Christen und Muslime FÜR MITARBEITENDE - EKKW

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Christen und Muslime FÜR MITARBEITENDE - EKKW
5–2018

                                                    FÜR MITARBEITENDE

                        Christen und
                        Muslime
Foto: medio.tv/Dellit

                        WISSEN
                        Barmherzigkeit im Zen-
                        trum von Bibel und Koran

                        DIALOG
                        Islam nicht als Bedrohung
                        wahrnehmen
Christen und Muslime FÜR MITARBEITENDE - EKKW
INHALT | EDITORIAL

Inhalt                                                      Liebe Leserinnen,
                                                            liebe Leser,
THEMA

                                                            S
                                                                  chließen Sie mal kurz die Augen,

                                                                                                                                  Foto: medio.tv/Schauderna
    4	Interview mit Prof. Khorchide:                             und denken Sie nach, was Ihnen
       „Die jungen Menschen geben mir Kraft”                      zum Stichwort Islam als Erstes
    6	„Scriptural Reasoning”:                              einfällt. Seit Jahren ist diese Religion
       Christlich-islamischer Dialog ganz praktisch         in der öffentlichen, hochemotionalen
                                                            – und manchmal vergifteten – Debat-
    7	Interview mit Pfr. Herrmann:                         te Dauerthema. Gehört der Islam zu
       Islam nicht als Bedrohung wahrnehmen                 Deutschland, ist schon eine Klassiker-
    8	Interreligiöse Jugendarbeit:                         frage, die immer wieder durch die poli-
       Wenn eine Kerze für Verwirrung sorgt                 tische Landschaft geistert und letztlich
                                                            nicht weiterhilft. Mit diesem Heft haben wir nicht den Anspruch,
    9	Interreligiöse Männerarbeit:
                                                            das Thema erschöpfend zu behandeln – das wäre unmöglich.
       Freundschaftliche Gespräche
                                                            Aber wir wollen hinhören und hinsehen: Was ist das eigentlich
    10	Borken: Die Trauer schweißt                         für eine Religion, die uns im Alltag häufig begegnet und über die
        bis heute zusammen                                  wir doch nur wenig wissen? Wir wollen auch nach Brückenbau-
                                                            ern zwischen den beiden Religionen schauen, wohl wissend, dass
    11	Abrahams Zelt auf dem Festival der Kulturen
                                                            nicht immer eitel Sonnenschein herrscht.
        in Hanau
                                                                Ich finde, man kann auch hier von den Kindern lernen. Meine
    12      Singen im Interreligiösen Chor                  Tochter hat muslimische Freundinnen, und so wird die Religion
    13	Pianist Aeham Ahmad:                                ganz beiläufig zum Thema im Familienalltag: Wie ist das mit
        Die Musik rettete seine Seele                       dem Fasten und den ganzen Regeln? Wieso darf meine Freundin
                                                            nicht einfach Gummibärchen mit Gelatine essen? Und können
    14	Evangelische Kitas in Marburg legen                 wir nicht auch das Zuckerfest feiern? (Was für sie eine reizvolle
        Wert auf Profil                                     Vorstellung wäre.) Die Kinder finden Unterschiede und entdecken
    15      Muslimische Bestattungen                        Gemeinsamkeiten. Meine Tochter kommt ins Gespräch über den
                                                            Islam und das Christentum, über die Koranregeln und die zehn
    16      Warum Arabisch so schwer ist
                                                            Gebote, findet manches gut und manches auch nicht. Neugierig
    18      Mit Theater gegen Fundamentalismus              und interessiert, prüfend und abwägend, aber auch verständnis-
                                                            voll und tolerant. Weil die Freundin die Freundin ist – und keine
    28      House of One in Berlin
                                                            Religionsvertreterin. Dass sie dazugehört, ist da nun wirklich kei-
                                                            ne Frage.
                                                                                                                  Olaf Dellit
LANDESKIRCHE
                                                                                                 Redakteur blick in die kirche

    19      Löwenburg-Kapelle gereinigt
    20      Unterstützung bei einem sehr schweren Weg
    21      Landwirtschaft zwischen Himmel und Erde
    22      Alte Gräber unter Karlskirche entdeckt
                                                              Zum Titelbild: Beim
    23      Zehn gute Gründe                                    Festival der Kulturen in
                                                               Hanau begegneten sich
                                                                 Meryem Yilmaz (links)
SERVICE                                                          und Rebekka Kießling.
                                                                In „Abrahams Zelt” (im
                                                            Hintergrund) tauschten sie
    24      Termine / Kirchenmusik
                                                             sich über religiöse Fragen
    26      Kirche im Radio                                  und Antworten aus (siehe
                                                            auch Bericht auf Seite 11).
    27      Neue Bücher                                      Das Zelt (Bild rechts) ent-
                                                               stand übrigens in einem
                                                             Schulprojekt des Kasseler
                                                               Pfarrers Stefan Nadolny.

2        blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
Christen und Muslime FÜR MITARBEITENDE - EKKW
UMFRAGE | IMPRESSUM

Was ich am anderen schätze ...
                               Foto: privat

                                                                        Foto: privat

                                                                                                              Foto: privat

                                                                                                                                                           Foto: privat
 Wann immer ich in eine Mo-                     Das Christentum ist eine                Im Zuge der interreligiösen           Als Muslim freue ich mich
 schee komme, werde ich                         der drei monotheistischen               Juleica 2017 durften wir in           darüber, wenn am Sonntag-
 freundlich empfangen. Oft                      Schwesterreligionen. Gott of-           den zwei Kasseler Moscheege-          morgen die Kirchenglocken
 kümmern sich gleich mehre-                     fenbarte sich hier durch das            meinden sogar während des             läuten, denn sie erinnern alle
 re Personen aufmerksam um                      Sprechen und Handeln in                 Mittagsgebets im Gebetsraum           Gläubigen an Gott und rufen
 die Gäste: Sie zeigen gerne ih-                Jesus Christus. Christlichen            bleiben. Beobachten konnte            sie zum gemeinschaftlichen
 re Moschee und beantworten                     Glaubensgeschwistern zu be-             ich eine starke Gebetsgemein-         Gottesdienst. Ich freue mich
 geduldig Fragen zu Gebäude                     gegnen ist für mich wie eine            schaft von Jung und Alt, den          darüber, wenn christliche
 und Glauben. Ganz selbstver-                   ständige Erinnerung an das,             Ernst und die Ehrfurcht, mit          Männer als Zeichen der De-
 ständlich gehört auch das                      woran wir glauben, nämlich              der gebetet wurde, und eine           mut beim Betreten der Kirche
 gemeinsame Essen und Trin-                     dass Gott Liebe und Barmher-            lebendige Bereitschaft zum            ihre Kopfbedeckung abneh-
 ken mit dazu. Der Gastgeber                    zigkeit ist. Wenn wir den An-           Gebet. Das hat mich tief be-          men, obwohl in einer Mo-
 nimmt sich Zeit für den Gast.                  spruch an uns stellen, diese            eindruckt in einer sich mehr          schee genau das Gegenteil
 Der Besuch ist für ihn nicht                   Liebe und Barmherzigkeit in             und mehr säkularisierenden            als gute Sitte gilt: Hier ist ge-
 nur Glaubenspflicht, sondern                   der Welt Wirklichkeit werden            Gesellschaft. Diese Beobach-          rade das Tragen einer Kopfbe-
 eine Ehre. Ihre Wurzeln hat                    zu lassen, um letztendlich von          tung hat mich aber auch als           deckung Ausdruck von Demut
 diese Gastfreundschaft in ei-                  dieser göttlichen Liebe kos-            Theologiestudentin motiviert,         und Respekt gegenüber Gott.
 ner mit dem Christentum und                    ten zu können, müssen unser             die Freude und Selbstver-             Zwei rein äußerlich völlig ge-
 Judentum gemeinsamen Iden-                     alltägliches Leben und die              ständlichkeit am gemeinsa-            gensätzliche Handlungen kön-
 tifikationsfigur: Abraham. Er                  zwischenmenschlichen Bezie-             men Gebet/Gottesdienst in             nen trotzdem dieselbe innere
 gewährt drei Reisenden Gast-                   hungen, unser Sprechen und              Gemeinden zu erhalten, zu             Bedeutung haben – daher
 freundschaft, die für ihn zu                   Tun aus genau dieser Liebe              stärken und vielleicht neu zu         kann ich diese Dinge am an-
 einer Gottesbegegnung wird.                    herrühren.                              entfachen.                            deren schätzen.

Dr. Rüdiger Jungbluth (42),                    Dr. Tuba Isik (36), wissen-             Dorothea Rübeling (26),               Daniel Alexander (Ibrahim)
Pfarrer am Evangelischen                       schaftliche Mitarbeiterin für           Theologiestudentin der Evange-        Erhorn (41), Markthändler aus
Forum Kassel                                   Islamische Religionspädagogik           lischen Kirche von Kurhessen-         Seevetal, nach Theologiestudi-
                                               an der Universität Paderborn            Waldeck, Leipzig                      um zum Islam konvertiert

IMPRESSUM
 blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und      Redaktion:                                         Anschrift:
 wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen        Lothar Simmank (Leitung)                           Heinrich-Wimmer-Straße 4
 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt.     Telefon 0561 9307-127                              34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe
                                                          Olaf Dellit                                        redaktion@blickindiekirche.de
 Direkt-Abonnement:                                       Telefon 0561 9307-132                              www.blickindiekirche.de
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                                                          Redaktionsbüro / Anzeigen:                         Gestaltung: Lothar Simmank
 Herausgeber:                                             Andrea Langensiepen                                Layout-Konzept: Liebchen+Liebchen, Frankfurt am Main
 Landeskirchenamt der Evangelischen                       Telefon 0561 9307-152                              Herstellung: Hesse GmbH, Fuldabrück
 Kirche von Kurhessen-Waldeck                             Daniela Denzin                                     Auflage: 18.500 Exemplare
 Pfarrerin Petra Schwermann                               Telefon 0561 9307-128
 Wilhelmshöher Allee 330                                  Fax     0561 9307-155                              Mehr Informationen über die Evangelische Kirche
 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe                                                                               von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de

                                                                                              blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018                            3
Christen und Muslime FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

„Die jungen Menschen geben mir Kraft“
Der islamische Religionspädagoge Prof. Mouhanad Khorchide (Uni Münster) spricht
im blick-Interview über seine Koranauslegung und die Kritik, die er dafür erntet

?    Fangen wir ganz grundsätzlich an:
     Was ist der Islam?
     Prof. Mouhanad Khorchide: Der Islam
                                                   ?   Das Fasten im Ramadan?
                                                            Khorchide: Der Ramadan richtet
                                                   sich nach dem Mondkalender, es ist der
                                                                                                  der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit.
                                                                                                  Die Barmherzigkeit steht sehr im Zentrum
                                                                                                  des Koran wie auch der Bibel. In den For-
ist eine Religion, die den Menschen zu ei-         neunte arabische Monat – deshalb wan-          men und Ausführungen unterscheiden wir
nem liebenden, barmherzigen Gott einlädt.          dert er durch das Jahr. Dieses Jahr war er     uns, aber das soll ja auch als Vielfalt der
Das hört sich plakativ an, aber eigentlich         im Mai/Juni, 2019 wird er Anfang Mai be-       religiösen Praxis so stehen bleiben.
ist es ein Lebenskonzept: Jeder Mensch hat         ginnen. Wir kommen – zum Glück für uns
den Auftrag, diese Liebe und Barmherzig-
keit Gottes durch das entsprechende Han-
deln in seinem Leben zu verwirklichen.
                                                   Muslime – langsam in Richtung Winter.
                                                   Man fastet von kurz vor Sonnenaufgang
                                                   bis zum Sonnenuntergang. Der Sinn des
                                                                                                  ?   Sie vertreten eine historisch-kriti-
                                                                                                      sche Auslegung des Koran. Warum
                                                                                                  ist es so wichtig, den Text so zu lesen?
                                                   Fastens ist, dass man sich der Spiritualität        Khorchide: Weil der Koran eine sehr

?   Der Islam gründet sich auf fünf so
    genannten Säulen. Sind diese fünf
Säulen alle gleich wichtig?
                                                   zuwendet, mehr zu sich findet und asketi-
                                                   scher lebt. Das geschieht heutzutage oft
                                                   nicht mehr so, weil die Leute am Abend
                                                                                                  starke normative Rolle spielt. Wir Muslime
                                                                                                  gehen davon aus, dass er Gottes Offenba-
                                                                                                  rung ist. Wenn ich das als ewiges, ahisto-
     Khorchide: Die erste Säule, das Glau-         viel feiern und alles nachholen.               risches Wort Gottes nehme, dann müsste
bensbekenntnis, ist die wichtigste. Es lau-                                                       ich heute bemüht sein, alles, was im Ko-
tet: Ich glaube, dass es keine Gottheit gibt
außer dem einen Gott, und ich glaube,
dass Mohammed sein Prophet ist. Ohne
                                                   ?   Die soziale Abgabe – das klingt fast
                                                       wie eine Steuer.
                                                       Khorchide: Genau, das ist sehr ähn-
                                                                                                  ran steht, auch Körperstrafen, 1:1 und
                                                                                                  wortwörtlich umzusetzen. Es ist aber ein
                                                                                                  Buch, dass zunächst an die Adressaten im
den ersten Satz dieses Bekenntnisses zer-          lich. Es heißt, man sollte jährlich zwei-      7. Jahrhundert gerichtet war und deren lin-
fällt das ganze Gebäude. Die restlichen            einhalb Prozent des Vermögens, das man         guistische und kulturelle Sprache spricht.
vier Säulen stehen auf einer Ebene.                nicht gerade braucht, für karitative Zwecke         Die damaligen politischen und sozia-
                                                   abgeben.                                       len Rahmenbedingungen waren konstitu-

?   Können Sie die übrigen vier Säulen
    kurz erläutern? Das rituelle Gebet:
     Khorchide: Muslime sollten fünfmal            ?   Und die Pilgerfahrt nach Mekka.
                                                           Khorchide: Einmal im Leben sollte
                                                                                                  tiv für die koranische Rede. Ich kann den
                                                                                                  Koran nur verstehen, wenn ich den Kon-
                                                                                                  text verstehe, in dem er verkündet wurde.
am Tag beten: kurz vor Sonnenaufgang,              ein Muslim, eine Muslimin, eine Pilgerfahrt
zum Mittag, Nachmittag, am Abend kurz
vor Sonnenuntergang und in der Nacht.
Vor dem Gebet wäscht man sich, man
                                                   nach Mekka verrichten. Sie hat einen fixen
                                                   Zeitpunkt im zwölften arabischen Monat.
                                                   Die Pflicht gilt nur unter zwei Vorausset-
                                                                                                  ?    Sie weisen auf Widersprüche im Ko-
                                                                                                       ran hin. Können Sie mir ein Beispiel
                                                                                                  nennen?
liest bestimmte Suren aus dem Koran und            zungen: Man muss gesundheitlich dazu                Khorchide: Ja, etwa das Verhältnis zu
macht bestimmte Bewegungen, alles Rich-            in der Lage sein, und man muss das Geld        Christen und Juden. Man findet Stellen im
tung Mekka. Das rituelle Gebet ist nicht           haben. In der Praxis hat diese fünfte Säule    Koran, die ihnen die ewige Glückseligkeit
mit dem Bittgebet zu verwechseln, dem              die geringste Bedeutung, weil sich nicht       versprechen. Da sagt der Koran: Der Him-
freien Reden mit Gott – das geht jederzeit.        alle Muslime die Reise leisten können.         mel gehört nicht nur den Muslimen. Und
                                                                                                  dann gibt es Stellen, wo Christen kritisiert

                                                   ?
ZUR PERSON                                             Viele Elemente gibt es in ähnlicher        und als Ungläubige bezeichnet werden.
    Mouhanad Khorchide (46) wurde in                   Form auch im Christentum. Wie sind         Das sind Widersprüche. Wenn man histo-
    Beirut (Libanon) geboren und wuchs in          da die Zusammenhänge?.                         risch-kritisch schaut, stellt man fest, dass
    Saudi-Arabien auf. Als Achtzehnjähriger            Khorchide: Die erste Sure im Koran,        der Koran nicht pauschal „die Christen“ kri-
    zog er nach Wien und studierte Islamische      die wir immer im Gebet rezitieren, ist bei-    tisiert, sondern es damit zusammenhängt,
    Theologie und Soziologie. Khorchide ist        spielsweise dem Vaterunser sehr ähnlich.       mit welcher Auslegung des Christentums
    seit 2010 Professor für Islamische Religi-     Die Unterschiede liegen eigentlich nur in      es der Koran historisch und in der jeweili-
    onspädagogik an der Universität Münster,       den Formen, nicht in den Inhalten. Nach        gen Situation gerade zu tun hatte.
    wo er das Zentrum für Islamische Theolo-       unserem muslimischen Verständnis beten

                                                                                                  ?
    gie leitet. Khorchide gilt als Vertreter des   wir zu demselben Gott und haben dassel-           Sie erhalten von anderen Muslimen
    liberalen Islam und muss mit massiver
                                                   be Anliegen: Wir wollen in Gottes Gemein-         Gegenwind und sogar Drohungen.
    Kritik und Morddrohungen leben.
                                                   schaft kommen und sehen uns als Hände          Wie erklären Sie sich den Widerstand?

4        blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
Christen und Muslime FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                                                                                                              Buchtipps...
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                                                                                                                               Andreas Knapp:
                                                                                                                               Religion als Sprengstoff?
                                                                                                                               Was man heute über Islam
                                                                                                                               und Christentum wissen
                                                                                                                               muss. bene! Verlag 2018
                                                                                                                               14,99 Euro

                                                                                                              Die Autoren stellen fest: Die notwendige
                                                                                                              gesellschaftliche Debatte über die religi-
                                                                                                              ösen Hintergründe des Fundmentalismus
                                                                                                              krankt oftmals an ihrer Oberflächlich-
                                                                                                              keit. Wer differenziert mitreden möchte,
                                                                                                              braucht solides Wissen über die unter-
                                                                                                              schiedlichen Glaubenswelten. Denn je
                                                                                                              nachdem wie man sich Gott vorstellt, än-
                                                                                                              dert sich auch die Sicht auf den Menschen.
                                                                                                              Dies wirkt sich aus, zum Beispiel auf die
Foto: epd-bild

                                                                                                              Rolle der Frau, auf das Verhältnis von Reli-
                                                                                                              gion und Staat oder auf die Ausübung von
                                                                                                              Gewalt im Namen Gottes. Indem das Buch
                 Muss mit viel Kritik leben: Der Religionspädagoge Prof. Mouhanad Khorchide vertritt eine     Unterschiede und Gemeinsamkeiten von
                 historisch-kritische Auslegung des Koran                                                     Islam und Christentum darstellt, liefert es
                                                                                                              Basiswissen für den interreligiösen Dialog.
                     Khorchide: Es ist eine eher neue He-      tern haben mich religiös erzogen, ich war
                 rangehensweise, den Koran im histori-         in der Moscheegemeinde, aber ich habe          ... und Verlosung
                 schen Kontext zu lesen. Die historisch-kri-   noch nie wirklich von einem lieben Gott
                 tische Methode ist im Christentum gerade      gehört, sondern hatte immer Angst vor                           Willi Weitzel, Mouhanad
                 mal 100, 120 Jahre alt und hatte es an-       Gott.” Viele junge Muslime bedanken sich                        Khorchide: Der Islam –
                 fangs mit genauso viel Widerstand zu tun.     bei mir, weil sie sich verloren vorkamen.                       Fragen und Antworten für
                 Diesen Prozess machen wir Muslime jetzt       Das gibt mir viel Kraft. Ich habe mir immer                     alle, die's wissen wollen
                 durch. Das Selbstverständnis vieler Musli-    gesagt: Wenn ich nur einer Person gehol-                        edition chrismon 2018
                                                                                                                               14 Euro
                 me, auch muslimischer Theologen, ist, dass    fen habe, hat es sich schon gelohnt. Ich
                 Gott in der Ewigkeit kontextunabhängig        fühle mich privilegiert, dass meine Arbeit     Das Konzept dieses Buchs ist einfach: Da
                 gesprochen hat und sein Wort deswegen         so viel Spaß macht, dass ich innerlich er-     treffen sich zwei, ein Muslim und ein Ka-
                 nicht auf einen bestimmten Kontext redu-      füllt und glücklich bin.                       tholik, und sprechen über Persönliches,
                 ziert werden darf. Meine Methode ist für                                                     vor allem aber über den Islam. Und bei
                 sie eine Verfälschung von Gottes Wort.
                     Zum Beispiel: Bei Körperstrafen im Ko-
                 ran geht es nur um das Prinzip Gerechtig-
                                                               ?   Was ist der Islam für Sie persönlich?
                                                                       Khorchide: Ich verstehe mich als
                                                               Werkzeug der Liebe. Wo ich helfen und
                                                                                                              diesem lockeren Gespräch ist man als Le-
                                                                                                              ser dabei. Willi Weitzel, bekannt aus der
                                                                                                              Kinder-Erklärsendung „Willi will's wissen“,
                 keit. Körperstrafen waren die juristischen    unterstützen kann, wo ich Hände der Lie-       hat viele Fragen, von scheinbar einfachen
                 Mittel, die man im 7. Jahrhundert ange-       be ausstrecken kann, da tue ich es. Wenn       bis zu schwierigen. Und Khorchide ant-
                 wendet hat, die gehen mich heute nichts       ich auf der Straße jemanden sehe, der be-      wortet ebenso verständlich. Er spricht
                 an; aber das ethische Prinzip geht mich       dürftig ist, werde ich in irgendeiner Weise    über seinen Glauben, Auslegungen des
                 schon an.                                     helfen. Da habe ich meinen Islam gelebt,       Koran, aber auch über Anfeindungen von
                                                               jenseits von allen Theorien und allem, was     Fundamentalisten. Am Ende hat man viel

                 ?  Wenn Sie erlauben, noch zwei per-
                    sönliche Fragen: Was gibt Ihnen die
                 Energie, trotz Drohungen und Kritik
                                                               wir in Büchern schreiben. Dieser Moment,
                                                               wo ich die Religion lebe, da fühle ich mich
                                                               als Muslim. Das ist Islam. l
                                                                                                              gelernt und das Gefühl, zwei Freunden
                                                                                                              beim Gespräch gelauscht zu haben. Wir
                                                                                                              verlosen fünf Exemplare: Schreiben Sie bis
                 weiterzumachen?                                                        Fragen: Olaf Dellit   31. August 2018 eine Karte an:
                    Khorchide: Vor allem die jungen Men-                                                      Redaktion blick in die kirche                Mit
                 schen, die mir tagtäglich schreiben: „Ich     Scharia, das Paradies und die Entwick-         Heinrich-Wimmer-Straße 4                    machen!
                 habe von Ihrem Ansatz vom lieben, barm-       lung des Islam: Das ganze Interview le-        34131 Kassel
                 herzigen Gott im Islam gehört. Meine El-      sen Sie auf www.blick-in-die-kirche.de         oder Mail: verlosung@blickindiekirche.de

                                                                                               blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018         5
Christen und Muslime FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                 Christlich-islamischer Dialog
                 ganz praktisch         Mit der Methode des „Scriptural Reasoning”
                 				                                            können Gemeinden ins interreligiöse Gespräch einsteigen

                                                                                                          TIPP
                                                                                                        für die Gemeinde-         Gemeinsam Texte aus der Bibel
                                                                                                              praxis              und dem Koran entdecken

                                                                                                                notwendig sind, wie zum Beispiel „Halte
                                                                                                                dich an den Text, und vermeide Genera-
                                                                                                                lisierungen” oder „Fühle dich eingeladen,
                                                                                                                die Texte einer anderen Religion zu entde-
                                                                                                                cken“. Und: „Lade andere ein, deine Tex-
                                                                                                                te zu entdecken.” Inzwischen wurde auch
                                                                                                                eine Gesellschaft für Scriptural Reasoning
                                                                                                                gegründet. Auf deren Homepage www.
                                                                                                                scripturalreasoning.org gibt es viele Infor-
                                                                                                                mationen und Erfahrungen zu dieser Me-
                                                                                                                thode des interreligiösen Dialogs.

                                                                                                                „Lade andere ein, deine Texte
                 Beim „Scriptural Reasoning” liegt der Koran neben einer aufgeschlagenen Bibel:                 zu entdecken”
Foto: epd-bild

                 Eine interreligiöse Gruppe trifft sich, um miteinander ausgewählte Passagen zu lesen
                                                                                                                    In Frankfurt am Main hat sich in der

                 I
                    n vielen Kirchengemeinden gibt es Bi-       spannendes Unternehmen, wenn über Re-           ersten Hälfte dieses Jahres zum ersten Mal
                    belgesprächsgruppen. So unterschied-        ligionsgrenzen hinweg Texte der eigenen         eine christlich-muslimische Gruppe an vier
                    lich die Formate auch sein mögen, das       wie der fremden Tradition gemeinsam ge-         Abenden getroffen, um die Methode des
                 Ziel bleibt gleich, nämlich mit anderen in     lesen und besprochen würden? Diese Idee         Scriptural Reasoning auszuprobieren. Der
                 einen Austausch über biblische Texte zu        wurde in den 1990er-Jahren an einer Uni-        Austausch fand an unterschiedlichen Or-
                 kommen. Es ist spannend, von anderen           versität in den USA zum ersten Mal in die       ten statt. So waren alle Beteiligten Gast-
                 Christen und Christinnen zu hören, wie sie     Tat umgesetzt und hat seither unter der         geber und Gäste. Mit einem kleinen Imbiss
                 bestimmte Geschichten verstehen. Und es        Bezeichnung „Scriptural Reasoning“ welt-        wurden die Abende abgeschlossen. Die gu-
                 ist eine Herausforderung, eigene Erfahrun-     weit Nachahmung gefunden.                       ten Erfahrungen haben dazu geführt, dass
                 gen mit biblischen Versen zu verknüpfen,                                                       nicht nur eine zweite Staffel in Frankfurt
                 diese Gedanken zu teilen und von anderen       Wie funktioniert das                            geplant ist, sondern auch dass Teilnehmer
                 Rückmeldung zu bekommen.                       Scriptural Reasoning?                           weitere Gruppen von Scriptural Reasoning
                      Bibelgesprächskreise gehören zu den                                                       an anderen Orten organisieren möchten.
                 klassischen Bereichen evangelischer Ge-             Scriptural Reasoning kann mit „schrift-        Die Islamdebatte in Deutschland ist
                 meindearbeit. Doch auch andere Religi-         geleitete Reflexion” übersetzt werden. Zwei     bestimmt von Schlagworten und oft wie-
                 onen kennen die Rezitation und das Stu-        oder mehrere Religionen können teilneh-         derkehrenden Themen. Die Kirchen soll-
                 dieren von heiligen Texten. Die Bibel ist      men. Besonders erprobt sind Gruppen mit         ten sich in ihrem Engagement für den
                 im Christentum ein kostbarer Schatz und        jüdischer, christlicher und muslimischer Be-    christlich-islamischen Dialog nicht nur
                 ein wesentlicher Teil von Liturgie und Got-    teiligung. Eine Gruppe trifft sich, um mit-     von einer scheinbaren Aktualität leiten
                 tesdienst, im Islam ist es der Koran. Hei-     einander ausgewählte Passagen aus den           lassen, sondern auch ganz eigene Impulse
                 lige Texte in der eigenen wie in anderen       Schriften der beteiligten Religionen, die       setzen. Das sogenannte Scriptural Reaso-
                 Religionen berühren über Raum und Zeit         oft einen inhaltlichen Bezug aufweisen,         ning könnte ein solch spezifischer Beitrag
                 hinweg die Herzen und den Verstand ihrer       zu lesen und zu besprechen. Es wurden           der Kirchen sein. l
                 Leserinnen und Leser. Wäre es nicht ein        Leitsätze formuliert, die für ein Gelingen                           Dr. Andreas Herrmann

                 6      blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
Christen und Muslime FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

Islam nicht als Bedrohung wahrnehmen
Der landeskirchliche Islambeauftragte Pfarrer Dr. Andreas Herrmann plädiert im
blick-Interview für ein differenziertes Bild von der vielschichtigen Welt der Muslime

?   Wie sind Sie persönlich zum Thema
    „Islam“ gekommen?
    Dr. Andreas Herrmann: Ich habe mich
                                                Nachrichten aus der islamischen Welt, wie
                                                zum Beispiel über den so genannten Isla-
                                                mischen Staat (IS), tragen das Ihre dazu
                                                                                                         ?    Wie würden Sie das Ziel Ihrer Arbeit
                                                                                                              als Islambeauftragter der hessi-
                                                                                                          schen Landeskirchen beschreiben?
schon während meines Theologiestudiums          bei. Mit ein bisschen Differenzierungsver-                    Herrmann: Für meine Arbeit sind
in Heidelberg mit nichtchristlichen Religio-    mögen müsste aber deutlich werden, dass                   drei Felder wesentlich. Einen großen Teil
nen beschäftigt. Damals haben – auch be-        solche und andere Konflikte sich nicht ein-               macht die Fortbildungsarbeit nach innen
dingt durch das Angebot an der Fakultät         dimensional auf „den Islam“ zurückführen                  aus. Also das Planen und Durchführen
– afrikanische und asiatische Religionen        lassen. Insofern kann ich es nicht nachvoll-              von Seminaren, Vorträgen, Veranstaltun-
mein Interesse geweckt. Die Fokussierung        ziehen, dass die Weltreligion Islam in ihrer              gen, bei denen sich kirchliche Mitarbeiter
auf den Islam begann während meines             Gesamtheit als Bedrohung wahrgenom-                       und Mitarbeiterinnen, von Pfarrern bis zu
Aufenthaltes am Kulp Bible College in Ni-       men wird. Eine Herausforderung für ein                    Erzieherinnen, von Kirchenvorständen bis
geria, wo ich drei Jahre unterrichtet habe.     selbstbewusstes Leben und Artikulieren                    zu Küstern, mit dem Thema Islam ausein-
An dieser theologischen Ausbildungsstätte       der eigenen christlichen Überzeugungen                    andersetzen. Einen zweiten Bereich stellt
wurde das Verhältnis Christentum – Islam        ist der Islam allemal.                                    die Kontaktpflege zu muslimischen Ver-
auf unterschiedlichsten Ebenen diskutiert.                                                                bänden und Einzelpersonen dar. Hierzu
Seither hat mich das Thema nicht mehr
losgelassen.                                    ?   Was bewundern Sie am Islam?
                                                        Herrmann: Mich beeindruckt, mit
                                                welcher Konsequenz fromme Muslime ih-
                                                                                                          gehören auch repräsentative Aufgaben.
                                                                                                          Nicht zuletzt sehe ich es als meine Aufga-
                                                                                                          be an, diejenigen in den beiden hessischen

?   Welches islamische Land, das Sie
    bereist haben, hat Sie am nachhal-
tigsten beeindruckt?
                                                ren Alltag durch das fünfmalige Gebet un-
                                                terbrechen.
                                                                                                          Landeskirchen zu vernetzen, die in ihren
                                                                                                          beruflichen Zusammenhängen mit dem Is-
                                                                                                          lam zu tun haben. Zu diesem Zweck lade
    Herrmann: Ich konnte im Februar die-
ses Jahres eine Studienreise in den Oman
machen. Mich hat beeindruckt, wie in die-
                                                ?    Und was stößt Sie ab?
                                                         Herrmann: Nicht abstoßend, aber
                                                irritierend bis unverständlich finde ich
                                                                                                          ich vier Mal im Jahr Interessierte zu einer
                                                                                                          Konferenz für Islamfragen ein. l
                                                                                                                                Fragen: Lothar Simmank
ser Wüstenregion ein Jahrhunderte altes         die starke Orientierung an einer schein-
Wasserversorgungs- und Verteilungssys-          bar idealen Zeit der Vergangenheit. Das
tem bis heute funktioniert. Darin steckt        Wirken des Propheten Muhammad und                         ZUR PERSON
viel Weisheit.                                  seiner ersten Gefährten hat eine so gro-
                                                                                                                                    Pfarrer Dr. Andreas
    Der Aufenthalt hat bei mir aber noch        ße Bedeutung für viele Muslime, dass die                                            Herrmann (56) ist
auf einer anderen Ebene starke Eindrü-          Gegenwart und die Zukunft darüber oft                                               Referent für inter-
cke hinterlassen: Das Sultanat Oman ist         zweitrangig erscheinen.                                                             religiösen Dialog mit
nach unserer Einschätzung eigentlich eine                                                                                           Schwerpunkt Islam.
Diktatur. Und obwohl der aktuelle Sultan
                                                ?   Sehen Sie Fortschritte im christlich-                                           Er lebt in Kassel, sein
                                                                                               Foto: privat

Qaboos seit über 40 Jahren den Oman re-             islamischen Dialog der letzten                                                  Dienstsitz ist das
giert, ist die Entwicklung eine Erfolgsstory.   Jahre?                                                                              Zentrum Oekumene
Der beliebte Sultan hat es in seiner bishe-         Herrmann: Diese Frage ist nicht ein-                                            der Evangelischen
rigen Regierungszeit geschafft, sein Land       fach zu beantworten. Wir haben sicher in                      Kirche in Hessen und Nassau und der
                                                                                                              Evangelischen Kirche von Kurhessen-
aus dem Mittelalter ins 21. Jahrhundert zu      manchen Bereichen Fortschritte gemacht.
                                                                                                              Waldeck in Frankfurt am Main. Von 1995
führen. Ich finde, das ist eine gute Nach-      Ich möchte nur die Zusammenarbeit mit
                                                                                                              bis 2000 war Herrmann Gemeindepfarrer
richt aus der arabischen Welt.                  dem Zentrum für Islamische Studien an
                                                                                                              im Kirchenkreis Gelnhausen und nach
                                                der Universität Frankfurt erwähnen. Die                       seiner Mitarbeit bei der Basler Mission von

? Können Sie nachvollziehen, dass
  manche Christen den Islam als
Bedrohung empfinden?
                                                gemeinsame Planung und Durchführung
                                                von Tagungen und Veranstaltungen mit
                                                muslimischen Kooperationspartnern ist
                                                                                                              2003 bis 2011 in Hofgeismar. Seine
                                                                                                              Promotion „Der Islam als nachchristliche
                                                                                                              Religion” erscheint demnächst als Buch im
   Herrmann: Unsere negativen Bilder            eine gute Entwicklung. Gleichzeitig müs-                      Verlag Mohr Siebeck.
vom Islam sind tief in unser kollektives        sen wir auch Rückschritte verzeichnen, wie                    Kontakt: T 069 976518-69
Gedächtnis eingegraben. Die aktuellen           etwa im Verhältnis zur DITIB.                                 herrmann@zentrum-oekumene.de

                                                                               blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018                               7
Christen und Muslime FÜR MITARBEITENDE - EKKW
Foto: medio.tv/Dellit
              THEMA

              Wenn eine Kerze für
              Verwirrung sorgt
              Einmaliges Projekt in Kassel: Ausbildung
              für christlich-muslimische Jugendleiter-Card

              S
                    o manch einer – und das auf beiden      besonders wichtig,
                    Seiten – hat schon die Stirn gerun-     Ehrenamtlichen die
                    zelt, als er von dem Projekt hörte:     standardisierte Aus-
              eine christlich-muslimische Ausbildung        bildung für Jugend-
              für die Jugendleiter-Card (Juleica)? Und      leiter zukommen zu
              dann auch noch mit einer Gemeinde des         lassen. So sei etwa
              umstrittenen Moscheeverbands DITIB?           die Spielpädagogik
              Doch die Bedenken hätten sich zerstreut,      für sie Neuland ge-
              sagt Dino Nolte vom Referat Kinder- und       wesen, erläutert Ery-
              Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von     ilmaz. Manche der
              Kurhessen-Waldeck.                            Christen und Chris-
                   An DITIB werde zu Recht Kritik geübt,    tinnen hingegen
              doch unter dem Dach des Verbands gebe         hatten die Karte be-
              es eine große Bandbreite. Und die DITIB-      reits und waren vor
              Jugend in Kassel habe sich als offener        allem an der interre-
              und zuverlässiger Partner erwiesen. „DITIB    ligiösen Begegnung
                                                                                   Vor der Mattenberg-Moschee in Kassel: Dietrich „Dino“ Nolte von der
              Kassel ist sehr offen und wissensdurstig“,    interessiert. Und die evangelischen Kirche (links) und Mahmut Eryilmaz von der türkisch-islami-
              pflichtet ihm Mahmut Eryilmaz bei, Dia-       war vom ersten Se- schen Gemeinde
              logbeauftragter der islamischen Gemeinde      minartag an inten-
              Kassel-Mattenberg.                            siv, erzählen Nolte und Eryilmaz, die die So sei ein stets traditionell gekleideter Teil-
                   Bevor in Kassel im vergangenen Jahr      Ausbildung gemeinsam mit Ferdi Kesgin nehmer ebenso dabei gewesen, wie zwei
              die Ausbildung begann, habe es in Bremen      (DITIB-Jugend) und Andrea Wielsch (Evan- junge Frauen pakistanischer Herkunft. Bei
              bereits einen ähnlichen Versuch gegeben,      gelische Jugend) initiierten.                 denen sei er selbst anfangs skeptisch ge-
              berichtet Nolte, allerdings mit wenig Re-                                                   wesen, ob sie offen genug wären, räumt
              sonanz. In Kassel hingegen waren jeweils      Ungewohnte Gespräche                          Eryilmaz eigene Vorurteile ein.
              sechs christliche und sechs muslimische Ju-                                                     Irritationen gab es an unerwarteter
              gendliche dabei, dazu einer ohne Bekennt-          Bereits beim ersten Treffen habe es Stelle, nämlich bei einer christlichen An-
              nis. Für die muslimische Gemeinde war es      tiefgehende Gespräche zu existenziellen dacht mit einer einzelnen Kerze. Das sei
                                                            Fragen wie Tod und Sterben gegeben. Es den muslimischen Jugendlichen komisch
                                                            sei schnell ein vertrauensvoller Rahmen vorgekommen, geradezu okkultistisch, sagt
                                                            entstanden, um über den eigenen Glau- Eryilmaz, denn Moscheen seien meist licht
                                                            ben zu sprechen. Für Muslime sei das sehr und hell – sie benötigten keinen Kerzen-
                                                            ungewohnt, sagt Eryilmaz, weil man in der schein. Und auch der Umgang mit Körper-
                                                            Gemeinde eher nicht über seine eigenen lichkeit ist unterschiedlich. So seien die
                                                            Glaubensvorstellungen spreche, sondern muslimischen Jungs zunächst zurückgewi-
                                                            allenfalls mit guten Freunden.                sen, als christliche Mädchen sie bei einer
                                                                 Beeindruckend seien auch Besuche in Spielpädagogik-Einheit berühren sollten.
                                                            den Gotteshäusern gewesen, sagen Nolte            Nolte würde gerne interreligiöse Be-
                                                            und Eryilmaz, etwa als ihnen Muslime in gegnungen von Jugendlichen auch an-
                                                            der Moschee in Bettenhausen erklärten dernorts in der Landeskirche initiieren,
                                                            und demonstrierten, wie sie beten. „Da nicht zwangsläufig als Juleica-Kurs. Doch
                                                            wächst eine Geschwisterlichkeit über Glau- das Interesse sei eher gering. Dabei habe
Foto: Nolte

                                                            bensgrenzen hinweg“, ist sich Nolte sicher. das Kasseler Beispiel gezeigt, dass es sich
                                                                 Deutlich wird im Gespräch mit Mah- lohnt, denn er ist überzeugt: „Der eigene
              Gut gelaunt: Die christlich-muslimische
                                                            mut Eryilmaz auch, wie unterschiedlich die Glauben schärft sich am Fremden.“ l
              Juleica-Gruppe vor der Friedenskirche in
                                                            Akzente innerhalb der Muslime selbst sind.                                     Olaf Dellit
              Kassel

              8      blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
Christen und Muslime FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

Interkulturelle Männerarbeit
Etwas abseits von Kirche und Moschee ist Siegfried
Asselmeyer aus Witzenhausen freundschaftlich im Gespräch
mit Männern aus dem arabischen Raum

W
           enn das Gutgemeinte fruchtbar      beschreibt es Asselmeyer,
           sein soll, braucht es einen Mo-    höre man sich gegenseitig
           tor.” Für Siegfried Asselmeyer,    zu, obwohl alle entweder
Jahrgang 1961 und seit Jahren aktiv in        gläubige Christen oder Mus-
der interkulturellen Männerarbeit, ist das    lime sind – aber ein neutra-
ein Kernsatz. Der Mann, der in Witzenhau-     ler Umgang sei eine gute
sen seit dem Frühjahr 2017 dazu beiträgt,     Gesprächsvoraussetzung.
dass ein Austausch zwischen Einheimi-         Vor allem sei es wichtig, die
schen und geflüchteten arabischen Män-        Lebensgeschichten und -er-
nern stattfindet, begreift sich durchaus      fahrungen der arabischen
selbst als eine Art Motor.                    Männer anzuhören; dann
    Schon lange, bevor die Witzenhäuser       spräche man auch über die
Gruppe von heute etwa 20 Personen aus         Demokratie und die Rolle
Syrien, Afghanistan sowie dem Irak und        der Frau in der deutschen
fünf deutschen Männern entstand, ver-         Gesellschaft. Oft stehe die
brachte er ehrenamtlich viel Zeit in Ge-      jeweilige Tagessituation der
meinschaftsunterkünften. Er knüpfte Kon-      Geflüchteten im Zentrum,
takte, hörte zu, betreute, sprach vor allem   die Familie und der Fami-
Väter an und blieb auch im Austausch,         liennachzug, die Arbeitssu-
wenn die Männer schließlich in eigene         che und die deutsche Spra-
Wohnungen ziehen konnten.                     che als „Eintrittskarte” für
                                              ein Leben in Deutschland.
                                              Letztlich gehe es um „Hilfe
          »Wenn das                           zur Selbsthilfe”, und zwar
         Gutgemeinte                          stets „so niedrigschwellig
      fruchtbar sein soll,                    wie möglich”, nicht nur we-

                                                                                                                                       Foto: privat
   braucht es einen Motor.«                   gen der Sprachbarrieren. Im
                                              Frühjahr war folgende Fra-
                                              ge zentral: „Wie gehe ich Siegfried Asselmeyer (r.) mit einem Geflüchteten
    Damit beginne für viele eine harte        als Moslem mit dem Thema
Zeit, sagt Asselmeyer, jeder müsse nun        Ramadan in Deutschland                         sucht werden einerseits Ehrenamtliche
allein mit den deutschen Gegebenheiten        um?”                                           – „viele Asselmeyers”, so Stefan Sigel-
klarkommen, die Gemeinschaft sei vorerst           Asselmeyer, vor seinem Engagement Schönig, die sich mit Männern anderer
beendet. Wie bekommt man Verbindung           kein Islamkenner, lernt wie seine Mitstrei- Kulturen austauschen wollen. Im Projekt-
mit Einheimischen? „Das lässt sich nicht      ter in der Gruppe viel von den anderen. verlauf werden sie geschult und begleitet.
erzwingen”, betont der weißblonde Mann,       Dass dieser Gesprächskreis eher ein we- Zudem können Haupt- und Ehrenamtliche
der aufgrund einer schweren Erkrankung        nig fern der Kirchengemeinde stattfinde, aus der Geflüchtetenhilfe mitwirken. Ver-
nicht arbeitet und seine Zeit in den Dienst   ist laut Stefan Sigel-Schönig, im Landeskir- schiedene Gruppen in Stadt und Landkreis
des interkulturellen Austauschs gestellt      chenamt unter anderem für interkulturelle Kassel sowie im Werra-Meißner-Kreis lau-
hat. Er selbst versucht, auch unter der Wo-   Männerarbeit zuständig, nicht ungewöhn- fen bereits. Das jüngste Vorhaben startet
che freundschaftlichen Kontakt mit den        lich. Männer werden gern selbst aktiv und im Sommer in Wolfhagen mit zehn Treffen.
Gruppenmitgliedern zu halten.                 organisieren sich, sagt er.                    l		                Anne-Kathrin Stöber
    Alle zwei Wochen treffen sich dann al-         Für drei Jahre wird derzeit die interkul-
le abends ab sieben beim Tee in der Diako-    turelle Männerarbeit der Evangelischen Kontakt: Männerarbeit der EKKW,
nischen Tagesstätte „Wie gewohnt”. Sozu-      Kirche von Kurhessen-Waldeck durch die Stefan Sigel-Schönig, T 0561 9378477,
sagen „abseits von Kirche und Moschee”,       Deutsche Fernsehlotterie unterstützt. Ge- stefan.sigel@ekkw.de

                                                                           blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018       9
Christen und Muslime FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                        Die Trauer schweißt bis heute zusammen
                        Borken 1988: Grubenunglück prägt bis heute das Verhältnis von Christen und Muslimen

                        S
                              ie nennen sich Kumpel und nicht
                              Kollegen, die Männer im Bergbau.
                              Wenn man auf die Geschichte der
                        nordhessischen Kleinstadt Borken und des
                        dortigen Bergbaus blickt, kann man auch
                        von Schicksalsgemeinschaft sprechen. Es
                        ist 30 Jahre her, als am 1. Juni 1988 eine
                        gewaltige Detonation die Braunkohlegru-
                        be Borken-Stolzenbach erschütterte und
                        57 Bergleute begrub. Sechs wurden Tage
                        später gerettet, 51 konnten nur noch tot

                                                                                                                                                                   Fotos: Peter Zerhau
                        geborgen werden.
                            Die Katastrophe schweißte die Men-
                        schen zusammen, auch über die Grenzen
                        der Religion hinweg. 13 Todesopfer kamen
                        aus der Türkei. „Die türkischen Familien      Blumen als Erinnerung an die Opfer an der Gedenkstätte in Borken-Stolzenbach
                        sind eingebunden in die Trauer der gan-
                        zen Stadt“, schrieb Siegfried Krückeberg,          Selim Bozdag, Vorsitzender des türki-         Die türkisch-islamische Gemeinde be-
                        damals Pfarrer in Borken, 1989 in blick in    schen Moscheevereins, war vier Jahre alt,     teilige sich ganz selbstverständlich an vie-
                        die kirche.                                   als der Kohlenstaub in der Tiefe explodier-   len Aktivitäten in der Stadt, von Anfang
                                                                      te. „Das berührt einen immer noch“, sagt      an auch mit viel Engagement in der Flücht-
                        Zusammen gearbeitet und gestorben             Bozdag, dessen Onkel damals unter den         lingshilfe, etwa im Begegnungscafé, sagt
                                                                      Opfern war. Die jährlichen Gedenkfeiern       Vorsitzender Bozdag. Viele Flüchtlinge
                            Bernd Heßler war erst ein paar Mona-      in Stolzenbach, wie auch schon die große      besuchten auch die Gebete und das Fas-
                        te Borkens Bürgermeister, als das Unglück     Trauerfeier nach dem Unglück, begehen         tenbrechen in der Borkener Moschee, die
                        geschah, und blieb es bis 2015. Anfangs       Muslimen und Christen gemeinsam. Denn         unauffällig am Rande der Stadt steht.
                        habe die Preußen Elektra die türkischen       die Männer, die damals starben, waren              Wie wird die Debatte um den türki-
                        Männer vor allem als billige Arbeitskräf-     Freunde, wie Bozdag sagt.                     schen Präsidenten Erdogan und den tür-
                        te geholt, über Integration habe man               Ex-Bürgermeister Heßler bestätigt das,   kischen Einfluss auf den Moschee-Dach-
                        sich keine Gedanken gemacht und so viel       gerade in der Trauerarbeit hätten sich die    verband DITIB gesehen? Es gebe in der
                        versäumt. „Aber an der Arbeit und insbe-      christlichen Gemeinden und die muslimi-       Gemeinde verschiedene Meinungen, sagt
                        sondere im Bergbau hat man sich zusam-        sche gemeinsam eingebracht. Und das hal-      Bozdag, aber: „Wir versuchen, die Politik
                        mengefunden“, sagt Heßler. Und durch die      te bis heute: „Die Menschen haben sich        draußen zu halten.“ Und selbst wenn die
                        Katastrophe seien sie noch mehr zusam-        in der Krisensituation gefunden, und das      Politik mal für Verstimmungen sorgen soll-
                        mengerückt: „Sie haben zusammen gear-         hält – auch bei all den größer werdenden      te – Kumpel werden sie wohl bleiben in
                        beitet, und sie sind zusammen gestorben.“     Spannungen – bis heute an.“                   Borken. l		                     Olaf Dellit
Foto: medio.tv/Dellit

                        Vor der Borkener Moschee: Imam Mustafa Köse (links) und Vereins-     Gemeinsames Gedenken: Imam Köse sprach bei der Gedenkfeier
                        vorsitzender Selim Bozdag                                            ebenso wie ein katholischer und ein evangelischer Pfarrer

                        10    blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
Fotos: medio.tv/Dellit                                                                                                                                   THEMA

                         Beim Interreligiösen Gemeinschaftsfest in Hanau-Großauheim ging es in diesem Jahr um Austausch über den Begriff „Heimat”

                         „Gott spricht nicht nur deutsch”
                         In Hanau treffen sich Christen und Muslime beim Festival der Kulturen und anderswo

                         O
                                  b in Kassel, Fulda oder Marburg:          Willkommenskultur pflegt Wolfgang         IN ABRAHAMS ZELT
                                  In nicht wenigen Städten ist der      Bromme seinerseits in dem Begegnungs-          Es war der emotionale Höhepunkt der ge-
                                  „runde Tisch der Religionen” eine     café Oase, das seit zweieinhalb Jahren in      meinsamen Feier der Religionen in Hanau,
                         feste Einrichtung. Auch in Hanau treffen       Hanau-Wolfgang Flüchtlinge und Hanau-          als ein kleines Mädchen der Bahai-Religion
                         sich Christen, Juden, Muslime und Vertre-      er Bürger an einen Tisch einladen möchte.      ein perfekt auswendig gelerntes und be-
                         ter anderer Religionen regelmäßig auf Ein-     Mit einem Zelt war das Projekt auch auf        tontes Gebet für die Harmonie unter den
                         ladung des Oberbürgermeisters mit dem          dem Festivalgelände vertreten und bot          Religionen sprach. Und schließlich nah-
                         Ziel, miteinander zu reden, um den jeweils     dort Kaffee und Kuchen sowie orientali-        men sich die Mitwirkenden und die mehr
                         anderen besser zu verstehen.                   sche Speisen an. Das Ziel: „Wir glauben        als 200 Besucher an den Händen und
                                                                                                                       sangen gemeinsam „We shall overcome“.
                              Alle paar Jahre allerdings wird aus       immer noch an die inspirierende Kraft der
                                                                                                                       Zuvor hatten Religionsvertreter ihr Ver-
                         dem runden Konferenztisch eine lange Ta-       Integration. Wer zusammen am Tisch sitzt
                                                                                                                       ständnis von Heimat geschildert, es gab
                         fel, an der gemeinsam gefeiert wird. Beim      und miteinander redet, kommt sich näher.
                                                                                                                       Rezitationen aus Bibel und Koran sowie
                         „Festival der Kulturen”, das 2013, 2016        Viele Vorurteile lösen sich wie von selbst,    Gebete und Tanz. Um die drei abrahamiti-
                         und in diesem Jahr im Park an der Linde-       wenn man sich persönlich begegnet.”            schen Religionen – Christentum, Islam und
                         nau in Hanau-Großauheim stattfand, wird            Seit 2015 hat Pfarrer Bromme noch auf      Judentum – ging es in Abrahams Zelt auf
                         interreligiös zelebriert. 2016 wurden auf      anderer Ebene Kontakt zu Muslimen. Jun-        dem Festgelände, das von den christli-
                         der Bühne mehrere „Altäre” zusammen-           ge Iraner und Afghanen kamen zu ihm in         chen Gemeinden betreut wurde. Pfarrer
                         geschoben. Auf den Tischen lag die Bibel       den Gottesdienst mit dem Wunsch, Christ        Wolfgang Bromme und andere Mitarbeiter
                         neben dem Koran und der jüdischen Tora,        zu werden. Ein Taufkurs für Menschen ver-      erzählten darin Geschichten, unter ande-
                         Kreuz, Halbmond und Davidstern standen         schiedener Sprache und Herkunft wurde          rem von Urvater Abraham. Mit Fragekar-
                         neben einer Buddha-Figur. Und dann?            eingerichtet. Bromme fand gutes Materi-        ten wurden Gesprächsimpulse gesetzt, zum
                                                                                                                       Beispiel „Wie wird man respektiert?“ Die
                         Menschen aus Hanau berichten aus ihren         al aus der badischen Landeskirche – ein
                                                                                                                       Antwort von Meryem Yilmaz: „Indem man
                         Glaubenswelten, zum Beispiel geht es um        Glaubenskurs auf Deutsch, Englisch und
                                                                                                                       andere respektiert.“           Olaf Dellit
                         Maria: Die evangelische Pfarrerin singt das    Persisch, den er an zehn Abenden mit Hil-
                         Ave Maria, der islamische Vorbeter rezitiert   fe von Dolmetschern mit den Taufkandida-
                         passende Koransuren, und man erfährt et-       ten durcharbeitete. „Die Leute haben sehr
                         was über Maya, die Mutter Buddhas.             intensiv mitgemacht, besser als im Kon-
                              „Das ist kein Mischmasch, wir veran-      firmandenunterricht”, freut sich Bromme.
                         stalten dort keine Einheitsfeier”, betont      Inzwischen kamen sechs Taufkurse dieser
                         Pfarrer Wolfgang Bromme (61) aus Groß-         Art zustande, insgsamt 30 Peronen ließen
                         auheim, Mitinitiator auf evangelischer         sich taufen.
                         Seite: „Wir nehmen auch wahr, wie ver-             Werden Konversionen vom Islam zum
                         schieden wir sind. Aber im interreligiösen     Christentum in Hanaus Moscheen nicht
                         Dialog kommt es eben darauf an, dass wir       als Problem für den interreligiösen Dialog
                         das Gemeinsame betonen.” Und das gibt          betrachtet? Nein, sagt Bromme. Kritik von
                         es durchaus, so die Erfahrung des Pfar-        dieser Seite sei ihm nicht zu Ohren gekom-
                                                                                                                      Drei Religionen, ein Zelt: Marijke Graafsma,
                         rers, der seit vielen Jahren gute Kontakte     men. Religionsfreiheit, wie sie in Deutsch-   Pfarrer Wolfgang Bromme, Behlül und Meryem
                         zu Moscheegemeinden in der Stadt pflegt.       land garantiert sei, bedeute schließlich      Yilmaz, Kim, Kilian und Rebekka Kießling sowie
                         Mit seinen Konfirmandengruppen besucht         kein Gegeneinander. l                         Erol Ertürk sprechen über Geister, Gewissen, Tole-
                         er zum Beispiel ein Freitagsgebet. Oder er                                Lothar Simmank     ranz, Liebe und Beichte. Bromme sagt: „Das sind
                         schaut beim Fastenbrechen vorbei.                 www.oase-hanau.de                          Themen in allen Religionen.“

                                                                                                      blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018           11
THEMA

                       Singen verbindet drei Religionen
                       Chor aus jüdischen, christlichen und muslimischen Sängern trägt Schöpfungspsalm vor

                       T
                              he heavens express your fire”, singt        Kantor Daniel Kempin, der diesen Ge-          „Es ist jedes Mal faszinierend, zu ent-
                              der Chor – was bei Luther heißt:       sang mit der Gitarre begleitet, erzählt an-   decken, welche musikalische Vielfalt die
                              „Die Himmel erzählen die Ehre Got-     schließend, dass der Mittelteil des Psalms    Psalmen, dieses Urlob, in den verschiede-
                       tes“. Es ist die modernste Komposition        in christlichen Vertonungen keine Rolle       nen Traditionen hervorgebracht haben“,
                       zu Psalm 19, die der Interreligiöse Chor      spielt. Um die Spannung zwischen Ge-          sagt die Chorleiterin. In den halbjährlich
                       Frankfurt bei seinem elften Frankfurter       setz und Evangelium soll es an einem Ge-      stattfindenden Chorproben werden aber
                       Tehillim-Psalmen-Konzert im jüdischen         sprächsabend gehen, der den Psalm aus         auch religiöse Inhalte thematisiert. Etwa
                       Gemeindezentrum zur Aufführung bringt.        religionswissenschaftlicher Sicht beleuch-    die Bedeutung jüdischer oder islamischer
                       Das Zen-inspirierte Loblied, komponiert       tet. Vertreter aus Christentum, Judentum      Feiertage oder verschiedene Gottesvorstel-
                       von Gerald Cohen, Kantor einer New Yor-       und Islam werden auf dem Podium sitzen.       lungen.
                       ker Synagoge, ist ein Glücksfall für den           Der jüdische Kantor Daniel Kempin            Musik mache die Verbindungen zwi-
                       bundesweit einmaligen Chor: Ein Aufruf in     und die evangelische Kantorin Bettina         schen den drei Religionen für Chor und
                       einem Netzwerk jüdischer Kantoren hatte       Strübel haben das Tehillim-Psalmen-Projekt    Publikum unmittelbar erfahrbar, sagt
                       zu seiner Entdeckung geführt.                 2012 ins Leben gerufen, schon bald wurde      Strübel. Ein Chormitglied formuliert es so:
                           Psalm 19 (hebr. tehilla), der im Zen-     aber jeweils auch eine Brücke zum Islam       „Ich bin aus der Kirche ausgetreten, aber
                       trum dieses Abends steht, unterteilt sich     geschlagen.                                   in diesem Chor zu singen ist für mich wie
                       in drei Abschnitte, die von Gottes Herr-           An diesem Abend wird die 91. Sure        beten, obwohl ich nie ein Gebet sprechen
                       lichkeit in der Schöpfung und der Freude      von Chormitglied Serap Ermis rezitiert –      würde.“ „Wenn man sich wochenlang mit
                       über die Weisungen und Gesetze der Thora      ein Äquivalent zu Psalm 19. Es folgen drei    einem Psalm beschäftigt, ist das wie ein
                       berichten, um mit der Bitte um Gnade für      Ilahis, die die Themen des Psalms umspie-     Schatz, der noch lange nachwirkt“, ergänzt
                       das Leben abzuschließen. Aus christlicher     len. Diese sufistischen Lieder werden über-   eine andere.
                       Perspektive gehört er zu den „Schöpfungs-     zeugend untermalt vom Kanun, der türki-           Neben dem Kennenlernen unterschied-
                       psalmen“ und ehrt in verschiedenen Bil-       schen Harfe, der Muhittin Kemal typisch       lichster Musikstile und der Vertiefung re-
                       dern besonders die Sonne.                     arabische Klänge entlockt. „Psalmen und       ligiöser Inhalte ist die Arbeit des Chors
                           Der Interreligiöse Chor führt in seinem   Koranverse miteinander in Verbindung zu       nicht zuletzt auch eine Botschaft an die
                       Konzert variantenreiche Vertonungen des       bringen ist ein ganz neuer Weg“, erklärt      Gesellschaft: „Trotz aller Unterschied-
                       Psalms von Bach über Haydn bis Edouard        Bettina Strübel. Nicht selten gibt sie für    lichkeit: Wenn man aufeinander zugeht,
                       Samuel auf, ebenso wie das jüdische Lied,     den islamischen Teil auch Kompositionen       klappt es auch“, sagt das muslimische
                       das am Sabbatmorgen oder zum Simchat          in Auftrag. Bei der Textauswahl helfen die    Chormitglied Dilruba Harunnisah Kam. l
                       Thora, dem Fest der Thorafreunde, in jüdi-    studierten islamischen Sängerinnen des
                       schen Gemeinden erklingt.                     Chors.                                                            Stephanie von Selchow

                       Nehmen den Applaus des Publikums entgegen: Chorleiterin Bettina Strübel und Kantor Daniel Kempin (r.) vom Interreligiösen Chor Frankfurt
Foto: S. von Selchow

                       12    blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
THEMA

Die Musik rettete seine Seele
Der Pianist Aeham Ahmad spielte im Krieg Klavier und wirbt heute für Verständigung

D
       as”, sagt Aeham Ahmad und zeigt
       auf sein Hemd, seine Hose, seinen
       Mantel, „wäre alles verboten, weil
Mohammed so etwas nicht getragen hat.“
Mit rigiden Regeln, die mit dem Koran
begründet wurden, hat der syrische Pa-
lästinenser Erfahrung gemacht. Männer
des so genannten Islamischen Staats (IS)
übergossen sein Klavier in Damaskus mit
Benzin und zündeten es an. Weil Musik
Sünde sei.
    Ahmad hatte auch im Krieg musiziert,
mit singenden Kindern zwischen den Trüm-
mern seiner Heimatstadt – die Fotos und
Videos davon gingen um die Welt. Die
Auftritte waren gefährlich: Einmal wurde
Zeinab, ein zwölfjähriges Mädchen, von
einem Scharfschützen erschossen, als sie
mitten auf der Straße sangen. Der Foto-
graf, der das berühmt gewordene Foto
schoss, sei bis heute verschwunden, sagt
Ahmad, ebenso wie sein eigener Bruder.

                                                                                                                                             Foto: medio.tv/Dellit
Musik als Verbindung zu Gott

    Die Gewalt, die Verbote – das ist für
den 30-Jährigen nicht das, was er unter
dem Islam versteht. „Musik ist wichtig,        Von Damaskus nach Wiesbaden: Der Pianist Aeham Ahmad hat den Krieg und die Verfol-
um sich mit Gott zu verbinden“, sagt er.       gung durch den IS erlebt und wirbt mit seiner Musik für Verständigung
Für Ahmad ist sie sogar lebenswichtig:
„Die Musik hat meine Seele gerettet, mein      einem Straßencafé mitten in Wiesbaden –        von Alkohol und Zigaretten propagierten,
inneres Leben.“ Und sie ist für ihn auch       dieselbe Textstelle leise singt. Der Unter-    aber zu Hause tranken und rauchten. An
in Deutschland zum Lebensunterhalt ge-         schied ist riesig, so riesig wie Ahmads Un-    strenge Regeln glaubt Aeham Ahmad
worden. Unglaubliche 460 Konzerte hat          verständnis, wenn jemand Musik verbietet.      nicht mehr, er bete nicht immer zu den
er nach eigener Zählung gegeben, seit er           Sein Glaube habe sich seit dem Krieg       vorgeschriebenen Zeiten, dafür an ande-
2015 nach Deutschland kam.                     verändert, sagt er. Er wisse von IS-Kämp-      ren Tagen viel häufiger.
    Für Aufsehen sorgte seine Zusam-           fern, die in der Öffentlichkeit ein Verbot          Der Pianist aus Damaskus hat eine an-
menarbeit mit dem Kasseler Jazzpianis-                                                        dere Mission: Brücken bauen. Seine vielen
                                               DAS BUCH
ten Edgar Knecht. Häufig ist er auch auf                                                      Konzerte sieht er auch als ein Abtragen
Einladung der Diakonie und in Kirchen zu                         Das Foto von dem Mann,       von Schuld, sagt er nachdenklich, weil er
hören, etwa bei einem Friedenskonzert in                         der inmitten der Trümmer     den Krieg überlebt hat, viele andere aber
Dresden. Möglicherweise werde er bald                            von Damaskus Klavier         noch leiden oder tot sind. Kriege könne
den Papst treffen, sagt Ahmad.                                   spielt, ging um die Welt.    man nicht veränden, aber jeder könne
    Es sei wichtig, über die Religionen und                      Aeham Ahmad erzählt im       sich selbst ändern – diese Botschaft will er
ihre Unterschiede zu sprechen und Musik                          Buch Und die Vögel           transportieren. Aeham Ahmad sagt es so:
                                                                 werden singen die
zu spielen, die in allen Religionen von gro-                                                  „Wenn du einen Freund in Ägypten hast,
                                                berührende Geschichte vom blinden Vater,
ßer Bedeutung sei. Er nennt das gesun-                                                        einen in Spanien und einen in Syrien, dann
                                                vom Krieg, von der Flucht und von der
gene „Amen“ und zitiert dann eine Stelle                                                      bist du reicher als mit sechs Millionen Eu-
                                                Kraft der Musik. Verlag S. Fischer, 20 Euro
aus dem Koran auf Arabisch, bevor er – in                                                     ro.“ l                         Olaf Dellit

                                                                                blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018       13
THEMA

                                  „Wir feiern keine muslimischen Feste”
                                  Wie die Evangelischen Kindertagesstätten in Marburg ihr christliches Profil leben

                                 D
                                           ass evangelische Kindergärten          angesagt, wo endet die Rücksichtnahme?        Ihnen komme es auf die dort vermittelten
                                           nicht nur von evangelischen Kin-       Was tun, wenn es um verbotenes Schwei-        Werte an – auch wenn dies unter dem Vor-
                                           dern besucht werden, ist keine         nefleisch, verlockende Zuckerfest-Süßigkei-   zeichen einer andere Religion geschehe.
                                  Überraschung – schon gar nicht in Mar-          ten, Kleiderregeln oder das weihnachtli-      Deshalb liege eine große Chance darin,
                                  burg, der Universitätsstadt, in der man         che Krippenspiel geht?                        Vorurteile und Berührungsängste gegen-
                                  stolz ist auf eine lange ökumenische Tradi-          „Wir wollen andere Religionen und        über muslimischen Eltern abzubauen, be-
                                  tion. Selbstverständlich spielen und lernen     Tradionen anerkennen und würdigen”,           tont die Diplom-Pädagogin.
                                  hier Knirpse aller Hautfarben, Kulturen                                                           Um in diesem Sinne auf die Eltern zu-
                                  und Religionen miteinander, so wie es der                                                     gehen zu können, haben sich im Rahmen
                                  Gesamtverband der Kirchengemeinden als                                                        einer Fortbildung im November letzten
                                  Träger postuliert: „Jedes Kind ist von Gott                                                   Jahres zwei Dutzend der rund 160 Mit-
                                  gewollt – so wie es ist. Unabhängig davon,                                                    arbeitenden mit dem Islam beschäftigt.
                                  wo es herkommt, was es kann oder leistet.                                                     Geschult wurden sie im Religionspädago-
                                  Das ist unser christliches Menschenbild.                                                      gischen Institut durch Dr. Andreas Herr-
                                  Unsere Kindertageseinrichtungen sind                                                          mann, den Islambeauftragten der Landes-
                                  deshalb offen für alle Kinder.”                                                               kirche. Basiswissen war gefragt: die fünf
Foto: www.kitas-marburg.de

                             Ein erklärtes Ziel der Evangelischen Kindertagesstätten in Marburg:     Sind für einen klaren Kurs: Birte Schlesselmann, Beauftragte für die Ev.   Foto: medio.tv/Simmank

                             Die Kinder sollen die Welt entdecken und auch den christlichen Glau-    Kindertagesstätten in Marburg, und Pfarrer Ralf Hartmann, Vorsitzen-
                             ben kennenlernen. Besuche in der Kirche gehören dazu                    der des Trägers Gesamtverband der Ev. Kirchengemeinden in Marburg

                                      So weit, so gut. Im Alltag gibt es aller-   sagt Pfarrer Ralf Hartmann als Vertreter      Säulen des Islam, die Biografie Moham-
                                  dings eine Menge Klärungsbedarf, stellt         des Trägers, „aber wir feiern in unseren      meds, der Koran. Wo sind Nähe und Un-
                                  Birte Schlesselmann fest, die für ein über-     Einrichtungen keine muslimischen Feste.”      terschiede zum Christentum festzustellen?
                                  geordnetes pädagogisches Konzept der            Für ihn ist wichtig, dass die Kinder den      Am Schluss des Tages besuchten die Erzie-
                                  zehn evangelischen Kitas zuständig ist.         christlichen Glauben kennenlernen: mit        herinnen schließlich noch eine Marburger
                                  Denn wo sind die Grenzen der Offenheit          biblischen Geschichten, Gebeten, Segen        Moschee, wo sie sich über Ramadan, Zu-
                                  für eine konfessionelle Einrichtung, wenn –     und Liedern – und natürlich auch die Kir-     cker- und Operfest informierten.
                                  wie etwa in der Kita am Marburger Richts-       chenjahreszeiten. „Diese religionspädago-         „Je mehr wir voneinander wissen, um
                                  berg – 80 Prozent der Kinder aus muslimi-       gische Arbeit geschieht in allen unseren      so entspannter können wir miteinander
                                  schen Familien kommen? Wie genau sollen         Einrichtungen in enger Zusammenarbeit         umgehen”, sagt Pfarrer Hartmann, der sich
                                  die Erziehenden auf die vielfältigen religi-    mit den Pfarrerinnen und Pfarrern.”           mehr Spielräume zu einladenden Begeg-
                                  ösen, sozialen und kulturellen Hintergrün-          Birte Schlesselmann freut sich, dass      nungen dieser Art zwischen Christen und
                                  de eingehen, ohne das christliche Profil zu     viele muslimische Eltern ihre Kleinen be-     Muslimen in Marburg erhofft. l
                                  vernachlässigen? Wo ist Entgegenkommen          wusst in kirchliche Kindergärten schicken.                             Lothar Simmank

                                  14     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
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