BetrieBspraxis & arBeitsforschung - Institut angewandte ...

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BetrieBspraxis & arBeitsforschung - Institut angewandte ...
Betriebspraxis &
    Arbeitsforschung
    Zeitschrift für angewandte Arbeitswissenschaft               Ausgabe 226 | Februar 2016

             r ie:
     Neue Se
      Führung

Interview: Den Wandel gestalten! Lutz Stratmann, Demografie-Agentur Niedersachsen
Kreativitätstechnik: Im Kopfstand Probleme lösen
Entgelt-Statistik: Wie M+E-Verbände in Zeiten des Wandels wichtige Leitplanken schaffen
Ganzheitliche Produktionssysteme: Warum GPS im Angestelltenbereich hakt
Das REFA-Haus: Wie erfolgreiche Unternehmen ihre Arbeit organisieren
Best Practices: Was exzellente Betriebe gut machen — die ifaa-Benchmarkreise
Lebenslanges Lernen: Wie Unternehmen Bedingungen dafür schaffen
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Inhalt

Editorial                                                                                        03

Interview
Den Wandel gestalten! Ein Gespräch mit Lutz Stratmann, Geschäftsführer der Demografie-Agentur
Niedersachsen                                                                                    04

Aktuelles
Meldungen: Robotikbranche wächst; »Land der Ideen« zeichnet schlaue Roboter-Software aus;
VDI-Kampagne »Ingenieursgeschichten«; Industrie 4.0: KMU trifft Fachkräftemangel besonders;
Destatis zu »überlangen« Arbeitszeiten; Gut für Integration: OECD lobt duale Ausbildung;
Deutsche Industrie 4.0. macht Schule in China; DAK-»Psychoreport«: Mehr Fehltage, weniger Burnout;
ifo-Prognose: Aufschwung geht »verhalten« weiter                                                  10
Betriebssicherheitsverordnung 2015 — Chance beim Verwenden von Arbeitsmitteln                    13
Nörgeln erlaubt: Mit der Kopfstandtechnik kreativ Probleme lösen                                 16

Führung
Die Führung als wesentlicher Faktor für den Unternehmenserfolg                                   18

Arbeitszeit und Vergütung
Hessen, Pfalz und Saarland: Entgelt-Statistik in den M+E-Verbänden                               26

Unternehmensexzellenz
Ganzheitliche Produktionssysteme bei Angestelltentätigkeiten in der Industrie                    30
Wie erfolgreiche Unternehmen ihre Arbeit organisieren                                            38
ifaa-Benchmark-Reise: exzellente Unternehmen besucht                                             46

Arbeits- und Leistungsfähigkeit
Lern- und Veränderungsfähigkeit durch lebenslanges Lernen erhalten                               52

Kurzweiliges                                                                                     58

Glossar
Humanorientiertes Produktivitätsmanagement                                                       59

Medien
Arbeitsorganisation erfolgreicher Unternehmen — Wandel in der Arbeitswelt                        60

Veranstaltungen                                                                                  61

Titel und Inhalte früherer Ausgaben                                                              62
Impressum                                                                                        62
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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Demografiefestigkeit — vor allem in kleineren und mittleren     Unabhängig davon bleibt natürlich das Arbeitsentgelt eine
Unternehmen ist dieses wichtige arbeitswissenschaftliche        wichtige Größe. Die Verbandsingenieure Wolfgang Kohler,
Handlungsfeld noch nicht ausreichend im Bewusstsein ange-       Ralf Mertel und Nikolaus Schade stellen in diesem Heft die
kommen. Das stellt Lutz Stratmann, Chef der Demografie-         Entgeltstatistik ihrer M+E-Verbände vor. In Zeiten rapider
Agentur in Niedersachsen, fest. Der frühere langjährige nie-    Veränderung sind solche tariflichen Leitplanken wichtiger
dersächsische Wissenschaftsminister ist unser Gesprächs-        denn je für die Planung der Betriebe.
partner im Interview dieser neuen Ausgabe von                         Essenziell für den Unternehmenserfolg ist es, ständig
Betriebspraxis & Arbeitsforschung.                              produktiver zu werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein
      Doch wie können wir KMU motivieren, sich hier jenseits    Schlüssel dazu sind Ganzheitliche Produktionssysteme, GPS.
des fordernden Tagesgeschäftes stärker zu engagieren? Be-       Deren in der Produktion so erfolgreicher Vormarsch stockt
merkenswert fand ich Stratmanns Ausführungen zum Return         jedoch im Angestelltenbereich. Jörg Abel und Peter Itter-
on Invest von Maßnahmen, mit denen sich Betriebe fit für        mann, TU Dortmund, analysieren in ihrem Beitrag auf Basis
den demografischen Wandel machen können. Zu Recht weist         einer empirischen Untersuchung die Gründe.
er beispielsweise darauf hin, dass die Altersstruktur zuneh-          Orientierung für den Unternehmenserfolg bietet das
mend in die Bewertung von Unternehmenswerten eingeht;           REFA-Haus. Gemeinsam mit Ralph W. Conrad beschreibt
Know-how in dieser Frage und rechtzeitiges Handeln können       Patricia Stock, Leiterin des REFA-Instituts, in dieser Ausgabe,
also bares Geld wert sein.                                      wie Unternehmen hier Methoden und Werkzeuge finden, um
      Ein weiterer Aspekt aus dem Interview ist mir gleicher-   den Wandel der Arbeitswelt erfolgreich zu bewältigen.
maßen wichtig: Uns an der Schwelle zur Industrie 4.0 für              Angewandte Arbeitswissenschaft betreiben wir beim
eine erfolgreiche Zukunft aufzustellen geht über Maßnah-        ifaa, wie der Name unseres Instituts bereits sagt. Der Bericht
men in den Unternehmen und die alleinige Fachkräftesiche-       über eine Benchmarkreise bietet interessante Einblicke, was
rung selbst hinaus. Breitbandnetze als unverzichtbarer Teil     Unternehmen praktisch tun, um Exzellenz zu entwickeln und
digitaler Infrastruktur müssen auch in bevölkerungsärmeren      auszubauen. Auch diese Ausgabe unseres Magazins verbindet
Regionen vorhanden sein. Das wird nicht ohne weitere Infra-     so Theorie und Praxis, um Erfolg zu schaffen, den ich Ihnen
strukturanstrengungen des Staates gehen. Das Fazit aus          allen für das Jahr 2016 von Herzen wünsche.
diesem Gespräch: Arbeitswissenschaft, Unternehmen und
Öffentlichkeit sind gefordert, damit wir gemeinsam in eine      Herzlichst Ihr
produktive Zukunft 4.0 starten können.                          Sascha Stowasser
      Führung spielt dabei die entscheidende Rolle. Gerade
auch in altersgemischten Belegschaften der Zukunft sind
Führungskräfte über das Fachliche hinaus gefordert. Das stel-
len Peter Grass, Manager bei Man Truck & Bus und Vor-
standsvorsitzender des ifaa, sowie unser Autor Sven Hille in
einem lesenswerten Aufsatz fest. Dieser ist Auftakt einer
Serie von Beiträgen, die ausloten werden, wie Führung zum
Unternehmenserfolg beitragen kann.

                                                                                   ifaa | Betriebspraxis & Arbeitsforschung 226 | 2016   3
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Den Wandel gestalten!
                                     Der frühere niedersächsische Wissenschaftsminister Lutz Stratmann ist
                                     Geschäftsführer der Demografie-Agentur Niedersachsen. Diese vom
                                     Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall, DGB, IGBCE, der AOK, den
                                     Handwerkskammern und weiteren Organisationen getragene und vom
                                     Land unterstützte Agentur macht Betriebe mit individueller Beratung
                                     für den Strukturwandel, der vor allem auch durch die demo­grafischen
                                     Ver­­änderungen bestimmt wird, fit. Die Fragen stellte Carsten Seim.

                                     Haben alle Unternehmen die demografische             den kann. Ein wichtiges Thema ist auch das
                                     Herausforderung bereits in ausreichendem             Wissensmanagement: Wenn in den kommen-
                                     Maße erkannt?                                        den zehn Jahren zum Beispiel 25 bis 30 Pro-
                                                                                          zent der Belegschaft eines Betriebes in die
                                     Hier gibt es ein Groß-Klein-Gefälle. Während         Rente gehen, verlässt auch deren Erfahrungs-
                                     sich in Konzernen ganze Abteilungen mit den          wissen den Betrieb. Ich muss systematisch da-
                                     Auswirkungen der Demografie auseinanderset-          für sorgen, dass dieses Wissen im Unterneh-
                                     zen, ist das Thema in KMU noch nicht ausrei-         men bleibt. Wir haben dafür Methoden und
                                     chend angekommen. Allerdings ist mir wichtig         Tools, die wir in den Betrieben umsetzen.
                                     darauf hinzuweisen, dass es schon lange nicht
                                     mehr nur um die demografischen Veränderun-           Für wen steht Ihre Beratung offen?
                                     gen geht. Es geht um die erfolgreiche Bewälti-
                                     gung der drei Megatrends »Internationalisie-         Grundsätzlich für jedes Unternehmen, das bei uns
                                     rung«, »Demografischer Wandel« und »Digi­            anklopft. Gerade kleineren Unternehmen greifen
                                     talisierung«. Diese Megatrends sind eng              wir dabei finanziell unter die Arme. Betriebe mit
                                     miteinander verknüpft und betreffen die­selben       bis zu zehn Mitarbeitern können sich im Rahmen
                                     betrieblichen Handlungsfelder.                       des Projektes »unternehmens-Wert:Mensch«
                                                                                          80 Prozent der Beratungskosten von täglich bis
                                     Und da kommen Sie als Demografie-                    zu 1 000 Euro für eine Dauer von bis zu zehn Be-
                                     Agentur ins Spiel?                                   ratungstagen erstatten lassen, wenn sie die ent-
                                                                                          sprechenden Voraussetzungen erfüllen. Unter-
                                     Wir sind grundsätzlich für alle Unternehmen of-      nehmen zwischen 10 und 249 Beschäftigten kön-
                                     fen. Vor allem aber sind wir in Niedersachsen für    nen sich je nach Umsatzgröße 50 Prozent der
                                     KMU der M+E-Industrie aktiv: Niedersachsen­          Beratungskosten bezuschussen lassen.
                                     Metall hat uns beauftragt, das Thema in seine
                                     Verbandsunternehmen zu tragen. Unseren zwei-         Was tun Sie konkret für die Unternehmen?
                                     ten Großauftrag erledigen wir bundesweit für den     Vor allem unterstützen wir diese darin, die Ar-
                                     Arbeitgeberverband der Kautschuk-Industrie und       beitsfähigkeit der Belegschaften zu erhalten.
                                     dessen Tarifpartner IGBCE. Sie hatten bereits 2010   Das hat natürlich immer auch mit der Verbesse-
                                     in einem Tarifvertrag vereinbart, Maßnahmen zu       rung von Arbeitsbedingungen zu tun. Unsere
    unternehmensWert:Mensch
                                     entwickeln, um die Folgen des demografischen         Berater schauen sich beispielsweise das Arbeits-
    Dieses Programm wird ge-         Wandels zu bewältigen. Sie haben uns beauftragt,     umfeld an — etwa die Lichtverhältnisse oder
    speist aus dem Experten­         diesen Anspruch in die Tat umzusetzen.               auch die Geräuschemissionen. Ältere brauchen
    wissen der Initiative Neue
                                                                                          gutes Licht zum Arbeiten. Unsere Beratung soll
    Qualität der Arbeit (INQA) und
    steht im Kontext der Fach-       Um welche Themen geht es da?                         aber auch Mentalitätsveränderungen bewirken.
    kräfte-Offensive der Bundes­
    regierung. Finanziert wird       Zum Beispiel um Personalführung, also Perso-         Zum Beispiel?
    unternehmensWert:Mensch
                                     nalplanung und -entwicklung, um Arbeitszeit-
    aus Mitteln des Europäischen
    Sozialfonds (ESF) und des        modelle, aber auch um Gesundheit, vor allem          Wenn der Betrieb Mitarbeiter im Rahmen eines
    Bundesministeriums für           um die Schaffung alternsgerechter Arbeits-           Gesundheitsmanagements zu gesundheitsbe-
    Arbeit und Soziales (BMAS).      plätze und Arbeitsbedingungen, wodurch die           wusstem Verhalten anhält, dann müssen natür-
    Internet: unternehmens-
                                     Arbeitsfähigkeit einer älter werdenden Beleg-        lich auch die Führungskräfte mit gutem Beispiel
    wert-mensch.de
                                     schaft langfristig erhalten und verbessert wer-      vorangehen. Einem älteren Mitarbeiter, der aus

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Interview

einer Zeit kommt, in der viele Menschen noch                                                                 Lutz Stratmann im Inter­
ein Leben lang ein und dieselbe Aufgabe versa-                                                               view. In unseren Foto zeigt
hen, soll klar werden, dass er mit Mitte 50 noch                                                             er eine Deutschlandkarte.
                                                                                                             In den roten Bereichen ist
einmal grundlegend Neues lernen muss, um sei-
                                                                                                             die demografische Situa­
ne Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten. Wir ar-
                                                                                                             tion besonders prekär.
beiten hierbei mit Workshops. Die Teilnehmer
sollen im Anschluss als Multiplikatoren in den
Betrieb hineinwirken. Dazu gehört auch, dass
langjährige Mitarbeiter unter Umständen von
Führungskräften angeleitet werden, die viel-
leicht 30 Jahre jünger sind als sie selbst. Das
fällt vielen sehr schwer.

Ist es richtig, vor allem die Unternehmer­           sich in Anbetracht einer früheren Rente noch
seite für das Gesundheitsmanagement ver-             Veränderungen zu stellen, gesunken sei. Ein Be-
antwortlich zu machen?                               triebsratsvorsitzender eines sehr großen Auto-
                                                     mobilzulieferers hat mir berichtet, wie er einen
Arbeitnehmer tragen natürlich auch eine Eigen-       60-jährigen Mitarbeiter ohne finanzielle Nach-
verantwortung für die eigene Gesundheit und          teile aus der Nachtschicht herausnehmen und
berufliche Entwicklung. Diese Erkenntnis ist         für eine neue Aufgabe fortbilden wollte. Der
wichtiger denn je, denn wir werden ja künftig        habe geantwortet: »Lass mal sein, die paar Jahre
ein Regelrenteneintrittsalter von 67 haben.          schaffe ich auch noch. Ich will mir doch von
                                                     Jungen nichts mehr erzählen lassen.«
Theoretisch ja. Doch aktuell hat diese Bun-
desregierung den Demografie-Experten erst            Und Ihre Beratung kann dafür sorgen, dass
                                                                                                               Langjährige Mitar­
einmal die Rente mit 63 nach 45 Beitrags-            sich das ändert?
                                                                                                               beiter werden unter
jahren vorgesetzt. Wie stehen Sie dazu?
                                                                                                               Umständen von Füh­
                                                     Mittel- und langfristig setzen wir auf veränderte
                                                                                                               rungskräften ange­
Jeder hat sich nach 45 Beitragsjahren seine          Unternehmenskulturen, die solche Veränderun-
                                                                                                               leitet, die vielleicht
Rente redlich verdient. Dennoch ist diese Ent-       gen bewirken. Aber natürlich gibt es da keine
                                                                                                               30 Jahre jünger sind
scheidung aus meiner Sicht vor allem proble-         Patentlösung. Wir versuchen, die Leute zum Bei-
                                                                                                               als sie selbst. Das fällt
matisch, weil sie dafür sorgt, dass in vielen Un-    spiel in Workshops mitzunehmen. Diese sind re-
                                                                                                               vielen sehr schwer.
ternehmen ausgerechnet die erfahrenen Fach-          präsentativ durch alle Betriebsebenen besetzt —
arbeiter und Experten jetzt früher gehen, auf        und wir hoffen, dass die Teilnehmer als Multi-
die in Anbetracht der sich beschleunigenden          plikatoren in die Betriebe hineinwirken. Wir
Veränderungen der Arbeitswelt nicht verzichtet       werden aber den heute 63-Jährigen mit ganz
werden sollte. Zudem ist mit dieser Weichen-         anderer Sozialisierung nicht zu einem Fan län-
stellung eine Botschaft verbunden, die unsere        gerer Lebensarbeitszeiten machen. Unsere Ziel-
Bemühungen, lebenslanges Lernen in die Köpfe         gruppe sind die heute 50-Jährigen und alle fol-
zu tragen, konterkariert. Der HR-Chef eines mit-     genden Kohorten. Gemeinsam mit ihnen erar-
telständischen Unternehmens zeichnete jüngst         beiten wir Empfehlungen für Unternehmen.
das Bild seiner älteren Mitarbeiter, durch das       Dazu gehört auch eine veränderte Haltung der
diese Sorge bestätigt wird, weil die Bereitschaft,   Entscheider: Diese sind aufgerufen, der Beleg-

                                                                                       ifaa | Betriebspraxis & Arbeitsforschung 226 | 2016   5
BetrieBspraxis & arBeitsforschung - Institut angewandte ...
Interview

                                     schaft zu vermitteln, dass das Unternehmen          Noch einmal zurück zum ROI: Wie zahlt sich
                                     auch in Zukunft auf sie baut und sie nicht in       Wissens-Management aus?
                                     den Vorruhestand abschieben will. In einem sol-
                                     chen Führungsumfeld kann die Arbeitsfähigkeit       Jüngst war ich in einem Unternehmen, das För-
                                     von Mitarbeitern bis 60 und darüber hinaus auf      derschnecken herstellt. Der Materialtransport ist
                                     dem Stand von 45 gehalten werden.                   zum einen von der Beschaffenheit des Materials
                                                                                         und zum anderen von der Oberflächenstruktur
                                     Das sind wirklich dicke Bretter, die Sie da         der Förderschnecke abhängig. Es braucht viel
                                     bohren wollen...                                    Erfahrungswissen, damit hier alles perfekt auf-
                                                                                         einander abgestimmt ist. Nach dem altersbe-
                                     In Schweden würden bis zu einem Lebensalter         dingten Weggang erfahrener Fachkräfte kam es
    Das Thema »Demogra­              von 65 Jahren nur wenige auf den Gedanken           plötzlich zu mehr Kundenreklamationen. Jede
    fie« erschöpft sich              kommen, die eigene Arbeitsfähigkeit für beein-      davon kostet im Schnitt rund eine halbe Million
    nicht darin, wie ich             trächtigt zu halten. Viele Deutsche setzen diesen   Euro. Wir arbeiten in diesem Unternehmen jetzt
    auch bei knapper wer­            Zeitpunkt schon bei 56 oder 57 Jahren an. Die       an einem Wissensmanagement-System. Und
    denden Humanres­                 Differenz von sieben bis acht Jahren muss Grün-     wenn es dadurch gelingt, die Zahl der Rekla­
    sourcen meinen Fach­             de haben. Natürlich haben die Schweden keinen       mation nur geringfügig zu reduzieren, ist der
    kräftebedarf decken              mit Deutschland vergleichbaren industriellen        finanzielle Nutzen bereits gegeben.
    kann. Es geht auch               Komplex. Dennoch zeigt das Beispiel einen men-             Ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld sind
    darum, wie die Unter­            talen Nachholbedarf in Deutschland auf. Das         Konzepte, wie wir zu einem späteren Rentenein-
    nehmen Vorausset­                Thema »Demografie« erschöpft sich ja nicht da­      tritt kommen. Zurzeit liegt der Durchschnitt bei
    zungen für ein erfolg­           rin, wie ich auch bei knapper werdenden Hu-         den von uns beratenen Betrieben bei 62,4 Jah-
    reiches Change-Ma­               manressourcen meinen Fachkräftebedarf decken        ren. Wie können wir es schaffen, diesen auf 64
    nagement schaffen.               kann. Es geht auch darum, wie die Unternehmen       oder 65 Jahre anzuheben? Dies kann zum Bei-
                                     Voraussetzungen für ein erfolgreiches Change-       spiel über Arbeitszeitmodelle erreicht werden.
                                     Management schaffen. Gefordert sind altersge-              Das dritte Thema: Wie können Unterneh-
                                     mischte Teams. In diesen können wir die Gelas-      men in Zukunft frei werdende Stellen wiederbe-
                                     senheit, die Erfahrung, die Zuverlässigkeit und     setzen. Hier machen mir in unserem Bundesland
                                     die Detailkenntnis der Älteren, aber auch deren     vor allem die ländlichen Regionen in Südnieder-
                                     Pflichtgefühl und Loyalität, mit den Eigenschaf-    sachsen Sorgen. Für diese strukturschwachen
                                     ten der Jüngeren kombinieren, die frisch von der    Gebiete haben wir derzeit keine Lösung, die
                                     Hochschule oder aus der dualen Ausbildung           Abhilfe schaffen kann. Sie sind Teil eines von
                                     kommen und neue Erkenntnisse mitbringen.            besonders ungünstigen demografischen Merk-
                                                                                         malen geprägten Gürtels, der von Ostdeutsch-
                                     Was antworten Sie auf die Frage nach dem            land über Südniedersachsen bis nach NRW in
                                     Return-on-Invest solcher Maßnahmen?                 die Region Dortmund/Essen reicht.

                                     Ich verweise dann beispielsweise auf den Un-        Und wo punktet Niedersachsen aus demo-
                                     ternehmenswert. Denn die Altersstruktur eines       grafischer Sicht?
                                     Unternehmens geht zunehmend in dessen Be-
                                     wertung durch Banken ein. Eine strategisch          Vor allem im Nordwesten herrschen Verhältnisse,
                                     ausgerichtete Personalplanung kann hier also        die mit den erfolgreichen Regionen in Baden-
                                     bares Geld wert sein, wenn man seinen Betrieb       Württemberg oder Bayern vergleichbar sind. Wir
                                     zum Beispiel verkaufen will oder muss, weil es,     haben hier eine diversifizierte Branchenstruktur,
                                     wie in leider viel zu vielen Fällen, an einem       die durch inhabergeführte Familienbetriebe ge-
                                     Nachfolger fehlt.                                   prägt ist. Allein im Emsland haben wir weit über
                                                                                         1000 mittelständisch geprägte Maschinenbauer.
                                     Welche Optionen haben Unternehmen mit               Wir haben darüber hinaus Oberzentren wie Han-
                                     ungünstiger Altersstruktur?                         nover, Wolfsburg und Braunschweig, die die for-
                                                                                         schungsstärkste Region Europas abbilden. Die
                                     Maßnahme zur Verbesserung der Altersstruktur        Stadt Oldenburg hat sich von einer verschlafe-
                                     und die Installation eines Wissensmanagement-       nen Residenz- und Verwaltungsstadt zu einem
                                     Systems, mit dem systematisch dafür Sorge ge-       Wissenschafts- und Forschungsstandort entwi-
                                     tragen wird, dass die Älteren ihr Wissen an die     ckelt, der mit der ersten, deutschlandweiten
                                     Jüngeren weitergeben, sind in der Regel die ers-    Gründung einer medizinischen Fakultät seit
                                     ten Schritte. Personal- und Betriebsräte sind       1972, in Kooperation mit der Universität Gronin-
                                     dabei stets an Bord.                                gen, vor allem auf die Versorgungsforschung

6    ifaa | Betriebspraxis & Arbeitsforschung 226 | 2016
BetrieBspraxis & arBeitsforschung - Institut angewandte ...
Interview

setzt. Niedersachsen hat bundesweit den höchs-
ten Anteil an Studienplätzen im Bereich MINT
und Medizin. Das heißt: Wir verfügen im Bun-
desvergleich über relativ viele Nachwuchskräfte
mit einer MINT-Ausbildung.

Die Menschen ziehen in die urbanen Räume.
Bietet das Chancen für neue Unterneh-
mens-Cluster?

Nicht zwangsläufig. Ein Beispiel dafür ist das Um-
feld von Frankfurt. Auch hier nimmt die Bevölke-
rung tatsächlich zu: Ältere Menschen ziehen ins
Umfeld der Main-Metropole. Das Wohnen ist hier
günstiger, und die ärztliche Versorgung ist gut.
Dennoch nimmt die Zahl beschäftigungsfähiger
Menschen auch hier ab. Dieser problematische
Effekt würde sich noch beschleunigen, wenn die       drei Monaten darf jeder zumindest ein Praktikum              Interview in Stratmanns
kommunale Politik sich auf diese älteren Wähler      absolvieren und auch eine Ausbildung, wenn                   Büro in Hannover.
konzentriert und zum Beispiel Infrastruktur für      Arbeitsamt und Ausländerbehörde zustimmen.                   Mit Carsten Seim (rechts)
jüngere Familien wie Kitas und Schulen nicht         Doch welcher Betrieb bildet schon aus, wenn er
mehr oben auf ihrer Agenda hat. Das trifft dann      damit rechnen muss, dass sein angehender Mit-
letztlich die Unternehmen in der Region, da sich     arbeiter wieder ausgewiesen wird. Hier brauchen
dann die Probleme, junge Nachwuchskräfte zu          wir einen veränderten Rechtsrahmen.
gewinnen, weiter verschärfen würden.
                                                     Wie können die Betriebe motiviert werden,
Noch einmal zurück zu Südniedersachsen:              Flüchtlinge einzuarbeiten sowie aus- und
Was kann dieser Region helfen?                       weiterzubilden?

Ich habe viel Sympathie für Bürgermeister und        In diesem Fall muss sichergestellt sein, dass ein
                                                                                                                  Wir haben im Harz-
Landräte, zum Beispiel in Goslar, die sich im Rah-   erfolgreich ausgebildeter und integrierter
                                                                                                                  Vorland Betriebe, die
men der derzeitigen Möglichkeiten besonders für      Flüchtling auch in Deutschland bleiben kann.
                                                                                                                  verlieren in den kom­
Flüchtlinge einsetzen, damit diese sich willkom-     Wir brauchen den klassischen Spurwechsel weg
                                                                                                                  menden zehn Jahren
men fühlen und damit langfristig der Region er-      vom Aufenthaltsrecht nach der Genfer Flücht-
                                                                                                                  50 Prozent ihrer Mit­
halten bleiben. Generell sollten wir Anreize dafür   lingskonvention beziehungsweise dem Asylrecht
                                                                                                                  arbeiter. Das beein­
schaffen, dass die Zuwanderung künftig vor al-       hin zum Status eines klassischen Einwanderers.
                                                                                                                  flusst Investitions­
lem in solche Regionen erfolgt, in denen die Zahl    Bei Letzterem spielt die Frage, ob er verfolgt ist,
                                                                                                                  entscheidungen
der Menschen im beschäftigungsfähigen Alter          keine Rolle mehr. Im Vordergrund muss hier ste-
abnimmt. Wir haben im Harz-Vorland Betriebe,         hen, ob wir ihn aufgrund seiner Vorkenntnisse
die verlieren in den kommenden zehn Jahren           hier gut gebrauchen können. Das wäre ein gutes
50 Prozent ihrer Mitarbeiter in einem Umfeld,        Signal an die Ausbildungsbetriebe. Eine beruf­
in dem die Bevölkerung in den vor uns liegenden      liche Qualifikation versetzt den Zuwanderer in
20 Jahren um 30 Prozent abnimmt. Das beein-          die Lage, in Deutschland seinen Lebensunterhalt
flusst Investitionsentscheidungen. Wenn es zum       aus eigener Kraft zu bestreiten. Wenn dies der
Beispiel um die Frage geht, ob ein Unternehmen       Fall ist und er sich hier gut integriert, muss er
noch einmal erhebliche Investitionen in Industrie-   auch bleiben können. Die Unternehmen erhalten
4.0-Anlagen tätigen muss, was glauben Sie, wie       damit die Sicherheit, dass ihre in die Ausbildung
diese Entscheidung dann ausfällt?                    investierten Ressourcen gut angelegt sind.

Wie führt man die jungen Erwachsenen                 Unterm Strich: Sehen Sie die Zuwanderung
unter den Zuwanderern zum Beispiel an                nach Deutschland eher als Chance oder als
das duale System und unser industrielles             Risiko?
Arbeitsumfeld heran?
                                                     Ich sehe sie eher als Chance! Wenn wir das Pro­
Mir ist bewusst, dass viele noch nicht ausrei-       blem richtig anpacken, dann schaffen wir das.
chend qualifiziert für einen Arbeitsplatz in den     Wenn es jemand in Europa gelingen kann, dann
deutschen Betrieben sind. Ein erster Schritt: Nach   sind wir das! Eine Schlüsselrolle spielt allerdings

                                                                                          ifaa | Betriebspraxis & Arbeitsforschung 226 | 2016   7
BetrieBspraxis & arBeitsforschung - Institut angewandte ...
Interview

                                     die Notwendigkeit, möglichst viele Flüchtlinge in    gewinnen, so würde dies bereits sehr viel demo-
    Wir sind gut beraten,
                                     den kommenden Jahren in sozialversicherungs-         grafischen Druck wegnehmen und gleichzeitig
    klare Regeln zu ent­
                                     pflichtige Arbeitsverhältnisse zu bringen. Nur       unseren Unternehmen helfen.
    wickeln, damit Men­
                                     wenn uns dies gelingt, wird die Integration gelin-
    schen, die sich hier
                                     gen! Hier müssen wir im Ausländer- und Arbeits-      Welchen zentralen Herausforderungen
    integrieren und eine
                                     recht neue und unkonventionelle Wege gehen, die      sehen Sie für das Verarbeitende Gewerbe?
    Arbeit aufnehmen,
                                     dafür sorgen, dass die Unternehmen das Vertrauen
    bleiben können,
                                     haben, Menschen, die sie ausbilden oder anlernen,    Überlebenswichtig, vor allem für den Mittelstand
    auch wenn sie keinen
                                     dauerhaft weiterbeschäftigen zu können.              in ländlichen Regionen, ist an der Schwelle zur
    Flüchtlings- oder
                                                                                          Industrie 4.0 ein wirklich flächendeckender Aus-
    Asylstatus haben.
                                     Brauchen wir ein Einwanderungsrecht,                 bau der Breitbandversorgung. Mir sind Unterneh-
                                     wie es die Kanadier beispielsweise mit               men bekannt, in denen am Wochenende die kom-
                                     ihrem Punkte-System etabliert haben?                 plette IT heruntergefahren wird, um freie Daten-
                                                                                          bahnen für die Versendung von Datenpaketen an
                                     Wir werden dem kanadischen Vorbild schon aus         Kunden zu schaffen. Vor allem die öffentliche
                                     geografischen Gründen nicht gerecht, weil wir        Hand ist hier gefordert! Denn gerade auf dem
                                     mitten in Europa liegen und keine schwer über-       Land sitzt die Mehrheit unserer produzierenden
                                     windbaren, natürlichen Grenzen haben. Doch           Betriebe! Wir dürfen nicht zulassen, dass diese di-
                                     wir sind gut beraten, klare Regeln zu entwi-         gital abgehängt werden! Finanzminister Schäuble
                                     ckeln, damit Menschen, die sich hier integrieren     hat hier schon nachgesteuert. Wir brauchen aber
                                     und eine Arbeit aufnehmen, bleiben können,           noch mehr staatliches Engagement, damit sich
                                     auch wenn sie keinen Flüchtlings- oder Asylsta-      demografisch, wirtschaftlich und virtuell das
                                     tus haben. Das wäre ein klares Signal für quali-     Stadt-Land-Gefälle nicht weiter vergrößert.
                                     fizierte Zuwanderung, die uns in unserer demo-
                                     grafischen Situation nützt. Diese Menschen           Gibt es Best Practices für Unternehmen,
                                     können sich dann das Geld für Schleuser sparen       die sich besonders gut aufgestellt haben?
                                     und die Risiken abenteuerlicher Überfahrten
                                     vermeiden. Sie könnten dann zum Beispiel in          Wir zertifizieren Unternehmen, denen dies ge-
                                     ihrer Heimat einen Sprachkurs machen, um             lungen ist. Der Automobilzulieferer WABCO in
                                     ganz legal hierhin zu kommen und eine Ausbil-        Hannover oder der Familienbetrieb AMF-Bruns
                                     dung beziehungsweise Arbeit aufnehmen. Nach          in Apen im Ammerland sind zwei Beispiele.
                                     allem, was wir wissen, sind Syrer im Schnitt am      Bei AMF hat die Unternehmensführung die ge-
                                     besten qualifiziert. Wenn wir hier die Richtigen     samte Produktion umgestellt. Aus einer dunklen
                                                                                          schmiedeartigen Produktionsstätte wurde ein
                                                                                          helles, sauberes und freundliches Arbeitsumfeld.
    Die M+E-Industrie in Niedersachsen und die Demografie                                 Das Unternehmen engagiert sich von der Schule
                                                                                          bis zum Ruhestand für seine Belegschaft. Das
                                                                                          reicht von Schnuppermöglichkeiten für Schüler
                                                                                          über Hilfestellungen für Mitarbeiter, die in
                                                                                          finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, bis
                                                                                          hin zu Ergonomie am Arbeitsplatz und einem
                                                                                          umfassenden Gesundheitsmanagement für Be-
                                                                                          schäftigte. Die Zertifizierungen erfolgen in Zu-
                                                 Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäfts­      sammenarbeit mit der Landesregierung.
                                                 führer von NiedersachsenMetall
                                                                                          Finale Frage: Sehen Sie die Chance, dass
                                                                                          wir auch in Zukunft hochproduktiv bleiben
    Zitiert: »In den nächsten zehn Jahren werden wir erleben, dass die ersten
                                                                                          können?
    Unternehmen aufgrund des demografischen Wandels und des Fachkräfte-
    mangels ihre Pforten schließen müssen, gerade in den peripheren Lagen
                                                                                          Selbstverständlich! Wenn wir die beschriebenen
    jenseits der großen Ballungsgebiete. Unsere Erhebungen zu den Verschie-
                                                                                          Themen konsequent anpacken und die deut-
    bungen des Altersaufbaus der Belegschaft zeigen, dass mittlerweile fast
                                                                                          schen Betriebe trotz ihre aktuellen Erfolge ihre
    acht Prozent der Mitarbeiter in den Unternehmen der niedersächsischen
                                                                                          Bereitschaft nicht verlieren, sich den Herausfor-
    Metall- und Elektro-Industrie 60 Jahre oder älter sind. Zum Vergleich:
                                                                                          derungen konsequent zu stellen und notwen­
    Im Jahr 2000 lag der Anteil der 60-Jährigen bei nur 2,5 Prozent.«
                                                                                          dige Veränderungen herbeiführen. Was wir
                                                                                          brauchen, ist ein echter Kulturwandel!
    Quelle: http://bit.ly/1PN5que
                                                                                          Interview & Fotos: Carsten Seim

8    ifaa | Betriebspraxis & Arbeitsforschung 226 | 2016
BetrieBspraxis & arBeitsforschung - Institut angewandte ...
Interview

Beispielhaft: Zertifizierte niedersächsische Unternehmen

AMF-Bruns: Das Unternehmen mit Sitz in                        WABCO GmbH: Der Autozulieferer beschäftigt
Apen beschäftigt 330 Mitarbeiter. Es produziert               rund 3000 Mitarbeiter an Standorten in Hanno-
Fahrzeugtechnik für Menschen mit Behinde-                     ver, Gronau und Langenhagen.
rung und fertigt darüber hinaus Förder- und                          Zur Personalstrategie gehören Kooperati-
Schüttgutanlagen.                                             onen mit (Hoch-)Schulen und duale Studienan-
      Zur Personalstrategie gehören unter an-                 gebote. Das Unternehmen verfügt über eine
derem Kooperationen mit (Hoch-)Schulen,                       Altersstrukturanalyse. In regelmäßigen Mitar-
duale Studienangebote. Klassen der Schule                     beitergesprächen geht es unter anderem um
Augustfehn werden im Unternehmen in                           Ziele und Entwicklungsmöglichkeiten. Mitarbei-
verschiedenen Fächern praxisorientiert unter-                 terbindung findet über verschiedene betrieb­
richtet. AMF-Bruns verfügt über eine syste-                   liche Anreizsysteme statt — dazu zählen die
matische Altersstrukturanalyse und Personal-                  WABCO-Pension, betriebliche Altersvorsorge,
bedarfsplanung.                                               Prämien und Zuschüsse.
      Zum Gesundheitsmanagement zählen                               Die WABCO GmbH arbeitet mit einem Füh-
regelmäßige Berichte über den Gesundheits-                    rungskräfte-Feedback und pflegt eine Willkom-
stand der Belegschaft. Eine Gesundheitsmana-                  menskultur zum Beispiel über Patenmodelle.
gerin ist zentrale Ansprechpartnerin. Das Unter-                     Betriebsvereinbarungen gibt es zum be-
nehmen bietet Sportangebote und Zuschüsse                     trieblichen Gesundheitsmanagement, zum be-
zum Besuch eines Fitnessstudios, Gesundheits-                 trieblichen Eingliederungsmanagement und
checks, Stressmanagement, Anti-Stress-Semi-                   Krankenrückkehrgesprächen. Die Betriebskran-
nare, Augentrainings, Ernährungsberatung und                  kenkasse informiert regelmäßig mit Gesund-
Suchtprävention. AMF-Bruns verfügt über eine                  heitsberichten. Das Unternehmen bietet seinen
Hotline bei psychischen oder privaten Proble-                 Mitarbeitern verschiedene Präventionsangebo-
men. Eine Physiotherapeutin überprüft jährlich                te an — unter anderem WABCO-Fitness, Sport-
die Ergonomie am Arbeitsplatz. Regelmäßig fin-                gruppen, Sozialberatung und Rückenschule.
den Gefährdungsanalysen statt. Darüber hinaus                 Es gibt ein Wiedereingliederungsmanagement.
befasst sich ein Arbeitssicherheitsausschuss mit                     Arbeitsorganisation & Arbeitsgestaltung:
dem Thema »Gesundheit«.                                       Die WABCO GmbH verfügt über flexible Arbeits-
      Arbeitsorganisation & Arbeitsgestaltung:                zeitmodelle wie die teamorientierte Arbeitszeit,
Das Unternehmen führt regelmäßige Arbeits-                    Home-Office und die Möglichkeit zu Sabbaticals.
platzanalysen durch, um individuellen Bedürf-                 Regelmäßig finden Arbeitsplatzbegehungen statt.
nissen am Arbeitsplatz gerecht zu werden. Es                  Darüber hinaus fördert das Unternehmen die
unterstützt die Mitarbeiter bei der Vereinbarkeit             Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
von Beruf und Familie — zum Beispiel durch                           Zur Qualifizierung und zum Kompetenzauf-
                                                                                                                               Abb. 3: Zukunftsinvesti­
Eltern-Kind-Zimmer, Betreuungsangebote für                    bau der Mitarbeiter werden Potenzial- und Quali-
                                                                                                                               tion: Darstellung des neu­
Kinder und pflegebedürftige Angehörige, Zwei-                 fizierungsbedarfsanalysen sowie interne und ex-                  en WABCO-Engineering
schichtsystem und Home-Office.                                terne Weiterbildungsangebote eingesetzt.                         Innovation Centers in
      Lebensarbeitszeitkonten ermöglichen                                                                                      Hannover. Es soll 2018
                                                              Quelle: Unterlagen der Demografie-Agentur Niedersachsen zur
lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle,                                                                                    fertiggestellt werden.
                                                              Zertifizierung der WABCO GmbH
Sabbaticals und Auszeiten. Wer sich eine Aus-
zeit genommen hat oder nehmen musste, wird
durch Wiedereinstiegs- und Kontakthaltepro-
gramme betreut.
      Weitere Maßnahmen: interne und externe
Weiterbildungsangebote, Qualifikationsbe-
darfsanalysen, systematischer und kontinuier­
licher Wissensaustausch, Lernpartnerschaften
und Stellvertreterregelungen.
      Mitarbeiter von AMF Bruns haben die
Möglichkeit zur Jobrotation zum Beispiel durch
Wechselmöglichkeiten zwischen Rohbau und
Endmontage oder Hubmatik und Anlagenbau.

Quelle: Unterlagen der Demografie-Agentur Niedersachsen zur
Zertifizierung von AMF-Bruns

                                                                                                       ifaa | Betriebspraxis & Arbeitsforschung 226 | 2016   9
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Aktuelles

     Aktuelles

     Robotikbranche wächst                                            wird, so das Unternehmen, »ein Computerprogramm in der
                                                                      Programmiersprache des jeweiligen Industrieroboter-Steue-
     Der Absatz an Industrierobotern für die Produktion sowie         rungscomputers generiert«. Auch wenig erfahrene Benutzer
     auch Servicerobotern in gewerblichen Umfeldern wie Logistik      können so die selbstständige Arbeit von Robotern einrichten.
     und Landwirtschaft oder Staubsauger- und Fensterputzrobo-        Eine Expertenjury hatte gemeinsam mit einem fünfköpfigen
     ter für den privaten Gebrauch steigt nach Mitteilung des         Fachbeirat aus mehr als 1 000 Bewerbungen das Projekt »Arti-
     Fraunhofer IPA. Größte Absatzmärkte für Industrierobotik sind    Minds Robotics — der intelligente Fertigungsassistent« ausge-
     China, Japan, USA, Südkorea und Deutschland. Wichtigster         wählt. »Deutschland — Land der Ideen« ist die gemeinsame
     Treiber ist hier der weltweite Wettbewerb der industriellen      Standortinitiative von Politik und Wirtschaft. Sie wurde 2005
     Produktion. Schwerpunkte sind hier die Automatisierung des       von der Bundesregierung und dem Bundesverband der Deut-
     Automobilsektors und der Elektro- und Elektronikindustrie.       schen Industrie (BDI) gegründet.

     Deutsche Robotikbranche im Aufwind                               Mehr: www.artiminds.com

     Umsätze in Milliarden Euro
     2010                                   2
     2011                                   2,8
     2012                                   3
     2013                                   3
     2014                                   3,3
     2015*                                  3,4
     Abb. 1: Umsätze der deutschen Robotikbranche
     Quelle: VDMA *Stand Juni 2015

     Mehr Arbeitsplätze
     In 1000
     2010                                   39
     2011                                   43
                                                                      Abb 3: die Software von artiminds mit Machern und Robotern in Aktion
     2012                                   48,6
                                                                      Foto: Artiminds
     2013                                   50,2
     2014                                   51,6

     Abb. 2: Beschäftigte in der Robotik- und Automationsbranche in   VDI-Kampagne »Ingenieursgeschichten«
     Deutschland 2010 bis 2014 | Quelle: VDMA
                                                                      Unter der Webadresse www.ingenieurgeschichten.vdi.de er-
                                                                      zählt der VDI »Ingenieursgeschichten«. Er will damit »Innova-
     »Land der Ideen« zeichnet schlaue Roboter-                       tionen der Ingenieurinnen und Ingenieure auch Menschen
     Software aus                                                     außerhalb der Technik-Community bekannt machen«. »Wir
                                                                      wollen eine Galerie der vielen deutschen Alltagsingenieur-
     Die ArtiMinds Robotics GmbH ist eine Ausgründung des Karls-      leistungen erstellen, die unsere Lebensqualität verbessern —
     ruher Instituts für Technologie. Sie beschäftigt sich mit der    im unscheinbar Kleinen wie im unübersehbar Großen«, be-
     intuitiven Programmierung von Industrierobotern. Im Herbst       gründet VDI-Präsident Prof. Dr.-Ing. Udo Ungeheuer die
     hat sie im Rahmen des Wettbewerbs »Land der Ideen« einen         Kampagne.
     Preis als »Ausgezeichneter Ort« für ihre Software erhalten.            Eine Jury entscheidet, welche der eingereichten Ge-
     Vereinfacht ausgedrückt können menschliche Bediener Indus-       schichten berücksichtigt wird. Ausgewählte Beiträge werden
     trieroboter für solche Aufgaben manuell optimal einrichten,      professionell als Video oder als Fotoreportage produziert.
     bei denen sich der Roboter anschließend selbstständig mittels    Die Juroren sind ehrenamtliche Mitglieder des Vereins sowie
     Kraftsensor flexibel an die Umgebung anpassen muss. Dabei        Unternehmens- und Medienvertreter.

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Aktuelles

                                                                            schen Bundesamtes (DESTATIS) im November hervor. Diese
                                                                            bezieht sich auf Daten der Arbeitskräfteerhebung des Jahres
                                                                            2014. Jede achte vollzeiterwerbstätige Person (12 Prozent)
                                                                            gab demnach an, gewöhnlich mehr als 48 Stunden pro Wo-
                                                                            che zu arbeiten. Höher liegt der Anteil bei Männern, niedriger
                                                                            liegt er bei Frauen.

                                                                            Quelle: http://bit.ly/1RE6TCH

Abb. 4: Screenshot des Online-Portals »Ingenieursgeschichten« | Bild: VDI
                                                                             Insgesamt                                       12,4 Prozent
                                                                             Männer                                          15,0 Prozent

Industrie 4.0: KMU trifft Fachkräftemangel                                   Frauen                                          7,2 Prozent
besonders                                                                    Selbstständige mit Beschäftigten                63,8 Prozent
                                                                             Solo-Selbstständige                             41,4 Prozent
Auf dem Weg zur Industrie 4.0 werden es vor allem kleinere
und mittlere Unternehmen, die diese Herausforderung nicht                    Arbeitnehmer                                    7,0 Prozent
aktiv annehmen, zunehmend schwer haben, Fachkräfte zu                        Mithelfende Familienangehörige                  41,6 Prozent
gewinnen. »Unsere aktuelle Befragung innerhalb der Metall-
und Elektroindustrie zum Thema Industrie 4.0 unterstützt die-               Abb. 5: Anteil von Langzeitarbeitern an allen Vollzeitberufstätigen
                                                                            Quelle: Arbeitskräfteerhebung 2014, Destatis
sen Sachverhalt«, so Dr. Tim Jeske, Studienleiter am Institut
für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. (ifaa). Industrie 4.0
fordert beispielsweise höher qualifizierte Mitarbeiter. Große               Gut für Integration: OECD lobt duale
Unternehmen tun sich leichter, entsprechendes Personal zu                   Ausbildung
gewinnen und zu binden. Deshalb, so das ifaa, müssten kleine
und mittlere Unternehmen sich stärker als bisher in der Fach-               Zur Vorstellung des neuen Bildungsberichtes der Organisation
kräftesicherung engagieren.                                                 für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)
      Die ifaa-Umfrage hatte ergeben, dass über alle poten-                 lobte deren stellvertretender Generalsekretär Stefan Kapferer
ziellen Anwendungsfelder hinweg fast 40 Prozent der Betrie-                 die duale Ausbildung. Diese helfe auch bei der Integration von
be noch gar nichts in Richtung Industrie 4.0 unternehmen;                   Flüchtlingen: »Mit dem Dualen System hat Deutschland gute
darunter sind besonders viele KMU. Diese Unternehmen sind                   Voraussetzungen, auch die Arbeitsmarktintegration von Mi­
besonders vom Fachkräftemangel betroffen. Die Folge: Die                    granten zu stemmen.« Allerdings komme es jetzt darauf an,
Unternehmen finden schwer neue Auszubildende und die Be-                    diese Basis etwa durch spezielle Angebote für Flüchtlinge
legschaft wird im Schnitt immer älter.                                      noch weiter zu stärken.
      Der Wissenschaftler Dr. Jeske: »Industrie 4.0 kann eine                     OECD-Vize Kapferer mahnte darüber hinaus an, dass
Stellschraube sein, die es auch kleinen und mittleren Unter-                sich der Anteil gut ausgebildeter Jugendlicher an den zahlen-
nehmen erlaubt, trotz der Entwicklung wettbewerbsfähig zu                   mäßig schwächeren nachrückenden Jahrgängen weiter er-
bleiben.« Denn die Digitalisierung biete Ansätze, den Fachkräf-             höht. Nur so werde die Fachkräftelücke zu schließen sein.
temangel zu kompensieren. So könnten beispielsweise Assis-                  Denn: »Demografie-bedingt wird in den kommenden Jahren
tenzsysteme den Einsatzbereich vorhandener Mitarbeiter er-                                               in Deutschland eine vergleichs-
weitern oder die Arbeit attraktiver machen. Gerade KMU soll-                                             weise große Zahl an Hochqualifi-
ten diese Chancen stärker als bisher nutzen.                                                             zierten aus dem Erwerbsleben
                                                                                                         ausscheiden.« Erfolg bescheinigte
                                                                                                         die OECD Deutschland dabei, jun-
Destatis zu »überlangen« Arbeitszeiten                                                                   ge Frauen für ein MINT-Studium
                                                                                                         zu gewinnen.
Selbstständige arbeiten besonders lang. Unter Arbeitnehmern
                                                                                                                      Download: bit.ly/1M2JzY5
gibt nur jeder 14. an, überlange Arbeitszeiten zu haben. Ar-
beitszeiten von mehr als 48 Stunden in der Woche gelten als
»überlang«. Das geht aus einer Veröffentlichung des Statisti-                                                         Abb. 6: OECD-Bildungsbericht 2015

                                                                                                         ifaa | Betriebspraxis & Arbeitsforschung 226 | 2016   11
Aktuelles

                                                                              DAK-»Psychoreport«: Mehr Fehltage,
                                                                              weniger Burnout

                                                                              Laut »Psychoreport 2015« der Krankenkasse DAK-Gesundheit
                                                                              war im vergangenen Jahr jeder 20. Arbeitnehmer wegen einer
                                                                              psychischen Erkrankung krankgeschrieben. Hochgerechnet
                                                                              seien damit 1,9 Millionen Menschen betroffen. Seit 1997 habe
                                                                              sich die Zahl der Fehltage durch diagnostizierte Depressionen
                                                                              oder Anpassungsstörungen verdreifacht. Für den DAK-Psy-
                                                                              choreport hat das IGES Institut die anonymisierten Daten von
                                                                              rund 2,6 Millionen erwerbstätigen Versicherten ausgewertet.
                                                                                    Detailergebnisse aus dem »Psychoreport«: 2014 verur-
                                                                              sachte die Diagnose »Depression« 112 Fehltage je 100 Versi-
                                                                              cherte, 42 Fehltage wurden mit Anpassungsstörungen be-
                                                                              gründet. Der Burnout als Zusatzdiagnose verliere dagegen an
     Abb. 7: Eröffnung des Weiterbildungszentrums 4.0 in Suzhou | Foto: KIT   Bedeutung: 2014 entfielen darauf nur 5,2 Ausfalltage. Gegen-
                                                                              über 2011 hat sich die Anzahl damit fast halbiert.
                                                                              Quelle und weitere Informationen: bit.ly/1NbmKoV

     Deutsche Industrie 4.0 macht Schule in China
                                                                              ifo-Prognose: Aufschwung geht
     Die KIT China Branch, Außenstelle des Karlsruher Instituts für           »verhalten« weiter
     Technologie in China, hat im Industrial Park von Suzhou bei
     Shanghai ein Demonstrations- und Innovationszentrum für                  »Der verhaltene Aufschwung der deutschen Wirtschaft setzt
     Technologien der Industrie 4.0 eröffnet. Hier bieten Institute           sich fort«, erklärte ifo-Präsident Hans-Werner Sinn am 9. De-
     und Einrichtungen des KIT Weiterbildungen an, mit denen                  zember zur Vorstellung der aktuellen Konjunkturprognose des
     Mitarbeiter und Führungskräfte von Unternehmen in China                  ifo Institutes. Die Münchener Wirtschaftsforscher hoben ihre
     die Herausforderungen von »Industrie 4.0« besser bewältigen              Prognose für das Jahr 2016 um 0,1 Prozentpunkte auf nun 1,9
     können. So gibt es Trainingsmodule, die ihnen vermitteln, wie            Prozent erwartetes Wachstum Wirtschaftsleistung an. Für 2017
     sie Prozesse effektiver, Montagelinien flexibler und Fabrikhal-          rechnen sie mit einem Plus von 1,7 Prozent. Der private Konsum
     len digitaler gestalten können. Das Zentrum ist das erste in             bleibe die Stütze des Aufschwungs, »da die Einkommensperspek-
     China, in dem Unternehmen und Wissenschaft deutsche In-                  tiven der privaten Haushalte wegen der weiter verbesserten Ar-
     dustrie-4.0-Anwendungen sowie die Anforderungen einer                    beitsmarktlage gut sind.« Die Beschäftigung werde von 43 Milli-
     intelligenten Fabrik an einer echten Produktionslinie erpro-             onen Erwerbstätigen im kommenden Jahr auf 43,4 Millionen
     ben, einstellen und erforschen können.                                   und im Jahr 2017 auf 43,6 Millionen steigen. Für das Jahr 2017
            Prof. Dr. Gisela Lanza, China-Beauftragte des KIT: »Die           erwarten die Forscher jedoch dennoch einen Anstieg der Ar-
     Produktion in China wird immer stärker automatisiert und                 beitslosigkeit auf 7,1 Prozent. Prof. Sinn hält dies für »eine Folge
     digitalisiert. Allerdings gibt es kaum geeignete, praxisnah aus-         der Flüchtlingsmigration und des Mindestlohns«. Die Exporte
     gebildete Fachkräfte, um diese Anlagen richtig zu bedienen.«             werden nach ifo-Einschätzung langsamer wachsen als die Im-
     Das Weiterbildungsangebot richtet sich auch an deutsche                  porte. Dies spreche für eine robuste Binnenkonjunktur.
     Unternehmen, die in China operieren und ihre Belegschaften
     trainieren möchten. Im Industrial Park von Suzhou, wo sich               ifo-Prognose
     das KIT-Weiterbildungszentrum befindet, sind auch zahlreiche
                                                                                                                     2016             2017
     deutsche Industrieunternehmen angesiedelt.
            In dem Zentrum ist eine intelligente Montagelinie für             Bruttoinlandsprodukt (BIP)          1,9 Prozent      1,7 Prozent
     Hydraulikventile aufgebaut, die sich je nach Einsatzzweck                Bruttoanlageinvestitionen           2,6 Prozent      2,7 Prozent
     konfigurieren lässt. Die Anlage ist mit verschiedenen Indust-
                                                                              Privater Konsum                     2,0 Prozent      1,5 Prozent
     rie-4.0-Anwendungen ausgestattet: Sie kann durch ein kabel-
     los gesteuertes, intelligentes System um die 90 verschiedene             Lohnstückkosten                     1,4 Prozent      1,1 Prozent
     Ventil-Varianten ohne Werkzeugwechsel produzieren.                       Abb. 8: Ausgewählte Eckdaten zur ifo-Konjunkturprognose (Dezember 2015)

12    ifaa | Betriebspraxis & Arbeitsforschung 226 | 2016
Aktuelles

Betriebssicherheitsverordnung 2015
Chance beim Verwenden von Arbeitsmitteln

Am 01. Juni 2015 ist die Novelle der »Verord­        dung von Fehlplanungen und Nachbesserungen
nung über Sicherheit und Gesundheitsschutz           und der damit verbundenen Zeitersparnis ent-
bei der Verwendung von Arbeitsmitteln«               stehen.
(Betriebssicherheitsverordnung — BetrSichV)
in Kraft getreten. Die BetrSichV 2015 wurde
konzeptionell, strukturell und sprachlich            Vereinfachte Vorgehensweise
neu gestaltet, ohne aber die grundlegenden           bei der Verwendung von
Inhalte zu ändern. Neben den allgemeinen             Arbeitsmitteln
Neuerungen beinhaltet die BetrSichV 2015
auch eine Handvoll Erleichterungen bei der           In der BetrSichV 2015 ist eine vereinfachte Vor-
Verwendung und dem Bereitstellen von Ar­             gehensweise bei der Verwendung von Arbeits-                           Ralph-Michael Herbert
beitsmitteln. Der folgende Bericht gibt eine         mitteln, die an bestimmte Bedingungen ge-                             SÜDWESTMETALL
Übersicht über diese Erleichterungen.                knüpft ist, enthalten. In Abb. 1 ist die Einbet-
                                                     tung der vereinfachten Vorgehensweise in den
                                                     Ablauf der BetrSichV 2015 dargestellt.
Die Gefährdungsbeurteilung ist das zentrale                Um die oben genannten Vereinfachungen
Element aller Verordnungen im Arbeitsschutz.         in Anspruch zu nehmen, müssen Arbeitsmittel
Sie ist für alle Tätigkeiten gefordert und ist vom   einerseits den sicherheitstechnischen Anforde-
Arbeitgeber durchzuführen. In der Betriebssi-        rungen der für sie zum Zeitpunkt der jeweiligen
cherheitsverordnung wird die Gefährdungsbe-          Verwendung geltenden Rechtsvorschriften zum
urteilung für den Bereich der Arbeitsmittel kon-     Bereitstellen von Arbeitsmitteln auf dem Markt                        Abb. 1: Schematischer
kretisiert. Mit der Novellierung der BetrSichV       entsprechen und bestimmungsgemäß verwen-                              Ablauf BetrSichV 2015
haben sich neue Anforderungen an die Gefähr-
dungsbeurteilung ergeben. Im Rahmen der Ge-
fährdungsbeurteilung müssen nun neben den
                                                           Gefährdungs-
Gebieten der Ergonomie und der psychischen                  beurteilung
Belastungen auch zahlreiche weitere Faktoren                §5 ArbSchG

berücksichtigt werden. Dazu zählen die Ge-
brauchstauglichkeit, die Einflüsse der Ar-                                                weiter mit
                                                            Tätigkeit mit
                                                                               nein     Gefährdungs-
beitsumgebung, der Arbeitsverfahren und der                Arbeitsmitteln                beurteilung
                                                                                         §5 ArbSchG
-organisation, die Arbeitsabläufe, die Arbeits-
                                                                     ja
aufgabe und die Arbeitszeit.
       In der Praxis bedeutet dies, dass bei der           Gefährdungs-                  Prüfung vor
                                                          beurteilung (§3)             Inbetriebnahme
Gefährdungsbeurteilung einer Bohrmaschine                                                   (§15)
neben den entstehenden Gefährdungen bei der              Grundpflichten (§4)           Wiederkehrende
eigentlichen Verwendung der Bohrmaschine                                                Prüfung (§16)
                                                                                      Prüfaufzeichnungen
auch Gefährdungen aufgrund des Bohrma­                   Anforderungen an
                                                                                        und-bescheini-
                                                         Bereitstellung (§5)
terials (beispielsweise Holz oder Metall), die                                           gungen (§17)
Schichtzeit oder die Dauer der Tätigkeit (bei-            Anforderungen an              Erlaubnispflicht
                                                          Verwendung (§6)
                                                                                             (§18)        Instandhaltung
spielsweise sporadisch oder dauernd) berück-                                                                   (§10)
sichtigt werden müssen.                                                                    ja
                                                                                                             Besondere
       Neu in der BetrSichV 2015 ist, dass die                                                           Betriebszustände               weiter mit
                                                           Vereinfachte          ja      überwach- nein        (§11)                  Gefährdungs-
Gefährdungsbeurteilung möglichst vor der Aus-             Vorgehensweise               ungsbedürftige      Unterweisung,               beurteilung
wahl und der Beschaffung der Arbeitsmittel be-                 (§7)                        Anlage       Beauftragung (§12)             §5 ArbSchG
                                                                                                         Zusammenarbeit
gonnen werden soll. Hierdurch soll die Arbeits-             nein                                               (§13)
schutzkompetenz im Unternehmen in den Be-                                                                  Prüfung (§14)
                                                          Energien, Ingang-
schaffungsprozess integriert werden. Durch               und Stillsetzen (§8)
möglichst frühzeitige Überlegungen zu den (zu              Weitere Schutz-
                                                          maßnahmen (§9)
erwartenden) Bedingungen am Arbeitsplatz sol-                                                                                         © R.-M. Herbert, 2015

len Kosteneinsparungen aufgrund der Vermei-

                                                                                                   ifaa | Betriebspraxis & Arbeitsforschung 226 | 2016        13
Aktuelles

                                      det werden. Andererseits dürfen für die Arbeit-       Bestandsschutz
                                      nehmer keine zusätzlichen Gefährdungen auf-
                                      grund der Arbeitsumgebung, der Arbeitsgegen-          Die BetrSichV 2015 — und somit auch die Si-
                                      stände, der Arbeitsabläufe sowie der Dauer und        cherheitsanforderungen — gilt für alte, neue
                                      der zeitlichen Lage der Arbeitszeit auftreten.        und selbsthergestellte Arbeitsmittel. Eine Festle-
                                      Letztendlich müssen die erforderlichen Instand-       gung auf einen bestimmten Stand der Technik
                                      haltungsmaßnahmen und die notwendigen                 ist in diesem Zusammengang nicht erfolgt.
                                      Prüfungen durchgeführt sein.                          Die Arbeitsmittel unterliegen dabei materiellen
                                             In der Begründung der Bundesregierung          Anforderungen, die in der BetrSichV 2015 als
     Im Rahmen der Ge­
                                      zur BetrSichV 2015 wird klargestellt, dass ein        Schutzziele definiert sind. Diese Schutzziele gel-
     fährdungsbeurteilung
                                      vereinfachtes Maßnahmenkonzept für einfache           ten für alle Arbeitsmittel gleichermaßen.
     ist auch zu beurteilen,
                                      Sachverhalte bei der Verwendung von Arbeits-                 In der Begründung der Bundesregierung
     ob die vorgesehene
                                      mitteln dem Arbeitgeber die praktische Anwen-         zur BetrSichV 2015 wird explizit darauf hinge-
     Verwendung dem
                                      dung der Verordnung erleichtern soll. Dies be-        wiesen, dass die materiellen Anforderungen in
     Stand der Technik
                                      deutet allerdings keine Einschränkung der             den Schutzzielen aus der BetrSichV 2015 in je-
     anzupassen ist.
                                      grundsätzlichen Arbeitgeberpflichten oder eine        dem Fall einzuhalten sind und die Verwendung
                                      Absenkung des Sicherheitsniveaus. Die techni-         der Arbeitsmittel sicher sein muss. Daher muss
                                      schen Anforderungen betreffen insbesondere            der Arbeitgeber im Rahmen der Gefährdungs-
                                      die Konstruktion, den Bau und weitere Schutz-         beurteilung eigenverantwortlich selbst ent-
                                      maßnahmen. Es wird unterstellt, dass der Her-         scheiden, ob gegebenenfalls Nachrüstmaßnah-
                                      steller bei der Gestaltung des Arbeitsmittels ein-    men erforderlich sind. Dies bedeutet, dass im
                                      schließlich der Schutzmaßnahmen alle Gefähr-          Rahmen der Gefährdungsbeurteilung auch zu
                                      dungen bei der bestimmungsgemäßen                     beurteilen ist, ob die vorgesehene Verwendung
                                      Verwendung berücksichtigt hat.                        noch dem Stand der Technik entspricht oder ob
                                             Eine vereinfachte Vorgehensweise ist           sie an diesem anzupassen ist. Bei der Anpassung
                                      nicht möglich, wenn vom Hersteller des Ar-            ist es dabei nicht zwingend erforderlich, dass
                                      beitsmittels beispielsweise in der Bedienungs-        das Arbeitsmittel selbst dem Stand der Technik
                                      anleitung nicht vermeidbare Restrisiken ange-         entsprechen muss. Die Verwendung des Arbeits-
                                      geben werden. Der »Ausstieg« kann also nicht          mittels muss aber insgesamt nach dem Stand
                                      gelten, wenn nach der Gefährdungsbeurteilung          der Technik sicher sein. Die sichere Verwendung
                                      betrieblicherseits zusätzliche Schutzmaßnah-          — und somit letztendlich der Bestandsschutz
                                      men getroffen werden müssen, da der Schutz            — kann auch durch ergänzende Schutzmaßnah-
                                      der Beschäftigten ohne zusätzliche Schutz-            men gewährleistet werden. Aufgrund dieser
                                      maßnahmen gewährleistet sein muss. Typische           Regelung bedarf es keiner besonderen, bisher
                                      Beispiele hierzu sind einfache Werkzeuge und          strittigen, Bestandsschutzregelung mehr und
                                      Geräte wie Handsägen, Zangen, Bolzenschnei-           gilt für künftige Änderungen im Regelwerk so-
                                      der, Wagenheber, aber auch einfache kraftbe-          wie den damit verbundenen Nachrüstungen.
     Abb. 2: Anforderungen            triebene Verbraucherprodukte wie Akkuschrau-                 Die Anforderungen an Arbeitsmittel — so-
     an Arbeitsmittel                 ber und Bohrmaschinen.                                wohl in der Vergangenheit als auch nach dem

                            KEIN Bestandsschutz für Arbeitsmittel                                      Gefährdungsbeurteilung,
                         aufgrund technischer Mindestanforderungen                                     Stand der Technik, T-O-P

               Mindestanforderungen                                Mindestanforderungen                     Schutzziele gem.
               gem. UVV‘en und AMBV                                BetrSichV 2002 Anh. I                     BetrSichV 2015

            MRL                         MRL                                MRL                                     MRL
         93/44/EWG                    98/37/EG                          2006/42/EG                             ??? neu ???

                    01.01.1995                              2002                           01.06.2015

14    ifaa | Betriebspraxis & Arbeitsforschung 226 | 2016
Aktuelles

Inkrafttreten der BetrSichV 2015 zum                gen müssen aufgrund der BetrSichV 2015 nur                Literatur
01.06.2015 — zeigt Abb. 2.                          umgesetzt werden, wenn die Richtlinien die                Begründung zur Betriebs­
       Bei der Ableitung der Schutzmaßnahmen        Herstellung für den Eigengebrauch mit berück-             sicherheitsverordnung,
für die sichere Verwendung des Arbeitsmittels       sichtigen. Dies ist beispielsweise in der Maschi-         Bundesrat Drucksache 400/14
sind die allgemeinen Grundsätze des Arbeits-        nenrichtlinie, nicht aber in der Niederspan-              vom 28.08.2014

schutzes, wie die Rangfolge der Schutzmaßnah-       nungsrichtlinie der Fall. In der Maschinenricht-          Gesetz über die Durchfüh-
men, der Stand der Technik, Arbeitsmedizin und      linie sind die Pflichten des Herstellers in Bezug         rung von Maßnahmen des
Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswis-       auf das Inverkehrbringen und der Inbetrieb-               Arbeitsschutzes zur Verbes-
                                                                                                              serung der Sicherheit und
senschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen.     nahme der Maschine identisch. Demzufolge                  des Gesundheitsschutzes der
Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass in der    kann diese Erleichterung für die formellen An-            Beschäftigten bei der Arbeit
gegebenen Reihenfolge (technisch-organisato-        forderungen nur für Arbeitsmittel in Bezug ge-            (Arbeitsschutzgesetz —
                                                                                                              ArbSchG), BGBl. I 1996
risch-personenbezogen) das Maß an Sicherheit        nommen werden, die keine Maschinen sind.                  S. 1246, letzte Änderung
durch eine Kombination und Organisation der                                                                   vom 31.08.2015
Schutzmaßnahmen ausgeschöpft wird.
       Ob die ergänzenden Schutzmaßnahmen           Fazit                                                     Verordnung über Sicherheit
                                                                                                              und Gesundheitsschutz
ausreichen, dass ein nicht dem Stand der Tech-                                                                bei der Verwendung
nik entsprechendes Arbeitsmittel weiter betrie-     Nicht nur aus rechtlichen Aspekten ist es erfor-          von Arbeitsmitteln
ben werden darf, muss im Einzelfall geprüft         derlich, sich mit der Novelle der Betriebssicher-         (Betriebssicherheitsverord-
                                                                                                              nung — BetrSichV), BGBl. I
werden und stellt eine schwierige und verant-       heitsverordnung zu befassen. Es lohnt sich in             Nr. 4 vom 06.02.2015, S. 49,
wortungsvolle Beurteilungs- und Wertungs­           jedem Fall. Der Dreh- und Angelpunkt der Betr-            letzte Änderung vom
frage dar.                                          SichV 2015 ist die Gefährdungsbeurteilung für             13.07.2015
       Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht:     die Verwendung der eingesetzten Arbeitsmittel.
Zwei Arbeitgeber — Arbeitgeber A und B — be-        Sie ermöglicht Freiräume und Erleichterungen,
treiben eine baugleiche Anlage, die nicht dem       die durch die betrieblichen Maßnahmen auszu-
Stand der Technik entspricht. Arbeitgeber A         schöpfen sind. Schlussendlich dient die Betr-
betreibt die Anlage im Dreischichtbetrieb mit       SichV 2015 auch dem Zwecke des Bürokratie­
wechselndem Personal, teilweise auch unge-          abbaus. Aufgrund der Mehrfachregelungen im
lernt. Arbeitgeber B betreibt die Anlage aus-       staatlichen als auch im berufsgenossenschaft­
schließlich zur Ersatzteilgewinnung einmal pro      lichen Regelwerk (beispielsweise bei Kranen
Jahr für eine Woche durch einen besonders           oder auch Beauftragung von Personen bei der
qualifizierten Mitarbeiter. In der Situation beim   Verwendung von Arbeitsmitteln mit besonderen
Arbeitgeber B wäre es in der Gefährdungsbeur-       Gefährdungen) ist durch die Regelung in der
teilung begründbar, den Mitarbeiter so zu quali-    BetrSichV 2015 die Voraussetzung geschaffen,
fizieren, dass dasselbe Schutzziel — Unversehrt-    das berufsgenossenschaftliche Regelwerk
heit des Mitarbeiters — durch organisatorische      schlanker zu gestalten.
und personenbezogene Schutzmaßnahmen er-
reicht werden kann. Beim Arbeitgeber A sieht
die Situation aufgrund des Schichtbetriebes und
der wechselnden Mitarbeiter anders aus. Hier ist
die technische Nachrüstung zum Erreichen des
Schutzzieles wahrscheinlicher.

Herstellung von Arbeitsmitteln
für den Eigengebrauch

Generell müssen Arbeitsmittel, die für eigene
Zwecke selbst hergestellt wurden, den grund­
legenden Sicherheitsanforderungen der Ge-
                                                                                                              Autoren-Kontakt
meinschaftsrichtlinien, beispielsweise der Ma-
                                                                                                              Dipl.-Ing. (FH)
schinenrichtlinie, der Niederspannungsrichtlinie                                                              Ralph-Michael Herbert
oder der Richtlinie zur Elektromagnetischen                                                                   SÜDWESTMETALL,
Verträglichkeit, entsprechen. Die Richtlinien                                                                 Verband der Metall- und
beinhalten neben Bau- und Dokumentations-                                                                     Elektroindustrie Baden-
                                                                                                              Württemberg e.V., Stuttgart
anforderungen auch formelle Anforderungen
                                                                                                              Tel.: +49 711 7682-130
wie die CE-Kennzeichnung und die EG-Konfor-                                                                   E-Mail: herbert@
mitätserklärung. Diese formellen Anforderun-                                                                  suedwestmetall.de

                                                                                      ifaa | Betriebspraxis & Arbeitsforschung 226 | 2016    15
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