Zukunft - Universität Innsbruck
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zukunft forschung Magazin für Wissenschaft und Forschung der Universität Innsbruck Ausgabe 01|14 thema: forschen weltweit | ethnologie: gestrandet in südeuropa| geografie: amenity migration | weltkrieg: knappe kassen | germanistik: 50 jahre brenner-archiv | mineralogie: multitalent kristall | physik: astro-software aus tirol Forschen in der Welt
TANZSOMMER INNSBRUCK TIC51K2/E56T1 S56:1 +43/ Photo: RACHEL NEVILLE 27. JUNI BIS 12. JULI 2014 www.tanzsommer.at
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, E in besonderes Charakteristikum der Universität Innsbruck login Anita Juen erforscht. Archäologen um Sandra Heinsch und ist ihre ausgeprägte Internationalität. Fast 39 Prozent aller Walter Kuntner suchen in Armenien und Georgien nach Spuren Studierenden kommen mittlerweile aus dem EU-Raum früher Hochkulturen. Das Schicksal von Migranten recherchiert und sogenannten Drittstaaten an die Leopold-Franzens-Univer- Stiftungsprofessor und Kulturwissenschaftler Gilles Reckinger auf sität zum Studium. 38 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeite- süditalienischen Obstplantagen. Und Wirtschaftswissenschaftler rinnen und Mitarbeiter wurden nicht in Österreich geboren und 71 Björn Vollan versucht mit ökonomischen Experimenten in China Prozent der relevanten Publikationen im Web of Science werden und auf den Philippinen, das wirtschaftliche Verhalten dieser Ge- mit internationalen Co-Autorinnen und -Autoren verfasst. Inter- sellschaften näher zu ergründen. nationale Hochschulrankings bestätigen diese außergewöhnliche Sie finden in unserem Magazin außerdem Berichte zu zahl- internationale Durchmischung: Eine Spezialauswertung des Times reichen weiteren Forschungsprojekten unserer Wissenschaft- Higher Education Rankings positioniert die Universität Innsbruck lerinnen und Wissenschaftler sowie Beiträge über das nun seit im Bereich „Internationalität“ als einzige österreichische Universi- einem halben Jahrhundert bestehende und international viel be- tät unter den Top Ten weltweit auf dem hervorragenden 7. Platz. achtete Brenner-Archiv und das von der UNESCO ausgerufene Im aktuellen Leiden Ranking liegt die Universität Innsbruck bei Internationale Jahr der Kristallografie. wissenschaftlichen Publikationen mit internationalen Partnern weltweit auf Rang 5. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre dieser Ausgabe International orientieren sich auch viele Wissenschaftlerinnen und freuen uns über Ihre Fragen und Anregungen! und Wissenschaftler unserer Universität in ihren Forschungs- fragen und Untersuchungsfeldern. In dieser Ausgabe des For- schungsmagazins zukunft forschung präsentieren wir Ihnen einige Feldforschungsprojekte aus verschiedenen Disziplinen: Geografen um Ernst Steinicke untersuchen die Siedlungsent- wicklung im kalifornischen Hochland und vergleichen sie mit Entwicklungen in den Alpen. Aus Asien stammende Regenwür- TILMANN MÄRK, REKTOR mer erobern die Wälder der USA und werden dort von der Bio- SABINE SCHINDLER, VIZEREKTORIN Forschung impressum Herausgeber: Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Innsbruck, public-relations@uibk.ac.at, www.uibk.ac.at Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Dr. Christian Flatz (cf) Medieninhaber & Verleger: ECHO Zeitschriften- und Verlags GmbH, Eduard-Bodem-Gasse 6, 6020 Innsbruck, www.echoonline.at Redaktion: Mag. Melanie Bartos (mb), Mag. Andreas Hauser (ah), Mag. Stefan Hohenwarter (sh), Dr. Florian Becke (fb), Daniela Pümpel, MA (dp), Mag. Susanne Röck (sr) Layout & Bildbearbeitung: Thomas Binder Fotos: Andreas Friedle, Universität Innsbruck Foto: Uni Innsbruck zukunft forschung 0114 3
INHalt Titelthema Geografie. Forscher rund um Ernst Steinicke untersuchen die Amenity Migration in der Sierra Nevada und im französischen, italienischen und slowenischen Alpenraum. 8 Biologie. Anita Juen untersucht die Auswirkungen der Ankunft eines asiatischen Regenwurms auf Wälder in den USA. 12 8 Archäologie. Innsbrucker Forscher und Archäologen graben seit über 30 Jahren im Nahen Osten. 14 Titel. Mitarbeiter der Universität Innsbruck forschen auf der ganzen Welt. ZUKUNFT FORSCHUNG begleitete Wirtschaft. Björn Vollan arbeitet mit verhaltensökonomischen einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu ihren Experimenten in China und auf den Philippinen. 16 Einsatzgebieten, die auf dem G lobus verteilt sind. Geschichte. Der Kulturwissenschaftler Gilles Reckinger unter- sucht, was aus den Flüchtlingen von Lampedusa wird. @ 18 Vernetzung. Die Universität Innsbruck zählt zu den zehn Uni- versitäten weltweit mit der stärksten internationalen Ausrichtung. 19 forschung Standort. Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner über 34 die Unifinanzierung und den Forschungsstandort Tirol 22 Mineralogie. 2014 steht im Zeichen des Kristalls – 98 Mathematik. Hermann Mena vermittelt mit rechnerischen Mit- Prozent der festen Materie unseres Planeten bestehen aus teln in einem Streit zwischen Ecuador und Kolumbien, der sich um Kristallen, doch ist die häufigste Erscheinungsform von Fest- ein Unkrautvernichtungsmittel dreht. 26 körpern in der öffentlichen Wahrnehmung kaum präsent. germanistik. Seit 50 Jahren leistet das Brenner-Archiv einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung heimischer Kulturgeschichte. 28 Literatur. Ein internationales Forscherinnenteam nähert sich auf verqueere Weise der rumänischen Nachkriegsliteratur. 30 Astrophysik. Mit Innsbrucker Computerprogrammen werden Beobachtungen von der Erde aus effizienter. 31 Biologie. Fachübergreifend soll die Herkunft von Flora und 36 Fauna in inneralpinen Trockengebieten geklärt werden. 32 Jugendforschung. Helmut Fennes untersucht in Geschichte. Die Habsburgermonarchie war 1914 zum Zeitpunkt einem internationalen Forschungsprojekt die Auswirkungen der Mobilisierung auf einen Krieg nicht ausreichend vorbereitet. 38 des EU-Programms „Jugend in Aktion“. RubRiKEN Editorial/Impressum 3 | Bild Der wissenschaft: protorobotic 4 | Neuberufung: Georg Eckert 6 | Fundgrube Vergangenheit: Ludwig Haber- landt 7 | Bildglossar: Polarforschung 20 | Patente & Spin-offs 24 | Meldungen 39 + 44 | Cast 40 | Preise & auszeichnungen 45 | zwischen- stopp: Scott Pincikowski 48 | Sprungbrett Innsbruck: Oliver Hauser 49 | Zahlen & Fakten: Fakultät für Volkswirtschaft und Statistik 50 @ Zu diesen Beiträgen finden Sie weitere Infos auf: www.uibk.ac.at/forschung/magazin/12/ Die Entwicklung innovativer Fabrikationsmethoden ist eines der For- artifizielle Schaumstrukturen erforscht, die mit drei Industrierobotern schungsgebiete von Marjan Collettis Team am Institut für experimen- mit MultiMove-Funktionalität im REX|LAB über koordinierte synchro- telle Architektur, welche unter dem Thema „Meeting Nature Halfway“ nisierte Bewegungen gereckt werden und extrem filigrane und leich- laufen. Mit dem Projekt ProtoRobotic FOAMing werden zum Beispiel te, jedoch stabile Strukturen erzeugen. Fotos: Andreas Friedle (1), Uni Innsbruck (1), Preformulation and Polymorphism Group (1), VA Innsbruck (1); COVERFOTO: Carole Reckinger zukunft forschung 0114 5
Neuberufung Der Reiz von Lehre und Forschung Den Aktienrecht-Spezialisten Georg Eckert reizt am juristischen Forschen, Querbezüge innerhalb und außerhalb des Fachs herzustellen. E inen Ausgleich zur trockenen Forschungsarbeit braucht Ge- sellschaftsrecht“ widmete er sich der geschichtlichen Entwicklung org Eckert nicht. Aus einem einfachen Grund. „Forschen des Aktienrechts in Österreich und anderen europäischen Ländern. ist nicht trocken“, sagt er voller Überzeugung, „es macht mir Freude.“ Freude, die er sozusagen jetzt in vollen Zügen ge- querbezüge nießen kann. Seit März dieses Jahres ist Eckert am Institut für Un- „Die Aktienrechte“, bilanziert Eckert aus dieser rechtsverglei- ternehmens- und Steuerrecht als Professor für Privates Recht der chenden und -historischen Arbeit, „sind in der Funktionsweise Wirtschaft tätig. Eingelebt hat er sich schon, auch wenn seine juris- in Europa sehr ähnlich.“ Die wissenschaftliche Beschäftigung mit tischen Fachbücher gerade erst in Umzugskartons ins Büro gelie- dem Aktienrecht ist ihm geblieben. In Innsbruck plant er nun ein fert worden sind. Vor allem das Wetter, gemeinsames Projekt mit Institutskol- die Luft, Berge und Stadt gefallen ihm. legen Alexander Schopper, ein anderes Zur Juristerei ist der Niederösterrei- Zur Person läuft mit Susanne Kalss. Am juristischen cher etwas über Umwege gekommen. Georg Eckert (*1973) studierte Forschen (Eckert: „Dass man einen un- Nach der Matura verlängerte er seine an der Universität Wien Rechts- bekannten Paragrafen entdeckt, kommt Bundesheerzeit beim österreichischen wissenschaften. Dem Magiste- eher selten vor.“) reizt den vierfachen UN-Kontingent auf Zypern, zurück rium im Jahr 1999 folgte 2003 Vater, „Querbezüge innerhalb und au- in Österreich landete er zuerst bei der das Doktorat, im Jahr 2010 ßerhalb des Faches herzustellen und OMV, ehe er 1995 in Wien mit dem Stu- die Habilitation über Interna- dass aus Vorhandenem Neues entsteht.“ dium der Rechtswissenschadt begann. tionales Gesellschaftsrecht. Zwischen 2000 und Neues entsteht für ihn auch in der Leh- Nach dem Studienende fing er in einer 2009 war Eckert Universitätsassistent an der WU re. Eckert: „Wenn man einen Gegen- Rechtsanwaltskanzlei an, wechselte Wien, gleichzeitig war er von 2003 bis 2012 bei stand vermittelt, lernt man selbst durch aber bald wieder zurück an die Wiener Gassauer-Fleissner Rechtsanwälte tätig. Seit 2013 die Aufbereitung des Stoffes dazu, aber Wirtschaftsuni. Susanne Kalss, START- ist er Partner bei wkklaw Rechtsanwälte, seit 2014 auch durch die Rückfragen der Studie- Preisträgerin aus dem Jahr 2000, holte Professor am Innsbrucker Institut für Unternehmens- renden. Das macht für mich auch den ihn an Bord. In dem Projekt „Kapitalge- und Steuerrecht. Reiz der Lehre aus.“ ah 6 zukunft forschung 0114 Fotos: Andreas Friedle (2)
Fundgrube Vergangenheit grossvater der pille Für seine bahnbrechenden Arbeiten zur Empfängnisverhütung erntete der Innsbrucker Forscher Ludwig Haberlandt viel Lob und Kritik. An Letzterer zerbrach er. M an schrieb das Jahr 1951, als einem For- scherteam rund um den amerikanisch-ös- terreichischen Chemiker Carl Djerassi die Entwicklung des ersten synthetischen, oral aktiven Gestagens gelang. Es bildete die Grundlage für die erste Antibabypille, die eine andere Forschergruppe 1960 auf den Markt brachte. Trotzdem – und trotz mehr als 1200 anderen Publikationen – gilt Djerassi, der Anfang Juni ein Ehrendoktorat der Universität Innsbruck erhielt, als „Vater der Pille“, ein Beiname, der ihn etwas nervt, der ihm allerdings ermöglicht, mit einer ähnlichen Metapher auf die medizinischen Vorleistungen eines Innsbrucker Wissenschaftlers hin- zuweisen: Für ihn ist Ludwig Haberlandt der „Groß- vater der Pille“. Bahnbrechende Arbeiten Das eigentliche Forschungsinteresse Haberlandts am ZUR PERSON Physiologischen Institut galt der Kardiologie, vor allem Ludwig Haberlandt (* 1885 interessierten ihn Projekte zur Leistungssteigerung. in Graz; † 1932 in Inns- Neben diversen Untersuchungen fand er aber ab 1919 bruck) gilt als Pionier der die Zeit, Ovarientransplantationen bei Kaninchen und hormonalen Empfängnisver- Meerschweinchen durchzuführen – bei einem Teil der hütung, der Vorarbeiten zur Tiere hatte dies eine zeitlich begrenzte Sterilisation zur Entwicklung der Antibabypil- Folge. Darauf aufbauend folgten ab 1921 Injektions- le leistete. Nach dem Medi- behandlungen mit Eierstock- und Plazentaextrakten zinstudium an der Universität sowie – bis 1927 – Fütterungsversuche mit Präparaten Graz kam er 1911 an die aus Ovarien trächtiger Tiere und Plazenten. Mit die- Universität Innsbruck, wo er sen Versuchen gelang ihm der Nachweis einer hor- sich 1913 habilitierte und monellen Sterilisation. Die zahlreichen Publikationen 1919 zum ao. Professor er- Haberlandts stießen auf reges Interesse – sowohl in nannt wurde. Seinem Leben, der Fachwelt als auch in der Öffentlichkeit, und dies seinen wissenschaftlichen und weit über Österreichs Grenzen hinaus. Sahen die einen persönlichen Aufzeichnungen darin die Chance, mithilfe einer „Antikindertablette“ geht die Historikerin Corinna gefährliche, weil illegale Abtreibungen und deren Zangerl in dem soeben gesundheitlichen und rechtlichen Folgen zu verhin- erschienenen Buch „Wenn dern, war es für andere ein Verbrechen am ungebo- Wissenschaft Lebensgrenzen renen Leben. Speziell die Kritik von Fachkollegen, so setzt“ (Universitätsverlag die Ansicht Haberlandts, hinderte ihn am beruflichen Wagner) nach. Fortkommen. In Innsbruck blieb ihm eine ordentliche Professur verwehrt, Berufungen nach Jena, Rostock und Graz scheiterten, Haberlandt geriet mehr und mehr ins wissenschaftliche und politische Abseits, zu- dem gelang ihm die Umsetzung seiner theoretischen Arbeiten in die Praxis nicht. Für den leistungsorien- tierten Haberlandt ein zu großer Druck. Am 22. Juli 1932 nahm er sich in Innsbruck das Leben. ah Fotos: Universitätsverlag Wagner/Privatbesitz Haberlandt (3) zukunft forschung 0114 7
Aufbruch ins Gebirge Was Innsbrucker Geografen zuerst in Kalifornien beobachteten, sehen sie nun auch im französischen, italienischen und slowenischen Alpenraum: Entlegene Gebiete werden langsam wiederbesiedelt, die Zuwanderer kommen aus den urbanen Räumen und suchen in den Alpen Lebensqualität und Naturnähe.
TITELthema F ür unser erstes Projekt reisten wir 2003 zwar zu, die Zahlen belegen aber, dass seit den nach Kalifornien in die High Sierra Ne- 1990er Jahren mehr Kalifornier den Staat verlas- vada, da hier laut Volkszählung von 2001 sen hatten, als US-Bürger zugezogen waren. Die – entgegen dem Landestrend – die Bevölkerung Ausnahme ist das kalifornische Gebirge. „Unse- Lake Tahoe interessanterweise zugenommen hatte. Nur: re These war, dass es dort zu einer sogenannten Schon Ende des 19. Als mein Mitarbeiter Roland Löffler und ich Counterurbanisierung kommt, dass die Men- Jahrhunderts entstand am dort ankamen, fanden wir viele verschlossene schen von den Städten genug haben, ins Gebirge Lake Tahoe – ein See in Fensterläden vor und kaum Menschen, die wir ziehen und dort Sicherheit, ethnische Homogeni- der Sierra Nevada an der befragen konnten“, erinnert sich Ernst Steini- tät, Natur, Freizeitmöglichkeiten etc. suchen. Mit Grenze zwischen Nevada cke vom Institut für Geographie der Universi- den geschlossenen Fensterläden mussten wir die- und Kalifornien – ein tät Innsbruck zurück. Erstmals auf Kalifornien se These aber zurücknehmen“, gibt Steinicke zu, Erholungsgebiet, der gestoßen war er Mitte der 1990er Jahre, als ihm ergänzt aber: „Verwerfen mussten wir sie nicht. Tourismus bot ehemaligen im Zuge seiner Forschungsarbeiten zum Alpin- Es handelt sich vielmehr um das Phänomen der Goldsuchern und Holz- tourismus eine Parallele zum Skitourismus in Amenity Migration.“ Ein Phänomen, das Steini- fällern neue Erwerbsmög- Kalifornien auffiel. Die dortige Gebirgsregion cke mit seinem Forschungsteam (Michael Beis- lichkeiten. Verstärkt wurde wurde erst im Zuge des Gold Rush ab der Mit- mann, Roland Löffler, Wolfgang Warmuth und diese Entwicklung durch den te des 19. Jahrhunderts besiedelt. Nach dessen Judith Walder) inzwischen – und hier schließt Skitourismus ab den 1920er Ende wanderten die Menschen wieder ab, es sich der Kreis – auch in den französischen, ita- Jahren, ab den 1960er entstanden Ghost Towns. Mit dem Beginn des lienischen und slowenischen Alpen beobachten Jahren entstand hier eine Skitourimus ab den 1920er Jahren zogen wieder kann. der größten Wintersportre- Menschen in die ehemaligen Goldgräbercamps, gionen der USA. Die Sierra die Orte wuchsen und, so Steinicke, „dort, wo es „Wohlstandsmigration“ Nevada ist auch ein Raum Skitourismus gab, nahm die Bevölkerung zu“. „Das Forschungsfeld der Amenity Migration“, mit kräftigen Bevölkerungs- Eine Entwicklung, die er unter „Gold-Ghost-Ski“ hält die Arbeitsgruppe „Demographic Change in gewinnen. Verdichteten zusammenfasst. Dazu kam noch, dass der Geo- the Alps“ in einer Publikation zum Thema fest, Wohnbau gibt es in dieser graf bei Untersuchungen in Friaul mit alpinen „beschreibt die Verschiebung der Wohnsitzpräfe- Region nicht, die Folge sind Ghost Towns zu tun hatte: „Daher hat mich die renz vom urbanen Raum in abgelegene, aber at- Zersiedlungserscheinungen Entwicklung von Ghost Towns interessiert.“ traktive ländliche Regionen.“ Eine Verschiebung, im Hochgebirge. Kein Wunder also, dass ihn das Gold-Ghost- die allerdings keine fixe sein muss. Oft ist sie ein Ski-Phänomen in Übersee fesselte, vor allem mit Pendeln zwischen zwei Wohnsitzen, aber nicht den Bevölkerungsdaten von 2001. Aufgrund ho- im Sinne eines Freizeitwohnsitzes, der auf Frem- her Fertilitätsraten und Zuwanderung aus dem denverkehr und das „Konsumieren“ von touris- Ausland nimmt die Bevölkerung im Golden State tischen Angeboten ausgerichtet ist. „Amenity 10 zukunft forschung 0114 Fotos: Andreas Friedle (1), Library of Congress (1), Dieter Hofmann (1), Institut für Geographie (2)
TITELthema Migration bedeutet, dass die Menschen in den oder Padua in die Alpen zieht, viele von ihnen Zur Person ländlichen Regionen wohnen und leben, aktiv kennen ihre neue Bleibe von Urlaubsreisen, oder am Dorfleben teilnehmen, aber in der Stadt im- sie verwandeln seit Generationen in der Fami- mer noch einen Wohnsitz haben“, sagt Steinicke. lie befindliche Wochenendhütten in fixe Wohn- Es kommt zu einer Verlagerung der Wochenend- sitze. Mehr als 200 Gemeinden untersuchten und Freizeitmobilität hin zum saisonalen bis die Innsbrucker Geografen in der Zwischenzeit, permanenten Wohnsitz. „Die französischen Al- dokumentierten und analysierten Bevölkerungs- pen waren bis in die 1970er ein Abwanderungs- struktur und Eigentumsverhältnisse, führten Ge- gebiet, seit den 1980er Jahren ist ein erkennbares spräche mit „alten“ und „neuen“ Einwohnern. Bevölkerungswachstum feststellbar“, beschreibt Steinicke eine Entwicklung, die in den Alpen von Kein Abwanderungsgebiet Frankreich über Italien inzwischen bis nach Slo- Die Zuwanderer verhindern einerseits durch die wenien zu beobachten ist. Entlegene Gegenden, Revitalisierung verlassener Gebäude die Entste- Ernst Steinicke, *1954 in in denen sich die Landwirtschaft nicht mehr ren- hung von Ghost Towns und unterstützen durch Innsbruck, ist ao. Univ.-Prof. tierte, wo Arbeitsplätze rar waren und die tou- diese Instandsetzungen die lokale Bauwirtschaft am Institut für Geographie ristisch nicht erschlossen waren, wurden durch und regionales Handwerkergewerbe. Anderer- der Universität Innsbruck Landflucht ausgedünnt – und scheinen nun seits stellen sie eine Bedrohung der in vielen der und seit 2013 Studiendekan von einer neuen Stadtflucht zu profitieren. Und betroffenen Gebiete noch gebräuchlichen Min- der Fakultät für Geo- und was Steinicke vor Ort etwa in Friaul beobachten derheitensprachen wie etwa Friulanisch, Ladi- Atmosphärenwissenschaften. konnte, lässt sich auch durch Zahlen belegen. nisch, Frankoprovenzalisch, Walserdeutsch oder Nach seiner Habilitation Rund 3000 Neuankömmlinge lassen sich jedes Okzitanisch dar. Doch Steinicke relativiert. „Das über Friaul beschäftigte er Jahr in den peripheren Gebieten der italienischen ethnische Mosaik und die sprachliche Vielfalt ist sich u.a. mit Bevölkerungs- Alpen nieder, beginnen fast ausgestorbene Täler nirgendwo so ausgeprägt wie im Alpenraum. fragen in Gebirgsräumen. und Orte wieder zu besiedeln. Doch die ständige Abwanderung junger Men- Im Rahmen von vier FWF- „Wesentliche Pullfaktoren für diese Amenity schen bedeutete für die Sprachgruppen einen Projekten und Aufenthalten Migration sind die naturräumlichen Vorzüge, quantitativen Verlust. Geblieben sind die alten in den Hochgebirgen der eine höhere Lebensqualität, ein größeres Frei- Bewohner, die zwar die Sprache noch sprechen, Erde publizierte er mit zeitangebot, der günstige Wohnungsmarkt im aber mit der Zeit wegsterben“, sieht er das Pro- seinen Mitarbeitern in den italienischen Gebirge sowie die Unabhängigkeit blem in der Abwanderung und nicht in der As- vergangenen Jahren neue vom Arbeitsplatz dank der neuen Kommunikati- similation. Beobachten konnten die Innsbrucker Erkenntnisse zu Themenkrei- onsinfrastruktur“, schreiben Steinicke und seine Forscher sogar das Gegenteil: Die Newcomer in- sen wie Ethnizität, Counter- Mitarbeiter in einem Zwischenbericht zu „Ame- tegrieren sich ins Dorfleben, identifizieren sich urbanisierung oder Amenity nity Migration und ethnolinguistische Minder- mit ihrer neuen Heimat und der dortigen Kultur Migration. heiten in den italienischen Alpen“. Ernst Steini- und tragen damit zu deren Erhalt bei. Auch sei, cke ortet Parallelen und Unterschiede zwischen so Steinicke, zu beobachten, dass oft jahrzehnte- der Amenity Migration in Kalifornien und im lang brachliegende landwirtschaftliche Flächen Alpenraum: „Das Thema Sicherheit spielt in Eu- wieder bestellt werden. All dies, sagt der For- ropa eine geringere Rolle, dafür sind unter den scher, führt zu der Erkenntnis, dass man – auch Zuwanderern mehr ältere Menschen als in den wenn es kleinräumige Abweichungen gibt – die USA.“ Unter den Newcomern befinden sich aber Alpen nicht mehr als Abwanderungsgebiet be- auch junge Menschen, die es aus Mailand, Turin zeichnen kann. ah Die Migrationsbilanz in den Al- pen zwischen 2002 und 2012 (Grafik ganz li.) zeigt den posi- tiven Trend (rot) in den Westal- pen, den negativen (blau) in den Ostalpen Österreichs. Das fri- ulanische Casso (Bild Seite 8/9) wandelte sich von einer Ghost Town zu einer unterschiedlich bewohnten Gemeinde: ganzjäh- rig bewohnt (gelb), leerstehend (weiß), Zweitwohnsitz (rot) und Amenity Homes (Orange). zukunft forschung 0114 11
TITELTHEMA Der asiatische Regenwurm Amynthas agrestis tritt als invasive Art in den USA immer stärker in Erscheinung. Exotische Beute Neben klimatischen Entwicklungen zählt der Einfluss invasiver Arten aus der Tier- und Pflanzenwelt zu den wichtigsten Ursachen für den globalen Wandel. Dr. Anita Juen untersucht die Auswirkungen der Ankunft eines asiatischen Regenwurms auf Räuber-Beute-Beziehungen in einem der ältesten Wälder der Erde in den USA. S ie lockern das Erdreich auf, kompostieren abgestorbene teils massiven Auswirkungen auf Bodenstruktur oder Vegetation Pflanzenreste und tragen zu einem „gesunden“ Boden bei: belegen, ist das Wissen über potenzielle Veränderungen in Nah- Regenwürmer gelten als Nützlinge und sind in jedem Gar- rungsnetzen bisher sehr lückenhaft. „Regenwürmer spielen in der ten gern gesehene Gäste. Doch bereits seit einigen Jahren beginnt Nahrungskette eine wichtige Rolle und stehen am Speiseplan zahl- das positive Image dieser Würmer immer stärker zu wackeln. „Ei- reicher Arten“, sagt Juen. „Ich habe mir die Frage gestellt, ob das nige Arten breiten sich angesichts der verstärkten internationalen Eintreffen einer neuen Spezies Auswirkungen auf das Beuteschema Vernetzung auf der ganzen Welt aus und können unter Umständen räuberisch lebender Tiere hat.“ ganze Ökosysteme verändern“, erklärt Anita Juen vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck. Die Wissenschaftlerin befasst Regenwurm auf Reisen sich mit Themen wie Artenvielfalt auf landwirtschaftlich genutzten Der Great-Smoky-Mountains-Nationalpark erwies sich als idealer Flächen oder natürlicher Schädlingsregulation und erforscht mithilfe Ort, um nach Antworten auf diese Frage zu suchen. Der National- molekularer Methoden Entwicklungen in Nahrungsnetzen. In einem park liegt in den Appalachen auf dem Gebiet der beiden US-Bun- vom FWF geförderten Projekt mit dem Titel „Einfluss invasiver Ar- desstaaten North Carolina und Tennessee. Als Weltnaturerbe gehört ten auf Räuber-Beute-Beziehungen“ untersucht die Ökologin am er nicht nur zu den ältesten Wäldern der Erde, sondern zeichnet Beispiel der asiatischen Regenwurmart Amynthas agrestis mögliche sich durch Unberührtheit und Artenvielfalt aus. Neben heimischen Konsequenzen dieser Invasion nicht-heimischer Würmer in einem und einigen europäischen Regenwurm-Arten fiel im Nationalpark in Nationalpark im Osten der USA. Während zahlreiche Studien die den letzten Jahren ein stark vermehrtes Vorkommen von Amynthas 12 zukunft forschung 0114 Fotos: Anita Juen (4)
TITELTHEMA men im Nationalpark in sehr großer Anzahl vor und wir wissen, dass sie Regenwürmer grundsätzlich fressen.“ In insgesamt drei mehrmonatigen Forschungsaufenthalten legte die Ökologin zu- nächst Standorte mit Vorkommen des asiatischen Regenwurms und Vergleichsstandorte ohne Vorkommen fest. An diesen Orten untersuchte Juen das Beutespektrum der Räuber anhand des Darm inhalts. Allerdings durften die Tiere entsprechend einer Auflage des Nationalparks dabei nicht zu Schaden kommen. Die Ökologin und ihr Team verwendeten daher nichtinvasive Methoden und bezogen ihre Informationen aus Untersuchungen von Proben in Form von Kot-Pellets oder Regurgitaten (Erbrochenem). „Nach einem Ver- dauungsvorgang bleiben nur sehr wenige erkennbare Beutereste übrig. Die Bestimmung der Nahrungsquelle ist daher nur mithil- fe modernster molekularer Techniken möglich“, erklärt Juen. Die Forscherin erstellte nicht nur für den Regenwurm Amynthas agre- stis, sondern auch für eine Vielzahl anderer potenzieller Beutetiere molekulare Marker. „Diese Marker detektieren innerhalb kürzester Zeit die DNA der Beutetiere in den Proben – unabhängig davon, wie stark das Gefressene bereits verdaut ist.“ Weitere Invasoren Die Analyse der Nahrung von Laufkäfern, Salamandern und Hun- dertfüßern zeigt, dass Amynthas agrestis zwar grundsätzlich gefres- sen wird, aber keine bevorzugte Beute darstellt. „Der Anteil des asiatischen Regenwurms im Beutespektrum bewegt sich zwischen zwei und 15 Prozent“, verdeutlicht Juen. „Die Tiere scheinen von den Neuankömmlingen relativ unbeeindruckt zu sein. Das Gleich- gewicht in den bereits bestehenden Räuber-Beute-Beziehungen wird in unseren Standorten kurzfristig nicht gestört.“ Die Betonung liegt laut Juen aber auf kurzfristig. „In einem Untersuchungszeitraum von drei Jahren können wir nur Teilaspekte dieser komplexen Zu- sammenhänge beleuchten, aber wir müssen davon ausgehen, dass die weitere Ausbreitung der invasiven Regenwürmer auf lange Sicht nicht ohne Konsequenzen für die Nahrungsketten bleibt, da sich Hundertfüßer, Salamander und Laufkäfer (v. o.) sind im Great-Smoky- die Habitate der heimischen Tiere ändern.“ Die Forscherin stellte Mountains-Nationalpark weit verbreitet und ernähren sich auch von im Zuge ihrer Untersuchungen unerwartet fest, dass sich bereits Regenwürmern. zwei weitere asiatische Regenwurm-Arten im Nationalpark eta- blieren konnten. „Hier gäbe es noch viel Forschungsbedarf, denn das Wissen über Nahrungsbeziehungen und die Dynamik in Nah- agrestis auf. „Mein Kooperationspartner vor Ort, Dr. Paul Hendrix rungsnetzen ist nicht nur von ökologischer Bedeutung, sondern hat von der University of Georgia, forschte viele Jahre zum Thema in- auch praktische Relevanz, da es die Grundlage für die Entwicklung vasive Regenwürmer und machte mich auf diese Entwicklung auf- nachhaltiger Regulationsstrategien darstellt“, sagt Juen. mb merksam“, erzählt Juen. Die nicht-heimischen Würmer gelangten im Zuge der internationalen Schifffahrt in die USA, die Ausbreitung im Nationalpark erfolgte vermutlich durch Fischer, die den asiatischen Regenwurm gern als Köder benutzten. „Der Zeitpunkt des Beginns DNA-Analyse dieser Invasion ist schwer rekonstruierbar, da Regenwürmer auf- Molekularbiologische Darminhaltsanalysen ermöglichen grund ihres Lebensraums nicht sofort auffallen.“ genaue Aussagen über das Nahrungsspektrum und dessen Der bis zu 20 Zentimeter lange asiatische Regenwurm, im Eng- Veränderungen, auch wenn die Tiere nicht direkt beim Fressen lischen auch als „crazy snake worm“ bezeichnet, bewegt sich schlan- beobachtet werden können. Die Analyse basiert auf einem genartig fort und kann bei Gefahr springen. Er lebt an der Boden- DNA-Vervielfältigungsmechanismus, der Polymerasen-Ketten- oberfläche unter der Streu und wäre somit potenzielles Futter für reaktion (PCR), die in Kombination mit spezifischen Markern viele Tiere. Gemeinsam mit der Dissertantin Daniela Straube sowie die DNA der jeweiligen Beute zuweisen kann. Diese Marker sieben Diplomandinnen und Diplomanden nahm die Ökologin werden für all jene Arten oder Tiergruppen designt, die im schließlich drei räuberische Tiergruppen in ihre Untersuchungen Beutespektrum vermutet werden, und detektieren bereits kleins- auf: Laufkäfer, Hundertfüßer und Salamander. „Diese Räuber kom- te DNA-Mengen im Darminhalt, im Kot oder in Regurgitaten. zukunft forschung 0114 13
TITELTHEMA an der Wiege der Hochkulturen Innsbrucker Archäologinnen und Archäologen graben seit über 30 Jahren im Nahen Osten. Dabei kooperieren sie eng mit lokalen Universitäten und bringen diese auch untereinander in Kontakt. D Sandra Heinsch und Walter Kuntner: „Das urartäische er vordere Orient – Irak, Iran, Armeni- worten“, erklärt Dr. Walter Kuntner vom Fach- Reich erstreckte sich über en, Georgien, Aserbaidschan, Syrien, bereich Vorderasiatische Archäologie am Institut das Gebiet mehrerer Libanon, Israel und die Türkei – ist für Alte Geschichte und Altorientalistik. Seit 2004 Staaten, zwischen denen es eine der frühesten Wiegen menschlicher Hoch- arbeiten die Innsbrucker nun in Aramus im heu- heute leider viel politisches kulturen. Auch wenn heute vielfach durch po- tigen Armenien. Südlich des heutigen Dorfs Ara- Konfliktpotenzial gibt. Auf litische und teilweise auch religiöse Konflikte mus befindet sich eine antike Festung aus dem internationalen Konferenzen getrennt, verbindet die Gegend eine jahrtau- ersten Jahrtausend vor Christus. Diese Festung zu Urartu kommen aber sendealte gemeinsame Geschichte. Innsbrucker ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil an ihr doch Wissenschaftler dieser Forscherinnen und Forscher tragen seit vielen Wechselbeziehungen zwischen dem urartäischen Länder zusammen und Jahren zur Aufarbeitung dieser Geschichte bei, Reich und der lokalen Bevölkerung nachvollzo- kooperieren.“ seit 1980 gab es etwa Grabungen in der antiken gen werden können. babylonischen Stadt Borsippa (heute Irak). „Als die politische Lage dort zunehmend instabil Urartäisches Reich wurde, mussten wir auf andere Grabungsstätten Urartu war im ersten Jahrtausend vor Christus ausweichen. Allein aufgrund der Sicherheitslage eine Großmacht im heutigen Ostanatolien und in sind Ausgrabungen dort heute nicht zu verant- Teilen Transkaukasiens, geriet danach aber weit- 14 zukunft forschung 0114 Fotos: Andreas Friedle (1),VA Innsbruck (3)
TITELTHEMA gehend in Vergessenheit. Erst im 19. Jahrhundert 1 widmeten sich Forscher, basierend auf antiken Quellen, wieder diesem Königreich, besonders auch an der Universität Innsbruck. „Die Funde in Aramus zeigen, dass Urartu als Kollaborati- onskultur bezeichnet werden könnte: Die loka- len und urartäischen Kulturmerkmale treten ge- meinsam auf, sodass darauf geschlossen werden kann, dass lokale Gruppen die Expansionspolitik Urartus unterstützten“, sagt Ass.-Prof. Sandra Heinsch, die die Ausgrabungen gemeinsam mit Walter Kuntner leitet. Aramus war zwischen dem achten und dem vierten Jahrhundert vor Christus durchgehend besiedelt. „Das Ende des urartäischen Reichs wird in die Mitte des siebten Jahrhunderts vor Christus datiert, doch fehlt in Aramus bislang der Nachweis einer dazugehö- renden Zerstörungsschicht, was wiederum für Kontinuität spricht“, sagt Walter Kuntner. Die urartäischen Kulturmerkmale werden nur lang- Aramus zu graben und so praktische Erfahrung Grabungsarbeit sam aufgegeben. „Diese Funde helfen uns, unser zu sammeln. „Für die Studierenden ist das eine politisches Verständnis des urartäischen Reichs gute Gelegenheit, in die Archäologie zu schnup- 2 aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten pern. Sie lernen so, Funde zu interpretieren und als bisher, wo hauptsächlich die militärische zuzuordnen, außerdem natürlich das Handwerk Organisation im Mittelpunkt steht“, beschreibt des Grabens als solches“, erklärt Sandra Heinsch. Sandra Heinsch. „Auch in anderen urartäischen Dieses Angebot wird regelmäßig auch von Studie- Festungen haben Forscher ähnliche Spuren ge- renden von außerhalb der Universität Innsbruck funden, bisher allerdings nicht in einen breiteren genutzt, zudem steht die gleiche Anzahl an Plät- Kontext gesetzt – dazu wollen wir nun beitra- zen auch stets für Studierende der Partner-Uni- gen“, sagt Walter Kuntner. versitäten im jeweiligen Land zur Verfügung. „Im 3 Ein weiterer Ausgrabungsort, an dem die Inns- Rahmen dieser archäologischen Schule werden brucker Forscherinnen und Forscher tätig sind, ist auch Vertreter der Partneruniversitäten sowie in- seit 2010 Khovle Gora in Georgien. „Khovle Go- ternationale Expertinnen und Experten im Unter- ra ist etwa 180 Kilometer Luftlinie von Aramus richt eingebunden“, sagt die Forscherin. entfernt, zeigt aber erstaunliche Parallelen“, sagt Und nicht zuletzt bieten die Ausgrabungen Sandra Heinsch. Khovle Gora ist ein Schlüssel- auch einen Anlass zu internationaler Vernetzung. fundort für die Periodisierung der Keramiktypo- „Das urartäische Reich war riesig und erstreckte logie der Spätbronze- und Eisenzeit. Die Siedlung sich über das Gebiet mehrerer Staaten, zwischen Khovle Gora wird im achten vorchristlichen Jahr- denen es heute leider viel politisches Konfliktpo- 1: Studierende bei den hundert befestigt und ist bis ins dritten Jahrhun- tenzial gibt. Auf internationalen Konferenzen zu Ausgrabungen in Aramus im dert vor Christus bewohnt. Durch die Parallelen Urartu und unseren Ausgrabungen, die wir in heutigen Armenien zu Aramus hoffen die Forscher, die eisenzeitlichen Innsbruck ausrichten, kommen aber doch Wis- 2: Replik einer altbabylo- Periodisierungsschemata anzugleichen. senschaftler dieser Länder zusammen und koo- nischen (1. Hälfte 2. Jt. v. perieren. Da entstehen interessante Verbindungen Chr.) Keilschrifttontafel mit Kooperation & Verständigung und auch politische Kontakte“, beschreibt Walter mathematischen Lehrsätzen Die Innsbrucker Forscherinnen und Forscher ko- Kuntner. Enge Beziehungen unterhalten die Inns- aus Tell Harmal (Irak) operieren für ihre Ausgrabungen eng mit lokalen brucker Forscher auch in den Iran, wo im öster- 3: Replik einer Bauinschrift Wissenschaftlern. „In Armenien arbeiten wir mit reichischen Kulturforum in Teheran Vorträge und des sumerischen Königs Ur- Experten der Universität Yerevan und der Arme- Ausstellungen zu Urartu und den Ausgrabungen nammu (Ende 3. Jt. v. Chr.). nischen Akademie der Wissenschaften zusammen, stattfinden. Die Innsbrucker Archäologinnen und Diese zwei dreidimensio- in Georgien sind Forscherinnen und Forscher der Archäologen nutzen außerdem die Möglichkeiten, nalen Darstellungen sind Universität Tiflis unsere Partner“, sagt Sandra die die Scientific-Computing-Forschungsplatt- Beispiele für die Kooperation Heinsch. Die Innsbrucker Wissenschaftler nut- form der Universität Innsbruck bietet: „Wir benö- der Archäologen mit dem zen die Ausgrabungen auch für die Lehre: Jedes tigen für die 3D-Darstellung und deren Berech- Forschungsschwerpunkt Jahr haben etwa vierzig Studierende die Gelegen- nung hohe Rechnerkapazitäten. Das kommt uns Scientific Computing der heit, für rund einen Monat in Khovle Gora oder sehr entgegen“, sagt Sandra Heinsch. sh Universität. zukunft forschung 0114 15
TITELTHEMA Andere Länder, anderes Verhalten? Mit verhaltensökonomischen Experimenten untersuchte Björn Vollan, warum in China de- mokratisch gewählte Regeln nicht so gut funktionieren und welchen Einfluss Versicherungen und politische Ämter auf die Solidarität der Menschen auf den Philippinen haben. I n China führen vorgegebene Regeln zu mehr Kooperation als demokratisch gewählte. Zu diesem Ergebnis kam Dr. Björn Vollan, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Finanzwissenschaft, bei sei- nen spieltheoretischen Untersuchungen zu Autoritätsnormen und Kooperation in der Region Peking. „Natürlich kann man die Er- gebnisse der Experimente nicht direkt auf das ganze Land übertragen, sie unterschei- den sich aber klar zu vergleichbaren Expe- rimenten im europäischen und anglo-ame- rikanischen Raum“, erklärt der Volkswirt. Bei seinem Standard-Experiment der Spieltheorie wurde den Teilnehmern ein Anfangskapital zugeteilt, von dem sie ei- ne Summe in einen öffentlichen Topf in- vestieren oder behalten konnten. Dieser wurde dann unter allen – also auch jenen, die nichts investierten – aufgeteilt. Dadurch besteht ein Anreiz, nichts in den Topf zu werfen und darauf zu hoffen, dass es die anderen tun. Durchgeführt wurde dieses Experiment mit zwei Gruppen: 150 Stu- dierende aus dem Raum Peking und 150 Arbeiterinnen und Arbeiter aus einer chi- nesischen Fabrikstadt. „Die Zusammen- setzung der beiden Gruppen war extrem unterschiedlich, innerhalb jeden Samples befanden sich moderne und gebildete Eli- ten aus dem städtischen Raum und weniger gebildete Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter aus ländlichen Regionen“, beschreibt Vollan. Einer Gruppe von Teilnehmern wurde vorgegeben, welchen Teil ihres Kapitals sie investieren müssen, um einer Bestrafung zu entgehen, eine zweite konnte demokra- tisch wählen, ob die Bestrafung eingeführt werden sollte. „Vergleichbare Experimente zeigten in Europa und Nordamerika deut- lich, dass die Teilnehmer mehr für die Grup- 16 zukunft forschung 0114 Fotos: Andreas Friedle (1), Andreas Landmann (1)
TITELTHEMA pe investieren, wenn sie die Bestrafungsre- gel des Spiels demokratisch bestimmen können“, erklärt Vollan. „In China war das Ergebnis allerdings anders: Hier zeigten sich die Teilnehmer wesentlich kooperativer, wenn ihnen die Regel vom Spielleiter vor- gegeben wurde.“ Nachdem beide Gruppen das spieltheoretische Experiment absolviert hatten, wurden sie mittels Fragebogen zu ihren Werten befragt. „In einem Land, in dem die Gruppe mehr zählt als der Einzelne und Hierarchien sehr ausgeprägt sind – das war eine unserer Hypothesen – , interessier- te uns, welche Rolle Autoritätsnormen für Der Innsbrucker Volkswirt Björn Vollan bei Pre-Tests auf den Philippinen. die Wirkung von demokratischen Regeln für die Teilnehmer spielt“, erklärt Vollan. Gesellschaft spielen als im Westen, sollten ressiert waren. Die Versicherungen führten Dabei war das Ergebnis nicht sehr über- die Auswirkungen dieser Versicherungen unter bestimmten Bedingungen allerdings raschend: Die Teilnehmer, die sehr autori- vorab getestet werden. zu einem Verdrängungseffekt: Die Solida- tär denken, kooperierten im Experiment „In unserem Experiment ging es darum rität nahm stärker ab, als die Versicherung mit demokratisch bestimmten Regeln viel abzufragen, wie sich diese Versicherungen geholfen hat“, so Vollan. weniger, als wenn dieselbe Regel vorgege- auf die Solidarität der Menschen unterei- ben wurde. „Was uns überraschte, war das nander auswirken und ob sie dazu führen, Politisches Amt verändert Ergebnis, dass Menschen mit starkem Au- dass die gegenseitige Unterstützung ab- Im zweiten Projekt, das der Wissenschaft- toritätsdenken auch auf Regeln reagierten, nimmt“, beschreibt der Volkswirt. Auch hier ler auf den Philippinen durchgeführt hat, die sie nicht befürworten“, so der Volkswirt. sollte ein spieltheoretisches Experiment Ant- ging es um die Frage, ob die Ausübung ei- Dieses Ergebnis trat in beiden Gruppen zu- worten liefern. Beim Experiment bildeten ner politischen Funktion das Verhalten von tage, auch wenn die Studierenden Autori- jeweils drei befreundete Teilnehmer eine Menschen verändert. „Für unser Experiment tätsnormen weniger Wert beimaßen. wählten wir Dörfer mit knappen Wahler- In einem weiteren asiatischen Land – den gebnissen bei lokalen Wahlen und befragten Philippinen – untersuchte Björn Vollan die „Menschen mit starkem die Kandidaten ein Jahr nach der Wahl“, Auswirkungen verschiedener Faktoren auf Autoritätsdenken reagierten beschreibt Vollan. Bei diesen Wahlen – die die Solidarität der Menschen. Auf den Phi- mit Gemeinderatswahlen vergleichbar sind lippinen ereignen sich häufig Naturkatastro- auch auf Regeln, die sie nicht – erhalten die sieben Kandidaten mit den phen, die die Ernte und damit das gesamte befürworten.“ Björn Vollan meisten Stimmen ein Mandat. Vermögen zerstören können. Die Deutsche „Als Teilnehmer für unser Experiment Gesellschaft für Entwicklungszusammen- wählten wir die Siebt- und Achtplatzierten arbeit plante, den Menschen vor Ort soge- Gruppe. Die Naturkatastrophen wurden aus Dörfern mit sehr knappen Wahlergeb- nannte Mikro-Versicherungen anzubieten, im Experiment durch Würfeln simuliert: Bei nissen. Da diese Kandidaten sich kaum um die Auswirkungen von Naturkatastro- einer Eins, Zwei oder Drei blieb das Start- unterscheiden – beide haben sich für eine phen mit geringen Kosten abzufedern. Da kapital gleich. Würfelten die Teilnehmer politische Position beworben und beide ha- aber Solidarität und die Hilfe untereinander eine Vier oder Fünf, verloren sie einen Teil ben eine ähnliche Akzeptanz in der Bevöl- dort eine wesentlich größere Rolle in der ihres Kapitals. Und wenn sie eine Sechs kerung – eigneten sie sich perfekt dafür, die würfelten, verloren sie fast alles. „Nachdem Auswirkungen des Amtes zu überprüfen.“ jeder Teilnehmer aus der Dreiergruppe ge- Auch wenn eine genaue Datenanalyse noch würfelt hatte, erfuhren sie ihre jeweiligen aussteht, zeigte das Experiment – wieder zur person Ergebnisse und konnten wieder einzeln ein Solidaritätsexperiment – sehr anschau- Dr. Björn Vollan, *1976, studierte Volks- und anonym entscheiden, ob und wenn ja lich, dass sich die Personen, die nun ein po- wirtschaftslehre an der Albert-Ludwigs-Uni- mit welcher Summe sie ihre Freunde unter- litisches Amt innehatten, deutlich sozialer versität Freiburg und promovierte an der stützen“, so der Volkswirt. verhielten als die, die das Amt nur knapp Phillips-Universität Marburg. Seit 2012 In den Vergleichsgruppen führten die For- verfehlten. „Derzeit sind wir gerade dabei ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am scher dann eine Versicherung ein, mit der herauszufinden, woran genau das liegt“, so Institut für Finanzwissenschaft der Uni Inns- sich die Teilnehmer durch einen geringen Vollan. „Mögliche Gründe könnten ein Erler- bruck. Die hier vorgestellten Experimente Einsatz ihres Startkapitals gegen das Wür- nen der Solidarität durch häufigere Interakti- wurden in Forschungsteams und gemein- feln einer Vier, Fünf oder Sechs versichern on und Kooperation oder auch ein durch das sam mit Dr. Andreas Landmann von der konnten. „Das Experiment zeigte, dass die Amt entwickeltes stärkeres Verantwortungs- Universität Mannheim durchgeführt. Menschen sehr an einer Versicherung inte- gefühl sein.“ sr zukunft forschung 0114 17
TITELthema das neue Gesicht der Sklaverei Der Kulturwissenschaftler Gilles Reckinger untersucht, was aus den Flüchtlingen von Lampedusa wird. pflücken auf die Felder bringt. „Die Männer pflücken den ganzen Tag Orangen und verdienen etwa 20 Euro am Tag“, erläutert Re- ckinger. Nach der Arbeit werden die Arbeiter in ein Township, mit Unterkünften für etwa 2000 Menschen aus Karton und Pla- stik, zurückgebracht. „Permanent gerät man an die Grenzen des Erträglichen. Ich habe zum ersten Mal erlebt, wie Menschen hun- gern – das gibt es auch in Europa“, schildert der Wissenschaftler. Das Ziel des Forscherteams ist es, den Menschen in Kalabrien ein Gesicht zu geben, ihre Geschichten zu erzählen und das Problem auch öffentlich anzusprechen, wie man es mit der Website bitter- oranges.com zu tun versucht. Interessen prallen aufeinander Reckinger weist darauf hin, dass es sich bei den Missständen in Kalabrien um ein strukturelles Problem handelt. Die Produktions- bedingungen, vor allem in der Landwirtschaft und der Lebens- mittelerzeugung, seien stark von Ausbeutung gekennzeichnet. Es treffen die Effekte des europäischen Grenzregimes, des Migrati- onsregimes und der Agrarpolitik aufeinander. Diese unterschied- W lichen Ebenen der Politik machen das Arbeiten in diesem beson- ir haben uns gefragt, was mit den Migrantinnen und ders komplexen Feld sehr schwierig. Gilles Reckinger und Diana Migranten, die in Lampedusa ankommen, passiert“, Reiners versuchen intensiv, in einen Dialog mit der Politik und den erklärt Gilles Reckinger, Experte für Interkulturelle Verantwortlichen zu treten, stoßen dabei jedoch auf viel Wider- Kommunikations- und Risikoforschung. Was er in Kalabrien, im stand. Das Forschungsteam arbeitet gemeinsam mit der Fotogra- Süden Italiens, erfährt, kann als „neues Gesicht der Sklaverei“ fin Carole Reckinger an einer Fotoausstellung mit Texten, die ein bezeichnet werden. Der Wissenschaftler findet die Flüchtlinge in breites Publikum für das Leben der Migrantinnen und Migranten Slums und auf Orangenplantagen, wo sie unter unmenschlichen sensibilisieren soll. dp Bedingungen leben und arbeiten. Reckinger erklärt: „Die Men- schen dort sind zwar theoretisch frei, mangels Alternativen sind sie aber an diese Form der Arbeit gebunden. Sie sind eigentlich Gestrandete – sie können nicht vor und nicht zurück.“ zur person Die Flüchtlinge werden nicht sofort abgeschoben, sondern kom- Prof. Gilles Reckinger studierte in Graz Kulturanthropologie, men großteils zuerst nach Italien. Gemeinsam mit seiner Frau, der Europäische Ethnologie und Soziologie. Nach seiner Disserta- Ethnologin Diana Reiners, entschloss sich Gilles Reckinger, die tion in St. Gallen und Forschungsaufenthalten in Genf, Québec Situation vor Ort ethnografisch zu untersuchen. „Wir haben in und Montreal verbrachte er drei Jahre als Lampedusa gelernt, dass vieles völlig anderes ist, als es medial selbstständiger Forscher in Luxemburg, dargestellt wird“, erklärt der Wissenschaftler die Anfänge seiner bevor er wieder nach Österreich zurück- Forschung in Kalabrien. Auf den Orangenplantagen in der Ebene kehrte. An der Universität Innsbruck ist er von Gioia Tauro arbeiten viele Flüchtlinge als saisonale Erntehel- am Institut für Geschichtswissenschaften fer. Am täglichen Arbeitsstrich versuchen sie, einen der Plätze in und Europäische Ethnologie auf einer einem Lieferwagen zu ergattern, der die Arbeiter zum Orangen- Stiftungsprofessur der Stiftung Südtiroler Sparkasse für interkulturelle Kommunika- Ein Videointerview mit Gilles Reckinger finden Sie auf: www.uibk.ac.at/forschung/magazin/12/ tions- und Risikoforschung tätig. 18 zukunft forschung 0114 Fotos: Privat (1), Carole Reckinger (1), iStock (1)
TITELthema INTERNATIONAL VERNETZT Die Universität Innsbruck zählt zu den zehn Universitäten weltweit mit der stärksten internationalen Ausrichtung. I nnsbruck liegt an einer der wichtigen Nord-Süd-Achsen Eu- Australian National University auf dem hervorragenden siebten ropas und war schon in der Geschichte ein bedeutender Kreu- Platz. Angeführt wird die Rangliste von den Schweizer ETHs in zungspunkt für Reisende und damit Treffpunkt von Kulturen. Lausanne und Zürich sowie der Universität Genf. Es folgen die So war auch die Universität Innsbruck traditionell schon Anzie- National University of Singapore, das Royal Holloway College hungspunkt für viele Studierende und Forschende aus den Nach- der University of London und das Imperial College London. Als barländern. Für Südtirol, Liechtenstein und Luxemburg nimmt zweitbeste österreichische Universität liegt die Universität Wien die Alma Mater aufgrund von Bildungsabkommen noch heute auf Rang 14. eine besondere Stellung ein. Die Universität hat sich in den ver- gangenen Jahrzehnten darüber hinaus stark internationalisiert. International outlook Die knapp 28.000 Studierenden kommen aus über 100 Ländern. Unter dem Titel „International Outlook“ versammelt Times Higher Neben den traditionell starken Gruppen aus Deutschland, Italien, Education drei Indikatoren für die internationale Ausrichtung ei- Liechtenstein und Luxemburg sind auch Studierende aus fast allen ner Universität: die internationale Vielfalt unter den Studierenden, anderen europäischen Staaten stark vertreten. Auch aus den USA, den Anteil der ausländischen Lehrenden und Forschenden sowie dem Nahen Osten und China kommen immer mehr Studierende die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen, die gemeinsam mit nach Innsbruck. Co-Autoren an ausländischen Forschungseinrichtungen veröffent- Das gleiche Bild spiegelt sich bei den Mitarbeiterinnen und licht wurden. Im letztgenannten Indikator hat sich die Universität Mitarbeitern wider. Auch von ihnen kommt ein großer Teil aus Innsbruck in den vergangenen Jahr stetig verbessert. Von den im Österreich, Deutschland und Italien. Besonders unter den Wissen- Web of Science erfassten wissenschaftlichen Arbeiten werden in- schaftlerinnen und Wissenschaftlern finden sich aber auch viele zwischen knapp drei Viertel gemeinsam mit internationalen Co- aus Nord- und Südamerika, Asien und Afrika. Im Times Higher Autorinnen und Co-Autoren veröffentlicht. Vor zehn Jahren lag Education World University Ranking hievt dies die Universität In- dieser Wert noch unter 50 Prozent. Dies unterstreicht einmal mehr nsbruck im Teilranking „International Outlook“ auf eine Top-Ten- die ausgezeichnete internationale Vernetzung der Innsbrucker Wis- Platzierung. Die Tiroler Hochschule liegt dort gemeinsam mit der senschaftlerinnen und Wissenschaftler. cf zukunft forschung 0114 19
FORSCHEN AN DEN POLEN „Forschen in Polargebieten ist ein Privileg, ein großes Abenteuer in einer schier unerschöpflichen Forschungslandschaft“, sagt Birgit Sattler. Sie untersucht dort Kleinstlebewesen, die im Eis überleben und auch auf veränderliche klimatische Prozesse reagieren können. „In den ausgesetzten Gebieten der Arktis und der Antarktis erhalten wir klarere Signale als im Alpenraum“, sagt die Biologin. „Die Alpen sind durch die harten Lebens- bedingungen teilweise vergleichbar, die Ergebnisse hier jedoch durch den unmittelbaren Einfluss des Menschen schwerer zu interpretieren.“ In dieser scheinbaren Lebensfeindlichkeit mit tiefen Temperaturen, Nährstoffknappheit und kaum flüssigem Wasser finden die Forscher Leben, das den Menschen an Anpassungsstrategien übertreffen kann. „Die Kälteschutzanpassungen der hauptsächlich mikrobiellen Lebensgemeinschaften sind zum Teil bereits gut erforscht und finden auch Einzug in der Biotechnologie“, sagt Sattler. Das monatelange Leben im Zelt verlangt den Forscherinnen und Forschern neben der Arbeit in Eis und Schnee auch im Alltag manches an Be- scheidenheit ab. Neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen werden andere Fähigkeiten trainiert, wie etwa der soziale Umgang unter extremen Bedingungen, Improvisationsbereitschaft sowie Flexibilität. Denn unberechenbare Wetterbedingungen bestimmen den Tages- und Projektablauf. „Die Eindrücke sind allerdings unvergleichbar und es bleibt eine Ehrfurcht vor diesen sensiblen Ökosystemen“, zeigt sich Birgit Sattler begeistert. Die polare Forschung an der Uni Innsbruck ist auf Einladungen und internationale Kooperationen angewiesen, da Österreich keine eigene Sta- tion betreibt. Jedoch existiert seit 2013 das „Austrian Polar Research Institute“ (www.polarresearch.at). 20 zukunft forschung 0110
im zoom Forscher der TAWANI Antarctic Expedition entnehmen einen Sedi- mentkern aus dem Untersee, welcher in den 1930er Jahren von einer deutschen Forschungsgruppe ent- deckt und benannt wurde. Aus den Sedimenten lassen sich Rückschlüsse über das Klima in der Vergangen- heit ziehen. Dieselben Wissenschaft- ler unternahmen auch Tauchgänge zur Entnahme von Stromatolithen. Die Gletscherschmelze ist auch in der Arktis zu spüren – seit über 100 Jahren kalben kleinere Gletscher nicht mehr in die Fjorde von Spitzbergen. Stattdessen bilden sich ausgeprägte Gletschervorfelder aus, die langsam mit Fauna und Flora besiedelt werden. Ein ehemaliges Kohlenminendorf bietet eine per- fekte Plattform für die internationale Forschung. Die Fortbewegungsmittel in der Antarktis sind gewöhnungsbedürftig: Auf Schneemobilen mit angehängten Schlitten für das Gepäck werden in der Eiswüste weite Distanzen zurück- gelegt – vorausgesetzt, die Fläche ist frei von Gletscherspalten. Das Fotos: Birgit Sattler Eis fühlt sich durch die permanenten Scherkräfte des Windes wie kleine gefrorene Wellen an. zukunft forschung 0114 21
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