Reisemagazin - Bregenzerwald

Die Seite wird erstellt Aurel Oswald
 
WEITER LESEN
Reisemagazin - Bregenzerwald
reisemagazin

                                                                    Anton Fröwis
                                                                    im Gemeinschaftsgarten in Bezau

                                                            Bergikonen: Widderstein
Ausgabe 18 | € 5,50 | www.bregenzerwald.at

                                              sommer 2018

                                                            In der Schneckenlochhöhle
                                                            Am Weitwanderweg zum Käse
                                                            Urban Gardening am Land
                                                            Marktleben und Weltmusik
                                                            Architektur und Savoir vivre
                                                            Kochen, Kulinarik und Kräuter

                                                                            reisemagazin bregenzerwald · 1
Reisemagazin - Bregenzerwald
Raiffeisen. Meine Bank
                                                 im Bregenzerwald

              Wenn ’s um unsere Region geht,
                            ist nur eine Bank meine Bank.

                             www.raiba.at

2 · reisemagazin bregenzerwald
Reisemagazin - Bregenzerwald
Editorial
                                                                                                                                                                    ­ Herlinde Moosbrugger ist ­Geschäftsführerin
                                          Reisebegleiter Bregenzerwald
                                                                                                                                                                      von Bregenzerwald Tourismus
                                          Parallel zu diesem Magazin erscheint halb­
                                          jährlich (­Winter/Sommer) der Reisebegleiter
                                          Bregenzerwald mit allen Informationen zum                                                                                      Servus!
                                          Tourismusangebot der Region.
                                          Im Sommer von Wandern (inklusive ­kleiner
                                                                                                                                                                         Irgendjemand hat kürzlich angemerkt, der
                                          Wanderkarten) über Outdoor-Aktivitäten,
                                          ­Programm mit Kindern, Kultur, Baukunst und                                                                                    ­Bregenzerwald sei die „urbanste“ ländliche
                                           Kulinarik bis zum Wohlfühl-Angebot.                                                                                            Region, die er kenne. Ich habe mir überlegt,
                                           Im Winter von Ski alpin, Langlauf,                                                                                             was damit denn wohl gemeint sein könnte.
                                           ­Snowboarding, Winterwandern bis zu Kultur,                                                                                    Und ob das nun gut oder schlecht ist.
                                            Baukunst, Kulinarik und Wohlfühlen.
                                                                                                                                                                          Der Trend geht ja eigentlich in Richtung Stadt.
                                            Ihr persönliches Exemplar des ­
                                            Reisebegleiters erhalten Sie kostenlos bei                                                                                    Urbane Räume ziehen viele Menschen an, die
                                            ­Bregenzerwald ­Tourismus.                                                                                                    jungen Menschen möchten heute vor allem
                                                                                                                                                                          in Städten leben. So haben viele ländliche
                                                                                                               AutorInnen dieser Ausgabe                                  Gebiete mit Abwanderung zu kämpfen.
                                                                        reisebegleiter
                       somm er 2018

                                                                                                                                                                          Unter diesem Aspekt betrachtet könnte man
                                                                                                               Thorsten Bayer: Journalist und Autor, u. a. für            die Aussage, der Bregenzerwald sei urban, als
                                                                                                               die FAZ und NZZ, in Vorarlberg                             ­Kompliment auffassen. Nämlich insofern, als
                       b regen z erwald

                                                                                                               Milena Broger: Köchin und Autorin im                        der Bregenzerwald eine ähnliche Attraktivität
                                                                                                               ­Bregenzerwald                                              und damit Anziehungskraft auf Menschen aus-
                                                                                                                Markus Curin: Journalist und Kulinarikexperte              übt wie städtische Umgebungen.
                                                                                                                in Vorarlberg                                              Vielleicht hat es damit zu tun, dass Ideen und
                                                                                                                Birgit Feierl: Germanistin und Autorin                     Initiativen, die eigentlich eher einem städti-
                                                                                                                Walter Fink: Journalist und Autor in Vorarlberg            schen Umfeld zugeordnet werden, auch im
                                                                                                                Toni Innauer: Olympiasieger im Skispringen,                ­Bregenzerwald umgesetzt werden.
                                             s omm er 2018                                                      Sportexperte und Unternehmer                                Ein schönes Beispiel findet sich in dieser Aus-
arlberg . Österreich                         Anregungen & Adressen.
0
enzerwald.at
                                             Ihr Reisebegleiter durch
                                             den Bregenzerwald.                                                 Carina Jielg: Kulturredakteurin im ORF                      gabe des Reisemagazins in der Geschichte
                                                                                         09.12.2017 11:35:56
                                                                                                                ­Vorarlberg                                                 über „Urban Gardening“. Die Bregenzerwald-­
                                                                                                                 Reinhard Johler: Universitätsprofessor in                  Variante davon heißt eben „Gemeinschafts­
                                                                                                                 Tübingen                                                   garten“. Dort pflanzen über siebzig Personen
                                                                                                                 Babette Karner: Autorin in Vorarlberg                      ihr eigenes Gemüse und ihren eigenen Salat
                                          Die erste Auskunftsstelle                                              Irmgard Kramer: Schriftstellerin im                        an. ­Darüber hinaus ist der Gemeinschafts­
                                                                                                                 Bregenzerwald                                              garten auch für viele ein Treffpunkt geworden
                                          Das Informations- und Service-­Center                                  Bartholomäus Natter: Musiker und Autor aus                 und erfüllt damit auch eine Kommunikations-
                                          in Egg berät Sie über alle Belange des                                 dem Bregenzerwald                                          funktion.
                                          ­Bregenzer­waldes und über Ihren Urlaub. Hier
                                           finden Sie u.a. einen frei zugänglichen Internet-                     Peter Natter: Philosoph und Autor in                       Das breite Angebot an Freizeitinfrastruktur
                                           ­Terminal, eine Vorverkaufsstelle für den                             Vorarlberg                                                 und Sportmöglichkeiten – von Seilbahnen bis
                                            3-­Täler-Skipass sowie eine Ausgabestelle für die                    Isabella Natter-Spets: Designexpertin aus dem              Schwimmbädern und von Wandern bis Para­
                                            Bregenzerwald Gäste-Card.                                            Bregenzerwald                                              gleiten – trägt auch zur Attraktivität der Region
                                                                                                                 Birgit Rietzler: Dichterin im Bregenzerwald                bei. Aber auch Faktoren wie gute Schulen,
                                          Bregenzerwald Tourismus                                                Georg Sutterlüty: Historiker im Bregenzerwald              Kinder­betreuungseinrichtungen, Kulturange-
                                          Impulszentrum 1135, 6863 Egg
                                                                                                                 Armin Thurnher: Herausgeber der Wochen-                    bote bzw. Kulturinitiativen, soziales Umfeld,
                                          Vorarlberg, Österreich
                                          T +43 (0)5512 2365                                                     zeitschrift „Falter“ in Wien                               leistbares Wohnungsangebot und natürlich
                                          F +43 (0)5512 3010                                                                                                                Arbeitsplätze in der Region oder in annehm-
                                          info@bregenzerwald.at                                                                                                             barer Entfernung im Rheintal sind wesentlich
                                          www.bregenzerwald.at                                                                                                              für die hohe Anziehungskraft des Bregenzer-
                                                                                                                                                                            waldes.
                                          Öffnungszeiten:
                                          Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr                                                                                               Um diese lebendige und ­attraktive Region zu
                                                                                                                                                                            bleiben, bedarf es der Anstrengungen vieler
                                                www.facebook.com/BregenzerwaldTourismus                        Urlaubsland Österreich – Feedback geben und                  Menschen – und die Gäste im ­Bregenzerwald
                                                www.youtube.com/bregenzerwaldtourism                           gewinnen!                                                    leisten dazu einen ganz wesentlichen Beitrag.
                                                #bregenzerwald                                                 Hier geht es zur Umfrage: tmona.at/l7u2

                                                                                                                                                                                          reisemagazin bregenzerwald · 3
Reisemagazin - Bregenzerwald
München
                                              Lindau

                       Bodensee

                                              Bregenz

                    Zürich
                                      Dornbirn

                                                                       Vorarlberg

Bregenzerwald
                                                                                    Österreich
                                                                                    Austria
Vorarlberg – Österreich           Feldkirch

                                                 Bludenz

                                                           Innsbruck
                                                           Wien

                        0 4              20 km

www.vorarlberg.travel
www.vorarlberg.travel
4 · reisemagazin bregenzerwald
Reisemagazin - Bregenzerwald
In der Schneckenlochhöhle:
                      Wo die Erde atmet 8                                       Inhalt
                                                                                Sommer 2018

                                                          8

   Natters Lesungen Der Philosoph liest                                                                  26 Vom Acker in den Bach und auf
Ingeborg Bachmann im Bregenzerwald 14                                                                    den Markt Wochenmarkt in Bezau

    Wandern, bis der Käse kommt Ein                                                                      29 Klänge aus weiten, fremden
    Weitwanderweg im Bregenzerwald 16                                                                    Welten Alfred Vogel und sein
                                                                                                         Bezau Beatz
  Wenn Generationen gärtnern Urban
      Gardening im Bregenzerwald 20

                                                          20                     29

              34 Umgang Bregenzerwald                                                                    38 Familiengeschichte weitertreiben
              Schoppernaus Sozialreformer                                                                Der Tannahof in Au

                36 Simon in Sibratsgfäll                                                                 41 Behutsam beim Bauen
             Simon Hofer arbeitet mit Holz                                                               Interview mit dem Architekten
                                                                                                         Helmut Dietrich

                                                              36                41

                                                                   Kolumnen:                             44 Lasst uns übers Essen reden
                                                Aus der Luft gegriffen 13                                Kulinarik im Bregenzerwald
                                                  G’hörig Wälderisch 23
                                                Wälder, weit, weit weg 25                                47 So kochen die Helden im Wald
                                                   Felder und Wälder 31                                  Feines aus den Wirtshausküchen
                                                    Armin Thurnher 32
                                                 Alphabet des Waldes 33                                   50 Ein Glas voll ­duftender
                                                        Form im Wald 43                                  ­Erinnerung Milenas Rezept.
                                                                     Service:                             Diesmal: Kräuter einlegen
                                                  Tipps der Redaktion 54
                                                  Buchbare Angebote 58           50

  Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Bregenzerwald Tourismus GmbH, Impulszentrum 1135, 6863 Egg, Österreich
  Konzeption/Redaktion: Fuchs & Partner, Wien Konzeption/Gestaltung: Frank Broger Fotoredaktion: Margret Broger
  Fotografie: Adolf Bereuter Illustrationen: Ligia González
  Druck: Druckhaus Gössler, Bezau

                                                                                                                      reisemagazin bregenzerwald · 5
Reisemagazin - Bregenzerwald
Bergikonen im Bregenzerwald: Über dem Tal
     zieht der Widderstein als König der Höhen
     Gunst und Zorn der Witterung an

6 · reisemagazin bregenzerwald
Reisemagazin - Bregenzerwald
reisemagazin bregenzerwald · 7
Reisemagazin - Bregenzerwald
Wo die Erde atmet
                                 Eine Wanderung vom Vorsäß Schönenbach in die Schneckenloch-
                                 höhle. Aus dem heißen, hellen Sommer in die kalte, dunkle Erde.
                                 So lange, bis wir das Pochen ihres Atems hören

8 · reisemagazin bregenzerwald
Reisemagazin - Bregenzerwald
reisemagazin bregenzerwald · 9
Reisemagazin - Bregenzerwald
Schon vor der Höhle hat die
Stimmung etwas Magisches
an sich. So als wäre die
Gegend, durch die wir
­ziehen, eine in Mythen
 beschworene Vorstufe
 zur Unterwelt. Und dann
 ­tauchen wir dort ein, wo es
  kalt heraufweht …

  Wir treffen uns beim Bizauer
Kirchplatz. Eine kleine Gruppe von
sechs Personen. Wir geben uns die
Hand, viel mehr als ein „Servus“ sagen
wir nicht zueinander. Die Runde wirkt
bedächtig, wohl schon aufgeregt, in
welche Tiefen uns der Höhlenführer
Lutz Schmelzinger führen wird.
  Dann die gemeinsame Fahrt nach
Schönenbach. Ein Kuhtrieb kommt
uns entgegen und bringt uns sommer-
liche Grüße aus den Bergen mit. Von
Schönenbach aus wandern wir hinauf
Richtung Ifengebirge zur Schnecken-
lochhöhle. Schon diese Wanderung
ist ein besonderes Naturerlebnis: Die
Wasserstürze des Baches rauschen
bedächtig dahin, die Wälder kühlen die
sommerliche Luft, im Hintergrund ein
Summen, dann wieder Stille. Die Stim-
mung hat etwas Magisches an sich, als
wäre die Gegend gerade Teil einer mit
Mythen beladenen Sage.
  Nach gut einer Stunde erreichen wir
den Fuß der Höhle. Ein riesiges Loch
klafft im Felsen und lässt uns, die wir
vom Aufstieg erhitzt sind, seinen kal-
ten Hauch spüren. Wir machen uns          Die Gruppe der Höhlenwanderer mit ihrem kundigen Führer Lutz Schmelzinger am
startklar, schlüpfen in einen Overall,    Einstieg zur Schneckenlochhöhle bei Schönenbach
in der Fachsprache Schlaz genannt,
setzen einen Helm auf und stülpen         Höhlenforscher und drangen in die         Höhle Vorarlbergs beworben. Seit in
darüber eine Stirnlampe. Ein letztes      Tiefen ein. Das war eine kleine Sensa-    den letzten Jahren weitergeforscht
Foto von der Gruppe, deren Mitglieder     tion, sogar in einer Wiener Tageszei-     wurde, weiß man heute mehr: Die
nun wie Außerirdische aussehen. „Ein      tung wurde davon berichtet. Das Rei-      Höhle ist zwar um fast die Hälfte län-
Abschiedsfoto“, meint unser Führer        semagazin „Dillinger“ meinte 1907,        ger als angenommen, doch wurde im
ironisch.                                 die Höhle werde künftig neben dem         Montafon zwischenzeitlich eine um
  Um die Schneckenlochhöhle ranken        Skilauf den „Hauptanziehungspunkt         fünfzig Meter längere entdeckt.
sich, so wird gesagt, einige Geschich-    für die Fremden bilden“. Vermes-            Kaum steigen wir in die Höhle hinab,
ten. Doch schriftlich verbürgt ist sehr   sen und aufgezeichnet wurde sie in        klappert ein Stein unter den Füßen
wenig. Woher der Name stammt, ist         den 1940er- und 1950er-Jahren. Man        von Schmelzinger. Es hallt hinein in
unbekannt. Entdeckt worden sein soll      ging von einer Länge von gut andert-      die Tiefe des Berges. Er meint, wir
sie vor gut 400 Jahren, wahrschein-       halb Kilometer aus, wenn man beide        müssten die Höhlengeister aufwecken.
lich von einem Hirten oder Jäger.         Hauptarme zusammenrechnet. Das            Ah, um sie zu vertreiben? „Aber nein“,
Im Sommer 1906 kamen die ersten           Schneckenloch wurde als die längste       sagt er. „Um sie zu warnen, dass sie

10 · reisemagazin bregenzerwald
sich noch was anziehen können, bevor
wir kommen.“
  So geht’s dahin, wir traben über ein
Meer aus Stein und Fels. Der Unter-
grund ist feucht und schlierig. Wir
müssen uns gelegentlich mit den
Händen abstützen, die Fortbewegung
erfordert Konzentration und Gleichge-
wicht. Beim Blick zurück ist aus dem
riesigen Eingang ein kleines Lichtloch
geworden. Ehe wir uns versehen, hat
der Berg uns verschluckt. Wie Nebel-
schwaden umhüllt uns Dunkelheit,
die lediglich durch die Lichtkegel der
Stirnlampen durchbrochen wird.
  Die ersten Höhlenpioniere haben
sich vor hundert Jahren noch mit Ker-
zen oder Gaslampen durchgeschla-
gen. Sie berichten von Tropfsteinen,
heute längst aus der Höhle entwendete
Relikte, von Eisbergen und Eiszapfen
bei winterlichen Temperaturen, und
das, wie jetzt, mitten im Sommer. Der
erste Höhlenabschnitt erschien ihnen
von der Dimension her wie ein in Fel-
sen gehauener gotischer Dom. Die
Berichte waren enthusiastisch und vol-              Nun geht es im Gänsemarsch aus dem Sommer hinein in die Unterwelt
ler Pathos; man könnte meinen, die
Pioniere seien zuweilen vor Staunen                 wir in Tümpeln winzige Höhlenkrebse.            Was aber verzaubert, ist diese
regelrecht erstarrt.                                Auch die Flora ist hier in der Unterwelt      Masse an Steinen und namentlich
  Wir bleiben stehen, Schmelzinger                  äußerst geizig mit ihren Reizen. Nur          der so unförmige Strukturaufbau der
leuchtet die Wände aus, ab und an ist               ein paar Flechten schimmern leicht im         Höhlenwände. Kalksteinschichten
ein kleiner schwarzer Fleck auszuma-                Lampenlicht. Was für ein Unterschied          sind kreuz und quer übereinander­
chen – eine Fledermaus, die sich hier               zur Sommerpracht draußen: Dort vol-           geschlichtet – keine Ordnung, keine
abgesetzt hat. Viel mehr Tiere kriegen              ler Farben, Gerüche und Laute, hier           Form erkennbar, als hätte der ­Maurer
wir nicht zu Gesicht. Doch entdecken                Stille, Dunkel und Kargheit.                  bei seiner Arbeit die Wasserwaage

Tipp: Outdoor
Outdoor-Spezialisten bieten Spielerisches und Abenteuerliches rund ums Thema Berg und Wasser an

Rafting, Canoe, Canyoning,                          Rafting, Kanu-Tour, Funkajak, Aqua-Hoch-      Berg-, Canyoningtouren, Klettern,
Bungy – 106 Meter                                   seilgarten, geführte Höhlentouren in die      Flying Fox, Familien- und Gruppenprogramme
HIGH 5 outdoor GmbH                                 Schnecken­lochhöhle, 3D-Bogenschießen         Alpinschule Schröcken, Josef Staggl
T +43 (0)5513 4140                                  Lutz Schmelzinger                             T +43 (0)664 2525200
www.outdoor.at                                      T +43 (0)676 7837878                          www.alpinschule-schroecken.at
                                                    www.aktiv-zentrum.at
Klettersteig, (Familien-)Canyoning,                                                               Canyoning, Klettersteige, Hütten­
Kletter-Camp, Bergtouren                            Canyoning & Abenteuerprogramme                wanderungen, Kanisfluh-Überschreitung
Alpinschule Widderstein, Christian Fritz            Holzschopf.com – Outdoor and more             Ski- und Bergführer, Canyoning Guide
T (0)664 5127357                                    Jürgen Strolz                                 Thomas Dietrich
www.alpinschulewidderstein.com                      T +43 (0)664 3801540                          T +43 (0)664 4683999
                                                    www.holzschopf.com                            www.der-gipfel.at
Canyoning, Klettertouren,
Berg- und Flusswanderungen                          Canyoning: Individual- und                    Wandern, Klettern, Klettersteig, Bergsteigen
Franko Rietzler                                     Gruppentouren                                 mit Moses
T +43 (0)680 2257927                                Alpine-Passion, Jürgen Riegger                Ski- und Bergführer Markus Moosbrugger
www.frankorietzler.at                               T +43 (0)664 9400515                          T +43 (0)664 3429465
                                                    www.alpine-passion.at                         www.mitmoses.at

                                                                                                                reisemagazin bregenzerwald · 11
Der Höhlenführer Lutz Schmelzinger
     im Schneckenloch

12 · reisemagazin bregenzerwald
Aus der Luft gegriffen
links liegen gelassen. Das Gebilde droht    werden umgangen, erste kleine Kletter-                     Olympiasieger im Skispringen, Sportexperte und
wie ein Kartenhaus einzustürzen, sollte     passagen gemeistert. Ein kalter Wind                       Unternehmer ­(www.­innauerfacts.at) –
man nur einen Stein aus der Wand ent-       bläst uns entgegen, ein Zeichen, dass                      Toni Innauer aus dem Bregenzerwald
fernen. Doch Schmelzinger erklärt uns,      die Höhle enger wird. Bis wir an einer
die Höhle sei ein statisches Meister-       Wand anstoßen. Ist das das Ende?                           Bregenzerwald, einfach
werk, das schon Tausende Jahre auf sei-       Nein, erst jetzt beginnt der richtige
nem Buckel habe und die Menschheit          Höhlenritt. Am unteren Ende der Wand                       Lange haben wir die Idee eines familiären Jakobs-
wohl auch noch um ebenso viele Jahre        erscheint ein Durchschlupf. Dort ist es                    wegs mit uns herumgetragen: zu Fuß vom Bre-
überleben werde. Säuerliches Was-           wirklich eng. Wir kriechen hinein und                      genzerwald nach Thaur in Tirol. Aber die Jugend
ser habe sich durch den Schrattenkalk       robben einige Meter auf dem Bauch.                         hatte keine Lust und artikulierte dies unmissver-
einen Weg gebohrt, ganze Bäche kön-         Der schmale Gang führt in eine Grotte,                     ständlich. Wir hatten wohl zu lange gewartet oder
nen, wenn der Stein aufgelöst ist, durch    deren Wände silbern schillern. Dann                        waren noch 15 Jahre zu früh dran.
einen Berg fließen, lassen dann Hohl-       weiteres Robben und Kriechen, der                              Sohn Jakob lässt uns bei 32 Grad am Haupt-
räume zurück. Aus wasserwegsamen            gotische Dom hat sich längst in eine                       bahnhof Innsbruck mit den besten Wünschen in
Fugen entsteht ein ganzes L   ­ abyrinth    Katakombe verwandelt. Wir hören das                        den Railjet nach Feldkirch steigen. Die Fenster sind
von Gängen, in denen wir uns nun            Rauschen eines Baches, der seinen Weg                      verriegelt, damit die Klimaanlage arbeiten kann
bewegen.                                    über die Felsblöcke nimmt. Es sei keim-                    und niemand in Versuchung gerät, bei 160 km/h
  Erst jetzt wird uns bewusst, dass wir     freies Wasser, verrät uns Schmelzinger                     eine Hand in den weggesperrten Orkan zu hal-
eigentlich in eine Zeitmaschine gestie-     und nimmt direkt von der Felskante                         ten. In einer modernen Zuggarnitur reist die Luft
gen und in der Erdgeschichte zurück-        einen Schluck. „Zumindest verdursten                       mit derselben Geschwindigkeit wie die Passagiere,
gereist sind. Eine Kalksteinschicht von     tut man hier nicht“.                                       gekühlt und sauber in Waggons und Abteile
gut zwanzig Zentimetern Breite steht          Wir gelangen ans Ende der Höhle, 700                     portioniert.
für einen Zeitraum von 30.000 Jah-          Meter in der Tiefe, uns kommt es wie                           „Ne pas se pencher au dehors!“ „E`pericoloso
ren Geschichte – eine ganze Höhlen-         einige Kilometer vor. Über eine kleine                     sporgersi!“ Hatten wir diese exotischen Warnun-
wand, wie sie sich vor uns türmt, für       Felswand gelangen wir an eine Art Zwi-                     gen schon im Wälderbähnle entdeckt, als jenes
einige Hunderttausende Jahre. Wie           schengewölbe, es ist kaum über einen                       noch von Bezau nach Bregenz zockelte? Erinnerlich
man auf einem hohen Berggipfel ganz         Meter hoch. Gemeinsam sitzen wir da,                       ist mir ein Hauptschulausflug, bei dem wir lauthals
klein wird, wenn man in die weite Welt      schalten unsere Lichter aus und werden                     „PERRRICOLOSOOOO!!!“ in den Wind brüllten. Den
schaut, so ist es auch hier in einigen      ruhig. Die Dunkelheit holt uns wieder                      Kollegen im hinteren Waggon flog unser Geschrei
hundert Meter Tiefe, wo einem das           ein, im Hintergrund das Rauschen des                       entgegen, während wir da vorne – Dopplereffekt-
Leben wie ein Wimpernschlag in der          Baches. Aber sonst – nichts. Oder doch                     bedingt – kaum etwas hörten vom weggespülten
Unermesslichkeit der Zeit vorkommt.         etwas? Ganz im Hintergrund ein ruhi-                       Geschrei der „Nachzügler“. Deutlich wahrnehmbar
  Wir dringen nun tiefer in die Höhle       ges, langsames Pochen. Es ist, als ob die                  aber waren das Schimpfen und die energischen
ein. Sie steigt an, kleinere Felsen         Erde atmen würde.       Georg Sutterlüty                   Griffe von Lehrer und Schaffner, die unsere Schul-
                                                                                                       bubenoberkörper mit vereinten Kräften und am
                                                                                                       Kragen aus dem rauschenden Luftstrom fischten.
                                                                                                           In gut zwei Stunden „beamt“ man sich per Auto
                                                                                                       oder Zug von Innsbruck in den Bregenzerwald. Für
                                                                                                       den Retourweg über die Bergkämme brauchen
                                                                                                       meine trittsichere Marlene und ich neun Tage.
                                                                                                       Regen, Hitze, Schneefall, Nebel, schirmbrechender
                                                                                                       Sturm und atemberaubende Perspektiven machen
                                                                                                       unsere Wanderung im Vergleich zu hunderten
                                                                                                       Reisen im „fahrenden Büro“ unvergesslich. Berg-
                                                                                                       wandern eröffnet nicht nur geometrisch die dritte
                                                                                                       Dimension. Die aromatische Luft wird mit jedem
                                                                                                       Höhenmeter dünner und kühler.
                                                                                                           Der Blick aus der rauen Natur hinunter in die
                                                                                                       gepflegten Kulturlandschaften findet die Zeichen
                                                                                                       der Macht, aber auch der Wirkungslosigkeit des
                                                                                                       Menschen, und wohltuende Distanz zum eigenen
Glücklich zurück: Nach dem Abenteuer in der kalten und dunklen Unterwelt sind die                      Dasein in den engen Tälern macht die Brust weit.
Höhlenwanderer froh, wieder an der Sonne zu sein

                                                                                                                      reisemagazin bregenzerwald · 13
Wie Hören
                                  und Sehen
                                  vergehen
                                  Der Philosoph Peter Natter nimmt
                                  sich im B
                                          ­ regenzerwald ein Buch
                                  vor und liest es mit Blick auf seine
                                  unmittelbare Umgebung. Diesmal:
                                  Ingeborg ­Bachmann

14 · reisemagazin bregenzerwald
Dass die WälderInnen nicht               dem Leser zu tun als mit dem Gele-           der Ingeborg Bachmann: Traumnotate,
auf jeden Zug aufspringen, mag auch         senen, vermute ich, weil eben „jeder         Briefe, Brief- und Redeentwürfe aus
daran liegen, dass in ihrer Region          Leser, wenn er liest, ein Leser seiner       schwerer Zeit: Liebesdesaster mit dem
­keiner (mehr) fährt. Man sollte das        selbst ist“, wie das Diktum des fran-        Schweizer Autor Max Frisch, der auch
 letztlich doch jähe und abrupte Ende       zösischen Romanciers Marcel Proust           einer war, der leicht etwas angefan-
 des Wälderbähnles auch einmal unter        lautet. Nun also Ingeborg Bachmann           gen und sich mit dem Aufhören, dem
 diesem stark ideellen Aspekt betrach-      im Bregenzerwald gelesen, im stillen         Schlussmachen, dem Aussteigen sehr
 ten, nicht immer nur unter geologi-        Häuschen in der Großdorfer Parzelle          schwer getan hat; Klinikaufenthalte,
 schen oder gar ökonomischen Krite-         ­Sieban, an einem nebligen, verregne-        psychischer Zusammenbruch, Sucht,
 rien. Oder war es mehr ein langsames        ten Spätsommerwochenende.                   Zweifel und Verzweiflung.
 Sterben, ein stetes Dahinsiechen?             Der erste Band einer neuen Werk-                Gut, dass es neblig und grau ist
   Den Fotos nach zu schließen, die zu       ausgabe, mit der die Dichterin ebenso       ­draußen, denn Sonnenschein passt zu
 verschiedenen Anlässen prachtvoll           geehrt wie in der Gegenwart begrüßt          dieser Lektüre schlecht. Es ist eine Lek-
 geschmückte Bahnhöfe und Zuggarni-          wird. Eine noble Ausstattung, Leinen­        türe, die tief ins Private der Autorin
 turen zeigen – etwa noch im Jahr 1980       einband, ein seidenglänzendes Lese-          vordringt: „Ist diese Aufmerksamkeit
 beim Empfang des Olympiasiegers             bändchen, ein sorgfältig gestalteter         für die autobiographische Wahrheit
 Toni Innauer –, gab es durchaus Zeiten,     Schutzumschlag: Ehre, wem Ehre               nicht ein Sakrileg für die Literatur-
 in denen der Wald bereit war, auf den       gebührt. Die Bachmann war eine große         wissenschaft und für die Literaturkri-
 Zug der Modernität aufzuspringen,           Dichterin.                                   tik?“, steht im Vorwort des Buches, und
 Anschluss zu suchen, teilzunehmen.            Die Begrüßung fällt herzlich aus,          ­weiter: „Verstößt die Veröffentlichung
 Und heute? Eine Museumsbahn auf             ausgiebig, also kein schnelles ­„Servas“,     von Traumnotaten, Briefen und Rede-
 arg verkürzter Strecke, mehr nicht. Das     sondern empathische Umarmungen,               Entwürfen nicht gegen die Gebote der
 ist ein bisschen wenig, oder? Verdäch-      echte Dialoge. Im Buch nimmt das die          Diskretion, gegen das Briefgeheimnis
 tig wenig.                                  Gestalt eines umfangreichen Kom-              und den Schutz der Privatsphäre?
   Das Alte zu ehren und das Neue zu         mentarteils an, mit dem das Werk                  Ja, die hier vorgelegten Texte ver­
 grüßen: Das Wort des Bizauer Dich-          im Heute situiert wird, oder besser:          stoßen gegen Schweigegebote, die den
 ters Gebhard Wölfle (1848 – 1904) ist in    für uns Heutige, die wir ja in diesem         kranken Menschen schützen sollen,
 vieler Munde und entsprechend stra-         Heute stets etwas verloren herum-             von denen sich der kranke Mensch
 paziert. Überhaupt: Wo wenig ist, wird      tappen, wenn die Verknüpfung mit              aber auch umstellt sieht, und das nicht
 das Wenige umso mehr strapaziert.           dem Gewesenen nicht klappt oder die           nur aus guten Gründen. Ingeborg
 Das ist normal, aber deswegen nicht         Orientierung aufs Kommende. (Denn             ­Bachmann wäre an diesem Schweigen
 unbedingt positiv. Was heißt es denn,       dass etwas war, ist ebenso wenig von           und einer falsch verstandenen Diskre-
 das Alte zu ehren, das Neue zu grüßen?      der Hand zu weisen wie, dass etwas             tion fast zugrunde gegangen.“
 Wie ehrt man Altes, wie grüßt man           kommt: und zwar ständig.)                         Damit schließt sich der Kreis: Auf den
 Neues? Heißt ehren ins Museum stel-           Um die Metapher vom Zug noch-                Zug der Zeit aufzuspringen oder ihn
 len, abstauben dann und wann? Heißt         mals zum Zug kommen zu lassen: Auf             vorüberfahren zu lassen, zu schweigen
 grüßen „Servas! “ sagen, unverbind-         einen Zug aufzuspringen oder auch              oder zu reden, zu verschweigen oder
 lich? Was bedeutet es schließlich, um       nur in einen Zug einzusteigen, mag oft         zu erzählen: Die dogmatischen Lösun-
 zum Thema zu kommen, eine Dichte-           gerechtfertigt, ja notwendig und schön         gen sind problematisch. Denn das Alte
 rin zu ehren? Die Ehre könnte durch-        und gut sein. Dann ist es aber zu gege-        zu ehren und das Neue zu grüßen, das
 aus darin bestehen, sie neu zu lesen.       bener Zeit auch das Gegenstück: abzu-          sind nicht zwei Sachen, es ist eins! Das
   Neu: oder wieder oder endlich. End-       springen, auszusteigen. Frage: Welches         Alte wird ins Neue überführt und das
 lich Ingeborg Bachmanns (1926 – 1973)       von beiden ist schwieriger? Ich meine:         Neue wird am Alten gemessen. Das
 Werke zu lesen, auch wenn sie einer         Letzteres. Einsteigen, aufspringen ist         Alte ist kein Gerümpel, das Neue nicht
 anderen Zeit, einer vergangenen             noch relativ harmlos. Schon bist du            die Erlösung. Die Ingeborg-Bachmann-
 Epoche anzugehören scheinen, und            oben, auf dem Trittbrett zumindest             Werkausgabe ist keine Museumsbahn
 einer ganz anderen Weltgegend. Aber         (das es früher wirklich noch gab) und          und kein ICE. Sie ist ein langer, ­langer
 gehört Literatur in eine Gegend?            der Fahrtwind saust dir um die Ohren,          Zug, eine Transsibirische Eisenbahn
 Gehört Literatur einer Gegend? Gehört       dass dir Hören und Sehen vergeht.              oder ein Orient-Express, etwas in der
 denn irgendetwas irgendjemandem             Das Schwierigere ist der Ausstieg, das         Art. Dass ich ins Großdorf, in den
 oder irgendwohin? Was gehört sich           Abspringen gar, denn allzu schnell             ­Bregenzerwald gehen muss, um das zu
 überhaupt?                                  hast du einen Schwung drauf, der                erfahren, ist eine wichtige Lektion.
   Es stimmt wohl, was der US-amerika-       nicht deiner ist. Exakt davon erzählt                                       Peter Natter
 nische Dichter Walt Whitman schreibt:       der erste Band der neuen Bachmann-
 „Es macht einen enormen Unterschied,        Werkausgabe. Er bringt unter dem Titel      Ingeborg Bachmann: Male oscuro.
 wo man liest.“ Doch das hat wieder          „Male oscuro. Aufzeichnungen aus der        Aufzeichnungen aus der Zeit der Krank-
 einmal mehr mit der Leserin und             Zeit der Krankheit“ sehr private Texte      heit. Suhrkamp Piper, 2017

                                                                                                       reisemagazin bregenzerwald · 15
Wandern, bis der
Käse kommt
 Ich machte mich auf den                    Zweimal umsteigen. Der Busfahrer
 Weg. Weitwandern im                      arbeitet seit fünf Uhr früh. Sein Dienst
 ­Bregenzerwald auf dem                   dauert fünfzehn Stunden, danach muss
                                          er seinen Bus reinigen – innen und
  Käseweg. Begegnungen                    außen. Alles glänzt. In Sulzberg geht es
  mit Heuwagen, Hitze,                    los. Vom Tourismusbüro habe ich eine
­Weisheiten, schottischen                 ausführliche Wegbeschreibung bekom-
  Hochlandrindern, Demut,                 men. Ein Zettel, denn das soll mein Off-
  tollen Wirtsleuten, Thomas              line-Urlaub werden. Systeme herunter-
  Jefferson, Blasmusikanten,              fahren. Seit März habe ich 116 Lesungen
                                          absolviert. Nach ein paar Metern ziehe
  Hagel, Kuhfladen und
                                          ich das Handy aus dem Rucksack, klam-
  Milchtankern                            mere mich daran, mache Fotos, checke
  Ich gehöre nicht zu den Leuten,         E-Mails, würde mir gern ein Hörbuch in
die vom Jakobsweg träumen. Höhen-         die Ohren stopfen. Verflixtes Ding.
meter finde ich blöd. Trotzdem kaufe        Das Panorama könnte kitschiger
ich mir neue Bergschuhe, Wander-          nicht sein. Eine junge Frau in Flip-Flops
socken und einen bescheuerten Hut.        schiebt einen Kinderwagen den Berg
Den Koffer packe ich mit Genuss, ich      hoch. Der Milchtanker von den Käse-
muss ihn ja nicht tragen. Vielleicht      Rebellen kommt mir entgegen. Sonst
komme ich endlich dazu, „Alexander        niemand. Es duftet nach Heu und Mist.
von Humboldt und die Erfindung der        Schwalben. Meine Güte, was haben
Natur“ zu lesen.                          die alle ein Händchen für ihre Gärten.
                                          Etwas Weißes surrt durch die Luft und
1. Tag: Keuchend stehe ich Hochland-      fällt vor mir auf den Weg. Ein Golfball.
rindern gegenüber                         Ich komme mir vor wie Aschenbrödel
An jenem Morgen im Juli wünsche ich       und nehme ihn mit. Vielleicht öffnet
mir Humboldts Zyanometer, um die          er sich, wenn ich ihn brauche und gibt
Bläue des Himmels messen zu können.       ein Ballkleid preis, oder wenigstens
Ich fühle mich wie Hape Kerkeling und     einen Golfschläger. Ich bade in der
frage mich, ob ich Geschichten begeg-     Weißach, überquere eine alte gedeckte
nen werde. Die liegen ja bekanntlich      Holzbrücke.
auf der Straße. Im Bus treffe ich eine      Auf meinen Lesereisen komme ich
Freundin. Sie fährt ins Fitnesscenter     viel herum, aber eine dermaßen per-
zum Rückentraining. Man hat ihr ver-      fekt ausgebaute Infrastruktur in jedem      Vereine, Juppenwerkstatt, Gasthäuser,
sprochen, in sieben Wochen schmerz-       Dorf habe ich sonst nirgends gesehen.       eine Bank. Und das bei etwa tausend
frei zu werden, das war vor einem Jahr.   Riefensberg zum Beispiel: Lebensmit-        Einwohnern. Nur zum Arzt müssen sie
Wandern? Für sie unmöglich. Wie pri-      telladen, Golf-, Tennis- und Volley­        ins nächste Dorf.
vilegiert ich bin. Mir tut nichts weh.    ballplatz, Spielgruppe, ­Kindergarten,        500 Höhenmeter bergauf. Keuchend
Noch nicht.                               Schule, Bücherei, 60 Betriebe, 22           stehe ich Hochlandrindern gegenüber.

Unterwegs durch gedeckte Holzbrücken, an Bauernhäusern vorbei. Manchmal begegnen einem Fremde wie diese Hochlandrinder.

16 · reisemagazin bregenzerwald
Auf der Alpe Ostergunten oberhalb von Schönenbach am Weg nach Au erfährt man, wie der Alpkäse gemacht wird und schmeckt

Sie gehören Michael Dorn, der die glei-      Im Wald wird es dunkel. Bedrohliche       Alkoholgehalt im Bier. Einer erzählt,
che Freundlichkeit ausstrahlt wie seine    Felsen. Ich trete durch das Steinerne       dass er vor der Beerdigung seiner
Tiere. Die Rinderfamilie ist elf Jahre     Tor. Vor mir tut sich das Hochlandmoor      ­Mutter sehr nervös war und schnell
alt, steht während des ganzen Jahres       auf und der Höhenzug des Hochhä-             zwei Flaschen Bier leerte. Am Grab ver-
im Freien und hat noch nie einen Tier-     derich. In einer Hütte esse ich Suppe.       lor er das Gleichgewicht, stürzte auf
arzt gebraucht.                            Drei Schwaben unterhalten sich über          den Sarg und brach sich den Knöchel.

Während man wandert und sich mit frischem Brunnenwasser stärkt, sieht man den Einheimischen bei der Feldarbeit zu

                                                                                                    reisemagazin bregenzerwald · 17
Käse, frisch von den Erzeugern. Die Wanderin nimmt ein Stück davon auf ihrem restlichen Weg mit. Sie hat ja sonst kein Gepäck

Die letzten zwei von 16 Kilometern          suche nach der Fernbedienung: Kein           des Regenwaldes und den Folgen für
hinunter nach Hittisau sind müh-            Fernseher. So muss es sein. Ich hole         Bodenbeschaffenheit, Wasserpegel und
sam. Im Schwimmbad tummeln sich             meinen Wälzer aus dem Koffer und             Klima warnte. Einer seiner Freunde war
die Kinder. Ich hatsche ins Dorf. In        lese. Nichts lenkt mich ab.                  Thomas Jefferson – immerhin, es gab
der Krone werde ich begrüßt und               Alexander von Humboldt erkannte            einmal amerikanische Präsidenten, die
bestaune die ausgewählten Bücher            die Natur als einen einzigen leben-          klug, visionär und bewundernswert
in den Regalen. Magazine und                den Organismus, in dem alles mit             waren.
­Zeitschriften. Hier will ich bleiben.      allem zusammenhängt. Er war der                 In der Wirtsstube führe ich ein
    Mein Koffer steht bereits im            Erste, der den vom Menschen beein-           angeregtes Gespräch mit Dietmar
 ­Zimmer. Es duftet nach Zitrone und        flussten Klimawandel beschrieb,              ­Nußbaumer, dem Wirt. Er hat einen
  Holz. Ich dusche mich, lege mich ins      indem er bereits im Jahr 1800 vor             eigenen Hausphilosophen angestellt,
  Bett und fühle mich sauwohl. Ich          der zerstörerischen Abholzung                 einen Mann mit Behinderung, einen

18 · reisemagazin bregenzerwald
Iraker, einen Syrer, eine Kellnerin arbei-   nach oben. Wie eine Glasscheibe fällt                Auf der Alpe Ostergunten steckt ein
tet hier schon 25 Jahre. In der Krone        der Regen und zerspringt beim Auf-                 Traktor tief in einem Moorloch, ein
trifft man Nobelpreisträger, Chefredak-      prall in Splitter und Scherben. Fleisch            anderer Traktor versucht ihn herauszu-
teure und Einheimische, die nach der         auf dem Grill, Salatschüsseln, Posau-              ziehen: Männer und Söhne wie Orgel-
Kirche zum Früh­schoppen kommen.             nen und Trompeten. Jeder nimmt,                    pfeifen. Ich lerne die Familie Metzler
Ich schlafe wie ein Murmeltier.              was er zu fassen kriegt und rennt. Ich             kennen, kaufe Bergkäse und schleppe
                                             hinauf ins Zimmer: Hagelkörner über-               ihn über den Stogger Sattel.
2. Tag: Wie eine Glasscheibe fällt der       all. Mit fünf Handtüchern trockne                    Der Marsch nach Au ist zäh. Die
Regen                                        ich den Boden. Als ich nach unten                  Sonne knallt. Keine Blasen an den
Am Morgen wandere ich um den                 komme, gehen das Konzert und das                   Füßen, aber trotz Sonnenschutz ein
Hittisberg und denke über meinen             Essen in der Stube weiter, als sei nichts          Hitzeausschlag. Mitten im Wald steht
Umgang mit Medien nach: Twitter,             gewesen.                                           eine Kapelle mit einer „Schwarzen
Facebook, Wikipedia – schal, oberfläch-                                                         Madonna“. Dort ist es kühl.
lich, unbefriedigend. Ich nehme mir          3. Tag: Ein Traktor steckt tief in                   In Au steige ich in den Bus. Kinder
vor, mich wieder tiefer mit Themen           einem Moorloch                                     belagern mich und fragen, ob ich wie-
zu beschäftigen. Ich sehe Eschen – sie       Der Sonnenaufgang ist unbeschreib-                 der eine Geschichte schreibe. Sie hät-
sterben wirklich. Ein Schlauchpilz aus       lich. Der Weg nach Schönenbach ein                 ten da Ideen von einem Bauernhof und
Ostasien macht sie in ganz Europa            Highlight.                                         einem Geheimgang, vom Vollmond
fertig.                                        Ich bin müde. Über dreißig Grad. Ich             und einem Goldschatz. Den trage ich
  Am tiefsten Punkt opalfarben der           könnte in den Bus steigen und heim-                mit nach Hause. Meine Fantasie fliegt
Subersachstausee. Alles, was ich             fahren. Aber brav bringe ich alle Kilo-            wieder. Das Handy ist längst unter dem
abwärts gegangen bin, muss ich               und Höhenmeter hinter mich.                        Käse vergraben.         Irmgard Kramer
nun wieder bergauf. Verwunschener
Moorsee im Wald. Vorsäßhütten. In
Schetter­egg komme ich viel eher an als      Reisetipp      Weitwandern Bregenzerwald
angegeben – vielleicht hätte ich Pause
machen sollen.
  Schetteregger Hof. Mein Koffer steht
im Zimmer. Unter dem Sonnenschirm
gefällt es mir. Zwei Männer führen
über Tische hinweg einen verbalen
Schwertkampf: „Du gehst schon?“ –
„Ich hab halt noch ein Familienleben.“
– „Gehst du morgen zur Festspieleröff-
nung?“ – „Meine Güte, euer Essen sieht
gut aus.“ – „Wir haben auch was dafür
getan.“ – „Ihr esst die Pilze, die wir
nicht gefunden haben.“
  Anita Albrecht, die junge Wirtin,
rennt und lacht und ist zu jedem
freundlich. Ihr Mann kocht. Sie haben
vier Kinder. Das Hotel ist ein Familien-
paradies. Manchmal kommt die Welt
hierher: Chinesische Gäste mit 16 Kin-
dern, die Reiskocher aufstellen und auf
dem Balkon kochen. Arabische Frauen,
die im Pyjama ihre Kinder stillen und
                                             Nur mit dem Rucksack bestückt, führt die Wanderung durch den Bregenzerwald. Das Gepäck reist
sich verschleiern, sobald sie den Hotel-
                                             währenddessen komfortabel von Hotel zu Hotel.
flur betreten.
  Nach einem Mittagsschlaf bin ich           Drei verschiedene Weitwanderwege stehen zur Wahl:
endgültig tiefenentspannt. Seit 18           Der Käseweg führt an drei Tagen von der sanften Voralpenlandschaft bei Sulzberg über die Vorsäß-
Stunden gart der Chef ein Pulled Pork.       Siedlung Schönenbach nach Au.
Die Egger Blasmusik nimmt unter dem          Auf dem Wasserweg entdeckt man an zwei Wander­tagen die unterschiedlichen Uferlandschaften
Balkon Platz. Schwarze Wolken formie-        der Bregenzerach.
                                             Der Architekturweg führt vier Tage lang durch verschiedene Bregenzerwälder Dörfer.
ren sich um die Winterstaude. Nach
fünf Takten Musik bricht das Gewitter        Weitere Informationen: siehe S. 58
los. Eine Böe klappt Sonnenschirme

                                                                                                               reisemagazin bregenzerwald · 19
Wenn
                                  Generationen
                                  gärtnern
                                  „Urban Gardening“ im
                                  Bregenzerwald. Auch aus der
                                  Perspektive eines Vogels
                                  verlockend: der Gemein-
                                  schaftsgarten in Bezau

20 · reisemagazin bregenzerwald
reisemagazin bregenzerwald · 21
Im Gemeinschaftsgarten arbeiten Generationen zusammen: Anja Innauer mit ihrer Tochter ...

Die Idee, zu den Wurzeln des                wirklich, doch der Anblick eines üppi-      Gemüse einfach besser schmeckt.“
Gemüses zurückzukehren,                     gen Bauerngartens ist heute auch in         Und entspannend sei die Arbeit auch.
                                            ländlichen Gegenden selten gewor-           Fröwis lächelt: „Manchmal schaue ich
trifft in Berlin und Bezau
                                            den. Und so trifft die Idee, zu den Wur-    sogar abends auf dem Nachhauseweg
denselben Nerv der Zeit:                    zeln des Gemüses zurückzukehren, in         vom Tourismusbüro im Garten vor-
Eigenbau. Im Gemeinschafts-                 Berlin und Bezau denselben Nerv der         bei – in Anzug und Krawatte.“
garten in Bezau betreiben                   Zeit: Nahrung ohne Kilometer, Ernäh-          Auch für viele andere ist der Garten
seit 2016 siebzig Menschen                  rung ohne Gift und Kunstdünger,             längst mehr als ein simpler Acker: Er
„Urban Gardening“                           Pflanzen, um die man sich vom Setz-         ist auch ein Treffpunkt. Vor allem mitt-
                                            ling bis zur Frucht persönlich geküm-       wochs, denn da sind die Hauptverant-
                                            mert hat.                                   wortlichen des Gemeinschaftsgartens,
  Am Fuße der Reuthener Kirche                „Freiwilliges Gärtnern ist eine Gene-     Isabella Moosbrugger sowie Verena
St. Jakob wachsen Kohlrabis. Ein üppi-      rationenfrage“, sagt Anton F  ­ röwis aus   und Peter Feuerstein, zugegen.
ger Gemüsegarten schmiegt sich in           Bezau, der junge Leiter des Mellauer          Es sind zwei resolute Frauen mit
die malerische, geschützte Nische des       Tourismusbüros und ein Bezauer              kurzen Hosen und kurzen Haaren, die
bewaldeten Hügels. Eingebettet zwi-         Gemeinschaftsgärtner der ersten             mich an einem heißen Julimorgen
schen einem langgestreckten Höhen-          Stunde: „Für meine Eltern war ein           barfuß im Garten begrüßen. Beiden
zug und der Straße nach Bizau, da, wo       eigener Gemüsegarten das Unmo-              sprüht die schiere Begeisterung für das
sommers der Wanderweg und winters           dernste, was sie sich vorstellen konn-      Gärtnern, für die Erde, für das uralte
die Loipe vorbeiführt, liegt seit 2016      ten. Sie wollten eine Ausbildung            und umfangreiche Wissen, wie Pflan-
der Bezauer Gemeinschaftsgarten. Auf        machen, arbeiten gehen und nicht            zen am besten wachsen, richtiggehend
2.300 Quadratmetern pflanzen hier           Unkraut jäten und Kartoffeln ernten.        aus der Seele – auch ohne Worte. Und
mehr als 70 Menschen, von der jun-          Für uns unter 40-Jährige hingegen           sie wirken wie Zwillingsschwestern,
gen Familie bis zum alleinstehenden         ist der eigene Gemüsegarten wieder          wenn sie erzählen und die eine den
Pensionisten, nicht nur Kohlrabi an,        etwas Besonderes, Erstrebenswertes –        Satz beendet, den die andere begon-
sondern auch Bohnen und Brokkoli,           vielleicht auch, weil wir ganz ohne         nen hat.
Karotten und Kartoffeln, Kürbisse, Bee-     ihn aufgewachsen sind.“                       „Im Bregenzerwald sind Gemüse­
ren, Tomaten, Zucchini und Salat.             Anfangs hätten ihn manche Kolle-          gärten und -felder ziemlich selten
  „Urban Gardening“ nennt sich ein          gen gefragt, warum er sich das antue,       geworden“, sagt Isabella ­Moosbrugger,
Trend, der in den letzten Jahren die        wo es doch auch im Supermarkt               und ein betrübter Schatten huscht
Großstädte dieser Welt erfasst hat:         regionales Gemüse zu kaufen gebe.           kurz über ihr braungebranntes Gesicht.
„Wie baue ich auf meiner Terrasse eige-     „Aber hier weiß ich, dass tatsächlich       Sie ist die Obfrau der Gartenfreunde
nes Gemüse an?“ Urban ist das „Gar-         keine Pestizide drin sind. Ganz abge-       Reuthe-Bezau und die Urheberin des
dening“ im Bregenzerwald zwar nicht         sehen davon, dass selbst angebautes         Gemeinschaftsgartens.

22 · reisemagazin bregenzerwald
G’hörig Wälderisch
                                                                                                Birgit Rietzler, Dichterin im Bregenzerwald,
                                                                                                stellt typisches „Wälderisch“ vor
  Es ist bereits der zweite Garten, den     geben Tipps, wenn man uns fragt. Aber
Bezau Isabellas unermüdlicher Leiden­       wir drängen uns nicht auf. Man darf
                                                                                                Winn as schiaggot
schaft verdankt: Der erste war der          den Leuten nicht gleich sagen, was
Bahnhofsgarten, in dem sie vor allem        sie falsch machen. Mit den Gärtner-
                                                                                                Wenn es schwankt
mit Kindern und Jugendlichen aus            Neulingen geht es uns ein bisschen
Bregenzerwälder Schulen Obst und            wie Müttern mit ihren Kindern: Man                  Hi und dau well as gad gär ned und schiaggot as
Gemüse anpflanzt.                           zeigt ihnen was und lässt sie eigene                schwär.
  „Ohne Isabella gäbe es all das hier       Erfahrungen machen.“ Isabella fügt                  	Ab und zu will es ganz und gar nicht und
nicht“, sagt Verena Feuerstein. „Manch-     schmunzelnd hinzu: „Wir züchten hier                  schwankt es bedenklich.
mal fragt man uns, was wir für unsere       ja nicht nur Gemüse, sondern auch                   Gad dinowag, dass d‘ do Hinnobrupflar und do
Arbeit hier bekommen, aber ich mache        Gärtner.“                                           ­Knüschnappar kriogo künntoscht.
das doch nicht wegen des Geldes – son-        Anton Fröwis versorgt mittlerweile                	Grad so, dass du Gänsehaut und Knie­
dern weil es wunderbar ist, all das, was    seine ganze Familie mit Gemüse. Mit                   schlottern bekommen könntest.
Isabella über das Gärtnern weiß, wei-       seinem Bruder und dessen Familie                    Dau nützt ka Boozo, Schnoaro, Schtoamo, Kiebo,
terzugeben. Die ganze Weisheit, die         bewohnt er ein gemeinsames Haus, er                 Schrölau und Arhoano.
sie von ihren Eltern und Großeltern         selbst ist alleinstehend und kocht sehr             	Da nützt kein Wüten, Schimpfen, Toben,
bekommen hat, wäre sonst für immer          gerne. „Ich fühle mich wie der Garten-                ­Maulen, Weinen und Ausrasten.
verloren.“ Und der Kontakt zur Erde         vermittler zwischen den Generationen                Andr hind ou scho do Karro in Dräck gfahro.
und zu den vielen Mikroorganismen,          und versuche, auch meine Nichten                    	Andere haben auch schon den Karren in den
die sie bevölkern, sei nicht nur für den    und Neffen für das Gärtnern zu begeis-                Dreck gefahren.
Körper gesund, sondern auch für die         tern“, erzählt er.                                  As gaut lang, bis as nümma gaut. Di ärgschto
Seele, ergänzt Isabella nachdenklich.         Seiner Mutter habe er im Frühjahr                 Trüllar feondod a Loh.
  Dennoch würden sie die neuen Gärt-        kurzerhand Tomaten an die Garagen-                  	Es geht lange, bis es nicht mehr geht. Die
ner erst einmal selber machen las-          wand gepflanzt, lacht Fröwis und ver-                 ­ärgsten Tölpel finden einen Ausweg.
sen, schildert Verena Feuerstein: „Wir      rät ein Geheimnis des entspannten                   Winn ma nia a Gfrett hätt, wüod ma villiecht no
sind da, wenn man uns braucht; wir          Gemüseanbaus: „Meine Mama war                       gär z‘ üborschtellig.
                                                                                                	Wenn man nie Probleme hätte, würde man
                                                                                                  vielleicht noch gar zu übermütig.
                                                                                                Di Olto seigod: Winn Goß und Esl z’wohl wed, fond’s
                                                                                                a scharro.
                                                                                                	Die Alten sagen: Wenn’s der Geiß und dem
                                                                                                  Esel zu wohl wird, scharren sie mit den
                                                                                                  Hufen.
                                                                                                Und was set a muotiga Wäldar odr a fruotige
                                                                                                Wäldare?
                                                                                                	Und was sagt ein mutiger Bregenzerwälder
                                                                                                  oder eine regsame Bregenzerwälderin?
                                                                                                „Winn i eaz ned arscholt mit Göate odr Gwolt, bliebt
                                                                                                meor do Wold.“
                                                                                                	„Wenn ich etwas nicht schaffe, weder mit
                                                                                                  Güte noch Gewalt, bleibt mir der Wald.“
                                                                                                Der fallt ned um, bloß well numan a grüseliche
                                                                                                Täremääre hat.
                                                                                                	Der fällt nicht um, nur weil jemand ein
                                                                                                  schreckliches Desaster hat.
                                                                                                Alls wed amaul bessr, abr hoffentle ned ejscht
                                                                                                Pfingscht am Hebscht.
                                                                                                	Alles wird einmal besser, aber hoffentlich
                                                                                                  nicht erst dann, wenn Pfingsten im Herbst
… und die Hauptverantwortlichen Isabella Moosbrugger (links im Bild) sowie Peter                  ist.
und Verena Feuerstein

                                                                                                                 reisemagazin bregenzerwald · 23
anfangs nicht sehr begeistert. Ihre
größte Sorge war, woher sie denn die
Zeit nehmen sollte, die Tomaten regel-
mäßig zu gießen. Aber Isabella hat uns
beigebracht, dass man Gemüsepflan-
zen nicht dauernd gießen soll. Lässt
man sie in Ruhe, wachsen die Wurzeln
auf der Suche nach Wasser tief in den
Boden: Das macht den Geschmack des
Gemüses viel intensiver.“
  Nicht jede von Antons Gartenunter­
nehmungen war gleich von Erfolg
gekrönt: „Vergangenen Sommer ist
mir der Brokkoli ausgeschossen und
plötzlich war viel zu viel Salat auf ein-
mal reif“, räumt er freimütig seine
Anfängerfehler ein. „Am Saisonende
hat mich Verena Feuerstein zur Seite
genommen und gesagt: ‚Mach das
doch kommendes Jahr ein bisschen
anders.‘ Das fand ich super.“
  Verena muss ob Antons Begeisterung
für ihre Tipps lachen: „Ein bisschen
geschimpft habe ich ihn im Herbst,
das stimmt. Sein Beet grenzt direkt an
meines, da bekomme ich natürlich so
einiges mit!“ Grundsätzlich dürfe aber
natürlich jeder pflanzen, was er wolle,
erklärt Verena. „So wie zum Beispiel
der Luis, das ist unser Bohnenliebha-
ber. Denn die pflanzt er am liebsten.
Und wenn sie reif sind, versorgt er uns
alle damit.“
  Matriarchat, denkt man sich und
will dieses Wort nicht erwähnen, doch
dann sagt es Isabella selbst: Dass die-
ser Garten schon ein wenig ein Matri-
archat sei. „Aber wir haben auch viele
matriarchalische Männer hier“, lacht
sie. „Das Leben funktioniert doch nur
gemeinsam, mit gegenseitiger Wert-
schätzung“, ergänzt Verena und winkt
einem hageren, älteren Herren mit
weißem Vollbart zu, der sich als Luis,
der Bohnenliebhaber, herausstellt.
  Weiter hinten gartelt eine junge Frau
und macht gleichzeitig Fotos. „Das
ist Susanne, unsere Gartenfotogra-
fin“, sagt Isabella. Als eine Kindergar-
tengruppe den Wanderweg entlang-
kommt und neugierig in den Garten           Die Arbeit im gemeinsamen Garten
lugt, drückt Verena den Kleinen kur-        macht allen Freude: Birgit Natter pflückt
zerhand einen Kohlrabi in die Hand.         Bohnen für die Kinder der Familie Canal
Zum Probieren.            Babette Karner

24 · reisemagazin bregenzerwald
Wälder, weit, weit weg
             Der Musiker Bartholomäus Natter berichtet von
             Menschen aus dem Bregenzerwald, die in der
             Fremde wirken

             Lady Gaga, Katy Perry, Sting
             Stephi Sutterlüty kommt ursprünglich aus Langen-
             egg, hat in Feldkirch und Luzern Oboe studiert und
             heute in Wien mit Lady Gaga mehr zu tun als mit
             Mozart. Wie es dazu kam, sei hier kurz erzählt.
             Der Professor in Luzern hatte einen hervorragen-
             den Ruf. Auch war Vorarlberg zwar nicht „too
             small“ für sie, trotzdem wollte sie einmal etwas
             anderes sehen. Obwohl sie die Studienzeit am Vier-
             waldstättersee sehr genossen hat, die Schweizer
             nett zu ihr waren und die „Gschäftelszene“ lukrativ,
             zog es sie dann doch nach Wien, wo zwei Schwes-
             tern, zwei Neffen und ein Schwager leben. Außer-
             dem kommen die Schweizer an den österreichi-
             schen Schmäh einfach nicht heran. Und in Wien ist
             deutlich mehr los als in Luzern.
                Die junge Musikerin kam über eine ihrer
             Schwestern zu einem Praktikum bei Barracuda
             Music, einem der größten Konzert- und Festivalver-
             anstalter des Landes. Daraus wurde bald eine Fest-
             anstellung. Stephi war zuständig für Band Accoun-
             ting und Band Care. Sie betreute Stars wie Lady
             Gaga, Katy Perry oder Sting bei ihren Auftritten.
             Besonders in Erinnerung geblieben sind ihr die
             Begegnung und das Konzert mit Bryan Adams, der
             nicht nur seine Soundchecks selber macht, sondern
             auch bei alten Songs immer wieder neue Nuan-
             cen auf die Bühne bringt und der sie insgesamt als
             großartiger Musiker beeindruckte.
                Heute betreut sie hauptsächlich die Cashless-
             Projekte ihrer Firma. Viele Festivals, wie etwa
             das Nova Rock oder das Frequency, sind cashless,
             das heißt, am Festivalgelände kommt kein Bar-
             geld mehr zum Einsatz. Dafür, dass trotzdem alle
             bezahlen, was sie zu trinken bekommen, ist Stephi
             zuständig. Daher ist sie bei den größten Festivals
             stets vor Ort.
                Weil Veränderungen das Leben erst interes-
             sant machen, schließt Stephi mittelfristig nichts
             aus, obwohl sie große Freude an ihrem Job hat
             und Wien ihr sehr gefällt. Als studierte Musikerin
             könnte sie sich vorstellen, wieder mehr im Klassik-
             bereich tätig zu sein. Auch auf Wien als endgülti-
             gen Lebensmittelpunkt möchte sie sich noch nicht
             festlegen, denn manchmal fehlt ihr der Bregenzer-
             wald schon. Dann fragt sie sich, ob sie nicht schon
             genug anderes gesehen hat.

                            reisemagazin bregenzerwald · 25
Freitagvormittag in Bezau. Markus Isenberg
     versorgt Kundinnen und Kunden am Markt

26 · reisemagazin bregenzerwald
Vom
Acker in
den Bach
und
auf den
Markt
 Der Wochenmarkt Bezau
 geht in seine dritte S­ aison.
 Von Juni bis Oktober
­verkaufen Einheimische
 freitags ihre Produkte am
 Dorfplatz. Kooperation spielt
 dabei eine große Rolle

   Es gibt fünf Gemeinschaftsstände:
Die Bäcker, Landwirte, Floristen, Sen-
ner und die Anbieter von Spezialitäten
(Marmelade, Öle, Geschenkideen, ...)
wechseln einander ab. So kann man sich
auf ein gleichbleibendes Sortiment ver-
lassen. Das exklusive Marktbrot gibt es
jeden Freitag – egal, welcher Bäcker die-
ses Mal vertreten ist.
   Weitere „Planungssicherheit“ bringen
die modernen Marktstände. Dank ihrer
Überdachung und den angebrachten
Dachrinnen hat der Regen keine Chance,
einen schönen Markttag zu vermiesen.
Hinzu kommt der optische Genuss: Das
Architekturbüro NONA Architektinnen
von Nora Heinzle und Anja Innauer in
Dornbirn hat die einheitlich gestalte-
ten Stände entworfen, Bregenzerwälder
Handwerksbetriebe haben sie gebaut.
   „Als wir das Projekt Wochenmarkt
gestartet haben, gab es anfangs viel
Skepsis“, erinnert sich Magdalena
­Steurer. „Nicht jeder Interessent konnte
 oder wollte jede Woche kommen.“ Sie
 ist die derzeit karenzierte Geschäftsfüh-
 rerin von witus, einer Genossenschaft,
 die sich der branchenübergreifenden
 Zusammenarbeit in fünf Gemeinden
 rund um Bezau widmet.

             reisemagazin bregenzerwald · 27
Bis dato hatte es im ganzen Bregen-
zer wald keinen Wochenmarkt gege-
ben. Wichtig war den Initiatoren, keine
externen Marktfahrer anzuziehen,
sondern ausschließlich auf einhei-
mische Händler und Produzenten zu
setzen. Dass diese Veranstaltung der
36-jährigen Bizauerin am Herz liegt,
wird im Gespräch klar: „Zum einen
funktioniert er branchen- und orts-
übergreifend, zum anderen ist Koope-
ration wichtig. Die witus-Maximen
spiegeln sich in diesem Projekt wider.“
  Der Erfolg gibt den Machern recht.
Viele Gäste haben im Frühjahr bereits
gefragt, wann es denn wieder losgeht.
Sie schätzen die entspannte, freundli-
che Atmosphäre, die sich bis in andere
Orte des Bregenzerwaldes herumge-         Der Markt im Ortszentrum von Bezau mit Produkten aus der Umgebung
sprochen hat. So ist der Freitag tat-
sächlich zum Freutag geworden, wie
es der Markt-Folder verspricht. Oder
wie es Magdalena Steurer formuliert:
„Wir haben wirklich a Gaude (Anm.:
Freude).“
  Dass die Marktteilnehmer diese Mei-
nung teilen, mag an einem bemer-
kenswerten Service liegen: Um den
Auf- und Abbau ihrer Stände müssen
sie sich nicht kümmern. Diese Arbeit
übernehmen der Gemeindemitarbei-
ter Helmut Eberle, die beiden witus-
Vorstände Georg Fröwis und Stefan
Meusburger sowie ehrenamtliche
Helfer für sie. Für nachhaltigen Erfolg
sorgt eine weitere Besonderheit: Das
ehrliche Versprechen, dass alles, was
auf dem Markt übrig bleibt, am nächs-
ten Tag in den Geschäften verkauft        Das Organisationsteam beim Aufbau der Stände
oder von der lokalen Gastronomie ver-
arbeitet wird.
  Meist braucht es keine Absprachen
mit den umliegenden Restaurants,
denn die Nachfrage ist so groß, dass
gar keine Reste entstehen. So wie beim
ersten Markt in Bezau 2016, als Roman
Natter schon um 10 Uhr sein Gemüse
komplett verkauft hatte. Er wusste sich
zu helfen und ging direkt aufs Feld,
wusch den frisch geernteten Salat im
Dorfbach und kehrte zu seinem Stand
zurück. In der Zwischenzeit hatte
Stefan Meusburger die Kundschaft
mit einem Gläschen Sekt bei Laune
gehalten.
  Das Leben im Dorf möchte witus
ankurbeln bzw. erhalten. Geschichten
wie diese zeigen, dass sie auf dem bes-
ten Weg dazu sind.     Thorsten Bayer     Roman Natter hinter seinem Stand mit selbstgezogenem Gemüse

28 · reisemagazin bregenzerwald
Klänge aus weiten,
fremden Welten
Das Schlagzeug ist Alfred
Vogels ständiger B­ egleiter.
Ob in New York, Berlin oder
Bezau. Dort setzt er der
lokalen Dürre in Sachen
Weltmusik das international
angesehene Festival Bezau
Beatz entgegen
   An so manchem Abend im
August, wenn die Hitze des Tages noch
wie greifbar in der Luft steht, wird der
Endbahnhof der einstigen Bregenzer­
waldbahn zur Filmkulisse. Schein-
werfer tauchen das Gelände mit den
alten Waggons, die viele Jahrzehnte
das Tal mit Bregenz verbunden hat-
ten, in helles Licht. Menschen, die
sich auf den Gleisen sitzend oder an
der Bar stehend unterhalten, werfen
lange Schatten. Lachen ist zu hören,
leise Musik und Schritte im dicken
Eisenbahnschotter. Es riecht nach alter    Alfred Vogel bringt mit Bezau Beatz Weltmusik in den Bregenzerwald
Kohle und Rost. Auf der Wartebank am
Bahnsteig sitzen Musiker, sie unterhal-    besonderen Ort. DJ-Fahrten mit der         hat. Aber bis jetzt war es noch jedes
ten sich, trinken etwas. Es ist Pause –    Dampflok, ausgesuchte Bregenzer-           Mal so, dass die Experimente bestens
eine zeitlose Überörtlichkeit unter der    wälder Spezialitäten – „ohne gutes         angenommen wurden. Das Entschei-
Bahnhofsuhr.                               Essen geht im Wald gar nichts!“ – und      dende ist immer die Intensität der
   Bald werden die Besucher wieder in      Auftritte von Jazzgrößen wie dem           Performance.“
die weit geöffnete Halle der Remise        US-Trompeter Peter Evans, der belgi-         Was sich nach einem Spaziergang
zurückgehen, um sich von den Klän-         schen Sängerin Trixie Whitley und des      anhört, war für Alfred Vogel ein
gen der nächsten Formation in andere       ­Reggae-Stars Wally Warning machten        Sprung ins kalte Wasser. Und quasi
Welten tragen zu lassen.                    aus dem einstigen Platzkonzert beim       aus der Not geboren. „Als ich mich vor
   „Für mich ist Musik schlicht das         Dorfbrunnen ein renommiertes Fes-         fast zwanzig Jahren der Liebe wegen in
Vehikel für Reisen im Kopf,“ sagt Alfred    tival. Vom Feuilleton gewürdigt und       Bezau niedergelassen habe, war hier
Vogel. „Dass das hier auf der offenen       dem Publikum gefeiert.                    nichts los in Sachen Jazz. Mir fehlte
Bühne eines Bahnhofsgeländes statt-           „Bewährtes ist wichtig, aber ich baue   der Austausch, den ich von Städten
finden kann, ist mehr als ein schönes       auch auf die Bereitschaft der Konzert-    wie New York gewohnt war. Ich musste
Sinnbild. Ich mag Bahnhöfe grundsätz-       besucher, sich auf etwas Neues, Unge-     etwas tun. Mir ein kleines bisschen
lich. Und den hier besonders. Er wirkt      wohntes einzulassen. Das Festival         Szene hierherholen.“
manchmal fast wie in einem Western.“        läuft gut, weil es diese Mischung gibt.     Den Großteil des Jahres lebt Alfred
   Die erste Bezau Beatz vor zehn           Wir bieten nicht eine Nacht lang aus-     Vogel das Leben eines Schlagzeugers
­Jahren fand noch auf dem Dorfplatz         schließlich Jazz, sondern eben auch       und Produzenten, der mit wechseln-
 statt. Auch dieser habe Charme gehabt,     Musik aus anderen Bereichen oder          den Musikern durch die Welt tourt
 meint der Musiker, Produzent und           genreübergreifende Projekte. Zuge-        oder welthaltige Alben einspielt (etwa:
 Veranstalter. Doch in der Remise sei       geben, das ist dann manchmal eine         Vogelperspektive Vol. 1 bis 5, Label:
 man wetterunabhängig und könne             Herausforderung für den eingefleisch-     boomslang Records). Ein stetig wach-
 das Festival zu einem Paket schnü-         ten Jazzfan und umgekehrt auch für        sender Teil der Zeit ist nun aber auch
 ren: Konzerte und Kulinarik an einem       den, der mit Jazz nicht viel am Hut       für das Veranstalten reserviert – auch

                                                                                                   reisemagazin bregenzerwald · 29
Sie können auch lesen