Albert Camus, Algerien und der Algerienkrieg

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                                 Clemens A. Wurm

               Albert Camus, Algerien und der Algerienkrieg*

Albert Camus hat das intellektuelle Leben Frankreichs und der Welt im 20. Jahr-
hundert stark geprägt. Die Beurteilung seines Werkes ist freilich starken Schwan-
kungen ausgesetzt gewesen. Im Zentrum der Auseinandersetzungen stand die
„algerische Dimension“ seiner Schriften. Von seinen Kritikern wurde Camus als
„Rassist“, „Kolonialist“ oder „Imperialist“, bestenfalls als „colonisateur de bonne vo-
lonté“ betrachtet. Besonders umstritten ist seine Einstellung im Algerienkrieg, der
die letzten Jahre seines Lebens überschattete. Im Algerienkrieg, so der Vorwurf,
habe Camus seine Grundsätze verraten, habe seine Humanität sich als hohle
Rhetorik, der Humanist sich als pied-noir entlarvt.1 Der folgende Aufsatz will die
Haltung Camus’ zu Algerien und zum Algerienkrieg darstellen und analysieren. Er
stützt sich hauptsächlich auf die Artikelserien, die Camus für verschiedene Zeitun-
gen zu Algerien verfasst hat.2 Camus war nicht nur Schriftsteller, sondern auch
ein, spätestens zum Ausgang des Zweiten Weltkrieges, berühmter Journalist. Er-
staunlicherweise haben seine Artikel, insbesondere die zum Algerienkrieg, bislang
nicht die gebührende Aufmerksamkeit gefunden.
   Der Aufsatz ist folgendermaßen gegliedert. Nach einführenden Darlegungen
zum Hintergrund (I) werden die Artikel analysiert, die Camus im Sommer 1939 für
den Alger républicain über die „Misère de la Kabylie“ verfasst hat (II). Im folgenden
Abschnitt (III) erläutere ich die mit „Crise en l’Algérie“ betitelte Artikelserie in Com-
bat vom Mai/Juni 1945, bevor (IV) seine Beiträge in L’Express von Juli 1955 bis
Februar 1956 untersucht werden, in denen es hauptsächlich um den Algerienkrieg,
den von ihm unterbreiteten Vorschlag einer „trêve civile“ und die Frage eines von
Frankreich unabhängigen Algerien ging. Der Aufsatz schließt mit einem kurzen Re-
sümee (V).

I

Albert Camus wurde 1913 in Mondovi in der Nähe von Bône geboren als Sohn ei-
ner spanischen Mutter und eines französischen bei einem Weinhändler beschäftig-
ten Vaters. Sein Vater starb bereits im Oktober 1914 an seinen in der (ersten) Mar-
neschlacht erlittenen Verletzungen. Camus wuchs auf in Belcourt, einem Arbeiter-
viertel von Algier, wohin die Mutter nach dem Tod ihres Mannes umgezogen war.
Seine Familie gehörte zur Kategorie der „petits Blancs“, die wenn nicht im Elend,
so doch in Armut und einfachen Verhältnissen lebten. Camus war Algerier. Zu ei-
ner Zeit, als es noch keine algerische Staatsbürgerschaft gab, bedeutet dies, dass
*
    Für Elke

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er ein „Français d’Algérie“ war. In der Sprache der Zeit schloss das die indigene
Bevölkerung aus. Man war Algerier wie man Bretone oder Burgunder war. Der
heute gängige Ausdruck „Algérie française“ setzte sich erst ab Mitte der 1950er
Jahre durch, zu einem Zeitpunkt also, als er problematisch wurde. Vor 1954
musste er tautologisch erscheinen. Der Terminus „pieds-noirs“, wie man heute zu-
meist die Algerien-Franzosen nennt, verbreitete sich noch später. Von Camus (er
kam am 4. Januar 1960 bei einem Autounfall ums Leben) wurde er nie benutzt.
   Obwohl Albert Camus ab 1942 hauptsächlich in Frankreich lebte, hat er Zeit sei-
nes Lebens eine enge, unverbrüchliche Bindung an Algerien gehabt und das Land
regelmäßig besucht. In nahezu all seinen Schriften ist Algerien direkt oder indirekt
präsent. „Je n’ai jamais rien écrit“, bemerkte er vor der Verleihung des Nobelprei-
ses im Herbst 1957, „qui ne se rattache, de près ou de loin, à la terre où je suis né.
C’est à elle, et à son malheur, que vont toutes mes pensées.“3 Für ihn war Alge-
rien, in seinen eigenen Worten, „la terre du bonheur, de l’énergie et de la créa-
tion“.4 In seinen Reden und Schriften hat er Algerien wiederholt als seine „vraie
patrie“ bezeichnet. Camus hat sich als Algerier gefühlt und das Land „leidenschaft-
lich“ geliebt. In Paris hingegen hat er sich wie im „Exil“, jedenfalls nie heimisch, ge-
fühlt.5 Er liebte die Sonne, das Licht, das Meer Algeriens. Algerien erscheint in sei-
nem Werk als mediterranes Land von natürlicher Schönheit und Wärme, das sei-
nen Bewohnern zeitweilig die Unterdrückungen, die Armut und die Demütigungen
der alltäglichen Diskriminierung vergessen lassen kann und wo die Bewohner hart
gegen Geographie und Klima ankämpfen müssen. Die riesigen Gebiete des Lan-
desinneren, der algerischen Wüste, werden in seinen Werken gegensätzlich dar-
gestellt. Sie erscheinen einerseits als klimatische und soziopolitische Hölle (Le
renégat) oder aber (La femme adultère, L’hôte) als Raum grenzenloser Freiheit,
ein offener, nur von Nomaden bewohnter Raum, den „(Feudal-)Herren“ eines ma-
jestätischen „Königreiches“ („royaume“). Daru, die Hauptfigur von L’hôte, kann sich
nicht vorstellen, anderswo als am Rande der algerischen Wüste leben zu können.
   Die Stellung Algeriens innerhalb des französischen Kolonialreiches unterschied
sich grundlegend von derjenigen der übrigen Besitzungen Frankreichs. Algerien,
ab 1830 in mehreren Schritten von Frankreich erobert, war ab 1848 integraler Be-
standteil des französischen Territoriums, mithin im strikten Sinne keine Kolonie, ob-
wohl es wie eine Kolonie regiert wurde. Berühmt geworden ist das Diktum des da-
maligen Innenministers François Mitterrand vom November 1954: „L’Algérie, c’est
la France“. Beherrscht wurde Algerien von einer Oligarchie sehr großer Vermögen,
die ihre Interessen ganz Algerien und den französischen Regierungen – jedenfalls
bis zum Machtantritt de Gaulles – aufzuerlegen vermochte. Algerien war aufgeteilt
in drei Départements und unterstand dem Innenministerium in Paris, nicht dem Ko-
lonialministerium (wie die Kolonien) oder dem Außenministerium (wie die Protekto-
rate, z. B. Tunesien oder Marokko). Im Hinblick auf die republikanischen Gesetze
hat Camus Algerien als „monstre juridique“ bezeichnet.6 Einen Sonderfall stellte Al-
gerien auch insofern dar, als es die einzige „Siedlungskolonie“ Frankreichs war. Im
Jahre 1954, zu Beginn des Algerienkrieges, belief sich die europäische Bevölke-

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rung Algeriens (Franzosen, aber auch Italiener, Spanier, Malteken…) auf knapp
über 1 Million, die Anzahl der Muslime auf etwa 8.500.000. Es gab zu jener Zeit
etwa 130.000 Juden in Algerien. Die Europäer wurden auch „colons“ genannt,
nicht selten in pejorativer oder anklagender Absicht. Im Unterschied zu einer ver-
breiteten Auffassung stellten die „echten“ oder tatsächlichen Siedler („colons“) aber
nur eine Minderheit der europäischen Bevölkerung dar. Nach einer zeitgenössi-
schen Untersuchung von Germaine Tillion gab es etwa 12.000 „‘vrais’ colons (…)
dont 300 sont riches et une dizaine excessivement riches“. Mit ihren Familien bil-
deten diese 12.000 „colons“ eine Bevölkerung von ungefähr 45.000 Personen. Die
übrigen „colons“ – also etwa 1 Million Menschen – waren Arbeiter, Handwerker,
Lehrer, Ärzte, Anwälte, etc.7 Camus hat wiederholt auf diesen Sachverhalt hinge-
wiesen – „80% des Français d’Algérie ne sont pas des colons mais des salariés ou
des commerçants“ – und sich gegen verzerrende Darstellungen in der französi-
schen Presse gewandt: „A lire une certaine presse, il semblerait vraiment que
l’Algérie soit peuplée d’un million de colons à cravache et à cigare, montés sur Ca-
dillac.“8 Für Sartre freilich waren alle Europäer durch den Kolonialismus geformte
„colons“: summarisch und apodiktisch sprach er 1956 von „(…) un million de co-
lons, fils et petits-fils de colons qui ont été modelés par le colonialisme et qui pen-
sent, parlent et agissent selon les principes du système colonial“.9
    Camus sprach kein Arabisch, und trotz seines Respekts für die arabische Kultur
kannte er diese nicht. Wie seine europäischen Zeitgenossen lebte er weitgehend
getrennt von der arabischen Gemeinschaft. Kontinuierliche Beziehungen zu Ara-
bern (in der Sprache der Zeit meinte dies in der Regel die gesamte nicht-jüdische
indigene Bevölkerung, schloss also die Kabylen ein10) hatte er nicht. Es gab ge-
wichtige Ausnahmen.11 In seiner Jugend ab 1929 war Camus – ein hervorragen-
der – Torwart der Fußballmannschaft Racing Universitaire d’Alger (RUA). Er war
bald der führende Kopf der „communauté algérienne des écrivains“, einer auf per-
sönlichen Freundschaften beruhenden Gruppe französischer und algerischer (ara-
bischer oder kabylischer) Schriftsteller, der neben Camus u. a. Jean Amrouche und
Mouloud Feraoun angehörten, und die sich im Algerienkrieg über die Frage der Hal-
tung zum Krieg und zur algerischen Unabhängigkeit entzweite.12 Camus pflegte
auch nach seiner Übersiedlung nach Frankreich die Beziehungen nach Algerien,
besuchte dort regelmäßig seine Freunde und Angehörigen (seine Mutter lehnte es
trotz des Drängens seines Sohnes auch im Algerienkrieg ab, nach Frankreich
überzusiedeln) und war Anlaufstelle und Türöffner algerischer Intellektueller oder
Schriftsteller bei deren Besuch in Paris. Wiederholt setzte sich Camus für die Be-
lange von Arabern und Kabylen ein, die Opfer der Justiz geworden waren. Mit Ein-
schränkungen reflektierten sein Umgang und Lebensstil Merkmale der algerischen
Gesellschaft seiner Zeit. „Au-delà de relations interpersonnelles sincèrement ami-
cales, deux sociétés vivaient côte à côte, dans l’inégalité. (…) Ce fut une société
coloniale fermée de deux groupes humains inégaux dans leurs statuts juridiques,
dans leurs droits politiques, dans leurs professions et dans leurs revenus; deux
groupes humains à l’identité, aux pratiques sociales et culturelles différentes. C’est

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cette réalité, celle d’une Algérie française aux fondements précaires, qui est à la
source de la guerre.“13 Hinzuzufügen ist, dass Camus’ Familie wie viele Europäer
in sehr bescheidenen Verhältnissen lebte. Das Einkommen der ganz überwiegen-
den Mehrzahl der europäischen Bevölkerung Algeriens lag höher als das der Ara-
ber, aber unter dem Durchschnitt der Bevölkerung Frankreichs.14

II

Camus’ Sicht auf Algerien und auf das algerische Problem wurde, das ist für das
Thema des Aufsatzes wichtig, weit vor dem Algerienkrieg entwickelt, als dieser im
November 1954 einsetzte. Sie resultierte hauptsächlich aus seiner Beobachtung
der Ungerechtigkeiten und der Unterdrückungen, wie sie sich im Algerien der Zwi-
schenkriegszeit manifestierten. Camus schloss sich 1935 der kommunistischen Par-
tei an, aus der er 1937 ausgeschlossen wurde. Der Hauptgrund für den Parteiaus-
schluss war – im Rahmen des Themas dieses Artikels nicht ganz unbedeutend –,
dass Camus die vom Zentralkomitee aus taktischen Gründen (Volksfront in Frank-
reich, Unterstützung der Politik der nationalen Verteidigung der französischen Re-
gierung) beschlossene Abkehr vom Antikolonialismus und Antimilitarismus nicht bil-
ligte. Wegen ihres Antikolonialismus aber war Camus der Partei hauptsächlich bei-
getreten. Vom 5. bis 15. Juni 1939 veröffentlichte er im sozialistischen, von Pascal
Pia geleiteten Alger républicain eine Artikelserie unter dem Titel „Misère de la Ka-
bylie“. Bei der Kabylei handelt es sich um eine bevölkerungsreiche, im Norden Al-
geriens an der Mittelmeerküste östlich von Algier gelegene Bergregion, mit Tizi-Ou-
zou als Zentrum. Die Kabylei war wiederholt Gegenstand von Reportagen und In-
formationskampagnen, die vor allem ihre touristischen und folkloristischen Vorzüge
herausstellten, die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Realitäten aber unter-
schlugen. Ende der 30er Jahre machte die Kabylei eine schwere wirtschaftliche
Krise durch. Pascal Pia und Camus ging es darum, ein realistischeres Bild von der
Situation in der Region zu vermitteln.
   In den Artikeln beschrieb Camus Ursachen und Umfang der Armut der kabyli-
schen Bevölkerung und entwickelte Vorschläge zu deren Behebung. Nach Annie
Cohen-Solal zählen die Artikel zu den „témoignages les plus sérieux et les plus do-
cumentés sur la réalité algérienne de l’époque“.15 In eindringlichen Worten schil-
derte Camus die Hungersnot: „(…) j’ai vu (…) des enfants en loques disputer à des
chiens kabyles le contenu d’une poubelle“; er gewahrte „(…) un peuple qui vit
d’herbes et de racines“.16 Er geißelte die Unfähigkeit der Kolonialverwaltung, den
Mangel an medizinischer Versorgung („Un médecin pour 60 000 habitants“), den
Skandal bei der Verteilung öffentlicher Gelder oder die „einzig und allein auf die
Ausbeutung“ zurückzuführenden niedrigen Löhne.17 Bewegend, auch den heuti-
gen Leser berührend und ohne moralische Empörung (daher umso eindringlicher
und anrührender) beschreibt er die katastrophalen Lebens- und Wohnverhältnisse
einer kabylischen Familie. Camus’ Worte sollen in einem längeren Auszug wieder-
gegeben werden: „Il est difficile de se faire une idée des conditions dans lesquelles

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vivent les Kabyles si l’on n’a pas visité leurs villages. […] C’était à Adni. J’avais pu
pénétrer dans l’un des gourbis les plus misérables. Dans une pièce obscure et
enfumée, deux femmes, dont une très âgée et l’autre enceinte, m’avaient reçu.
Trois enfants me regardaient avec étonnement. Dans la terre battue du sol, à hau-
teur de la porte, une rigole était creusée, par laquelle s’écoulaient l’urine des bêtes
et les eaux grasses de la maison. Je n’apercevais pas un seul meuble. Seules,
quand mes yeux se furent habitués à l’obscurité, trois grandes jattes d’argile blan-
che et deux écuelles de terre attestaient que des êtres humains vivaient là. Et
dans cette lumière rare, ces odeurs animales et cette fumée qui prenait à la gorge,
jamais le visage de la misère ne m’avait paru plus désespérant. Je dois dire que je
n’étais pas fier. Je n’avais pas envie de poser des questions. Mais j’ai pourtant de-
mandé à la plus jeune des femmes qui soutenait son ventre énorme de ses deux
mains: ‘Où couchez-vous?’ Elle m’a répondu ‘là’ en désignant à mes pieds le sol
nu, près de la rigole d’urine.“18
   Camus wandte sich gegen die verbreitete Vorstellung, die Not sei auf die kabyli-
sche „Mentalität“ zurückzuführen. „Il est méprisable de dire que ce peuple n’a pas
les mêmes besoins que nous. (…) Il est curieux de voir comment les qualités d’un
peuple peuvent servir à justifier l’abaissement où on le tient et comment la sobriété
proverbiale du paysan kabyle peut légitimer la faim qui le ronge.“19 Er machte Vor-
schläge zum Ausbau der kommunalen Selbstverwaltung – als Schritt hin zur all-
mählichen Emanzipation und Demokratisierung der kabylischen Bevölkerung.20
Große Aufmerksamkeit widmete er Unterricht und Bildung. Er beklagt den Mangel
an Schulen – von 1892 bis 1912 seien überhaupt keine Schulen gebaut worden –,
die geringe Einschulungsquote der kabylischen Kinder,21 trat für die Einschulung
von Mädchen ein und wandte sich gegen die 1892 eingeführte Trennung des
Unterrichts von europäischen und indigenen Kindern. Dieser Punkt war ihm wich-
tig. „En tout cas, si on veut vraiment d’une assimilation, et que ce peuple si digne
soit français, il ne faut pas commencer par le séparer des Français.“22 Wege zur Be-
hebung der Arbeitslosigkeit sah er in öffentlichen Arbeiten, einer Generalisierung
der Berufsausbildung und organisierter Auswanderung. Er entwickelte Vorschläge
für eine Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktions- und Anbaumethoden
und plädierte mit Nachdruck für die „mise en valeur de la Kabylie par les Kabyles
eux-mêmes et le retour de ces paysans à la dignité par un travail utile et justement
payé. (…) N’attendons pas cette æuvre des colons“.23 Unterstützung in dieser
Richtung erwartete er von der Metropole. Nur von daher auch ließ sich seiner Mei-
nung nach die koloniale Eroberung überhaupt rechtfertigen bzw. „entschuldigen“:
„(…) si la conquête coloniale pouvait jamais trouver une excuse, c’est dans la me-
sure où elle aide les peuples conquis à garder leur personnalité. Et si nous avons un
devoir en ce pays, il est de permettre à l’une des populations les plus fières et les
plus humaines en ce monde de rester fidèle à elle-même et à son destin.“24
   In seinen durchgehend fundierten, von sorgfältiger Investigation zeugenden Arti-
keln forderte Camus Gerechtigkeit und umfassende Reformen. Er argumentierte
vornehmlich (aber keineswegs ausschließlich) in ökonomischen Kategorien. Ange-

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siedelt zwischen Reportage, Bericht und Essay, geben die Artikel nicht nur ein
Zeugnis wieder, sondern liefern auch eine Analyse: das Elend der Kabylen hat Ca-
mus zufolge hauptsächlich wirtschaftliche und soziale Ursachen.25 An keiner Stelle
greift er das Kolonialsystem als solches oder das Prinzip des Kolonialismus an: Er
geißelt Verwerfungen und Missstände, die es hervorgebracht hat. Der Ton ist ge-
mäßigt, die Anklage aber unerbittlich. Als entschiedener Reformer sucht er die Not
der Kabylen zu verstehen, Aufmerksamkeit und Verständnis für ihr Leid zu wecken
und gangbare Vorschläge zu entwickeln. „Utopische Systeme“ und „unausführbare
Lösungsvorschläge“ hält er für nicht hilfreich.26 Die Artikel verdeutlichen, dass Ca-
mus die Politik der Assimilation – offizielle Doktrin, Ziel und zentraler Rechtferti-
gungsgrund der „mission civilisatrice“ Frankreichs in den Kolonien – ernst nahm,
an sie glaubte und zu jener Zeit (noch) annahm, dass sie eine Chance hätte.27 Er
hatte 1937 den – gescheiterten – Blum-Viollette-Plan unterstützt, der vorsah, ei-
nem Teil der algerischen Elite (ca. 20.000) die französische Staatsbürgerschaft und
die Ausübung der entsprechenden politischen Rechte bei Beibehaltung des „statut
personnel“, d.h. der Gebräuche und der Religion auf der Grundlage des Koran, zu
gewähren.28 Camus hatte zu den Initiatoren des „Manifeste des intellectuels
d’Algérie en faveur du projet Viollette“ gehört.
    Einiges deutet darauf hin, dass Camus’ Artikel nicht ohne Beachtung geblieben
sind. Ungeachtet der niedrigen Auflage des Alger républicain habe seine Untersu-
chung, so Macha Séry, „grand bruit“ verursacht.29 Am 27. Mai hatte das Blatt im
Auszug einen Brief Camus’ veröffentlicht, in dem dieser seine ersten Eindrücke
von der Situation in der Kabylei schilderte: „Ici la misère est effroyable. Si ce n’était
pas ridicule, il faudrait le crier tous les jours dans le journal. Je ne suis pas suspect
de sentimentalité. Mais aucun homme de sensibilité moyenne ne peut voir ce que
j’ai vu sans être bouleversé.“30 Alarmiert, veröffentlichte La Dépêche algérienne
vom 8.-17. Juni eine Art Gegenuntersuchung mit dem Titel „Kabylie 39“, die die
Schönheit der Region pries und Frankreichs Politik in der Kabylei verteidigte; und
nach dem Erscheinen der Artikel Camus’ begab sich der Generalgouverneur in die
Kabylei – ob als Folge der Berichte, lässt sich nicht sagen.31

III

Vom 13.-14. Mai bis 15. Juni 1945 veröffentlichte Camus in Combat eine Artikelse-
rie über die „Crise en Algérie“. Camus war zu der Zeit Chefredakteur der während
der Résistance gegründeten Zeitung.32 Er schrieb die Artikel nach einer dreiwöchi-
gen Reise durch Algerien. Mit seinen Untersuchungen wollte er zur Verringerung
der „incroyable ignorance de la métropole“ über Nordafrika beitragen, Klischees
und Vorurteile abbauen und den Verantwortlichen helfen, die „einzige Politik“ zu
entwickeln, die Algerien vor den „pires aventures“ retten könne.33 Vor dem Eintritt
in sein Thema formuliert Camus, dass Algerien eine eigenständige Persönlichkeit
besitze, „que l’Algérie existe (…) qu’elle existe en dehors de la France (…) que le
peuple arabe existe (…) un peuple de grandes traditions et dont les vertus (…)

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sont parmi les premières.“ Frankreich müsse Algerien, so Camus, „ein zweites Mal
erobern“, und nach dem Eindruck, den er aus Algerien mitbringe, „cette deuxième
conquête sera moins facile que la première“.34 Algerien befinde sich in einer wirt-
schaftlichen und politischen Krise von bislang unbekannter Schärfe, die ihren sicht-
barsten Ausdruck in einer großen Hungersnot finde. Seine Argumentation von
1939 aufgreifend, beschreibt er deren Ursachen und Ausmaß. Als Abhilfen verlangt
er „une politique d’importation à grande échelle“, eine gerechte Verteilung der Hil-
fen und ein Ende der – „dans le principe“ und „encore plus dans les faits“ – ungleichen
Zuteilung der Hilfsrationen an die indigene und die europäische Bevölkerung.35
   Bei den Ursachen der Hungersnot ging Camus über die Analyse von 1939 hin-
aus: „(…) à la vérité, le malaise politique est antérieur à la famine“. Auch wenn die
Hungersnot überwunden sei, „(…) il nous restera tout à faire. C’est une façon de
dire qu’il nous restera à imaginer enfin une politique.“ Frankreich müsse sich ent-
scheiden, ob es Algerien weiterhin als erobertes Land betrachte, dessen Bewoh-
ner ohne Rechte in völliger Abhängigkeit von der Metropole bleiben sollten, oder
ob es seine demokratischen Prinzipien einen universellen Wert beimesse und sie
auf die abhängigen Völker ausdehne. Die Politik der Assimilation sei gerade in Al-
gerien, und dies vor allem bei den „grands colons“, stets auf unerbittliche Feind-
schaft gestoßen. Als Beleg verweist er auf das Scheitern des Blum-Viollette-Plans.
Camus skizziert in seinen Artikeln ein Tableau der politischen Kräfte Algeriens und
macht auf die großen Veränderungen aufmerksam, die der Zweite Weltkrieg mit
sich gebracht habe. Er erwähnt die Niederlage Frankreichs 1940, den mit der Nie-
derlage verbundenen Niedergang des französischen Prestiges und die Landung
der Alliierten in Nordafrika 1942, die, wie der Kriegseinsatz an der Seite der Alliier-
ten, die Araber mit anderen Nationen in Kontakt gebracht und ihnen „le goût de la
comparaison“ gegeben habe. Camus führt hier Faktoren an, die auch nach Ansicht
der historischen Forschung der Dekolonisation (weltweit) einen großen Schub ver-
liehen haben.36 Diese Veränderungen, so Camus, seien nicht ohne Auswirkungen
auf das Verhältnis der arabischen Bevölkerung zu Frankreich geblieben. Er gibt ei-
nen Zeitungsartikel wieder, nach dem 80% der Araber französische Staatsbürger
zu werden wünschten. Camus wendet ein: „Je résumerai au contraire l’état actuel
(…) en disant qu’ils le désiraient effectivement, mais qu’ils ne le désirent plus. (…)
l’opinion arabe (…) est, dans sa majorité, indifférente ou hostile à la politique
d’assimilation.“ Er fügt im Nachsatz hinzu: „On ne le regrettera jamais assez.“
Frankreichs Politik in Algerien sei, so Camus,“toujours de vingt ans en retard sur la
situation actuelle.“37 Als Beleg für seine These verweist er auf Ferhat Abbas. Ab-
bas – „incontestablemet un produit de la culture française (…) esprit cultivé et
indépendant“, so Camus – hatte wie die „Jeunes Algériens“ stets die Anwendung
der republikanischen Prinzipien von Demokratie und Freiheit in Algerien verlangt,
1936 die Existenz einer algerischen Nation bestritten38 und für den Blum-Viollette-
Plan geworben. Inzwischen hatte er der Politik der Assimilation jedoch den Rücken
gekehrt. Mitte der 50er Jahre wird er sich dem FLN (Front de libération nationale)
anschließen und von 1958 bis 1961 erster Präsident des Gouvernement provisoire

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de la République algérienne sein. Aufgrund seines Lebensweges ist Ferhat Abbas
später von den Anhängern der Sicht der „verpassten Gelegenheiten“ („occasions
manquées“)39 als emblematische Figur des Scheiterns Frankreichs betrachtet
worden, durch rechtzeitige Reformen den Algerienkrieg und die späteren Katastro-
phen zu verhindern. Auch Camus lässt sich dieser Sicht zuordnen, wenn er
schreibt, mit dem Scheitern des Blum-Viollette-Plans habe Algerien seine „meil-
leure chance“ verloren. Später 1958 wird er in den Fälschungen der Ergebnisse
der Wahlen zur Algerischen Versammlung von 1948 die entscheidende Zäsur se-
hen.40 Abbas und die in der Bewegung „Les Amis du Manifeste et de la liberté“ zu-
sammengeschlossenen Kräfte veröffentlichten im Februar 1943 ein Manifest, in
dem sie das Ende des Kolonialismus und die Anerkennung Algeriens als Staat mit
eigener Verfassung in einem mit Frankreich verbundenen föderalen System ver-
langten.41 Camus gab in seinem Artikel vom 20.-21. Mai 1945 den Inhalt des Ma-
nifestes wieder, ohne sich seine Gedanken explizit zu eigen zu machen.42
   Camus’ Artikel in Combat erschienen nach dem Beginn der gewalttätigen Auf-
stände, die am 8. Mai in Sétif ausbrachen, sich von dort ausbreiteten und etwa 100
Europäern das Leben kosteten. Die französische Repression war unerbittlich. Die
Zahl der arabischen Opfer, wie die Ursachen der Revolte bis heute Gegenstand
heftiger Kontroversen, ist unklar. Schätzungen reichen von 1.000 bis 45.000 und
mehr. Nach Sylvie Thénault dürfte sie sich auf 15.000 bis 20.000, nach Benjamin
Stora auf 10.000 bis 15.000 belaufen haben.43 Die blutigen Ereignisse vom Mai
1945 bewirkten einen tiefen Bruch zwischen den Gemeinschaften Algeriens. Zahl-
reiche Historiker, wie etwa Mohammed Harbi, sehen in ihnen heute den Ausgangs-
punkt des neun Jahre später offen ausbrechenden Algerienkrieges. In seinem letz-
ten Artikel vom 15. Juni 1945 ging Camus direkt auf die Massaker von Sétif und
Guelma ein, die ein Klima von Entrüstung, Furcht und Feindschaft geschaffen hät-
ten.44 Er forderte die Ausweitung der von der provisorischen Regierung übernom-
menen Verordnung des Comité français de la Libération vom März 1944, die die
Gewährung der französischen Staatsbürgerschaft an etwa 80.000 Muslime und die
Abschaffung von rechtlichen, die Algerier diskriminierenden Sonderbestimmungen
vorsah. In einem später nicht in die Veröffentlichung seiner Chroniques algérien-
nes von 1958 aufgenommenen Artikel vom 23. Mai 1945 war Camus weitergegan-
gen. „C’est la justice qui sauvera l’Algérie de la haine“, lautete die programmati-
sche Überschrift des Artikels. Neben der Ausweitung der Verordnung vom März
1944 sah Camus in einer Abschaffung der communes mixtes45 und der Erweite-
rung der indigenen Munizipalrechte sowie einer „politique sociale d’égalité“, also
einer Ausdehnung der französischen Sozialgesetze auf Algerien, Frankreichs „der-
nière chance“ in Algerien.46 Unter Bezug auf eine Broschüre von Ferhat Abbas
klagte er Europa scharf an und gab er angesichts der Repression in Nordafrika sei-
ner Überzeugung Ausdruck „que le temps des impérialismes occidentaux est
passé“.47

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IV

Zwischen Mai 1955 und Februar 1956 veröffentlichte Albert Camus in der von
Jean-Jacques Servan-Schreiber 1953 gegründeten Wochenzeitung L’Express vier-
unddreißig Artikel.48 Das Blatt stand der nicht-marxistischen Linken nahe und
setzte sich für die politische, wirtschaftliche und soziale Modernisierung Frank-
reichs ein. In L’Express schrieben eine Reihe bekannter Persönlichkeiten: Schrift-
steller wie François Mauriac, Fachleute und Universitätsprofessoren wie Alfred
Grosser oder Maurice Duverger, Politiker wie Pierre Mendès France und François
Mitterrand. L’Express unterstützte offen die Reformbestrebungen von Pierre Men-
dès France („mendésisme“) und warb für dessen Rückkehr zur Macht. Als „pigiste
de luxe“49 konnte Camus seine Themen frei wählen. Dreizehn seiner vierund-
dreißig Artikel waren der Situation in Algerien gewidmet; in zwei weiteren Artikeln
beschäftigte er sich mit der Lage und den Diskriminierungen algerischer Arbeiter in
Frankreich. Mithin war nahezu die Hälfte seiner Artikel in L’Express in der einen
oder anderen Form direkt dem Algerienproblem gewidmet. Eine andere Serie sei-
ner Beiträge behandelte die politische Situation in Frankreich. Im Unterschied zu
den Artikelfolgen im Alger républicain und in Combat handelte es sich bei seinen
Beiträgen zum Express nicht um Reportagen, sondern um meinungsbildende Arti-
kel und Analysen. Camus wollte auf die französische Algerienpolitik konkret Ein-
fluss nehmen. Bei den Kammerwahlen vom 2. Januar 1956 stimmte er (wie die ge-
samte Redaktion des Express) für Pierre Mendès France und den von ihm geführ-
ten Bloc républicain. Seine Wahlentscheidung begründete er in einem längeren
Artikel vom 30. Dezember 1955 gerade auch mit der Algerienfrage.50 Er hoffte,
dass eine von Mendès France geleitete Regierung die Bedingungen für einen Poli-
tikwandel in Algerien verbessern würde.
   Am 1. November 1954 begann, mit einer gleichzeitigen Erhebung an mehreren
Orten Algeriens, der Algerienkrieg.51 Der Krieg – eine Folge des Kolonialismus mit
seinen Ungleichheiten und des Willens der Algerier, die „koloniale Situation“
(Georges Balandier) zu beenden – kann als Abfolge ideologischer Radikalisierun-
gen und eskalierender Gewalt verstanden werden. Mit der Erhebung vom 1. No-
vember 1954 betrat mit dem FLN (und seinem bewaffneten Arm, der Armée de li-
bération nationale, ALN,) eine Unabhängigkeitsbewegung die politische Bühne, de-
ren Führer einer neuen Generation entstammten und die sich in ihrer politischen
Kultur und in ihrer Einstellung zur politischen Gewalt erheblich von den Vertretern
der überkommenen Bewegungen wie Messali Hadj, dem Pionier des algerischen
Nationalismus, oder Ferhat Abbas unterschieden. Der FLN52 lehnte Bündnisse mit
den übrigen Bewegungen ab, verlangte von ihnen die Anerkennung als alleinigem
Repräsentanten des algerischen Volkes (verwarf mithin jeglichen Pluralismus) und
bekämpfte rücksichtslos diejenigen, die sich, wie der MNA (Manifeste du peuple
algérien), seinem Monopolanspruch nicht beugten.53 Im Unterschied zum MNA
von Messali Hadj, der politische Kampfformen zur Erlangung der Unabhängigkeit
privilegierte, war der FLN ‚militärischer’. Für ihn war, neben einer Strategie der

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Internationalisierung des Konfliktes, der bewaffnete Kampf „l’alpha et l’oméga du
combat nationaliste“. In diesem sah er „le principal terrain sur lequel, vis-à-vis de
l’opinion publique algérienne, on conquiert sa légitimité pour incarner l’espoir de
l’indépendance.“54 Innerhalb kurzer Zeit gelang es dem FLN, sich im ganzen Land
zu organisieren, über Verhandlungen, Druck und Gewalt die übrigen Bewegungen
bzw. Parteien zu eliminieren, zu absorbieren (Ferhat Abbas’ Union démocratique
du manifeste algérien, UDMA; die Oulémas, reformistische Muslims; den Parti
communiste algérien, PCA) oder zu marginalisieren (MNA) und sich als bestim-
mende und, entsprechend seinem Ziel, einzige Gegenkraft zum kolonialen Frank-
reich und als Speerspitze des Unabhängigkeitskampfes zu etablieren. Camus
misstraute der Führung des FLN zutiefst. Er verurteilte scharf ihre Praktiken und
lehnte es ab, sie als Vertretung der Bewohner Algeriens anzuerkennen. Nur unvoll-
ständig nahm er ihren zunehmenden Einfluss auf die algerische Bevölkerung wahr.
    Im zunehmend gewalttätiger geführten Krieg bedienten sich beide Lager einer
Reihe von Methoden. Nach Guy Pervillé strebten die „Rebellen“ ihre Verankerung
in der Bevölkerung hauptsächlich durch Propaganda, die Bestrafung der „Verräter“
und die Provozierung von Repressalien der Kolonialmacht an. Zu den Methoden
der „forces de l’ordre“ (der Kolonialmacht) zählte neben militärischen Maßnahmen
die stillschweigende Duldung illegaler, offiziell verurteilter Praktiken: Folter und
summarische Hinrichtungen.55
    Eine zentrale Stufe und scharfe Zäsur im Prozess der sich radikalisierenden Ge-
walt spielten der Aufstand, die Massaker und die Repression in Philippeville im
Nord-Constantinois vom 20. August 1955. Der Aufstand kostete 123 Personen
(darunter über 70 Europäer), die Repression der Kolonialmacht etwa 2.000 bis
3.000 (nach Angaben des FLN 12.000) Menschen das Leben.56 Im Unterschied
zum Aufstand vom 8. Mai 1945 war die Erhebung vom 20. August 1955 nach der
heute vorherrschenden Auffassung der Forschung nicht spontan, sondern eine be-
wusste Aktion. Beschlossen und vorbereitet von der Führung des im Nordosten
Algeriens gelegenen Verwaltungsbezirks II (Wilaya) des FLN-ALN, sollten durch
die Provozierung einer französischen Repression der „algerischen Revolution“
eine breitere Basis in der Bevölkerung gegeben und der Konflikt internationalisiert
werden. Die Offensive vom 20. August und die sich anschließende Repression
schufen einen blutigen Graben zwischen den Gemeinschaften, der kein Zurück
mehr zuließ. Sie markierten auch, so Renaud de Rochebrune und Benjamin Stora,
den „point de non-retour dans le processus d’installation du FLN comme unique fer
de lance du mouvement indépendantiste et comme seul interlocutuer valable du
colonisateur.“57 In der Politik der Kolonialmacht bewirkte der 20. August über die
unmittelbare Repression hinaus einen Umschwung. Generalgouverneur Jacques
Soustelle, der bisher eine Reformpolitik nahe an den Interessen der algerischen
Bevölkerung befürwortet hatte, stellte nun die Aufrechterhaltung der Ordnung an
die erste Stelle und gab der Armee praktisch freie Hand. Der Ausnahmezustand
wurde auf ganz Algerien ausgedehnt.

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   Wie in seinen Artikeln im Alger républicain und in Combat geißelte Camus in
L’Express die Versäumnisse des französischen Kolonialismus und prangerte er
seine Folgen an. Er sah in den französischen Regierungen die Hauptverantwortli-
chen für das „gegenwärtige Desaster“ und verlangte für das „arabische Volk“ „une
grande, une éclatante réparation“.58 Die Assimilation, so Camus 1958, sei eine
„wiederholte Lüge“ geblieben und „nie“ wirklich in Angriff genommen worden („tou-
jours proposée, jamais réalisée“).59 Hellsichtig und klar legte Camus – der sich als
einer der wenigen Schriftsteller Frankreichs grundsätzlich mit dem Problem des
Terrors und der Gewalt auseinandergesetzt hat60 und im Unterschied zu vielen
von ihnen nie einer vermeintlichen ‚Faszination der Gewalt’ erlegen ist –, die Me-
chanismen der Gewalt und des Terrorismus frei: ihren „mortel mécanisme“, ihre
„logique sanglante“, ihre „dialectique infernale (…) chacun rejetant la faute sur
l’autre, et justifiant ses violences par la violence de l’adversaire. L’éternelle que-
relle du premier responsable perd alors son sens.“61 In seinem Artikel vom 9. Juli
1955 (einem seiner besten) geht er ausführlich auf die Ursachen des Terrorismus
in Algerien (wie anderswo) ein. „On parle beaucoup à son propos d’influences
étrangères et, sans doute, elles existent. Mais elles ne seraient rien sans le terrain
où elles s’exercent, qui est celui du désespoir. En Algérie, comme ailleurs, le terro-
risme s’explique par l’absence d’espoir. Il naît toujours et partout, en effet, de la
solitude, de l’idée qu’il n’y a plus de recours ni d’avenir, que les murs sans fenêtres
sont trop épais et que, pour respirer seulement, pour avancer un peu, il faut les
faire sauter.“62
   Der letzte Satz ähnelt den etwa gleichzeitigen Formulierungen Albert Memmis:
„La situation coloniale, par sa propre fatalité intérieure, appelle la révolte. Car la
condition coloniale ne peut être aménagée (kurs. i.O.); tel un carcan, elle ne peut
qu’être brisée.“ An eine „innere Fatalität“ jedoch mochte Camus nicht glauben; und
einer „Revolution“ (zumal wenn sie vom FLN ins Werk gesetzt wurde), die Memmi
über die „Revolte“ hinaus für die Befreiung „des Kolonisierten“ für unausweichlich
oder erforderlich hielt,63 stand Camus ablehnend gegenüber. Er hielt „Dialog“,64
Verhandlungen und ein Zusammenleben der unterschiedlichen Gemeinschaften
weiterhin für möglich.
   Für Camus erklärte sich der Terrorismus freilich nicht nur als verzweifelte Ant-
wort auf eine als ausweglos empfundene Situation. Er konnte für ihn auch, wie der
Algerienkrieg zeigte (etwa im Fall der Offensive vom 20. August 1955 im Nord-
Constantinois), aus einer bewussten politischen Entscheidung resultieren, auf die
die Gegenseite mit unerbittlicher Repression reagierte. Camus hat beide – Terro-
rismus und Repression – mit gleicher Entschiedenheit verurteilt und es abgelehnt,
beide voneinander zu trennen. „(…) je ne puis approuver le terrorisme civil qui
frappe d’ailleurs beaucoup plus les civils arabes que les français. On ne peut me
demander de protester contre une certaine répression ce que j’ai fait et de justifier
un certain terrorisme ce que je ne ferai jamais.“65 Um Symmetrie66 bemüht, gei-
ßelte er in seinen Artikeln die Repression der einen und den Terrorismus der ande-
ren und legte er sachlich die Argumente beider Seiten dar.67 Klischeehaften Vor-

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stellungen von den im Krieg involvierten Parteien wirkte er entgegen: „Les Fran-
çais ne sont pas tous des brutes assoiffés de sang, ni tous les Arabes des mas-
sacreurs maniaques. La métropole n’est pas peuplée seulement de démissionnai-
res ni d’officiers généraux nostalgiques.“68 Camus will, seinem Verständnis von
der Rolle des Intellektuellen entsprechend, der Gewalt Grenzen setzen, „désintoxi-
quer les esprits et apaiser les fanatismes“.69 Um den Konflikt aus der Sackgasse
zu führen, versuchte er das Unmögliche. Er schlägt (dazu ausführlicher weiter un-
ten) eine „Konferenz“, einen „runden Tisch“ und eine „trêve civile“70 vor: eine Ver-
pflichtung beider Seiten, die Zivilbevölkerung zu schonen. Das übrige Kampfge-
schehen soll davon zunächst unberührt bleiben. Diese Selbstverpflichtung sollte
die gemäßigten Kräfte beider Parteien stärken, Spielräume für Verhandlungen
schaffen, mit dem Ziel einer friedlichen Beilegung des Konfliktes und der Koexis-
tenz der Gemeinschaften. Welche Überlegungen lagen seinem Vorschlag zugrun-
de? Für die „trêve civile“ sprach aus der Sicht Camus’ einmal ein grundsätzlicher
Gedanke, den er stets konsequent vertreten hat: „aucune cause ne justifie la mort
d’un innocent“.71 Sie war ein Akt der Humanität. Auf der anderen Seite bewogen
ihn ‚konjunkturelle’, den Umständen geschuldete Überlegungen zu seinem Schritt.
Camus sah, dass die Assimilation gescheitert war. Als auch gemäßigte Berber und
Araber (wie etwa Ferhat Abbas) nicht mehr an die Assimilation und Reformen
glaubten, war abzusehen, dass bewaffneter Kampf für nationale Unabhängigkeit
die einzige Alternative zum kolonialen System darstellen würde. Dies war einer der
Gründe (um dies zu verhindern), warum sich Camus für radikale Reformen einge-
setzt hatte.72 Radikale Reformen freilich waren auch nach 1945 ausgeblieben. Mit
dem Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges schienen sich die Befürchtungen Ca-
mus’ zu bestätigen. Die Unabhängigkeit Algeriens jedoch lehnte Camus entschie-
den ab. Sie würde, war er überzeugt, „(…) tôt ou tard, l’éviction des Français
d’Algérie“ aus Algerien bedeuten,73 die Seinen – seine Mutter,74 seinen Bruder,
seine Verwandten… – bestenfalls zu Fremden in einem Land machen, das auch
das ihre – und das seine – war. Camus fühlte sich zutiefst als Algerier. 80% der da-
maligen Algerien-Franzosen waren in Algerien geboren.
   Die Ablehnung des algerischen Nationalismus des FLN und eines unabhängi-
gen vom FLN beherrschten Algerien – der Bezug auf den FLN ist hier zentral –
folgte für Camus auch aus seiner politischen Philosophie, aus seiner Position als
Moralist und Humanist und seinem Verständnis vom Verhältnis zwischen Zielen
und Mitteln. Auf die Frage: rechtfertigt der Zweck die Mittel? hat Camus stets mit
einem klaren Nein geantwortet – im Gegensatz etwa zu politischen Denkern mar-
xistischer Provenienz seiner Zeit, die das genau umgekehrt sahen. Entsprachen
die Mittel nicht den unantastbaren Werten des Humanismus, musste man nach
Camus auf das Projekt verzichten, weil es nicht mehr gut sein konnte. „If the
means are not just, with the ultimate test being whether they are in themselves
murderous or lead to and justify murder, then the ends they serve can never make
them just.“75 Schließlich sah Camus, auch von daher resultierten Vorbehalte, im

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Arts & Lettres

algerischen Nationalismus nur die vorgeschobene Spitze des arabischen und
ägyptischen, von der Sowjetunion instrumentalisierten Imperialismus.76
   Die Forschung ist sich weitgehend darin einig, dass Camus „le fait national algé-
rien“ unterschätzt habe.77 Im Hinblick auf Algerien hat er die nationale Unabhän-
gigkeit als „formule purement passionnelle“ bezeichnet. Es habe in der Vergangen-
heit „nie“ eine algerische Nation gegeben. Die Juden, die Türken, die Italiener, die
Berber hätten einen ebenso großen Anspruch auf die Leitung dieser „nation virtu-
elle“ (Camus) wie die Araber. Vor allem aber, so Camus, sei gegenwärtig Algerien
nicht nur von Arabern bewohnt. Auch die Algerien-Franzosen seien im strengen
Sinne des Wortes „Eingeborene“ („indigènes“),78 stellten „par leur nombre et
l’ancienneté de leur implantation… un peuple“ dar, über das man nicht ohne seine
Zustimmung verfügen könne.79 Dem Recht des algerischen Volkes auf den eige-
nen Nationalstaat setzte Camus das für ihn nicht weniger begründete Recht der
pieds-noirs entgegen, in dem Land ihrer Geburt zu bleiben. Schärfer – und in
grundsätzlicher Form – hat Camus dieses Problem in einem Gespräch mit Jean
Daniel80 Anfang Januar 1956, also im unmittelbaren Vorfeld seines Appells in Al-
gier, formuliert: „(…) ‚combien faut-il d’années de présence dans un pays’, so die
Frage Camus’, ‚pour en faire partie?’ Si tous les pays ne sont que les produits de
conquêtes successives et diverses, quel est le critère pour que la conquête soit
juste? Un historien peut répondre; non un moraliste. La conquête arabe s’est
installée par le massacre et le despotisme. Tout comme la conquête française.“81
   Einmal abgesehen davon, dass Camus hier wohl die Möglichkeiten der Histori-
ker überschätzt hat, kann man das Problem wie Raymond Aron zu bewältigen ver-
suchen. Er hat gegen die Behauptung Camus’, dass die nationale Unabhängigkeit
eine „formule purement passionnelle“ sei und es bisher „nie“ eine algerische Na-
tion gegeben habe, in realpolitischer Manier und mit der ihm eigenen intellektuel-
len Schärfe kühl eingewandt: „Peu importe que le nationalisme exprime une nation
réelle ou irréelle: le nationalisme est une passion, il est résolu à créer l’identité qu’il
invoque.“82 Man kann freilich auch, wie Paul Thibaud es getan hat, entgegnen,
dass Camus’ Projekt einer französisch-arabischen Assoziation und seiner vehe-
menten Ablehnung der algerischen Unabhängigkeit mit der von ihm erwarteten
„éviction“ der Algerien-Franzosen eine „Schwachstelle“ („faille“) aufwies: „(…) il n’y
avait pas de symétrie entre Algériens et Pieds-noirs. Les seconds avaient à la fois
une patrie (la France) et un pays (l’Algérie); les premiers n’avaient pas de patrie.
Fallait-il continuer à les en priver pour que les Pieds-noirs conservent un pays?
Même selon la justice la plus abstraite, le droit politique des Algériens à une patrie
était supérieur à celui, culturel, des Pieds-noirs à conserver leur pays.“83 Oder
man kann, ohne auf das von Camus angesprochene grundsätzliche Problem direkt
einzugehen oder eingehen zu müssen, auf Camus’ Vorstellung von Algerien ver-
weisen, wie David Carroll diese neuerdings umrissen hat (und die uns heute mo-
dern erscheint): Algerien, so Carroll, war für Camus Heimatland einer hybriden Ge-
meinschaft mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen, Ethnien oder Völkern, ein
offener, im Laufe der Geschichte von ganz unterschiedlichen Völkern bewohnter,

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durchwanderter oder beherrschter Raum.84 Vorstellungen von einer homogenen
algerischen nationalen Identität, von Gründungsvätern, von Erstgeburtsrecht oder
von Erstbesitz betrachte er als gefährliche nationalistische Mythen oder Fiktionen.
Keine Ethnie, kein Volk, keine Religion – ob Muslime, Katholiken oder Juden –
konnte für Camus ein primäres oder exklusives Recht auf das Land, auf Algerien,
geltend machen.85
   Welche Lösung schwebte Camus für Algerien in politisch-institutioneller Hinsicht
vor? Camus schlug eine Föderation zwischen Frankreich und Algerien vor. „Une
Algérie constituée par des peuplements fédérés, et reliée à la France“: mit diesen
Worten hat Camus seine Position Anfang 1958 knapp umrissen.86 Wie suchte Ca-
mus seinen Vorschlag angesichts der offenkundigen Antagonismen plausibel zu
machen? Franzosen und Araber sah er in einer Schicksalsgemeinschaft verbun-
den. „(…) en Algérie Français et Arabes sont condamnés à vivre ou à mourir en-
semble“.87 Er wiederholte seine Formeln von 1945: Algerien „existiert“; „le peuple
arabe a gardé sa personnalité qui n’est pas réductible à la nôtre“.88 Er beschwor
eine (fiktive) „communauté franco-arabe“,89 sprach von einer „association de deux
peuples dans la liberté et le respect mutuel“90 und bemühte Frankreichs „vocation
arabe“.91 Zur Untermauerung seines Vorschlags griff er auf die früher von ihm for-
mulierten Gedanken zurück, in denen er das Mittelmeer als Begegnungsstätte
schöpferischer Synthesen, von Okzident und Orient, gepriesen hatte.92 Ein unab-
hängiges, souveränes, dazu noch von Moskau oder Kairo instrumentalisiertes und
einseitig auf die arabische, muslimische Welt ausgerichtetes Algerien würde mit
seiner Orientierung nach Osten (und seiner Abwendung vom Süden und Westen)
diese Bande zerreißen. Als Ziel skizzierte Camus das (grandiose) Bild einer Frank-
reich und die französischen Überseegebiete vereinenden Föderation, deren Dreh-
scheibe das Mittelmeer wäre, mit Algier als „capitale fédérale“ und Sitz des „parle-
ment fédéral“, einer Föderation, die sich „eines Tages mit einem schließlich verein-
ten Europa“ zusammenschließen würde.93 In seinem die Chroniques algériennes
abschließenden Beitrag „Algérie 1958“ wird er sich im Hinblick auf die innere Ver-
fasstheit Algeriens den von Marc Lauriol, einem Rechtsexperten der Universität Al-
gier, vorgeschlagenen Plan eines „fédéralisme personnel“ zu eigen machen.94
   Für Camus war der Föderalismus ein attraktives Konzept, weil er die Verschie-
denartigkeit der Gruppen aufgrund von Geschichte, Kultur, Sprache oder Geogra-
phe akzeptiert und es erlaubt, unterschiedliche Völker und Ethnien (Franzosen,
Araber, Berber …) in einer Gemeinschaft zu vereinen oder zusammenzuführen,
ohne die Unterschiede zu negieren. „La fédération“, so Camus, „est d’abord l’union
des différences“.95 Föderale Ideen hatte Camus schon vor dem Krieg vertreten.
Ihm war bewusst, dass sie schwer mit den jakobinischen Traditionen Frankreichs
zu vereinbaren waren. Mit föderalem Gedankengut war Camus verstärkt in der
Résistance in Kontakt gekommen. Altiero Spinelli, überzeugter Föderalist und Ver-
fasser des berühmten Manifestes von Ventotene, hatte mit ihm Kontakt aufgenom-
men. Camus war Mitglied des Comité français pour la Fédération européenne und
leitete im März 1945 das erste Treffen europäischer Föderalisten in Paris.

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   Föderale (oder konföderale) Gedanken – im zeitgenössischen Sprachgebrauch
wurde, wie auch heute noch, zwischen beiden nicht immer klar unterschieden –
wurden in den fünfziger Jahren im Hinblick auf Frankreichs Überseebesitzungen
keineswegs nur von Camus vertreten. In den Überlegungen zur Zukunft und Um-
wandlung des französischen Kolonialreiches haben sie bis etwa 1960 nicht nur in
den Plänen der Metropole, sondern gerade auch bei afrikanischen Politikern eine
große und bislang kaum untersuchte Rolle gespielt. Andere Strukturen als der un-
abhängige Nationalstaat wurden von ihnen für durchaus denkbar und realistisch
gehalten. Die Vorstellungen reichten von einer afrikanischen Föderation, die mit
Frankreich in einer Konföderation verbunden sein würde (so etwa Léopold Sédar
Senghor und Mamadou Dia), bis hin zu einer Föderation zwischen Frankreich und
einzelnen afrikanischen Staaten, einer „fédération française“, wie sie Félix Houpho-
uët-Boigny für die Elfenbeinküste vertrat.96 Für Algerien freilich war die Idee einer
Föderation angesichts der Antagonismen zwischen den Gemeinschaften und des
Verhältnisses Algeriens zu Frankreich unrealistisch und weltfremd.
   Um für die „trêve civile“ zu werben, flog Camus im Januar 1956 nach Algier. In
der angespannten Lage war das Vorhaben nicht ungefährlich. André Mandouze,
Dozent an der dortigen Universität und dem FLN nahe stehend, alarmierte Jean
Daniel: „Dissuadez Camus de venir. Il va se faire assassiner.“ Und tatsächlich er-
hielt er Morddrohungen.97 Entstehung, Verlauf und Folgen seines spektakulären
Appells vom 22. Januar sind wiederholt dargestellt worden98 und sollen hier nicht
erneut ausgebreitet werden. Die Initiative ging aus von einem die „Liberalen“ ge-
nannten Kreis von Intellektuellen und Künstlern Algeriens, die gemeinsam mit ei-
ner Gruppe von Muslimen einen Ausweg aus der Lage suchten und sich Ende
1955 im Comité pour la Trêve civile zusammenschlossen. Camus gab seine Zu-
stimmung Anfang Dezember 1955. In Algier war das Klima im Vorfeld von Camus’
Auftritt äußerst gespannt. Während seines gesamten Aufenthaltes in Algier (18.-25.
Januar) war bei den Initiatoren die Furcht vor gewalttätigen Auseinandersetzungen
und einem Anschlag auf Camus groß. Nach einem vertraulichen Hinweis des
Direktors der örtlichen Nachrichtenpolizei (Police des renseignements généraux,
P.R.G.), Camus könne entführt werden, wurden ihm zwei von Camus selbst ausge-
wählte Leibwächter zur Seite gegeben – „des copains de Belcourt, deux anciens
boxeurs… de véritables armoires à glace“.99 Der Bürgermeister zog kurzfristig
seine Zusage zurück, die Veranstaltung in einem der Festsäle seines Amtssitzes
stattfinden zu lassen. Stattdessen hielt Camus seinen Vortrag auf Vorschlag von
Mohamed Lebjaoui im von Muslimen frequentierten, zwischen der Place du Gou-
vernement und der Kathedrale am Rande der Casbah gelegenen Cercle du
Progrès. Der Cercle du Progrès war ein Zentrum muslimischer Kultur und von den
Oulémas gegründet worden. Im letzten Augenblick mussten neue Eintrittskarten
gedruckt werden, da bekannt wurde, dass gefälschte Eintrittskarten im Umlauf wa-
ren. Camus sprach vor etwa 1.000 bis 1.500 Zuhörern100 (mehrheitlich Europäer,
viele Frauen, wenige Muslimas, kaum Arbeiter), zu denen während des Vortrags
auch Ferhat Abbas stieß. Camus und Abbas umarmten sich, der aber in der fol-

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