A - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie - Das ...

 
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Die Krebsratgeber            S pezia
                                       l

Tumor ist nicht gleich Tumor
Orientierungshilfe zur
individuellen Brustkrebstherapie
A - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie - Das ...
Dieses Heft ist allen Frauen gewidmet, deren Leben durch
eine Brustkrebserkrankung auf den Kopf gestellt wurde.
Ein besonderer Dank gilt den Betroffenen, die durch
eine Studienteilnahme den wissenschaft­lichen Fortschritt
unterstützen, sowie den Wissenschaftlern, deren
Ziel die Erforschung neuer Brustkrebstherapien ist.

April 2020
A - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie - Das ...
Editorial

            Liebe Leserin, lieber Leser!

             Bereits zum vierten Mal haben wir nun unseren Ratgeber
            „Tumor ­­ist nicht gleich Tumor – Orientierungshilfe zur individuellen
             Brustkrebstherapie“ aktualisiert. Bei der Überarbeitung wurde
             uns bewusst, dass sich die Brustkrebstherapie seit Erscheinen der
             ersten Ausgabe im Jahr 2011 enorm weiterentwickelt hat. Ein gro-
             ßer Dank gilt an dieser Stelle all den Wissenschaftlerinnen und
             Wissenschaftlern, die dem Brustkrebs den Kampf angesagt haben
             und mit unermüdlichem Eifer versuchen, wirkungsvolle Mittel
             gegen diese Krankheit zu finden.

            So konnte in den letzten Jahrzehnten zwar nicht die Erkrankungs-
            häufigkeit verringert werden, die Heilungschancen wurden aber
            verbessert. In den Fokus der Wissenschaft ist neben der Heilung
            auch zunehmend die Lebensqualität von Krebskranken gerückt,
            was eine sehr positive Entwicklung ist. Vor allem in der metasta-
            sierten Situation, wenn die Krankheit nicht mehr heilbar ist, spielt
            das eine große Rolle. Heutzutage werden nicht mehr alle Krebs-
            patienten ungeachtet der Ansprechrate und der Nebenwirkungen
            gleich behandelt, wir sprechen vielmehr von einer „risikoadaptier-
            ten“ Behandlung – so wenig wie möglich, so viel wie nötig.

            Die neuesten Entwicklungen der zielgerichteten, personalisierten
            Brustkrebstherapie werden in diesem Ratgeber vorgestellt. Dabei
            wird klar, dass es auf der einen Seite große Fortschritte gibt, auf
            der anderen Seite aber immer noch Tumorarten, die schwer be-
            handelbar sind. Die medizinische Weiterentwicklung ist also
            nach wie vor gefragt und mit ihr ein Gesundheitssystem, das be-
            reit ist, in Forschung und Wissenschaft zu investieren. Und eine
            Politik, die die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass Innovati-
Editorial

            onen auch schnell im klinischen Alltag ankommen.

            Ein weiterer Punkt kann nicht oft genug betont werden:
            ­Früherkennung rettet Leben – sagen Sie es weiter!

            Herzliche Grüße

            Ihre Eva Schumacher-Wulf

                                                                               03
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Vorwort

                              Liebe Leserin, lieber Leser,                                         Liebe Leserin, lieber Leser,

                              mit jährlich rund 70.000 Neuerkrankten in Deutschland ist            die Diagnose Brustkrebs ist grausam. Aber ist nicht jede schwere
                              Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung von Frauen. Obwohl          Erkrankung ein furchtbarer Schicksalsschlag? Entscheidend sind
                              sie nach wie vor nicht zu 100 Prozent heilbar ist, werden die The-   doch die Aussichten für Heilung und Lebenserwartung und die
                              rapieoptionen beim Mammakarzinom immer vielfältiger und              Belastung durch die Therapie und ihre Folgen. Und da gibt es gute
                              vor allem erfolgreicher. Moderne Behandlungsmethoden ­führen         Nachrichten. Um ein Prozent pro Jahr sind in den letzten beiden
                              mittlerweile zu sehr guten Überlebenschancen und bieten oft          Jahrzehnten die Heilungschancen gestiegen. Mittlerweile werden
                              selbst bei metastasierten Situationen die Überführung in einen       acht von zehn erkrankten Frauen geheilt. Verantwortlich dafür ist
                              chronischen Zustand mit guter Lebensqualität. Dies ist unter an-     auch die bessere Organisation der Therapie durch die zertifizierten
                              derem dem interdisziplinären und ganzheitlichen Erfahrungsaus-       Brustzentren. Vor allem beruhen diese Erfolge auf der sogenann-
                              tausch geschuldet, dem sich zahlreiche Wissenschaftskolleginnen      ten translationalen Forschung. Damit ist gemeint, dass die For-
                              und -kollegen mit viel Herzblut zum Wohle ihrer Patientinnen         scher immer tiefer in die Geheimisse der Tumorzellen eindringen
                              und Patienten widmen. Der allergrößte Respekt gilt aber vor ­allem   und dieses Wissen in Behandlungskonzepte umgesetzt wird.
                              den Patientinnen, die an den zahlreichen Studien – etwa zur brust-   Das Ausmaß der Operation und deren Folgen, d.h. die Einschrän-
                              erhaltenden Therapie – teilgenommen haben und ­weiterhin teil-       kungen für Funktion und Körperbild, werden immer geringer. In-
                              nehmen und so den wissenschaftlichen Fortschritt entscheidend        dem wir immer mehr über die unterschiedlichen Brustkrebsarten
                              mit beeinflussen.                                                    lernen, erkennen wir heute zudem bei vielen Tumoren die Achil-
                                 Derzeit erleben wir einen Paradigmenwechsel: Nämlich von          lesferse. Dadurch können die Ärzte gezielt in den Stoffwechsel der
                              „Cure“ zu „Care“ – vom Heilen zum Kümmern –, und diesen müssen       Krebszelle eingreifen und sie töten oder bremsen, ohne dabei das
                              wir weiter fördern. Denn es ist nicht mehr nur das Ziel des reinen   gesunde Gewebe stark zu beeinträchtigen. Sogar das körpereigene
                              Überlebens, sondern vielmehr auch das stetige Verbessern der         Immunsystem kann man heutzutage gezielt aktivieren und gegen
                              Lebensqualität der Betroffenen, das noch mehr in den Fokus rücken    manche Brustkrebsarten einsetzen. Die Ärzte nennen das Ergebnis
                              muss. Das Stichwort hierbei lautet: Patientinnenrelevanz! Denn       dann eine individualisierte Therapie, zugeschnitten einerseits auf
                              Tumor ist nicht gleich Tumor und Patientin ist nicht gleich Pati-    die Bedürfnisse und die Ausgangslage der einzelnen Patientin, an-
                              entin. Wir Ärztinnen und Ärzte sind dazu angehalten, die indivi-     dererseits aber auch auf die Eigenschaften und Schwachstellen
                              duellen Situationen unserer Patientinnen genau zu berücksichti-      ihres Tumors, denn Tumor ist nicht gleich Tumor.
                              gen und auch in Zusammenarbeit mit ihnen die jeweils optimalen           Noch wissen wir nicht alles. Aber wir erfahren immer mehr
                              Verfahren, die beste Behandlungsstrategie und den individuellen      in immer höherem Tempo – und das gibt den betroffenen Men-
                              Versorgungsweg zu entwickeln.                                        schen Hoffnung.
                                 Aber „Care“ bedeutet auch, dass wir uns um die schnelle Imple-        Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist
                              mentierung von Innovationen kümmern und ebenso darum, dass           maßgeblich an diesen Fortschritten bei Diagnostik, Therapie und
 Vorwort

                              dafür die richtigen gesellschaftlichen Voraussetzungen bestehen.     Nachsorge der Patientin mit Mammakarzinom beteiligt. Durch
                              Neben dem wissenschaftlichen Fortschritt an sich versteht die        Qualitätssicherung, Verbesserung von Strukturen, Forschung, Ent-
                              Deutsche Gesellschaft für Senologie e. V. (DGS) das als eine ihrer   wicklung von Leitlinien sowie Fort- und Weiterbildung. Die Sorge
                              Hauptaufgaben.                                                       um die Gesundheit der Frau ist unsere Daseinsberechtigung.

                              Herzliche Grüße sendet Ihre                                          Herzliche Grüße,

                              Prof. Dr. Sara Yvonne Brucker                                        Prof. Dr. Anton Scharl
                              Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Senologie e. V.           Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V.

04   www.mammamia-online.de                                                                                                                                                           05
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Inhalt

                              03			Editorial
                              04			Vorwort

                              1		 Tumorbiologie                                             4		 Metastasierte ­Situation                               8		Medizinische ­Studien
                              08		 Den Tumor besser verstehen                               35		Metastasierter Brustkrebs                             58		Medizinische Studien
                              			Den Tumor besser verstehen                                      Aktuelle Behandlungs­empfehlungen                     			Medizinische Forschung für die Zukunft
                              			 Prof. Dr. Andreas Schneeweiss,                            			 Prof. Dr. Peter Dall,                                  			Sabine Seiler,
                              			 NCT Heidelberg                                            			 Frauenklinik, Klinikum Lüneburg                        			 GBG Forschungs GmbH, Neu-Isenburg

                              14		Pathologie
                                   Die Rolle des Pathologen bei der                         5		Triple-negativer ­Brustkrebs                           9		Austausch mit ­Betroffenen
                                   Therapieentscheidung
                              			 Prof. Dr. Hans Heinrich Kreipe,                           38		Das triple-negative ­Mammakarzinom                    66		Selbsthilfe, Internetforen, soziale Netz-
                              			Medizinische Hochschule Hannover                                Eigenschaften und Therapiemöglichkeiten                    werke & Co. Der Austausch
                              19		Translationale ­Forschung                                			 Prof. Dr. Cornelia Kolberg-Liedtke,                         mit anderen Betroffenen
                                   Von der präklinischen Forschung zur                      			Charité – Universitätsmedizin Berlin                    			Eva Schumacher-Wulf
                                   klinischen Anwendung
                              			 Prof. Dr. Nadia Harbeck,                                  6		 Familiärer ­Brustkrebs                                 10	Anhang
                              			Brustzentrum der Universität München

                                                                                            42		Genetischer Brustkrebs                                68		   Autorenverzeichnis
                              2		 Zielgerichtete ­Therapien                                      Diagnose, Behandlung und Prophylaxe                   72		   Wichtige Adressen
                                                                                            			 Prof. Dr. Rita Schmutzler, Universitätsklinikum Köln   76		   Glossar
                              22		Brustkrebs                                               			PD Dr. Kerstin Rhiem, Universitätsklinikum Köln
                                                                                                                                                       82     Tumorklassifikationen
                                   Eine Krankheit mit vielen Gesichtern                                                                                84		   Impressum
                              			 PD Dr. Beyhan Ataseven,                                   7		Brustkrebs bei der
                              			Klinik für Gynäkologie & Gynäkologische Onkologie, Essen

                              26		Das Gießkannenprinzip ist out
                                                                                                ­jungen Frau
                                   Die Entwicklung zielgerichteter Therapien                50		Brustkrebs bei der jungen Frau
                              			 Prof. Dr. Volkmar Müller,                                      Besonderheiten und Therapie­optionen
                              			Klinik und Poliklinik für Gynäkologie, Hamburg             			 PD Dr. Marc Thill,
                                                                                            			Agaplesion Markus Krankenhaus, Frankfurt am Main
 Inhalt

                              3		 Primäre Situation                                         55		Reproduktionsmedizin
                                                                                                 Chancen für den Kinderwunsch
                              32		Diagnose Brustkrebs                                           nach Krebs
                                   Wegweiser bei der Ersterkrankung                            Prof. Dr. Michael von Wolff,
                              			 Prof. Dr. Wolfgang Janni,                                 			Inselspital Bern, Frauenklinik Bern
                              			Universitätsklinikum Ulm

06   www.mammamia-online.de                                                                                                                                                                             07
A - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie - Das ...
1 – Tumorbiologie

                              Den Tumor                                                            Prof. Schneeweiss: Ziel der Wissenschaft ist es,
                                                                                                   sowohl die unterschiedlichen Tumoren als auch
                                                                                                                                                         vate Unternehmen. Öffentliche und private Ein-
                                                                                                                                                         richtungen arbeiten häufig in größeren Netzwer-

                              besser verstehen
                                                                                                   die Eigenschaften von gesunden Zellen und Orga-       ken zusammen. Die Richtungen, in welche die
                                                                                                   nen verschiedener Patientinnen genauer zu cha-        Grundlagenforscher zielen, ergeben sich aus den
                                                                                                   rakterisieren und ihr Verhalten besser zu verste-     Problemen, die klinisch tätige Ärzte bei der all-
     Tumorbiologie
                                                                                                   hen. Dies ist die entscheidende Voraussetzung         täglichen Behandlung von Krebspatienten haben.
                              Die Voraussetzungen für eine                                         für eine individualisierte oder personalisierte Be-
                                                                                                   handlung. So untersuchen wir die molekularen          Mamma Mia!: Wie geht es weiter, wenn es neue
                              personalisierte Therapie                                             Muster der Zellen auf verschiedenen Ebenen. Wir       Erkenntnisse in der Grundlagenforschung gibt?
                                                                                                   befassen uns mit dem Erbgut der Zellen (Genom),
                                                                                                   den umkehrbaren Veränderungen am Erbgut               Prof. Schneeweiss: Neue Hypothesen und An-
                              Zielgerichtete Krebstherapien stehen im Fokus der Wissen-            (Epigenom), Veränderungen an den Boten-Mole­          sätze werden zunächst an Tumorzelllinien und
                              schaft. Das Ziel: Patienten sollen so individuell wie möglich        külen für die Produktion von Proteinen (Tran-         Tieren mit spontanen oder induzierten Krebser-
                              behandelt und das „Gießkannenprinzip“ – alle bekommen                skriptom), den Proteinen selbst (Proteom) und         krankungen überprüft. Erhärten sich die Hypo-
                              das Gleiche – vermieden werden. Um eine zielgerichtete und           den Stoffwechselprodukten (Metabolom). Die Ei-        thesen, werden klinische Studien mit betroffe-
                              gut verträgliche Therapie entwickeln zu können, müssen               genschaften der Zellen spiegeln sich in den Mus-      nen Krebspatienten gestartet. Bestätigen auch
                              die Forscher den Tumor und im Idealfall auch den gesunden            tern dieser Moleküle, den sogenannten Signatu-        diese Studien einen eindeutigen Nutzen beim
                              Körper zunächst kennen und verstehen. Dafür werden                   ren, wider. Diese Signaturen können uns bessere       krebskranken Menschen, ist eine neue Thera-
                              Zellen auf molekularer Ebene genau untersucht. So lässt sich         Auskünfte über die Aggressivität des Tumors und       piemöglichkeit geboren. Die enge Zusammenar-
                              deren Beschaffenheit, Besonderheiten, Lebenszyklus sowie             das Ansprechen auf verschiedene Therapien ge-         beit zwischen Grundlagenforschern und klinisch

1
                              Interaktion mit anderen Zellen kennenlernen. Wissenschaft-           ben als die herkömmlichen Faktoren. Auch das          tätigen Ärzten ist eine Grundvoraussetzung für
                              ler haben in den vergangenen Jahren weitreichende Erkennt-           Verhalten der normalen Zellen der erkrankten Pa-      den raschen Transfer neuer Erkenntnisse aus der
                              nisse über die Tumorbiologie erforscht, viele Fragen sind            tientin könnte besser vorhergesagt werden. Am         Grundlagenforschung in den Behandlungsall-
                              aber auch noch offen.                                                weitesten erforscht sind bei Brustkrebs die Mus-      tag. Damit ist diese Zusammenarbeit der Schlüs-
                                                                                                   ter der Boten-Moleküle der Brustkrebszelle, die       sel zur Verwirklichung unseres Traums einer per-
                                                                                                   sogenannten Gen-Expressions-Signaturen.               sonalisierten Therapie, das heißt der individuell
                                                                                                                                                         auf jeden Patienten und seine Krebserkrankung
                                                  Mamma Mia! sprach mit dem Onkologen              Mamma Mia!: Welche Forschungseinrichtungen            zugeschnittenen Behandlung. Aus diesem Grund
                                                  Professor Dr. Andreas Schneeweiss, Sektions-     sind an der Aufschlüsselung der Tumorzellen be-       wurden in Deutschland Krebszentren wie das
                                                  leiter Gynäkologische Onkologie im Nationalen    teiligt und wer trägt die Kosten der Grundlagen-      Nationale Centrum für Tumorerkrankungen
                                                  Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) des          forschung?                                            (NCT) Heidelberg nach dem Vorbild der amerika-
                                                  Universitätsklinikums (UKHD) und Deutschen                                                             nischen Comprehensive Cancer Center geschaf-
                              Prof. Dr. Andreas   Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg,    Prof. Schneeweiss: Zunächst müssen Grund-             fen. Hier arbeiten Grundlagenforscher und kli-
                                Schneeweiss
                                Sektionsleiter    über den aktuellen Stand der Wissenschaft.       lagenforscher in öffentlich geförderten Institu-      nisch tätige Ärzte unter einem Dach zusammen.
                               Gynäkologische                                                      ten wie beispielsweise im Deutschen Krebsfor-
                                 Onkologie
                                                  Mamma Mia!: Die Wissenschaft legt seit einigen   schungszentrum Heidelberg (DKFZ) oder anderen         Mamma Mia!: Inwiefern beeinflusst die Tumor-
                                                  Jahren einen Forschungsschwerpunkt auf die       nationalen und internationalen Forschungsein-         biologie heutzutage die Therapieentscheidung?
                                                  individualisierte Krebsbehandlung. Fachleute     richtungen oder in Einrichtungen der forschen-
                                                  sprechen von einer zielgerichteten oder besser   den pharmazeutischen Industrie neue Hypothe-          Prof. Schneeweiss: Derzeit gibt es in der tägli-
                                                  personalisierten Therapie. Welche konkreten      sen aufstellen und Ansatzpunkte definieren. Die       chen Praxis im Wesentlichen zwei Ansatzpunkte
                                                  Erkenntnisse liegen heute vor?                   Kosten tragen also die öffentliche Hand und pri-      für eine zielgerichtete Therapie. Zum einen wird

08   www.mammamia-online.de                                                                                                                                                                             09
A - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie - Das ...
1 – Tumorbiologie

das Zellwachstum durch eine Rezeptorblockade,      Verlauf der Erkrankung vorhersagen (prädikati-      einzulegen. Es sollte für diesen Test jedoch ma-
beim Brustkrebs zum Beispiel des Hormon- oder      ve Bedeutung). So haben beispielsweise die Ar-      ximal zehn Minuten nach der Entnahme gefro-
HER2-Rezeptors, oder durch eine Störung von        beiten mit bestimmten Faktoren, die zum Abbau       ren sein. Dabei sollte es sich genau genommen
​Signalübertragungen innerhalb der Zelle ge-       des umgebenden Gewebes beitragen, sehr viel-        um das Gewebe aus der Operation handeln. Wir
 hemmt. Zum anderen wird bei der sogenannten       versprechende Ergebnisse gebracht. Gemeint ist      wissen noch nicht abschließend, ob bei Stanz-
 Angiogenesehemmung versucht, die Tumorge-         hier die Protease uPA und der Inhibitor PAI-1. Im   gewebe ­gleiche Ergebnisse erzielt werden kön-
 fäße am Wachstum zu hindern. Der Entwicklung      Jahr 2007 wurde die Bestimmung des uPA- und         nen. Die Studien befassten sich ausschließlich
 dieser Therapieformen ging eine intensive For-    PAI-1-Gehalts im Primärtumor einer Patientin so-    mit dem herausoperierten Gewebe. Für Kran-
 schung an Tumorzellen voraus. In der Zukunft      gar in die Empfehlungen der American Society of     kenhäuser gibt es ein fertiges Kit, das diese Vor-
 werden wir versuchen, die natürliche Wachs-       Clinical Oncology (ASCO) aufgenommen. Danach        gehensweise ermöglicht. Patientinnen sollten
 tumshemmung von Tumorzellen wiederherzu-          wird empfohlen, den uPA/PAI-1-Test für die Prog-    in jedem Fall vor der Operation fragen, welche
 stellen und Stoffwechselvorgänge, die für die     noseabschätzung von neu an Brustkrebs erkrank-      Möglichkeiten das Krankenhaus bietet.
 Invasion, Streuung und Erbgutkontrolle verant-    ten Frauen ohne Lymphknotenbefall und mit hor-
 wortlich sind, zu beeinflussen.                   monabhängigen, kleinen Tumoren einzusetzen,         Mamma Mia!: Seit Sommer 2019 wird der ers-
                                                   um die angemessene Therapie auszuwählen. Eine       te Genexpressionstest (Onkotype Dx®) zur bes-
Ein weiterer, extrem interessanter Ansatzpunkt     hohe uPA- oder PAI-1-Aktivität spricht für einen    seren Risikoabschätzung und Hilfestellung
ist die Wiederherstellung der Immunüberwa-         aggressiveren Tumor. So würde man in diesem         bei der Frage „Chemo – ja oder nein“ von den
chung des Tumors, die bei der Tumorentstehung      Fall eher eine Chemotherapie verordnen als bei      Krankenkassen erstattet. Können Sie uns mehr
verloren ging. Im klinischen Alltag schon ange-    Patientinnen mit einem niedrigen uPA- und PAI-      über diesen Test sagen?
kommen ist die Aufhebung der durch den Tumor       1-Wert. Die Bestimmung von uPA und PAI-1 wird
ausgelösten Blockade einer spontanen Immun-        aber zunehmend durch sogenannte Genexpres-          Prof. Schneeweiss: Bei diesem Test wird der so-
antwort durch sogenannte Checkpoint-Inhibito-      sionstests abgelöst.                                genannte Recurrence Score aus dem Tumorge-
ren. Die vielversprechenden Ergebnisse bei Tumo-                                                       webe bestimmt. Dazu wird die Aktivität von 21
ren mit einer starken spontanen Immunantwort       Mamma Mia!: Werden diese Werte heute schon          Genen im Tumor gemessen. In der „TAILORx“-
haben zur Zulassung dieser sogenannten Immun-      standardmäßig ermittelt?                            Studie konnte gezeigt werden, dass Patientinnen      sen. Wichen die beiden Prognoseabschätzun-
therapie beim fortgeschrittenen schwarzen Haut-                                                        mit einem Hormonrezeptor-positiven Brust-            gen voneinander ab, wurde entweder anhand
krebs und bei Lungenkrebs geführt. Im August       Prof. Schneeweiss: Teilweise ja, es gibt Stan-      krebs ohne befallene Lymphknoten und einem           der herkömmlichen Faktoren oder anhand der
2019 erfolgte die erste Zulassung eines solchen    dardfaktoren, die bei Brustkrebs immer be-          niederen Recurrence Score nicht von einer Che-       Amsterdam-Signatur behandelt. Die Patien-
Checkpoint-Inhibitors zur Behandlung von me-       stimmt werden. So wird beispielsweise immer         motherapie profitieren.                              ten, die nach klassischen Kriterien eine Indika-
tastasiertem, triple-negativem Brustkrebs durch    untersucht, ob Hormon- und HER2-Rezeptoren                                                               tion zur Chemotherapie hatten, nach der Ams-
die europäische Zulassungsbehörde EMA. Es han-     vorhanden sind. Schwieriger wird es mit Fak-        Mamma Mia!: Es gibt eine Reihe weiterer              terdam-Signatur aber nicht, profitierten nicht
delt sich um den PD-L1-Inhibitor Atezolizumab,     toren, die am Frischgewebe untersucht werden        molekularer Tests. Können Sie uns auch hierzu        von der adjuvanten Chemotherapie. Von ande-
der in Kombination mit der Chemotherapie nab-      müssen. Dazu zählen zum Beispiel die uPA- und       mehr sagen?                                          ren Tests, wie beispielsweise Endopredict® oder
Paclitaxel eingesetzt wird. Voraussetzung ist,     PAI-1-Werte. Diese Untersuchung scheitert häu-                                                           dem Prosigna® ROR Score, fehlen bisher Ergeb-
dass in den Tumoren PD-L1-positive Immunzel-       fig an organisatorischen und logistischen Hür-      Prof. Schneeweiss: Es gibt beispielsweise noch       nisse aus prospektiv randomisierten Verglei-
len nachgewiesen werden können. Es ist die Auf-    den. Die Bestimmung von uPA und PAI-1 muss          den MammaPrint® Test, der die sogenann­­­te­­        chen mit den klassischen Prognosefaktoren. Es
gabe der Pathologen, das herauszufinden. Die Tu-   an frischem, in Stickstoff oder Trockeneis gela-    Amsterdam-Signatur benutzt. Bei der Phase-           wird aber erwartet, dass diese Signaturen ge-
morbiologie kann die Therapieentscheidung aber     gertem Tumorgewebe erfolgen. Nicht alle Klini-      III-Studie MINDACT wurde vor der Behandlung          nauso eine verbesserte Prognoseabschätzung
auch indirekt beeinflussen. Denn sie kann sowohl   ken haben die Möglichkeit, das Gewebe entspre-      die Amsterdam-Signatur (70 Gene) aus dem             erlauben. Die AGO Kommission Mamma emp-
die mögliche Wirkung der Therapie (prognosti-      chend zu konservieren. Bisher sind die Institute    Tumorgewebe bestimmt. Zusätzlich wurden              fiehlt alle vier Tests mit demselben AGO Emp-
sche Bedeutung) als auch den möglichen weiteren    darauf eingerichtet, Gewebeproben in Paraffin       alle herkömmlichen Prognosefaktoren gemes-           fehlungsgrad.

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A - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie - Das ...
1 – Tumorbiologie

Mamma Mia!: Sie sagten, dass bestimmte              Krebsbehandlung zugunsten einer stärker indivi-      •   Die Therapie anhand genetischer Verände-          kürzester Zeit bei jeder Patientin und ihrer Krebs-
Eigenschaften des Tumors nur an Frischge­webe       dualisierten, zielgerichteten Therapie verlassen.          rungen anstelle morphologischer Kriterien:      erkrankung individuell erhoben werden. Es ist
untersucht werden können. Wäre es empfeh-           Vielversprechende Ansätze (neben anderen) sind:            Bei Patientinnen mit metastasiertem Brust-      jetzt schon möglich, innerhalb weniger Tage das
lenswert, dass Brustkrebspatientinnen nach          • Die Behandlung molekular definierter Sub-                krebs und einer Keimbahn-BRCA-Mutation          gesamte Erbmaterial einer individuellen Krebser-
der Operation einen Teil des Tumors einfrieren          gruppen mit gezielten Kombinationsthera-               ist zum Beispiel schon die Therapie mit PARP-   krankung zu entschlüsseln. Daraus werden sich
lassen?                                                 pien: Dazu zählt zum Beispiel die Therapie             Hemmern (PARP = Poly-(ADP-Ribose)-Poly-         viele neue Ansatzpunkte für eine personalisierte
                                                        bestimmter HER2-positiver Brustkrebsfor-               merase) zugelassen. Dies ist ein Ansatz, den    Therapie ergeben. Vor uns liegt ein aufregender,
Prof. Schneeweiss: Tumorgewebe einfrieren zu            men mit Trastuzumab und einer weiteren ge-             wir in Heidelberg in unserem CATCH Pro-         aber auch mühsamer und langwieriger Weg mit
lassen, ist immer eine gute Idee, um in der Zu-         gen HER2 gerichteten Therapie wie Pertuzu-             gramm weiter intensiv erforschen. Wir unter-    hohen wissenschaftlichen, strukturellen und fi-
kunft jederzeit die Möglichkeit zu haben, weitere       mab, Trastuzumab Emtansine oder Lapatinib.             suchen, ob sich Tumoren besser nach ihren       nanziellen Hürden. Diese Hürden müssen wir ge-
Faktoren des Tumors zu bestimmen, falls dies            Alle diese Substanzen sind schon für die Be-           genetischen Eigenschaften und nicht nach        meinsam überwinden. Wir sind es den Betroffe-
relevant würde. Es gibt einige Kliniken, die über       handlung des HER2-positiven Brustkrebses               dem Entstehungsort behandeln lassen. So         nen und ihren Familien schuldig. •
die Möglichkeit verfügen, Frischgewebe tiefge-          zugelassen. Eine genauere Definition, wel-             kann es vorkommen, dass beispielsweise eine
kühlt zu verwahren. Es handelt sich hier haupt-         cher Brustkrebs auf welche Kombination be-             Brustkrebspatientin ein Hautkrebsmedika-
sächlich um die oben genannten Krebskliniken            sonders anspricht und eventuell gar keine              ment erhält, weil beide Tumoren die gleiche
nach dem Vorbild der amerikanischen Compre-             Chemotherapie mehr braucht, gelang bisher              Mutation aufweisen.
hensive Cancer Center. Diese Zentren verfügen           aber nicht. Wir sind aber auf einem sehr viel-   •   Die Bestimmung neuer Zielstrukturen und
über Tumorbanken. Weiterhin gibt es in einigen          versprechenden Weg.                                    deren gezielte Beeinflussung, etwa des „Insu-
Städten die PATH (Patients Tumorbank of Hope,                                                                  lin-like Growth Factor-Rezeptors“ und seines
www. stiftungpath.org). Am besten sprechen die                                                                 Signalwegs.
Betroffenen dieses Thema vor der Operation in                                                            •   Die Charakterisierung und gezielte Ausschal-
ihrem Krankenhaus an.                                                                                          tung der Krebsstammzelle.
                                                                                                         •    Das gezielte Ausnutzen der immunologischen
Mamma Mia!: Was können Frauen tun, deren                                                                       Interaktionen zwischen dem Krebspatienten
Gewebe bereits in Paraffin eingelegt wurde?                                                                    und seiner Krebserkrankung.

Prof. Schneeweiss: Einige dieser Genexpressi-                                                            Mamma Mia!: Was erhoffen Sie sich für die                 Kontakt
ons-Signaturen können auch an dem in Paraffin                                                            Zukunft? Inwiefern wird die Erforschung der               Prof. Dr. Andreas Schneeweiss
konservierten Gewebe bestimmt werden (Oncoty-                                                            Tumorbiologie Ihrer Meinung nach die Brust-               Sektionsleiter Gynäkologische Onkologie
pe DX®, Prosigna® ROR Score, Endopredict®).                                                              krebsbehandlung verändern?                                Nationales Centrum für Tumorerkrankungen
                                                                                                                                                                   (NCT), Universitäts-Klinikum (UKHD) und
Mamma Mia!: Gibt es weitere erfolgverspre-                                                               Prof. Schneeweiss: Der Traum ist die personali-           Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
chende Ansätze im Bereich der Tumorbiologie,                                                             sierte, das heißt eine für jede Patientin und ihre
die vielleicht in den kommenden Monaten oder                                                             Krebserkrankung individuell zugeschnittene                Im Neuenheimer Feld 460
Jahren für die Brustkrebsbehandlung relevant                                                             Therapie. Diesem Ziel werden wir immer näher              69120 Heidelberg
werden könnten?                                                                                          kommen. Aber nicht in großen Sprüngen, son-               Tel.: +49 (0)6221 56-36051
                                                                                                         dern in kleinen Schritten. Neben der Finanzie-            Fax: +49 (0)6221 56-7920
Prof. Schneeweiss: Es gibt vielfältige Ansätze,                                                          rung, der Erforschung und Anwendung dieser                E-Mail:
die nicht in den kommenden Monaten, aber in                                                              Therapien wird die Verarbeitung der riesigen Da-          andreas.schneeweiss@med.uni-heidelberg.de
den kommenden Jahren relevant werden könn-                                                               tenmengen ein Hauptproblem sein. Diese können
ten. Wir müssen das „Gießkannenprinzip“ der                                                              durch neue Hochdurchsatzverfahren innerhalb

12   www.mammamia-online.de                                                                                                                                                                                     13
A - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie - Das ...
1 – Tumorbiologie

Pathologie                                                                                                  siedelungen in einem oder mehreren Lymphkno-
                                                                                                            ten in der Achselhöhle vor? Das Ausbreitungssta-
                                                                                                            dium wird nach dem „TNM-System“ angegeben.
                                                                                                                                                                bei der Entscheidung für oder gegen eine Chemo-
                                                                                                                                                                therapie nicht weiter.

Die Rolle des Pathologen bei der                                                                            T 1 bis 4 bezeichnet dabei die Tumorgröße, N das
                                                                                                            Ausmaß des metastatischen axillären Lymphkno-
                                                                                                                                                                   Beim Mammakarzinom
­Therapieentscheidung                                                                                       tenbefalls, M bezeichnet das Vorliegen von Fern-
                                                                                                                                                                   gibt es den ›Haustier-‹ und
                                                                                                            metastasen (TNM-System: siehe Seite 82).               den ›Raubtierkrebs‹

Ob eine Veränderung in der Brust gut- oder bösartig ist, kann nicht allein durch eine Ultra-                                                                    Die wichtigste Frage, die sich an die Diagnose
schalluntersuchung (Sonographie) oder eine Mammographie entschieden werden. Gewiss-                         3. Abstand zu den Rändern                           Mammakarzinom anschließt, ist heute somit:
heit bringt letztendlich nur eine Gewebeuntersuchung. Für diese Untersuchung gibt es eine                                                                       Um was für ein Mammakarzinom handelt es
spezialisierte Facharztausbildung, die mit einer Dauer von sechs Jahren eine der längsten                   Eine wichtige Frage, die in der Pathologie durch    sich? Es gibt eher harmlose sowie sehr gefährli-
ist und als Pathologie bezeichnet wird. Diese Facharztbezeichnung führt immer wieder zu                     die mikroskopische Untersuchung des operier-        che Vertreter unter den Mammakarzinomen, was
Verwirrung. Denn statt der erwarteten Obduktionstätigkeit bedeutet Pathologie heute in                      ten Tumors entschieden wird, ist die, ob das bös-   manchmal mit dem „Haustier-“ und dem „Raub-
mehr als 99 Prozent der Fälle die Untersuchung von Gewebeproben zur Diagnosestellung                        artige Gewebe komplett entfernt werden konnte.      tierkrebs“ anschaulich umschrieben wird. Die
von Erkrankungen lebender Personen.                                                                         Dazu müssen die Ränder des Operationspräpara-       harmlosen, also die „Haustierkarzinome“, sind in
                                                                                                            tes gesondert untersucht und die Tumorfreiheit      der Mehrzahl und sind mit einer Hormonthera-
                                                                                                            und der Abstand des Tumors zum gesunden Ge-         pie ausreichend behandelt, benötigen also keine
                                                                                                            webe festgelegt werden. Ist dieser zu klein, muss   zusätzliche Chemotherapie.
Bevor Pathologen diese Gewebeproben unter           gutartigen Tumor handelt. Falls es ein bösartiger       eventuell eine weitere Operation erfolgen.
dem Mikroskop untersuchen können, müssen            Tumor ist, und das sind in der weiblichen Brust in                                                          Die Festlegung, wie gefährlich ein Karzinom
sie speziell aufbereitet und angefärbt werden. Da   den meisten Fällen Karzinome, beurteilen die Pa-                                                            wirklich ist, stellt eine der größten Herausforde-
dieser Vorgang 24 bis 48 Stunden in Anspruch        thologen auch, ob der Prozess noch auf die Milch-       4. Aggressivität des Tumors                         rungen in der Behandlung von Brustkrebs dar. Es
nimmt, liegt eine Diagnose nicht sofort nach ei-    gänge beschränkt und damit nicht metastasie-                                                                gibt einerseits Frauen, deren Tumoren zum Hoch-
ner Probeentnahme vor, sondern erst nach ein        rungsfähig ist („in situ“) oder ob er bereits invasiv   Wie hoch die Aggressivität beziehungsweise Aus-     risiko-Typ gehören und intensiver behandelt wer-
bis zwei Tagen.                                     und damit die Gefahr der Streuung gegeben ist.          breitungstendenz eines Karzinoms ist, lässt sich    den müssen, und andererseits Patientinnen mit
                                                                                                            ebenfalls mikroskopisch abschätzen. Dies geben      einem Niedrigrisiko-Typ, bei denen nach der
Folgende für die Patientin und ihre Ärzte ent-                                                              die Pathologen mit dem sogenannten „Grading“        Operation außer der Hormontherapie keine wei-
scheidenden Informationen stammen aus der           2. Größe und Ausbreitung des                            an, das in drei Stufen, niedrig (G1), mittel (G2)   tere Therapie nötig ist. Die Messinstrumente der
pathologischen Untersuchung:                        Tumors                                                  und hoch maligne (G3), erfolgt. Hieran bemisst      Pathologie (Tumorgröße, Ausbreitung, Grading)
                                                                                                            sich vor allem die Notwendigkeit einer Chemo-       können diese Unterscheidung in vielen, aber
                                                    Wurde ein Karzinom operiert, untersucht die Pa-         therapie. Ob eine alleinige Hormontherapie aus-     nicht allen Fällen genau treffen.
1. Gut- oder bösartig                               thologie alle entnommenen Gewebe. Daran wird            reicht oder es einer zusätzlichen Chemotherapie
                                                    die Größe des Karzinoms ausgemessen. Sie ist            bedarf, hängt aber nicht nur vom Grad ab. Aller-    Sehr wichtig für die Risikoabschätzung ist die
Mit Dignität wird die Gut- oder Bösartigkeit (Be-   nach wie vor ein Faktor, der in die Entscheidung        dings spricht G1 eindeutig gegen die Notwendig-     Wachstumsgeschwindigkeit eines Karzinoms,
nignität oder Malignität) der Gewebsverände-       „Chemotherapie ja oder nein“ einfließt. Maßgeb-          keit einer Chemotherapie und G3 eher dafür. Aus     die sich mit dem Anteil teilungsaktiver Zellen
rung bezeichnet. Zumeist wird aus einem fragli-     lich für die Größenbestimmung ist wieder aus-           Studien haben wir gelernt, dass der histologische   abschätzen lässt. Dazu benutzt die Pathologie
chen Herd in der Brust (Mamma) zunächst eine        schließlich der pathologische, nicht der radiolo-       Grad das Risiko mindestens ebenso zuverlässig       den Marker Ki-67. Sind zehn Prozent oder weni-
Stanz- oder Vakuumbiopsie gewonnen. Deren mi- gische oder sonographische Befund. Schließlich                angibt wie die sehr viel kostenträchtigeren Gen-    ger eines Tumors Ki-67-positiv, liegt ein niedri-
kroskopische Untersuchung durch die Patholo-        wird die Ausbreitung erfasst: Hat der Tumor             expressionsprofile. Wird der Tumor allerdings       ges Risiko vor. Reagieren mehr als 25 Prozent der
gen legt fest, ob es sich um einen bösartigen oder  Lymph- und Blutgefäße infiltriert oder liegen Ab-       einem mittleren Grad (G2) zugeordnet, hilft das     Zellen positiv, besteht ein hohes, zwischen diesen

14   www.mammamia-online.de                                                                                                                                                                                     15
A - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie - Das ...
1 – Tumorbiologie

Werten ein mittleres Risiko. Karzinome mit einem     Liegt ein mittleres Risiko (G2, Ki-67 bei 15 bis 25       niedriges Risiko dabei herauskommen.             •   Recurrence Score® von Genomic Health
Grad 1 haben fast immer einen Ki-67-Wert von         Prozent) vor, fehlen eindeutige Kriterien für oder    •   Bei einem Teil der Tests gibt es eine                (mit dem höchsten Empfehlungsgrad,
zehn Prozent oder weniger, hier kann auf Che-        gegen eine Chemotherapie. Hilfe verspricht man            relativ große Mittelgruppe, wo die Werte,            da durch prospektive Studien validiert)
motherapie verzichtet werden. Karzinome mit ei-      sich von molekularbiologischen Verfahren, die             ähnlich wie bei G2, bei der Entscheidung         •   Mammaprint® (70 Gene) von Agendia
nem Grad 3 haben meist Ki-67-Werte von über 25       die Genaktivität messen. Das sogenannte „Gen-             für oder gegen Chemotherapie gar nicht               (ebenfalls pospektiv validiert)
Prozent. Bis zu 80 Prozent teilungsaktiver Z
                                           ­ ellen   profiling“ kann einen Beitrag zur Unterscheidung          weiterhelfen.                                    •   Endopredict®
kommen vor. Hier sind die Aussichten, mit            von Hochrisiko- und Niedrigrisiko-Typen leisten.      •   Die Tests können nicht vorhersagen, ob eine      •   Prosigna®
Chemotherapie den Tumor zu treffen, besonders        Verschiedene kommerzielle Verfahren sind ver-             Chemotherapie tatsächlich nützen wird, nur
hoch, aber auch die Gefahr, dass der Tumor bei       fügbar. Eine Kostenübernahme durch die gesetz-            dass ein erhöhtes Risiko besteht.
alleiniger Operation und Verzicht auf Chemothe-      lichen Kassen ist bisher nur für den Recurrence       •   Die wichtigste Leistung der Tests besteht da-    5. Zielstrukturen für gezielte
rapie wieder auftritt.                               Score des Anbieters Genomic Health auf den Weg            rin, das eindeutig niedrige Risiko zu erken-     Therapien
                                                     gebracht und wird in Kürze Bestandteil der Regel-         nen und somit die Entscheidung gegen eine
                                                     versorgung sein. Die deutschen Leitlinien, unter          Chemotherapie, etwa bei einem histologi-         Eine weitere wichtige Frage, die die Pathologie
                                                     anderem die Therapieempfehlungen der AGO-                 schen Tumorgrad 2, zu unterstützen. Aber         nach der Krebsdiagnose zu beantworten hat, ist
                                                     Mamma (Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische                 aus Studien wissen wir, dass die Tests nur ei-   die nach der Behandelbarkeit mit zielgerichteten
                                                     Onkologie), sehen die Studienlage nicht ausrei-           nen kleinen Teil der Niedrigrisikokarzinome      Medikamenten. Über Jahrzehnte hat sich die kli-
                                                     chend für eine routinemäßige Anwendung.                   tatsächlich identifizieren (Anteil unter 20      nische Krebsforschung darauf konzentriert, em-
                                                                                                               Prozent). Mit einem dieser Tests (Endopre-       pirische Kombinationen unspezifischer zytotoxi-
                                                                                                               dict) würden 50 Prozent der Patientinnen         scher Wirkstoffe zu testen. In den letzten Jahren
                                                         Die Leitlinien sehen die Studien­-
                                                                                                               aus einer Studie, bei der man klinisch mein-     sind wir Zeugen einer revolutionären Umwäl-
                                                         ­lage nicht ausreichend für eine                      te, auf Chemotherapie verzichten zu können       zung in der onkologischen Therapie geworden,
                                                          routinemäßige Anwendung von                          (an dieser Studie wurde der Test entwickelt),    die durch gegen bestimmte krankhafte Zielmo-
                                                         Genexpressionsprofilen.                               chemotherapiepflichtig.                          leküle gerichtete Medikamente herbeigeführt
                                                                                                           •   Die Tests sind nicht für jede Form des Mam-      wurde. Der therapeutische Schlag soll gegen die
                                                     Nur wenn man mit den konventionellen Kriterien            makarzinoms geeignet. Zumeist sind sie nur       Achillesferse eines Tumors gerichtet werden, wie
                                                     zur Abschätzung der Tumoraggressivität (Tumor-            bei Östrogenrezeptor-positiven Fällen an-        Oberflächenmarker, mutierte Onkogene oder
                                                     größe, Ausbreitungsstadium, histologischer Typ            wendbar.                                         Tyrosinkinasen, was freilich im individuellen Fall
                                                     und Grad, Rezeptorausstattung und Ki-67-Wert)         •   In Zeiten begrenzter ökonomischer Ressour-       bekannt sein muss. Beim Mammakarzinom sind
                                                     nicht weiterkommt, kann der Einsatz von Genex-            cen müssen diagnostischer Mehrwert und           zwei Zielmoleküle von entscheidender Wichtig-
                                                     pressionsprofilen in Erwägung gezogen werden.             Kosten (bis zu 3.500€ pro Test) in Relati-       keit: der Östrogenrezeptor und der Rezeptor für
                                                     Die Gründe für diese, für die Betroffenen sicher          on gesetzt werden, weil hohe Kosten für die      den epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor 2
                                                     überraschende, vielleicht sogar befremdliche Zu-          Tests an anderer Stelle fehlende Gelder be-      (HER2). Gegen beide Strukturen stehen wirksa-
                                                     rückhaltung der Leitlinien sind die folgenden:            deuten.                                          me Medikamente zur Verfügung, mit denen sich
                                                                                                                                                                das Tumorwachstum gezielt hemmen lässt. Circa
                                                     •   Jeder der verfügbaren kommerziellen Tests         Aufgrund dieser Einschränkungen empfehlen die        75 Prozent der Mammakarzinome sind positiv für
                                                         misst etwas anderes, und die Ergebnisse           Leitlinien die Tests nicht regelhaft, sondern nur    den Östrogenrezeptor und 15 Prozent für HER2.
                                                         stimmen nur mäßig überein (70 Prozent).           bei Tumoren, deren Ausbreitungsrisiko und da-        Sind beide Rezeptoren nicht vorhanden und fehlt
                                                         So kann sich nach dem einen Test ein hohes,       mit die Notwendigkeit einer Chemotherapie mit        auch noch der Progesteronrezeptor, liegt ein so-
                                                         chemotherapiepflichtiges Risiko ergeben.          den üblichen Mitteln nicht sicher bestimmbar         genannter triple-negativer Tumor vor, der beson-
                                                         Wird derselbe Tumor mit einem anderen             sind. In den beiden Leitlinien werden die folgen-    ders aggressiv ist ( siehe Kapitel 5, Seite 38).
                                                         Test untersucht, kann das Gegenteil, also ein     den kommerziellen Tests genannt:

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1 – Tumorbiologie

     Der therapeutische Schlag
     soll gegen die Achillesferse eines
     Tumors gerichtet werden.
                                                           als 15 Prozent als niedriger Ki-67-Index angese-
                                                           hen, der dann für einen Luminal-A-Typ spricht.     Translationale
                                                                                                              Forschung
                                                       •   HER2 Typ: Zeigt eine Überexpression von
                                                           HER2 (3+) und/oder eine Amplifikation des
Eine spezifisch gegen Zielmoleküle gerichtete              HER2-Gens
Therapie hat die präzise und korrekte Identifika-      •   Triple-negativer Typ: Zeigt weder eine Positivi-
tion potentieller Targetmoleküle im Tumor zur              tät für Östrogen- noch den Progesteronrezep-       Von der präklinischen Forschung zur
Voraussetzung. Bei der gewebebasierten Analy-              tor (
1 – Tumorbiologie

Klinik eng zusammen. Wichtig ist auch die Rück-      Mamma Mia!: Wenn Sie in die Zukunft blicken         Mamma Mia!: Was müsste Ihrer Meinung nach             nach wie vor nur schwierig mit Familie vereinba-
übertragung der klinischen Ergebnisse zurück ins     – wie wird sich die Forschungslandschaft in         in Deutschland verbessert werden, um die trans-       ren lässt. Dadurch verlieren wir viele kompeten-
Labor, um Zusammenhänge wie Therapieresis-           Deutschland künftig gestalten?                      lationale Forschung zu fördern?                       te Nachwuchskräfte. Hier wünsche ich mir mehr
tenz oder Langzeitansprechen noch besser zu ver-                                                                                                               Flexibilität auch seitens der Arbeitgeber. Eigent-
stehen und dadurch Therapien noch wirksamer          Prof. Harbeck: Ich denke, dass die internationale   Prof. Harbeck: Ein großes Problem ist, dass Kli-      lich sollte es möglich sein, gerade an einer Uni-
machen zu können.                                    Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden wird,        niker auch an Universitätskliniken immer we-          versitätsklinik, den Arztberuf in Klinik und For-
                                                     sodass wir immer mehr von Studien, die im Aus-      niger Zeit für die Forschung haben. Der Klinik-       schung mit der Familie vereinbaren zu können. •
Mamma Mia!: Das klingt nach einem sehr               land durchgeführt werden, profitieren können        alltag lässt einfach keinen Raum für größere
­aufwendigen, kostenintensiven Projekt.              oder auch wegweisende Studien in Deutschland        Forschungsprojekte. Auch gestalten sie sich auf-
                                                     durchführen können. Das hätte möglicherweise        grund des Zeitmangels oft als sehr langwierig.
Prof. Harbeck: Ja, das ist es auch. Ziel bei den     die Folge, dass wir bestimmte Wirkstoffe schnel-    Meiner Meinung nach sollte jede Universitätskli-
meisten Forschungsvorhaben ist ja die Entwick-       ler einsetzen können. Ein weiterer Trend, den wir   nik über eine eigene Forschungsabteilung ver-
lung neuer Wirkstoffe, die einige Millionen Euro     in den USA beobachten, ist, dass immer mehr         fügen, in der sich die Mitarbeiter voll und ganz          Kontakt
kosten kann. Bevor ein Wirkstoff als Medikament      akademische Forscher und Institutionen selbst       der Forschung widmen können. Zusätzlich soll-             Prof. Dr. Nadia Harbeck
zugelassen wird, müssen verschiedene Studien         Firmen gründen, um sich Patente zu sichern. Das     te es die Möglichkeit für Kliniker geben, für For-        Brustzentrum der Universität München
mit – je nach Fragestellung – oft mehreren Tau-      wird sicherlich auch hierzulande zunehmen.          schung teilweise freigestellt zu werden. Das setzt        Klinik und Poliklinik für
send Patienten durchgeführt werden.                                                                      jedoch einen Strukturwandel voraus. Denn der-             Frauenheilkunde und Geburtshilfe
                                                                                                         zeit haben die meisten Kliniken mit einer Stel-
Mamma Mia!: Wer finanziert das?                                                                          lenknappheit zu kämpfen. Es gibt einen weiteren           Marchioninistraße 15
                                                                                                         Punkt, der mir auf der Seele brennt: 70 bis 80 Pro-       81377 München
Prof. Harbeck: Im Wesentlichen die Industrie.                                                            zent des forschenden Nachwuchses sind Frauen,             E-Mail: nadia.harbeck@med.uni-muenchen.de
In der Regel kooperieren Universitätskliniken be-                                                        für die sich das Berufsbild „klinische Forschung“
ziehungsweise andere akademische Forschungs-
einrichtungen mit der Industrie. Die Finanzie-
rungsfrage gestaltet sich jedoch immer wieder
als schwierig, zumal verschiedene Interessen ge-
wahrt bleiben müssen – das akademische Inter-
esse im Sinne der wissenschaftlichen Unabhän-
gigkeit, das Interesse der Patienten sowie das der
Industrie. Meiner Meinung nach müssen hier alle
Beteiligten noch etwas Scheu verlieren und in ei-
nen offenen Dialog treten. Je größer die Transpa-
renz ist, desto weniger Vorbehalte und Missver-
ständnisse wird es geben. Ein weiterer wichtiger
Schritt in Deutschland wäre eine aktive Beteili-
gung der Kostenträger im Gesundheitssystem
an der Finanzierung von Studien. Denn letztlich
kommen Verbesserungen an der Therapie – nicht
nur als Studienergebnisse, sondern auch bereits
in noch laufenden Studien – auch den Kranken-
kassen und ihren Versicherten zugute.

20    www.mammamia-online.de                                                                                                                                                                                   21
2 – Zielgerichtete Therapien

                                Brustkrebs                                                          Somit bestehen nur sehr begrenzte Möglichkei-
                                                                                                    ten, die absolute Erforderlichkeit und den Nut-
                                                                                                    zen einer Chemotherapie oder Antihormonthe-
                                                                                                                                                        dass auch innerhalb dieser fünf Untergruppen
                                                                                                                                                        weitere Untergliederungen möglich sind. Im kli-
                                                                                                                                                        nischen Alltag ist es jedoch (noch) nicht routine-
                                Eine Krankheit                                                      rapie individuell vorherzusagen. Leider wird aus    mäßig etabliert, dass Genanalysen/Expressions-
                                                                                                    diesem Grunde bei einem großen Teil der Patien-     profile vom Tumorgewebe durchgeführt werden,
                                mit vielen Gesichtern                                               ten übertherapiert. Allerdings besteht auch die     um eine Einteilung des Tumors in eine der oben
Zielgerichtete

                                                                                                    Gefahr der Untertherapie. In Zukunft soll dieses    genannten Gruppen vorzunehmen.
                                                                                                    Problem durch die molekularpathologische/
                                Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass es           -genetische Analyse des Tumorgewebes besser         Stattdessen wird eine histopathologische Eintei-
                                sich bei Brustkrebs nicht um die eine, immer gleich verlau-         gelöst werden.                                      lung auf Basis von Hormonrezeptor- und HER2-
Therapien

                                fende Erkrankung handelt. Vielmehr dürfen wir heute da-                                                                 Status gemeinsam mit dem Grad der Aggressivi-
                                von ausgehen, dass Brustkrebs eine vielseitige Erkrankung                                                               tät (Grading) und der Profilerationseigenschaft,
                                                                                                        Tumoren unterscheiden sich in
                                mit verschiedenen Untergruppen darstellt. Genetische Un-                                                                der Wachstumsgeschwindigkeit (Ki-67), des
                                tersuchungen am Tumorgewebe zeigen deutliche Unterschie-
                                                                                                        ihrem Verhalten, ihrer Aggressivität            Tumors vorgenommen. Studien konnten zeigen,
                                de zwischen den Gruppen und geben somit auch die verschie-              sowie ihrer Prognose.                           dass hiermit eine relativ hohe Übereinstimmung
                                denen klinischen Ausprägungen, die Aggressivität und die                                                                mit dem Genexpressionsprofil geschaffen werden
                                Prognose der Erkrankung wieder. Das Ziel derartiger Grund-                                                              kann. Die ursprünglichen Genexpressionsanaly-
                                lagenforschung und die Entwicklung von Genexpressions-              Fünf Untergruppen bei Brustkrebs                    sen wurden unter Auswertung mehrerer Hundert
                                profilen ist, möglichst individuell für jede Patientin bezie-                                                           bis Tausend Gene vorgenommen. Somit waren/
                                hungsweise ihren Tumor die Prognose abzuschätzen und eine           Vor etwa zwanzig Jahren haben amerikanische         sind sie jedoch sehr zeit- und kostenaufwändig.

2
                                angepasste Therapie für jeden einzelnen Patienten auszu-            Forscher der Universität North Carolina eine        Zudem mussten diese Bestimmungen aus Tumor-
                                sprechen.                                                           neue Methode beschrieben und das genetische         frischgewebe erfolgen, wodurch ein einfacher
                                                                                                    Profil von vielen Brustkrebstumoren untersucht.     Umgang und die Umsetzung in der klinischen
                                                                                                    Die Wissenschaftler haben zum ersten Mal zei-       Routine nicht problemlos gegeben waren.
                                                                                                    gen können, dass morphologisch verschiedene
                                                Derzeit gehören zur standardmäßigen Untersu-        Brustkrebstumoren mit molekular-genetisch un-
                                                chung beim Brustkrebs die mikroskopische Be-        terschiedlichen Subtypen übereinstimmen und         Gentests werden immer
                                                stimmung der Tumorgröße und des Tumortyps           diese Subtypen sich in ihrem genetischen Mus-       häufiger eingesetzt
                                                (am häufigsten invasiv-duktal oder invasiv-lobu-    ter deutlich unterscheiden. Sie konnten auf diese
                                                lär), des Differenzierungsgrads (Grading) sowie     Weise folgende fünf Untergruppen definieren,        In den letzten Jahren konnten technische Verbes-
                                                die Bestimmung der Hormonrezeptoren (Östro-         die sich hinsichtlich ihres Verhaltens und ihrer    serungen vorgenommen werden, wodurch es zum
                                                gen/Progesteron) und des HER2-Status (Wachs-        Aggressivität sowie der Prognose unterscheiden:     einen möglich ist, auch an paraffinfixiertem Ge-
                                                tumsfaktor auf der Zelloberfläche). Daneben                                                             webe die Analysen durchzuführen und durch eine
                                                werden zur Festlegung der Behandlung die In-        •   Luminal-A-Karzinome                             Kondensierung der Gene ein „einfacher“ umsetz-
                                                formation über die Achsel-Lymphknoten und           •   Luminal-B-Karzinome                             bares Testkit herzustellen. Kommerziell zu erwer-
                                                das Patientenalter herangezogen. Grundsätz-         •   „normal breast-like“ Karzinome                  bende Gentests werden daher immer häufiger zur
                                                lich ist bekannt, dass trotz dieser Informationen   •   „basal-like“ Karzinome                          Abschätzung der Prognose dieser Erkrankung und
                                                dennoch nicht in zufriedenstellendem Maße die       •   HER2-positive Karzinome                         zur Entscheidung über die Notwendigkeit einer
                                                Vorhersage über das individuelle Patientenrisi-                                                         Chemotherapie, insbesondere bei Patientinnen mit
                                                ko getroffen werden kann. Vielmehr ist die Bio-     Weitere Untersuchungen von verschiedenen            Hormonrezeptor-positivem und HER2-negativem
                                                logie des einzelnen Tumors hierfür bedeutend.       Arbeitsgruppen in den folgenden Jahren belegen,     Karzinom, im klinischen Alltag herangezogen.

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2 – Zielgerichtete Therapien

Eine deutliche Vereinfachung der Untersuchungs-   Untergruppen der Hormonrezeptor-                   vität. Sie werden heutzutage als „triple-nega-       pern) oder post-neoadjuvanter Konzepte (Ein-
methode zur flächendeckenden Anwendung ist        negativen Mammakarzinome                           tive“ Mammakarzinome (TNBC) bezeichnet,              satz von T-DM1 bei Patientinnen, die nach einer
dringend erforderlich und wird zum Teil auch                                                         wenngleich bekannt ist, dass hier zwischen           suffizienten neoadjuvanten anti-Her2-Kombi-
schon für den täglichen Einsatz im klinischen     Die Hormonrezeptor-negativen Mammakarzi-           den genetischen („basal-like“) und mikrosko-         nationschemotherapie immer noch Resttumor
Alltag angeboten. Allerdings sollte in weiteren   nome können in mindestens zwei biologisch un-      pischen („triple-negativ“) Merkmalen zwar            aufweisen).
prospektiven Studien der Nutzen dieser moleku-    terschiedliche Untergruppen eingeteilt werden,     eine Überschneidung, aber nicht eine völlige
largenetischen Untersuchung für die Patientin-    nämlich „basal-like“ und „HER2/neu-positive“       Deckung vorliegt. Diese Tumoren sind meist
nen bewiesen werden, um so die Individualisie-    Tumoren, welche insgesamt im Vergleich zu den      schnellwachsend und gehen mit einer un-           Fazit
rung der Krebstherapie aufgrund molekularer       luminalen Karzinomen eher einen aggressiven        günstigen klinischen Prognose einher. Bis auf
Marker des Tumors zu ermöglichen. Einige viel-    klinischen Verlauf zeigen, insbesondere wenn       die Chemotherapie bestanden lange Zeit kei-       Zusammenfassend kann festgehalten werden,
versprechende Testsysteme hierzu sind bereits     eine zielgerichtete Therapie unterlassen wird.     ne gezielten Therapiemöglichkeiten. Derzeit       dass Gen-Analysen am Tumorgewebe zwar schon
auf dem Markt und werden teilweise bereits in     • „Basal-like“-Karzinome: Die „basal-like“-        werden bei diesen Tumoren neue Substanzen         jetzt, in Zukunft aber noch viel mehr eine ganz
die klinische Therapieentscheidung mit ein-           Karzinome zeigen oft weder Östrogen- und       getestet, die in den Genreparaturmechanis-        wesentliche Ergänzung der bisherigen histopa-
gebunden.                                             Progesteronrezeptoren noch HER2/neu-Akti-      mus eingreifen, sogenannte PARP-Inhibito-         thologischen und immunhistochemischen Dia-
                                                                                                     ren. Darüber hinaus wird diskutiert, ob diese     gnostik beim Brustkrebs darstellen werden. Die
                                                                                                     Tumoren eventuell besser auf eine platin-         wichtigsten Voraussetzungen für den routinemä-
                                                                                                     haltige Chemotherapie ansprechen. Neueste         ßigen Einsatz bestehen in einer weiteren Standar-
                                                                                                     Studienergebnisse zeigen, dass bei metasta-       disierung und Vereinfachung der Methoden und
                                                                                                     sierten TNBC-Tumoren, die ein bestimmtes          in der gezielten Auswahl jener Marker, denen die
Untergruppen der Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinome                                             Immunsignal aufzeigen, die Therapie mit Im-       größte prognostische Information zukommt. Je
Die molekulare/genetische Unterteilung bietet die Möglichkeit, die große Grup-                       muncheckpoint-Inhibitoren erfolgverspre-          besser die Signalwege in der Krebszelle verstan-
pe der Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinome in mehrere biologisch unter-                          chend ist. Beflügelt durch diese Erkenntnisse     den werden, desto individueller kann in Zukunft
schiedliche Gruppen einzuteilen, woraus sich therapeutische Einflüsse ergeben.                       wird nun die Substanzgruppe der Immun-            die Therapie auf den einzelnen Patienten abge-
                                                                                                     checkpoint-Inhibitoren nicht nur in der metas-    stimmt werden. Zudem müssen die Kosten dieser
• Luminale Karzinome: Luminale Karzinome bilden die größte Gruppe von Mamma-                         tasierten, sondern auch in der kurativen Thera-   Testverfahren für eine flächendeckende Anwen-
  karzinomen, die sich auf Basis einer Genchip-basierten Diagnostik identifizieren                   pielinie – derzeit noch in Studien – erforscht.   dung deutlich gesenkt werden. •
  lassen. Diese Karzinome weisen in der konventionellen Aufarbeitung des Tumorgewe-                • HER2-positive Karzinome: Bei den HER2-
  bes eine Ausprägung der Hormonrezeptoren (Östrogen- und/oder Progesteron) auf.                     positiven Karzinomen ist ein Wachstumsfak-
• Luminal-A-Karzinome: Die Untergruppe der Luminal-A-Karzinome, die sich                             tor auf der Zelloberfläche vermehrt vorhanden.
  durch eine starke Ausprägung des Östrogenrezeptors und Progesteronrezeptors an                     Diese Tumoren zeichnen sich ebenfalls durch          Autorin
  der Zelloberfläche und somit durch eine besonders gute Prognose auszeichnet, ist                   einen aggressiven Verlauf aus. Erfreulicherwei-      PD Dr. Beyhan Ataseven
  am besten charakterisiert. Meist sind diese Tumoren gut differenziert (G1) verbun-                 se wurden in den letzten Jahren für diesen Tu-       Klinik für Gynäkologie & Gynäkologische
  den mit geringer Wachstumsgeschwindigkeit und entsprechend geringer Aggressi-                      mortyp neue Therapieinnovationen gefunden.           Onkologie, Kliniken Essen-Mitte,
  vität. Die Prognose dieser Tumoren ist im Verbgleich zu den anderen Subtypen mit                   Heute besteht für diese Art von Brusttumoren         Evangelische Huyssens-Stiftung
  Abstand am besten.                                                                                 eine zielgerichtete Therapiemöglichkeit („an-
• Luminal-B-Karzinome: Die Luminal-B-Karzinome sind im Gegensatz dazu zwar                           ti-HER2-Therapie“), die zu sehr guten Heilungs-      Henricistraße 92
  ebenfalls Hormonrezeptor-positiv, jedoch zumeist nur gering. Verglichen mit Lumi-                  verbesserungen beitragen kann. Auch bei den          45136 Essen
  nal-A-Typen sind Luminal-B- Tumoren aggressiver, weisen ein geringeres Anspre-                     HER-2-positiven Tumoren zeichnen sich an der         Tel.: +49 (0)201 174-34001
  chen auf antihormonelle Therapie auf und haben eine schlechtere Prognose.                          Therapiefront weitere Heilungschancen ab,            Fax: +49 (0)201 174-34000
                                                                                                     zum Beispiel durch den Einsatz von dualer Blo-       E-Mail: b.ataseven@kem-med.de
                                                                                                     ckade (Einsatz von zwei anti-HER-2-Antikör-

24   www.mammamia-online.de                                                                                                                                                                           25
2 – Zielgerichtete Therapien

                „Das Gießkannen-                                                                      Um 1970 wurde der Östrogenrezeptor entdeckt,
                                                                                                      die „Antenne“ für das Hormon. Mehr als zwei
                                                                                                                                                            Dennoch wurde viel an der Entwicklung neuer
                                                                                                                                                            Medikamente gearbeitet, die einen anderen Wir-

                prinzip ist out“
                                                                                                      Drittel aller Brustkrebstumoren haben Rezepto-        kungsmechanismus als Tamoxifen und seine Ver-
                                                                                                      ren für weibliche Sexualhormone (Östrogen oder        wandten haben. Zugelassen ist das Antiöstrogen
                                                                                                      Progesteron). Wenn Hormone an diese Molekü-           Fulvestrant, das nach Bindung an den Rezeptor
                                                                                                      le binden, kommt es zu vielen verschiedenen Sig-      dazu führt, dass dieser in der Zelle abgebaut wird
                Die Entwicklung zielgerichteter Therapien                                             nalen in der Zelle. In Brustkrebszellen führen die-   und somit auch nicht mehr aktiv werden kann.
                                                                                                      se Signalwege zu einem schnelleren Wachstum.          Dies ist ein wichtiger Fortschritt für die Behand-
                                                                                                      Die Unterdrückung des durch Östrogene ausge-          lung von Frauen mit Metastasen. Andere Medi-
                Krebsbehandlungen nach dem Gießkannenprinzip sind out.                                lösten Signalwegs ist ein sehr wirksamer Ansatz-      kamente mit ähnlichem Wirkungsmechanismus
                Der Fokus der Wissenschaft liegt auf der individualisierten                           punkt für Medikamente, die dann das Wachstum          sind in der Entwicklung.
                Tumortherapie. Immer mehr zielgerichtete Therapien wer-                               der Krebszellen hemmen. Es gelang, Verfahren
                den entwickelt. Neue Antikörper, kleine Moleküle („small                              für die Bestimmung der Hormonrezeptoren im            Frauen nach den Wechseljahren, deren Eierstöcke
                molecules“) und Hemmsubstanzen unterschiedlicher Signal-                              Tumorgewebe zu entwickeln. Das war dann die           keine Hormone produzieren, haben immer noch
                wege werden in der Brustkrebstherapie eingesetzt. Professor                           Grundlage für eine zielgerichtete Therapie: Es        Östrogene im Blut, auch wenn die Konzentration
                Dr. Volkmar Müller vom Universitätsklinikum Hamburg Ep-                               wird untersucht, ob das Ziel vorhanden ist – und      viel niedriger ist als vor den Wechseljahren. Krebs-
                pendorf erläutert im Gespräch mit Mamma Mia!, welche The-                             dann wird es blockiert.                               zellen gewöhnen sich an den niedrigen Östrogen-
                rapieoptionen heute zur Verfügung stehen und wo es noch                                                                                     spiegel und können so auch mit weniger Östro-
                Therapielücken gibt.                                                                                                                        genen weiterwachsen. Durch sogenannte Aroma-
                                                                                                         Tamoxifen bleibt für viele Situatio-
                                                                                                                                                            tasehemmer kann die Östrogenbildung im Körper
                                                                                                         nen das Medikament der Wahl.                       gehemmt werden und so der Östrogenspiegel unter
                                                                                                                                                            den von Frauen nach den Wechseljahren gesenkt
                                                                                                      Das erste Medikament, das gezielt gegen die Öst-      werden. Das führt zu einer Wachstumshemmung
                                                  Mamma Mia!: Herr Professor Müller, als erste        rogenwirkung eingesetzt wurde, war Tamoxifen.         von Krebszellen. Die Aromatasehemmer spielen
                                                  zielgerichtete Brustkrebstherapie kann die Anti-    Tamoxifen ist ein Antiöstrogen, also ein Medika-      mittlerweile eine wichtige Rolle in der Behandlung
                                                  hormontherapie bezeichnet werden, die gezielt       ment, das an die Östrogenrezeptoren bindet und        von Brustkrebs und sind eine wichtige Ergänzung
                                                  zur Behandlung von hormonabhängigen Tumo-           in Brustkrebszellen weitgehend die Aktivierung        in unserem Therapiearsenal.
                                    Prof. Dr.     ren eingesetzt wird. Wann wurde diese Thera-        von östrogenabhängigem Wachstum hemmt. In
                                Volkmar Müller
                                                  pieoption entdeckt und wie hat sie sich seither     einigen Zellen des Köpers wirkt Tamoxifen je-
                                   Klinik und                                                                                                                  Aromatasehemmer sind eine
                                 Poliklinik für   weiterentwickelt?                                   doch wie ein Östrogen. Man nennt dieses Medi-
                                 Gynäkologie
                                                                                                      kament deshalb auch einen selektiven Östrogen-
                                                                                                                                                               wichtige Ergänzung in unserem
                                                  Prof. Müller: Schon um 1850 wurde in medizini-      rezeptor-Modulator (SERM). Das kann durchaus             Therapiearsenal.
                                                  schen Fachzeitschriften beschrieben, dass Brust-    positiv sein, beispielsweise in den Knochen, wo
                                                  krebs bei jüngeren Frauen in Abhängigkeit vom       Östrogene vor Osteoporose schützen. In anderen        Bei Frauen vor den Wechseljahren kann man
                                                  Menstruationszyklus mehr oder weniger stark         Organen, wie der Gebärmutter, ist das nicht so er-    die Funktion der Eierstöcke ohne Operation mit
                                                  wächst. Ein englischer Chirurg hat dann Fälle von   wünscht. Es wurde beobachtet, dass Frauen un-         Medikamenten ausschalten. Diese Medikamen-
                                                  betroffenen Frauen beschrieben, bei denen nach      ter der Einnahme von Tamoxifen häufiger Gebär-        te heißen GnrH-Analoga und unterdrücken das
                                                  einer Entfernung der Eierstöcke auch die Tumo-      mutterkrebs entwickeln, auch wenn insgesamt           Hormonsignal für die Produktion von Östrogen.
                                                  ren kleiner wurden. Es hat dann weit mehr als       die positiven Effekte des Medikaments eindeutig
                                                  100 Jahre gedauert, bis man anfing zu begrei-       überwiegen und Tamoxifen für viele Situationen        Grundsätzlich ist es ein Problem der Antihor-
                                                  fen, welche Mechanismen hier zugrunde liegen.       das Medikament der Wahl bleibt.                       montherapie, dass trotz vorhandener Rezeptoren

26   www.mammamia-online.de                                                                                                                                                                                  27
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