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a Die Krebsratgeber S pezia l Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie
Dieses Heft ist allen Frauen gewidmet, deren Leben durch eine Brustkrebserkrankung auf den Kopf gestellt wurde. Ein besonderer Dank gilt den Betroffenen, die durch eine Studienteilnahme den wissenschaftlichen Fortschritt unterstützen, sowie den Wissenschaftlern, deren Ziel die Erforschung neuer Brustkrebstherapien ist. April 2020
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser! Bereits zum vierten Mal haben wir nun unseren Ratgeber „Tumor ist nicht gleich Tumor – Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie“ aktualisiert. Bei der Überarbeitung wurde uns bewusst, dass sich die Brustkrebstherapie seit Erscheinen der ersten Ausgabe im Jahr 2011 enorm weiterentwickelt hat. Ein gro- ßer Dank gilt an dieser Stelle all den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die dem Brustkrebs den Kampf angesagt haben und mit unermüdlichem Eifer versuchen, wirkungsvolle Mittel gegen diese Krankheit zu finden. So konnte in den letzten Jahrzehnten zwar nicht die Erkrankungs- häufigkeit verringert werden, die Heilungschancen wurden aber verbessert. In den Fokus der Wissenschaft ist neben der Heilung auch zunehmend die Lebensqualität von Krebskranken gerückt, was eine sehr positive Entwicklung ist. Vor allem in der metasta- sierten Situation, wenn die Krankheit nicht mehr heilbar ist, spielt das eine große Rolle. Heutzutage werden nicht mehr alle Krebs- patienten ungeachtet der Ansprechrate und der Nebenwirkungen gleich behandelt, wir sprechen vielmehr von einer „risikoadaptier- ten“ Behandlung – so wenig wie möglich, so viel wie nötig. Die neuesten Entwicklungen der zielgerichteten, personalisierten Brustkrebstherapie werden in diesem Ratgeber vorgestellt. Dabei wird klar, dass es auf der einen Seite große Fortschritte gibt, auf der anderen Seite aber immer noch Tumorarten, die schwer be- handelbar sind. Die medizinische Weiterentwicklung ist also nach wie vor gefragt und mit ihr ein Gesundheitssystem, das be- reit ist, in Forschung und Wissenschaft zu investieren. Und eine Politik, die die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass Innovati- Editorial onen auch schnell im klinischen Alltag ankommen. Ein weiterer Punkt kann nicht oft genug betont werden: Früherkennung rettet Leben – sagen Sie es weiter! Herzliche Grüße Ihre Eva Schumacher-Wulf 03
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, Liebe Leserin, lieber Leser, mit jährlich rund 70.000 Neuerkrankten in Deutschland ist die Diagnose Brustkrebs ist grausam. Aber ist nicht jede schwere Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung von Frauen. Obwohl Erkrankung ein furchtbarer Schicksalsschlag? Entscheidend sind sie nach wie vor nicht zu 100 Prozent heilbar ist, werden die The- doch die Aussichten für Heilung und Lebenserwartung und die rapieoptionen beim Mammakarzinom immer vielfältiger und Belastung durch die Therapie und ihre Folgen. Und da gibt es gute vor allem erfolgreicher. Moderne Behandlungsmethoden führen Nachrichten. Um ein Prozent pro Jahr sind in den letzten beiden mittlerweile zu sehr guten Überlebenschancen und bieten oft Jahrzehnten die Heilungschancen gestiegen. Mittlerweile werden selbst bei metastasierten Situationen die Überführung in einen acht von zehn erkrankten Frauen geheilt. Verantwortlich dafür ist chronischen Zustand mit guter Lebensqualität. Dies ist unter an- auch die bessere Organisation der Therapie durch die zertifizierten derem dem interdisziplinären und ganzheitlichen Erfahrungsaus- Brustzentren. Vor allem beruhen diese Erfolge auf der sogenann- tausch geschuldet, dem sich zahlreiche Wissenschaftskolleginnen ten translationalen Forschung. Damit ist gemeint, dass die For- und -kollegen mit viel Herzblut zum Wohle ihrer Patientinnen scher immer tiefer in die Geheimisse der Tumorzellen eindringen und Patienten widmen. Der allergrößte Respekt gilt aber vor allem und dieses Wissen in Behandlungskonzepte umgesetzt wird. den Patientinnen, die an den zahlreichen Studien – etwa zur brust- Das Ausmaß der Operation und deren Folgen, d.h. die Einschrän- erhaltenden Therapie – teilgenommen haben und weiterhin teil- kungen für Funktion und Körperbild, werden immer geringer. In- nehmen und so den wissenschaftlichen Fortschritt entscheidend dem wir immer mehr über die unterschiedlichen Brustkrebsarten mit beeinflussen. lernen, erkennen wir heute zudem bei vielen Tumoren die Achil- Derzeit erleben wir einen Paradigmenwechsel: Nämlich von lesferse. Dadurch können die Ärzte gezielt in den Stoffwechsel der „Cure“ zu „Care“ – vom Heilen zum Kümmern –, und diesen müssen Krebszelle eingreifen und sie töten oder bremsen, ohne dabei das wir weiter fördern. Denn es ist nicht mehr nur das Ziel des reinen gesunde Gewebe stark zu beeinträchtigen. Sogar das körpereigene Überlebens, sondern vielmehr auch das stetige Verbessern der Immunsystem kann man heutzutage gezielt aktivieren und gegen Lebensqualität der Betroffenen, das noch mehr in den Fokus rücken manche Brustkrebsarten einsetzen. Die Ärzte nennen das Ergebnis muss. Das Stichwort hierbei lautet: Patientinnenrelevanz! Denn dann eine individualisierte Therapie, zugeschnitten einerseits auf Tumor ist nicht gleich Tumor und Patientin ist nicht gleich Pati- die Bedürfnisse und die Ausgangslage der einzelnen Patientin, an- entin. Wir Ärztinnen und Ärzte sind dazu angehalten, die indivi- dererseits aber auch auf die Eigenschaften und Schwachstellen duellen Situationen unserer Patientinnen genau zu berücksichti- ihres Tumors, denn Tumor ist nicht gleich Tumor. gen und auch in Zusammenarbeit mit ihnen die jeweils optimalen Noch wissen wir nicht alles. Aber wir erfahren immer mehr Verfahren, die beste Behandlungsstrategie und den individuellen in immer höherem Tempo – und das gibt den betroffenen Men- Versorgungsweg zu entwickeln. schen Hoffnung. Aber „Care“ bedeutet auch, dass wir uns um die schnelle Imple- Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist mentierung von Innovationen kümmern und ebenso darum, dass maßgeblich an diesen Fortschritten bei Diagnostik, Therapie und Vorwort dafür die richtigen gesellschaftlichen Voraussetzungen bestehen. Nachsorge der Patientin mit Mammakarzinom beteiligt. Durch Neben dem wissenschaftlichen Fortschritt an sich versteht die Qualitätssicherung, Verbesserung von Strukturen, Forschung, Ent- Deutsche Gesellschaft für Senologie e. V. (DGS) das als eine ihrer wicklung von Leitlinien sowie Fort- und Weiterbildung. Die Sorge Hauptaufgaben. um die Gesundheit der Frau ist unsere Daseinsberechtigung. Herzliche Grüße sendet Ihre Herzliche Grüße, Prof. Dr. Sara Yvonne Brucker Prof. Dr. Anton Scharl Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Senologie e. V. Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. 04 www.mammamia-online.de 05
Inhalt 03 Editorial 04 Vorwort 1 Tumorbiologie 4 Metastasierte Situation 8 Medizinische Studien 08 Den Tumor besser verstehen 35 Metastasierter Brustkrebs 58 Medizinische Studien Den Tumor besser verstehen Aktuelle Behandlungsempfehlungen Medizinische Forschung für die Zukunft Prof. Dr. Andreas Schneeweiss, Prof. Dr. Peter Dall, Sabine Seiler, NCT Heidelberg Frauenklinik, Klinikum Lüneburg GBG Forschungs GmbH, Neu-Isenburg 14 Pathologie Die Rolle des Pathologen bei der 5 Triple-negativer Brustkrebs 9 Austausch mit Betroffenen Therapieentscheidung Prof. Dr. Hans Heinrich Kreipe, 38 Das triple-negative Mammakarzinom 66 Selbsthilfe, Internetforen, soziale Netz- Medizinische Hochschule Hannover Eigenschaften und Therapiemöglichkeiten werke & Co. Der Austausch 19 Translationale Forschung Prof. Dr. Cornelia Kolberg-Liedtke, mit anderen Betroffenen Von der präklinischen Forschung zur Charité – Universitätsmedizin Berlin Eva Schumacher-Wulf klinischen Anwendung Prof. Dr. Nadia Harbeck, 6 Familiärer Brustkrebs 10 Anhang Brustzentrum der Universität München 42 Genetischer Brustkrebs 68 Autorenverzeichnis 2 Zielgerichtete Therapien Diagnose, Behandlung und Prophylaxe 72 Wichtige Adressen Prof. Dr. Rita Schmutzler, Universitätsklinikum Köln 76 Glossar 22 Brustkrebs PD Dr. Kerstin Rhiem, Universitätsklinikum Köln 82 Tumorklassifikationen Eine Krankheit mit vielen Gesichtern 84 Impressum PD Dr. Beyhan Ataseven, 7 Brustkrebs bei der Klinik für Gynäkologie & Gynäkologische Onkologie, Essen 26 Das Gießkannenprinzip ist out jungen Frau Die Entwicklung zielgerichteter Therapien 50 Brustkrebs bei der jungen Frau Prof. Dr. Volkmar Müller, Besonderheiten und Therapieoptionen Klinik und Poliklinik für Gynäkologie, Hamburg PD Dr. Marc Thill, Agaplesion Markus Krankenhaus, Frankfurt am Main Inhalt 3 Primäre Situation 55 Reproduktionsmedizin Chancen für den Kinderwunsch 32 Diagnose Brustkrebs nach Krebs Wegweiser bei der Ersterkrankung Prof. Dr. Michael von Wolff, Prof. Dr. Wolfgang Janni, Inselspital Bern, Frauenklinik Bern Universitätsklinikum Ulm 06 www.mammamia-online.de 07
1 – Tumorbiologie Den Tumor Prof. Schneeweiss: Ziel der Wissenschaft ist es, sowohl die unterschiedlichen Tumoren als auch vate Unternehmen. Öffentliche und private Ein- richtungen arbeiten häufig in größeren Netzwer- besser verstehen die Eigenschaften von gesunden Zellen und Orga- ken zusammen. Die Richtungen, in welche die nen verschiedener Patientinnen genauer zu cha- Grundlagenforscher zielen, ergeben sich aus den rakterisieren und ihr Verhalten besser zu verste- Problemen, die klinisch tätige Ärzte bei der all- Tumorbiologie hen. Dies ist die entscheidende Voraussetzung täglichen Behandlung von Krebspatienten haben. Die Voraussetzungen für eine für eine individualisierte oder personalisierte Be- handlung. So untersuchen wir die molekularen Mamma Mia!: Wie geht es weiter, wenn es neue personalisierte Therapie Muster der Zellen auf verschiedenen Ebenen. Wir Erkenntnisse in der Grundlagenforschung gibt? befassen uns mit dem Erbgut der Zellen (Genom), den umkehrbaren Veränderungen am Erbgut Prof. Schneeweiss: Neue Hypothesen und An- Zielgerichtete Krebstherapien stehen im Fokus der Wissen- (Epigenom), Veränderungen an den Boten-Mole sätze werden zunächst an Tumorzelllinien und schaft. Das Ziel: Patienten sollen so individuell wie möglich külen für die Produktion von Proteinen (Tran- Tieren mit spontanen oder induzierten Krebser- behandelt und das „Gießkannenprinzip“ – alle bekommen skriptom), den Proteinen selbst (Proteom) und krankungen überprüft. Erhärten sich die Hypo- das Gleiche – vermieden werden. Um eine zielgerichtete und den Stoffwechselprodukten (Metabolom). Die Ei- thesen, werden klinische Studien mit betroffe- gut verträgliche Therapie entwickeln zu können, müssen genschaften der Zellen spiegeln sich in den Mus- nen Krebspatienten gestartet. Bestätigen auch die Forscher den Tumor und im Idealfall auch den gesunden tern dieser Moleküle, den sogenannten Signatu- diese Studien einen eindeutigen Nutzen beim Körper zunächst kennen und verstehen. Dafür werden ren, wider. Diese Signaturen können uns bessere krebskranken Menschen, ist eine neue Thera- Zellen auf molekularer Ebene genau untersucht. So lässt sich Auskünfte über die Aggressivität des Tumors und piemöglichkeit geboren. Die enge Zusammenar- deren Beschaffenheit, Besonderheiten, Lebenszyklus sowie das Ansprechen auf verschiedene Therapien ge- beit zwischen Grundlagenforschern und klinisch 1 Interaktion mit anderen Zellen kennenlernen. Wissenschaft- ben als die herkömmlichen Faktoren. Auch das tätigen Ärzten ist eine Grundvoraussetzung für ler haben in den vergangenen Jahren weitreichende Erkennt- Verhalten der normalen Zellen der erkrankten Pa- den raschen Transfer neuer Erkenntnisse aus der nisse über die Tumorbiologie erforscht, viele Fragen sind tientin könnte besser vorhergesagt werden. Am Grundlagenforschung in den Behandlungsall- aber auch noch offen. weitesten erforscht sind bei Brustkrebs die Mus- tag. Damit ist diese Zusammenarbeit der Schlüs- ter der Boten-Moleküle der Brustkrebszelle, die sel zur Verwirklichung unseres Traums einer per- sogenannten Gen-Expressions-Signaturen. sonalisierten Therapie, das heißt der individuell auf jeden Patienten und seine Krebserkrankung Mamma Mia! sprach mit dem Onkologen Mamma Mia!: Welche Forschungseinrichtungen zugeschnittenen Behandlung. Aus diesem Grund Professor Dr. Andreas Schneeweiss, Sektions- sind an der Aufschlüsselung der Tumorzellen be- wurden in Deutschland Krebszentren wie das leiter Gynäkologische Onkologie im Nationalen teiligt und wer trägt die Kosten der Grundlagen- Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) des forschung? (NCT) Heidelberg nach dem Vorbild der amerika- Universitätsklinikums (UKHD) und Deutschen nischen Comprehensive Cancer Center geschaf- Prof. Dr. Andreas Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg, Prof. Schneeweiss: Zunächst müssen Grund- fen. Hier arbeiten Grundlagenforscher und kli- Schneeweiss Sektionsleiter über den aktuellen Stand der Wissenschaft. lagenforscher in öffentlich geförderten Institu- nisch tätige Ärzte unter einem Dach zusammen. Gynäkologische ten wie beispielsweise im Deutschen Krebsfor- Onkologie Mamma Mia!: Die Wissenschaft legt seit einigen schungszentrum Heidelberg (DKFZ) oder anderen Mamma Mia!: Inwiefern beeinflusst die Tumor- Jahren einen Forschungsschwerpunkt auf die nationalen und internationalen Forschungsein- biologie heutzutage die Therapieentscheidung? individualisierte Krebsbehandlung. Fachleute richtungen oder in Einrichtungen der forschen- sprechen von einer zielgerichteten oder besser den pharmazeutischen Industrie neue Hypothe- Prof. Schneeweiss: Derzeit gibt es in der tägli- personalisierten Therapie. Welche konkreten sen aufstellen und Ansatzpunkte definieren. Die chen Praxis im Wesentlichen zwei Ansatzpunkte Erkenntnisse liegen heute vor? Kosten tragen also die öffentliche Hand und pri- für eine zielgerichtete Therapie. Zum einen wird 08 www.mammamia-online.de 09
1 – Tumorbiologie das Zellwachstum durch eine Rezeptorblockade, Verlauf der Erkrankung vorhersagen (prädikati- einzulegen. Es sollte für diesen Test jedoch ma- beim Brustkrebs zum Beispiel des Hormon- oder ve Bedeutung). So haben beispielsweise die Ar- ximal zehn Minuten nach der Entnahme gefro- HER2-Rezeptors, oder durch eine Störung von beiten mit bestimmten Faktoren, die zum Abbau ren sein. Dabei sollte es sich genau genommen Signalübertragungen innerhalb der Zelle ge- des umgebenden Gewebes beitragen, sehr viel- um das Gewebe aus der Operation handeln. Wir hemmt. Zum anderen wird bei der sogenannten versprechende Ergebnisse gebracht. Gemeint ist wissen noch nicht abschließend, ob bei Stanz- Angiogenesehemmung versucht, die Tumorge- hier die Protease uPA und der Inhibitor PAI-1. Im gewebe gleiche Ergebnisse erzielt werden kön- fäße am Wachstum zu hindern. Der Entwicklung Jahr 2007 wurde die Bestimmung des uPA- und nen. Die Studien befassten sich ausschließlich dieser Therapieformen ging eine intensive For- PAI-1-Gehalts im Primärtumor einer Patientin so- mit dem herausoperierten Gewebe. Für Kran- schung an Tumorzellen voraus. In der Zukunft gar in die Empfehlungen der American Society of kenhäuser gibt es ein fertiges Kit, das diese Vor- werden wir versuchen, die natürliche Wachs- Clinical Oncology (ASCO) aufgenommen. Danach gehensweise ermöglicht. Patientinnen sollten tumshemmung von Tumorzellen wiederherzu- wird empfohlen, den uPA/PAI-1-Test für die Prog- in jedem Fall vor der Operation fragen, welche stellen und Stoffwechselvorgänge, die für die noseabschätzung von neu an Brustkrebs erkrank- Möglichkeiten das Krankenhaus bietet. Invasion, Streuung und Erbgutkontrolle verant- ten Frauen ohne Lymphknotenbefall und mit hor- wortlich sind, zu beeinflussen. monabhängigen, kleinen Tumoren einzusetzen, Mamma Mia!: Seit Sommer 2019 wird der ers- um die angemessene Therapie auszuwählen. Eine te Genexpressionstest (Onkotype Dx®) zur bes- Ein weiterer, extrem interessanter Ansatzpunkt hohe uPA- oder PAI-1-Aktivität spricht für einen seren Risikoabschätzung und Hilfestellung ist die Wiederherstellung der Immunüberwa- aggressiveren Tumor. So würde man in diesem bei der Frage „Chemo – ja oder nein“ von den chung des Tumors, die bei der Tumorentstehung Fall eher eine Chemotherapie verordnen als bei Krankenkassen erstattet. Können Sie uns mehr verloren ging. Im klinischen Alltag schon ange- Patientinnen mit einem niedrigen uPA- und PAI- über diesen Test sagen? kommen ist die Aufhebung der durch den Tumor 1-Wert. Die Bestimmung von uPA und PAI-1 wird ausgelösten Blockade einer spontanen Immun- aber zunehmend durch sogenannte Genexpres- Prof. Schneeweiss: Bei diesem Test wird der so- antwort durch sogenannte Checkpoint-Inhibito- sionstests abgelöst. genannte Recurrence Score aus dem Tumorge- ren. Die vielversprechenden Ergebnisse bei Tumo- webe bestimmt. Dazu wird die Aktivität von 21 ren mit einer starken spontanen Immunantwort Mamma Mia!: Werden diese Werte heute schon Genen im Tumor gemessen. In der „TAILORx“- haben zur Zulassung dieser sogenannten Immun- standardmäßig ermittelt? Studie konnte gezeigt werden, dass Patientinnen sen. Wichen die beiden Prognoseabschätzun- therapie beim fortgeschrittenen schwarzen Haut- mit einem Hormonrezeptor-positiven Brust- gen voneinander ab, wurde entweder anhand krebs und bei Lungenkrebs geführt. Im August Prof. Schneeweiss: Teilweise ja, es gibt Stan- krebs ohne befallene Lymphknoten und einem der herkömmlichen Faktoren oder anhand der 2019 erfolgte die erste Zulassung eines solchen dardfaktoren, die bei Brustkrebs immer be- niederen Recurrence Score nicht von einer Che- Amsterdam-Signatur behandelt. Die Patien- Checkpoint-Inhibitors zur Behandlung von me- stimmt werden. So wird beispielsweise immer motherapie profitieren. ten, die nach klassischen Kriterien eine Indika- tastasiertem, triple-negativem Brustkrebs durch untersucht, ob Hormon- und HER2-Rezeptoren tion zur Chemotherapie hatten, nach der Ams- die europäische Zulassungsbehörde EMA. Es han- vorhanden sind. Schwieriger wird es mit Fak- Mamma Mia!: Es gibt eine Reihe weiterer terdam-Signatur aber nicht, profitierten nicht delt sich um den PD-L1-Inhibitor Atezolizumab, toren, die am Frischgewebe untersucht werden molekularer Tests. Können Sie uns auch hierzu von der adjuvanten Chemotherapie. Von ande- der in Kombination mit der Chemotherapie nab- müssen. Dazu zählen zum Beispiel die uPA- und mehr sagen? ren Tests, wie beispielsweise Endopredict® oder Paclitaxel eingesetzt wird. Voraussetzung ist, PAI-1-Werte. Diese Untersuchung scheitert häu- dem Prosigna® ROR Score, fehlen bisher Ergeb- dass in den Tumoren PD-L1-positive Immunzel- fig an organisatorischen und logistischen Hür- Prof. Schneeweiss: Es gibt beispielsweise noch nisse aus prospektiv randomisierten Verglei- len nachgewiesen werden können. Es ist die Auf- den. Die Bestimmung von uPA und PAI-1 muss den MammaPrint® Test, der die sogenannte chen mit den klassischen Prognosefaktoren. Es gabe der Pathologen, das herauszufinden. Die Tu- an frischem, in Stickstoff oder Trockeneis gela- Amsterdam-Signatur benutzt. Bei der Phase- wird aber erwartet, dass diese Signaturen ge- morbiologie kann die Therapieentscheidung aber gertem Tumorgewebe erfolgen. Nicht alle Klini- III-Studie MINDACT wurde vor der Behandlung nauso eine verbesserte Prognoseabschätzung auch indirekt beeinflussen. Denn sie kann sowohl ken haben die Möglichkeit, das Gewebe entspre- die Amsterdam-Signatur (70 Gene) aus dem erlauben. Die AGO Kommission Mamma emp- die mögliche Wirkung der Therapie (prognosti- chend zu konservieren. Bisher sind die Institute Tumorgewebe bestimmt. Zusätzlich wurden fiehlt alle vier Tests mit demselben AGO Emp- sche Bedeutung) als auch den möglichen weiteren darauf eingerichtet, Gewebeproben in Paraffin alle herkömmlichen Prognosefaktoren gemes- fehlungsgrad. 10 www.mammamia-online.de 11
1 – Tumorbiologie Mamma Mia!: Sie sagten, dass bestimmte Krebsbehandlung zugunsten einer stärker indivi- • Die Therapie anhand genetischer Verände- kürzester Zeit bei jeder Patientin und ihrer Krebs- Eigenschaften des Tumors nur an Frischgewebe dualisierten, zielgerichteten Therapie verlassen. rungen anstelle morphologischer Kriterien: erkrankung individuell erhoben werden. Es ist untersucht werden können. Wäre es empfeh- Vielversprechende Ansätze (neben anderen) sind: Bei Patientinnen mit metastasiertem Brust- jetzt schon möglich, innerhalb weniger Tage das lenswert, dass Brustkrebspatientinnen nach • Die Behandlung molekular definierter Sub- krebs und einer Keimbahn-BRCA-Mutation gesamte Erbmaterial einer individuellen Krebser- der Operation einen Teil des Tumors einfrieren gruppen mit gezielten Kombinationsthera- ist zum Beispiel schon die Therapie mit PARP- krankung zu entschlüsseln. Daraus werden sich lassen? pien: Dazu zählt zum Beispiel die Therapie Hemmern (PARP = Poly-(ADP-Ribose)-Poly- viele neue Ansatzpunkte für eine personalisierte bestimmter HER2-positiver Brustkrebsfor- merase) zugelassen. Dies ist ein Ansatz, den Therapie ergeben. Vor uns liegt ein aufregender, Prof. Schneeweiss: Tumorgewebe einfrieren zu men mit Trastuzumab und einer weiteren ge- wir in Heidelberg in unserem CATCH Pro- aber auch mühsamer und langwieriger Weg mit lassen, ist immer eine gute Idee, um in der Zu- gen HER2 gerichteten Therapie wie Pertuzu- gramm weiter intensiv erforschen. Wir unter- hohen wissenschaftlichen, strukturellen und fi- kunft jederzeit die Möglichkeit zu haben, weitere mab, Trastuzumab Emtansine oder Lapatinib. suchen, ob sich Tumoren besser nach ihren nanziellen Hürden. Diese Hürden müssen wir ge- Faktoren des Tumors zu bestimmen, falls dies Alle diese Substanzen sind schon für die Be- genetischen Eigenschaften und nicht nach meinsam überwinden. Wir sind es den Betroffe- relevant würde. Es gibt einige Kliniken, die über handlung des HER2-positiven Brustkrebses dem Entstehungsort behandeln lassen. So nen und ihren Familien schuldig. • die Möglichkeit verfügen, Frischgewebe tiefge- zugelassen. Eine genauere Definition, wel- kann es vorkommen, dass beispielsweise eine kühlt zu verwahren. Es handelt sich hier haupt- cher Brustkrebs auf welche Kombination be- Brustkrebspatientin ein Hautkrebsmedika- sächlich um die oben genannten Krebskliniken sonders anspricht und eventuell gar keine ment erhält, weil beide Tumoren die gleiche nach dem Vorbild der amerikanischen Compre- Chemotherapie mehr braucht, gelang bisher Mutation aufweisen. hensive Cancer Center. Diese Zentren verfügen aber nicht. Wir sind aber auf einem sehr viel- • Die Bestimmung neuer Zielstrukturen und über Tumorbanken. Weiterhin gibt es in einigen versprechenden Weg. deren gezielte Beeinflussung, etwa des „Insu- Städten die PATH (Patients Tumorbank of Hope, lin-like Growth Factor-Rezeptors“ und seines www. stiftungpath.org). Am besten sprechen die Signalwegs. Betroffenen dieses Thema vor der Operation in • Die Charakterisierung und gezielte Ausschal- ihrem Krankenhaus an. tung der Krebsstammzelle. • Das gezielte Ausnutzen der immunologischen Mamma Mia!: Was können Frauen tun, deren Interaktionen zwischen dem Krebspatienten Gewebe bereits in Paraffin eingelegt wurde? und seiner Krebserkrankung. Prof. Schneeweiss: Einige dieser Genexpressi- Mamma Mia!: Was erhoffen Sie sich für die Kontakt ons-Signaturen können auch an dem in Paraffin Zukunft? Inwiefern wird die Erforschung der Prof. Dr. Andreas Schneeweiss konservierten Gewebe bestimmt werden (Oncoty- Tumorbiologie Ihrer Meinung nach die Brust- Sektionsleiter Gynäkologische Onkologie pe DX®, Prosigna® ROR Score, Endopredict®). krebsbehandlung verändern? Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), Universitäts-Klinikum (UKHD) und Mamma Mia!: Gibt es weitere erfolgverspre- Prof. Schneeweiss: Der Traum ist die personali- Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) chende Ansätze im Bereich der Tumorbiologie, sierte, das heißt eine für jede Patientin und ihre die vielleicht in den kommenden Monaten oder Krebserkrankung individuell zugeschnittene Im Neuenheimer Feld 460 Jahren für die Brustkrebsbehandlung relevant Therapie. Diesem Ziel werden wir immer näher 69120 Heidelberg werden könnten? kommen. Aber nicht in großen Sprüngen, son- Tel.: +49 (0)6221 56-36051 dern in kleinen Schritten. Neben der Finanzie- Fax: +49 (0)6221 56-7920 Prof. Schneeweiss: Es gibt vielfältige Ansätze, rung, der Erforschung und Anwendung dieser E-Mail: die nicht in den kommenden Monaten, aber in Therapien wird die Verarbeitung der riesigen Da- andreas.schneeweiss@med.uni-heidelberg.de den kommenden Jahren relevant werden könn- tenmengen ein Hauptproblem sein. Diese können ten. Wir müssen das „Gießkannenprinzip“ der durch neue Hochdurchsatzverfahren innerhalb 12 www.mammamia-online.de 13
1 – Tumorbiologie Pathologie siedelungen in einem oder mehreren Lymphkno- ten in der Achselhöhle vor? Das Ausbreitungssta- dium wird nach dem „TNM-System“ angegeben. bei der Entscheidung für oder gegen eine Chemo- therapie nicht weiter. Die Rolle des Pathologen bei der T 1 bis 4 bezeichnet dabei die Tumorgröße, N das Ausmaß des metastatischen axillären Lymphkno- Beim Mammakarzinom Therapieentscheidung tenbefalls, M bezeichnet das Vorliegen von Fern- gibt es den ›Haustier-‹ und metastasen (TNM-System: siehe Seite 82). den ›Raubtierkrebs‹ Ob eine Veränderung in der Brust gut- oder bösartig ist, kann nicht allein durch eine Ultra- Die wichtigste Frage, die sich an die Diagnose schalluntersuchung (Sonographie) oder eine Mammographie entschieden werden. Gewiss- 3. Abstand zu den Rändern Mammakarzinom anschließt, ist heute somit: heit bringt letztendlich nur eine Gewebeuntersuchung. Für diese Untersuchung gibt es eine Um was für ein Mammakarzinom handelt es spezialisierte Facharztausbildung, die mit einer Dauer von sechs Jahren eine der längsten Eine wichtige Frage, die in der Pathologie durch sich? Es gibt eher harmlose sowie sehr gefährli- ist und als Pathologie bezeichnet wird. Diese Facharztbezeichnung führt immer wieder zu die mikroskopische Untersuchung des operier- che Vertreter unter den Mammakarzinomen, was Verwirrung. Denn statt der erwarteten Obduktionstätigkeit bedeutet Pathologie heute in ten Tumors entschieden wird, ist die, ob das bös- manchmal mit dem „Haustier-“ und dem „Raub- mehr als 99 Prozent der Fälle die Untersuchung von Gewebeproben zur Diagnosestellung artige Gewebe komplett entfernt werden konnte. tierkrebs“ anschaulich umschrieben wird. Die von Erkrankungen lebender Personen. Dazu müssen die Ränder des Operationspräpara- harmlosen, also die „Haustierkarzinome“, sind in tes gesondert untersucht und die Tumorfreiheit der Mehrzahl und sind mit einer Hormonthera- und der Abstand des Tumors zum gesunden Ge- pie ausreichend behandelt, benötigen also keine webe festgelegt werden. Ist dieser zu klein, muss zusätzliche Chemotherapie. Bevor Pathologen diese Gewebeproben unter gutartigen Tumor handelt. Falls es ein bösartiger eventuell eine weitere Operation erfolgen. dem Mikroskop untersuchen können, müssen Tumor ist, und das sind in der weiblichen Brust in Die Festlegung, wie gefährlich ein Karzinom sie speziell aufbereitet und angefärbt werden. Da den meisten Fällen Karzinome, beurteilen die Pa- wirklich ist, stellt eine der größten Herausforde- dieser Vorgang 24 bis 48 Stunden in Anspruch thologen auch, ob der Prozess noch auf die Milch- 4. Aggressivität des Tumors rungen in der Behandlung von Brustkrebs dar. Es nimmt, liegt eine Diagnose nicht sofort nach ei- gänge beschränkt und damit nicht metastasie- gibt einerseits Frauen, deren Tumoren zum Hoch- ner Probeentnahme vor, sondern erst nach ein rungsfähig ist („in situ“) oder ob er bereits invasiv Wie hoch die Aggressivität beziehungsweise Aus- risiko-Typ gehören und intensiver behandelt wer- bis zwei Tagen. und damit die Gefahr der Streuung gegeben ist. breitungstendenz eines Karzinoms ist, lässt sich den müssen, und andererseits Patientinnen mit ebenfalls mikroskopisch abschätzen. Dies geben einem Niedrigrisiko-Typ, bei denen nach der Folgende für die Patientin und ihre Ärzte ent- die Pathologen mit dem sogenannten „Grading“ Operation außer der Hormontherapie keine wei- scheidenden Informationen stammen aus der 2. Größe und Ausbreitung des an, das in drei Stufen, niedrig (G1), mittel (G2) tere Therapie nötig ist. Die Messinstrumente der pathologischen Untersuchung: Tumors und hoch maligne (G3), erfolgt. Hieran bemisst Pathologie (Tumorgröße, Ausbreitung, Grading) sich vor allem die Notwendigkeit einer Chemo- können diese Unterscheidung in vielen, aber Wurde ein Karzinom operiert, untersucht die Pa- therapie. Ob eine alleinige Hormontherapie aus- nicht allen Fällen genau treffen. 1. Gut- oder bösartig thologie alle entnommenen Gewebe. Daran wird reicht oder es einer zusätzlichen Chemotherapie die Größe des Karzinoms ausgemessen. Sie ist bedarf, hängt aber nicht nur vom Grad ab. Aller- Sehr wichtig für die Risikoabschätzung ist die Mit Dignität wird die Gut- oder Bösartigkeit (Be- nach wie vor ein Faktor, der in die Entscheidung dings spricht G1 eindeutig gegen die Notwendig- Wachstumsgeschwindigkeit eines Karzinoms, nignität oder Malignität) der Gewebsverände- „Chemotherapie ja oder nein“ einfließt. Maßgeb- keit einer Chemotherapie und G3 eher dafür. Aus die sich mit dem Anteil teilungsaktiver Zellen rung bezeichnet. Zumeist wird aus einem fragli- lich für die Größenbestimmung ist wieder aus- Studien haben wir gelernt, dass der histologische abschätzen lässt. Dazu benutzt die Pathologie chen Herd in der Brust (Mamma) zunächst eine schließlich der pathologische, nicht der radiolo- Grad das Risiko mindestens ebenso zuverlässig den Marker Ki-67. Sind zehn Prozent oder weni- Stanz- oder Vakuumbiopsie gewonnen. Deren mi- gische oder sonographische Befund. Schließlich angibt wie die sehr viel kostenträchtigeren Gen- ger eines Tumors Ki-67-positiv, liegt ein niedri- kroskopische Untersuchung durch die Patholo- wird die Ausbreitung erfasst: Hat der Tumor expressionsprofile. Wird der Tumor allerdings ges Risiko vor. Reagieren mehr als 25 Prozent der gen legt fest, ob es sich um einen bösartigen oder Lymph- und Blutgefäße infiltriert oder liegen Ab- einem mittleren Grad (G2) zugeordnet, hilft das Zellen positiv, besteht ein hohes, zwischen diesen 14 www.mammamia-online.de 15
1 – Tumorbiologie Werten ein mittleres Risiko. Karzinome mit einem Liegt ein mittleres Risiko (G2, Ki-67 bei 15 bis 25 niedriges Risiko dabei herauskommen. • Recurrence Score® von Genomic Health Grad 1 haben fast immer einen Ki-67-Wert von Prozent) vor, fehlen eindeutige Kriterien für oder • Bei einem Teil der Tests gibt es eine (mit dem höchsten Empfehlungsgrad, zehn Prozent oder weniger, hier kann auf Che- gegen eine Chemotherapie. Hilfe verspricht man relativ große Mittelgruppe, wo die Werte, da durch prospektive Studien validiert) motherapie verzichtet werden. Karzinome mit ei- sich von molekularbiologischen Verfahren, die ähnlich wie bei G2, bei der Entscheidung • Mammaprint® (70 Gene) von Agendia nem Grad 3 haben meist Ki-67-Werte von über 25 die Genaktivität messen. Das sogenannte „Gen- für oder gegen Chemotherapie gar nicht (ebenfalls pospektiv validiert) Prozent. Bis zu 80 Prozent teilungsaktiver Z ellen profiling“ kann einen Beitrag zur Unterscheidung weiterhelfen. • Endopredict® kommen vor. Hier sind die Aussichten, mit von Hochrisiko- und Niedrigrisiko-Typen leisten. • Die Tests können nicht vorhersagen, ob eine • Prosigna® Chemotherapie den Tumor zu treffen, besonders Verschiedene kommerzielle Verfahren sind ver- Chemotherapie tatsächlich nützen wird, nur hoch, aber auch die Gefahr, dass der Tumor bei fügbar. Eine Kostenübernahme durch die gesetz- dass ein erhöhtes Risiko besteht. alleiniger Operation und Verzicht auf Chemothe- lichen Kassen ist bisher nur für den Recurrence • Die wichtigste Leistung der Tests besteht da- 5. Zielstrukturen für gezielte rapie wieder auftritt. Score des Anbieters Genomic Health auf den Weg rin, das eindeutig niedrige Risiko zu erken- Therapien gebracht und wird in Kürze Bestandteil der Regel- nen und somit die Entscheidung gegen eine versorgung sein. Die deutschen Leitlinien, unter Chemotherapie, etwa bei einem histologi- Eine weitere wichtige Frage, die die Pathologie anderem die Therapieempfehlungen der AGO- schen Tumorgrad 2, zu unterstützen. Aber nach der Krebsdiagnose zu beantworten hat, ist Mamma (Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische aus Studien wissen wir, dass die Tests nur ei- die nach der Behandelbarkeit mit zielgerichteten Onkologie), sehen die Studienlage nicht ausrei- nen kleinen Teil der Niedrigrisikokarzinome Medikamenten. Über Jahrzehnte hat sich die kli- chend für eine routinemäßige Anwendung. tatsächlich identifizieren (Anteil unter 20 nische Krebsforschung darauf konzentriert, em- Prozent). Mit einem dieser Tests (Endopre- pirische Kombinationen unspezifischer zytotoxi- dict) würden 50 Prozent der Patientinnen scher Wirkstoffe zu testen. In den letzten Jahren Die Leitlinien sehen die Studien- aus einer Studie, bei der man klinisch mein- sind wir Zeugen einer revolutionären Umwäl- lage nicht ausreichend für eine te, auf Chemotherapie verzichten zu können zung in der onkologischen Therapie geworden, routinemäßige Anwendung von (an dieser Studie wurde der Test entwickelt), die durch gegen bestimmte krankhafte Zielmo- Genexpressionsprofilen. chemotherapiepflichtig. leküle gerichtete Medikamente herbeigeführt • Die Tests sind nicht für jede Form des Mam- wurde. Der therapeutische Schlag soll gegen die Nur wenn man mit den konventionellen Kriterien makarzinoms geeignet. Zumeist sind sie nur Achillesferse eines Tumors gerichtet werden, wie zur Abschätzung der Tumoraggressivität (Tumor- bei Östrogenrezeptor-positiven Fällen an- Oberflächenmarker, mutierte Onkogene oder größe, Ausbreitungsstadium, histologischer Typ wendbar. Tyrosinkinasen, was freilich im individuellen Fall und Grad, Rezeptorausstattung und Ki-67-Wert) • In Zeiten begrenzter ökonomischer Ressour- bekannt sein muss. Beim Mammakarzinom sind nicht weiterkommt, kann der Einsatz von Genex- cen müssen diagnostischer Mehrwert und zwei Zielmoleküle von entscheidender Wichtig- pressionsprofilen in Erwägung gezogen werden. Kosten (bis zu 3.500€ pro Test) in Relati- keit: der Östrogenrezeptor und der Rezeptor für Die Gründe für diese, für die Betroffenen sicher on gesetzt werden, weil hohe Kosten für die den epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor 2 überraschende, vielleicht sogar befremdliche Zu- Tests an anderer Stelle fehlende Gelder be- (HER2). Gegen beide Strukturen stehen wirksa- rückhaltung der Leitlinien sind die folgenden: deuten. me Medikamente zur Verfügung, mit denen sich das Tumorwachstum gezielt hemmen lässt. Circa • Jeder der verfügbaren kommerziellen Tests Aufgrund dieser Einschränkungen empfehlen die 75 Prozent der Mammakarzinome sind positiv für misst etwas anderes, und die Ergebnisse Leitlinien die Tests nicht regelhaft, sondern nur den Östrogenrezeptor und 15 Prozent für HER2. stimmen nur mäßig überein (70 Prozent). bei Tumoren, deren Ausbreitungsrisiko und da- Sind beide Rezeptoren nicht vorhanden und fehlt So kann sich nach dem einen Test ein hohes, mit die Notwendigkeit einer Chemotherapie mit auch noch der Progesteronrezeptor, liegt ein so- chemotherapiepflichtiges Risiko ergeben. den üblichen Mitteln nicht sicher bestimmbar genannter triple-negativer Tumor vor, der beson- Wird derselbe Tumor mit einem anderen sind. In den beiden Leitlinien werden die folgen- ders aggressiv ist ( siehe Kapitel 5, Seite 38). Test untersucht, kann das Gegenteil, also ein den kommerziellen Tests genannt: 16 www.mammamia-online.de 17
1 – Tumorbiologie Der therapeutische Schlag soll gegen die Achillesferse eines Tumors gerichtet werden. als 15 Prozent als niedriger Ki-67-Index angese- hen, der dann für einen Luminal-A-Typ spricht. Translationale Forschung • HER2 Typ: Zeigt eine Überexpression von HER2 (3+) und/oder eine Amplifikation des Eine spezifisch gegen Zielmoleküle gerichtete HER2-Gens Therapie hat die präzise und korrekte Identifika- • Triple-negativer Typ: Zeigt weder eine Positivi- tion potentieller Targetmoleküle im Tumor zur tät für Östrogen- noch den Progesteronrezep- Von der präklinischen Forschung zur Voraussetzung. Bei der gewebebasierten Analy- tor (
1 – Tumorbiologie Klinik eng zusammen. Wichtig ist auch die Rück- Mamma Mia!: Wenn Sie in die Zukunft blicken Mamma Mia!: Was müsste Ihrer Meinung nach nach wie vor nur schwierig mit Familie vereinba- übertragung der klinischen Ergebnisse zurück ins – wie wird sich die Forschungslandschaft in in Deutschland verbessert werden, um die trans- ren lässt. Dadurch verlieren wir viele kompeten- Labor, um Zusammenhänge wie Therapieresis- Deutschland künftig gestalten? lationale Forschung zu fördern? te Nachwuchskräfte. Hier wünsche ich mir mehr tenz oder Langzeitansprechen noch besser zu ver- Flexibilität auch seitens der Arbeitgeber. Eigent- stehen und dadurch Therapien noch wirksamer Prof. Harbeck: Ich denke, dass die internationale Prof. Harbeck: Ein großes Problem ist, dass Kli- lich sollte es möglich sein, gerade an einer Uni- machen zu können. Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden wird, niker auch an Universitätskliniken immer we- versitätsklinik, den Arztberuf in Klinik und For- sodass wir immer mehr von Studien, die im Aus- niger Zeit für die Forschung haben. Der Klinik- schung mit der Familie vereinbaren zu können. • Mamma Mia!: Das klingt nach einem sehr land durchgeführt werden, profitieren können alltag lässt einfach keinen Raum für größere aufwendigen, kostenintensiven Projekt. oder auch wegweisende Studien in Deutschland Forschungsprojekte. Auch gestalten sie sich auf- durchführen können. Das hätte möglicherweise grund des Zeitmangels oft als sehr langwierig. Prof. Harbeck: Ja, das ist es auch. Ziel bei den die Folge, dass wir bestimmte Wirkstoffe schnel- Meiner Meinung nach sollte jede Universitätskli- meisten Forschungsvorhaben ist ja die Entwick- ler einsetzen können. Ein weiterer Trend, den wir nik über eine eigene Forschungsabteilung ver- lung neuer Wirkstoffe, die einige Millionen Euro in den USA beobachten, ist, dass immer mehr fügen, in der sich die Mitarbeiter voll und ganz Kontakt kosten kann. Bevor ein Wirkstoff als Medikament akademische Forscher und Institutionen selbst der Forschung widmen können. Zusätzlich soll- Prof. Dr. Nadia Harbeck zugelassen wird, müssen verschiedene Studien Firmen gründen, um sich Patente zu sichern. Das te es die Möglichkeit für Kliniker geben, für For- Brustzentrum der Universität München mit – je nach Fragestellung – oft mehreren Tau- wird sicherlich auch hierzulande zunehmen. schung teilweise freigestellt zu werden. Das setzt Klinik und Poliklinik für send Patienten durchgeführt werden. jedoch einen Strukturwandel voraus. Denn der- Frauenheilkunde und Geburtshilfe zeit haben die meisten Kliniken mit einer Stel- Mamma Mia!: Wer finanziert das? lenknappheit zu kämpfen. Es gibt einen weiteren Marchioninistraße 15 Punkt, der mir auf der Seele brennt: 70 bis 80 Pro- 81377 München Prof. Harbeck: Im Wesentlichen die Industrie. zent des forschenden Nachwuchses sind Frauen, E-Mail: nadia.harbeck@med.uni-muenchen.de In der Regel kooperieren Universitätskliniken be- für die sich das Berufsbild „klinische Forschung“ ziehungsweise andere akademische Forschungs- einrichtungen mit der Industrie. Die Finanzie- rungsfrage gestaltet sich jedoch immer wieder als schwierig, zumal verschiedene Interessen ge- wahrt bleiben müssen – das akademische Inter- esse im Sinne der wissenschaftlichen Unabhän- gigkeit, das Interesse der Patienten sowie das der Industrie. Meiner Meinung nach müssen hier alle Beteiligten noch etwas Scheu verlieren und in ei- nen offenen Dialog treten. Je größer die Transpa- renz ist, desto weniger Vorbehalte und Missver- ständnisse wird es geben. Ein weiterer wichtiger Schritt in Deutschland wäre eine aktive Beteili- gung der Kostenträger im Gesundheitssystem an der Finanzierung von Studien. Denn letztlich kommen Verbesserungen an der Therapie – nicht nur als Studienergebnisse, sondern auch bereits in noch laufenden Studien – auch den Kranken- kassen und ihren Versicherten zugute. 20 www.mammamia-online.de 21
2 – Zielgerichtete Therapien Brustkrebs Somit bestehen nur sehr begrenzte Möglichkei- ten, die absolute Erforderlichkeit und den Nut- zen einer Chemotherapie oder Antihormonthe- dass auch innerhalb dieser fünf Untergruppen weitere Untergliederungen möglich sind. Im kli- nischen Alltag ist es jedoch (noch) nicht routine- Eine Krankheit rapie individuell vorherzusagen. Leider wird aus mäßig etabliert, dass Genanalysen/Expressions- diesem Grunde bei einem großen Teil der Patien- profile vom Tumorgewebe durchgeführt werden, mit vielen Gesichtern ten übertherapiert. Allerdings besteht auch die um eine Einteilung des Tumors in eine der oben Zielgerichtete Gefahr der Untertherapie. In Zukunft soll dieses genannten Gruppen vorzunehmen. Problem durch die molekularpathologische/ Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass es -genetische Analyse des Tumorgewebes besser Stattdessen wird eine histopathologische Eintei- sich bei Brustkrebs nicht um die eine, immer gleich verlau- gelöst werden. lung auf Basis von Hormonrezeptor- und HER2- Therapien fende Erkrankung handelt. Vielmehr dürfen wir heute da- Status gemeinsam mit dem Grad der Aggressivi- von ausgehen, dass Brustkrebs eine vielseitige Erkrankung tät (Grading) und der Profilerationseigenschaft, Tumoren unterscheiden sich in mit verschiedenen Untergruppen darstellt. Genetische Un- der Wachstumsgeschwindigkeit (Ki-67), des tersuchungen am Tumorgewebe zeigen deutliche Unterschie- ihrem Verhalten, ihrer Aggressivität Tumors vorgenommen. Studien konnten zeigen, de zwischen den Gruppen und geben somit auch die verschie- sowie ihrer Prognose. dass hiermit eine relativ hohe Übereinstimmung denen klinischen Ausprägungen, die Aggressivität und die mit dem Genexpressionsprofil geschaffen werden Prognose der Erkrankung wieder. Das Ziel derartiger Grund- kann. Die ursprünglichen Genexpressionsanaly- lagenforschung und die Entwicklung von Genexpressions- Fünf Untergruppen bei Brustkrebs sen wurden unter Auswertung mehrerer Hundert profilen ist, möglichst individuell für jede Patientin bezie- bis Tausend Gene vorgenommen. Somit waren/ hungsweise ihren Tumor die Prognose abzuschätzen und eine Vor etwa zwanzig Jahren haben amerikanische sind sie jedoch sehr zeit- und kostenaufwändig. 2 angepasste Therapie für jeden einzelnen Patienten auszu- Forscher der Universität North Carolina eine Zudem mussten diese Bestimmungen aus Tumor- sprechen. neue Methode beschrieben und das genetische frischgewebe erfolgen, wodurch ein einfacher Profil von vielen Brustkrebstumoren untersucht. Umgang und die Umsetzung in der klinischen Die Wissenschaftler haben zum ersten Mal zei- Routine nicht problemlos gegeben waren. gen können, dass morphologisch verschiedene Derzeit gehören zur standardmäßigen Untersu- Brustkrebstumoren mit molekular-genetisch un- chung beim Brustkrebs die mikroskopische Be- terschiedlichen Subtypen übereinstimmen und Gentests werden immer stimmung der Tumorgröße und des Tumortyps diese Subtypen sich in ihrem genetischen Mus- häufiger eingesetzt (am häufigsten invasiv-duktal oder invasiv-lobu- ter deutlich unterscheiden. Sie konnten auf diese lär), des Differenzierungsgrads (Grading) sowie Weise folgende fünf Untergruppen definieren, In den letzten Jahren konnten technische Verbes- die Bestimmung der Hormonrezeptoren (Östro- die sich hinsichtlich ihres Verhaltens und ihrer serungen vorgenommen werden, wodurch es zum gen/Progesteron) und des HER2-Status (Wachs- Aggressivität sowie der Prognose unterscheiden: einen möglich ist, auch an paraffinfixiertem Ge- tumsfaktor auf der Zelloberfläche). Daneben webe die Analysen durchzuführen und durch eine werden zur Festlegung der Behandlung die In- • Luminal-A-Karzinome Kondensierung der Gene ein „einfacher“ umsetz- formation über die Achsel-Lymphknoten und • Luminal-B-Karzinome bares Testkit herzustellen. Kommerziell zu erwer- das Patientenalter herangezogen. Grundsätz- • „normal breast-like“ Karzinome bende Gentests werden daher immer häufiger zur lich ist bekannt, dass trotz dieser Informationen • „basal-like“ Karzinome Abschätzung der Prognose dieser Erkrankung und dennoch nicht in zufriedenstellendem Maße die • HER2-positive Karzinome zur Entscheidung über die Notwendigkeit einer Vorhersage über das individuelle Patientenrisi- Chemotherapie, insbesondere bei Patientinnen mit ko getroffen werden kann. Vielmehr ist die Bio- Weitere Untersuchungen von verschiedenen Hormonrezeptor-positivem und HER2-negativem logie des einzelnen Tumors hierfür bedeutend. Arbeitsgruppen in den folgenden Jahren belegen, Karzinom, im klinischen Alltag herangezogen. 22 www.mammamia-online.de 23
2 – Zielgerichtete Therapien Eine deutliche Vereinfachung der Untersuchungs- Untergruppen der Hormonrezeptor- vität. Sie werden heutzutage als „triple-nega- pern) oder post-neoadjuvanter Konzepte (Ein- methode zur flächendeckenden Anwendung ist negativen Mammakarzinome tive“ Mammakarzinome (TNBC) bezeichnet, satz von T-DM1 bei Patientinnen, die nach einer dringend erforderlich und wird zum Teil auch wenngleich bekannt ist, dass hier zwischen suffizienten neoadjuvanten anti-Her2-Kombi- schon für den täglichen Einsatz im klinischen Die Hormonrezeptor-negativen Mammakarzi- den genetischen („basal-like“) und mikrosko- nationschemotherapie immer noch Resttumor Alltag angeboten. Allerdings sollte in weiteren nome können in mindestens zwei biologisch un- pischen („triple-negativ“) Merkmalen zwar aufweisen). prospektiven Studien der Nutzen dieser moleku- terschiedliche Untergruppen eingeteilt werden, eine Überschneidung, aber nicht eine völlige largenetischen Untersuchung für die Patientin- nämlich „basal-like“ und „HER2/neu-positive“ Deckung vorliegt. Diese Tumoren sind meist nen bewiesen werden, um so die Individualisie- Tumoren, welche insgesamt im Vergleich zu den schnellwachsend und gehen mit einer un- Fazit rung der Krebstherapie aufgrund molekularer luminalen Karzinomen eher einen aggressiven günstigen klinischen Prognose einher. Bis auf Marker des Tumors zu ermöglichen. Einige viel- klinischen Verlauf zeigen, insbesondere wenn die Chemotherapie bestanden lange Zeit kei- Zusammenfassend kann festgehalten werden, versprechende Testsysteme hierzu sind bereits eine zielgerichtete Therapie unterlassen wird. ne gezielten Therapiemöglichkeiten. Derzeit dass Gen-Analysen am Tumorgewebe zwar schon auf dem Markt und werden teilweise bereits in • „Basal-like“-Karzinome: Die „basal-like“- werden bei diesen Tumoren neue Substanzen jetzt, in Zukunft aber noch viel mehr eine ganz die klinische Therapieentscheidung mit ein- Karzinome zeigen oft weder Östrogen- und getestet, die in den Genreparaturmechanis- wesentliche Ergänzung der bisherigen histopa- gebunden. Progesteronrezeptoren noch HER2/neu-Akti- mus eingreifen, sogenannte PARP-Inhibito- thologischen und immunhistochemischen Dia- ren. Darüber hinaus wird diskutiert, ob diese gnostik beim Brustkrebs darstellen werden. Die Tumoren eventuell besser auf eine platin- wichtigsten Voraussetzungen für den routinemä- haltige Chemotherapie ansprechen. Neueste ßigen Einsatz bestehen in einer weiteren Standar- Studienergebnisse zeigen, dass bei metasta- disierung und Vereinfachung der Methoden und sierten TNBC-Tumoren, die ein bestimmtes in der gezielten Auswahl jener Marker, denen die Untergruppen der Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinome Immunsignal aufzeigen, die Therapie mit Im- größte prognostische Information zukommt. Je Die molekulare/genetische Unterteilung bietet die Möglichkeit, die große Grup- muncheckpoint-Inhibitoren erfolgverspre- besser die Signalwege in der Krebszelle verstan- pe der Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinome in mehrere biologisch unter- chend ist. Beflügelt durch diese Erkenntnisse den werden, desto individueller kann in Zukunft schiedliche Gruppen einzuteilen, woraus sich therapeutische Einflüsse ergeben. wird nun die Substanzgruppe der Immun- die Therapie auf den einzelnen Patienten abge- checkpoint-Inhibitoren nicht nur in der metas- stimmt werden. Zudem müssen die Kosten dieser • Luminale Karzinome: Luminale Karzinome bilden die größte Gruppe von Mamma- tasierten, sondern auch in der kurativen Thera- Testverfahren für eine flächendeckende Anwen- karzinomen, die sich auf Basis einer Genchip-basierten Diagnostik identifizieren pielinie – derzeit noch in Studien – erforscht. dung deutlich gesenkt werden. • lassen. Diese Karzinome weisen in der konventionellen Aufarbeitung des Tumorgewe- • HER2-positive Karzinome: Bei den HER2- bes eine Ausprägung der Hormonrezeptoren (Östrogen- und/oder Progesteron) auf. positiven Karzinomen ist ein Wachstumsfak- • Luminal-A-Karzinome: Die Untergruppe der Luminal-A-Karzinome, die sich tor auf der Zelloberfläche vermehrt vorhanden. durch eine starke Ausprägung des Östrogenrezeptors und Progesteronrezeptors an Diese Tumoren zeichnen sich ebenfalls durch Autorin der Zelloberfläche und somit durch eine besonders gute Prognose auszeichnet, ist einen aggressiven Verlauf aus. Erfreulicherwei- PD Dr. Beyhan Ataseven am besten charakterisiert. Meist sind diese Tumoren gut differenziert (G1) verbun- se wurden in den letzten Jahren für diesen Tu- Klinik für Gynäkologie & Gynäkologische den mit geringer Wachstumsgeschwindigkeit und entsprechend geringer Aggressi- mortyp neue Therapieinnovationen gefunden. Onkologie, Kliniken Essen-Mitte, vität. Die Prognose dieser Tumoren ist im Verbgleich zu den anderen Subtypen mit Heute besteht für diese Art von Brusttumoren Evangelische Huyssens-Stiftung Abstand am besten. eine zielgerichtete Therapiemöglichkeit („an- • Luminal-B-Karzinome: Die Luminal-B-Karzinome sind im Gegensatz dazu zwar ti-HER2-Therapie“), die zu sehr guten Heilungs- Henricistraße 92 ebenfalls Hormonrezeptor-positiv, jedoch zumeist nur gering. Verglichen mit Lumi- verbesserungen beitragen kann. Auch bei den 45136 Essen nal-A-Typen sind Luminal-B- Tumoren aggressiver, weisen ein geringeres Anspre- HER-2-positiven Tumoren zeichnen sich an der Tel.: +49 (0)201 174-34001 chen auf antihormonelle Therapie auf und haben eine schlechtere Prognose. Therapiefront weitere Heilungschancen ab, Fax: +49 (0)201 174-34000 zum Beispiel durch den Einsatz von dualer Blo- E-Mail: b.ataseven@kem-med.de ckade (Einsatz von zwei anti-HER-2-Antikör- 24 www.mammamia-online.de 25
2 – Zielgerichtete Therapien „Das Gießkannen- Um 1970 wurde der Östrogenrezeptor entdeckt, die „Antenne“ für das Hormon. Mehr als zwei Dennoch wurde viel an der Entwicklung neuer Medikamente gearbeitet, die einen anderen Wir- prinzip ist out“ Drittel aller Brustkrebstumoren haben Rezepto- kungsmechanismus als Tamoxifen und seine Ver- ren für weibliche Sexualhormone (Östrogen oder wandten haben. Zugelassen ist das Antiöstrogen Progesteron). Wenn Hormone an diese Molekü- Fulvestrant, das nach Bindung an den Rezeptor le binden, kommt es zu vielen verschiedenen Sig- dazu führt, dass dieser in der Zelle abgebaut wird Die Entwicklung zielgerichteter Therapien nalen in der Zelle. In Brustkrebszellen führen die- und somit auch nicht mehr aktiv werden kann. se Signalwege zu einem schnelleren Wachstum. Dies ist ein wichtiger Fortschritt für die Behand- Die Unterdrückung des durch Östrogene ausge- lung von Frauen mit Metastasen. Andere Medi- Krebsbehandlungen nach dem Gießkannenprinzip sind out. lösten Signalwegs ist ein sehr wirksamer Ansatz- kamente mit ähnlichem Wirkungsmechanismus Der Fokus der Wissenschaft liegt auf der individualisierten punkt für Medikamente, die dann das Wachstum sind in der Entwicklung. Tumortherapie. Immer mehr zielgerichtete Therapien wer- der Krebszellen hemmen. Es gelang, Verfahren den entwickelt. Neue Antikörper, kleine Moleküle („small für die Bestimmung der Hormonrezeptoren im Frauen nach den Wechseljahren, deren Eierstöcke molecules“) und Hemmsubstanzen unterschiedlicher Signal- Tumorgewebe zu entwickeln. Das war dann die keine Hormone produzieren, haben immer noch wege werden in der Brustkrebstherapie eingesetzt. Professor Grundlage für eine zielgerichtete Therapie: Es Östrogene im Blut, auch wenn die Konzentration Dr. Volkmar Müller vom Universitätsklinikum Hamburg Ep- wird untersucht, ob das Ziel vorhanden ist – und viel niedriger ist als vor den Wechseljahren. Krebs- pendorf erläutert im Gespräch mit Mamma Mia!, welche The- dann wird es blockiert. zellen gewöhnen sich an den niedrigen Östrogen- rapieoptionen heute zur Verfügung stehen und wo es noch spiegel und können so auch mit weniger Östro- Therapielücken gibt. genen weiterwachsen. Durch sogenannte Aroma- Tamoxifen bleibt für viele Situatio- tasehemmer kann die Östrogenbildung im Körper nen das Medikament der Wahl. gehemmt werden und so der Östrogenspiegel unter den von Frauen nach den Wechseljahren gesenkt Das erste Medikament, das gezielt gegen die Öst- werden. Das führt zu einer Wachstumshemmung Mamma Mia!: Herr Professor Müller, als erste rogenwirkung eingesetzt wurde, war Tamoxifen. von Krebszellen. Die Aromatasehemmer spielen zielgerichtete Brustkrebstherapie kann die Anti- Tamoxifen ist ein Antiöstrogen, also ein Medika- mittlerweile eine wichtige Rolle in der Behandlung hormontherapie bezeichnet werden, die gezielt ment, das an die Östrogenrezeptoren bindet und von Brustkrebs und sind eine wichtige Ergänzung zur Behandlung von hormonabhängigen Tumo- in Brustkrebszellen weitgehend die Aktivierung in unserem Therapiearsenal. Prof. Dr. ren eingesetzt wird. Wann wurde diese Thera- von östrogenabhängigem Wachstum hemmt. In Volkmar Müller pieoption entdeckt und wie hat sie sich seither einigen Zellen des Köpers wirkt Tamoxifen je- Klinik und Aromatasehemmer sind eine Poliklinik für weiterentwickelt? doch wie ein Östrogen. Man nennt dieses Medi- Gynäkologie kament deshalb auch einen selektiven Östrogen- wichtige Ergänzung in unserem Prof. Müller: Schon um 1850 wurde in medizini- rezeptor-Modulator (SERM). Das kann durchaus Therapiearsenal. schen Fachzeitschriften beschrieben, dass Brust- positiv sein, beispielsweise in den Knochen, wo krebs bei jüngeren Frauen in Abhängigkeit vom Östrogene vor Osteoporose schützen. In anderen Bei Frauen vor den Wechseljahren kann man Menstruationszyklus mehr oder weniger stark Organen, wie der Gebärmutter, ist das nicht so er- die Funktion der Eierstöcke ohne Operation mit wächst. Ein englischer Chirurg hat dann Fälle von wünscht. Es wurde beobachtet, dass Frauen un- Medikamenten ausschalten. Diese Medikamen- betroffenen Frauen beschrieben, bei denen nach ter der Einnahme von Tamoxifen häufiger Gebär- te heißen GnrH-Analoga und unterdrücken das einer Entfernung der Eierstöcke auch die Tumo- mutterkrebs entwickeln, auch wenn insgesamt Hormonsignal für die Produktion von Östrogen. ren kleiner wurden. Es hat dann weit mehr als die positiven Effekte des Medikaments eindeutig 100 Jahre gedauert, bis man anfing zu begrei- überwiegen und Tamoxifen für viele Situationen Grundsätzlich ist es ein Problem der Antihor- fen, welche Mechanismen hier zugrunde liegen. das Medikament der Wahl bleibt. montherapie, dass trotz vorhandener Rezeptoren 26 www.mammamia-online.de 27
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