Christen und Muslime FÜR MITARBEITENDE - EKKW
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5–2018 FÜR MITARBEITENDE Christen und Muslime Foto: medio.tv/Dellit WISSEN Barmherzigkeit im Zen- trum von Bibel und Koran DIALOG Islam nicht als Bedrohung wahrnehmen
INHALT | EDITORIAL Inhalt Liebe Leserinnen, liebe Leser, THEMA S chließen Sie mal kurz die Augen, Foto: medio.tv/Schauderna 4 Interview mit Prof. Khorchide: und denken Sie nach, was Ihnen „Die jungen Menschen geben mir Kraft” zum Stichwort Islam als Erstes 6 „Scriptural Reasoning”: einfällt. Seit Jahren ist diese Religion Christlich-islamischer Dialog ganz praktisch in der öffentlichen, hochemotionalen – und manchmal vergifteten – Debat- 7 Interview mit Pfr. Herrmann: te Dauerthema. Gehört der Islam zu Islam nicht als Bedrohung wahrnehmen Deutschland, ist schon eine Klassiker- 8 Interreligiöse Jugendarbeit: frage, die immer wieder durch die poli- Wenn eine Kerze für Verwirrung sorgt tische Landschaft geistert und letztlich nicht weiterhilft. Mit diesem Heft haben wir nicht den Anspruch, 9 Interreligiöse Männerarbeit: das Thema erschöpfend zu behandeln – das wäre unmöglich. Freundschaftliche Gespräche Aber wir wollen hinhören und hinsehen: Was ist das eigentlich 10 Borken: Die Trauer schweißt für eine Religion, die uns im Alltag häufig begegnet und über die bis heute zusammen wir doch nur wenig wissen? Wir wollen auch nach Brückenbau- ern zwischen den beiden Religionen schauen, wohl wissend, dass 11 Abrahams Zelt auf dem Festival der Kulturen nicht immer eitel Sonnenschein herrscht. in Hanau Ich finde, man kann auch hier von den Kindern lernen. Meine 12 Singen im Interreligiösen Chor Tochter hat muslimische Freundinnen, und so wird die Religion 13 Pianist Aeham Ahmad: ganz beiläufig zum Thema im Familienalltag: Wie ist das mit Die Musik rettete seine Seele dem Fasten und den ganzen Regeln? Wieso darf meine Freundin nicht einfach Gummibärchen mit Gelatine essen? Und können 14 Evangelische Kitas in Marburg legen wir nicht auch das Zuckerfest feiern? (Was für sie eine reizvolle Wert auf Profil Vorstellung wäre.) Die Kinder finden Unterschiede und entdecken 15 Muslimische Bestattungen Gemeinsamkeiten. Meine Tochter kommt ins Gespräch über den Islam und das Christentum, über die Koranregeln und die zehn 16 Warum Arabisch so schwer ist Gebote, findet manches gut und manches auch nicht. Neugierig 18 Mit Theater gegen Fundamentalismus und interessiert, prüfend und abwägend, aber auch verständnis- voll und tolerant. Weil die Freundin die Freundin ist – und keine 28 House of One in Berlin Religionsvertreterin. Dass sie dazugehört, ist da nun wirklich kei- ne Frage. Olaf Dellit LANDESKIRCHE Redakteur blick in die kirche 19 Löwenburg-Kapelle gereinigt 20 Unterstützung bei einem sehr schweren Weg 21 Landwirtschaft zwischen Himmel und Erde 22 Alte Gräber unter Karlskirche entdeckt Zum Titelbild: Beim 23 Zehn gute Gründe Festival der Kulturen in Hanau begegneten sich Meryem Yilmaz (links) SERVICE und Rebekka Kießling. In „Abrahams Zelt” (im Hintergrund) tauschten sie 24 Termine / Kirchenmusik sich über religiöse Fragen 26 Kirche im Radio und Antworten aus (siehe auch Bericht auf Seite 11). 27 Neue Bücher Das Zelt (Bild rechts) ent- stand übrigens in einem Schulprojekt des Kasseler Pfarrers Stefan Nadolny. 2 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
UMFRAGE | IMPRESSUM Was ich am anderen schätze ... Foto: privat Foto: privat Foto: privat Foto: privat Wann immer ich in eine Mo- Das Christentum ist eine Im Zuge der interreligiösen Als Muslim freue ich mich schee komme, werde ich der drei monotheistischen Juleica 2017 durften wir in darüber, wenn am Sonntag- freundlich empfangen. Oft Schwesterreligionen. Gott of- den zwei Kasseler Moscheege- morgen die Kirchenglocken kümmern sich gleich mehre- fenbarte sich hier durch das meinden sogar während des läuten, denn sie erinnern alle re Personen aufmerksam um Sprechen und Handeln in Mittagsgebets im Gebetsraum Gläubigen an Gott und rufen die Gäste: Sie zeigen gerne ih- Jesus Christus. Christlichen bleiben. Beobachten konnte sie zum gemeinschaftlichen re Moschee und beantworten Glaubensgeschwistern zu be- ich eine starke Gebetsgemein- Gottesdienst. Ich freue mich geduldig Fragen zu Gebäude gegnen ist für mich wie eine schaft von Jung und Alt, den darüber, wenn christliche und Glauben. Ganz selbstver- ständige Erinnerung an das, Ernst und die Ehrfurcht, mit Männer als Zeichen der De- ständlich gehört auch das woran wir glauben, nämlich der gebetet wurde, und eine mut beim Betreten der Kirche gemeinsame Essen und Trin- dass Gott Liebe und Barmher- lebendige Bereitschaft zum ihre Kopfbedeckung abneh- ken mit dazu. Der Gastgeber zigkeit ist. Wenn wir den An- Gebet. Das hat mich tief be- men, obwohl in einer Mo- nimmt sich Zeit für den Gast. spruch an uns stellen, diese eindruckt in einer sich mehr schee genau das Gegenteil Der Besuch ist für ihn nicht Liebe und Barmherzigkeit in und mehr säkularisierenden als gute Sitte gilt: Hier ist ge- nur Glaubenspflicht, sondern der Welt Wirklichkeit werden Gesellschaft. Diese Beobach- rade das Tragen einer Kopfbe- eine Ehre. Ihre Wurzeln hat zu lassen, um letztendlich von tung hat mich aber auch als deckung Ausdruck von Demut diese Gastfreundschaft in ei- dieser göttlichen Liebe kos- Theologiestudentin motiviert, und Respekt gegenüber Gott. ner mit dem Christentum und ten zu können, müssen unser die Freude und Selbstver- Zwei rein äußerlich völlig ge- Judentum gemeinsamen Iden- alltägliches Leben und die ständlichkeit am gemeinsa- gensätzliche Handlungen kön- tifikationsfigur: Abraham. Er zwischenmenschlichen Bezie- men Gebet/Gottesdienst in nen trotzdem dieselbe innere gewährt drei Reisenden Gast- hungen, unser Sprechen und Gemeinden zu erhalten, zu Bedeutung haben – daher freundschaft, die für ihn zu Tun aus genau dieser Liebe stärken und vielleicht neu zu kann ich diese Dinge am an- einer Gottesbegegnung wird. herrühren. entfachen. deren schätzen. Dr. Rüdiger Jungbluth (42), Dr. Tuba Isik (36), wissen- Dorothea Rübeling (26), Daniel Alexander (Ibrahim) Pfarrer am Evangelischen schaftliche Mitarbeiterin für Theologiestudentin der Evange- Erhorn (41), Markthändler aus Forum Kassel Islamische Religionspädagogik lischen Kirche von Kurhessen- Seevetal, nach Theologiestudi- an der Universität Paderborn Waldeck, Leipzig um zum Islam konvertiert IMPRESSUM blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und Redaktion: Anschrift: wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen Lothar Simmank (Leitung) Heinrich-Wimmer-Straße 4 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt. Telefon 0561 9307-127 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe Olaf Dellit redaktion@blickindiekirche.de Direkt-Abonnement: Telefon 0561 9307-132 www.blickindiekirche.de 12,50 Euro pro Jahr inklusive Zustellkosten Redaktionsbüro / Anzeigen: Gestaltung: Lothar Simmank Herausgeber: Andrea Langensiepen Layout-Konzept: Liebchen+Liebchen, Frankfurt am Main Landeskirchenamt der Evangelischen Telefon 0561 9307-152 Herstellung: Hesse GmbH, Fuldabrück Kirche von Kurhessen-Waldeck Daniela Denzin Auflage: 18.500 Exemplare Pfarrerin Petra Schwermann Telefon 0561 9307-128 Wilhelmshöher Allee 330 Fax 0561 9307-155 Mehr Informationen über die Evangelische Kirche 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018 3
THEMA „Die jungen Menschen geben mir Kraft“ Der islamische Religionspädagoge Prof. Mouhanad Khorchide (Uni Münster) spricht im blick-Interview über seine Koranauslegung und die Kritik, die er dafür erntet ? Fangen wir ganz grundsätzlich an: Was ist der Islam? Prof. Mouhanad Khorchide: Der Islam ? Das Fasten im Ramadan? Khorchide: Der Ramadan richtet sich nach dem Mondkalender, es ist der der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit. Die Barmherzigkeit steht sehr im Zentrum des Koran wie auch der Bibel. In den For- ist eine Religion, die den Menschen zu ei- neunte arabische Monat – deshalb wan- men und Ausführungen unterscheiden wir nem liebenden, barmherzigen Gott einlädt. dert er durch das Jahr. Dieses Jahr war er uns, aber das soll ja auch als Vielfalt der Das hört sich plakativ an, aber eigentlich im Mai/Juni, 2019 wird er Anfang Mai be- religiösen Praxis so stehen bleiben. ist es ein Lebenskonzept: Jeder Mensch hat ginnen. Wir kommen – zum Glück für uns den Auftrag, diese Liebe und Barmherzig- keit Gottes durch das entsprechende Han- deln in seinem Leben zu verwirklichen. Muslime – langsam in Richtung Winter. Man fastet von kurz vor Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Der Sinn des ? Sie vertreten eine historisch-kriti- sche Auslegung des Koran. Warum ist es so wichtig, den Text so zu lesen? Fastens ist, dass man sich der Spiritualität Khorchide: Weil der Koran eine sehr ? Der Islam gründet sich auf fünf so genannten Säulen. Sind diese fünf Säulen alle gleich wichtig? zuwendet, mehr zu sich findet und asketi- scher lebt. Das geschieht heutzutage oft nicht mehr so, weil die Leute am Abend starke normative Rolle spielt. Wir Muslime gehen davon aus, dass er Gottes Offenba- rung ist. Wenn ich das als ewiges, ahisto- Khorchide: Die erste Säule, das Glau- viel feiern und alles nachholen. risches Wort Gottes nehme, dann müsste bensbekenntnis, ist die wichtigste. Es lau- ich heute bemüht sein, alles, was im Ko- tet: Ich glaube, dass es keine Gottheit gibt außer dem einen Gott, und ich glaube, dass Mohammed sein Prophet ist. Ohne ? Die soziale Abgabe – das klingt fast wie eine Steuer. Khorchide: Genau, das ist sehr ähn- ran steht, auch Körperstrafen, 1:1 und wortwörtlich umzusetzen. Es ist aber ein Buch, dass zunächst an die Adressaten im den ersten Satz dieses Bekenntnisses zer- lich. Es heißt, man sollte jährlich zwei- 7. Jahrhundert gerichtet war und deren lin- fällt das ganze Gebäude. Die restlichen einhalb Prozent des Vermögens, das man guistische und kulturelle Sprache spricht. vier Säulen stehen auf einer Ebene. nicht gerade braucht, für karitative Zwecke Die damaligen politischen und sozia- abgeben. len Rahmenbedingungen waren konstitu- ? Können Sie die übrigen vier Säulen kurz erläutern? Das rituelle Gebet: Khorchide: Muslime sollten fünfmal ? Und die Pilgerfahrt nach Mekka. Khorchide: Einmal im Leben sollte tiv für die koranische Rede. Ich kann den Koran nur verstehen, wenn ich den Kon- text verstehe, in dem er verkündet wurde. am Tag beten: kurz vor Sonnenaufgang, ein Muslim, eine Muslimin, eine Pilgerfahrt zum Mittag, Nachmittag, am Abend kurz vor Sonnenuntergang und in der Nacht. Vor dem Gebet wäscht man sich, man nach Mekka verrichten. Sie hat einen fixen Zeitpunkt im zwölften arabischen Monat. Die Pflicht gilt nur unter zwei Vorausset- ? Sie weisen auf Widersprüche im Ko- ran hin. Können Sie mir ein Beispiel nennen? liest bestimmte Suren aus dem Koran und zungen: Man muss gesundheitlich dazu Khorchide: Ja, etwa das Verhältnis zu macht bestimmte Bewegungen, alles Rich- in der Lage sein, und man muss das Geld Christen und Juden. Man findet Stellen im tung Mekka. Das rituelle Gebet ist nicht haben. In der Praxis hat diese fünfte Säule Koran, die ihnen die ewige Glückseligkeit mit dem Bittgebet zu verwechseln, dem die geringste Bedeutung, weil sich nicht versprechen. Da sagt der Koran: Der Him- freien Reden mit Gott – das geht jederzeit. alle Muslime die Reise leisten können. mel gehört nicht nur den Muslimen. Und dann gibt es Stellen, wo Christen kritisiert ? ZUR PERSON Viele Elemente gibt es in ähnlicher und als Ungläubige bezeichnet werden. Mouhanad Khorchide (46) wurde in Form auch im Christentum. Wie sind Das sind Widersprüche. Wenn man histo- Beirut (Libanon) geboren und wuchs in da die Zusammenhänge?. risch-kritisch schaut, stellt man fest, dass Saudi-Arabien auf. Als Achtzehnjähriger Khorchide: Die erste Sure im Koran, der Koran nicht pauschal „die Christen“ kri- zog er nach Wien und studierte Islamische die wir immer im Gebet rezitieren, ist bei- tisiert, sondern es damit zusammenhängt, Theologie und Soziologie. Khorchide ist spielsweise dem Vaterunser sehr ähnlich. mit welcher Auslegung des Christentums seit 2010 Professor für Islamische Religi- Die Unterschiede liegen eigentlich nur in es der Koran historisch und in der jeweili- onspädagogik an der Universität Münster, den Formen, nicht in den Inhalten. Nach gen Situation gerade zu tun hatte. wo er das Zentrum für Islamische Theolo- unserem muslimischen Verständnis beten ? gie leitet. Khorchide gilt als Vertreter des wir zu demselben Gott und haben dassel- Sie erhalten von anderen Muslimen liberalen Islam und muss mit massiver be Anliegen: Wir wollen in Gottes Gemein- Gegenwind und sogar Drohungen. Kritik und Morddrohungen leben. schaft kommen und sehen uns als Hände Wie erklären Sie sich den Widerstand? 4 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
THEMA Buchtipps... Melanie Wolfers, Andreas Knapp: Religion als Sprengstoff? Was man heute über Islam und Christentum wissen muss. bene! Verlag 2018 14,99 Euro Die Autoren stellen fest: Die notwendige gesellschaftliche Debatte über die religi- ösen Hintergründe des Fundmentalismus krankt oftmals an ihrer Oberflächlich- keit. Wer differenziert mitreden möchte, braucht solides Wissen über die unter- schiedlichen Glaubenswelten. Denn je nachdem wie man sich Gott vorstellt, än- dert sich auch die Sicht auf den Menschen. Dies wirkt sich aus, zum Beispiel auf die Foto: epd-bild Rolle der Frau, auf das Verhältnis von Reli- gion und Staat oder auf die Ausübung von Gewalt im Namen Gottes. Indem das Buch Muss mit viel Kritik leben: Der Religionspädagoge Prof. Mouhanad Khorchide vertritt eine Unterschiede und Gemeinsamkeiten von historisch-kritische Auslegung des Koran Islam und Christentum darstellt, liefert es Basiswissen für den interreligiösen Dialog. Khorchide: Es ist eine eher neue He- tern haben mich religiös erzogen, ich war rangehensweise, den Koran im histori- in der Moscheegemeinde, aber ich habe ... und Verlosung schen Kontext zu lesen. Die historisch-kri- noch nie wirklich von einem lieben Gott tische Methode ist im Christentum gerade gehört, sondern hatte immer Angst vor Willi Weitzel, Mouhanad mal 100, 120 Jahre alt und hatte es an- Gott.” Viele junge Muslime bedanken sich Khorchide: Der Islam – fangs mit genauso viel Widerstand zu tun. bei mir, weil sie sich verloren vorkamen. Fragen und Antworten für Diesen Prozess machen wir Muslime jetzt Das gibt mir viel Kraft. Ich habe mir immer alle, die's wissen wollen durch. Das Selbstverständnis vieler Musli- gesagt: Wenn ich nur einer Person gehol- edition chrismon 2018 14 Euro me, auch muslimischer Theologen, ist, dass fen habe, hat es sich schon gelohnt. Ich Gott in der Ewigkeit kontextunabhängig fühle mich privilegiert, dass meine Arbeit Das Konzept dieses Buchs ist einfach: Da gesprochen hat und sein Wort deswegen so viel Spaß macht, dass ich innerlich er- treffen sich zwei, ein Muslim und ein Ka- nicht auf einen bestimmten Kontext redu- füllt und glücklich bin. tholik, und sprechen über Persönliches, ziert werden darf. Meine Methode ist für vor allem aber über den Islam. Und bei sie eine Verfälschung von Gottes Wort. Zum Beispiel: Bei Körperstrafen im Ko- ran geht es nur um das Prinzip Gerechtig- ? Was ist der Islam für Sie persönlich? Khorchide: Ich verstehe mich als Werkzeug der Liebe. Wo ich helfen und diesem lockeren Gespräch ist man als Le- ser dabei. Willi Weitzel, bekannt aus der Kinder-Erklärsendung „Willi will's wissen“, keit. Körperstrafen waren die juristischen unterstützen kann, wo ich Hände der Lie- hat viele Fragen, von scheinbar einfachen Mittel, die man im 7. Jahrhundert ange- be ausstrecken kann, da tue ich es. Wenn bis zu schwierigen. Und Khorchide ant- wendet hat, die gehen mich heute nichts ich auf der Straße jemanden sehe, der be- wortet ebenso verständlich. Er spricht an; aber das ethische Prinzip geht mich dürftig ist, werde ich in irgendeiner Weise über seinen Glauben, Auslegungen des schon an. helfen. Da habe ich meinen Islam gelebt, Koran, aber auch über Anfeindungen von jenseits von allen Theorien und allem, was Fundamentalisten. Am Ende hat man viel ? Wenn Sie erlauben, noch zwei per- sönliche Fragen: Was gibt Ihnen die Energie, trotz Drohungen und Kritik wir in Büchern schreiben. Dieser Moment, wo ich die Religion lebe, da fühle ich mich als Muslim. Das ist Islam. l gelernt und das Gefühl, zwei Freunden beim Gespräch gelauscht zu haben. Wir verlosen fünf Exemplare: Schreiben Sie bis weiterzumachen? Fragen: Olaf Dellit 31. August 2018 eine Karte an: Khorchide: Vor allem die jungen Men- Redaktion blick in die kirche Mit schen, die mir tagtäglich schreiben: „Ich Scharia, das Paradies und die Entwick- Heinrich-Wimmer-Straße 4 machen! habe von Ihrem Ansatz vom lieben, barm- lung des Islam: Das ganze Interview le- 34131 Kassel herzigen Gott im Islam gehört. Meine El- sen Sie auf www.blick-in-die-kirche.de oder Mail: verlosung@blickindiekirche.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018 5
THEMA Christlich-islamischer Dialog ganz praktisch Mit der Methode des „Scriptural Reasoning” können Gemeinden ins interreligiöse Gespräch einsteigen TIPP für die Gemeinde- Gemeinsam Texte aus der Bibel praxis und dem Koran entdecken notwendig sind, wie zum Beispiel „Halte dich an den Text, und vermeide Genera- lisierungen” oder „Fühle dich eingeladen, die Texte einer anderen Religion zu entde- cken“. Und: „Lade andere ein, deine Tex- te zu entdecken.” Inzwischen wurde auch eine Gesellschaft für Scriptural Reasoning gegründet. Auf deren Homepage www. scripturalreasoning.org gibt es viele Infor- mationen und Erfahrungen zu dieser Me- thode des interreligiösen Dialogs. „Lade andere ein, deine Texte Beim „Scriptural Reasoning” liegt der Koran neben einer aufgeschlagenen Bibel: zu entdecken” Foto: epd-bild Eine interreligiöse Gruppe trifft sich, um miteinander ausgewählte Passagen zu lesen In Frankfurt am Main hat sich in der I n vielen Kirchengemeinden gibt es Bi- spannendes Unternehmen, wenn über Re- ersten Hälfte dieses Jahres zum ersten Mal belgesprächsgruppen. So unterschied- ligionsgrenzen hinweg Texte der eigenen eine christlich-muslimische Gruppe an vier lich die Formate auch sein mögen, das wie der fremden Tradition gemeinsam ge- Abenden getroffen, um die Methode des Ziel bleibt gleich, nämlich mit anderen in lesen und besprochen würden? Diese Idee Scriptural Reasoning auszuprobieren. Der einen Austausch über biblische Texte zu wurde in den 1990er-Jahren an einer Uni- Austausch fand an unterschiedlichen Or- kommen. Es ist spannend, von anderen versität in den USA zum ersten Mal in die ten statt. So waren alle Beteiligten Gast- Christen und Christinnen zu hören, wie sie Tat umgesetzt und hat seither unter der geber und Gäste. Mit einem kleinen Imbiss bestimmte Geschichten verstehen. Und es Bezeichnung „Scriptural Reasoning“ welt- wurden die Abende abgeschlossen. Die gu- ist eine Herausforderung, eigene Erfahrun- weit Nachahmung gefunden. ten Erfahrungen haben dazu geführt, dass gen mit biblischen Versen zu verknüpfen, nicht nur eine zweite Staffel in Frankfurt diese Gedanken zu teilen und von anderen Wie funktioniert das geplant ist, sondern auch dass Teilnehmer Rückmeldung zu bekommen. Scriptural Reasoning? weitere Gruppen von Scriptural Reasoning Bibelgesprächskreise gehören zu den an anderen Orten organisieren möchten. klassischen Bereichen evangelischer Ge- Scriptural Reasoning kann mit „schrift- Die Islamdebatte in Deutschland ist meindearbeit. Doch auch andere Religi- geleitete Reflexion” übersetzt werden. Zwei bestimmt von Schlagworten und oft wie- onen kennen die Rezitation und das Stu- oder mehrere Religionen können teilneh- derkehrenden Themen. Die Kirchen soll- dieren von heiligen Texten. Die Bibel ist men. Besonders erprobt sind Gruppen mit ten sich in ihrem Engagement für den im Christentum ein kostbarer Schatz und jüdischer, christlicher und muslimischer Be- christlich-islamischen Dialog nicht nur ein wesentlicher Teil von Liturgie und Got- teiligung. Eine Gruppe trifft sich, um mit- von einer scheinbaren Aktualität leiten tesdienst, im Islam ist es der Koran. Hei- einander ausgewählte Passagen aus den lassen, sondern auch ganz eigene Impulse lige Texte in der eigenen wie in anderen Schriften der beteiligten Religionen, die setzen. Das sogenannte Scriptural Reaso- Religionen berühren über Raum und Zeit oft einen inhaltlichen Bezug aufweisen, ning könnte ein solch spezifischer Beitrag hinweg die Herzen und den Verstand ihrer zu lesen und zu besprechen. Es wurden der Kirchen sein. l Leserinnen und Leser. Wäre es nicht ein Leitsätze formuliert, die für ein Gelingen Dr. Andreas Herrmann 6 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
THEMA Islam nicht als Bedrohung wahrnehmen Der landeskirchliche Islambeauftragte Pfarrer Dr. Andreas Herrmann plädiert im blick-Interview für ein differenziertes Bild von der vielschichtigen Welt der Muslime ? Wie sind Sie persönlich zum Thema „Islam“ gekommen? Dr. Andreas Herrmann: Ich habe mich Nachrichten aus der islamischen Welt, wie zum Beispiel über den so genannten Isla- mischen Staat (IS), tragen das Ihre dazu ? Wie würden Sie das Ziel Ihrer Arbeit als Islambeauftragter der hessi- schen Landeskirchen beschreiben? schon während meines Theologiestudiums bei. Mit ein bisschen Differenzierungsver- Herrmann: Für meine Arbeit sind in Heidelberg mit nichtchristlichen Religio- mögen müsste aber deutlich werden, dass drei Felder wesentlich. Einen großen Teil nen beschäftigt. Damals haben – auch be- solche und andere Konflikte sich nicht ein- macht die Fortbildungsarbeit nach innen dingt durch das Angebot an der Fakultät dimensional auf „den Islam“ zurückführen aus. Also das Planen und Durchführen – afrikanische und asiatische Religionen lassen. Insofern kann ich es nicht nachvoll- von Seminaren, Vorträgen, Veranstaltun- mein Interesse geweckt. Die Fokussierung ziehen, dass die Weltreligion Islam in ihrer gen, bei denen sich kirchliche Mitarbeiter auf den Islam begann während meines Gesamtheit als Bedrohung wahrgenom- und Mitarbeiterinnen, von Pfarrern bis zu Aufenthaltes am Kulp Bible College in Ni- men wird. Eine Herausforderung für ein Erzieherinnen, von Kirchenvorständen bis geria, wo ich drei Jahre unterrichtet habe. selbstbewusstes Leben und Artikulieren zu Küstern, mit dem Thema Islam ausein- An dieser theologischen Ausbildungsstätte der eigenen christlichen Überzeugungen andersetzen. Einen zweiten Bereich stellt wurde das Verhältnis Christentum – Islam ist der Islam allemal. die Kontaktpflege zu muslimischen Ver- auf unterschiedlichsten Ebenen diskutiert. bänden und Einzelpersonen dar. Hierzu Seither hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. ? Was bewundern Sie am Islam? Herrmann: Mich beeindruckt, mit welcher Konsequenz fromme Muslime ih- gehören auch repräsentative Aufgaben. Nicht zuletzt sehe ich es als meine Aufga- be an, diejenigen in den beiden hessischen ? Welches islamische Land, das Sie bereist haben, hat Sie am nachhal- tigsten beeindruckt? ren Alltag durch das fünfmalige Gebet un- terbrechen. Landeskirchen zu vernetzen, die in ihren beruflichen Zusammenhängen mit dem Is- lam zu tun haben. Zu diesem Zweck lade Herrmann: Ich konnte im Februar die- ses Jahres eine Studienreise in den Oman machen. Mich hat beeindruckt, wie in die- ? Und was stößt Sie ab? Herrmann: Nicht abstoßend, aber irritierend bis unverständlich finde ich ich vier Mal im Jahr Interessierte zu einer Konferenz für Islamfragen ein. l Fragen: Lothar Simmank ser Wüstenregion ein Jahrhunderte altes die starke Orientierung an einer schein- Wasserversorgungs- und Verteilungssys- bar idealen Zeit der Vergangenheit. Das tem bis heute funktioniert. Darin steckt Wirken des Propheten Muhammad und ZUR PERSON viel Weisheit. seiner ersten Gefährten hat eine so gro- Pfarrer Dr. Andreas Der Aufenthalt hat bei mir aber noch ße Bedeutung für viele Muslime, dass die Herrmann (56) ist auf einer anderen Ebene starke Eindrü- Gegenwart und die Zukunft darüber oft Referent für inter- cke hinterlassen: Das Sultanat Oman ist zweitrangig erscheinen. religiösen Dialog mit nach unserer Einschätzung eigentlich eine Schwerpunkt Islam. Diktatur. Und obwohl der aktuelle Sultan ? Sehen Sie Fortschritte im christlich- Er lebt in Kassel, sein Foto: privat Qaboos seit über 40 Jahren den Oman re- islamischen Dialog der letzten Dienstsitz ist das giert, ist die Entwicklung eine Erfolgsstory. Jahre? Zentrum Oekumene Der beliebte Sultan hat es in seiner bishe- Herrmann: Diese Frage ist nicht ein- der Evangelischen rigen Regierungszeit geschafft, sein Land fach zu beantworten. Wir haben sicher in Kirche in Hessen und Nassau und der Evangelischen Kirche von Kurhessen- aus dem Mittelalter ins 21. Jahrhundert zu manchen Bereichen Fortschritte gemacht. Waldeck in Frankfurt am Main. Von 1995 führen. Ich finde, das ist eine gute Nach- Ich möchte nur die Zusammenarbeit mit bis 2000 war Herrmann Gemeindepfarrer richt aus der arabischen Welt. dem Zentrum für Islamische Studien an im Kirchenkreis Gelnhausen und nach der Universität Frankfurt erwähnen. Die seiner Mitarbeit bei der Basler Mission von ? Können Sie nachvollziehen, dass manche Christen den Islam als Bedrohung empfinden? gemeinsame Planung und Durchführung von Tagungen und Veranstaltungen mit muslimischen Kooperationspartnern ist 2003 bis 2011 in Hofgeismar. Seine Promotion „Der Islam als nachchristliche Religion” erscheint demnächst als Buch im Herrmann: Unsere negativen Bilder eine gute Entwicklung. Gleichzeitig müs- Verlag Mohr Siebeck. vom Islam sind tief in unser kollektives sen wir auch Rückschritte verzeichnen, wie Kontakt: T 069 976518-69 Gedächtnis eingegraben. Die aktuellen etwa im Verhältnis zur DITIB. herrmann@zentrum-oekumene.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018 7
Foto: medio.tv/Dellit THEMA Wenn eine Kerze für Verwirrung sorgt Einmaliges Projekt in Kassel: Ausbildung für christlich-muslimische Jugendleiter-Card S o manch einer – und das auf beiden besonders wichtig, Seiten – hat schon die Stirn gerun- Ehrenamtlichen die zelt, als er von dem Projekt hörte: standardisierte Aus- eine christlich-muslimische Ausbildung bildung für Jugend- für die Jugendleiter-Card (Juleica)? Und leiter zukommen zu dann auch noch mit einer Gemeinde des lassen. So sei etwa umstrittenen Moscheeverbands DITIB? die Spielpädagogik Doch die Bedenken hätten sich zerstreut, für sie Neuland ge- sagt Dino Nolte vom Referat Kinder- und wesen, erläutert Ery- Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von ilmaz. Manche der Kurhessen-Waldeck. Christen und Chris- An DITIB werde zu Recht Kritik geübt, tinnen hingegen doch unter dem Dach des Verbands gebe hatten die Karte be- es eine große Bandbreite. Und die DITIB- reits und waren vor Jugend in Kassel habe sich als offener allem an der interre- und zuverlässiger Partner erwiesen. „DITIB ligiösen Begegnung Vor der Mattenberg-Moschee in Kassel: Dietrich „Dino“ Nolte von der Kassel ist sehr offen und wissensdurstig“, interessiert. Und die evangelischen Kirche (links) und Mahmut Eryilmaz von der türkisch-islami- pflichtet ihm Mahmut Eryilmaz bei, Dia- war vom ersten Se- schen Gemeinde logbeauftragter der islamischen Gemeinde minartag an inten- Kassel-Mattenberg. siv, erzählen Nolte und Eryilmaz, die die So sei ein stets traditionell gekleideter Teil- Bevor in Kassel im vergangenen Jahr Ausbildung gemeinsam mit Ferdi Kesgin nehmer ebenso dabei gewesen, wie zwei die Ausbildung begann, habe es in Bremen (DITIB-Jugend) und Andrea Wielsch (Evan- junge Frauen pakistanischer Herkunft. Bei bereits einen ähnlichen Versuch gegeben, gelische Jugend) initiierten. denen sei er selbst anfangs skeptisch ge- berichtet Nolte, allerdings mit wenig Re- wesen, ob sie offen genug wären, räumt sonanz. In Kassel hingegen waren jeweils Ungewohnte Gespräche Eryilmaz eigene Vorurteile ein. sechs christliche und sechs muslimische Ju- Irritationen gab es an unerwarteter gendliche dabei, dazu einer ohne Bekennt- Bereits beim ersten Treffen habe es Stelle, nämlich bei einer christlichen An- nis. Für die muslimische Gemeinde war es tiefgehende Gespräche zu existenziellen dacht mit einer einzelnen Kerze. Das sei Fragen wie Tod und Sterben gegeben. Es den muslimischen Jugendlichen komisch sei schnell ein vertrauensvoller Rahmen vorgekommen, geradezu okkultistisch, sagt entstanden, um über den eigenen Glau- Eryilmaz, denn Moscheen seien meist licht ben zu sprechen. Für Muslime sei das sehr und hell – sie benötigten keinen Kerzen- ungewohnt, sagt Eryilmaz, weil man in der schein. Und auch der Umgang mit Körper- Gemeinde eher nicht über seine eigenen lichkeit ist unterschiedlich. So seien die Glaubensvorstellungen spreche, sondern muslimischen Jungs zunächst zurückgewi- allenfalls mit guten Freunden. sen, als christliche Mädchen sie bei einer Beeindruckend seien auch Besuche in Spielpädagogik-Einheit berühren sollten. den Gotteshäusern gewesen, sagen Nolte Nolte würde gerne interreligiöse Be- und Eryilmaz, etwa als ihnen Muslime in gegnungen von Jugendlichen auch an- der Moschee in Bettenhausen erklärten dernorts in der Landeskirche initiieren, und demonstrierten, wie sie beten. „Da nicht zwangsläufig als Juleica-Kurs. Doch wächst eine Geschwisterlichkeit über Glau- das Interesse sei eher gering. Dabei habe Foto: Nolte bensgrenzen hinweg“, ist sich Nolte sicher. das Kasseler Beispiel gezeigt, dass es sich Deutlich wird im Gespräch mit Mah- lohnt, denn er ist überzeugt: „Der eigene Gut gelaunt: Die christlich-muslimische mut Eryilmaz auch, wie unterschiedlich die Glauben schärft sich am Fremden.“ l Juleica-Gruppe vor der Friedenskirche in Akzente innerhalb der Muslime selbst sind. Olaf Dellit Kassel 8 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
THEMA Interkulturelle Männerarbeit Etwas abseits von Kirche und Moschee ist Siegfried Asselmeyer aus Witzenhausen freundschaftlich im Gespräch mit Männern aus dem arabischen Raum W enn das Gutgemeinte fruchtbar beschreibt es Asselmeyer, sein soll, braucht es einen Mo- höre man sich gegenseitig tor.” Für Siegfried Asselmeyer, zu, obwohl alle entweder Jahrgang 1961 und seit Jahren aktiv in gläubige Christen oder Mus- der interkulturellen Männerarbeit, ist das lime sind – aber ein neutra- ein Kernsatz. Der Mann, der in Witzenhau- ler Umgang sei eine gute sen seit dem Frühjahr 2017 dazu beiträgt, Gesprächsvoraussetzung. dass ein Austausch zwischen Einheimi- Vor allem sei es wichtig, die schen und geflüchteten arabischen Män- Lebensgeschichten und -er- nern stattfindet, begreift sich durchaus fahrungen der arabischen selbst als eine Art Motor. Männer anzuhören; dann Schon lange, bevor die Witzenhäuser spräche man auch über die Gruppe von heute etwa 20 Personen aus Demokratie und die Rolle Syrien, Afghanistan sowie dem Irak und der Frau in der deutschen fünf deutschen Männern entstand, ver- Gesellschaft. Oft stehe die brachte er ehrenamtlich viel Zeit in Ge- jeweilige Tagessituation der meinschaftsunterkünften. Er knüpfte Kon- Geflüchteten im Zentrum, takte, hörte zu, betreute, sprach vor allem die Familie und der Fami- Väter an und blieb auch im Austausch, liennachzug, die Arbeitssu- wenn die Männer schließlich in eigene che und die deutsche Spra- Wohnungen ziehen konnten. che als „Eintrittskarte” für ein Leben in Deutschland. Letztlich gehe es um „Hilfe »Wenn das zur Selbsthilfe”, und zwar Gutgemeinte stets „so niedrigschwellig fruchtbar sein soll, wie möglich”, nicht nur we- Foto: privat braucht es einen Motor.« gen der Sprachbarrieren. Im Frühjahr war folgende Fra- ge zentral: „Wie gehe ich Siegfried Asselmeyer (r.) mit einem Geflüchteten Damit beginne für viele eine harte als Moslem mit dem Thema Zeit, sagt Asselmeyer, jeder müsse nun Ramadan in Deutschland sucht werden einerseits Ehrenamtliche allein mit den deutschen Gegebenheiten um?” – „viele Asselmeyers”, so Stefan Sigel- klarkommen, die Gemeinschaft sei vorerst Asselmeyer, vor seinem Engagement Schönig, die sich mit Männern anderer beendet. Wie bekommt man Verbindung kein Islamkenner, lernt wie seine Mitstrei- Kulturen austauschen wollen. Im Projekt- mit Einheimischen? „Das lässt sich nicht ter in der Gruppe viel von den anderen. verlauf werden sie geschult und begleitet. erzwingen”, betont der weißblonde Mann, Dass dieser Gesprächskreis eher ein we- Zudem können Haupt- und Ehrenamtliche der aufgrund einer schweren Erkrankung nig fern der Kirchengemeinde stattfinde, aus der Geflüchtetenhilfe mitwirken. Ver- nicht arbeitet und seine Zeit in den Dienst ist laut Stefan Sigel-Schönig, im Landeskir- schiedene Gruppen in Stadt und Landkreis des interkulturellen Austauschs gestellt chenamt unter anderem für interkulturelle Kassel sowie im Werra-Meißner-Kreis lau- hat. Er selbst versucht, auch unter der Wo- Männerarbeit zuständig, nicht ungewöhn- fen bereits. Das jüngste Vorhaben startet che freundschaftlichen Kontakt mit den lich. Männer werden gern selbst aktiv und im Sommer in Wolfhagen mit zehn Treffen. Gruppenmitgliedern zu halten. organisieren sich, sagt er. l Anne-Kathrin Stöber Alle zwei Wochen treffen sich dann al- Für drei Jahre wird derzeit die interkul- le abends ab sieben beim Tee in der Diako- turelle Männerarbeit der Evangelischen Kontakt: Männerarbeit der EKKW, nischen Tagesstätte „Wie gewohnt”. Sozu- Kirche von Kurhessen-Waldeck durch die Stefan Sigel-Schönig, T 0561 9378477, sagen „abseits von Kirche und Moschee”, Deutsche Fernsehlotterie unterstützt. Ge- stefan.sigel@ekkw.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018 9
THEMA Die Trauer schweißt bis heute zusammen Borken 1988: Grubenunglück prägt bis heute das Verhältnis von Christen und Muslimen S ie nennen sich Kumpel und nicht Kollegen, die Männer im Bergbau. Wenn man auf die Geschichte der nordhessischen Kleinstadt Borken und des dortigen Bergbaus blickt, kann man auch von Schicksalsgemeinschaft sprechen. Es ist 30 Jahre her, als am 1. Juni 1988 eine gewaltige Detonation die Braunkohlegru- be Borken-Stolzenbach erschütterte und 57 Bergleute begrub. Sechs wurden Tage später gerettet, 51 konnten nur noch tot Fotos: Peter Zerhau geborgen werden. Die Katastrophe schweißte die Men- schen zusammen, auch über die Grenzen der Religion hinweg. 13 Todesopfer kamen aus der Türkei. „Die türkischen Familien Blumen als Erinnerung an die Opfer an der Gedenkstätte in Borken-Stolzenbach sind eingebunden in die Trauer der gan- zen Stadt“, schrieb Siegfried Krückeberg, Selim Bozdag, Vorsitzender des türki- Die türkisch-islamische Gemeinde be- damals Pfarrer in Borken, 1989 in blick in schen Moscheevereins, war vier Jahre alt, teilige sich ganz selbstverständlich an vie- die kirche. als der Kohlenstaub in der Tiefe explodier- len Aktivitäten in der Stadt, von Anfang te. „Das berührt einen immer noch“, sagt an auch mit viel Engagement in der Flücht- Zusammen gearbeitet und gestorben Bozdag, dessen Onkel damals unter den lingshilfe, etwa im Begegnungscafé, sagt Opfern war. Die jährlichen Gedenkfeiern Vorsitzender Bozdag. Viele Flüchtlinge Bernd Heßler war erst ein paar Mona- in Stolzenbach, wie auch schon die große besuchten auch die Gebete und das Fas- te Borkens Bürgermeister, als das Unglück Trauerfeier nach dem Unglück, begehen tenbrechen in der Borkener Moschee, die geschah, und blieb es bis 2015. Anfangs Muslimen und Christen gemeinsam. Denn unauffällig am Rande der Stadt steht. habe die Preußen Elektra die türkischen die Männer, die damals starben, waren Wie wird die Debatte um den türki- Männer vor allem als billige Arbeitskräf- Freunde, wie Bozdag sagt. schen Präsidenten Erdogan und den tür- te geholt, über Integration habe man Ex-Bürgermeister Heßler bestätigt das, kischen Einfluss auf den Moschee-Dach- sich keine Gedanken gemacht und so viel gerade in der Trauerarbeit hätten sich die verband DITIB gesehen? Es gebe in der versäumt. „Aber an der Arbeit und insbe- christlichen Gemeinden und die muslimi- Gemeinde verschiedene Meinungen, sagt sondere im Bergbau hat man sich zusam- sche gemeinsam eingebracht. Und das hal- Bozdag, aber: „Wir versuchen, die Politik mengefunden“, sagt Heßler. Und durch die te bis heute: „Die Menschen haben sich draußen zu halten.“ Und selbst wenn die Katastrophe seien sie noch mehr zusam- in der Krisensituation gefunden, und das Politik mal für Verstimmungen sorgen soll- mengerückt: „Sie haben zusammen gear- hält – auch bei all den größer werdenden te – Kumpel werden sie wohl bleiben in beitet, und sie sind zusammen gestorben.“ Spannungen – bis heute an.“ Borken. l Olaf Dellit Foto: medio.tv/Dellit Vor der Borkener Moschee: Imam Mustafa Köse (links) und Vereins- Gemeinsames Gedenken: Imam Köse sprach bei der Gedenkfeier vorsitzender Selim Bozdag ebenso wie ein katholischer und ein evangelischer Pfarrer 10 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
Fotos: medio.tv/Dellit THEMA Beim Interreligiösen Gemeinschaftsfest in Hanau-Großauheim ging es in diesem Jahr um Austausch über den Begriff „Heimat” „Gott spricht nicht nur deutsch” In Hanau treffen sich Christen und Muslime beim Festival der Kulturen und anderswo O b in Kassel, Fulda oder Marburg: Willkommenskultur pflegt Wolfgang IN ABRAHAMS ZELT In nicht wenigen Städten ist der Bromme seinerseits in dem Begegnungs- Es war der emotionale Höhepunkt der ge- „runde Tisch der Religionen” eine café Oase, das seit zweieinhalb Jahren in meinsamen Feier der Religionen in Hanau, feste Einrichtung. Auch in Hanau treffen Hanau-Wolfgang Flüchtlinge und Hanau- als ein kleines Mädchen der Bahai-Religion sich Christen, Juden, Muslime und Vertre- er Bürger an einen Tisch einladen möchte. ein perfekt auswendig gelerntes und be- ter anderer Religionen regelmäßig auf Ein- Mit einem Zelt war das Projekt auch auf tontes Gebet für die Harmonie unter den ladung des Oberbürgermeisters mit dem dem Festivalgelände vertreten und bot Religionen sprach. Und schließlich nah- Ziel, miteinander zu reden, um den jeweils dort Kaffee und Kuchen sowie orientali- men sich die Mitwirkenden und die mehr anderen besser zu verstehen. sche Speisen an. Das Ziel: „Wir glauben als 200 Besucher an den Händen und sangen gemeinsam „We shall overcome“. Alle paar Jahre allerdings wird aus immer noch an die inspirierende Kraft der Zuvor hatten Religionsvertreter ihr Ver- dem runden Konferenztisch eine lange Ta- Integration. Wer zusammen am Tisch sitzt ständnis von Heimat geschildert, es gab fel, an der gemeinsam gefeiert wird. Beim und miteinander redet, kommt sich näher. Rezitationen aus Bibel und Koran sowie „Festival der Kulturen”, das 2013, 2016 Viele Vorurteile lösen sich wie von selbst, Gebete und Tanz. Um die drei abrahamiti- und in diesem Jahr im Park an der Linde- wenn man sich persönlich begegnet.” schen Religionen – Christentum, Islam und nau in Hanau-Großauheim stattfand, wird Seit 2015 hat Pfarrer Bromme noch auf Judentum – ging es in Abrahams Zelt auf interreligiös zelebriert. 2016 wurden auf anderer Ebene Kontakt zu Muslimen. Jun- dem Festgelände, das von den christli- der Bühne mehrere „Altäre” zusammen- ge Iraner und Afghanen kamen zu ihm in chen Gemeinden betreut wurde. Pfarrer geschoben. Auf den Tischen lag die Bibel den Gottesdienst mit dem Wunsch, Christ Wolfgang Bromme und andere Mitarbeiter neben dem Koran und der jüdischen Tora, zu werden. Ein Taufkurs für Menschen ver- erzählten darin Geschichten, unter ande- Kreuz, Halbmond und Davidstern standen schiedener Sprache und Herkunft wurde rem von Urvater Abraham. Mit Fragekar- neben einer Buddha-Figur. Und dann? eingerichtet. Bromme fand gutes Materi- ten wurden Gesprächsimpulse gesetzt, zum Beispiel „Wie wird man respektiert?“ Die Menschen aus Hanau berichten aus ihren al aus der badischen Landeskirche – ein Antwort von Meryem Yilmaz: „Indem man Glaubenswelten, zum Beispiel geht es um Glaubenskurs auf Deutsch, Englisch und andere respektiert.“ Olaf Dellit Maria: Die evangelische Pfarrerin singt das Persisch, den er an zehn Abenden mit Hil- Ave Maria, der islamische Vorbeter rezitiert fe von Dolmetschern mit den Taufkandida- passende Koransuren, und man erfährt et- ten durcharbeitete. „Die Leute haben sehr was über Maya, die Mutter Buddhas. intensiv mitgemacht, besser als im Kon- „Das ist kein Mischmasch, wir veran- firmandenunterricht”, freut sich Bromme. stalten dort keine Einheitsfeier”, betont Inzwischen kamen sechs Taufkurse dieser Pfarrer Wolfgang Bromme (61) aus Groß- Art zustande, insgsamt 30 Peronen ließen auheim, Mitinitiator auf evangelischer sich taufen. Seite: „Wir nehmen auch wahr, wie ver- Werden Konversionen vom Islam zum schieden wir sind. Aber im interreligiösen Christentum in Hanaus Moscheen nicht Dialog kommt es eben darauf an, dass wir als Problem für den interreligiösen Dialog das Gemeinsame betonen.” Und das gibt betrachtet? Nein, sagt Bromme. Kritik von es durchaus, so die Erfahrung des Pfar- dieser Seite sei ihm nicht zu Ohren gekom- Drei Religionen, ein Zelt: Marijke Graafsma, rers, der seit vielen Jahren gute Kontakte men. Religionsfreiheit, wie sie in Deutsch- Pfarrer Wolfgang Bromme, Behlül und Meryem zu Moscheegemeinden in der Stadt pflegt. land garantiert sei, bedeute schließlich Yilmaz, Kim, Kilian und Rebekka Kießling sowie Mit seinen Konfirmandengruppen besucht kein Gegeneinander. l Erol Ertürk sprechen über Geister, Gewissen, Tole- er zum Beispiel ein Freitagsgebet. Oder er Lothar Simmank ranz, Liebe und Beichte. Bromme sagt: „Das sind schaut beim Fastenbrechen vorbei. www.oase-hanau.de Themen in allen Religionen.“ blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018 11
THEMA Singen verbindet drei Religionen Chor aus jüdischen, christlichen und muslimischen Sängern trägt Schöpfungspsalm vor T he heavens express your fire”, singt Kantor Daniel Kempin, der diesen Ge- „Es ist jedes Mal faszinierend, zu ent- der Chor – was bei Luther heißt: sang mit der Gitarre begleitet, erzählt an- decken, welche musikalische Vielfalt die „Die Himmel erzählen die Ehre Got- schließend, dass der Mittelteil des Psalms Psalmen, dieses Urlob, in den verschiede- tes“. Es ist die modernste Komposition in christlichen Vertonungen keine Rolle nen Traditionen hervorgebracht haben“, zu Psalm 19, die der Interreligiöse Chor spielt. Um die Spannung zwischen Ge- sagt die Chorleiterin. In den halbjährlich Frankfurt bei seinem elften Frankfurter setz und Evangelium soll es an einem Ge- stattfindenden Chorproben werden aber Tehillim-Psalmen-Konzert im jüdischen sprächsabend gehen, der den Psalm aus auch religiöse Inhalte thematisiert. Etwa Gemeindezentrum zur Aufführung bringt. religionswissenschaftlicher Sicht beleuch- die Bedeutung jüdischer oder islamischer Das Zen-inspirierte Loblied, komponiert tet. Vertreter aus Christentum, Judentum Feiertage oder verschiedene Gottesvorstel- von Gerald Cohen, Kantor einer New Yor- und Islam werden auf dem Podium sitzen. lungen. ker Synagoge, ist ein Glücksfall für den Der jüdische Kantor Daniel Kempin Musik mache die Verbindungen zwi- bundesweit einmaligen Chor: Ein Aufruf in und die evangelische Kantorin Bettina schen den drei Religionen für Chor und einem Netzwerk jüdischer Kantoren hatte Strübel haben das Tehillim-Psalmen-Projekt Publikum unmittelbar erfahrbar, sagt zu seiner Entdeckung geführt. 2012 ins Leben gerufen, schon bald wurde Strübel. Ein Chormitglied formuliert es so: Psalm 19 (hebr. tehilla), der im Zen- aber jeweils auch eine Brücke zum Islam „Ich bin aus der Kirche ausgetreten, aber trum dieses Abends steht, unterteilt sich geschlagen. in diesem Chor zu singen ist für mich wie in drei Abschnitte, die von Gottes Herr- An diesem Abend wird die 91. Sure beten, obwohl ich nie ein Gebet sprechen lichkeit in der Schöpfung und der Freude von Chormitglied Serap Ermis rezitiert – würde.“ „Wenn man sich wochenlang mit über die Weisungen und Gesetze der Thora ein Äquivalent zu Psalm 19. Es folgen drei einem Psalm beschäftigt, ist das wie ein berichten, um mit der Bitte um Gnade für Ilahis, die die Themen des Psalms umspie- Schatz, der noch lange nachwirkt“, ergänzt das Leben abzuschließen. Aus christlicher len. Diese sufistischen Lieder werden über- eine andere. Perspektive gehört er zu den „Schöpfungs- zeugend untermalt vom Kanun, der türki- Neben dem Kennenlernen unterschied- psalmen“ und ehrt in verschiedenen Bil- schen Harfe, der Muhittin Kemal typisch lichster Musikstile und der Vertiefung re- dern besonders die Sonne. arabische Klänge entlockt. „Psalmen und ligiöser Inhalte ist die Arbeit des Chors Der Interreligiöse Chor führt in seinem Koranverse miteinander in Verbindung zu nicht zuletzt auch eine Botschaft an die Konzert variantenreiche Vertonungen des bringen ist ein ganz neuer Weg“, erklärt Gesellschaft: „Trotz aller Unterschied- Psalms von Bach über Haydn bis Edouard Bettina Strübel. Nicht selten gibt sie für lichkeit: Wenn man aufeinander zugeht, Samuel auf, ebenso wie das jüdische Lied, den islamischen Teil auch Kompositionen klappt es auch“, sagt das muslimische das am Sabbatmorgen oder zum Simchat in Auftrag. Bei der Textauswahl helfen die Chormitglied Dilruba Harunnisah Kam. l Thora, dem Fest der Thorafreunde, in jüdi- studierten islamischen Sängerinnen des schen Gemeinden erklingt. Chors. Stephanie von Selchow Nehmen den Applaus des Publikums entgegen: Chorleiterin Bettina Strübel und Kantor Daniel Kempin (r.) vom Interreligiösen Chor Frankfurt Foto: S. von Selchow 12 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
THEMA Die Musik rettete seine Seele Der Pianist Aeham Ahmad spielte im Krieg Klavier und wirbt heute für Verständigung D as”, sagt Aeham Ahmad und zeigt auf sein Hemd, seine Hose, seinen Mantel, „wäre alles verboten, weil Mohammed so etwas nicht getragen hat.“ Mit rigiden Regeln, die mit dem Koran begründet wurden, hat der syrische Pa- lästinenser Erfahrung gemacht. Männer des so genannten Islamischen Staats (IS) übergossen sein Klavier in Damaskus mit Benzin und zündeten es an. Weil Musik Sünde sei. Ahmad hatte auch im Krieg musiziert, mit singenden Kindern zwischen den Trüm- mern seiner Heimatstadt – die Fotos und Videos davon gingen um die Welt. Die Auftritte waren gefährlich: Einmal wurde Zeinab, ein zwölfjähriges Mädchen, von einem Scharfschützen erschossen, als sie mitten auf der Straße sangen. Der Foto- graf, der das berühmt gewordene Foto schoss, sei bis heute verschwunden, sagt Ahmad, ebenso wie sein eigener Bruder. Foto: medio.tv/Dellit Musik als Verbindung zu Gott Die Gewalt, die Verbote – das ist für den 30-Jährigen nicht das, was er unter dem Islam versteht. „Musik ist wichtig, Von Damaskus nach Wiesbaden: Der Pianist Aeham Ahmad hat den Krieg und die Verfol- um sich mit Gott zu verbinden“, sagt er. gung durch den IS erlebt und wirbt mit seiner Musik für Verständigung Für Ahmad ist sie sogar lebenswichtig: „Die Musik hat meine Seele gerettet, mein einem Straßencafé mitten in Wiesbaden – von Alkohol und Zigaretten propagierten, inneres Leben.“ Und sie ist für ihn auch dieselbe Textstelle leise singt. Der Unter- aber zu Hause tranken und rauchten. An in Deutschland zum Lebensunterhalt ge- schied ist riesig, so riesig wie Ahmads Un- strenge Regeln glaubt Aeham Ahmad worden. Unglaubliche 460 Konzerte hat verständnis, wenn jemand Musik verbietet. nicht mehr, er bete nicht immer zu den er nach eigener Zählung gegeben, seit er Sein Glaube habe sich seit dem Krieg vorgeschriebenen Zeiten, dafür an ande- 2015 nach Deutschland kam. verändert, sagt er. Er wisse von IS-Kämp- ren Tagen viel häufiger. Für Aufsehen sorgte seine Zusam- fern, die in der Öffentlichkeit ein Verbot Der Pianist aus Damaskus hat eine an- menarbeit mit dem Kasseler Jazzpianis- dere Mission: Brücken bauen. Seine vielen DAS BUCH ten Edgar Knecht. Häufig ist er auch auf Konzerte sieht er auch als ein Abtragen Einladung der Diakonie und in Kirchen zu Das Foto von dem Mann, von Schuld, sagt er nachdenklich, weil er hören, etwa bei einem Friedenskonzert in der inmitten der Trümmer den Krieg überlebt hat, viele andere aber Dresden. Möglicherweise werde er bald von Damaskus Klavier noch leiden oder tot sind. Kriege könne den Papst treffen, sagt Ahmad. spielt, ging um die Welt. man nicht veränden, aber jeder könne Es sei wichtig, über die Religionen und Aeham Ahmad erzählt im sich selbst ändern – diese Botschaft will er ihre Unterschiede zu sprechen und Musik Buch Und die Vögel transportieren. Aeham Ahmad sagt es so: werden singen die zu spielen, die in allen Religionen von gro- „Wenn du einen Freund in Ägypten hast, berührende Geschichte vom blinden Vater, ßer Bedeutung sei. Er nennt das gesun- einen in Spanien und einen in Syrien, dann vom Krieg, von der Flucht und von der gene „Amen“ und zitiert dann eine Stelle bist du reicher als mit sechs Millionen Eu- Kraft der Musik. Verlag S. Fischer, 20 Euro aus dem Koran auf Arabisch, bevor er – in ro.“ l Olaf Dellit blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018 13
THEMA „Wir feiern keine muslimischen Feste” Wie die Evangelischen Kindertagesstätten in Marburg ihr christliches Profil leben D ass evangelische Kindergärten angesagt, wo endet die Rücksichtnahme? Ihnen komme es auf die dort vermittelten nicht nur von evangelischen Kin- Was tun, wenn es um verbotenes Schwei- Werte an – auch wenn dies unter dem Vor- dern besucht werden, ist keine nefleisch, verlockende Zuckerfest-Süßigkei- zeichen einer andere Religion geschehe. Überraschung – schon gar nicht in Mar- ten, Kleiderregeln oder das weihnachtli- Deshalb liege eine große Chance darin, burg, der Universitätsstadt, in der man che Krippenspiel geht? Vorurteile und Berührungsängste gegen- stolz ist auf eine lange ökumenische Tradi- „Wir wollen andere Religionen und über muslimischen Eltern abzubauen, be- tion. Selbstverständlich spielen und lernen Tradionen anerkennen und würdigen”, tont die Diplom-Pädagogin. hier Knirpse aller Hautfarben, Kulturen Um in diesem Sinne auf die Eltern zu- und Religionen miteinander, so wie es der gehen zu können, haben sich im Rahmen Gesamtverband der Kirchengemeinden als einer Fortbildung im November letzten Träger postuliert: „Jedes Kind ist von Gott Jahres zwei Dutzend der rund 160 Mit- gewollt – so wie es ist. Unabhängig davon, arbeitenden mit dem Islam beschäftigt. wo es herkommt, was es kann oder leistet. Geschult wurden sie im Religionspädago- Das ist unser christliches Menschenbild. gischen Institut durch Dr. Andreas Herr- Unsere Kindertageseinrichtungen sind mann, den Islambeauftragten der Landes- deshalb offen für alle Kinder.” kirche. Basiswissen war gefragt: die fünf Foto: www.kitas-marburg.de Ein erklärtes Ziel der Evangelischen Kindertagesstätten in Marburg: Sind für einen klaren Kurs: Birte Schlesselmann, Beauftragte für die Ev. Foto: medio.tv/Simmank Die Kinder sollen die Welt entdecken und auch den christlichen Glau- Kindertagesstätten in Marburg, und Pfarrer Ralf Hartmann, Vorsitzen- ben kennenlernen. Besuche in der Kirche gehören dazu der des Trägers Gesamtverband der Ev. Kirchengemeinden in Marburg So weit, so gut. Im Alltag gibt es aller- sagt Pfarrer Ralf Hartmann als Vertreter Säulen des Islam, die Biografie Moham- dings eine Menge Klärungsbedarf, stellt des Trägers, „aber wir feiern in unseren meds, der Koran. Wo sind Nähe und Un- Birte Schlesselmann fest, die für ein über- Einrichtungen keine muslimischen Feste.” terschiede zum Christentum festzustellen? geordnetes pädagogisches Konzept der Für ihn ist wichtig, dass die Kinder den Am Schluss des Tages besuchten die Erzie- zehn evangelischen Kitas zuständig ist. christlichen Glauben kennenlernen: mit herinnen schließlich noch eine Marburger Denn wo sind die Grenzen der Offenheit biblischen Geschichten, Gebeten, Segen Moschee, wo sie sich über Ramadan, Zu- für eine konfessionelle Einrichtung, wenn – und Liedern – und natürlich auch die Kir- cker- und Operfest informierten. wie etwa in der Kita am Marburger Richts- chenjahreszeiten. „Diese religionspädago- „Je mehr wir voneinander wissen, um berg – 80 Prozent der Kinder aus muslimi- gische Arbeit geschieht in allen unseren so entspannter können wir miteinander schen Familien kommen? Wie genau sollen Einrichtungen in enger Zusammenarbeit umgehen”, sagt Pfarrer Hartmann, der sich die Erziehenden auf die vielfältigen religi- mit den Pfarrerinnen und Pfarrern.” mehr Spielräume zu einladenden Begeg- ösen, sozialen und kulturellen Hintergrün- Birte Schlesselmann freut sich, dass nungen dieser Art zwischen Christen und de eingehen, ohne das christliche Profil zu viele muslimische Eltern ihre Kleinen be- Muslimen in Marburg erhofft. l vernachlässigen? Wo ist Entgegenkommen wusst in kirchliche Kindergärten schicken. Lothar Simmank 14 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2018
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