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afrika-bulletin Nummer 178 Mai 2020 Fr. 7.– / Euro 7.– Afrikas Musik bewegt die Welt
Editorial Schon bei meinem ersten Forschungsaufenthalt in Ghana 1996 erweckte omnipräsente und unüberhörba- re Musik meine Neugier. Diese wurde weiter stimuliert, als ich bei der Archivforschung auf eine Sammlung von Musikaufnahmen aufmerksam wurde, welche die Basler Union Trade Company in den 1930er und 1950er Jahren in Ghana und Nigeria produziert hatte. In diesem Zusam- menhang durfte ich erstmals einen Beitrag zum Afrika- Bulletin beisteuern. Er hatte den Titel «Afrikanische Mu- sik – ein blühendes Geschäft» (Afrika-Bulletin August/ September 2001). Seit 2010 bin ich nun im Redaktions- komitee des Afrika-Bulletins aktiv, und immer wieder 2 Veit Arlt ist Geschäftsführer hiess es dort: «Wir sollten einmal eine Musiknummer des Zentrums für Afrikastudien. machen.» Hier ist sie nun. Seit 18 Jahren organisiert er Konzerte mit afrikanischen Der Tod von Afro-Funk und -Jazz Legende Manu Di- Musikern – schwergewichtig bango (Titelbild), der Ende März 84-jährig am Corona- Jazz aus Südafrika (Bild: Derek virus verstarb, ruft uns in Erinnerung, dass Musik ein Li Wan Po 2017). Kontakt: veit.arlt@unibas.ch. Exportschlager und unsere populäre Musik stark von Afrika geprägt ist. In seinem einleitenden Beitrag nähert sich David Coplan der Bedeutung und bewegenden Kraft von Musik in Afrika an und zeigt deren weltweite Wirkungsmacht auf. Im Afrika-Bulletin ist diese Musik dank den CD-Besprechungen von Pius Frey regelmässig präsent, und so freut es uns ganz besonders, dass er unsere Einladung zu einem persönlichen Rückblick auf die rund 25 Jahre, in denen er schon fürs Bulletin schreibt, angenommen hat. Der Jazz Südafrikas hat die Befrei- ungsbewegung im Land und ihre internationalen Able- ger angetrieben und begleitet. Der Journalist, Publizist und Kulturvermittler Richard Butz gehörte zu den ersten, Impressum der Konzerte für südafrikanische Musiker im Exil orga- nisierte. Bis heute ist er dieser Leidenschaft treu geblie- ben. In seinem Beitrag beleuchtet er die langjährige Ausgabe 178 | Mai 2020 Beziehung der Schweiz zum Jazz Südafrikas und gibt ISSN 1661-5603 Einblick in die aktuelle Szene. Pius Vögele, der jüngst Das «Afrika-Bulletin» erscheint vierteljährlich im 45. Jahrgang. seine Masterarbeit zum Thema Afrofuturismus abge- Herausgeber: Afrika-Komitee, Basel, und Zentrum für Afrikastudien Basel. schlossen hat, nimmt uns in seinem Beitrag zur südafri- Redaktionskommission: Veit Arlt, Susy Greuter, Elísio Macamo, kanischen Hip Hop-Künstlerin Yugen Blakrok auf eine Barbara Müller und Hans-Ulrich Stauffer Reise durch Science-Fiction und Poesie und schliesst Das Afrika-Komitee im Internet: www.afrikakomitee.ch damit den Reigen von der mächtigen globalen Wirkung Das Zentrum für Afrikastudien im Internet: www.zasb.unibas.ch afrikanischer Musik. Redaktionssekretariat: Beatrice Felber Rochat «Weder Krieg noch Frieden» so bezeichnet Hans-Ul- Afrika-Komitee: Postfach 1072, 4001 Basel, Schweiz Telefon: (+41) 61.692 51 88 | Fax: (+41) 61.269 80 50 rich Stauffer in unserem Hintergrundartikel die Situati- E-Mail Redaktionelles: afrikabulletin@afrikakomitee.ch on in der Westsahara und setzt damit ein Zeichen wider E-Mail Abonnemente und Bestellungen: info@afrikakomitee.ch das Vergessen. Noch immer hält Marokko den grössten Postcheck-Konto: IBAN CH26 0900 0000 4001 77543 Teil des Territoriums besetzt, und lebt ein Grossteil der Für Überweisungen aus dem Ausland: Sahrauis jenseits der Grenze im benachbarten Algerien. in Euro: Postkonto, IBAN CH40 0900 0000 9139 8667 9 (Bic SwiftCode: POFICHBEXXX; Swiss Post, PostFinance, CH-3000 Bern) Die Lage ist verzweifelt und selbst die UNO vermag Mitarbeitende dieser Ausgabe: Veit Arlt (Red.), Richard Butz, David Coplan, nichts dagegen tun, dass Marokko das zugesicherte Pius Frey, Elisa Fuchs, Susy Greuter (Red.), Barbara Müller (Red.), Hans-Ulrich Stauffer Referendum hintertreibt. (Red.), Pius Vögele Im Namen des Redaktionskomitees bedanke ich Druck: Rumzeis-Druck, Basel mich bei allen, die zu diesem Heft beigetragen haben. Ich Inserate: Gemäss Tarif 5/99, Beilagen auf Anfrage wünsche Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, nicht nur ei- Jahresabonnement: Fr. 40.–/Euro 40.– ne gute Lektüre, sondern lade Sie auch ein, in den so- Unterstützungsabonnement: Fr. 50.–/Euro 50.– Im Mitgliederbeitrag von Fr. 60.–/Euro 60.– ist das Abonnement enthalten. zialen Medien der unglaublichen Kreativität nachzuspü- Redaktionsschluss Nummer 179: 30. Juni 2020 ren, die Musikschaffende weltweit im Coronavirus-be- Schwerpunktthema: Bewegte Frauen dingten Lockdown an den Tag legen. Bleiben Sie ge- Schwerpunktthemen der nächsten Ausgaben: Klimawandel, Binnenmigration sund ! • Interessierte an einer Mitarbeit sind eingeladen, mit der Redaktion Kontakt Veit Arlt aufzunehmen. Unser Titelbild: Der legendäre Manu Dibango (hier am Festival Les Escales in St. Nazaire 2019) fiel Ende März 2020 dem Coronavirus zum Opfer (Bild: selbymay, wikimedia 2019).
Die Macht der Musik in Afrika Annäherung an ein universelles Phänomen Musik ist in Afrika seit jeher allgegenwärtig und macht. Und natürlich formt das Medium Musik stark die spielt in allen Lebensbereichen eine wichtige Botschaft im Text. Auf dem Gebiet von Medizin und Ge- bet können Heilung und göttliche Wohltätigkeit nur über Schwerpunktthema Rolle. Afrikanische Musik ist aber auch ein Export- musikalische Kommunikationskanäle gesichert werden. schlager. Der Musikethnologe David Coplan führt Im politischen Bereich wiederum sind Lieder, Lobreden in die Geschichte ein und schlägt einen Bogen bis und Geschichten das, was schlussendlich von Königen, Geistlichen, Propheten und Generälen bleibt. Auch heute hin zum aktuellen Musikschaffen. noch ist es keineswegs nur Arroganz, die Präsidenten dazu bringt, kritische Lieder zu verbieten und ihre Ver- fasser und Interpreten ins Gefängnis zu stecken. Die Musik gilt als eine der wenigen universellen Aus- Lieder werden als eine echte Bedrohung der Macht wahr- drucksformen. Ihr Einsatz – als Begleiterin anderer For- genommen und sind es effektiv oftmals auch. men oder zum «Selbstzweck» – ist so divers wie die 3 menschlichen Tätigkeiten an sich. In Afrika ist Musik mit Globale Wirkung allen Lebensbereichen verflochten, von der Selbstun- Womit wir bei der afrikanischen Kulturszene der Ge- terhaltung über die Kommunikation mit Tieren bis hin genwart angelangt sind. Ab den 1960er Jahren brachte zu Arbeit, Liebe, Religion, Medizin, Gruppenidentifika- die Unabhängigkeit zunehmend eine afrikanische Mu- tion, Politik und Krieg. Die frühesten und nachfolgen- sikindustrie auf die Weltbühne, die bereits in der Nach- den Wellen der Besiedlung Afrikas basierten auf dem or- kriegszeit erblüht war. Der weltweite «Wind of change» ganisierten sozialen Einsatz begrenzter und stets ge- beflügelte die rasche Weiterentwicklung von Aufnah- fährdeter menschlicher Ressourcen. Das Leben war ei- me-, Rundfunk- und Vertriebstechnik und beförderte die ne gewaltige Herausforderung und die Organisation von Entstehung globalisierender afrikanischer Musikstile, Arbeitskraft essentiell. Musik war sowohl Kunst als auch die hauptsächlich auf der berauschenden Mischung ka- Teil von Jagen und Sammeln, dem Knüpfen von Bezie- ribischer sowie west- und zentralafrikanischer Rhyth- hungen, der Tradierung von Erfahrungen, der Anerken- men und Melodien beruhen. Es war das Resultat von nung von Führerschaft und sozialer Hierarchie, der Hei- Freiheit. Menschen aus dem südlichen Afrika flohen lung von Krankheiten, der Stärkung von Individuum, Ge- vor der Unterdrückung durch Minderheitsregime in die meinsinn und Kampfesmut, und aller sozialer Bestre- USA und Grossbritannien und wurden zu Leuchtfigu- bungen. ren musikalischer und politischer Originalität und Wi- derstandskraft. Afrikas Exporte werden nach wie vor Begleiter in allen Lebenslagen von Rohstoffen dominiert, und nur wenige Innovatio- Es ist eine virtuelle Welt, die der Mensch durch Ge- nen oder Produkte haben einen Platz in der Weltwirt- sang erschafft und mit Instrumenten ausgestaltet. Durch schaft gefunden mit Ausnahme des kulturellen Bereichs. die Zeit reguliert, schafft sie ihren eigenen existenziel- Die explosionsartige Blüte der «Weltmusik» in den len Fluss und über die Abfolge und Muster fester Ton- 1980er Jahren wurde weitgehend von Genres und In- höhen formuliert sie eigene Erzählungen und Bedeu- terpreten mit Wurzeln in Afrika vorangetrieben, die auch tungen. In Afrika wurde niemand geboren, identifiziert, die wichtigste Unterkategorie – den «World Beat» – do- genährt, erwachsen, verheiratet, regiert, gepflegt, er- minierten. Ihre Exponenten und Exponentinnen waren zogen, gefeiert, in hohe Ämter eingeführt, verurteilt und nicht nur in den darstellenden Künsten plötzlich allge- bestraft, begraben oder verehrt, ohne dass dies von genwärtig. Mode (sowohl Design als auch Models), vi- Musik begleitet worden wäre. Indem Botschaften in Me- suelle Künste, Film und Fernsehen, Literatur, soziale Me- taphern und Melodien verborgen und verschlüsselt wur- dien: all diese Bereiche werden gegenwärtig von afri- den, sicherte Musik die poetische Freiheit, Raum für kanischen Kreativen befruchtet, die in der Vielzahl der Kritik und Autorität zu schaffen. So vermochte im süd- Länder, in denen sie derzeit wirken, eine kontinentale afrikanischen Kampf zur Überwindung der Apartheid Präsenz aufbauen. weder Repression noch Zensur den durch die Musik be- Heute tanzt die ganze Welt zu einem afrikanisch ge- förderten Widerstand zum Erliegen zu bringen. Um po- prägten Beat, während in Afrika Musiker und Musike- litisches Bewusstsein und Widerspruch auszudrücken rinnen ihre seit langem etablierte Rolle als soziale und musste ein Lied seine Bedeutung semantisch nicht of- politische Kritiker und Mobilisatoren wahrnehmen. In fenbaren, ja es konnte sogar ganz ohne Text auskom- einigen Fällen, wie zum Beispiel im Falle des ugandischen David Coplan ist Professor men. Aber genauso wichtig war die Kraft, die es dem Reggae-Stars Bobi Vine, geschieht dies sehr zum Miss- emeritus für Sozialanthro- kollektiven Geist zu vermitteln vermochte. Schon in den fallen der Machthaber. Es überrascht kaum, dass Vines pologie an der University 1970er Jahren antwortete mir Johnny Clegg auf die Fra- jüngste Veröffentlichung ein Reggae-Rap-Monolog mit of the Witwatersrand und hat zahlreiche Studien zu ge, warum schwarze Jugendliche trotz der blutigen Un- Handlungsanweisungen angesichts der Coronavirus- populärer Kultur und Musik terdrückung des Soweto-Aufstandes, so herzhaft tanz- Pandemie ist, oder dass 2012 in Senegal Macky Sall die verfasst. Sein Buch In Township Tonight ! (1985) ten und feierten: «Wir singen und tanzen bis zum Ende leidenschaftliche Unterstützung vieler beliebter Musiker war die erste Studie, des Wochenendes, damit wir uns am Montag wieder dem nutzte, um eine erfolgreiche Präsidentschaftskampagne die sich umfassend mit der Tränengas, den Schlagstöcken und Schusswaffen entge- zu starten. Es ist ein weit zurückreichendes, reiches Erbe, Musik und dem Theater des schwarzen Südafrikas genstellen können.» das Musik und Musikschaffende nach wie vor zu öffent- auseinandersetzte und In Afrika werden alle Wissensgeschenke in Musik licher Reflexion und sozialem und politischem Aktivis- wurde zu einem Meilenstein gehüllt. Die afrikanische Literatur und Geschichte bei- mus innerhalb der afrikanischen Gesellschaftsformati- der Ethnomusikologie. Den Text hat Veit Arlt spielsweise wurden in mündlichen Genres entwickelt onen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene übersetzt. Kontakt: und über Musik bewahrt und vermittelt, deren repetiti- beisteuern.• david.coplan@wits.ac.za. ve, rhythmische Form ungeschrieben Text einprägsam
Die populäre Musik Afrikas im Wandel der Ze Ein persönlicher Blick zurück Seit 1994 trägt Pius Frey, Mitbegründer der Transmission durch die Befreiungssbewegungen St. Galler Buchhandlung Comedia, mit Musikkri- Einen Schub zur Verbreitung der Musik gab auch der Kampf gegen die Apartheid und Spätformen des Kolo- tiken zum Afrika-Bulletin bei. Wir haben ihn ein- nialismus. Südafrikanische Musik, vom Jazz bis zur po- geladen, für dieses Themenheft auf das vergan- pulären Musik, wurde in noch nie dagewesenem Aus- gene Vierteljahrhundert zurückzublicken und mass vermarktet. Fusionen mit westlichen Musikschaf- fenden wurden fast alltäglich, und es entstanden einige die Entwicklung der afrikanischen Musik in die- grosse Hits. Immer mehr spezialisierte Plattenlabels wie ser Zeit in Bezug auf Stile, Inhalte, Produktion Earthworks, Shanachie, Real World, Lusafrica, sowie ver- und Verbreitung zu reflektieren. schiedene französische Labels wurden aktiv. Das Inte- resse an afrikanischer Musik stieg immer weiter. In St. Gallen entstand dadurch der Verein AfriKaribik, wel- 4 Schon zur Zeit des Kolonialismus gab es in einigen cher einige Jahre mit mehr oder weniger Erfolg aktuelle Ländern, so zum Beispiel in Kongo (dem späteren Zaire, Musik aus Afrika und der Karibik in die Schweiz brach- heute DRC) und Nigeria, eine rege Musikproduktion. te. Musik aus Nord- bis Südafrika und aus West- bis Ost- Grosse internationale Musikkonzerne hatten dort Stu- afrika war plötzlich greif- und hörbar, in ihrer ganzen dios und warfen eine enorme Menge Platten auf den Vielfalt, Traditionelles bis Modernes. Da war festzustel- Markt. Nur das Wenigste erreichte aber den internatio- len, dass westliche Hörgewohnheiten sich oft von afri- nalen Vertrieb, und wenn, dann nur über wenige spe- kanischen unterschieden. zialisierte Shops. Erst in den 1980ern kamen plötzlich Trommelmusik schlug ein – wenn möglich ohne Ge- unzählige Produktionen in den weltweiten Handel. Gros- sang – obgleich dies im Original so nicht vorkommt. se Plattenfirmen, wie etwa Island-/Mango-Records, wel- Oder die Musik wurde geschönt, verpoppt. So entpupp- che zunächst ins Reggae-Geschäft eingestiegen waren, te sich die Hoffnung von Island-Records, mit der Jùjú- lancierten viele Titel. Fela Anikulapo Kuti oder King Musik von King Sunny Adé (Nigeria) hier gross abzu- Sunny Adé aus Nigeria, der Ende März in Paris verstor- räumen, als Fehlschuss. Die Musik war zu komplex, zu bene Manu Dibango aus Kamerun, Osibisa aus Ghana radikal für die Mehrheit des westlichen Publikums. Ein und Miriam Makeba aus Südafrika seien hier genannt. bisschen besser lief es mit Fela Anikulapo Kuti. Dessen Dazu kamen Festivals und engagierte Menschen, wel- radikaler Afrobeat hatte funkige, jazzige Elemente, wel- che sich für die afrikanische Musik einsetzten. So Gün- che die Tanzbeine eher zum Vibrieren brachten. Zwar ter Gretz aus Frankfurt mit seinem Label pam (popular trennten sich grosse Plattenfirmen wieder von afrikani- african music), die Gruppe um das Piranha-Label in Ber- schen Interpretinnen, Interpreten und Bands, doch die lin. Und diese Liebhaber und Liebhaberinnen afrikani- Veröffentlichung der afrikanischen Musikvielfalt ging scher Sounds brachten Bands für Tourneen nach Europa. weiter. Dies ist dem Wirken unabhängiger Labels, Musi- kerkooperativen, der Unterstützung westlicher Musiker zu verdanken wie z. B. Damon Albarn von der englischen Die Band Konono No. 1 des 2017 verstorbenen Rock Band Blur oder Peter Gabriel mit seinem Projekt Augustin Mawangu Real World. Es ging dabei auch darum, den Musikern Mingiedi, faszinierte mit der Kombination und Musikerinnen eine garantierte Gage zu geben und aus Elektronik (innovativ Auftritte wie Produktionen zu ermöglichen, denn lange aus Recyclingmaterial Zeit wurde abgezockt und betrogen, was das Zeug hielt. erstellt) und Tradition. Der psychedelische, verzerrte Sound vermochte Musikalische Schatzsuche ein Publikum zwischen Endlich kam auch wunderbare Musik auf den Markt, Weltmusik, Elektronika und Rock anzusprechen welche jahrelang verschollen war, oder kurzfristig auf (Bild: Crammed Discs, obskuren Labels erschien. Liebevoll konzentrierten sich 2009). Produzenten und Produzentinnen auf das Entdecken und Wiederveröffentlichen. Die Labels Analog Afrika, Network (Rough Guide), STRUT oder out-here brachten und bringen nach wie vor Unerhörtes auf den Markt – alte und neue Musik aus den verschiedensten Regionen. Dazu öffneten Kenner ihre Sammlungen. So brachten Francis Falceto oder Werner Graebner die Schätze der äthiopischen Musik und des Taraabs der Swahili-Küste ans Licht. Endlich wurde eine prachtvolle Vielfalt greif- bar, was vorher nie möglich war. Neue Musikstile waren zu entdecken. Jazz aus Äthiopien, 1001-Nacht-Musik aus Sansibar, Melancholie von den Kap Verden oder Voodoo- Musik aus Benin. Einige Musikstile machten hier kurz ihren Siegeszug, verschwanden dann aber praktisch wie- der. Der nordafrikanische Raï mit seinen ergreifenden Gesängen sei hier als Beispiel genannt, oder auch die be- sondere Musik aus Madagaskar.
it Tatsächlich wurde es einigen vergessenen, aber grossen Bands möglich, neu zu starten, neue Aufnahmen zu machen und auf Tournee zu gehen. Denken wir an Ebo Taylor aus Ghana oder das Orchestre Poly-Rythmo de Cotonou aus Benin. Leider erschienen und erscheinen jedoch immer wieder obskure Kompilationen. Zusam- menstellungen, mit denen schnell Kohle gemacht wird und bei denen das Gefühl aufkommt, dass hier einfach geklaut, aber nichts bezahlt wird. Starke Frauenstimmen Auch im südlichen Afrika tat sich einiges. Aus Alt- bekanntem wurde Neues. Roots Reggae afrikanischer Prägung entstand. Denken wir an Lucky Dube, der tra- Césaria Evora «La diva aux pieds nus» machte gischerweise 2007 in Johannesburg ermordet wurde. nicht nur die kapverdische Neue Bands kamen mit viel Kraft und Kreativität, so die Morna sondern die ganze Band Mokoomba aus Zimbabwe. Und die Stimmen der Inselgruppe und ihre Geschichte weltweit be- Frauen mehrten sich: engagierte Sängerinnen, Musike- kannt (Bild Silvio Tanaka rinnen aus allen Regionen eroberten die Plätze und 2008, Wikimedia). wurden zu wichtigen Botschafterinnen für Frauenrech- te und Menschenwürde. All die grossen Sängerinnen aus Westafrika, wie Sona Diabaté, Oumou Sangare oder wickelte sich so noch nie Gehörtes. Dann die Verbin- Fatoumata Diawara; das Projekt Les Amazones d’Afri- dung von Elektronik mit Rap, Kwaito, Mzansi Music, que; Hope Masike und Busi Mhlongo aus dem südli- House, BLK JKS, Shangaan Electro, Shangaan Shake, chen Afrika, um nur ganz wenige zu nennen. Dazu wird BCUL, Jagwa-Music, Kizomo, Kudoro, Baloji, Ekiti die Bedeutung von Rap und Hip-Hop in all seinen Facet- Sound, Africa Express, DRC sind nur einige wenige ten immer bedeutender und in vielen Fällen in der Aus- Bands und Stile neuer afrikanischer und eben auch glo- sage sehr politisch und radikal. Ein Vorteil ist gewiss, baler Musik. dass schon mit einfachsten musikalischen Mitteln ge- Und der weltweite Erfolg des Afrobeats ist sogar rappt werden kann. Heute ist Rap ein unverzichtbarer hierzulande zu spüren. Begründet von Fela und Tony Teil der urbanen afrikanischen Musik. Überall erheben Allen gibt es heute überall, auch in der Schweiz, Bands, Rapper und Rapperinnen ihre Stimme – von den Herr- welche diesen radikalen Stil für ihre oft politischen Bot- schenden meist nicht gern gehört. Und junge Musike- schaften nutzen. Wahrlich, die afrikanische Musik lebt rinnen und Musiker erneuern die traditionelle Musik und brodelt, nimmt Neues auf, verbindet sich, stellt Tra- mit ihren speziellen Instrumenten erfolgreich. Aus Dau- ditionen in neue Gewänder. Das sieht auch schön, wer menklaviermusik und einfachsten Instrumenten wird be- die unzähligen Besprechungen im Afrika-Bulletin aus törende repetitive Musik, wie geschaffen für die neue über 25 Jahren durchschaut. Ob Pop, Tradition, Elektro Musikzeit. Von Congotronics bis Msafiri Zawose ent- oder Jazz – es tut sich was. • Pius Frey ist Mitbegründer der alternativen Buchhandlung Comedia in St. Gallen. Über den Verein AfriKaribik setzt er sich für afrikanische und karibische Kultur ein. Kontakt: pius.frey@bluewin.ch. Pius Frey mit der in Paris ermordeten Dulcie September (1935 –1988), der südafrikanischen ANC-Vertreterin für Frank- reich und die Schweiz, an der Krügerstrasse in St. Gallen am 19. November 1986. Bis zu deren tat- sächlichen Umbennung zur Mandelastrasse sollten noch viele Jahre vergehen (Bild: zVg.).
Der südafrikanische Jazz und die Schweiz Eine langjährige Beziehungsgeschichte Jazz im südlichen Afrika ist gut 100 Jahre alt. Ri- McGregor die Grossformation «The Brotherhood of chard Butz wirft Schlaglichter auf diese Ge- Breath», in der sich verschiedene britische und andere europäische Musiker mit den «Blue Notes» zusammen- schichte. Er berichtet von seiner über 50 Jahre finden. Die «Brotherhood» prägt, ähnlich wie das drei andauernden Beschäftigung mit und Liebe zu Jahre zuvor in Berlin entstandene «Globe Unity Orches- dieser Variante des Jazz, seiner Reise nach Süd- tra», den europäischen Free- und Avantgarde-Jazz mass- geblich mit. Die Geschichte der «Brotherhood» harrt afrika im letzten Februar und weist auf die lang- noch einer umfassenden Würdigung. Immerhin ist sie jährigen Verflechtungen mit der Schweiz hin. auf zahlreichen Alben, zu denen das grossartige «Live at Willisau» (Ogun, 1974) gehört, gut dokumentiert. Die Jazzwelt ausserhalb von Südafrika nimmt des- Erste Begegnungen mit südafrikanischem Jazz 6 sen Jazz erstmals zur Kenntnis, als der Trompeter und Der in Sankt Gallen lebende, damals knapp 20 Jah- Komponist Hugh Masekela (1939 – 2018) geschockt vom re alte Verfasser, Mitglied eines von ihm mitgegründe- Sharpeville-Massaker 1960 sein Heimatland in Richtung ten Jazzclubs, hört das «Dollar Brand Trio» mit Johnny London verlässt. Im gleichen Jahr zwingt das Apartheid- Gertze (Kontrabass) und Makaya Ntshoko (Schlagzeug) Regime die Sängerin Miriam Makeba (1932– 2008) für zum ersten Mal im «Africana» und ist tief beeindruckt. 30 Jahre ins Exil. Auch weitere Musiker verlassen Süd- Diese Musik ist anders als der amerikanisch-orientierte afrika. Nur wenigen Jazzinteressierten ist zu dieser Zeit Swing- und Bebop-Jazz. Der Rhythmus ist treibend, die bewusst, dass die Anfänge des Jazz in Südafrika auf die Melodien sind bitter-süss und manchmal hymnisch. Die 1920er Jahre zurückgehen und sich eine vielfältige und Einflüsse etwa von Thelonius Monk und Duke Ellington bis heute lebendige Jazzszene entwickelt hat. sind unüberhörbar, werden aber eigenständig verarbei- alle Bilder: Kellerkonzert mit Dollar Brand, Sathima Bea Benjamin, Johny Gertze, Dollar Brand (Abdullah Ibrahim) tet. Die Pianistin Irène Schweizer hört im «Africana» oft Makhaya Ntshoko in kommt nach Zürich zu. «Dollar hat», erinnert sie sich, «so hymnisch gespielt St. Gallen. Abendessen gabs Im Zürcher «Jazzcafé Africana» nimmt im Jahre und dann wieder ganz ruhig, das war wirklich Balsam «bei Muttern» – mit im Bild der damals 20jährige Autor 1962 die weltumspannende Karriere des Pianisten und für meine Seele.» Der Entschluss, Dollar Brands Trio für (Bild: Richard Butz 1962). Komponisten Dollar Brand, der sich nach seinem Über- ein Konzert nach Sankt Gallen zu holen, ist bald ge- tritt zum Islam Abdullah Ibrahim nennt, ihren Anfang. fasst. Das Konzertplakat ist handgemacht, der Eintritt Zwei Jahre später folgen ihm die «Blue Notes» ins «Afri- beträgt 3.30 Franken, das Abendessen findet «bei Mut- cana». Das Sextett des Pianisten Chris McGregor tern» statt. Gespielt wird in einer Kegelbahn, das Kla- (1936–1990) besteht aus Dudu Pukwana (Altsax), Nikele vier ist heruntergespielt und leicht verstimmt. Dieser Moyake (Tenorsax), Mongezi Feza (Trompete), Louis erste Auftritt des Trios in Sankt Gallen wird – trotz den Moholo (Schlagzeug) und Johnny Dyani (Kontrabass). eigentlich unwürdigen Bedingungen – zu einem gros- Moyake kehrt, von einer tödlichen Krankheit gezeichnet, sen Erfolg. Ein zweites, wiederum begeistert aufgenom- nach Südafrika zurück. Die anderen «Blue Notes» ziehen menes Konzert, dieses Mal in einem ehemaligen Wein- schon bald nach London, geben aber zuvor noch ein keller, folgt schon bald. Neu ist die Sängerin Sathima fantastisches Konzert im thurgauischen Bischofszell. Bea Benjamin (1936 – 2013), die 1965 den Pianisten hei- London wird das Zentrum der südafrikanischen Jazz- ratet, mit dabei. Sankt Gallen wird für Abdullah Ibra- Diaspora. Vor allem sind es die «Blue Notes», die mit him zu einem immer wieder gerne aufgesuchten Kon- ihren regelmässigen Gigs im alten «Ronnie Scott’s Jazz zertort. Es sind bis heute, nebst einigen privat gespiel- Club» die britische Jazzszene beleben. 1969 gründet ten Konzerten, mindestens zehn Auftritte dokumen-
tiert. Wenig bekannt ist: Das vom Pianisten im Duo mit dem Kontrabassisten Johnny Dyani aufgenommene Al- bum-Glanzstück «Good News from Africa» ist zuerst auf Schwerpunktthema dem kurzlebigen Sankt Galler Label «Cameo» erschie- nen und wurde später an das Label «Enja» verkauft. Weitere persönliche Begegnungen mit südafrikani- schem Jazz folgen in London und in der Schweiz bei Konzerten des inzwischen als verschollen geltenden Altsaxofonisten Joe Malinga. Auf dem Album «Ithi Gqi» (Brambus) ist nachzuhören, wie tief im Südafrikanischen verwurzelt dieser Musiker war. 2020: Reise-Notizen aus Südafrika 7 Es dauert fast sechs Jahrzehnte, bis der Verfasser erstmals eine Reise nach Südafrika unternehmen kann. Als Hintergrund dienen zwei Bücher des südafrikani- schen Musikers, Produzenten und Publizisten Struan Douglas *. Er teilt im zweiten Band den südafrikanischen Jazz in fünf Abschnitte oder Generationen ein: Die «gol- dene Ära» (z. B. Hugh Masekela), die «Zeit des Exils» (z. B. Dollar Brand, «Blue Notes»), die «Befreiungskampf-Ge- neration» (z. B. der Pianist Bheki Mseleku), die «befreite Live-Begegnungen in Johannesburg Generation» und die «neue Generation». Eine wichtige In einer Kneipe im Johannesburger Stadtteil Mel- Figur der vierten Generation ist beispielsweise der Bass- ville jammt einmal wöchentlich der Trompeter Marcus gitarrist und Komponist Carlo Mombelli, der ab dem Wyatt mit jüngeren Musikern zusammen, so etwa mit Jahre 2009 wiederholt in der Schweiz zu hören ist. Das dem virtuosen Gitarristen Keenan Ahrends oder dem vor kurzem erschienene Album «Live at the Birds Eye hart swingenden Schlagzeuger Peter Auret. Auch Wy- 2009 – 2018» (Mombelli Music) ist dafür ein eindrückli- att ist seit einer Residency in Basel im Jahr 2012 immer cher Beleg. In einem Gespräch in Johannesburg weist wieder in der Schweiz unterwegs. Jazz habe es nicht Mombelli auf eine vibrierende Szene hin, die aber mit immer leicht, meint er im Gespräch, aber die Szene sei vielen Schwierigkeiten zu kämpfen habe. Es fehle an trotzdem lebendig. Ein Grund für die Schwierigkeiten Auftrittsmöglichkeiten, an Geld und an gut funktionie- für Live-Jazz ist laut Shane Cooper die finanzielle Lage renden Plattenlabels. Aktuell produzieren die meisten vieler Menschen in Südafrika, denen schlicht das Geld Musiker und Musikerinnen ihre Alben selber, zuneh- für den Besuch von Live-Konzerten fehle. Eindrücklich mend auf Vinyl. Die Probe aufs Exempel gibt Mombelli ist die Vermittlungsarbeit, die Sifiso Ntuli und seine Frau recht. In vier aufgesuchten Plattenläden sind nur weni- Ashley in der «Roving Bantu Kitchen» im Stadtteil Brix- ge CDs zu finden, Vinyl dagegen ist gut vertreten. ton leisten. Hier treffen Musik, Kunst, Literatur, Film und afrikanische Küche aufeinander. Bei einem Besuch Zwischenruf: verbindet sich ein nigerianischer Gitarrist und Sänger Die Südafrika-Schweiz-Connection mit Musikern aus Johannesburg. Unvergessen bleibt ein Zur vierten Generation gehört für Struan z. B. der Auftritt voller Drive und musikalischer Tiefe des Pianis- Drummer Kesivan Naidoo, der neuerdings in der Schweiz ten Nduduzo Makhathini mit einem Quintett im Club lebt und auf dem Album «Beat Bag Bohemia» (Intakt) zu «54 Houses of Africa». Makhathini ist ein sehr spirituel- hören ist. Er wie Mombelli sind des Lobes voll für die ler Musiker, hervorgegangen wie viele andere aus dem Vermittlungsarbeit von Veit Arlt, Geschäftsführer des «Zimology Institute» des legendären und viel zu früh Basler «Zentrums für Afrikastudien». Nirgends ausser- verstorbenen Saxofonisten Zim Ngqawana (1959 – halb ihrer Heimat, finde, mit Ausnahme von Grossbri- 2011). Zu berichten wäre auch über ein aufschlussrei- tannien, ihre Musik so viel Zuspruch wie in der Schweiz, ches Gespräch mit dem Pianisten Bokani Dyer, der von sagen beide übereinstimmend. Ein Ergebnis dieser Ver- seinen Auftritten in der Schweiz schwärmt. Zu schrei- mittlungsarbeit ist das Zusammenfinden von Schwei- ben wäre noch über eine Vielzahl von Musikern und Mu- Richard Butz ist Publizist, zer Jazzmusikern mit Kollegen und -innen aus Südafrika. sikerinnen. So etwa über den Pianisten und Komponis- Buchautor und Kultur- Schon der Schlagzeuger Makaya Ntshoko hat in Basel ten Paul Hanmer, der demnächst in der Schweiz seine vermittler in Sankt Gallen, wo er die Konzertreihe eine Heimat gefunden, ist etwa mit Andy Scherrer, Irène Zusammenarbeit mit dem in Luzern lebenden klassi- «kleinaberfein.sg» organi- Schweizer oder Omri Ziegele aufgetreten und hat mit schen Klarinettisten und Landsmann Robert Pickup siert. In den 1960ern ihnen Alben aufgenommen. Bei den «Rainmakers», dem vorstellen wird. Und über Kyle Shepherd (Piano), Siya arbeitete er als Buchhändler am Fourah Bay College Quartett des Kontrabassisten Bänz Oester, wirken Afrika Makuzeni (Gesang), Thandi Ntuli (Piano), Herbie Tsoae- (University of Sierra Leone). Mkhize (Piano) und Ayanda Sikade (Drums) mit. Naidoo, li (Bass) oder den Altmeister Hilton Schilder (Piano) und Kontakt: buewik@bluewin.ch. der Pianist Kyle Shepherd und der Bassist Shane Cooper und . . . bilden mit Marc Stucki (Sax) sowie Andreas Tschopp (Posaune) das Quintett «Skyjack». Der Schlagzeuger Download: Auf unserer Webseite stellen wir eine Liste Dominic Egli arbeitet regelmässig mit dem stilbilden- mit Hörempfehlungen von Richard Butz zum Download zur den Trompeter Feya Faku zusammen – die Liste wird Verfügung: www.afrikakomitee.ch/afrika-bulletin ständig länger.
Afrofuturismus und südafrikanischer Hip Hop Yugen Blakroks Sonic Fictions Der Film Black Panther öffnete einem breiten Publikum die Augen für ein Phänomen, das schon seit den 1990er Jahren als Afrofuturismus diskutiert wird, und das sich als Teil des afro-amerikanischen Kunst- schaffens bis in die Harlem Renaissance zurückverfolgen lässt. Pius Vögele gibt anhand des Werks der südafrikanischen Rapperin Yugen Blakrok Einblick in eine faszinierende Welt. Als 2018 die Blockbuster Verfilmung Black Panther und Musik, darunter die Novelle Der Komet von W.E.B. weltweit Wellen schlug und sich ausgehend von der DuBois (1920), ein frühes Science-Fiction Gedankenex- afro-amerikanischen Bevölkerung in der gesamten af- periment. Am stärksten geprägt ist dieser Kanon aber rikanischen Diaspora wie auch in Afrika selbst rund um von den drei Musikern Sun Ra, Lee Perry und George den Film im Prozess der positiven Selbstidentifikation Clinton. Alle drei haben beinahe unabhängig voneinan- 8 eine virale Bewegung bildete (#Wakandaforever), nahm der in ihre täglich gelebten Performances theatralische der Soundtrack zum Film eine wichtige Rolle ein. Ken- Elemente eingebaut, um damit eine ausserirdische Iden- drick Lamar hatte dafür zu gleichen Teilen amerikani- tität zu kreieren. Sun Ra war neben Ray Charles der sche und afrikanische Künstlerinnen und Künstler en- erste Musiker, der elektronische Pianos für die Aufnah- gagiert. Dieser Schachzug des selber im Mainstream men mit seinem Intergalactic Space Arkestra verwen- etablierten Musikers war besonders lobenswert, da er dete, und er experimentierte Zeit seines Lebens mit so weniger bekannten Stimmen über Nacht eine Platt- Synthesizern aller Arten sowie mit selbst gebauten Ins- form und damit ein globales Publikum bot. Das Maga- trumenten. Dies fand wohl seinen Höhepunkt mit dem zin Rolling Stones war insbesondere von der Einlage der OVC (Outer Space Visual Communicator), eine eigens südafrikanischen Rapperin Yugen Blakrok begeistert, für Sun Ra entwickelte analoge Maschine, welche die welche in den Augen der Kritikerin Jody Rosen sämtli- gespielten Musiktöne synchron in psychedelisch-visu- che amerikanischen Grössen in den Schatten stellte. Da- elle Farbmuster wandelte und projizierte. Aber auch mit liess Rosen implizit auch Kendrick Lamar Lorbee- andere technische Komponenten wie der Vocoder, ein ren zukommen, denn dieser hatte sich augenscheinlich Stimmenverzerrer, oder Hall-Effekte wie das legendäre etwas Grösserem untergeordnet. Aber was war dieses Space Echo, wurden gezielt dazu eingesetzt, um das Grössere? Studio in ein Raumschiff zu verwandeln und damit mu- sikalisch durch Raum und Zeit zu reisen. Futurismus als Programm Sun Ra wandelte auf der Erde als pharaonische Re- Die Vision einer afrikanischen Nation, die aufgrund inkarnation vom Planeten Saturn und mythologisierte ihrer technologischen Überlegenheit von der europäi- somit sein eigenes Leben, wozu er sowohl sein Geburts- schen Kolonialisierung nicht betroffen wurde, war nicht datum als auch seinen Geburtsort verschleierte. Der An- nur utopisches Zukunftsszenario, sondern auch histo- eignung von altägyptischer Symbolik und Mythologie rische Revision. Die Dekolonisierung sowohl der Ge- in Kombination mit futuristischer Vorwärtsgewandtheit schichte als auch der Zukunft ist eine charakteristische und Technologiebegeisterung lag somit das Aufheben Eigenschaft des Afrofuturismus, ein weit umfassender zeitlicher Linearität zugrunde, wie auch ein Verschwim- Begriff, der plötzlich in aller Munde war. Der Terminus men der Trennlinie zwischen Rationalität und Irrationa- wurde 1994 von Mark Dery geprägt und verbreitete sich lität. George Clinton von der Band Funkadelic landete rasch. Dery versuchte der Frage nachzugehen, wieso mit dem Mutterschiff auf der Erde, Lee Perry tüftelte an es relativ wenige afro-amerikanische Schriftsteller gab, Raum und Zeit auflösenden Dubs in seinem Black Ark die Science-Fiction schrieben, wobei er gerade die Le- Studio – viele dieser Elemente hatten eine starke Strahl- bensrealitäten der afro-amerikanischen Bevölkerung wirkung und wurden teilweise aufgegriffen, als sich nahe an solchen fiktiven Szenarien verortete und darin die Hip Hop-Kultur zu manifestieren begann. Die inno- ein grosses Potential für dieses Genre erkannte. Dery vative Verwendung von technischem Equipment für die hob hervor, dass wesentliche Merkmale der Science Produktionen (z. B. Scratching und Sampling), das pha- Fiction wie Verfremdung und Defamiliarisierung prak- raonische Auftreten von Afrika Bambaataa, oder der tisch deckungsgleich seien mit der Geschichte der Ver- elektrische Boogietanz, welcher Roboterbewegungen schleppung von afrikanischen Menschen in die Verskla- imitierte, können allesamt in diese Tradition eingeord- vung in den Amerikas. Diese Geschichte ist geprägt von net werden. Somit ist es letzten Endes kaum erstaun- Rassismus, welcher von der Sklaverei über unethische lich, dass der Black Panther Soundtrack vorwiegend auf Versuche, wie der Syphilis-Studie des nationalen Ge- dieses Genre aufbaut. sundheitsdienstes an 600 schwarzen Farmpächtern in Die Wahl von Yugen Blakrok war äusserst treffend. Tuskegee zwischen 1932 und 1972, und unrechtmäs- Mit ihrem Debut-Album The Return of the Astro-Goth sige Polizeigewalt gegenüber der schwarzen Bevölke- (Iapetus Records, 2013) machte sie sich in der interna- rung, bis in die heutige Zeit anhält. tionalen Untergrundszene einen Namen. Das Johannes- burger Label Iapetus Records ist benannt nach einem Das Erbe von Sun Ra der 62 Monde, die den Saturn umkreisen, und fügt sich Es zeigte sich, dass Afrofuturismus einem Phäno- damit in eine Linie ein, die sich direkt auf Sun Ras Erbe men eine Begrifflichkeit bot, das schon wesentlich frü- bezieht. Zudem bedient sich Yugen Blakrok in ihren her im Kunstschaffen afro-amerikanischer Menschen Texten gängiger afrofuturistischer Tropen. Mit ihren Ausdruck fand. In der Retrospektive formte sich nach Referenzen zu griechischer Mythologie, buddhistischen und nach ein Kanon von Literatur, bildnerischer Kunst Konzepten, Okkultismus und Verweisen quer durch die
links: Der Science Fiction-Film Black Panther befeuerte mit seinen futuristischen Visionen über Afro- Futurismus (Bild: Marvel Studios 2018). rechts: Die Grafik von Yugen Blakroks Albums Anima Mysterium verweist wie ihre Musik auf die Welt des Afrofuturismus (Bild: Christopher Terhart/ Iapetus Records). Populärkultur zu Science Fiction Filmen oder zum Beat- zugeordnet ist, wird zur höchsten rationalen Logik. In Poeten William S. Burroughs entwickelt sie dabei einen der folgenden Textstelle lässt sich zudem eine weitere ganz eigenen Stil. Dessen herausstechendes, wesent- für den Afrofuturismus wesentliche Referenz heraus- liches Charakteristikum ist u.a. die Vereinigung von In- arbeiten: nerlichkeit mit dem Weltraum mittels der konzeptuel- len Metapher «der Weltraum ist ein Ozean». Seeing without being seen, chasing phantasms Through libraries of portals, arranged in bizarre Cyborg erforscht Anderwelten fashions Der Song Opps, in welchem Yugen Blakrok neben Moving faster than the speed of light – Kendrick Lamar und Vince Staples den dritten Vers über- time-lapsing nimmt, greift bereits einige dieser Aspekte auf. Yugen And grabbing the stone tablets stilisiert sich als transhumanides Wesen zwischen Cy- A thief in the night, passing borg, Löwin und einer ein Lichtschwert tragenden him- mlischen Kriegerin, wobei sich jedoch die Unterwas- Die Zeilen evozieren den Datendieb aus dem Essay- serwelt des weiten Ozeans als Resonanzraum auftut, film Der letzte Engel der Geschichte (1998), produziert der mit starker Symbolkraft aufgeladen ist. Das Habi- von der Black Audio Film Collective unter der Regie von tat, worin sich Yugen Blakrok bewegt, ist aus afrofutu- John Akomfrah, in dem Kritiker wie Kodwo Eshun zu ristischer Perspektive angelehnt an die Unterwasser- Wort kommen, um verschiedene Musikströmungen mit welt der Detroiter Technopioniere Drexcyia. In den Liner afrikanischen Wurzeln und deren afrofuturistische As- Notes des Albums The Quest (1997) zu deren ansons- pekte zu diskutieren. Der Datendieb reist durch die Zeit ten gänzlich ohne Worte auskommenden elektroni- und sammelt Fragmente, um dem Schlüsselwort mother- schen Musik erschufen Drexciya einen Mythos von ship connection auf den Grund zu gehen, und landet amphibisch-humanoiden Wesen: Mutierte Nachfahren schliesslich in Afrika. Yugen Blakrok tut dies dem Da- von auf der Mittelpassage über Bord geworfenen tendieb gleich. Auf ihrer Jagd nach Steintafeln, die so- schwangeren Sklavinnen machten ihren ersten Atem- wohl auf Moses verweisen als auch auf Thot, den alt- zug unter Wasser und leben seither mit Kiemen und ägyptischen Gott der Schrift und der Hermeneutik, reist Speerharpunen gerüstet in den Tiefen des Atlantiks – sie durch diverse Portale. Bibliotheken, und damit Bü- dem Black Atlantis. Am Ende ihres Verses eröffnet sich cher und Schrift, letzten Endes aber auch das gespro- mit dem Selbstvergleich mit Kathleen Cleaver eine re- chene und sogar das gedachte Wort, verwandeln sich volutionäre Position durch deren Assoziation mit der in Zeitmaschinen. militanten Black Panther Partei. Während dieser Bezug In Yugen Blakroks Musik lebt damit Sun Ras Erbe als Eigenheit des Black Panther Soundtracks einzuord- weiter. Sowohl für Sun Ra als auch für Yugen Blakrok nen ist, kommen die aquatischen Metaphern rund um dient Musik als Vehikel zum Ausdruck universeller Lie- submarine Gefilde auch in Yugen Blakrok’s zweitem be, was deren gemeinsame Ablehnung irdischer Gren- Album Anima Mysterium (2019) zur Anwendung. zen unterstreicht. Die Entwicklung der kommenden Exemplarisch dafür ist der Song Monatonic Mush- Jahre wird zeigen, ob und wie sich dieses «kosmospoli- room, in dem kosmische Dimensionen und planetari- tische» Bewusstsein, welches ihre Musik transportiert, sche Wirkungsfelder der Astrologie mit einer Innerlich- in der breiten Gesellschaft abzeichnen wird. • keit verfliessen – den Wogen des inneren Ozeans. Yu- gen Blakrok erforscht nie zuvor gesehene Welten – An- derwelten, welche parallel zu unserer sichtbaren Wirk- Pius Vögele hat sein Studium der Anglistik und Geschichte an lichkeit existieren – und hebt dabei Gegensätze inein- der Universität Basel jüngst mit einer Masterarbeit zu Afrofuturismus abgeschlossen. Als Hilfsassistent am Zentrum für Afrikastudien ander auf. Das Delirium, als Rausch, der Sinne und wirkt er regelmässig im Hintergrund am Entstehen des Afrika- Verstand raubt und somit traditionell der Irrationalität Bulletins mit. Kontakt: pius.voegele@unibas.ch.
Afrika in Kürze Urbanisierung Malawi Äthiopien und Ägypten 60 Prozent in Elendsquartieren? Die Wahlkommission ist Einigung über den Blauen Nil? Schon jetzt lebt möglicherweise nicht (mehr) sakrosankt Seit 14 Jahren schon wird in die Mehrheit der Bevölkerung im sub- Zum zweiten Mal in Afrikas Äthiopien der dereinst grösste Stau- saharischen Afrika in Städten, denn Geschichte ist der Rekurs der Opposi- damm für Hydroelektrik geplant, seit nicht allen Stadtverwaltungen ist tionsparteien gegen ein Wahlresultat neun Jahren auch gebaut – und über bekannt, wieviele Menschen sie eigent- vom obersten Gericht gutgeheissen all diese Jahre gab es «Verbote», lich bedienen müssten. Vor allem worden (siehe Afrika-Bulletin 169). Die Proteste vor der UNO und Drohungen die Haupt- und Grossstädte haben sich Richter befanden, dass das Wahlver- durch Ägypten gegen diese Mega- 10 durch informelle Ansiedlung von fahren an sich so schludrig organisiert Investition. Letzteres berief sich Land- und Kriegsflüchtenden ausgewei- war, dass dem Resultat nicht zu trauen zunächst auf einen «Vertrag» mit der tet und wachsen auch wegen des sei, und die Wahl deshalb wiederholt englischen Kolonialverwaltung des Klimawandels weiter an. In Nairobi werden müsse. Der bisherige Präsident Sudan aus dem Jahr 1929, der Sudan wohnen 60 Prozent der Bevölkerung Mutharika war, mit einem Wahlvor- und Ägypten sämtliche Wasserrechte in improvisierten, ungeplanten sprung von kaum drei Prozent, im über den Nil zuschrieb und letzterem Quartieren. Kinshasa, das vier Jahre vergangenen Mai bereits eingeschwo- ein Vetorecht gegenüber Bewirtschaf- von einem Kontinentalkrieg umtost ren und ein Kabinett gebildet worden, tungen am Oberlauf verlieh. Dieses war, dürfte diese Quote bei Weitem das seither die Regierung führt. Die Dokument hielt allerdings bei Verhand- übertreffen. Das Anwachsen der Städte Richter beanstandeten jedoch gerade, lungen (die in den letzten Jahren unter ist also gerade nicht, wie in der euro- dass entgegen der Verfassung der amerikanischer Obhut geführt wurden) päischen und asiatischen Geschichte, Gewählte keine absolute Mehrheit (also nicht lange stand, sodass Ägypten durch eine Nachfrage nach Arbeits- über 50 Prozent der Stimmen) erreicht seine eigentliche Sorge darlegen kräften aufgrund neu entstehender und die Wahlkommission mit ihrer musste: Ein Staudamm verringert die Industrie begründet. Fabriken, die Ernennung des bisherigen Präsidenten Wassermenge am Unterlauf eigentlich Gebrauchsgüter herstellten, sind in eine Stichwahl umgangen hatte. Somit nicht – ausser in der Zeit, in der er Afrika aufgrund der eher gezwunge- muss vor Juli 2020 erneut eine Wahl angefüllt wird. Da der Blaue Nil aus nermassen eingeführten Freihandels- stattfinden. Die Opposition will diese dem äthiopischen Hochland der abkommen grossenteils abgebaut mit einem Bündnis bestreiten und grösste Wasserträger ist (das Wasser worden. Die Bewohnerinnen dieser hat somit gute Chancen. Egal wie des Weissen Nils verdampft hingegen informellen neuen Quartiere sind also einschneidend das Ereignis schlussend- zu grossen Teilen in den Sümpfen meist auch nur informell oder prekär lich für Malawi sein wird, es wird die zwischen Süd-Sudan und Sudan) und beschäftigt und daher nicht imstande, Art und Weise bestimmen, wie Wahl- der Damm 70 Milliarden Kubikmeter sich genügend Baugrund, stabiles kommissionen in ganz Afrika an fasst, könnte sich während des Auf- Baumaterial und Fachleute zum Bau die Organisation ihres Geschäfts füllens die Restwassermenge stark ihrer Unterkünfte zu leisten. Somit herangehen. • reduzieren. Nachdem die übrigen leben 60 Prozent der Einwohner Anrainerstaaten den Dammbau dank Nairobis sehr beengt in Hütten aus der Aussicht auf Stromlieferungen Wellblech, Plastik und Bruchholz auf begrüssen, musste Ägypten in den nur zehn Prozent der Stadtausdehnung. Verhandlungen seine Anliegen auf Auch nachträglich wird selten Infra- diese Auffüllzeit konzentrieren. Nun, struktur wie Wasser- und Stromleitun- da der Damm fast fertig gebaut ist, gen, geschweige denn eine Kanali- wurde endlich eine Einigung erreicht: sation in diesen Quartieren errichtet. Äthiopien verpflichtet sich, in Zeiten Wenn sich das Stadtbauamt einmal einer Dürre im Sudan oder Ägypten mit diesen befasst, dann um Parzellen ein höheres Volumen an Restwasser für städtische Bauten oder gar private abfliessen zu lassen. Im Juli 2020 soll Interessenten zu sichern – da fehlt oft die Stauung für den See beginnen, jede Rücksicht: Amnesty International dessen Druck dereinst jährlich 6000 rechnet vor, dass im Süden Nigerias Megawatt elektrischen Strom produzie- in den vergangenen zehn Jahren an die ren soll. • zwei Millionen Slumbewohner ent- schädigungslos vertrieben wurden. Wofür einst das Apartheidregime in Südafrika berüchtigt war, passiert nun in ähnlicher Form in Lagos, Addis Abeba, Nairobi und anderswo. •
Mozambique Coronavirus Afrika in Kürze Nur ausländische Journalisten Gesundheitssysteme aufgrund spricht wieder einmal aus, dass die dürfen von «Krieg» sprechen der Strukturanpassungsprogramme hohe Verschuldung, respektive die Was vor einem Jahr noch verein- zu schwach Zinspflichten, die Gesundheitsbudgets zelte Terrorakte von kleinen, islamis- Experten zeigten sich erstaunt, schrumpfen liessen. Er erklärte, dass tisch gefärbten Banden waren, hat dass im sub-saharischen Afrika die Ver- er eine substantielle Hilfe von den G20- sich zu einem eigentlichen Aufstand in breitung des Coronavirus noch immer Staaten erwarte. Der IWF sicherte der nördlichsten Provinz Mozambiques, relativ gering ist. Ausser in Südafrika inzwischen eine Stundung der Zinszah- Cabo Delgado, entwickelt. Schon im sind noch keine exponentiellen lungen von 19 überschuldeten Ländern 11 Januar zogen gutbewaffnete Truppen Zunahmen zu bemerken, sodass in Afrika zu. Die AU hat eine Task Force brandschatzend und relativ ungehin- Fachleute leise hoffen, dass vielleicht mit hochrangigen Experten aufgestellt, dert von Dorf zu Dorf. Inzwischen das heisse Klima oder auch die um entsprechende Forderungen und scheint ihre Motivation weniger religiö- Jugendlichkeit der Bevölkerung einen eine weitergehende Schuldenstrei- ser Fanatismus, als wütende Gegner- gewissen Schutz gegen die gefürchtete chung der G20, der EU und der Finanz- schaft gegen die staatliche Politik zu Explosion bietet. Man wagt gar nicht institute zu begründen. Zu den sein. Tatsächlich lässt diese sehr wenig sich vorzustellen, was das hochan- Experten gehört auch Tidjane Thiam, Einsicht in oder gar Rücksicht auf die steckende Virus in den engen, unhygie- der frühere CEO von Credit Suisse – Probleme der Bevölkerung erkennen: nischen, kaum versorgten Shanties Erfahrungswissen ist also gesichert. • Die grossflächigen Landvergaben rund um die grösseren Städte vieler an Bergbau- und Agrarfirmen und von Länder anrichten könnte. Seit einigen Fischereirechten an ausländische Tagen sind nun in fast allen Ländern Gesellschaften, das Durchgreifen der Massnahmen ergriffen worden, nach- Ultrakurz Polizei gegen handwerklichen Rubin- dem zuvor über vier Wochen fast abbau ebenso wie gegen Proteste der überall strenge Gesundheitskontrollen Jugend, die sich Jobs bei den anlaufen- und sogar Zwangs-Quarantäne für Kweku Aboboli, der UBS-Invest- den Infrastrukturbauten für die Gas- zurückkehrende Reisende eingeführt ment-Banker in Singapore, der 2012 förderung erhofft, zeugen von blinder worden waren. Mehrere Länder aufgrund seiner betrügerischen Arroganz. Es ist dieselbe Jugend, die schlossen ihre Grenzen, Südafrika will – Verluste in England in Haft kam, wurde sich nun mit Geldern unbekannter zum strengen Lockdown hinzu – einen in seine Heimat Ghana abgeschoben. Herkunft für immer bedeutendere Grenzzaun gegen Zimbabwe errichten, Hier bekundete er seinen Plan, ein Aktionen der Aufständischen rekrutie- um den regen Grenzverkehr zu brem- Hypotheken-System einzuführen und ren lässt. Sie gipfeln zurzeit in sen. Für einmal scheinen sich viele so heimisches Kapital zu binden. • mehrtägigen Besetzungen von kleinen Regierungen bewusst, wie heikel die — Städten (Mocimboa, Quissanga), und gängige Massierung von Leuten auf In Angola verfügte ein Gericht die nähern sich immer mehr der Provinz- Märkten, im Transport, in den Gefäng- Beschlagnahmung des Vermögens hauptstadt Pemba. Ziel der Aktionen nissen und eben auch in Wohnquar- von Isabel dos Santos. Die Tochter des scheint inzwischen nicht mehr reiner tieren ist. In Kampala (Uganda) ist der früheren Staatspräsidenten gilt als die Terror und Vertreibung zu sein. Viel- Bus- und Taxiverkehr schlicht verboten reichste Frau Afrikas. Die erfolgreiche mehr erkaufen sich die Trupps durch worden, was praktisch denselben Geschäftsfrau hat allerdings inzwi- die Verteilung von Geld eine gewisse Effekt hat wie eine partielle Ausgangs- schen in diverse Unternehmen ausser- Akzeptanz und lassen diese durch sperre. Um Luft in die Gefängnisse halb Angolas investiert, sodass sie, die Bevölkerung formell verabschie- zu bringen, entlassen einzelne Staaten auch wenn ihr Rekurs keinen Erfolg den. Das ändert allerdings nichts Gefangene vor Ende ihrer Strafzeit. haben sollte, keine Sozialhilfe bean- daran, dass die Furcht vor ihrem Terror Aber die Mittel sind vielerorts be- spruchen muss. • über die zwei letzten Jahre an die schränkt: Wasserversorgung fürs Hände- — 100 000 Bauern und Fischer aus ihren waschen, Raum für «social distancing» Mit der Verwüstung grosser Dörfern in Lager nahe der besser und Schutzkleidung für das Spital- Landstriche in Mozambique, Malawi befestigten Stadt getrieben hat (siehe personal lassen sich nicht in ein paar und Kenya durch klimabedingte auch Afrika-Bulletin 171). • Wochen beschaffen. In Zimbabwe Überschwemmungen und wegen den streikt das Gesundheitspersonal, weil furchterregenden Heuschrecken- keine Schutzkleidung zur Verfügung schwärmen in Somalia, Uganda, Kenya steht. Fast überall fehlt es an Geld. und Äthiopien zum Jahreswechsel Der äthiopische Premier Ahmed Abiy dürfte in Afrika die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten noch einmal gewaltig steigen. • Zusammengestellt von Susy Greuter.
Demokratische Arabische Republik Sahara Wachsende Unmut der Sahrauis Vor nahezu einem halben Jahrhundert zog sich Spanien aus der Westsahara zurück. Seither ist ein Gross- teil des Landes von Marokko besetzt. Gegen diese Fremdherrschaft kämpft die Frente Polisario. Die Durchführung des 1991 von der UNO versprochenen Referendums wird von Marokko bis heute hinter- trieben. Unter der sahrauischen Bevölkerung wächst der Unmut, und Stimmen werden laut, die eine Rückkehr zum bewaffneten Befreiungskampf fordern. Hans-Ulrich Stauffer hielt sich Ende 1999 in den Lagern der Sahrauis in Algerien und in dem von der Frente Polisario kontrollierten Gebiet der Westsaha- ra auf. 1976 kündigte Spanien an, fortan nicht mehr für die Am 12. Januar 1976 wurde in Villa Cisneros – dem 12 ehemalige Kolonie Spanisch Sahara verantwortlich zu heutigen Ad-Dakhla – die letzte spanische Flagge ein- sein, und zog seine Truppen ab. Schon 1963 war das geholt. Die spanische Kolonialherrschaft war nach 92 Gebiet von der UNO auf die Liste der Gebiete ohne Jahren zu Ende, nicht jedoch das enge Verhältnis mit Selbstbestimmung gesetzt worden, und mehrfach hat- dem marokkanischen Herrscherhaus, das bis zum heu- te die UN-Vollversammlung die Gewährung der Unab- tigen Tag auf die Unterstützung des offiziellen Spanien hängigkeit gefordert. Spanien stimmte schliesslich zu, zählen kann, sei dies unter einer bürgerlichen oder so- die Bevölkerung über ihre Zukunft entscheiden zu las- zialistischen Regierung. sen. Doch dieses Versprechen wurde nicht gehalten. Ein paar Monate vor dem spanischen Rückzug hat- Marokkos Griff nach den te sich die ehemalige Kolonialmacht bereits mit Marokko reichen Bodenschätzen und Mauretanien, den nördlichen und südlichen Nach- 1947 wurden erstmals Gesteinsproben entnommen, barn der Kolonie, darauf verständigt, ihre Herrschaft die einen Phosphatanteil von 60 bis 70 Prozent aufwie- über die Westsahara in Zusammenarbeit mit der Dje- sen – ein für den kommerziellen Abbau lohnender Ge- maa, der Vertretung des sahrauischen Volkes, bis spä- halt. Die weitere Erforschung führte zur Entdeckung testens am 28. Februar 1976 zu beenden und ihre Trup- riesiger Phosphatlager bei Bou Craa. Auf einer Fläche pen abzuziehen. Spanien verpflichtete sich, eine vor- von 1200 Quadratkilometern wurde ein Lager mit läufige Verwaltung zu schaffen, welche durch je einen 2000 Millionen Tonnen gefunden. Damit befand sich von Marokko und Mauretanien gestellten Gouverneur die Sahara schlagartig in der Topliga der Phosphatpro- unterstützt werden sollte. Ferner wurde festgehalten, duzenten, gleich hinter den USA und der damaligen So- dass die Meinung der Djemaa respektiert werden müsse. wjetunion und gleichauf mit Marokko, wo seit 1921 das «Office Chérifien des Phosphates» die reichhaltigen La- ger abbaut. Die Situation in der Westsahara auf einen Blick: Der gigantische Bodenschatz just jenseits der süd- Die befreiten Gebiete lichen Grenze weckte ab 1972 zunehmend auch das (weiss) werden von der Polisario verwaltet und als Interesse Marokkos. 1974 erhob das Königreich Marok- Teils des sahraouischen ko erstmals formell Anspruch auf die spanische Kolo- Staates betrachtet. Marokko nie. Damit öffnete das marokkanische Königshaus ein betrachtet das besetzte Gebiet (schraffiert) als Teil Ventil, um dem innenpolitischen Druck gegen die auto- des eigenen Staates und hat kratische Feudalherrschaft zu begegnen. 1971 und es in seine Verwaltung 1972 waren Staatsstreiche versucht worden. Eine neue eingegliedert (Karte: Geographisches Institut der nationale Herausforderung, die Heimführung der Saha- Universität Bern 2019). ra, schien geeignet Druck abzuleiten. Im Oktober 1975 setzte das marokkanische Königs- haus im «Grünen Marsch» 350 000 Marokkanerinnen und Marokkaner in Bewegung. Sie sollten sich als Land- wirte auf dem brachliegenden Gebiet der Sahara nieder- lassen. Im Windschatten des Grünen Marsches besetz- ten gleichzeitig 40 000 marokkanische Soldaten den nördlichen Teil der aufgegebenen spanischen Kolonie. Marokkos Vorstoss wurde von der damaligen US-Re- gierung unter Gerald Ford begrüsst. Diese befürchtete nach dem Sturz des äthiopischen Langzeitherrschers Wer war die Djemaa? Diese von der Regierung des Haile Selassie und den Befreiungskämpfen in den por- Generalissimus Franco ins Leben gerufene Nationalver- tugiesischen Kolonien das Entstehen eines weiteren Un- sammlung bestand aus sahrauischen Notabeln, welche ruheherds in Afrika. Auch von Frankreichs Präsident von der spanischen Behörde zu «Volksvertretern» er- Giscard d’Estaing kam Zustimmung. Frankreich betrach- nannt worden waren. Kein Wunder, stimmte die Ver- tete Marokko schon seit langem als sein Einflussgebiet, sammlung den Vorschlägen des Kolonialherrn zu. Aber war es doch während Jahrzehnten als Marokkos «Schutz- selbst in der von Spanien eingesetzten Djemaa fand das macht» aufgetreten. Auch Mauretanien wurde in der eingefädelte Vorgehen nicht lange Unterstützung. Am Folge von Frankreich ermuntert, den ihm zugedachten 28. November 1975 erklärten 67 Mitglieder der Natio- Teil der Kolonie zu besetzen – eine enge Interessenver- nalversammlung ihren Austritt. flechtung, die bis zum heutigen Tag anhält.
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