DAS KROKODIL IM JANGTSE - ACT ALPHA - LUPUS ALPHA
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Das Magazin von Lupus alpha | 004 Act Alpha Das Krokodil im Jangtse Wie Jack Ma mit Alibaba seine amerikanischen Konkurrenten überrundet Think Alpha „Wir legen Wert auf langfristige Partnerschaften“ Interview mit dem Star-Investor und Erfinder des „Yale-Modells“ David F. Swensen INvest Alpha Gewappnet gegen den Zinsanstieg Wie CLOs zur Diversifikation im Anleihenportfolio beitragen
leitwolf 004 | Editorial Unsere wirtschaftliche Freiheit wird derzeit mit Füßen getreten. Der Freihandel, der seit Jahrzehnten zum Wohlstand in der Welt beigetragen hat, wird von US-Präsident Trump zunehmend pro- tektionistischen und nationalistischen Interessen geopfert. Dabei riskiert er auch Handelskriege. Ein trauriger Rückschritt im 21. Jahrhundert, denn die Erfahrungen zeigen, dass Länder, die sich dem internationalen Wettbewerb entziehen, die eigene Innovationskraft schwächen. Innovation und internationale Vernetzung haben dagegen den deutschen Mittelstand schon immer ausgezeichnet. Nehmen Sie zum Beispiel die BRAIN AG. Mit seinen natürlichen Zuckerersatzstoffen revolutioniert der Pionier der Bioökonomie derzeit die Lebensmittelindustrie weltweit. Oder das Aachener Start-up-Unternehmen e.GO Mobile. Für den Absatz seines kostengünstigen E-Autos für die Stadt hat das Unternehmen schon jetzt die Auslandsmärkte fest im Blick. Von den ganz unterschiedlichen Erfolgsrezepten dieser Unternehmen können Sie sich in der vorliegenden Ausgabe ein Bild machen. Auch Lupus alpha steht für die maximale Freiheit in der Entwicklung und Umsetzung von Ideen. Das gilt nicht nur für unsere Portfolio-Manager, sondern für alle Mitarbeiter – sei es im Vertrieb, im Produktmanagement, im Handel oder in der KVG. Wir bieten ihnen systematisch Freiräume, um dauerhaft überzeugende Leistungen für unsere Kunden zu erzielen. Nur so werden wir auch in Zukunft innovativ und wettbewerbsfähig sein. Ralf Lochmüller 03
Inhalt 004 Act Alpha Das Krokodil im Jangtse Das Erfolgsgeheimnis des Alibaba-Gründers Jack Ma 06 Think Alpha „Wir legen großen Wert auf langfristige Partnerschaften“ Interview mit dem Star-Investor und Erfinder des „Yale-Modells“ David F. Swensen 18 act ALPHA Die Alchemisten von der hessischen Bergstraße 12 Fondsmanager Björn Glück zu Besuch bei dem Pionier der Bioökonomie BRAIN in Zwingenberg think ALPHA „Wir wollten zeigen, dass es fundamental anders geht“ Ralf Lochmüller im Dialog mit Prof. Dr. Günther Schuh, INVEST ALPHA Gründer und CEO von e.GO Mobile CLOs: Gewappnet gegen den Zinsanstieg Wie die Anlageklasse zur Diversifikation im Anleihenportfolio beiträgt 20 24 INVEST ALPHA Wann ist Kapitalanlage ein Nullsummenspiel? Alexander Raviol und Prof. Dr. Christian Rieck diskutieren über Kapitalmarktfragen aus der Perspektive der Spieltheorie 30 04
leitwolf 004 | Inhalt 32 INVEST ALPHA „Kontrollierte Offensive zeichnet uns aus“ Interview mit Henrik Hänche, Leiter Corporate Finance der Deutschen Post DHL Group 36 WORK ALPHA Die Beschützer des Alpha Den Experten des Trading & Implementation-Teams von Lupus alpha Kolumne über die Schulter geschaut Die Weisheit des Alters 41 Wolfsexpertin und Buchautorin Elli Radinger über das Führungsverhalten wild lebender Wölfe im Yellowstone-Nationalpark 42 WORK ALPHA „Es geht darum, im Wachstum Qualität zu gewährleisten“ Interview mit Michael Frick über Unternehmenskultur und HR-Management bei Lupus alpha 44 MEET ALPHA „Ein Stelldichein der Branche“ Die Highlights des 16. Investment Fokus von Lupus alpha im Rückblick MEET ALPHA Events 46 Wo die Experten von Lupus alpha in den letzten Monaten präsent waren Impressum 47 05
leitwolf 004 | Act alpha Das Krokodil im Jangtse Jack Ma hat eBay besiegt, Amazon fast eingeholt – und schickt sich nun an, seinen chinesischen Internetkonzern Alibaba zu einem globalen Konglomerat auszubauen. Wer ist dieser Mann? Von Heinz-Roger Dohms I st Jack Ma eigentlich noch Unternehmer – Arbeitsplätze in den USA zu schaffen. Das war oder ist er längst Politiker? Oder irgendetwas noch bevor Trump erstmals auf Xi Jinping traf, dazwischen? Oder gar darüber? Jedenfalls den chinesischen Präsidenten. Auch ansonsten saß Ma, Gründer des chinesischen Internet- ist der 53-Jährige in der globalen Politik bestens konzerns Alibaba, kurz nach der amerikanischen vernetzt. Justin Trudeau, den kanadischen Anti- Präsidentschaftswahl bereits mit Donald Trump Trump, empfing er ebenso wie Matteo Renzi, zusammen. Und versprach ihm, eine Million als der noch italienischer Ministerpräsident 07
Act alpha | leitwolf 004 war. Mit dem australischen Premier Malcolm Den meisten Menschen in Deutschland dürfte Rivalen entfernt. Mehr als eine halbe Billion Turnbull parlierte er auch schon ausgiebig, der Name Jack Ma nicht viel sagen. Weniger Dollar war Alibaba zu Jahresbeginn an der genau wie mit den Staats- bzw. Regierungs- jedenfalls als Bill Gates, Mark Zuckerberg oder New York Stock Exchange wert, nachdem sich chefs von Argentinien, Israel oder Pakistan. Jeff Bezos. Gehört hat man allenfalls von Alibaba, der Kurs zuvor binnen zwölf Monaten rund Und als Ma im März 2015 die Eröffnungsrede dem „chinesischen Amazon“, wie in Zeitungs- verdoppelt hatte. Zum Vergleich: Amazon auf der CEBIT in Hannover hielt – da lauschte berichten oft hinzugefügt wird. Dabei stellt kam zuletzt auf 680 Milliarden Dollar. ihm sogar die Kanzlerin. sich allmählich die Frage, ob man Amazon Wer ist dieser Mann, über den die „Financial nicht genauso das „westliche Alibaba“ nennen „I’m going to war with eBay“ Times“ neulich schrieb, sein Alibaba-Konzern könnte. Denn: An der Börse ist der Konzern – sei „ein Unternehmen, das von sich selbst gern obwohl erst seit 2014 überhaupt gelistet – gar Alles begann mit dem Wort „Bier“. Mitte der denkt, es sei ein Staat“? nicht mehr so weit von seinem amerikanischen 90er-Jahre weilte Jack Ma, ein gelernter Eng- 08
leitwolf 004 | Act alpha Ganz links: Jack Ma trifft Donald Trump kurz nach dessen Wahl zum Präsidenten – noch bevor der chinesische Präsident Xi Jinping Jack Ma hätte den US-Präsidenten kennenlernt. gern in Harvard Links: Der Alibaba-Firmensitz in Hangzhou. Zurück in Hangzhou startete studiert – er sei aber Hangzouh Dianzi Univer- Unten: Das Ergebnis des „Global Shopping Ma einen eigenen Online- zehnmal abgelehnt sity. In Interviews erzählte Festivals“ am 11. 11. 2017: 168,2 Mrd. Yuan, dienst namens „China Pages“, worden, erzählte Ma Jack Ma später, dass er gern das entspricht 25,3 Mrd. US-Dollar. ein Service, der einem ähnli- in Interviews. in Harvard studiert hätte – er chen Prinzip folgte wie hierzu- sei aber zehnmal abgelehnt lande die Gelben Seiten. Der worden. Nicht die einzige Er- Erfolg war bescheiden, wohl fahrung dieser Art: Als Kentucky auch, weil das Internet in den späten 90er- Fried Chicken nach Hangzhou Jahren noch kaum verbreitet war. Jack Ma ließ kam, bemühte sich Ma um einen der sich allerdings nicht entmutigen und startete Managementposten. Genommen wurde er 1999 sein nächstes Unternehmen – Alibaba. nach eigener Aussage allerdings nicht, ebenso Das Geschäftsmodell diesmal: eine Online- wenig bei Dutzenden anderen Stellen, auf die plattform für chinesische Unternehmen, um er sich beworben hatte. diesen den direkten Zugang zu inländischen wie internationalen Abnehmern zu ermöglichen. „Think global, act local“ ist auch Diese Idee funktionierte deutlich besser. Nach Mas Erfolgsrezept wenigen Jahren schrieb das Start-up bereits schwarze Zahlen. Trotzdem kam der endgültige Nun mag diesen Erzählungen auch viel Selbst- Durchbruch erst 2003, als Jack Ma auf eine stilisierung beigemischt sein. Fest allerdings scheinbar irrwitzige Idee verfiel – nämlich steht: Mas frühe Biografie deutete nicht darauf eBay anzugreifen, obwohl der Onlinemarkt- hin, dass er einmal der Mann werden würde, platz damals in China über einen Marktanteil der eBay besiegt – Alibaba ist heute an der von rund 80 % verfügte. Mas erster Schritt war Börse rund zehnmal so viel wert wie der US- es, den Amerikanern in einer Reihe von Inter- Konkurrent – und der damit die Tektonik zwi- views öffentlich den „Krieg“ zu erklären: „I’m schen der amerikanischen und der chinesischen going to war with eBay“. Internetbranche ganz grundsätzlich verschiebt. Seinen Angriff auf die US-Plattform stellte Vom chinesischen Jungen Ma unter ein eingängiges Motto: „eBay ist ein Ma Yun zu „Jack“Ma Hai im Ozean. Wir aber sind ein Krokodil im Jangtse-Fluss. Wenn wir im Ozean kämpfen, Dazu muss man wissen, dass die USA für Ma dann verlieren wir. Wenn wir aber im Jangtse Yun – so lautet sein eigentlicher Name – zeit- kämpfen – dann werden wir gewinnen.“ We- lebens Sehnsuchtsort und Herausforderung niger metaphorisch gesprochen sah Mas Strategie zugleich waren. Geboren wurde er 1964 als so aus, dass er den Verkäufern auf seiner „Tao- Sohn zweier „Pingtan“-Musiker, das ist eine tra- bao“ getauften Anti-eBay-Plattform anfangs ditionsreiche ostchinesische Kunst, die Gesang weder Listing- noch Transaktionsgebühren und Geschichtenerzählen verbindet. In der Nähe abverlangte. Dadurch litt Taobao zwar jahrelang des Hauses, in dem Ma Yun aufwuchs, gab es unter einem gewaltigen Cashburn, jagte eBay ein Hotel mit vorwiegend ausländischen Gästen. aber Zug um Zug immer mehr Marktanteile ab. lischlehrer aus der ostchinesischen Großstadt Jahrelang fuhr der junge Ma fast täglich mit dem Hinzu kam: Während die Amerikaner ihr Hangzhou, zum ersten Mal in den USA, um Rad hierhin, um den Besuchern kostenlose westliches Modell quasi 1:1 auf den chinesi- dort einen Bekannten zu besuchen. Dieser Stadtführungen anzubieten. Auf diese Weise schen Markt übertrugen, richtete Ma sein Ange- machte ihn mit dem damals noch sehr jungen lernte er Englisch. Mit einem der Gäste schrieb bot viel stärker an die Eigenarten der heimischen Internet vertraut. Weil ihm nichts Besseres ein- er sich nach dessen Aufenthalt noch regelmäßig Klientel aus. Statt des in China eher unübli- fiel, tippte Ma den Begriff „Beer“ in die Tastatur. Briefe. Dieser nannte ihn „Jack“. Und irgend- chen Auktionsmodells setzte er in erster Linie Daraufhin zeigte ihm der Rechner zwar viele wann nannte sich Ma Yun auch selbst so. auf Konsumenten, die ihre Waren kaufen statt amerikanische Biersorten an und auch ein Nach der Schule studierte er am Hangzhou ersteigern wollen. Und während eBay wie in paar deutsche – aber keine einzige chinesische. Teacher’s Institute und schloss Ende der 80er den USA einzig zwischen „Buyer“ und „Seller“ Und auch sonst schien das Internet über sein mit einem Bachelor ab; anschließend lehrte er unterschied, kreierte Taobao auf seinem Heimatland nicht allzu viel zu wissen. Englisch und Internationalen Handel an der Marktplatz Kategorien wie „ Für Männer“ oder 09
Act alpha | leitwolf 004 unterschiedlich. Denn Alibaba ist, anders als Amazon, ein reiner Vermittler, ohne eigene Produkte, ohne eigene Warenlager, ohne eigene Auslieferung – und dementsprechend mit viel niedrigeren Fixkosten. Tatsächlich hängen die Chinesen die Amerikaner, was den Gewinn betrifft, regelmäßig deutlich ab. Im vierten Quartal erwirtschaftete Alibaba ein Nachsteuer- ergebnis von 3,6 Milliarden Dollar. Da konnte Amazon trotz eines – durch die trumpsche Steuerreform begünstigten – Rekordgewinns von 1,9 Milliarden Dollar nicht mithalten. Die Hebel, über die Alibaba im Riesenreich China verfügt, sind extrem. Ende 2017 zählte das Unternehmen 580 Millionen Kunden, die wenigstens einmal im Monat eine der zum Konzern gehörenden Plattformen besuchten. Zum Vergleich: Der deutsche Internethändler Zalando berichtete zuletzt von europaweit rund 22 Millionen aktiven Nutzern. Dabei pro- fitiert Jack Ma vom chinesischen E-Commerce- Boom – den er in gewisser Hinsicht aber auch selbst erschaffen hat. Das beste Beispiel ist der zum nationalen Shopping-Tag avancierte 11. No- vember, der in China inzwischen eine ähnliche Bedeutung hat wie der „Black Friday“ in den USA. Begonnen hatte alles 2009, als Taobao und eine weitere Alibaba-Plattform, nämlich Tmall, erstmals am 11. November weitreichende Ra- batte offerierten – eine Idee, die angeblich von Jack Ma persönlich kam. Eigentlich sollte der Rabatt nur für Alleinstehende gelten, weil die Einsen in China ein Symbol für „einsame Herzen“ sind. Inzwischen kommen die Abschläge aber allen Kunden zugute, was zur Folge hatte, dass über die Alibaba-Dienste allein am 11. November Oben: Testmarkt Hangzhou: 2017 Waren im Gesamtwert von 22 Milliarden erstes voll automatisiertes Restaurant in China – von Alibaba in Kooperation Dollar vermittelt wurden. Für dieselben Volu- mit einem lokalen Cateringunternehmen. mina braucht Amazon in China laut „Handels- „Für Frauen“. Der Erfolg gab dem Krokodil blatt“ zwei Monate. Bezeichnend: Der Markt- recht. Schon 2006 zog sich eBay entnervt aus anteil der Amerikaner im Reich der Mitte lag dem chinesischen Markt zurück. zuletzt noch bei etwa 1 %. Profitabler als Amazon In China gilt: mobile first Heute, gut ein Jahrzehnt später, wird Alibaba Dagegen kennen die Geschäftszahlen von immer seltener in einem Atemzug mit eBay Alibaba seit dem Coup gegen eBay nur eine genannt. Sondern fast immer mit Amazon ver- Richtung – nach oben. Dazu trägt natürlich auch glichen. Dabei sind die Geschäftsmodelle die rasante Modernisierung der chinesischen 10
leitwolf 004 | Act alpha Das chinesische Original China kopiert. Weltweit gibt es wohl keine politischen System durchgesetzt, hat sich größere und besser organisierte Industrie durch Rückschläge wie das Scheitern Gesellschaft bei. Ein Beispiel: Einen großvolu- zur Kopie von Markenartikeln als in China. an der Börse Hongkong nicht unterkriegen migen analogen Einzelhandel, wie er in Da ist Jack Ma mit Alibaba das leuchtende lassen. Er hat an seine Vision geglaubt Deutschland in Form der großen Warenhäuser Gegenbeispiel. „You should learn from your und nicht aufgegeben. jahrzehntelang üblich war und wie er im competitor, but never copy. Copy and you Als Portfolio-Manager schaue ich auf Lebensmittelbereich immer noch funktioniert, die“, so sein Leitspruch. Auf diese Weise genau diese Managementqualitäten, auf hat es in China nie gegeben. Stattdessen voll- hat Ma von seinen amerikanischen Wett Unternehmer, die für ihre Überzeugung zog das Land, was das Einkaufsverhalten angeht, bewerbern gelernt – und sie am Ende brennen. Jack Ma ist so ein Unternehmer. innerhalb weniger Jahre den Sprung aus der überholt. Ein echtes Original, keine Kopie. Vormoderne ins E-Commerce-Zeitalter. Dasselbe Es müssen aber nicht Wettbewerber gilt für die Telefonie: Viele Chinesen haben nie sein, von denen man lernt, es können auch Franz Führer, einen Festnetzanschluss gehabt, benutzen Vorbilder sein. Wichtig ist nur, dass man Fondsmanager aber heute wie selbstverständlich ihr Smart- lernt, nicht kopiert. Und lernen ist immer Lupus alpha phone – und zwar nicht nur zum Telefonieren, dann am erfolgreichsten, wenn man von sondern auch zum Shoppen oder für ihre etwas begeistert ist. Bankgeschäfte. Das Desktop-Zeitalter wurde Was mich an Ma begeistert? Nun, er hat dabei gewissermaßen übersprungen. In China das Rad nicht neu erfunden, war kein gilt tatsächlich: mobile first. Wunderknabe, hat keinen hochkomplexen Die große strategische Leistung von Jack Algorithmus programmiert. Er hat sich Ma ist vermutlich, dass er diese Entwicklung lediglich von einer Idee begeistern lassen so früh erkannt und so konsequent ausge- und diese dann hartnäckig und beharrlich nutzt hat wie niemand sonst. Alibaba ist verfolgt. Als eher unscheinbare Persönlich- längst kein reiner E-Commerce-Konzern mehr, keit hat er sich in einem schwierigen sondern ein omnipräsentes Konglomerat, das aus dem Leben vieler Chinesen gar nicht mehr wegzudenken wäre. Das beste Beispiel hier- für ist Alipay, ein 2004 unter dem Dach von Alibaba gegründetes Payment-Venture, das heutzutage mit mehr als 500 Mil- lionen Nutzern sogar den US- Riesen PayPal überragt. Nichts geht mehr Alibabas Geld- Bande in Hangzhou ein Entertainment-Geschäft in seinem Heimatland marktfonds Yu’e Bao ohne Alibaba paar Einzelhändler aus- aufzumischen. Und dass es sich bei Alibaba gehört mit einem verwalteten Vermögen rauben. Nachdem sie längst auch um eine gigantische Datenkrake Wenn Chinesen auf einer der von 165 Milliarden drei Läden überfallen handelt, versteht sich fast schon von selbst. Alibaba-Plattformen shoppen, Dollar zu den größten hatten, kamen die Täter „Wir sind keine E-Commerce-Firma, sondern dann wird die entsprechende seiner Art weltweit. aber gerade mal auf 2.000 ein Datendienstleister“, meinte Jack Ma unlängst. Zahlung in der Regel über Ali- Yuan, was umgerechnet Und die politischen Ambitionen? Als sich pay abgewickelt. Doch das ist rund 300 Dollar sind. „Alipay der damals 48-Jährige vor fünf Jahren vom nicht alles – denn anders als hat nun sogar das Business der CEO-Posten auf die Position des Alibaba- PayPal ist es dem chinesischen Pendant mit Kleinkriminellen disruptiert“, Chairmans zurückzog, begründete er dies seiner digitalen Geldbörse gelungen, auch die kommentierte ein Journalist. unter anderem damit, dass er sich in Zukunft Offlinewelt zu erobern. Statt mit Cash oder Die Frage ist: Was will Jack Ma sonst noch verstärkt gesellschaftlichen Problemen wid- mit Karte zahlen viele von Mas Landsleuten alles disruptieren? Der zu Alibaba gehörende men wolle. An seinem seit jeher guten Verhält- längst mit dem Smartphone. Die Folge: Auch Geldmarktfonds Yu’e Bao avancierte vergan- nis zu den Machthabern in Peking freilich hat kleine Shops können kaum anders, als Alipay genes Jahr mit einem verwalteten Vermögen das wenig geändert. So lässt sich über den als Zahlungsmittel zu akzeptieren, das Bargeld von 165 Milliarden Dollar zum größten seiner Entrepreneur und Digitalkapitalisten Ma trotz verliert an Bedeutung. Bezeichnend ist eine Art weltweit. Mit Alibaba Music, Alibaba Pictu- aller politischen Ambitionen zumindest eines Anekdote, die kürzlich durch die chinesischen res und Alibaba Sports schickte sich der mit ziemlicher Sicherheit sagen: Den Kommu- Zeitungen ging. Demnach wollte eine lokale Omni-Entrepreneur inzwischen an, auch das nismus will er nicht disruptieren. 11
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leitwolf 004 | Act alpha Die Alchemisten von der hessischen Bergstraße Zucker und CO2 sind zwei tickende Zeitbomben, die ein Unternehmen nahe Darmstadt mit seinen Produkten und Technologien entschärfen könnte. Gold kann BRAIN auch schürfen. Vor zwei Jahren ist der deutsche Pionier der Bioökonomie an die Börse gegangen. Fondsmanager Björn Glück fragt nach den Treibern des erhofften Umsatzwachstums. Von Ina Lockhart. Fotos von Markus Kirchgessner „B in Zellen holen“, steht als Abwesen- heitsnotiz auf dem Zettel, der an einem der Laborarbeitsplätze im ersten Stock nachhaltiges Wirtschaften zu schaffen. Für diese Biologisierung der Industrie erforscht BRAIN derzeit in 15 Pipeline-Programmen, der Unternehmenszentrale der BRAIN AG welche Enzyme, welche Mikroorganismen klebt. Zellen sind mehr als nur eine Art Roh- und welche bioaktiven Naturstoffe in ver- stoff für das 25 Jahre alte Unternehmen, das schiedenen Zielmärkten als Produkte oder in Langform „Biotechnology Research And Prozesse zum Einsatz kommen können. Information Network“ heißt. Die Zellen sind Bei aller Wissenschaftsbegeisterung und fast schon so etwas wie „Mitarbeiter“. Forscherkompetenz haben Management und Zu den insgesamt rund 230 menschlichen Gründer seit 2008 mit Blick auf die Wert- Mitarbeitern können sich schnell einmal etliche schöpfungsketten das BioIndustrial-Segment Tausend mikroskopisch kleine „Bergbauinge- aufgebaut. Darüber entwickelt BRAIN eigene nieure“, „Produzenten“ von Geschmacksver- Produkte, die über Tochtergesellschaften stärkern oder Hochleistungsmikroorganismen oder per Lizenzvereinbarungen mit global hinzugesellen, sollte es die Auftragslage erfor- agierenden Unternehmen vermarktet werden, dern. Um Gold und andere wertvolle Edel- während die Entdeckungen aus dem Geschäfts- metalle aus Schlacken oder aus Aschen von segment BioScience in zumeist exklusiven Abfallverbrennungsanlagen zu extrahieren, Kooperationsgeschäften mit Industriepartnern um im Supermarkt Lebensmittel mit demselben ihre kommerzielle Anwendung finden. Derzeit Süßgeschmack, aber mit reduziertem Zucker- trägt BioIndustrial mit 51 % zum Gesamtumsatz gehalt anzubieten oder um aus CO2 Biokunst- bei. „Für uns sind hier Spezialitätenenzyme, stoffe herzustellen. Gerade die produktive naturbasierte Inhaltsstoffe für Lebensmittel Nutzung des Abfallprodukts CO2 birgt große und Kosmetika wichtige Wachstumssegmente“, Hoffnung: „Aus volkswirtschaftlicher Sicht prognostiziert der 55-jährige CEO. würde Deutschland, als per se rohstoffarmes BRAINs Zukunft liegt zum Teil im Keller Land, plötzlich zu einem rohstoffreichen des denkmalgeschützten Bauhaus-Gebäudes Land werden, denn CO2 haben wir mehr als in Zwingenberg. Im Bioarchiv schlummert genug“, erläutert Dr. Jürgen Eck, Vorstands- hier eine riesige Mannschaft von hoch quali- vorsitzender des an der hessischen Bergstraße fizierten „Mitarbeitern“, Zellen, Stoffen und beheimateten Technologieunternehmens. Enzymen, die mit bloßem Auge nicht zu Der promovierte Mikro- und Molekular- erkennen, sondern nur unter dem Mikroskop biologe Eck ist 1994 zum BRAIN-Gründerteam sichtbar sind – konserviert zumeist in großen um Holger Zinke gestoßen und führt seit Gefrierschränken bei minus 80 oder in Flüs- August 2015 das Unternehmen. Das Ziel ist sigstickstoff bei minus 196 Grad Celsius. klar: Industrien auf biologische Prozesse und Die Inventarliste des Bioarchivs spiegelt Stoffe umzustellen, um so die Grundlage für das Innovationspotenzial des Unternehmens 13
Act alpha | leitwolf 004 Oben: Biologielaborantin Kinga Przibilla erläutert Fondsmanager Björn Glück die Analyse der Zellkulturen. wider: 53.000 charakterisierte Mikroorganismen Abteilung „Zellkultur“ schafft, hat schon eine Die Kursfantasie der BRAIN-Aktie wird ge- zur Stammentwicklung, 300 Millionen wieder- erste Hürde bei der Auswahl genommen. In nährt von den Wachstumshoffnungen des verwertbare, durchmusterbare Metagenom®- Petrischalen, immer wieder mit Nährstoffen Bioökonomiepioniers: Naturstoffe, die gesund- Klone, 49.500 natürliche und von der versorgt und im Inkubator bei 37 Grad Celsius heitliche Zeitbomben unserer Gesellschaft Natur abgeleitete Substanzen, 13.000 gelagert, müssen für diverse Aufgaben ausge- entschärfen sollen. Konkret geht es beispiels- Pflanzenfraktionen für die Natur- wählte „Kandidaten“ ihr Können unter Beweis weise um das 2016 gestartete DOLCE Pro- stoff-Isolierung, 464 durchmus- stellen, wie die Biologie- gramm, das Konsumgüterherstellern einen terbare Enzym-Bibliotheken, laborantin Kinga Przibilla Wissens- und Lizenzierungsvorsprung bereits 450 Habitat-Sammlungen „Einem Team hier dem Fondsmanager von während der Entwicklung von natürlichen und Umweltproben und 43 in Zwingenberg ist Lupus alpha, Björn Glück, Zuckerersatzstoffen oder Süßkraftverstärkern Metagenom®-Bibliotheken. das gelungen, was erklärt. sichert. Dafür zahlen sie dem DOLCE Kern- „Wenn wir etwas brauchen, die ganze Welt Seit dem 9. Februar team, dem neben der BRAIN AG auch die suchen wir zielstrebig in un- zuvor vergeblich 2016 ist der Spezialist für Tochter AnalytiCon Discovery und der franzö- serem Archiv den Mikroorga- versucht hat.“ industrielle Biotechnologie sische Familienkonzern Roquette angehören, nismus oder den Stoff, der im Prime Standard-Seg- Gebühren, die je nach Phase Erfolgszahlungen, genau das kann“, sagt Eck. Hört ment in Frankfurt notiert. Exklusivitäts- oder Lizenzgebühren sein kön- sich einfach an, ist aber oft ein Zwei Jahre später kostet die nen. Mittlerweile sind dem Programm meh- aufwendiger Prozess, da sich die Mikroorga- Aktie 24,40 Euro – eine Wert- rere Industriepartner beigetreten, die unter nismen und Naturstoffe nur grob nach ihren steigerung von mehr als 170 % anderem die Produktkategorien Frühstücks- potenziellen Fähigkeiten klassifizieren und archi- gegenüber dem Ausgabekurs von 9 Euro. zerealien, Snacks und nichtalkoholische vieren lassen. Der Stoff oder Organismus, der Lupus alpha nutzte den Börsengang als Getränke abdecken. Ähnliche Geschäftsmo- es in Zwingenberg in den ersten Stock in die Einstieg. delle schweben BRAIN mit dem Ziel der 14
leitwolf 004 | Act alpha Links oben: In Petrischalen, immer wieder mit Nähr- stoffen versorgt und bei 37 Grad Celsius gelagert, müssen die Zellen ihr Können unter Beweis stellen. Links unten: Sorgfältige Kontrolle – zwei BRAIN- Mitarbeiter überwachen verschiedene Testreihen, die in den Fermentiertanks für Industriepilotversuche durchgespielt werden. glaubwürdigen Eindruck gemacht.“ Heute macht das Investment von Lupus alpha rund 1 % der BRAIN-Marktkapitalisierung von aktuell knapp 430 Millionen Euro aus. „Nach Tabak und Alkohol gehen auch von übermäßigem Zuckerkonsum große Gesund- heitsgefahren aus“, sagt BRAINs Finanzvorstand Frank Goebel. „Die Konsumgüterunternehmen laufen Gefahr, durch Konsumenten und Han- delsketten unter Druck zu geraten, weshalb sie aktiv nach Innovationen, wie wir sie bieten, Ausschau halten“, ergänzt der ehemalige Banker. Laut Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich die Zahl der fettleibigen Kinder und Jugendlichen innerhalb von gut vierzig Facts zur BRAIN-Gruppe Geschäftsjahr 2016/2017, per 30. 09. 2017 Gesamtleistung: 26,9 Mio. Euro Nettoergebnis: minus 9,7 Mio. Euro EBIT-Marge: minus 26,56 % Anzahl Mitarbeiter: 232, inkl. Stipendiaten und Auszubildende, davon 138 im Bereich F&E Reduktion von Salzen und Fetten in Lebens- Punkt bringt. „Die Chance ist groß, dass Marktkapitalisierung (per 31. 12. 2017): mitteln vor. BRAINs Partnerunternehmen unter den Kon- 407,25 Mio. Euro Björn Glück, der 2005 zu Lupus alpha kam sumgüterherstellern diese natürlichen Aroma- und hier für den mehrfach ausgezeichneten stoffe in die Rezeptur ihrer Produkte einbauen. Performance: 171 % in den ersten zwei Fonds Lupus alpha Smaller German Champions Das würde zu einem signifikanten Umsatz- Jahren nach IPO am 09. 02. 2016, 28,6 % verantwortlich ist, hat BRAIN kennengelernt, wachstum bei BRAIN führen.“ im Kalenderjahr 2017 als sich das Wachstumsunternehmen auf den Glück erinnert sich an sein erstes Treffen Gang an die Börse vorbereitete. „Nachdem ich mit CEO Eck im Vorfeld des Börsengangs: „Der Aktionärsstruktur: mir das Unternehmen näher angeschaut hatte, Gründergeist und die Passion für das eigene MP Beteiligungs-GmbH (Family Office war mir klar, dass es an dem großen Wandel Tun haben mich angesteckt. Völlig anders war Putsch/Recaro): 34,7 % in der Nahrungsmittelbranche in Richtung na- diese Erfahrung im Vergleich zu Börsenkandi- Gründer und Management: 7,7 % türliche Aromastoffe partizipieren kann.“ Der daten mit Vorstandschefs, die extra für das IPO DAH Beteiligungs GmbH (Daniel Hopp): 9,1 % Biotech-Spezialist forscht an Produkten mit geholt wurden. Eck und sein Management- Streubesitz: 48,5 % Blockbuster-Potenzial, wie Glück es auf den Team haben damals auf mich einen extrem 15
Act alpha | leitwolf 004 Oben links: Kommunikationschef Thomas Deichmann erläutert Björn Glück die Funktionsweise eines Fermentiertanks. Oben: Reagenzien und Arbeitslösungen in der Abteilung „Zellkultur“. Links: Der „BRAIN BioXtractor“. Ein 12 Meter langer Überseecontainer, mit dem aus edelmetallhaltigen Abfallströmen Gold gewonnen werden kann. Ab Mitte 2018 auf Roadshow u. a. bei Müllverbrennungsanlagen. grenzung der Zellteilung aufzuheben, um sie im Labor beliebig häufig zu vermehren. Der Durchbruch kam im April 2012. „Einem Team hier in Zwingenberg ist das gelungen, was die ganze Welt zuvor vergeblich versucht hat“, sagt der leidenschaftliche Forscher Eck begeis- Jahren mehr als verzehnfacht. Die Politik sagt Zellkultur angeschlossen ist, flackern grün- tert und stolz. Mit dem, was er sagt, aber auch dem übermäßigen Zuckerkonsum den Kampf gelbe fluoreszierende Punkte auf. „Sie zeigen wie er es sagt, schafft der Vorstandschef Mo- an. Die staatlichen Gesundheitssysteme ächzen an, dass der Geschmacksrezeptor der ins Labor mente, in denen er selbst Laien mitreißt und unter der Milliardenlast, die die Folgekosten übertragenen menschlichen Geschmackszellen sie an dem Forscherhochgefühl teilhaben lässt, von Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes verursa- aktiviert wurde“, erläutert die Biologielaborantin nach unzähligen Tagen, Wochen, Monaten des chen. So wird Großbritannien ab April 2018 dem Fondsmanager, der das Unternehmen zum Ausprobierens und Zellenkultivierens einen eine Zuckersteuer auf Erfrischungsgetränke zweiten Mal vor Ort besucht. entscheidenden Schritt weitergekommen zu sein. erheben, die eine Dose Fanta oder Sprite um Schmeckt der Naturstoff genauso oder sehr Mit dem DOLCE Programm ist BRAIN nah sechs Pence und eine Dose Cola um 8 Pence ähnlich wie Zucker? Oder hat er einen bitteren, an dem, was Eck und Goebel als „Heiligen verteuert. Kosten durch Fehlernährung belasten lakritzähnlichen Nachgeschmack, wie er dem Gral“ bezeichnen: Natürliche Zuckerersatz- das deutsche Gesundheitssystem jährlich mit seit 2011 in Deutschland zugelassenen Süßstoff stoffe zu finden, die genauso gut wie Zucker und 16,8 Milliarden Euro, wie aus einem Papier des Stevia nachgesagt wird? BRAIN kann messen, damit deutlich besser als Stevia schmecken. Deutschen Bundestags vom Herbst 2016 her- wie die kultivierten Geschmackszellen natürliche Verschiedene Testreihen, bei denen in Fermen- vorgeht. Süßungsmittel empfinden. Dank beharrlicher tiertanks die Prozesse mit Volumina gebräuch- Zurück ins Labor, wo die Naturstoffe des Versuche ist es BRAIN gelungen, mit mensch- lich für Industriepilotversuche durchgespielt DOLCE Programms getestet werden: Auf dem lichen Geschmackszellen das zu machen, was werden, sind bereits abgeschlossen. Goebel Bildschirm, den Przibilla und Glück gespannt bislang nicht geklappt hat: sie zu isolieren und schätzt, dass 2021 die ersten Produkte mit beobachten und der an ein Mikroskop mit zu immortalisieren – also die natürliche Be- BRAINs Zuckerersatzstoffen in Supermarkt- 16
leitwolf 004 | Act alpha Der Besuch bei BRAIN im Video Werfen Sie einen Blick in die Forschungs- und Entwick- lungslabore des spannenden Bioökonomieunternehmens. Das Video zur Reportage finden Sie in der Online- ausgabe dieses Magazins: www.leitwolf-magazin.de Oben: Vorstandsvorsitzender Dr. Jürgen Eck (Mitte) und Finanzvorstand Frank Goebel (rechts) im Gespräch mit Björn Glück. regalen stehen werden. Dann sollten Registrie- und edelmetallhaltige Abfallströme sowie der Forschung und Entwicklung für jeweils rungsprozesse in Deutschland und den USA einen Strom- und Wasseranschluss.“ BRAIN zwei Stunden, um über das zu reden, was ge- abgeschlossen sein. Generell gilt, dass von der hat Technik- und Laborausrüstung in diesen klappt hat und was nicht – und vor allem, Idee bis zur Markteinführung sechs bis zehn mobilen Container gepackt, um bei Müllver- warum nicht. In dem Meetingraum hängt – Jahre vergehen können. brennungsanlagen- oder Bergwerksbetreibern wie an vielen Orten im Unternehmen – eine Eine weitere Idee, die nach etlichen Jahren auf Kundenakquise zu gehen und vor Ort schwarze Tafel, kein Smartboard. „Kreide eig- der Entwicklung kurz vor der Marktanwendung demonstrieren zu können, dass die BRAIN- net sich besser für eine Kultur, in der eine Idee steht, ist auf dem Parkplatz der Unternehmens- Bakterien ihr „Gold-Handwerk“ verstehen – und in den Raum gestellt und gemeinsam weiter- zentrale nicht zu übersehen. Ein 12 Meter langer, das ganz ohne Einsatz toxischer Chemikalien. entwickelt wird“, findet Eck. Ihr eine Chance von einem Graffitikünstler auffällig gestalteter Doch bei aller Begeisterung für die „Mitar- zu geben, sie zu diskutieren, sie zu verfeinern. Überseecontainer mit der Aufschrift „BRAIN beiter“ aus der Petrischale legt Vorstandschef Oder sie vielleicht auch wieder wegzuwischen. BioXtractor“. „Damit bieten wir eine fast schon Eck am meisten Wert auf den Austausch mit Diese Kreativität und Offenheit sind elemen- utopisch schöne Lösung an, um Gold zu ge- und unter seinen „echten“ Mitarbeitern. Jeden tare Voraussetzungen für erfolgreiche Inno- winnen“, sagt Dr. Jürgen Eck. „Man braucht dazu Dienstag und Freitag treffen sich die Kolleginnen vationen. Davon sind Eck und sein Team über- nur vier Dinge: spezielle Mikroorganismen und Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen zeugt. Wir sind wie Trüffelschweine wir uns quasi von oben nach unten bewegt und dann unten noch einmal seitwärts geblickt. Small & Mid Caps bieten ein großes Universum an spannenden Unter- Um im Bild zu bleiben: Ähnlich wie Trüffelschweine wühlen und nehmen. Investmentideen finden wir darin nicht nur über das direkte riechen wir so lange an den Unternehmen, bis wir Screening, sondern häufig auch über bereits allokierte Investments. etwas gefunden haben. Diese Arbeitsweise erlaubt Ein Beispiel: Ein Portfolio-Unternehmen entwickelt ein neues Produkt, es uns, sehr früh ein Investment aufzuspüren. weil es auf verbesserte Zulieferungen zugreifen kann. Als Investor freut So wie die BRAIN AG. Die Wertschöpfung uns das. Aber: Es ist gleichzeitig auch der Impuls, zu hinterfragen, ob entsteht oft nicht durch das sofortige Investieren, der neue Zulieferer nicht auch für uns interessant sein könnte. Vielleicht sondern durch das Identifizieren und ist er sogar viel interessanter als das Unternehmen, über das wir auf ihn langsame Entwickeln einer Investmentidee. gestoßen sind. Und es kann dann sogar sein, dass wir im Rahmen einer Peer Group-Analyse zu der Ansicht kommen, dass das neu identifizierte Dr. Götz Albert, Unternehmen noch besser für ein Investment geeignet ist. So haben Partner und Head of Small & Mid Caps 17
Think alpha | leitwolf 004 „Wir legen großen Wert auf langfristige Partnerschaften“ Eigentlich wollte er Lehrer werden. Dann verschlug es den Yale- David F. Swensen: Eine Milliarde Dollar, Doktoranden an die Wall Street. Doch schon nach kurzer Zeit zog es die zu 50 % in US-Aktien, zu 40 % in David F. Swensen wieder zurück zu seiner Alma Mater. Als Schöpfer US-Anleihen und Cash und zu 10 % in des „Yale-Modells“ machte der Amerikaner das Stiftungsvermögen alternative Anlagen investiert waren. zu der wichtigsten Finanzierungsquelle für die Yale University. Allerdings muss man dabei wissen, dass zu der Zeit bereits ausländische Aktien Mit David F. Swensen sprach Ina Lockhart. Fotos von Markus Kirchgessner als alternative Anlagen galten. Damals beunruhigten mich die fehlende Diversi- fikation im Portfolio und die Diskrepanz zwischen Investmentansatz und dem auf leitwolf: Herr Swensen, Sie sind 1979 als leitwolf: Welche waren das? Ewigkeit ausgerichteten Doktorand von Yale zu dem damaligen Verwendungszweck der Anleihegiganten Salomon Brothers nach David F. Swensen: Zum Stiftungsgelder. New York gegangen, haben dort den ersten einen etwas zu tun, „Außerbörslich Swap konstruiert und hätten erfolgreicher das einen Unterschied angebotenes leitwolf: Was war Ihre Partner in einer der Wall-Street-Investment- macht. Und zum ande- Kapital ist die erste Amtshandlung? banken werden können. Was hat Sie wieder ren für eine Organisa- bessere Form der zu Ihrer Universität gelockt? tion zu arbeiten, die Kapitalanlage.“ David F. Swensen: Das sich einer Mission ver- Portfolio sukzessive neu David F. Swensen: Hank Paulson hielt ein- schrieben hat. Beides auszurichten – weg von mal eine Rede in Yale. Das war noch, findet man nur schwerlich der Zweiteilung in Aktien bevor er Chef von Goldman Sachs und an der Wall Street, aber doch und Anleihen hin zu mehr später dann Finanzminister der Verei- recht leicht bei Yale in New Haven. Diversifikation mittels Immo- nigten Staaten wurde. Er zählte auf, wo- bilien, Rohstoffen, Hedgefonds, nach man seinen künftigen Arbeitgeber leitwolf: Als Sie 1985 beim Yale Endowment Wagniskapital und Private Equity. Anlage- aussuchen sollte. Doch zwei wichtige als Chief Investment Officer anfingen, was disziplin ist in so einem Prozess extrem Dinge fehlten mir in dieser Aufzählung. haben Sie da vorgefunden? wichtig. Anfang der 1990er-Jahre fing 18
leitwolf 004 | Think alpha unsere neue Portfoliostrategie an, sich auszuzahlen. Das „Yale-Modell“ leitwolf: Sie betrauen externe Asset Manager mit der Umsetzung Ihrer Investmentideen – derzeit sind es rund 100. Wie schwer ist es David F. Swensen sieht drei wesentliche Instrumente im Asset Management: Asset Allocation, Market für Manager, von Yale ausgewählt zu werden Timing und Security Selection. Die breite Streuung des Vermögens betrachtet Swensen als die und das Mandat zu behalten? wichtigste Performancequelle, während er von Market Timing grundsätzlich abrät. Angesprochen auf die wichtigsten Faktoren bei der Managerauswahl, antwortet er: „Entscheidend ist erstens David F. Swensen: Die Hürde, die künftige der Charakter des Managers, zweitens der Charakter des Managers und drittens der Charakter des Manager, aber auch Bewerber für unser Managers.“ Mit seinem „Yale-Modell“ sind aus anfänglich einer Milliarde Dollar 27 Milliarden Investmentteam nehmen müssen, liegt Dollar geworden. Absolute Return inkl. Hedgefonds ist mit 25 % die dominante Anlageklasse, sehr hoch. Wir haben einen sehr harten gefolgt von Wagniskapital (17 %), ausländischen Aktien (15,5 %) und schuldenfinanzierten Auswahlprozess. Sind wir aber von einem Unternehmenskäufen (LBOs) mit 14 %. Im Finanzjahr 2018 steuert die Stiftung 1,3 Milliarden Manager überzeugt, legen wir großen Dollar zum Budget und damit 34 % des Nettoeinkommens der Eliteuniversität bei – nach nur Wert auf eine langfristige Partnerschaft. 10 % im Jahr 1985. In den vergangenen 20 Jahren ist diese Quote annualisiert um 9,2 % gestiegen. Durchschnittlich arbeiten wir 12 bis 14 Jahre mit einem Manager zusammen. leitwolf: Ihr 30-jähriges Dienstjubiläum liegt hinter Ihnen. In dieser Zeit haben Sie viel Stresstests und Szenarioberechnungen leitwolf: Yale gehört mit einer Performance gesehen. Wie haben Sie die Finanzkrise 2008 kamen wir auf eine Quote von 50 %. von rund 13 % pro Jahr zu den Top-Investoren erlebt? weltweit. Was ist der entscheidende Faktor, leitwolf: Für wie liquide halten Sie die Kapital- um weiter in der Top-Liga mitzuspielen? David F. Swensen: Es war eine schreckliche märkte heute noch? Zeit. Der Wert illiquider Anlagen stürzte David F. Swensen: Dafür zu sorgen, dass praktisch über Nacht ins Bodenlose, denn David F. Swensen: Die Liquidität, die an- unser Investment-Office über ausrei- alle brauchten plötzlich Geld. Nicht so geblich im Markt sein soll, gibt es faktisch chende Ressourcen verfügt. Mein Team unsere Stiftung, sodass wir Ruhe bewah- nicht. Börsenkurse, die wir für Unter- besteht aus 31 Mitarbeitern, fünf davon ren und sogar davon profitieren konnten, nehmens- oder Hochzinsanleihen auf dem sind Anwälte. Der Rest, ich selbst einge- dass alle anderen Investoren Illiquidität Bildschirm des Handelssystems sehen, schlossen, ist damit beschäftigt, Invest- gemieden haben und solche Vermögens- sind reine Fiktion. mentopportunitäten zu finden. werte extrem billig waren. Wir taten das Gegenteil und kauften. Das Einzige, was leitwolf: Wie reagieren Sie darauf? leitwolf: Vielen Dank, Herr Swensen, für ich heute bedauere, ist, dass wir damals das Gespräch. nicht mehr Geld zur Verfügung hatten, David F. Swensen: Ich bin immer stärker um noch mehr zu kaufen. davon überzeugt, dass privates, also außerbörslich angebotenes Kapital die leitwolf: Wo liegt Ihre Zielquote für illiquide bessere Form der Kapitalanlage ist. Investments heute? Deshalb glauben wir, dass es die richtige Entscheidung ist, mit einer Venture- David F. Swensen: Nach der Finanzkrise Beteiligung durch dick und dünn zu steckten wir viel Arbeit in die Analyse, gehen und die intensive Partnerschaft um das kritische Niveau für illiquide mit unseren dortigen Managern beizu- Das Gespräch in Investments zu ermitteln. Nach etlichen behalten. voller Länge Erfahren Sie mehr über das Erfolgsrezept von Yale. Das Interview mit David F. Swensen in voller Länge finden Sie in der Onlineaus- „Das Vermögen einer Stiftung zu verwalten ist eine Position des Vertrauens gabe dieses Magazins unter und kein Sprungbrett für die Karriere.“ Zitatgeber David F. Swensen, der in www.leitwolf-magazin.de Yale u. a. bei James Tobin Economics studiert hat und seit 1985 für das mitt- lerweile 27 Milliarden Dollar große Stiftungsvermögen der altehrwürdigen Universität verantwortlich ist, ist Überzeugungstäter. Auch nach 32 Jahren in demselben Job spürt man die Leidenschaft, mit der der hochgewachsene 64-Jährige den Herausforderungen des Kapitalmarkts trotzt. An Ruhestand denkt er noch lange nicht. 19
Think alpha | leitwolf 004 „Wir wollten zeigen, dass es fundamental anders geht“ Die Post fährt bereits mit seinen Elektro-Lieferwagen, nun baut Günther Schuh ein bezahlbares E-Auto für die Stadt und mischt damit die Autoindustrie auf. Wie können der Professor für Produktionssystematik und sein Start-up e.GO Mobile AG die Finanzbranche in Sachen Innovation inspirieren? Ein Gespräch über Produktentwicklung, die Vorzüge der Rolle als „Underdog“ und den Mut, andere Wege zu gehen. Protokolliert von Ina Lockhart. Fotos von Markus Kirchgessner um neue Wege im Asset Management zu gehen. Damals war der Fondsmarkt weitge- hend unter den bankeneigenen Vermögens- verwaltern aufgeteilt. Wie ist es Ihnen den- noch gelungen, sich erfolgreich am Markt zu etablieren? Ralf Lochmüller: Einen völlig unab- „In der Stadt hängigen Asset Manager mit partnerschaft leitwolf: Herr Professor darf ein Verbren- auch ein anderes Fahr- licher Unternehmensstruktur zu gründen, Schuh, Sie sind mehrfacher nungsmotor morgen zeugkonzept verfolgen. war im Jahr 2000 in der Tat ungewöhn- Unternehmensgründer und nicht mehr gestartet lich. Gestartet sind wir mit Fonds leidenschaftlicher Ingenieur. werden.“ leitwolf: Was genau lösungen im Segment der euro- Gerade haben Sie die Pro- machen Sie anders? päischen Small & Mid Caps, für duktion für Ihren „e.GO Life“ das wir schon damals ein sehr gestartet, der ab 12.000 Euro Prof. Dr. Günther spezialisiertes Know-how zu haben ist. Wieso gelingt Ihnen Schuh: Bei der Autoherstel- hatten. Mit einer positiven das und nicht den Daimlers oder Teslas lung werden die Produktions- Besessenheit für kleine und dieser Welt? techniker oft erst am Ende gefragt. mittlere Unternehmen, Wir haben den Spieß einfach umgedreht, die einem strukturierten Prof. Dr. Günther Schuh: Die etab- Konstrukteure weggelassen und selbst entwi- Investmentansatz und lierten Autohersteller denken in großen ckelt. Beispielsweise haben wir erst einmal auf dem Mut, abseits der Serien und Reichweiten. Bei Elektroautos einen eigenen Motor – das Kapitalintensivste Benchmark zu inves- kommen sie damit allerdings nicht richtig im Automobilbau – verzichtet und diesen tieren, konnten wir hier weiter, weil die Batterien bei Fahrzeugen stattdessen zugekauft. Den Rahmen (Space für unsere Anleger von mit hoher Reichweite einfach zu teuer sind. Frame) bauen wir mit Standardprofilen aus Beginn an einen nach- Autokäufer akzeptieren aber eher eine ein- Aluminium, die Außenhaut aus Thermoplas- haltigen Mehrwert in geschränkte Reichweite als einen hohen Preis. ten bekommen wir von Parat. Auf diese Form einer kontinuier Daher konzentrieren wir uns mit unseren Weise konnten wir unsere Entwicklungskosten lichen Outperformance Modellen auf die Stadt, wo Elektromobilität auf etwa 35 Millionen Euro senken. Ein eta erzielen. Heute bieten wir bezahlbar ist und wo sie angesichts der ge- blierter Hersteller hätte dafür vermutlich bis zudem Strategien im Bereich sundheitsschädlichen Abgase auch am drin- zu 500 Millionen Euro investiert. Alternative Solutions an – ebenfalls gendsten benötigt wird. Den niedrigen Preis mit dem Anspruch, für unsere können wir realisieren, weil wir in der Produkt- leitwolf: Herr Lochmüller, Sie sind vor Kunden alternative Renditequellen entwicklung einige Dinge anders machen und mittlerweile 18 Jahren ebenfalls angetreten, zu erschließen. 20
leitwolf 004 | Think alpha leitwolf: In Ihren Branchen sind Sie damit Prof. Dr. Günther Schuh: Die Goliaths bis zu 100.000 Elektroautos pro Jahr in drei jeweils so etwas wie der „David“, der sich in meiner Branche haben uns Produktions- Baureihen bauen. Die Herausforderung wird gegen mehrere „Goliaths“ behauptet. Welche techniker aus Aachen lange Zeit nicht ernst dabei sein, tragfähige Joint Ventures und Vorteile hat diese Rolle als „Underdog“? genommen. Dabei war es gar nicht unbedingt Partnerschaften für den Vertrieb, vor allem Gibt es auch Nachteile? mein Ziel, den OEMs Konkurrenz zu machen. auch im Ausland, zu vereinbaren. Ich wollte ein Auto in Reinform entwickeln, Ralf Lochmüller: Bei den Goliaths um zu zeigen, dass es fundamental anders geht. leitwolf: Herr Lochmüller, in Ihrer Branche sind es vor allem die Vertriebskanäle, die den Das hat mich schon beim „StreetScooter“ ist es ebenfalls oft so, dass die Initiative Erfolg der Produkte ausmachen. Spezialisten angetrieben, von dem bis heute 7.500 Stück für ein neues Produkt aus den Bereichen brauchen dagegen besondere Lösungen und für die Deutsche Post ausgeliefert wurden – Marketing und Vertrieb kommt und dass das Alphaquellen, um diese für die Kunden in Tendenz steigend. Mit unserem Viersitzer Portfolio-Management, die „Produktion“, Performance umzuwandeln. Der größte Vor- e.GO Life gehen wir nun einen Schritt weiter. erst zur Umsetzung hinzugezogen wird. teil ist aber sicherlich unsere Unabhängigkeit. Derzeit haben wir 2.700 Bestellungen vor Wie ist das bei Lupus alpha? Das bedeutet, dass wir kompromisslos Nein liegen, ab November 2018 werden die ersten sagen können zu Konzepten, die uns nicht Modelle ausgeliefert. Mittelfristig wollen wir überzeugen. Der Nachteil: Underperformance Der neue e.GO Life beweist, ist nicht akzeptabel. Als mittelständisches dass Elektromobilität form- schön und dynamisch sowie Unternehmen sind wir zu besonderer Qualität ohne Aufpreis möglich ist. und Innovationsfähigkeit verpflichtet. Stimmen diese über längere Strecken nicht, haben wir keine Daseinsberechtigung. 21
Think alpha | leitwolf 004 Prof. Dr. Günther Schuh und Ralf Lochmüller im Werk von e.GO Mobile in Aachen. im Netz. Über 300 Unternehmen engagieren sich auf dem Campus in 26 Centern, 12 Center stehen dabei unter meiner Verantwortung. Wir haben damit Zugriff auf rund 2.500 Mit- arbeiter. In diesem einzigartigen Ökosystem forschen und entwickeln wir an Themen, die für die Mobilität der Zukunft relevant sind. Auf diese Weise können wir einen kontinuier- lichen Forschungsinput sicherstellen, der sich natürlich auch in unseren Elektroautos wiederfindet. Die enge Verbindung zu den Fakultäten und Forschungseinrichtungen er- möglicht es uns übrigens auch, junge Talente nach ihrem Abschluss für uns zu gewinnen. Im Augenblick stellen wir circa 15 neue Leute pro Monat ein. leitwolf: Herr Lochmüller, welche Rolle spielt die Wissenschaft für neue Produkt entwicklungen im Asset Management? Ralf Lochmüller: Der Austausch mit der Wissenschaft ist in jeder Branche essenziell. So werden immer wieder neue Impulse ge- neriert. Die letzten BAI-Wissenschaftspreis- Verleihungen haben beispielsweise bei Lupus alpha stattgefunden. Über den Aus- tausch mit Universitäten sowie auch über Masterarbeiten und Studien findet eine sinn- volle Transformation von der Wissenschaft in die Anlagepraxis statt. Aber man muss auch die Grenzen erkennen. An den Kapital- märkten gibt es keine Garantien oder Natur- gesetze. Insofern ist es entscheidend, nicht blind an mathematische oder andere theo retische Modelle zu glauben. Wohin das führen kann, hat die letzte Finanzkrise oder auch die LTCM-Krise gezeigt, an der immer- hin zwei Nobelpreisträger beteiligt waren. Den gesunden Menschenverstand darf man nicht ausschalten. Ralf Lochmüller: In der Finanzbranche Produkte ist es enorm wichtig, dass Portfolio- wird mit dem Begriff „Innovation“ teilweise Management, Produktmanagement und Ver- leitwolf: Noch einmal zur Produktent sehr inflationär umgegangen. Ein neues trieb eng zusammenarbeiten. Kleine Teams wicklung. In Ihrer Branche gibt es ja häufig Produkt oder eine neue Verpackung ist aber also, wenig Bürokratie. So sind wir beweglich. den Vorwurf, dass neue Fonds einfach an noch längst keine Innovation. Es wird erst den Markt gebracht werden, ohne vorher dann zur Innovation, wenn es beim Kunden leitwolf: Herr Professor Schuh, e.GO ist bewiesen zu haben, dass die zugrunde wirklich einen nachhaltigen Nutzen stiftet. mit 200 Mitarbeitern ebenfalls noch klein liegenden Strategien funktionieren. Wie Es muss dazu den erhofften, risikoadjustierten und wendig. Von welchen Strukturen testen Sie neue Anlagestrategien? Performance-Beitrag innerhalb eines Portfolios profitiert Ihr Unternehmen bei der Pro- liefern. Um das zu erreichen, steht bei uns duktentwicklung? Ralf Lochmüller: Das ist eine ganz eher die „Ingenieursleistung“ im Vordergrund. spannende Frage. In der klassischen Industrie Wir binden die Portfolio-Manager daher Prof. Dr. Günther Schuh: Wir sitzen gilt: Wer innovativ sein will, muss Risiken sehr frühzeitig ein. Bei der Einführung neuer hier am RWTH Aachen Campus wie die Spinne eingehen und auch bereit sein zu scheitern. 22
leitwolf 004 | Think alpha Die Revolution aus Aachen Elektromobilität als Passion: Nachdem Günther Schuh seinen „StreetScooter“ an die Deutsche Post verkauft hatte, wollte der heute 59-Jährige eigentlich etwas kürzertreten. Der Vorsatz hielt nur wenige Wochen, da machte sich der umtriebige Professor für Produktions- systematik mit einer weiteren Idee selbstständig und gründete im März 2015 die e.GO Mobile AG. Zwei Jahre später präsentierte er auf der CEBIT sein erstes Serienmodell „e.GO Life“, das ab Herbst 2018 ausgeliefert wird. Sein kleines Stadtauto soll schöner, nützlicher und besser sein als alles, was die etablierte Konkurrenz zu bieten hat – und vor allem günstiger. Den revolutionär niedrigen Preis von 15.900 Euro (abzüglich 4.000 Euro Umweltprämie) erzielt er durch eine radikal hat, unterstützt wird. Über die Unterschiede, aber auch die Gemeinsam- andere, eigene Produktentwicklung, welche durch das Forschungs- keiten eines Start-ups in der Automobilbranche und eines unabhän- umfeld des RWTH Aachen Campus, an dem Schuh sich über viele gigen Spezialisten im Asset Management haben Prof. Dr. Günther Jahre ein einzigartiges Ökosystem für Produktionstechnik aufgebaut Schuh und Ralf Lochmüller diskutiert. Scheitern als Chance – das ist oft das Mantra, nämlich nicht nur schön, sondern auch sicher wird er erst, wenn man eine ökologisch das auch im Silicon Valley immer wieder sein. Tatsächlich hat der e.GO Life vorn und ökonomisch vertretbare Ersatzlösung vorgetragen wird. Bei neuen Anlagestrategien eine ebenso große Knautschzone wie eine gefunden hat. Am Ende läuft es wohl auf ist das allerdings ein Problem, denn das S-Klasse! Ich war selbst verblüfft, dass meine die Brennstoffzelle als Range Extender Scheitern zahlt in der Regel der Kunde: durch Entwickler das bei einem nur 3,35 Meter hinaus. Und übermorgen ist diese auch eine schlechte Performance oder durch Kapi- langen Fahrzeug hinbekommen haben. Alles bezahlbar. talverlust. Daher ist es wichtig, neue Anlage- in allem hat die Entwicklung des Life rund strategien zu testen – und zwar „live“ und drei Jahre gedauert. leitwolf: Herr Professor Schuh, Herr nicht nur im Backtest. Wir tun dies gemeinsam Lochmüller, wir danken Ihnen für das mit interessierten institutionellen Investoren leitwolf: Was sind Ihre nächsten Projekte? Gespräch. und nehmen uns die Zeit, die Performance- Wann wird der Verbrennungsmotor von der Entwicklung neuer Produkte zu beobachten, Brennstoffzelle abgelöst? bevor wir sie in den breiten Vertrieb geben. Prof. Dr. Günther Schuh: Neben leitwolf: Herr Professor Schuh, wie testen dem e.GO Life, der ab November 2018 Sie neue Produkte? Wie lange hat es bei- ausgeliefert wird, arbeiten wir gerade an spielsweise von der Idee für Ihr Life-Modell dem „e.GO Mover“, einem ÖPNV-fähigen bis zum fertigen Prototypen gedauert? Kleinbus, der 2019 auf die Straßen kommt. Hierfür haben wir ein Joint Venture mit Mehr zum e.GO Life? Prof. Dr. Günther Schuh: Wir ändern ZF geschlossen. Außerdem planen wir ein Eine Fotostrecke zur Entwick- und testen natürlich auch ständig an unseren etwas größeres Kompaktauto, den „e.GO lung des neuen E-Autos finden Prototypen, bevor diese in Serie gehen. Bei Booster“, der auch als „Familientaxi“ für Sie in der Onlineausgabe unserem e.GO Life beispielsweise gab es Familien mit vielen Kindern oder Klein dieses Magazins: 42 Designänderungen, bis wir zufrieden kindern mit Kinderwagen tauglich sein wird. www.leitwolf-magazin.de waren und ihn für die Produktion freigegeben In zehn Jahren wollen wir eine Flotte von haben. Ein Auto muss schön sein, sonst kauft fünf bis sechs Fahrzeugtypen etabliert haben. es keiner. Aber auch an der Technik haben wir Dabei setzen wir auch weiterhin auf Koope- hochiterativ gefeilt. Die Idee für ein kleines rationen – und auf kurze Reichweiten. Den Elektroauto hatte ich schon beim StreetScooter. Verbrennungsmotor wird es in 30 Jahren Damals hatte ich aber eher ein Microcar sicher noch geben, aber in der Stadt darf er im Kopf, was es wegen des Sicherheitsaspekts nicht mehr gestartet werden. Der hybridelek- dann nicht geworden ist. Ein Auto muss trische Motor treibt ihn dann an. Abgelöst 23
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