im Gesundheitswesen». Die Verfassung soll wie Wir können nicht ausschliessen, dass das Bundesparlament, folgt geändert werden: wie es sich zurzeit parteipolitisch zusammensetzt, einen ent- sprechenden Bundesratsbeschluss oder parlamentarischen Art. 117 Abs. 3 und 4 BV (neu) 2 Vorstoss mehr oder weniger durchwinken und unterstützen Der Bund regelt zusammen mit den Kantonen, den Kran- würde. Das stimmberechtigte Volk aber würde mit grosser kenversicherern und den Leistungserbringern die Kosten- Wahrscheinlichkeit eine solche Idee ablehnen. Dies lässt übernahme der obligatorischen Krankenversicherung so, sich nicht unschwer aus den Resultaten des Gesundheits- dass sich dank wirksamer Anreize die Kostensteigerung ent- monitors 2018 schliessen. sprechend der Gesamtwirtschaft und den durchschnittlichen 54 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass die Einführung Löhnen entwickelt. Er führt eine Kostenbremse ein. 4 eines Globalbudgets nicht zu niedrigeren Prämien führen Das Gesetz regelt die Einzelheiten. würde, 31 Prozent sind gegenteiliger Ansicht. Sehr gross sind bei den Umfrageteilnehmern die Befürchtungen, dass ein Glo- Art. 197 Ziff 12 (Übergangsbestimmung balbudget zu einer schlechteren medizinischen Versorgung zu Art. 117 Abs. 3 und 4 BV) führen würde: 91 Prozent sehen längere Wartezeiten für not- Liegt die Kostensteigerung der durchschnittlichen Kosten je wendige Eingriffe und Therapien auf sich zukommen, da im versicherte Person und Jahr in der obligatorischen Kranken- vierten Quartal (nach Ausschöpfung des Globalbudgets) nicht pflegeversicherung zwei Jahre nach Annahme der Initiative mehr alle Behandlungen angeboten werden könnten. Eben- mehr als ein Fünftel über der Entwicklung der Nominallöhne, falls 91 Prozent befürchten eine Einschränkung der freien Arzt- so ergreift der Bund zusammen mit den Kantonen Massnah- wahl, da ihr Vertrauensarzt vielleicht vor Ende Jahr «sein» Glo- men zur Kostensenkung für das nachfolgende Jahr. –5–
Standespolitik 3 • 2018 nologien (Digitalisierung) sowie die Senkung der hohen Me- dikamenten- und MiGel-Preise. Es dürfte für die Initianten schwierig sein, den Kostenanstieg durch den von ihnen erkannten medizintechnischen Fort- schritt, die demografische Entwicklung, die Anspruchshal- tung der Versicherten und durch die «nachhaltig falschen An- reize bei der Finanzierung und Tarifierung» zu beziffern, sind für diese doch die sogenannten Leistungserbringer, die durch die geplanten Sanktionen alleine getroffen würden, nicht verantwortlich. Die Ausführungen betreffend die Lan- cierung der Initiative gipfeln in folgendem Satz: «Die Kosten- bremse ist damit ein Mittel, die Ineffizienzen und Fehlanreize im Gesundheitswesen auszumerzen und damit die geschätz- ten 20 bis 30 Prozent der heute nutzlos eingesetzten Mittel einzusparen.» Ob dies die abstimmungsberechtigte Bevöl- kerung auch so sehen wird? Anlässlich des 5. Luzerner Dialogs Gesundheitspolitik vom 16. Mai 2018 wurden die eingeladenen Vertreterinnen und Vertreter von Spitälern, Ärzteorganisationen, Krankenkas- sen, IV, Apothekerverein, Pflegedienst, Spitex und so weiter gebeten, eine ganze Anzahl von Kostensenkungsmassnah- men zu bewerten. Die Idee von Globalbudgets im stationären oder ambulanten Bereich erhielt nicht einen einzigen grünen (bejahenden) Punkt (Abbildung). Und die Hintertür? Mit meinen oben genannten Ausführungen habe ich die Beweisführung versucht (ich habe mich allerdings auch schon getäuscht), dass die Einführung eines Globalbudgets auf einem «normalen politischen Weg» sehr schwierig, wenn nicht unmöglich sein dürfte. Es wäre aber gefährlich und ver- messen zu glauben, dass dies nicht auch den Befürwortern des Globalbudgets bekannt ist und sie somit alles daranset- zen werden, dieses durch die Hintertür einzuführen. Die ers- ten Schritte haben sie mehr oder weniger erfolgreich getan. Gestatten Sie mir, einige dieser Schritte zu nennen. Gefährlich sind vor allem Massnahmen im Bereich der Tarifpartnerschaft. Zugegeben, den ersten Anlauf zur Verbes- serung der Tarmed-Situation haben auch wir Ärztinnen und Ärzte «vergeigt». Wir haben im Verlauf der jetzigen Verhand- Abbildung: Bewertung der Ansätze für mögliche Lösungen zur Kosten- lungen aber bewiesen, dass uns eine Einigung innerhalb und dämpfung (5. Luzerner Dialog Gesundheitspolitik) ausserhalb der Ärzteschaft sehr am Herzen liegt. Wie schon Interessant bei der Vorstellung der Initiative war aber, dass im Projekt des Berset-Expertenberichts wird unser Berufs- dabei nicht ein Leistungsabbau akzeptiert, sondern das stand bei der Durchführung von Pilotprojekten weitgehend Niveau (Qualität) gehalten werden soll! Die CVP zitiert übergangen und nicht einbezogen. Die fünf den ambulanten Studien, die aussagen, dass sechs Milliarden Franken ohne Tarif betreffenden Vorschläge der Expertengruppe werden Qualitätsverlust eingespart werden könnten. Daneben un- keineswegs dazu benutzt, uns wieder in die entsprechenden terstützt die Partei auch andere Massnahmen wie die ein- Verhandlungen zu integrieren, sondern dienen dazu, dem heitliche Finanzierung, den verstärkten Einsatz neuer Tech- Bund noch weitere Kompetenzen als «Anpassungs- und Fest- –6–
3 • 2018 Standespolitik legungsbehörde» zuzuschanzen. Staatliche Zuständigkeiten Zum Schluss noch dies … (zer-)stören die Tarifpartnerschaft aber zunehmend. Dies «Die machen sichs einfach!» dürfte ein zutreffender Ausruf führt auch dazu, dass diese «ein Scheitern von Verhandlun- sein. Denn was bedeutet der Begriff «Sanktionen» in den gen für einzelne Beteiligte sehr attraktiv machen» (Jürg Augen des EDI und der politischen Visionäre? Ihre Idee geht Schlup; SAeZ 2018, 603). dahin, bei Überschreiten der Gesundheitskosten über ein zu- Das EDI geht aber noch viel weiter, indem es versucht, so- vor festgelegtes Mass – abhängig von Teuerung, Lohnanstieg wohl die Verantwortung für eine Steuerung der Kosten den und so weiter – die Tarife der Leistungserbringer im folgen- Tarifpartnern aufzuhalsen – und damit diesen auch eine den Jahr entsprechend zu senken. Welch glücklicher Staat, Schuld für eine mögliche Rationierung aufzubürden – als der den medizintechnischen Fortschritt, die demografische auch den gleichen Leistungserbringern die Schläge bei Nicht- Entwicklung, neue Therapiemöglichkeiten, neue Medika- erfüllung der Kostengrenze durch Sanktionen zu garantieren. mente und vieles mehr auf diese einfache Weise, nämlich auf Die Tarifpartner sollen gesetzlich verpflichtet werden, «in dem Buckel der «blauen Berufe und Institutionen», finanzie- den Tarifverträgen Massnahmen zur Steuerung der Kosten ren kann! Oder wird man sich doch noch bemühen, die Ursa- und Leistungen vorzusehen, um das Kostenwachstum zu chen zu analysieren und zu quantifizieren und entsprechend bremsen». Sollte die «Politik» in Zukunft der Ansicht sein, zu berücksichtigen? Wird sich doch noch jemand der Frage dass die Tarifpartner ihre Aufgabe zur Steuerung der Kosten widmen, ob nicht andere Massnahmen wie «smarter medi- nicht nach ihrer Vorstellung erfüllen, würde der Staat jeder- cine», einheitliche Finanzierung, integrierte Versorgung, re- zeit das Steuer in die Hand nehmen. Da warnen wir vor dem gionale Zusammenarbeit und so weiter zwar vielleicht «müh- Versuch einer Quadratur des Kreises: «Kosten senken bezie- samer», aber weit effizienter sein könnten? x hungsweise deren Anstieg bremsen ohne Einschränkung der Korrespondenzadresse: notwendigen Behandlungen bei gleichzeitiger Verbesserung Dr. med. Herbert Widmer der Qualität» – ob dies nicht einem Verschaukeln der Bevöl- Innere Medizin FMH 6006 Luzern kerung durch das EDI und der Wählerschaft durch Parteien gleichkommt? Hütet euch vor offenen Hintertüren! –7–
Thema 3 • 2018 Morbus Parkinson «Für die Parkinson-Patienten können wir heute viel tun» Morbus Parkinson gehört neben der Alzheimer- idiopathischen Parkinson-Syndrom eine grosse Rolle zu spie- Demenz zu den häufigsten neurodegenerativen len: In etwa der Hälfte der Fälle könnten auch hier genetische Erkrankungen. Wenn die typischen motorischen Risikofaktoren beteiligt sein. Diskutiert werden Mutationen Symptome wie Ruhezittern, Muskelsteifigkeit und in den bekannten Markergenen wie LRRK2 (das für die Se- der gebeugte kleinschrittige Gang auftreten, haben rin-Threonin-Kinase codiert), die per se zwar nicht unbedingt die Patienten schon ein jahrelanges, unbemerkt ge- krankheitsauslösend sind, aber in Kombination mit anderen bliebenes Nervenzellsterben hinter sich. Mit dem Stephan Bohlhalter Gendefekten ein erhöhtes Risiko für die Parkinson-Erkran- Chefarzt am Neurozentrum des Luzerner Kantons- kung darstellen. spitals, Prof. Dr. med. Stephan Bohlhalter, der auch den fachlichen Beirat der Schweizerischen Parkin- Seit etwa 20 Jahren weiss man, dass fehlgefaltete aggre- son-Vereinigung präsidiert, sprachen wir über gierte Moleküle des Proteins Alpha-Synuclein bei der Par- neuere Erkenntnisse zur Pathogenese, das thera- kinson-Erkrankung eine entscheidende Rolle spielen. Die peutische Vorgehen und mögliche innovative The- Art und Weise, wie sich diese pathologischen Strukturen im rapieansätze, die zur Bewältigung der Krankheit Nervensystem ausbreiten, erinnert an die Pathogenese der beitragen könnten. Prionenerkrankungen – was fehlt, ist jedoch die Infektiosi- tät. Oder? doXmedical: Herr Prof. Bohlhalter, wie häufig ist die Par- SB: Das ist richtig – Parkinson ist nach heutigem Kenntnis- kinson-Erkrankung in der Schweiz? Auf der Homepage der stand nicht übertragbar. Prionenähnliche Mechanismen Vereinigung Parkinson Schweiz ist von etwa 15 000 Erkran- könnten bei Parkinson jedoch durchaus eine Rolle spielen. kungsfällen die Rede. Ist das immer noch aktuell? Und wie Dafür spricht die Ausbreitung der aggregierten Alpha-Synu- werden sich die Zahlen entwickeln? clein-Strukturen, deren pathologische oligomere Konforma- Stephan Bohlhalter (SB): Wir haben für die Gesamtschweiz tion sich – wie von Prionen bekannt – von Nervenzelle zu Ner- keine harten epidemiologischen Daten zu M. Parkinson, venzelle auf gesunde Alpha-Synuclein-Moleküle überträgt. auch keine Krankheitsregister. Es gibt zwar Bestrebungen, Solche Mechanismen spielen vermutlich auch bei anderen solche Register aufzubauen, dafür fehlen jedoch noch die neurodegenerativen Erkrankungen eine Rolle. Mittel. Kürzlich wurde allerdings eine Genfer Studie publi- ziert, in der die Prävalenz, also die Häufigkeit von Parkinson Inzwischen wurden Alpha-Synuclein-Oligomere auch im in der kantonalen Bevölkerung, sowie die Zahl der Neuer- Magen-Darm-Trakt nachgewiesen. Könnte die Hypothese krankungen berechnet wurden. Wenn man diese Zahlen auf stimmen, dass die Krankheit im Verdauungstrakt beginnt die Gesamtschweiz hochrechnet, kommt man etwa auf die und erst von dort über den N. vagus ins Gehirn gelangt? genannten 15 000 Krankheitsfälle. Und die Inzidenz wird SB: H. Braak et al. hat diese interessanten Beobachtungen in sicher zunehmen, schon allein wegen der demografischen seinen Publikationen beschrieben. Passend dazu wurde 2012 Entwicklung, denn Parkinson ist eine Erkrankung, die mit eine andere Arbeit publiziert, in der gezeigt wurde, dass be- dem Alter zunimmt. Man geht davon aus, dass in den nächs- reits geringe Dosen des intragastral applizierten Pflanzen- ten 30 Jahren mit einer Verdoppelung der Patientenzahlen schutzmittels Rotenon ausreichen, um im enterischen Nerven- gerechnet werden muss – ähnlich wie bei Alzheimer. system der Mäuse die typische Aggregationsbildung der Alpha-Synuclein-Moleküle auszulösen. Die Forscher konnten Die eigentlich auslösenden Ursachen liegen offenbar im- nachweisen, dass diese oligomeren Aggregate offenbar über mer noch im Dunkeln. Diskutiert werden neben Alterungs- den N. vagus das zentrale Nervensystem und den unteren prozessen unter anderem auch Umweltfaktoren. Gibt es Hirnstamm erreichen und sich von dort weiter im Gehirn aus- hier neuere Erkenntnisse? breiten. Bewiesen wurde der retrograde Transport dadurch, SB: Es gibt genetisch bedingte, familiär gehäuft auftretende dass sich die Oligomere – nach einseitiger Durchtrennung des Formen, die etwa 5 bis 10 Prozent aller Parkinson-Erkrankun- N. vagus – auch nur auf der intakten Seite des dorsalen Va- gen ausmachen. Allerdings scheint die Genetik auch beim guskerns finden liessen. Vagus-Durchtrennungen wurden frü- –8–
3 • 2018 Thema her auch am Menschen zur Behandlung von Magengeschwü- tisystem-Atrophie auftreten. Meistens lassen sich solche ren durchgeführt. Eine dänische Studie von 2015, die auf der Frühsymptome erst retrospektiv der Erkrankung zuordnen, Auswertung eines Patientenregisters beruht, ging der Frage wenn sich die Diagnose durch motorische Symptome wie ein nach, ob diese Patienten weniger an Parkinson erkranken. An- einseitiges Ruhezittern oder den charakteristischen gebeug- hand der Patientendaten wurde das Parkinson-Risiko vagoto- ten, kurzschrittigen Gang klinisch stellen lässt. Entsprechend mierter Patienten mit nicht vagotomierten verglichen und über dieser Entwicklung breiten sich die toxischen Effekte der 20 Jahre nachverfolgt. Die Auswertung hat tatsächlich erge- Alpha-Synuclein-Aggregation in den unteren Hirnstamm- ben, dass vagotomierte Patienten ein rund die Hälfte geringe- regionen, wo das vegetative Zentrum sitzt, zuerst aus. Erst res Parkinson-Risiko haben als nicht vagotomierte. Ich bin da- im Verlauf sind motorische Kerne (Substanzia nigra) im obe- von überzeugt, dass diese Hypothese weiterverfolgt werden ren Hirnstamm mitbetroffen. sollte. Worunter leiden Ihre Patienten denn am meisten? Jedoch wurde nachgewiesen, dass Alpha-Synuclein-Oligo- SB: Es sind vielfältige Symptome. Sehr unangenehm für die mere auch über das Geruchsorgan ins Gehirn gelangen Patienten sind die im Krankheitsverlauf zunehmenden und können. zum Teil unvorhersehbaren Wirkungsschwankungen der Me- SB: Richtig! Eine weitere Eintrittspforte für die Auslösung der dikamente. Das kann zu Bewegungsblockaden führen und Alpha-Synuclein-Aggregation ist das olfaktorische Organ, ein Gefühl des Ausgeliefertseins erzeugen. Aber auch innere das ja bereits in sehr frühen Stadien der Erkrankung betrof- Unruhe, Stimmungsabfall und unangenehme Missempfin- fen ist. dungen bis hin zu Schmerzen können auftreten, wenn die Wirkung der letzten Dosis bereits nach wenigen Stunden Sie haben das Insektizid Rotenon erwähnt, das im enteri- nachlässt. Das ist für die Patienten belastend, selbst wenn schen Nervengeflecht der Mäuse zur Aggregation von sie wissen, dass sich eine halbe Stunde nach der Tabletten- Alpha-Synuclein geführt hat. Das spricht doch dafür, dass einnahme wieder alles lockert und auflöst. Wenn jedoch mit Umweltgifte auch beim Menschen als Auslöser der Parkin- der Zeit Einzeldosen nicht mehr so zuverlässig oder nur ver- son-Erkrankung infrage kommen könnten. zögert wirken, erschwert dies das Leben der Patienten zu- SB: Man hat schon vor etwa 20 Jahren die Beobachtung ge- sätzlich. Wenn Schwankungen überwiegend nicht motori- macht, dass Parkinson in ländlichen Gegenden häufiger auf- scher Natur sind, das heisst, der Betroffene dabei relativ gut tritt, und dieser Eindruck erhärtet sich: Es gibt neue franzö- beweglich ist, ist der Zustand als Aussenstehender nicht im- sische Studien, die zeigen, dass die Parkinson-Erkrankung mer einfach einzuschätzen. Wer Parkinson-Patienten be- vor allem in Weingegenden, also bei Winzern, zugenommen treut, sollte sich also in diese für den Patienten belastenden hat. Man vermutet, dass dies mit dem Einsatz von Insektizi- Situationen einfühlen können. den zu tun hat. Meines Wissens wird Parkinson bei den fran- zösischen Winzern inzwischen sogar als Berufskrankheit an- Könnte eine frühe Diagnose und Behandlung noch vor Ein- erkannt. Ich glaube schon, dass Umweltgifte in der tritt motorischer Symptome für die Verzögerung des Krank- Pathogenese des Morbus Parkinson eine Rolle spielen, wo- heitsverlaufs Vorteile bieten? bei vor allem die häufige Exposition beziehungsweise das SB: Die Frühdiagnostik, also vor Eintritt motorischer Sym- Einatmen der Gifte auslösende Effekte hat. ptome, wäre nur dann interessant, wenn es eine wirksame sogenannt neuroprotektive Behandlungsmethode gäbe. Die Welche Erstsymptome sind typische Anzeichen für eine haben wir heute leider noch nicht. Hinweise, dass beispiels- beginnende Parkinson-Erkrankung? weise der frühzeitige Einsatz von MAO-B-Hemmern wie SB: Frühsymptome sind häufig nicht motorischer Natur und Rasagilin (Azilect®) einen krankheitsverzögernden Effekt ha- meistens unspezifisch, wie zum Beispiel Obstipation, De- ben könnte, liessen sich in entsprechenden Studien nicht pression oder Antriebsmangel. Unspezifische Erstmanifes- zweifelsfrei belegen. Es gibt also noch keinen Grund, die Be- tationen können beispielsweise auch Schulterschmerzen handlung vor relevanten Beschwerden anzufangen. sein, die durch die Muskelsteifigkeit entstehen und zuerst vom Rheumatologen gesehen werden. Typisch sind auch Goldstandard der Parkinson-Behandlung ist nach wie vor REM-Schlaf-Verhaltensstörungen, die allerdings ebenso die dopaminerge Therapie mit Levodopa (+ Decarboxylase- wenig Parkinson-spezifisch sind und auch bei anderen hemmern). Darüber hinaus scheint es wenig Neues zu Synucleinopathien wie der Lewy-Body-Demenz oder der Mul- geben. –9–
Thema 3 • 2018 SB: Das ist richtig. Obwohl uns eine Reihe von guten Medi- chen. Das ist eine ganz interessante Substanz, die offenbar kamenten zur Verfügung steht, ist L-Dopa immer noch, auch entdeckt wurde, als man systematisch nach Wirkstoffen über 50 Jahre nach seiner Einführung, die wirksamste und suchte, die in der Lage sein könnten, die Alpha-Synuclein- verträglichste Behandlungsmöglichkeit. Für Patienten mit Verklumpungen zu verhindern. Bisher wurden damit zwar fortgeschrittener Erkrankung, die trotz optimaler Anpassung erst tierexperimentelle Daten mit Parkinson- und Alzheimer- der dopaminergen Therapie unter Wirkungsschwankungen Mäusen publiziert, es zeigte sich jedoch, dass die Substanz leiden, ist die tiefe Hirnstimulation eine wichtige Behandlung einen Einfluss auf die Fehlfaltung und die Aggregation des geworden. Eine gute Alternative dazu ist die Duodopa- Alpha-Synuclein zu haben scheint und bei den behandelten Pumpe, die einen stabileren Wirkstoffspiegel erlaubt. Mit Tieren offenbar auch die motorischen Symptome verhindern beiden Therapieformen gewinnen die Patienten wieder mehr kann. Während Anle 138b Nervenzellen schützt, hemmt es Lebensqualität. gleichzeitig das Wachstum von Melanomzellen. Der Mecha- nismus beruht wahrscheinlich auf der Hemmung von aggre- Wird die tiefe Hirnstimulation häufig eingesetzt? giertem Alpha-Synuclein, welches für die Wiederverwertung SB: Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass es sinnvoll ist, von Zellabbauprodukten, von der die Tumorzellen besonders die tiefe Hirnstimulation oder die Duodopa-Behandlung frü- abhängig sind, verantwortlich ist. her einzusetzen und nicht zu warten, bis die Patienten be- reits invalidisiert sind. Es gab vor einigen Jahren eine grosse Wie wichtig ist für Sie bei der Betreuung Parkinson-kranker Studie zur tiefen Hirnstimulation (Earlystim) mit beeindru- Patienten die Zusammenarbeit mit dem Hausarzt? ckenden Daten, die zeigten, dass sich mit diesem Eingriff SB: Wir arbeiten immer eng mit den Hausärzten zusammen, selbst bei jüngeren und weniger lang betroffenen Patienten, in allen Stadien der Erkrankung – meistens wird der Neuro- bei denen die medikamentöse Einstellung noch relativ gut loge schon bei der Diagnosestellung involviert. In den Früh- möglich war, Wirkungsschwankungen besser kontrollieren stadien der Erkrankung kann der Hausarzt die Betreuung lassen. Und je nach Zielort der Intervention kann die orale sehr gut managen; wenn allerdings Wirkungsschwankungen dopaminerge Behandlung auch deutlich reduziert werden, auftreten, sollte der Neurologe meiner Ansicht nach in die sodass weniger Überbewegungen auftreten. Die Lebensqua- Betreuung einbezogen werden. lität bei fortgeschritteneren Parkinson-Stadien lässt sich also durch einen solchen Eingriff gegenüber der bestmöglichen Was ist für Sie im Hinblick auf die Parkinson-Erkrankung medikamentösen Behandlung eindeutig verbessern. der grösste Forschungserfolg der letzten Jahre, und wo sehen Sie den grössten Entwicklungsbedarf? Wie lange halten diese Effekte an? SB: Der grösste Therapieerfolg ist sicher die Entwicklung der SB: Diese Behandlung verliert ihre Wirkung auf die motori- tiefen Hirnstimulation, denn dieser Eingriff kann bei Patienten schen Symptome auch nach 10 oder 20 Jahren nicht. Der ei- in «mittleren» Krankheitsstadien zu einer deutlichen Verbesse- gentliche Krankheitsprozess, wie die in späteren Stadien rung der Lebensqualität führen. Ich bespreche diese Behand- häufig auftretenden kognitiven Probleme und/oder die zu- lungsmöglichkeit mit meinen Patienten in der Regel spätestens nehmenden axial-motorischen Störungen, wird durch den zwei Jahre nach Beginn der Wirkungsschwankungen. Eingriff allerdings nicht aufgehalten. Der grösste Entwicklungsbedarf liegt eindeutig in der Ursa- chenforschung. Eine ursächliche Behandlung könnte vor allem Inzwischen wird an einer Impfung gegen M. Parkinson ge- den Spätstadien der Erkrankung vorbeugen, in denen Demenz arbeitet – gibt es dazu neue Erkenntnisse? und posturale Instabilität mit Stürzen zum Hauptproblem wer- SB: Die Impfung soll aus einem Antikörper bestehen, der ge- den. Wenn man den Krankheitsverlauf in drei Stadien einteilt, gen das aggregierte toxische Alpha-Synuclein gerichtet ist. dann können wir den Patienten in den frühen und mittleren Phase-I-Studien sind dazu bereits im Gange. Über die Wir- Stadien mit den heute verfügbaren therapeutischen Möglich- kung lässt sich derzeit allerdings noch nichts sagen. keiten gut helfen. Schwieriger wird es dagegen in den Spät- stadien, wenn die degenerative Erkrankung das Gesamthirn Einen weiteren hoffnungsvollen neuen Behandlungsansatz erfasst hat. Hier besteht ohne Zweifel der grösste Bedarf. Den- bietet vielleicht auch die Substanz Anle 138b – sehen Sie noch bin ich davon überzeugt, dass wir für die Parkinson- das auch so? Patienten heute viel tun können. SB: Ein Patient, der gern an einer Studie mit diesem Wirk- Das Interview führte stoff teilgenommen hätte, hat mich bereits darauf angespro- Claudia Reinke. Besten Dank für das Gespräch! x – 10 –
3 • 2018 Thema Therapie des Morbus Parkinson Die Pipeline ist gut gefüllt Das idiopathische Parkinson-Syndrom man einen stabileren L-Dopa-Spiegel aufrechter- Von Prof. Dr. med. Stephan Klebe gilt als eine der häufigsten neurodege- hält. Im Vergleich zu Standard-L-Dopa/Decarb- nerativen Erkrankungen. Rund 220 000 oxylasehemmer und L-Dopa/Decarboxylasehem- Parkinson-Patienten gibt es derzeit in enden Enzymen gelingen. Dabei werden Inhibito- mer/Entacapon zeigte IPX066 eine Reduktion der Deutschland. Die Therapie basiert auf ren der Catechol-O-Methyltransferase (COMT) Off-Zeit und eine Zunahme der On-Phasen (5). der symptomatischen Behandlung mit (Tolcapon, Entacapon) oder der Monoaminooxi- Über die zeitnahe Zulassung in Deutschland kann dopaminerg wirkenden Medikamenten dase B (MAO-B) (Selegilin, Rasagilin) verwendet. noch keine Aussage getroffen werden. (Tabletten, Pflaster oder Pumpen) oder Mit Opicapon (Ongentys®) gibt es seit Mitte 2016 mit der tiefen Hirnstimulation. Neue einen neuen COMT-Hemmer, der abends einge- Tiefe Hirnstimulation Medikamente sollen nicht nur den Dop- nommen eine 24-stündige Wirkung hat und eine Die THS bei iPD ist ein etabliertes funktionell-ste- aminmangel ausgleichen, sondern auch dem Entacapon vergleichbare Reduktion der Off- reotaktisches Verfahren. Die drei Zielgebiete bei dem gefürchteten Sterben der Nerven- Zeiten erzielt. 2015 wurde Safinamid (Xadago®) iPD sind der Nucleus subthalamicus (STN), der zellen ein Ende machen. zugelassen (4). Sein duales Wirkprinzip kombi- Globus pallidus internus (GPi) und der ventrale in- niert eine reversible MAO-B-hemmende Eigen- termediolaterale Kern des Thalamus (Vim). Die Den Durchbruch für die symptomatische Parkin- schaft mit der Reduktion der glutaminergen Über- THS wurde zur Behandlung der motorischen son-Therapie lieferten die Erkenntnisse des stria- aktivität – das Ganze über eine Blockade von Symptome, vor allem nach motorischen Kompli- talen Dopaminmangels bei Patienten mit idiopa- spannungsabhängigen Natriumkanälen. Safinamid kationen (STN, GPi), oder für einen therapieresis- thischem Parkinson-Syndrom (iPD) (3). Die ist allerdings nicht als Monotherapie, sondern nur tenten Tremor (Vim) entwickelt. Den Behand- dopaminerge Therapie mittels L-Dopa – immer in in Kombination mit L-Dopa bei iPD-Patienten mit lungserfolg und die bessere Lebensqualität durch Kombination mit einem Decarboxylasehemmer motorischen Fluktuationen zugelassen. die THS bei gut ausgewählten Patienten verschie- und/oder Dopaminagonisten – war über Jahr- dener Altersgruppen zeigten vielfach grosse Stu- zehnte die Basis der medikamentösen iPD-Thera- Kontinuierliche dopaminerge Therapie dien (1, 2). Weltweit sind heute etwa über 150 000 pie. Die tiefe Hirnstimulation (THS) etablierte sich Bei der kontinuierlichen Gabe sind retardierte iPD-Patienten implantiert – mit zurzeit mehr als seit Anfang der 1990er-Jahre als effektives Thera- Dopaminagonisten in oraler Form oder eine trans- 10 000 THS-Eingriffen pro Jahr (6). Im Fokus ste- pieverfahren bei ausgewählten iPD-Patienten. dermale Applikation über 24 Stunden verfügbar. hen technische Neuerungen (längere Elektroden, Allerdings sind alle zugelassenen Therapien rein Zudem gibt es Medikamentenpumpen, die meist segmentierte Elektrodenkontakte zur besseren symptomatisch. Sämtliche Versuche, die Progres- über den Tag subkutan (Apomorphin) oder nach Steuerung des applizierten elektrischen Feldes, sion des iPD zu verzögern («Neuroprotektion»), gastroskopischer Anlage einer «JET-PEG» (Duo- wieder aufladbare Stimulatoren) und verbesserte sind bisher leider nicht geglückt. dopa®) das jeweilige Präparat kontinuierlich ap- Bildgebungsverfahren zur Zielpunktlokalisation. plizieren. In der Entwicklung befinden sich neue Dopaminerge Therapie Applikationen von L-Dopa-Präparaten wie trans- Neue Medikamente Die Substitution des striatalen Dopamindefizits dermales L-Dopa (ND0612), inhalatives L-Dopa Bei neuen medikamentösen Ansätzen der sym- bildet weiter den Grundpfeiler der iPD-Therapie. (CVT-301) oder neue L-Dopa-Formulierungen ptomatischen Therapie für motorische und/oder Die dopaminergen Therapiestrategien zielen da- (AP09004; IPX066). Die sogenannte Accordion nicht motorische Parkinson-Symptome werden ® rauf ab, Zeiten schlechter Beweglichkeit (Off-Pha- Pill (AP09004) kombiniert durch eine neue Gale- Präparate ohne direkte dopaminerge Wirkung ge- sen) zu reduzieren und Zeiten guter Beweglich- nik eine rasche und nach Auffalten des «Akkorde- nutzt. Istradefyllin als Adenosin-2A-Rezeptor- keit (On-Phasen) zu ermöglichen. Gerade in ons» lang anhaltende Aufnahme von L-Dopa Antagonist gegen «Wearing off» oder Dyskinesien mittleren oder fortgeschrittenen Stadien soll dies (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT00918177). Seit ist seit 2013 zusätzlich zu L-Dopa in Japan zuge- ® durch eine verlängerte Wirkung der Präparate 2015 ist IPX066 in den USA (Rytary ) und Europa lassen (Nouriast®). Allerdings stehen die endgül- oder eine kontinuierliche Gabe funktionieren. Die (Numient®) zugelassen. Dabei wird schnell lösli- tigen Ergebnisse weltweiter Phase-III-Studien längere Wirkdauer einer L-Dopa-Gabe kann unter ches und lang wirksames L-Dopa in einer Kapsel noch aus oder haben bisher keine überzeugenden anderem durch die Blockade von L-Dopa-abbau- in einem Verhältnis von 1:4 kombiniert, womit Ergebnisse geliefert. Der Noradrenalin-Precursor – 11 –
Thema 3 • 2018 Droxidopa (L-Threo-Dops) ist aufgrund von posi- chen neuroprotektiven Effekt von b2-Mimetika in Literatur: 1. Deuschl G, Schupbach M, Knudsen K, Pinsker MO, Cornu P, Rau J tiven Studienresultaten bei neurogener orthosta- Studien einfliessen, ist noch nicht bekannt (11). et al.: Stimulation of the subthalamic nucleus at an earlier disease tischer Hypotonie bei iPD-Patienten seit 2014 in stage of Parkinson‘s disease: concept and standards of the EARLYSTIM-study. Parkinsonism Relat Disord 2013; 19 (1): 56–61. den USA zugelassen (Northera®). Ob und wann Impfung gegen Parkinson? 2. Deuschl G, Schade-Brittinger C, Krack P, Volkmann J, Schafer H, Botzel K et al.: A randomized trial of deep-brain stimulation for Par- eine Zulassung in Europa erfolgt, lässt sich noch Da Alpha-Synuclein bei der Ätiologie und der Aus- kinson’s disease. N Engl J Med 2006; 355(9): 896–908. nicht sagen. Die Ergebnisse einer Phase-III-Stu- breitung des iPD im Nervensystem eine entschei- 3. Ehringer H, Hornykiewicz O: Distribution of noradrenaline and dopamine (3-hydroxytyramine) in the human brain and their beha- die, die sich mit dem für Narkolepsie zugelasse- dende Rolle zu spielen scheint, ist es nahelie- vior in diseases of the extrapyramidal system. Klin Wochenschr nen Histamin-Rezeptor-Antagonisten Pitolisant gend, aktive oder passive immuntherapeutische 1960; 38: 1236–1239. 4. Borgohain R, Szasz J, Stanzione P, Meshram C, Bhatt M, Chirili- (Wakix®) hinsichtlich seiner Wirkung auf die ex- Strategien bei iPD einzusetzen. Erste Arbeiten ap- neau D et al.: Randomized trial of safinamide add-on to levodopa in Parkinson’s disease with motor fluctuations. Mov Disord 2014; zessive Tagesschläfrigkeit bei iPD befasst, sind plizierten dabei immunogene Peptide subkutan, 29 (2): 229–237. noch nicht veröffentlicht. die das C-terminale Ende von Alpha-Synuclein 5. Hauser RA, Hsu A, Kell S, Espay AJ, Sethi K, Stacy M et al.: Exten- ded-release carbidopa-levodopa (IPX066) compared with imme- imitieren. Die Patienten entwickeln dabei Antikör- diate-release carbidopa-levodopa in patients with Parkinson‘s Krankheitsmodifizierende per, die auch im Liquor zu finden sind (Clinical disease and motor fluctuations: a phase 3 randomised, double- blind trial. Lancet Neurol 2013; 12 (4): 346–356. Behandlungen Trials.gov Identifier: NCT02216188; AFFITOPE® 6. Obeso JA, Stamelou M, Goetz CG, Poewe W, Lang AE, Weintraub D et al.: Past, present and future of Parkinson‘s disease: A special Die bisherigen Ansätze potenzieller krankheits- PD01A). Eine andere Peptidgruppe testet zurzeit essay on the 200th Anniversary of the Shaking Palsy. Mov Disord modifizierender Therapien konnten die Hoffnun- eine Phase-I-Studie (ClinicalTrials.gov Identifier: 2017; 32 (9): 1264–1310. 7. Olanow CW, Rascol O, Hauser R, Feigin PD, Jankovic J, Lang A gen nicht erfüllen. Viel diskutiert wurde unter NCT02267434; AFFITOPE® PD03A). Bei den pas- et al.: A double-blind, delayed-start trial of rasagiline in Parkin- anderem die Wirksamkeit des selektiven irrever- siven Immuntherapien verabreicht man mono- son‘s disease. N Engl J Med 2009; 361 (13): 1268–1278. 8. Rascol O, Hauser RA, Stocchi F, Fitzer-Attas CJ, Sidi Y, Abler V siblen MAO-B-Hemmers Rasagilin aus der gene Antikörper gegen Alpha-Synuclein intra- et al.: Long-term effects of rasagiline and the natural history of treated Parkinson‘s disease. Mov Disord 2016; 31 (10): 1489–1496. ADAGIO-Studie (7). Diese hatte 2009 einen gros- venös (12). Dabei zeigte sich bei Gesunden eine 9. Noyce AJ, Bestwick JP, Silveira-Moriyama L, Hawkes CH, Giovan- sen Einfluss auf die Behandlung, insbesondere Reduktion des Alpha-Synucleins im Serum (12). noni G, Lees AJ et al.: Meta-analysis of early nonmotor features and risk factors for Parkinson disease. Ann Neurol 2012; 72 (6): von Patienten mit iPD in frühen Erkrankungssta- Eine daraufhin initiierte Phase-II-Studie mit 60 893–901. dien. Die Ergebnisse des Follow-ups waren er- iPD-Patienten befindet sich derzeit in der Auswer- 10. Biglan KM, Oakes D, Lang AE, Hauser RA, Hodgeman K, Greco B et al.: A novel design of a Phase III trial of isradipine in early Par- nüchternd (8): Man kann nicht von einem siche- tung (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02157714; kinson disease (STEADY-PD III). Ann Clin Transl Neurol 2017; 4 (6): 360–268. ren krankheitsmodifizierenden Effekt unter PRX002). 11. Mittal S, Bjornevik K, Im DS, Flierl A, Dong X, Locascio JJ et al.: Rasagilin über einen längeren Zeitraum ausge- Insgesamt zeigen sich vielversprechende Entwick- beta2-Adrenoreceptor is a regulator of the alpha-synuclein gene driving risk of Parkinson‘s disease. Science 2017; 357 (6354): hen. Neuere Studien befassen sich mit Koffein, Ni- lungen für die symptomatische und krankheits- 891–898. kotin, Isradipin und immuntherapeutischen An- modifizierende Parkinson-Behandlung, in die 12. Schenk DB, Koller M, Ness DK, Griffith SG, Grundman M, Zago W et al.: First-in-human assessment of PRX002, an anti-alpha-synu- sätzen. So beschreiben viele epidemiologische neue Techniken und Erkenntnisse aus der Grund- clein monoclonal antibody, in healthy volunteers. Mov Disord 2017; 32 (2): 211–218. Studien eine neuroprotektive Wirkung von Koffein lagenforschung einfliessen. Künftig muss geklärt 13. Doppler K, Ebert S, Uceyler N, Trenkwalder C, Ebentheuer J, und Nikotin auf iPD (9). Derzeit befassen sich werden (1), wie die rezenten Ergebnisse zur extra- Volkmann J et al.: Cutaneous neuropathy in Parkinson‘s disease: a window into brain pathology. Acta Neuropathol. 2014; 128 (1): Phase-III-Studien mit Koffein und Nikotin und zerebralen Manifestation des iPD (gastrointesti- 99–109. einem möglichen Effekt auf den Krankheitsverlauf nal, Haut) mit eingebracht werden können (2, 13, 14. Stokholm MG, Danielsen EH, Hamilton-Dutoit SJ, Borghammer P: Pathological alpha-synuclein in gastrointestinal tissues from (Clinical Trials.gov Identifier: NCT01738178; clini- 14), wann der optimale Zeitpunkt einer krank- prodromal Parkinson disease patients. Ann Neurol 2016; 79 (6): 940–949. caltrialsregister.eu: 2010-020299-42). Isradipin heitsmodifizierenden Behandlung ist und nicht ist ein für arteriellen Hypertonus zugelassener zuletzt (3), wie eine krankheitsmodifizierende Kalziumantagonist vom Dihydropyridin-Typ (DHP) Wirkung zu messen ist. x und hat bei In-vitro- sowie In-vivo-Studien bei iPD Korrespondenzadresse: einen neuroprotektiven Effekt gezeigt. Weitere Prof. Dr. med. Stephan Klebe epidemiologische Studien bewiesen ein reduzier- Klinik für Neurologie Universitätsklinikum Essen tes Risiko für einen iPD bei Einnahme von DHP. D-45147 Essen Eine Phase-III-Studie mit Isradipin ist derzeit ge- Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert. plant (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02168842) Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt», 2018; 40 (8); (10). Ob die neuen Ergebnisse zu einem mögli- 40–42. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. – 12 –
Thema 3 • 2018 Morbus Parkinson im Fokus medizinisch- neurobiologischer Forschung Der nachfolgende Beitrag gibt einen anderem die Genomeditierung (CRISPR/Cas- Walter Bodemer Überblick über die bisher gewonnenen Methode) – also die zielgerichtete Veränderung Forschungserkenntnisse zu Morbus Par- von DNA – ebenso diskutiert wurde wie eine kinson (MP). Besonderes Augenmerk liegt dabei auf Gen- oder Stammzellentherapie. Obwohl einige dieser Kon- der Betrachtung und wissenschaftlichen Bewertung zepte grundsätzlich relevant sind, bieten sie derzeit nur ge- der molekulargenetischen und biomedizinischen ringe Chancen für eine nachhaltige Therapie, geschweige Untersuchungsansätze, die zu einem besseren Ver- denn eine Heilung. ständnis der Erkrankung beitragen sollen. Dabei zeigte sich, dass auch die Prionenforschung und die Molekulare Biologie – Epigenetik dazu beigetragen haben, die Pathoge- die Rolle von Alpha-Synuclein nese und Pathophysiologie des MP zu erschliessen. Das für Alpha-Synuclein verantwortliche Gen (SNCA) ist bekannt. Es liegt auf dem Chromosom 17 und kodiert für ein Verlangsamte Bewegungen, Muskelsteifheit, Zittern sowie relativ kleines Protein mit einem Molekulargewicht von gestörtes Schlafverhalten bis hin zu Riechstörungen fügen 14 000 d, dessen physiologische Funktion noch nicht eindeu- sich zu einem heterogenen, progredient verlaufenden Krank- tig geklärt ist. Als normaler Bestandteil von Nervenzellen heitsbild, für das es vermutlich keine rein monokausale Ätio- lässt sich a-syn insbesondere im Gehirn, in geringeren Kon- logie gibt. Sicherlich gilt das Protein Alpha-Synuclein (a-syn) zentrationen auch in anderen Geweben des Organismus als wichtiger Marker für MP; immerhin war der Nachweis von nachweisen. Es findet sich vor allem im Bereich der Synap- a-syn und dessen fehlgefalteten Molekülformen vor etwa sen, wo es vorwiegend bei der Regulation der Dopaminaus- 20 Jahren ein Meilenstein in der Parkinson-Forschung. Post schüttung beteiligt sein soll. Erwiesen ist, dass a-syn in «ag- mortem liessen sich im Gehirn fehlgefaltetes a-syn und zell- gregierter Form» als Hauptbestandteil der unter anderem für toxische Aggregate mit Antikörpern in Lewy-Körperchen M. Parkinson typischen Lewy-Körperchen die prä- und post- nachweisen. Studien zu a-syn zeigten, wie das authentische, synaptische Signalübertragung stört. Diese prionenähnli- lösliche a-syn in Form fehlgefalteter Aggregate die Signal- chen Ablagerungen, die durch epigenetische Fehlfaltung des übertragung zwischen der Präsynapse und der Postsynapse nativen a-syn entstehen, scheinen sich nicht nur negativ auf unterbricht. Inzwischen liegen jedoch weitere Befunde vor, die Dopaminsynthese auszuwirken und den dopaminergen die die physiologische und neurologische Fehlsteuerung mit Signalpfad zu blockieren, sondern wirken zudem toxisch auf partieller genetischer Veranlagung, mit physiologischen De- die Hirnzellen und führen zu ihrem Untergang. MP wird daher fiziten in der synaptischen Signalübertragung sowie letztlich heute – ebenso wie andere neurodegenerative Erkrankun- mit epigenetischen Veränderungen assoziieren. Therapeu- gen, die Ablagerungen von Alpha-Synuclein-Aggregaten auf- tisch lässt sich der Krankheitsverlauf durch die Substitution weisen – als «Synucleinopathie» bezeichnet. von Levodopa – eine Vorstufe von Dopamin (stets in Kombi- Auch in den Nervenfasern von Haut, Darm sowie in den Enden nation mit einem Decarboxylasehemmer) – hinauszögern be- der Riechnerven liessen sich inzwischen fehlgefaltete Alpha- ziehungsweise mildern. Daneben werden zurzeit weitere Me- Synuclein-Ablagerungen nachweisen. In diesem Zusammen- dikamente ohne unmittelbare dopaminerge Effekte zur hang tauchte die Hypothese auf, dass Parkinson möglicher- Behandlung motorischer Probleme in verschiedenen klini- weise im Darm beginnen und über den N. vagus ins Gehirn schen Studien getestet, die jedoch auch nur symptomati- wandern könnte. Durch eine im Tiermodell durchgeführte sche, krankheitsmodifizierende Wirkungen entfalten. Aus Vagotomie liess sich das Risiko einer Ausbreitung reduzieren. dem Spektrum der neueren molekularmedizinischen Grund- Allerdings konnte für a-syn-Aggregate inzwischen auch der lagenforschung entwickelten sich Ideen, wie eine klinisch ef- umgekehrte «Wanderweg», nämlich vom Gehirn in den fektivere Behandlung des MP aussehen könnte, wobei unter Gastrointestinaltrakt, nachgewiesen werden. Dass Synuclei- – 14 –
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