Reisemagazin - Bregenzerwald
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reisemagazin Anton Fröwis im Gemeinschaftsgarten in Bezau Bergikonen: Widderstein Ausgabe 18 | € 5,50 | www.bregenzerwald.at sommer 2018 In der Schneckenlochhöhle Am Weitwanderweg zum Käse Urban Gardening am Land Marktleben und Weltmusik Architektur und Savoir vivre Kochen, Kulinarik und Kräuter reisemagazin bregenzerwald · 1
Raiffeisen. Meine Bank im Bregenzerwald Wenn ’s um unsere Region geht, ist nur eine Bank meine Bank. www.raiba.at 2 · reisemagazin bregenzerwald
Editorial Herlinde Moosbrugger ist Geschäftsführerin Reisebegleiter Bregenzerwald von Bregenzerwald Tourismus Parallel zu diesem Magazin erscheint halb jährlich (Winter/Sommer) der Reisebegleiter Bregenzerwald mit allen Informationen zum Servus! Tourismusangebot der Region. Im Sommer von Wandern (inklusive kleiner Irgendjemand hat kürzlich angemerkt, der Wanderkarten) über Outdoor-Aktivitäten, Programm mit Kindern, Kultur, Baukunst und Bregenzerwald sei die „urbanste“ ländliche Kulinarik bis zum Wohlfühl-Angebot. Region, die er kenne. Ich habe mir überlegt, Im Winter von Ski alpin, Langlauf, was damit denn wohl gemeint sein könnte. Snowboarding, Winterwandern bis zu Kultur, Und ob das nun gut oder schlecht ist. Baukunst, Kulinarik und Wohlfühlen. Der Trend geht ja eigentlich in Richtung Stadt. Ihr persönliches Exemplar des Reisebegleiters erhalten Sie kostenlos bei Urbane Räume ziehen viele Menschen an, die Bregenzerwald Tourismus. jungen Menschen möchten heute vor allem in Städten leben. So haben viele ländliche AutorInnen dieser Ausgabe Gebiete mit Abwanderung zu kämpfen. reisebegleiter somm er 2018 Unter diesem Aspekt betrachtet könnte man Thorsten Bayer: Journalist und Autor, u. a. für die Aussage, der Bregenzerwald sei urban, als die FAZ und NZZ, in Vorarlberg Kompliment auffassen. Nämlich insofern, als b regen z erwald Milena Broger: Köchin und Autorin im der Bregenzerwald eine ähnliche Attraktivität Bregenzerwald und damit Anziehungskraft auf Menschen aus- Markus Curin: Journalist und Kulinarikexperte übt wie städtische Umgebungen. in Vorarlberg Vielleicht hat es damit zu tun, dass Ideen und Birgit Feierl: Germanistin und Autorin Initiativen, die eigentlich eher einem städti- Walter Fink: Journalist und Autor in Vorarlberg schen Umfeld zugeordnet werden, auch im Toni Innauer: Olympiasieger im Skispringen, Bregenzerwald umgesetzt werden. s omm er 2018 Sportexperte und Unternehmer Ein schönes Beispiel findet sich in dieser Aus- arlberg . Österreich Anregungen & Adressen. 0 enzerwald.at Ihr Reisebegleiter durch den Bregenzerwald. Carina Jielg: Kulturredakteurin im ORF gabe des Reisemagazins in der Geschichte 09.12.2017 11:35:56 Vorarlberg über „Urban Gardening“. Die Bregenzerwald- Reinhard Johler: Universitätsprofessor in Variante davon heißt eben „Gemeinschafts Tübingen garten“. Dort pflanzen über siebzig Personen Babette Karner: Autorin in Vorarlberg ihr eigenes Gemüse und ihren eigenen Salat Die erste Auskunftsstelle Irmgard Kramer: Schriftstellerin im an. Darüber hinaus ist der Gemeinschafts Bregenzerwald garten auch für viele ein Treffpunkt geworden Das Informations- und Service-Center Bartholomäus Natter: Musiker und Autor aus und erfüllt damit auch eine Kommunikations- in Egg berät Sie über alle Belange des dem Bregenzerwald funktion. Bregenzerwaldes und über Ihren Urlaub. Hier finden Sie u.a. einen frei zugänglichen Internet- Peter Natter: Philosoph und Autor in Das breite Angebot an Freizeitinfrastruktur Terminal, eine Vorverkaufsstelle für den Vorarlberg und Sportmöglichkeiten – von Seilbahnen bis 3-Täler-Skipass sowie eine Ausgabestelle für die Isabella Natter-Spets: Designexpertin aus dem Schwimmbädern und von Wandern bis Para Bregenzerwald Gäste-Card. Bregenzerwald gleiten – trägt auch zur Attraktivität der Region Birgit Rietzler: Dichterin im Bregenzerwald bei. Aber auch Faktoren wie gute Schulen, Bregenzerwald Tourismus Georg Sutterlüty: Historiker im Bregenzerwald Kinderbetreuungseinrichtungen, Kulturange- Impulszentrum 1135, 6863 Egg Armin Thurnher: Herausgeber der Wochen- bote bzw. Kulturinitiativen, soziales Umfeld, Vorarlberg, Österreich T +43 (0)5512 2365 zeitschrift „Falter“ in Wien leistbares Wohnungsangebot und natürlich F +43 (0)5512 3010 Arbeitsplätze in der Region oder in annehm- info@bregenzerwald.at barer Entfernung im Rheintal sind wesentlich www.bregenzerwald.at für die hohe Anziehungskraft des Bregenzer- waldes. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr Um diese lebendige und attraktive Region zu bleiben, bedarf es der Anstrengungen vieler www.facebook.com/BregenzerwaldTourismus Urlaubsland Österreich – Feedback geben und Menschen – und die Gäste im Bregenzerwald www.youtube.com/bregenzerwaldtourism gewinnen! leisten dazu einen ganz wesentlichen Beitrag. #bregenzerwald Hier geht es zur Umfrage: tmona.at/l7u2 reisemagazin bregenzerwald · 3
München Lindau Bodensee Bregenz Zürich Dornbirn Vorarlberg Bregenzerwald Österreich Austria Vorarlberg – Österreich Feldkirch Bludenz Innsbruck Wien 0 4 20 km www.vorarlberg.travel www.vorarlberg.travel 4 · reisemagazin bregenzerwald
In der Schneckenlochhöhle: Wo die Erde atmet 8 Inhalt Sommer 2018 8 Natters Lesungen Der Philosoph liest 26 Vom Acker in den Bach und auf Ingeborg Bachmann im Bregenzerwald 14 den Markt Wochenmarkt in Bezau Wandern, bis der Käse kommt Ein 29 Klänge aus weiten, fremden Weitwanderweg im Bregenzerwald 16 Welten Alfred Vogel und sein Bezau Beatz Wenn Generationen gärtnern Urban Gardening im Bregenzerwald 20 20 29 34 Umgang Bregenzerwald 38 Familiengeschichte weitertreiben Schoppernaus Sozialreformer Der Tannahof in Au 36 Simon in Sibratsgfäll 41 Behutsam beim Bauen Simon Hofer arbeitet mit Holz Interview mit dem Architekten Helmut Dietrich 36 41 Kolumnen: 44 Lasst uns übers Essen reden Aus der Luft gegriffen 13 Kulinarik im Bregenzerwald G’hörig Wälderisch 23 Wälder, weit, weit weg 25 47 So kochen die Helden im Wald Felder und Wälder 31 Feines aus den Wirtshausküchen Armin Thurnher 32 Alphabet des Waldes 33 50 Ein Glas voll duftender Form im Wald 43 Erinnerung Milenas Rezept. Service: Diesmal: Kräuter einlegen Tipps der Redaktion 54 Buchbare Angebote 58 50 Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Bregenzerwald Tourismus GmbH, Impulszentrum 1135, 6863 Egg, Österreich Konzeption/Redaktion: Fuchs & Partner, Wien Konzeption/Gestaltung: Frank Broger Fotoredaktion: Margret Broger Fotografie: Adolf Bereuter Illustrationen: Ligia González Druck: Druckhaus Gössler, Bezau reisemagazin bregenzerwald · 5
Bergikonen im Bregenzerwald: Über dem Tal zieht der Widderstein als König der Höhen Gunst und Zorn der Witterung an 6 · reisemagazin bregenzerwald
Wo die Erde atmet Eine Wanderung vom Vorsäß Schönenbach in die Schneckenloch- höhle. Aus dem heißen, hellen Sommer in die kalte, dunkle Erde. So lange, bis wir das Pochen ihres Atems hören 8 · reisemagazin bregenzerwald
Schon vor der Höhle hat die Stimmung etwas Magisches an sich. So als wäre die Gegend, durch die wir ziehen, eine in Mythen beschworene Vorstufe zur Unterwelt. Und dann tauchen wir dort ein, wo es kalt heraufweht … Wir treffen uns beim Bizauer Kirchplatz. Eine kleine Gruppe von sechs Personen. Wir geben uns die Hand, viel mehr als ein „Servus“ sagen wir nicht zueinander. Die Runde wirkt bedächtig, wohl schon aufgeregt, in welche Tiefen uns der Höhlenführer Lutz Schmelzinger führen wird. Dann die gemeinsame Fahrt nach Schönenbach. Ein Kuhtrieb kommt uns entgegen und bringt uns sommer- liche Grüße aus den Bergen mit. Von Schönenbach aus wandern wir hinauf Richtung Ifengebirge zur Schnecken- lochhöhle. Schon diese Wanderung ist ein besonderes Naturerlebnis: Die Wasserstürze des Baches rauschen bedächtig dahin, die Wälder kühlen die sommerliche Luft, im Hintergrund ein Summen, dann wieder Stille. Die Stim- mung hat etwas Magisches an sich, als wäre die Gegend gerade Teil einer mit Mythen beladenen Sage. Nach gut einer Stunde erreichen wir den Fuß der Höhle. Ein riesiges Loch klafft im Felsen und lässt uns, die wir vom Aufstieg erhitzt sind, seinen kal- ten Hauch spüren. Wir machen uns Die Gruppe der Höhlenwanderer mit ihrem kundigen Führer Lutz Schmelzinger am startklar, schlüpfen in einen Overall, Einstieg zur Schneckenlochhöhle bei Schönenbach in der Fachsprache Schlaz genannt, setzen einen Helm auf und stülpen Höhlenforscher und drangen in die Höhle Vorarlbergs beworben. Seit in darüber eine Stirnlampe. Ein letztes Tiefen ein. Das war eine kleine Sensa- den letzten Jahren weitergeforscht Foto von der Gruppe, deren Mitglieder tion, sogar in einer Wiener Tageszei- wurde, weiß man heute mehr: Die nun wie Außerirdische aussehen. „Ein tung wurde davon berichtet. Das Rei- Höhle ist zwar um fast die Hälfte län- Abschiedsfoto“, meint unser Führer semagazin „Dillinger“ meinte 1907, ger als angenommen, doch wurde im ironisch. die Höhle werde künftig neben dem Montafon zwischenzeitlich eine um Um die Schneckenlochhöhle ranken Skilauf den „Hauptanziehungspunkt fünfzig Meter längere entdeckt. sich, so wird gesagt, einige Geschich- für die Fremden bilden“. Vermes- Kaum steigen wir in die Höhle hinab, ten. Doch schriftlich verbürgt ist sehr sen und aufgezeichnet wurde sie in klappert ein Stein unter den Füßen wenig. Woher der Name stammt, ist den 1940er- und 1950er-Jahren. Man von Schmelzinger. Es hallt hinein in unbekannt. Entdeckt worden sein soll ging von einer Länge von gut andert- die Tiefe des Berges. Er meint, wir sie vor gut 400 Jahren, wahrschein- halb Kilometer aus, wenn man beide müssten die Höhlengeister aufwecken. lich von einem Hirten oder Jäger. Hauptarme zusammenrechnet. Das Ah, um sie zu vertreiben? „Aber nein“, Im Sommer 1906 kamen die ersten Schneckenloch wurde als die längste sagt er. „Um sie zu warnen, dass sie 10 · reisemagazin bregenzerwald
sich noch was anziehen können, bevor wir kommen.“ So geht’s dahin, wir traben über ein Meer aus Stein und Fels. Der Unter- grund ist feucht und schlierig. Wir müssen uns gelegentlich mit den Händen abstützen, die Fortbewegung erfordert Konzentration und Gleichge- wicht. Beim Blick zurück ist aus dem riesigen Eingang ein kleines Lichtloch geworden. Ehe wir uns versehen, hat der Berg uns verschluckt. Wie Nebel- schwaden umhüllt uns Dunkelheit, die lediglich durch die Lichtkegel der Stirnlampen durchbrochen wird. Die ersten Höhlenpioniere haben sich vor hundert Jahren noch mit Ker- zen oder Gaslampen durchgeschla- gen. Sie berichten von Tropfsteinen, heute längst aus der Höhle entwendete Relikte, von Eisbergen und Eiszapfen bei winterlichen Temperaturen, und das, wie jetzt, mitten im Sommer. Der erste Höhlenabschnitt erschien ihnen von der Dimension her wie ein in Fel- sen gehauener gotischer Dom. Die Berichte waren enthusiastisch und vol- Nun geht es im Gänsemarsch aus dem Sommer hinein in die Unterwelt ler Pathos; man könnte meinen, die Pioniere seien zuweilen vor Staunen wir in Tümpeln winzige Höhlenkrebse. Was aber verzaubert, ist diese regelrecht erstarrt. Auch die Flora ist hier in der Unterwelt Masse an Steinen und namentlich Wir bleiben stehen, Schmelzinger äußerst geizig mit ihren Reizen. Nur der so unförmige Strukturaufbau der leuchtet die Wände aus, ab und an ist ein paar Flechten schimmern leicht im Höhlenwände. Kalksteinschichten ein kleiner schwarzer Fleck auszuma- Lampenlicht. Was für ein Unterschied sind kreuz und quer übereinander chen – eine Fledermaus, die sich hier zur Sommerpracht draußen: Dort vol- geschlichtet – keine Ordnung, keine abgesetzt hat. Viel mehr Tiere kriegen ler Farben, Gerüche und Laute, hier Form erkennbar, als hätte der Maurer wir nicht zu Gesicht. Doch entdecken Stille, Dunkel und Kargheit. bei seiner Arbeit die Wasserwaage Tipp: Outdoor Outdoor-Spezialisten bieten Spielerisches und Abenteuerliches rund ums Thema Berg und Wasser an Rafting, Canoe, Canyoning, Rafting, Kanu-Tour, Funkajak, Aqua-Hoch- Berg-, Canyoningtouren, Klettern, Bungy – 106 Meter seilgarten, geführte Höhlentouren in die Flying Fox, Familien- und Gruppenprogramme HIGH 5 outdoor GmbH Schneckenlochhöhle, 3D-Bogenschießen Alpinschule Schröcken, Josef Staggl T +43 (0)5513 4140 Lutz Schmelzinger T +43 (0)664 2525200 www.outdoor.at T +43 (0)676 7837878 www.alpinschule-schroecken.at www.aktiv-zentrum.at Klettersteig, (Familien-)Canyoning, Canyoning, Klettersteige, Hütten Kletter-Camp, Bergtouren Canyoning & Abenteuerprogramme wanderungen, Kanisfluh-Überschreitung Alpinschule Widderstein, Christian Fritz Holzschopf.com – Outdoor and more Ski- und Bergführer, Canyoning Guide T (0)664 5127357 Jürgen Strolz Thomas Dietrich www.alpinschulewidderstein.com T +43 (0)664 3801540 T +43 (0)664 4683999 www.holzschopf.com www.der-gipfel.at Canyoning, Klettertouren, Berg- und Flusswanderungen Canyoning: Individual- und Wandern, Klettern, Klettersteig, Bergsteigen Franko Rietzler Gruppentouren mit Moses T +43 (0)680 2257927 Alpine-Passion, Jürgen Riegger Ski- und Bergführer Markus Moosbrugger www.frankorietzler.at T +43 (0)664 9400515 T +43 (0)664 3429465 www.alpine-passion.at www.mitmoses.at reisemagazin bregenzerwald · 11
Der Höhlenführer Lutz Schmelzinger im Schneckenloch 12 · reisemagazin bregenzerwald
Aus der Luft gegriffen links liegen gelassen. Das Gebilde droht werden umgangen, erste kleine Kletter- Olympiasieger im Skispringen, Sportexperte und wie ein Kartenhaus einzustürzen, sollte passagen gemeistert. Ein kalter Wind Unternehmer (www.innauerfacts.at) – man nur einen Stein aus der Wand ent- bläst uns entgegen, ein Zeichen, dass Toni Innauer aus dem Bregenzerwald fernen. Doch Schmelzinger erklärt uns, die Höhle enger wird. Bis wir an einer die Höhle sei ein statisches Meister- Wand anstoßen. Ist das das Ende? Bregenzerwald, einfach werk, das schon Tausende Jahre auf sei- Nein, erst jetzt beginnt der richtige nem Buckel habe und die Menschheit Höhlenritt. Am unteren Ende der Wand Lange haben wir die Idee eines familiären Jakobs- wohl auch noch um ebenso viele Jahre erscheint ein Durchschlupf. Dort ist es wegs mit uns herumgetragen: zu Fuß vom Bre- überleben werde. Säuerliches Was- wirklich eng. Wir kriechen hinein und genzerwald nach Thaur in Tirol. Aber die Jugend ser habe sich durch den Schrattenkalk robben einige Meter auf dem Bauch. hatte keine Lust und artikulierte dies unmissver- einen Weg gebohrt, ganze Bäche kön- Der schmale Gang führt in eine Grotte, ständlich. Wir hatten wohl zu lange gewartet oder nen, wenn der Stein aufgelöst ist, durch deren Wände silbern schillern. Dann waren noch 15 Jahre zu früh dran. einen Berg fließen, lassen dann Hohl- weiteres Robben und Kriechen, der Sohn Jakob lässt uns bei 32 Grad am Haupt- räume zurück. Aus wasserwegsamen gotische Dom hat sich längst in eine bahnhof Innsbruck mit den besten Wünschen in Fugen entsteht ein ganzes L abyrinth Katakombe verwandelt. Wir hören das den Railjet nach Feldkirch steigen. Die Fenster sind von Gängen, in denen wir uns nun Rauschen eines Baches, der seinen Weg verriegelt, damit die Klimaanlage arbeiten kann bewegen. über die Felsblöcke nimmt. Es sei keim- und niemand in Versuchung gerät, bei 160 km/h Erst jetzt wird uns bewusst, dass wir freies Wasser, verrät uns Schmelzinger eine Hand in den weggesperrten Orkan zu hal- eigentlich in eine Zeitmaschine gestie- und nimmt direkt von der Felskante ten. In einer modernen Zuggarnitur reist die Luft gen und in der Erdgeschichte zurück- einen Schluck. „Zumindest verdursten mit derselben Geschwindigkeit wie die Passagiere, gereist sind. Eine Kalksteinschicht von tut man hier nicht“. gekühlt und sauber in Waggons und Abteile gut zwanzig Zentimetern Breite steht Wir gelangen ans Ende der Höhle, 700 portioniert. für einen Zeitraum von 30.000 Jah- Meter in der Tiefe, uns kommt es wie „Ne pas se pencher au dehors!“ „E`pericoloso ren Geschichte – eine ganze Höhlen- einige Kilometer vor. Über eine kleine sporgersi!“ Hatten wir diese exotischen Warnun- wand, wie sie sich vor uns türmt, für Felswand gelangen wir an eine Art Zwi- gen schon im Wälderbähnle entdeckt, als jenes einige Hunderttausende Jahre. Wie schengewölbe, es ist kaum über einen noch von Bezau nach Bregenz zockelte? Erinnerlich man auf einem hohen Berggipfel ganz Meter hoch. Gemeinsam sitzen wir da, ist mir ein Hauptschulausflug, bei dem wir lauthals klein wird, wenn man in die weite Welt schalten unsere Lichter aus und werden „PERRRICOLOSOOOO!!!“ in den Wind brüllten. Den schaut, so ist es auch hier in einigen ruhig. Die Dunkelheit holt uns wieder Kollegen im hinteren Waggon flog unser Geschrei hundert Meter Tiefe, wo einem das ein, im Hintergrund das Rauschen des entgegen, während wir da vorne – Dopplereffekt- Leben wie ein Wimpernschlag in der Baches. Aber sonst – nichts. Oder doch bedingt – kaum etwas hörten vom weggespülten Unermesslichkeit der Zeit vorkommt. etwas? Ganz im Hintergrund ein ruhi- Geschrei der „Nachzügler“. Deutlich wahrnehmbar Wir dringen nun tiefer in die Höhle ges, langsames Pochen. Es ist, als ob die aber waren das Schimpfen und die energischen ein. Sie steigt an, kleinere Felsen Erde atmen würde. Georg Sutterlüty Griffe von Lehrer und Schaffner, die unsere Schul- bubenoberkörper mit vereinten Kräften und am Kragen aus dem rauschenden Luftstrom fischten. In gut zwei Stunden „beamt“ man sich per Auto oder Zug von Innsbruck in den Bregenzerwald. Für den Retourweg über die Bergkämme brauchen meine trittsichere Marlene und ich neun Tage. Regen, Hitze, Schneefall, Nebel, schirmbrechender Sturm und atemberaubende Perspektiven machen unsere Wanderung im Vergleich zu hunderten Reisen im „fahrenden Büro“ unvergesslich. Berg- wandern eröffnet nicht nur geometrisch die dritte Dimension. Die aromatische Luft wird mit jedem Höhenmeter dünner und kühler. Der Blick aus der rauen Natur hinunter in die gepflegten Kulturlandschaften findet die Zeichen der Macht, aber auch der Wirkungslosigkeit des Menschen, und wohltuende Distanz zum eigenen Glücklich zurück: Nach dem Abenteuer in der kalten und dunklen Unterwelt sind die Dasein in den engen Tälern macht die Brust weit. Höhlenwanderer froh, wieder an der Sonne zu sein reisemagazin bregenzerwald · 13
Wie Hören und Sehen vergehen Der Philosoph Peter Natter nimmt sich im B regenzerwald ein Buch vor und liest es mit Blick auf seine unmittelbare Umgebung. Diesmal: Ingeborg Bachmann 14 · reisemagazin bregenzerwald
Dass die WälderInnen nicht dem Leser zu tun als mit dem Gele- der Ingeborg Bachmann: Traumnotate, auf jeden Zug aufspringen, mag auch senen, vermute ich, weil eben „jeder Briefe, Brief- und Redeentwürfe aus daran liegen, dass in ihrer Region Leser, wenn er liest, ein Leser seiner schwerer Zeit: Liebesdesaster mit dem keiner (mehr) fährt. Man sollte das selbst ist“, wie das Diktum des fran- Schweizer Autor Max Frisch, der auch letztlich doch jähe und abrupte Ende zösischen Romanciers Marcel Proust einer war, der leicht etwas angefan- des Wälderbähnles auch einmal unter lautet. Nun also Ingeborg Bachmann gen und sich mit dem Aufhören, dem diesem stark ideellen Aspekt betrach- im Bregenzerwald gelesen, im stillen Schlussmachen, dem Aussteigen sehr ten, nicht immer nur unter geologi- Häuschen in der Großdorfer Parzelle schwer getan hat; Klinikaufenthalte, schen oder gar ökonomischen Krite- Sieban, an einem nebligen, verregne- psychischer Zusammenbruch, Sucht, rien. Oder war es mehr ein langsames ten Spätsommerwochenende. Zweifel und Verzweiflung. Sterben, ein stetes Dahinsiechen? Der erste Band einer neuen Werk- Gut, dass es neblig und grau ist Den Fotos nach zu schließen, die zu ausgabe, mit der die Dichterin ebenso draußen, denn Sonnenschein passt zu verschiedenen Anlässen prachtvoll geehrt wie in der Gegenwart begrüßt dieser Lektüre schlecht. Es ist eine Lek- geschmückte Bahnhöfe und Zuggarni- wird. Eine noble Ausstattung, Leinen türe, die tief ins Private der Autorin turen zeigen – etwa noch im Jahr 1980 einband, ein seidenglänzendes Lese- vordringt: „Ist diese Aufmerksamkeit beim Empfang des Olympiasiegers bändchen, ein sorgfältig gestalteter für die autobiographische Wahrheit Toni Innauer –, gab es durchaus Zeiten, Schutzumschlag: Ehre, wem Ehre nicht ein Sakrileg für die Literatur- in denen der Wald bereit war, auf den gebührt. Die Bachmann war eine große wissenschaft und für die Literaturkri- Zug der Modernität aufzuspringen, Dichterin. tik?“, steht im Vorwort des Buches, und Anschluss zu suchen, teilzunehmen. Die Begrüßung fällt herzlich aus, weiter: „Verstößt die Veröffentlichung Und heute? Eine Museumsbahn auf ausgiebig, also kein schnelles „Servas“, von Traumnotaten, Briefen und Rede- arg verkürzter Strecke, mehr nicht. Das sondern empathische Umarmungen, Entwürfen nicht gegen die Gebote der ist ein bisschen wenig, oder? Verdäch- echte Dialoge. Im Buch nimmt das die Diskretion, gegen das Briefgeheimnis tig wenig. Gestalt eines umfangreichen Kom- und den Schutz der Privatsphäre? Das Alte zu ehren und das Neue zu mentarteils an, mit dem das Werk Ja, die hier vorgelegten Texte ver grüßen: Das Wort des Bizauer Dich- im Heute situiert wird, oder besser: stoßen gegen Schweigegebote, die den ters Gebhard Wölfle (1848 – 1904) ist in für uns Heutige, die wir ja in diesem kranken Menschen schützen sollen, vieler Munde und entsprechend stra- Heute stets etwas verloren herum- von denen sich der kranke Mensch paziert. Überhaupt: Wo wenig ist, wird tappen, wenn die Verknüpfung mit aber auch umstellt sieht, und das nicht das Wenige umso mehr strapaziert. dem Gewesenen nicht klappt oder die nur aus guten Gründen. Ingeborg Das ist normal, aber deswegen nicht Orientierung aufs Kommende. (Denn Bachmann wäre an diesem Schweigen unbedingt positiv. Was heißt es denn, dass etwas war, ist ebenso wenig von und einer falsch verstandenen Diskre- das Alte zu ehren, das Neue zu grüßen? der Hand zu weisen wie, dass etwas tion fast zugrunde gegangen.“ Wie ehrt man Altes, wie grüßt man kommt: und zwar ständig.) Damit schließt sich der Kreis: Auf den Neues? Heißt ehren ins Museum stel- Um die Metapher vom Zug noch- Zug der Zeit aufzuspringen oder ihn len, abstauben dann und wann? Heißt mals zum Zug kommen zu lassen: Auf vorüberfahren zu lassen, zu schweigen grüßen „Servas! “ sagen, unverbind- einen Zug aufzuspringen oder auch oder zu reden, zu verschweigen oder lich? Was bedeutet es schließlich, um nur in einen Zug einzusteigen, mag oft zu erzählen: Die dogmatischen Lösun- zum Thema zu kommen, eine Dichte- gerechtfertigt, ja notwendig und schön gen sind problematisch. Denn das Alte rin zu ehren? Die Ehre könnte durch- und gut sein. Dann ist es aber zu gege- zu ehren und das Neue zu grüßen, das aus darin bestehen, sie neu zu lesen. bener Zeit auch das Gegenstück: abzu- sind nicht zwei Sachen, es ist eins! Das Neu: oder wieder oder endlich. End- springen, auszusteigen. Frage: Welches Alte wird ins Neue überführt und das lich Ingeborg Bachmanns (1926 – 1973) von beiden ist schwieriger? Ich meine: Neue wird am Alten gemessen. Das Werke zu lesen, auch wenn sie einer Letzteres. Einsteigen, aufspringen ist Alte ist kein Gerümpel, das Neue nicht anderen Zeit, einer vergangenen noch relativ harmlos. Schon bist du die Erlösung. Die Ingeborg-Bachmann- Epoche anzugehören scheinen, und oben, auf dem Trittbrett zumindest Werkausgabe ist keine Museumsbahn einer ganz anderen Weltgegend. Aber (das es früher wirklich noch gab) und und kein ICE. Sie ist ein langer, langer gehört Literatur in eine Gegend? der Fahrtwind saust dir um die Ohren, Zug, eine Transsibirische Eisenbahn Gehört Literatur einer Gegend? Gehört dass dir Hören und Sehen vergeht. oder ein Orient-Express, etwas in der denn irgendetwas irgendjemandem Das Schwierigere ist der Ausstieg, das Art. Dass ich ins Großdorf, in den oder irgendwohin? Was gehört sich Abspringen gar, denn allzu schnell Bregenzerwald gehen muss, um das zu überhaupt? hast du einen Schwung drauf, der erfahren, ist eine wichtige Lektion. Es stimmt wohl, was der US-amerika- nicht deiner ist. Exakt davon erzählt Peter Natter nische Dichter Walt Whitman schreibt: der erste Band der neuen Bachmann- „Es macht einen enormen Unterschied, Werkausgabe. Er bringt unter dem Titel Ingeborg Bachmann: Male oscuro. wo man liest.“ Doch das hat wieder „Male oscuro. Aufzeichnungen aus der Aufzeichnungen aus der Zeit der Krank- einmal mehr mit der Leserin und Zeit der Krankheit“ sehr private Texte heit. Suhrkamp Piper, 2017 reisemagazin bregenzerwald · 15
Wandern, bis der Käse kommt Ich machte mich auf den Zweimal umsteigen. Der Busfahrer Weg. Weitwandern im arbeitet seit fünf Uhr früh. Sein Dienst Bregenzerwald auf dem dauert fünfzehn Stunden, danach muss er seinen Bus reinigen – innen und Käseweg. Begegnungen außen. Alles glänzt. In Sulzberg geht es mit Heuwagen, Hitze, los. Vom Tourismusbüro habe ich eine Weisheiten, schottischen ausführliche Wegbeschreibung bekom- Hochlandrindern, Demut, men. Ein Zettel, denn das soll mein Off- tollen Wirtsleuten, Thomas line-Urlaub werden. Systeme herunter- Jefferson, Blasmusikanten, fahren. Seit März habe ich 116 Lesungen absolviert. Nach ein paar Metern ziehe Hagel, Kuhfladen und ich das Handy aus dem Rucksack, klam- Milchtankern mere mich daran, mache Fotos, checke Ich gehöre nicht zu den Leuten, E-Mails, würde mir gern ein Hörbuch in die vom Jakobsweg träumen. Höhen- die Ohren stopfen. Verflixtes Ding. meter finde ich blöd. Trotzdem kaufe Das Panorama könnte kitschiger ich mir neue Bergschuhe, Wander- nicht sein. Eine junge Frau in Flip-Flops socken und einen bescheuerten Hut. schiebt einen Kinderwagen den Berg Den Koffer packe ich mit Genuss, ich hoch. Der Milchtanker von den Käse- muss ihn ja nicht tragen. Vielleicht Rebellen kommt mir entgegen. Sonst komme ich endlich dazu, „Alexander niemand. Es duftet nach Heu und Mist. von Humboldt und die Erfindung der Schwalben. Meine Güte, was haben Natur“ zu lesen. die alle ein Händchen für ihre Gärten. Etwas Weißes surrt durch die Luft und 1. Tag: Keuchend stehe ich Hochland- fällt vor mir auf den Weg. Ein Golfball. rindern gegenüber Ich komme mir vor wie Aschenbrödel An jenem Morgen im Juli wünsche ich und nehme ihn mit. Vielleicht öffnet mir Humboldts Zyanometer, um die er sich, wenn ich ihn brauche und gibt Bläue des Himmels messen zu können. ein Ballkleid preis, oder wenigstens Ich fühle mich wie Hape Kerkeling und einen Golfschläger. Ich bade in der frage mich, ob ich Geschichten begeg- Weißach, überquere eine alte gedeckte nen werde. Die liegen ja bekanntlich Holzbrücke. auf der Straße. Im Bus treffe ich eine Auf meinen Lesereisen komme ich Freundin. Sie fährt ins Fitnesscenter viel herum, aber eine dermaßen per- zum Rückentraining. Man hat ihr ver- fekt ausgebaute Infrastruktur in jedem Vereine, Juppenwerkstatt, Gasthäuser, sprochen, in sieben Wochen schmerz- Dorf habe ich sonst nirgends gesehen. eine Bank. Und das bei etwa tausend frei zu werden, das war vor einem Jahr. Riefensberg zum Beispiel: Lebensmit- Einwohnern. Nur zum Arzt müssen sie Wandern? Für sie unmöglich. Wie pri- telladen, Golf-, Tennis- und Volley ins nächste Dorf. vilegiert ich bin. Mir tut nichts weh. ballplatz, Spielgruppe, Kindergarten, 500 Höhenmeter bergauf. Keuchend Noch nicht. Schule, Bücherei, 60 Betriebe, 22 stehe ich Hochlandrindern gegenüber. Unterwegs durch gedeckte Holzbrücken, an Bauernhäusern vorbei. Manchmal begegnen einem Fremde wie diese Hochlandrinder. 16 · reisemagazin bregenzerwald
Auf der Alpe Ostergunten oberhalb von Schönenbach am Weg nach Au erfährt man, wie der Alpkäse gemacht wird und schmeckt Sie gehören Michael Dorn, der die glei- Im Wald wird es dunkel. Bedrohliche Alkoholgehalt im Bier. Einer erzählt, che Freundlichkeit ausstrahlt wie seine Felsen. Ich trete durch das Steinerne dass er vor der Beerdigung seiner Tiere. Die Rinderfamilie ist elf Jahre Tor. Vor mir tut sich das Hochlandmoor Mutter sehr nervös war und schnell alt, steht während des ganzen Jahres auf und der Höhenzug des Hochhä- zwei Flaschen Bier leerte. Am Grab ver- im Freien und hat noch nie einen Tier- derich. In einer Hütte esse ich Suppe. lor er das Gleichgewicht, stürzte auf arzt gebraucht. Drei Schwaben unterhalten sich über den Sarg und brach sich den Knöchel. Während man wandert und sich mit frischem Brunnenwasser stärkt, sieht man den Einheimischen bei der Feldarbeit zu reisemagazin bregenzerwald · 17
Käse, frisch von den Erzeugern. Die Wanderin nimmt ein Stück davon auf ihrem restlichen Weg mit. Sie hat ja sonst kein Gepäck Die letzten zwei von 16 Kilometern suche nach der Fernbedienung: Kein des Regenwaldes und den Folgen für hinunter nach Hittisau sind müh- Fernseher. So muss es sein. Ich hole Bodenbeschaffenheit, Wasserpegel und sam. Im Schwimmbad tummeln sich meinen Wälzer aus dem Koffer und Klima warnte. Einer seiner Freunde war die Kinder. Ich hatsche ins Dorf. In lese. Nichts lenkt mich ab. Thomas Jefferson – immerhin, es gab der Krone werde ich begrüßt und Alexander von Humboldt erkannte einmal amerikanische Präsidenten, die bestaune die ausgewählten Bücher die Natur als einen einzigen leben- klug, visionär und bewundernswert in den Regalen. Magazine und den Organismus, in dem alles mit waren. Zeitschriften. Hier will ich bleiben. allem zusammenhängt. Er war der In der Wirtsstube führe ich ein Mein Koffer steht bereits im Erste, der den vom Menschen beein- angeregtes Gespräch mit Dietmar Zimmer. Es duftet nach Zitrone und flussten Klimawandel beschrieb, Nußbaumer, dem Wirt. Er hat einen Holz. Ich dusche mich, lege mich ins indem er bereits im Jahr 1800 vor eigenen Hausphilosophen angestellt, Bett und fühle mich sauwohl. Ich der zerstörerischen Abholzung einen Mann mit Behinderung, einen 18 · reisemagazin bregenzerwald
Iraker, einen Syrer, eine Kellnerin arbei- nach oben. Wie eine Glasscheibe fällt Auf der Alpe Ostergunten steckt ein tet hier schon 25 Jahre. In der Krone der Regen und zerspringt beim Auf- Traktor tief in einem Moorloch, ein trifft man Nobelpreisträger, Chefredak- prall in Splitter und Scherben. Fleisch anderer Traktor versucht ihn herauszu- teure und Einheimische, die nach der auf dem Grill, Salatschüsseln, Posau- ziehen: Männer und Söhne wie Orgel- Kirche zum Frühschoppen kommen. nen und Trompeten. Jeder nimmt, pfeifen. Ich lerne die Familie Metzler Ich schlafe wie ein Murmeltier. was er zu fassen kriegt und rennt. Ich kennen, kaufe Bergkäse und schleppe hinauf ins Zimmer: Hagelkörner über- ihn über den Stogger Sattel. 2. Tag: Wie eine Glasscheibe fällt der all. Mit fünf Handtüchern trockne Der Marsch nach Au ist zäh. Die Regen ich den Boden. Als ich nach unten Sonne knallt. Keine Blasen an den Am Morgen wandere ich um den komme, gehen das Konzert und das Füßen, aber trotz Sonnenschutz ein Hittisberg und denke über meinen Essen in der Stube weiter, als sei nichts Hitzeausschlag. Mitten im Wald steht Umgang mit Medien nach: Twitter, gewesen. eine Kapelle mit einer „Schwarzen Facebook, Wikipedia – schal, oberfläch- Madonna“. Dort ist es kühl. lich, unbefriedigend. Ich nehme mir 3. Tag: Ein Traktor steckt tief in In Au steige ich in den Bus. Kinder vor, mich wieder tiefer mit Themen einem Moorloch belagern mich und fragen, ob ich wie- zu beschäftigen. Ich sehe Eschen – sie Der Sonnenaufgang ist unbeschreib- der eine Geschichte schreibe. Sie hät- sterben wirklich. Ein Schlauchpilz aus lich. Der Weg nach Schönenbach ein ten da Ideen von einem Bauernhof und Ostasien macht sie in ganz Europa Highlight. einem Geheimgang, vom Vollmond fertig. Ich bin müde. Über dreißig Grad. Ich und einem Goldschatz. Den trage ich Am tiefsten Punkt opalfarben der könnte in den Bus steigen und heim- mit nach Hause. Meine Fantasie fliegt Subersachstausee. Alles, was ich fahren. Aber brav bringe ich alle Kilo- wieder. Das Handy ist längst unter dem abwärts gegangen bin, muss ich und Höhenmeter hinter mich. Käse vergraben. Irmgard Kramer nun wieder bergauf. Verwunschener Moorsee im Wald. Vorsäßhütten. In Schetteregg komme ich viel eher an als Reisetipp Weitwandern Bregenzerwald angegeben – vielleicht hätte ich Pause machen sollen. Schetteregger Hof. Mein Koffer steht im Zimmer. Unter dem Sonnenschirm gefällt es mir. Zwei Männer führen über Tische hinweg einen verbalen Schwertkampf: „Du gehst schon?“ – „Ich hab halt noch ein Familienleben.“ – „Gehst du morgen zur Festspieleröff- nung?“ – „Meine Güte, euer Essen sieht gut aus.“ – „Wir haben auch was dafür getan.“ – „Ihr esst die Pilze, die wir nicht gefunden haben.“ Anita Albrecht, die junge Wirtin, rennt und lacht und ist zu jedem freundlich. Ihr Mann kocht. Sie haben vier Kinder. Das Hotel ist ein Familien- paradies. Manchmal kommt die Welt hierher: Chinesische Gäste mit 16 Kin- dern, die Reiskocher aufstellen und auf dem Balkon kochen. Arabische Frauen, die im Pyjama ihre Kinder stillen und Nur mit dem Rucksack bestückt, führt die Wanderung durch den Bregenzerwald. Das Gepäck reist sich verschleiern, sobald sie den Hotel- währenddessen komfortabel von Hotel zu Hotel. flur betreten. Nach einem Mittagsschlaf bin ich Drei verschiedene Weitwanderwege stehen zur Wahl: endgültig tiefenentspannt. Seit 18 Der Käseweg führt an drei Tagen von der sanften Voralpenlandschaft bei Sulzberg über die Vorsäß- Stunden gart der Chef ein Pulled Pork. Siedlung Schönenbach nach Au. Die Egger Blasmusik nimmt unter dem Auf dem Wasserweg entdeckt man an zwei Wandertagen die unterschiedlichen Uferlandschaften Balkon Platz. Schwarze Wolken formie- der Bregenzerach. Der Architekturweg führt vier Tage lang durch verschiedene Bregenzerwälder Dörfer. ren sich um die Winterstaude. Nach fünf Takten Musik bricht das Gewitter Weitere Informationen: siehe S. 58 los. Eine Böe klappt Sonnenschirme reisemagazin bregenzerwald · 19
Wenn Generationen gärtnern „Urban Gardening“ im Bregenzerwald. Auch aus der Perspektive eines Vogels verlockend: der Gemein- schaftsgarten in Bezau 20 · reisemagazin bregenzerwald
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Im Gemeinschaftsgarten arbeiten Generationen zusammen: Anja Innauer mit ihrer Tochter ... Die Idee, zu den Wurzeln des wirklich, doch der Anblick eines üppi- Gemüse einfach besser schmeckt.“ Gemüses zurückzukehren, gen Bauerngartens ist heute auch in Und entspannend sei die Arbeit auch. ländlichen Gegenden selten gewor- Fröwis lächelt: „Manchmal schaue ich trifft in Berlin und Bezau den. Und so trifft die Idee, zu den Wur- sogar abends auf dem Nachhauseweg denselben Nerv der Zeit: zeln des Gemüses zurückzukehren, in vom Tourismusbüro im Garten vor- Eigenbau. Im Gemeinschafts- Berlin und Bezau denselben Nerv der bei – in Anzug und Krawatte.“ garten in Bezau betreiben Zeit: Nahrung ohne Kilometer, Ernäh- Auch für viele andere ist der Garten seit 2016 siebzig Menschen rung ohne Gift und Kunstdünger, längst mehr als ein simpler Acker: Er „Urban Gardening“ Pflanzen, um die man sich vom Setz- ist auch ein Treffpunkt. Vor allem mitt- ling bis zur Frucht persönlich geküm- wochs, denn da sind die Hauptverant- mert hat. wortlichen des Gemeinschaftsgartens, Am Fuße der Reuthener Kirche „Freiwilliges Gärtnern ist eine Gene- Isabella Moosbrugger sowie Verena St. Jakob wachsen Kohlrabis. Ein üppi- rationenfrage“, sagt Anton F röwis aus und Peter Feuerstein, zugegen. ger Gemüsegarten schmiegt sich in Bezau, der junge Leiter des Mellauer Es sind zwei resolute Frauen mit die malerische, geschützte Nische des Tourismusbüros und ein Bezauer kurzen Hosen und kurzen Haaren, die bewaldeten Hügels. Eingebettet zwi- Gemeinschaftsgärtner der ersten mich an einem heißen Julimorgen schen einem langgestreckten Höhen- Stunde: „Für meine Eltern war ein barfuß im Garten begrüßen. Beiden zug und der Straße nach Bizau, da, wo eigener Gemüsegarten das Unmo- sprüht die schiere Begeisterung für das sommers der Wanderweg und winters dernste, was sie sich vorstellen konn- Gärtnern, für die Erde, für das uralte die Loipe vorbeiführt, liegt seit 2016 ten. Sie wollten eine Ausbildung und umfangreiche Wissen, wie Pflan- der Bezauer Gemeinschaftsgarten. Auf machen, arbeiten gehen und nicht zen am besten wachsen, richtiggehend 2.300 Quadratmetern pflanzen hier Unkraut jäten und Kartoffeln ernten. aus der Seele – auch ohne Worte. Und mehr als 70 Menschen, von der jun- Für uns unter 40-Jährige hingegen sie wirken wie Zwillingsschwestern, gen Familie bis zum alleinstehenden ist der eigene Gemüsegarten wieder wenn sie erzählen und die eine den Pensionisten, nicht nur Kohlrabi an, etwas Besonderes, Erstrebenswertes – Satz beendet, den die andere begon- sondern auch Bohnen und Brokkoli, vielleicht auch, weil wir ganz ohne nen hat. Karotten und Kartoffeln, Kürbisse, Bee- ihn aufgewachsen sind.“ „Im Bregenzerwald sind Gemüse ren, Tomaten, Zucchini und Salat. Anfangs hätten ihn manche Kolle- gärten und -felder ziemlich selten „Urban Gardening“ nennt sich ein gen gefragt, warum er sich das antue, geworden“, sagt Isabella Moosbrugger, Trend, der in den letzten Jahren die wo es doch auch im Supermarkt und ein betrübter Schatten huscht Großstädte dieser Welt erfasst hat: regionales Gemüse zu kaufen gebe. kurz über ihr braungebranntes Gesicht. „Wie baue ich auf meiner Terrasse eige- „Aber hier weiß ich, dass tatsächlich Sie ist die Obfrau der Gartenfreunde nes Gemüse an?“ Urban ist das „Gar- keine Pestizide drin sind. Ganz abge- Reuthe-Bezau und die Urheberin des dening“ im Bregenzerwald zwar nicht sehen davon, dass selbst angebautes Gemeinschaftsgartens. 22 · reisemagazin bregenzerwald
G’hörig Wälderisch Birgit Rietzler, Dichterin im Bregenzerwald, stellt typisches „Wälderisch“ vor Es ist bereits der zweite Garten, den geben Tipps, wenn man uns fragt. Aber Bezau Isabellas unermüdlicher Leiden wir drängen uns nicht auf. Man darf Winn as schiaggot schaft verdankt: Der erste war der den Leuten nicht gleich sagen, was Bahnhofsgarten, in dem sie vor allem sie falsch machen. Mit den Gärtner- Wenn es schwankt mit Kindern und Jugendlichen aus Neulingen geht es uns ein bisschen Bregenzerwälder Schulen Obst und wie Müttern mit ihren Kindern: Man Hi und dau well as gad gär ned und schiaggot as Gemüse anpflanzt. zeigt ihnen was und lässt sie eigene schwär. „Ohne Isabella gäbe es all das hier Erfahrungen machen.“ Isabella fügt Ab und zu will es ganz und gar nicht und nicht“, sagt Verena Feuerstein. „Manch- schmunzelnd hinzu: „Wir züchten hier schwankt es bedenklich. mal fragt man uns, was wir für unsere ja nicht nur Gemüse, sondern auch Gad dinowag, dass d‘ do Hinnobrupflar und do Arbeit hier bekommen, aber ich mache Gärtner.“ Knüschnappar kriogo künntoscht. das doch nicht wegen des Geldes – son- Anton Fröwis versorgt mittlerweile Grad so, dass du Gänsehaut und Knie dern weil es wunderbar ist, all das, was seine ganze Familie mit Gemüse. Mit schlottern bekommen könntest. Isabella über das Gärtnern weiß, wei- seinem Bruder und dessen Familie Dau nützt ka Boozo, Schnoaro, Schtoamo, Kiebo, terzugeben. Die ganze Weisheit, die bewohnt er ein gemeinsames Haus, er Schrölau und Arhoano. sie von ihren Eltern und Großeltern selbst ist alleinstehend und kocht sehr Da nützt kein Wüten, Schimpfen, Toben, bekommen hat, wäre sonst für immer gerne. „Ich fühle mich wie der Garten- Maulen, Weinen und Ausrasten. verloren.“ Und der Kontakt zur Erde vermittler zwischen den Generationen Andr hind ou scho do Karro in Dräck gfahro. und zu den vielen Mikroorganismen, und versuche, auch meine Nichten Andere haben auch schon den Karren in den die sie bevölkern, sei nicht nur für den und Neffen für das Gärtnern zu begeis- Dreck gefahren. Körper gesund, sondern auch für die tern“, erzählt er. As gaut lang, bis as nümma gaut. Di ärgschto Seele, ergänzt Isabella nachdenklich. Seiner Mutter habe er im Frühjahr Trüllar feondod a Loh. Dennoch würden sie die neuen Gärt- kurzerhand Tomaten an die Garagen- Es geht lange, bis es nicht mehr geht. Die ner erst einmal selber machen las- wand gepflanzt, lacht Fröwis und ver- ärgsten Tölpel finden einen Ausweg. sen, schildert Verena Feuerstein: „Wir rät ein Geheimnis des entspannten Winn ma nia a Gfrett hätt, wüod ma villiecht no sind da, wenn man uns braucht; wir Gemüseanbaus: „Meine Mama war gär z‘ üborschtellig. Wenn man nie Probleme hätte, würde man vielleicht noch gar zu übermütig. Di Olto seigod: Winn Goß und Esl z’wohl wed, fond’s a scharro. Die Alten sagen: Wenn’s der Geiß und dem Esel zu wohl wird, scharren sie mit den Hufen. Und was set a muotiga Wäldar odr a fruotige Wäldare? Und was sagt ein mutiger Bregenzerwälder oder eine regsame Bregenzerwälderin? „Winn i eaz ned arscholt mit Göate odr Gwolt, bliebt meor do Wold.“ „Wenn ich etwas nicht schaffe, weder mit Güte noch Gewalt, bleibt mir der Wald.“ Der fallt ned um, bloß well numan a grüseliche Täremääre hat. Der fällt nicht um, nur weil jemand ein schreckliches Desaster hat. Alls wed amaul bessr, abr hoffentle ned ejscht Pfingscht am Hebscht. Alles wird einmal besser, aber hoffentlich nicht erst dann, wenn Pfingsten im Herbst … und die Hauptverantwortlichen Isabella Moosbrugger (links im Bild) sowie Peter ist. und Verena Feuerstein reisemagazin bregenzerwald · 23
anfangs nicht sehr begeistert. Ihre größte Sorge war, woher sie denn die Zeit nehmen sollte, die Tomaten regel- mäßig zu gießen. Aber Isabella hat uns beigebracht, dass man Gemüsepflan- zen nicht dauernd gießen soll. Lässt man sie in Ruhe, wachsen die Wurzeln auf der Suche nach Wasser tief in den Boden: Das macht den Geschmack des Gemüses viel intensiver.“ Nicht jede von Antons Gartenunter nehmungen war gleich von Erfolg gekrönt: „Vergangenen Sommer ist mir der Brokkoli ausgeschossen und plötzlich war viel zu viel Salat auf ein- mal reif“, räumt er freimütig seine Anfängerfehler ein. „Am Saisonende hat mich Verena Feuerstein zur Seite genommen und gesagt: ‚Mach das doch kommendes Jahr ein bisschen anders.‘ Das fand ich super.“ Verena muss ob Antons Begeisterung für ihre Tipps lachen: „Ein bisschen geschimpft habe ich ihn im Herbst, das stimmt. Sein Beet grenzt direkt an meines, da bekomme ich natürlich so einiges mit!“ Grundsätzlich dürfe aber natürlich jeder pflanzen, was er wolle, erklärt Verena. „So wie zum Beispiel der Luis, das ist unser Bohnenliebha- ber. Denn die pflanzt er am liebsten. Und wenn sie reif sind, versorgt er uns alle damit.“ Matriarchat, denkt man sich und will dieses Wort nicht erwähnen, doch dann sagt es Isabella selbst: Dass die- ser Garten schon ein wenig ein Matri- archat sei. „Aber wir haben auch viele matriarchalische Männer hier“, lacht sie. „Das Leben funktioniert doch nur gemeinsam, mit gegenseitiger Wert- schätzung“, ergänzt Verena und winkt einem hageren, älteren Herren mit weißem Vollbart zu, der sich als Luis, der Bohnenliebhaber, herausstellt. Weiter hinten gartelt eine junge Frau und macht gleichzeitig Fotos. „Das ist Susanne, unsere Gartenfotogra- fin“, sagt Isabella. Als eine Kindergar- tengruppe den Wanderweg entlang- kommt und neugierig in den Garten Die Arbeit im gemeinsamen Garten lugt, drückt Verena den Kleinen kur- macht allen Freude: Birgit Natter pflückt zerhand einen Kohlrabi in die Hand. Bohnen für die Kinder der Familie Canal Zum Probieren. Babette Karner 24 · reisemagazin bregenzerwald
Wälder, weit, weit weg Der Musiker Bartholomäus Natter berichtet von Menschen aus dem Bregenzerwald, die in der Fremde wirken Lady Gaga, Katy Perry, Sting Stephi Sutterlüty kommt ursprünglich aus Langen- egg, hat in Feldkirch und Luzern Oboe studiert und heute in Wien mit Lady Gaga mehr zu tun als mit Mozart. Wie es dazu kam, sei hier kurz erzählt. Der Professor in Luzern hatte einen hervorragen- den Ruf. Auch war Vorarlberg zwar nicht „too small“ für sie, trotzdem wollte sie einmal etwas anderes sehen. Obwohl sie die Studienzeit am Vier- waldstättersee sehr genossen hat, die Schweizer nett zu ihr waren und die „Gschäftelszene“ lukrativ, zog es sie dann doch nach Wien, wo zwei Schwes- tern, zwei Neffen und ein Schwager leben. Außer- dem kommen die Schweizer an den österreichi- schen Schmäh einfach nicht heran. Und in Wien ist deutlich mehr los als in Luzern. Die junge Musikerin kam über eine ihrer Schwestern zu einem Praktikum bei Barracuda Music, einem der größten Konzert- und Festivalver- anstalter des Landes. Daraus wurde bald eine Fest- anstellung. Stephi war zuständig für Band Accoun- ting und Band Care. Sie betreute Stars wie Lady Gaga, Katy Perry oder Sting bei ihren Auftritten. Besonders in Erinnerung geblieben sind ihr die Begegnung und das Konzert mit Bryan Adams, der nicht nur seine Soundchecks selber macht, sondern auch bei alten Songs immer wieder neue Nuan- cen auf die Bühne bringt und der sie insgesamt als großartiger Musiker beeindruckte. Heute betreut sie hauptsächlich die Cashless- Projekte ihrer Firma. Viele Festivals, wie etwa das Nova Rock oder das Frequency, sind cashless, das heißt, am Festivalgelände kommt kein Bar- geld mehr zum Einsatz. Dafür, dass trotzdem alle bezahlen, was sie zu trinken bekommen, ist Stephi zuständig. Daher ist sie bei den größten Festivals stets vor Ort. Weil Veränderungen das Leben erst interes- sant machen, schließt Stephi mittelfristig nichts aus, obwohl sie große Freude an ihrem Job hat und Wien ihr sehr gefällt. Als studierte Musikerin könnte sie sich vorstellen, wieder mehr im Klassik- bereich tätig zu sein. Auch auf Wien als endgülti- gen Lebensmittelpunkt möchte sie sich noch nicht festlegen, denn manchmal fehlt ihr der Bregenzer- wald schon. Dann fragt sie sich, ob sie nicht schon genug anderes gesehen hat. reisemagazin bregenzerwald · 25
Freitagvormittag in Bezau. Markus Isenberg versorgt Kundinnen und Kunden am Markt 26 · reisemagazin bregenzerwald
Vom Acker in den Bach und auf den Markt Der Wochenmarkt Bezau geht in seine dritte S aison. Von Juni bis Oktober verkaufen Einheimische freitags ihre Produkte am Dorfplatz. Kooperation spielt dabei eine große Rolle Es gibt fünf Gemeinschaftsstände: Die Bäcker, Landwirte, Floristen, Sen- ner und die Anbieter von Spezialitäten (Marmelade, Öle, Geschenkideen, ...) wechseln einander ab. So kann man sich auf ein gleichbleibendes Sortiment ver- lassen. Das exklusive Marktbrot gibt es jeden Freitag – egal, welcher Bäcker die- ses Mal vertreten ist. Weitere „Planungssicherheit“ bringen die modernen Marktstände. Dank ihrer Überdachung und den angebrachten Dachrinnen hat der Regen keine Chance, einen schönen Markttag zu vermiesen. Hinzu kommt der optische Genuss: Das Architekturbüro NONA Architektinnen von Nora Heinzle und Anja Innauer in Dornbirn hat die einheitlich gestalte- ten Stände entworfen, Bregenzerwälder Handwerksbetriebe haben sie gebaut. „Als wir das Projekt Wochenmarkt gestartet haben, gab es anfangs viel Skepsis“, erinnert sich Magdalena Steurer. „Nicht jeder Interessent konnte oder wollte jede Woche kommen.“ Sie ist die derzeit karenzierte Geschäftsfüh- rerin von witus, einer Genossenschaft, die sich der branchenübergreifenden Zusammenarbeit in fünf Gemeinden rund um Bezau widmet. reisemagazin bregenzerwald · 27
Bis dato hatte es im ganzen Bregen- zer wald keinen Wochenmarkt gege- ben. Wichtig war den Initiatoren, keine externen Marktfahrer anzuziehen, sondern ausschließlich auf einhei- mische Händler und Produzenten zu setzen. Dass diese Veranstaltung der 36-jährigen Bizauerin am Herz liegt, wird im Gespräch klar: „Zum einen funktioniert er branchen- und orts- übergreifend, zum anderen ist Koope- ration wichtig. Die witus-Maximen spiegeln sich in diesem Projekt wider.“ Der Erfolg gibt den Machern recht. Viele Gäste haben im Frühjahr bereits gefragt, wann es denn wieder losgeht. Sie schätzen die entspannte, freundli- che Atmosphäre, die sich bis in andere Orte des Bregenzerwaldes herumge- Der Markt im Ortszentrum von Bezau mit Produkten aus der Umgebung sprochen hat. So ist der Freitag tat- sächlich zum Freutag geworden, wie es der Markt-Folder verspricht. Oder wie es Magdalena Steurer formuliert: „Wir haben wirklich a Gaude (Anm.: Freude).“ Dass die Marktteilnehmer diese Mei- nung teilen, mag an einem bemer- kenswerten Service liegen: Um den Auf- und Abbau ihrer Stände müssen sie sich nicht kümmern. Diese Arbeit übernehmen der Gemeindemitarbei- ter Helmut Eberle, die beiden witus- Vorstände Georg Fröwis und Stefan Meusburger sowie ehrenamtliche Helfer für sie. Für nachhaltigen Erfolg sorgt eine weitere Besonderheit: Das ehrliche Versprechen, dass alles, was auf dem Markt übrig bleibt, am nächs- ten Tag in den Geschäften verkauft Das Organisationsteam beim Aufbau der Stände oder von der lokalen Gastronomie ver- arbeitet wird. Meist braucht es keine Absprachen mit den umliegenden Restaurants, denn die Nachfrage ist so groß, dass gar keine Reste entstehen. So wie beim ersten Markt in Bezau 2016, als Roman Natter schon um 10 Uhr sein Gemüse komplett verkauft hatte. Er wusste sich zu helfen und ging direkt aufs Feld, wusch den frisch geernteten Salat im Dorfbach und kehrte zu seinem Stand zurück. In der Zwischenzeit hatte Stefan Meusburger die Kundschaft mit einem Gläschen Sekt bei Laune gehalten. Das Leben im Dorf möchte witus ankurbeln bzw. erhalten. Geschichten wie diese zeigen, dass sie auf dem bes- ten Weg dazu sind. Thorsten Bayer Roman Natter hinter seinem Stand mit selbstgezogenem Gemüse 28 · reisemagazin bregenzerwald
Klänge aus weiten, fremden Welten Das Schlagzeug ist Alfred Vogels ständiger B egleiter. Ob in New York, Berlin oder Bezau. Dort setzt er der lokalen Dürre in Sachen Weltmusik das international angesehene Festival Bezau Beatz entgegen An so manchem Abend im August, wenn die Hitze des Tages noch wie greifbar in der Luft steht, wird der Endbahnhof der einstigen Bregenzer waldbahn zur Filmkulisse. Schein- werfer tauchen das Gelände mit den alten Waggons, die viele Jahrzehnte das Tal mit Bregenz verbunden hat- ten, in helles Licht. Menschen, die sich auf den Gleisen sitzend oder an der Bar stehend unterhalten, werfen lange Schatten. Lachen ist zu hören, leise Musik und Schritte im dicken Eisenbahnschotter. Es riecht nach alter Alfred Vogel bringt mit Bezau Beatz Weltmusik in den Bregenzerwald Kohle und Rost. Auf der Wartebank am Bahnsteig sitzen Musiker, sie unterhal- besonderen Ort. DJ-Fahrten mit der hat. Aber bis jetzt war es noch jedes ten sich, trinken etwas. Es ist Pause – Dampflok, ausgesuchte Bregenzer- Mal so, dass die Experimente bestens eine zeitlose Überörtlichkeit unter der wälder Spezialitäten – „ohne gutes angenommen wurden. Das Entschei- Bahnhofsuhr. Essen geht im Wald gar nichts!“ – und dende ist immer die Intensität der Bald werden die Besucher wieder in Auftritte von Jazzgrößen wie dem Performance.“ die weit geöffnete Halle der Remise US-Trompeter Peter Evans, der belgi- Was sich nach einem Spaziergang zurückgehen, um sich von den Klän- schen Sängerin Trixie Whitley und des anhört, war für Alfred Vogel ein gen der nächsten Formation in andere Reggae-Stars Wally Warning machten Sprung ins kalte Wasser. Und quasi Welten tragen zu lassen. aus dem einstigen Platzkonzert beim aus der Not geboren. „Als ich mich vor „Für mich ist Musik schlicht das Dorfbrunnen ein renommiertes Fes- fast zwanzig Jahren der Liebe wegen in Vehikel für Reisen im Kopf,“ sagt Alfred tival. Vom Feuilleton gewürdigt und Bezau niedergelassen habe, war hier Vogel. „Dass das hier auf der offenen dem Publikum gefeiert. nichts los in Sachen Jazz. Mir fehlte Bühne eines Bahnhofsgeländes statt- „Bewährtes ist wichtig, aber ich baue der Austausch, den ich von Städten finden kann, ist mehr als ein schönes auch auf die Bereitschaft der Konzert- wie New York gewohnt war. Ich musste Sinnbild. Ich mag Bahnhöfe grundsätz- besucher, sich auf etwas Neues, Unge- etwas tun. Mir ein kleines bisschen lich. Und den hier besonders. Er wirkt wohntes einzulassen. Das Festival Szene hierherholen.“ manchmal fast wie in einem Western.“ läuft gut, weil es diese Mischung gibt. Den Großteil des Jahres lebt Alfred Die erste Bezau Beatz vor zehn Wir bieten nicht eine Nacht lang aus- Vogel das Leben eines Schlagzeugers Jahren fand noch auf dem Dorfplatz schließlich Jazz, sondern eben auch und Produzenten, der mit wechseln- statt. Auch dieser habe Charme gehabt, Musik aus anderen Bereichen oder den Musikern durch die Welt tourt meint der Musiker, Produzent und genreübergreifende Projekte. Zuge- oder welthaltige Alben einspielt (etwa: Veranstalter. Doch in der Remise sei geben, das ist dann manchmal eine Vogelperspektive Vol. 1 bis 5, Label: man wetterunabhängig und könne Herausforderung für den eingefleisch- boomslang Records). Ein stetig wach- das Festival zu einem Paket schnü- ten Jazzfan und umgekehrt auch für sender Teil der Zeit ist nun aber auch ren: Konzerte und Kulinarik an einem den, der mit Jazz nicht viel am Hut für das Veranstalten reserviert – auch reisemagazin bregenzerwald · 29
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