Gerechtes Aufwachsen ermöglichen Bildung - Integration - Teilhabe

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Gerechtes Aufwachsen ermöglichen Bildung - Integration - Teilhabe
1/2008
                                                                          Deutsches Jugendinstitut e.V.

         Gerechtes Aufwachsen
         ermöglichen
         Bildung – Integration –
         Teilhabe

         Beiträge des DJI zum
         13. Deutschen
         Kinder- und Jugendhilfetag

DJI Bulletin PLUS

         Bildung, Integration, Teilhabe –
         Wie steht es mit der Gerechtigkeit?

                                           DJI Bulletin 81   1/2008   1
Gerechtes Aufwachsen ermöglichen Bildung - Integration - Teilhabe
Seite 3    Editorial                                                              Das Deutsche Jugendinstitut e. V. ist ein außer-
                                                                                  universitäres sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut.
           Berichte zur Bildung                                                   Seine Aufgaben sind anwendungsbezogene Grundla-
                                                                                  genforschung über die Lebensverhältnisse von Kindern,
Seite 4    Thomas Rauschenbach                                                    Jugendlichen und Familien, Initiierung und wissenschaft-
           Gerechtigkeit durch Bildung?                                           liche Begleitung von Modellprojekten der Jugend- und
Seite 8    Christian Alt, Andreas Lange                                           Familienhilfe sowie sozialwissenschaftliche Dienstleistun-
                                                                                  gen. Das Spektrum der Aufgaben liegt im Spannungs-
           Neue Ansätze der Kindheitsforschung
                                                                                  feld von Politik, Praxis, Wissenschaft und Öffentlichkeit.
Seite 11   Tanja Betz, Pia Rother                                                 Das DJI hat dabei eine doppelte Funktion: Wissenstrans-
           Frühe Kindheit im Fokus der Politik                                    fer in die soziale Praxis und Politikberatung einerseits,
                                                                                  Rückkopplung von Praxiserfahrungen in den For-
Seite 13   Nora Gaupp, Tilly Lex, Birgit Reißig
                                                                                  schungsprozess andererseits. Träger des 1963 gegrün-
           Hauptschüler chancenlos?                                               deten Instituts ist ein gemeinnütziger Verein mit Mitglie-
Seite 15   Heinz-Jürgen Stolz                                                     dern aus Institutionen und Verbänden der Jugendhilfe,
           Bildung lokal verantworten – Lebenslanges Lernen gestalten             der Politik und der Wissenschaft. Dem Kuratorium des
                                                                                  DJI gehören Vertreter des Bundes, der Länder, des
Seite 16   Michaela Glaser, Susanne Klingelhöfer                                  Trägervereins und der wissenschaftlichen Mitarbeiter-
           »Feuerwehrpolitik« oder nachhaltige Zusammenarbeit?                    schaft des DJI an.
Seite 18   Kathrin Thrum, Alexandra Sann                                              Das DJI hat z. Zt. folgende Forschungsabteilungen:
                                                                                  Kinder und Kinderbetreuung, Jugend und Jugendhilfe,
           Stärkung der Erziehung in der Familie –
                                                                                  Familie und Familienpolitik, Zentrum für Dauerbeobach-
           Chancen und Grenzen der Arbeit mit Laien                               tung und Methoden sowie die Forschungsschwerpunkte
Seite 20   Elisabeth Helming, Barbara Thiessen                                    »Übergänge in Arbeit«, »Migration, Integration und
           Gerechtigkeit für alle – oder: Die einen fördern,                      interethnisches Zusammeleben«, »Gender und Lebens-
                                                                                  planung«, ferner eine Außenstelle in Halle.
           die Anderen überwachen?
           Berichte zur Teilhabe
                                                                                  Impressum
Seite 22   Heinz Kindler                                                          Herausgeber und Erscheinungsort:
           Pflegekinder nicht ins Hintertreffen geraten lassen                    Deutsches Jugendinstitut e. V. Nockherstraße 2,
                                                                                  81541 München, Deutschland
Seite 23   Elisabeth Helming, Kathrin Thrum
           Das Dilemma sozialer Ungleichheit                                      Presserechtlich verantwortlich:
           zwischen Herkunftsfamilie und Pflegefamilie                            Prof. Dr. Thomas Rauschenbach
                                                                                  Redaktion: Dr. Jürgen Barthelmes
Seite 25   Alexandra Sann, Reinhild Schäfer                                       Telefon: 089 6 23 06-180, Fax: -265,
           Frühe Hilfen zwischen Helfen und Kontrollieren                         E-Mail: barthelmes@dji.de
Seite 28   Sandra Ebner, Franziska Wächter, Diana Zierold                         Stephanie Vontz
                                                                                  Telefon: 089 6 23 06-311, Fax: -265,
           »Ich finde, Politik ist gar nicht so schlimm,                          E-Mail: vontz@dji.de
           wie alle Jugendlichen denken«
                                                                                  Vertrieb: Stephanie Vontz
Seite 30   Nicola Gragert, Christian Peucker, Liane Pluto, Mike Seckinger         Telefon: 089 6 23 06-311, E-Mail: vontz@dji.de
           Angebote der Kinder- und Jugendhilfe als Beitrag zur Teilhabe
                                                                                  Satz, Gestaltung: Anja Rohde, Hamburg
           Berichte zur Integration                                               Druck und Versand: grafik + druck GmbH, München
Seite 32   Jan Skrobanek                                                          Bildnachweis:
           Migration, Anerkennung und kulturelle Differenzierung                  alle Fotos: Lennart Preiss, München
Seite 33   Hanna Permien                                                          ISSN 0930-7842
           Erziehung zur Freiheit durch Freiheitsentzug                           Das DJI-Bulletin erscheint viermal im Jahr.
Seite 34   Susanne Nothhafft:                                                     Alle Hefte sind kostenlos.
           Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der                            Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Mei-
           UN-Kinderrechtskonvention – fehlende Umsetzung in die                  nung der Autorinnen und Autoren wieder.
           bundesdeutsche Rechtspraxis                                            Der kostenlose Bezug erfolgt auf schriftliche Anforde-
                                                                                  rung an die Redaktion. Geben Sie bei einer Adressen-
Seite 36   Bundesjugendkuratorium
                                                                                  änderung bitte auch Ihre alte Anschrift an. Die Adressen
           Kein falscher Aktionismus beim Kinderschutz (Stellungnahme)            der Abonnenten sind in einer Adressdatei gespeichert
Seite 38   Bundesjugendkuratorium                                                 und werden zu Zwecken der Öffentlichkeitsarbeit des DJI
           Pluralität ist Normalität für Kinder und Jugendliche                   verwendet.
                                                                                  Kostenloser Nachdruck nur nach Rücksprache mit der
           (Stellungnahme)
                                                                                  Redaktion sowie unter Quellenangabe und gegen
                                                                                  Belegexemplar gestattet.
           DJI Bulletin PLUS
           Frank Braun, Kirsten Bruhns, Wibken Düx, Hans Rudolf Leu,              Download (pdf) und HTML-Version unter
           Gerald Prein, Erich Sass                                               www.dji.de/bulletins
           Bildung, Integration, Teilhabe – Wie steht es mit der Gerechtigkeit?
                                                                                  Bulletinbestellung:
                                                                                  www.dji.de/bulletinbestellung.htm
Seite 40   Publikationen

           Vorschau: DJI Bulletin 82
           Themenheft
           Kinderwelten – Familienwelten
           Qualitative Sozialforschung am DJI
                                                  2   DJI Bulletin 81   1/2008
Gerechtes Aufwachsen ermöglichen Bildung - Integration - Teilhabe
Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,
»Gerechtes Aufwachsen ermöglichen!« –        ration und interethnisches Zusammenle-      In eigener Sache:
Das DJI Bulletin 81 ist dem Thema des        ben« vorgestellt und in Bezug zur Frage     Im Bulletin 81 »Gerechtes Aufwachsen
13. Deutschen Kinder- und Jugendhilfe-       nach »sozialer Gerechtigkeit« gesetzt.      ermöglichen!« werden wir keinen
tages gewidmet (18.–20. Juni 2008 in                                                     Informationsteil aufnehmen, sondern
Essen).                                      Was ist soziale »Gerechtigkeit«, was ist    dieses Heft allein auf die Beiträge zum
– Was ist soziale »Gerechtigkeit«, was       eine »gerechte« Gesellschaft?               Thema des 13. Deutschen Kinder- und
   ist eine »gerechte« Gesellschaft?                   Das chinesisch-japanische         Jugendhilfetages beschränken, gleichsam
– Welche Voraussetzungen müssen                        Schriftzeichen für »Was« ist      als ein »Programmheft« des DJI zu die-
   gegeben sein, damit alle Kinder und                 eine Abstraktion des ursprüng-    sem Kongress.
   Jugendlichen sich optimal entwickeln                lichen Bildes, bei dem zwei           Zeitnah wird das Bulletin 82 zum
   können?                                             Menschen eine Stange tragen,      Thema »Qualitative Sozialforschung am
– Welche notwendigen Befähigungen                      an der etwas hängt. Die anderen   DJI« erscheinen, in dem dann der Info-
   und Kompetenzen sind für eine gelin-                Leute, die das sehen, fragen      teil wieder aufgenommen ist.
   gende Lebensführung erforderlich?                   sich, WAS da wohl drin ist?
– Inwieweit können sich die jungen                                                       Im DJI Bulletin 80 »Kindertages-
   Menschen auf das Wissen und die           Der Fotojournalist Lennart Preiss hat die   betreuung in Deutschland« hat uns der
   Erfahrungen der Erwachsenen bzw.          Frage nach sozialer Gerechtigkeit aufge-    Druckfehlerteufel ein Schnippchen ge-
   Eltern verlassen?                         griffen, indem er Tüten, Taschen, Map-      schlagen:
– Was macht Familien zu benachteilig-        pen und Koffer ins Visier nahm als Sym-        Auf Seite 13 muss die Überschrift
   ten Familien?                             bole für Sein und Haben:                    lauten: »14 Milliarden Euro für Kinder«
– Was heißt Bildungsgerechtigkeit,              Was ist da drin, was trägt dieser        (und nicht »… für Kinder unter drei Jah-
   Integrationsgerechtigkeit, Teilhabe-      Mensch mit sich, hat er alles, was er       ren«).
   gerechtigkeit?                            braucht?                                       Seite 32: Der Parlamentarische
– Inwieweit können Kinder und Jugend-           Was verraten uns Tüten, Taschen,         Abend des DJI fand am 19. September
   liche befähigt werden, sich für oder      Mappen und Koffer über die anderen,         2007 statt, und nicht am 19.02.2007.
   gegen eine bestimmte Weise der Le-        oder unterliegen wir da eher Täuschun-         Wir bitten um Entschuldigung.
   bensführung zu entscheiden, sowie         gen?
   ein eigenes Konzept für ein gelingen-        Kann man den Menschen ihre                 Mit herzlichen Grüßen
   des Leben zu entwickeln?                  Lebenslage ansehen?                           Jürgen Barthelmes
– Welche Voraussetzungen, Gelegenhei-           Welche Vorstellungen machen wir uns        Stephanie Vontz
   ten und Fähigkeiten sind unabding-        von den anderen?
   bar, um ein gerechtes Aufwachsen für         Was brauchen wir (bzw. auch nicht),
   die jungen Menschen zu ermöglichen        damit es bei uns und den anderen »ge-
   bzw. zu verwirklichen?                    recht zugeht«?
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
DJI stellen in diesem Heft (sowie auf
dem Jugendhilfetag in Essen) zu den Be-
reichen »Bildung – Integration – Teil-
habe« empirische Ergebnisse vor, formu-
lieren Thesen zur »Gerechtigkeit« und
geben Anregungen für Politik und Praxis.
   Das Themenspektrum im DJI Bulle-
tin 81 reicht von der frühen Kindheit
über Hauptschüler, Bildungschancen,
Pflegekinder, Jugendliche in freiheits-
entziehenden Maßnahmen bis zur
Familienbildung, Jugendbildung,
Jugendhilfe und Migration – und geht
der Frage nach, wie es mit der Gerechtig-
keit bei Bildung, Integration und Teil-
habe steht.
   Im Bulletin 81 PLUS werden Ergeb-
nisse des Nationalen Bildungsberichtes
2008, der Studie »Informelle Lernpro-
zesse im Jugendalter in Settings des frei-
willigen Engagements« sowie des For-
schungsschwerpunktes »Migration, Integ-

                                                        DJI Bulletin 81   1/2008    3
Gerechtes Aufwachsen ermöglichen Bildung - Integration - Teilhabe
Berichte zur Bildung

Über die Paradoxie, Problem und Lösung zugleich zu sein                                  1) Bildung – Verstärker von Ungleich-
                                                                                         heit oder wirksames Gegenmittel?
                                                                                         Im Anschluss an die Präsentation der

Gerechtigkeit durch Bildung?                                                             ersten PISA-Ergebnisse (Baumert u. a.
                                                                                         2001) wurde deutlich, dass im Kern, so
                                                                                         das damalige Fazit, die getesteten Kom-
                                                                                         petenzen bei den Schülerinnen und
                                                                                         Schülern in Deutschland weniger von
Bildung wird in Deutschland seit einigen Jahren als die zentrale Zukunfts-               der Schule als vielmehr von nicht-schu-
ressource, als der wichtigste Rohstoff des Landes gehandelt. Politik, Medien und         lischen Einflüssen abhängen, sprich: von
Öffentlichkeit sind sich in diesem Befund erstaunlich einig. Etwas zurückhalten-         ihrer sozialen Herkunft. Mit anderen
der sind da schon Teile der Fachwelt, nicht zuletzt auch in der Kinder- und Jugend-      Worten: Das Bildungssystem schafft es
hilfe. Dies hat unterschiedliche Ursachen und Gründe. Der 13. Kinder- und                offenbar nicht, die herkunftsbedingten
Jugendhilfetag mit seinem Motto »Gerechtes Aufwachsen ermöglichen! Bildung,              Unterschiede so abzufedern und auszu-
Integration, Teilhabe« bietet eine gute Gelegenheit, in dieser Hinsicht Zwischen-        gleichen, dass am Ende tatsächlich die
bilanz zu ziehen.                                                                        individuelle Leistung ausschlaggebend
                                                                                         ist.
  Bildung – ein Zauberwort mit               Widersprüchlichkeiten, latentes Unbe-           Im Gegenteil: Die Schere zwischen
  Ecken und Kanten                           hagen sowie empirisch offene Baustellen     sozial belasteten und zu Hause gut ge-
Mit den so genannten »Leipziger The-         des gegenwärtigen Zukunftsprojekts Bil-     förderten Kindern und Jugendlichen öff-
sen« zur aktuellen bildungspolitischen       dung identifizieren, von denen nachfol-     net sich beim Durchlaufen des formalen
Debatte hat sich die Kinder- und Jugend-     gend einige ins Blickfeld gerückt werden    Bildungssystems weiter, so dass unter
hilfe schon im Juli 2002 in Sachen Bil-      sollen.                                     dem Strich das formale Bildungssystem
dung zu Wort gemeldet. Gemeinsam                                                         Ungleichheit nicht abbaut, sondern zu
haben damals das Bundesjugendkurato-             Widersprüchlichkeiten des               deren Stabilisierung beiträgt. Insofern
rium (BJK), die Sachverständigenkom-             Zukunftsprojektes Bildung               steht Bildung in der eigentümlichen
mission des 11. Kinder- und Jugend-          Vermutlich gibt es zu dem viel beschwo-     Spannung, auf der einen Seite Hoff-
berichts sowie die Arbeitsgemeinschaft       renen Hoffnungsträger Bildung keine         nungsträger und Lösung des Problems zu
für Jugendhilfe (AGJ) unter dem Motto        wirkliche Alternative, zielt doch Bildung   sein, auf der anderen Seite aber eben zu-
»Bildung ist mehr als Schule« in poin-       am konsequentesten auf die je individu-     gleich auch Verursacher und Produzent
tierter Form die Sicht der Kinder- und       elle Ausstattung der nachwachsenden         von Ungleichheit.
Jugendhilfe auf das Thema Bildung in         Generation, also auf jene Fähigkeiten,          Wenn die Hoffnungen, die auf Bil-
elf Thesen dargelegt (Bundesjugend-          die für eine eigenständige und verant-      dung ruhen, Realität werden sollen,
kuratorium u. a. 2002).                      wortungsvolle Lebensführung unerläss-       muss sich an dieser Spirale etwas Ent-
    In der ersten These heißt es:            lich sind.                                  scheidendes ändern. Und die völlig un-
    »Bildung ist der umfassende Prozess         Wesentliche Merkmale einer sozialen      terbelichtete Alltagsbildung ist in die-
der Entwicklung und Entfaltung derjeni-      Bildungsgerechtigkeit sind niedrig-         sem Zusammenhang ein entscheidender
gen Fähigkeiten, die Menschen in die         schwellige, herkunftsunabhängige Zu-        Parameter (Rauschenbach 2007).
Lage versetzen, zu lernen, Leistungs-        gänge zu den Bildungsangeboten, aus-
potenziale zu entwickeln, zu handeln,        gleichende Wirkungen der Bildungs-          2) »Bildung von Anfang an« –
Probleme zu lösen und Beziehungen zu         systeme in Anbetracht unterschiedlicher     Anspruch ohne Realität?
gestalten. Junge Menschen in diesem          individueller und sozialer Ausgangs-        Inzwischen gehört der Anspruch schon
Sinne zu bilden, ist nicht allein Aufgabe    lagen sowie möglichst wenig selektions-     zu den Standardformeln des modernen
der Schule. Gelingende Lebensführung         verstärkende Übergänge zwischen den         Einmaleins der Bildung: »Bildung von
und soziale Integration bauen ebenso         Bildungsinstanzen.                          Anfang an«. Diese Einsicht wird als neue
auf Bildungsprozesse in Familien, Kin-          Auch wenn Bildung vor diesem Hin-        paradigmatische Ausrichtung in der Bil-
dertageseinrichtungen, Jugendarbeit und      tergrund in der politisch-öffentlichen      dungsdiskussion verstärkt propagiert.
der beruflichen Bildung auf. Auch wenn       Debatte gerne als des Rätsels Lösung        Insofern mutet es geradezu paradox an,
der Institution Schule ein zentraler Stel-   angepriesen wird, kommt man nicht um-       dass die Investitionen in Bildung nach
lenwert zukommt, reicht Bildung jedoch       hin, dem aktuellen Bildungssystem fak-      wie vor tendenziell geringer ausfallen, je
weit über Schule hinaus«.                    tisch zumindest auch das Gegenteil zu       jünger die Kinder sind.
    Auch wenn dieses erweiterte Ver-         bescheinigen. Bildung verspricht die           Eindrücklich zeigt sich dies beim
ständnis von Bildung inzwischen ver-         Lösung – und erzeugt zugleich doch das      Personal:
mutlich mehr denn je auf breite Zustim-      Problem.                                    – Während bei Kindern unter drei Jah-
mung stößt (BMFSFJ 2006), gibt es               Zumindest drei Widersprüchlichkei-          ren Kinderpflegerinnen und unausge-
rund um das Thema Bildung doch meh-          ten kennzeichnen gegenwärtig das               bildete Tagesmütter eine nennenswer-
rere Facetten, die zu Rückfragen, Ein-       Zukunftsprojekt Bildung.                       te Rolle spielen, überwiegen im Kin-
wänden und Nachdenklichkeiten Anlass                                                        dergarten die an Fachschulen ausge-
geben. Dabei lassen sich konzeptionelle                                                     bildeten Erzieher/innen.

                                             4      DJI Bulletin 81   1/2008
Gerechtes Aufwachsen ermöglichen Bildung - Integration - Teilhabe
– Ab der Grundschule beginnen die
   Hochschulausbildungen, allerdings
   auch hier mit dem Alter der Kinder
   ansteigend in Umfang, Anforderun-
   gen und – anschließender – Vergü-
   tung.
– Für den Hochschulbereich muss zu-
   dem das wissenschaftliche Personal in
   der Regel promoviert sein.
Diese Hierarchie in punkto Ausbildung,
Bezahlung und letztlich auch die dahin-
ter zum Ausdruck kommende öffentliche
Anerkennung verhält sich diametral ent-
gegengesetzt zu der immer stärker ins
Blickfeld gerückten Wichtigkeit der frü-
hen Bildungsjahre. Wer Bildung von An-
fang an propagiert, muss auch konse-        gen wird, wenn also gerade jene Inhalte,      len sollte. In beiden Richtungen macht
quent in diese investieren.                 Orte und Modalitäten gestärkt werden,         sich nicht zuletzt ein latentes Unbe-
                                            die ansonsten unterzugehen drohen, die        hagen bemerkbar, das ein Teil der Stim-
3) Halbierte Bildung – über »die andere     aber für viele Kinder und Jugendliche         mungslage in der Kinder- und Jugend-
Seite der Bildung«                          ein wichtiges Feld sozialer Anerkennung       hilfe widerspiegelt. Hierzu folgende
Ein wesentlicher, für Deutschland be-       und sozialer Integration sind                 Anmerkungen:
drückender Befund aller PISA-Studien        (Holtappels u. a. 2007).
offenbart, dass die getesteten Schülerin-      Für die Kinder- und Jugendhilfe als        1) Aufwachsen und Kindheit ist mehr
nen und Schüler im internationalen Ver-     viel gefragtem Partner in diesem Projekt      als Bildung
gleich weniger Probleme in der Spitze       stellt sich daher die Herausforderung,        In manchen Diskussionen wird das The-
als vielmehr im Durchschnitt haben.         vor allem diese Seite der Bildung, die sich   ma Aufwachsen fast völlig mit Bildung
Oder anders formuliert: Fast nirgends       durch Informalität, Alltagsnähe und Of-       gleichgesetzt, fast so, als ob alles im Le-
war die Kluft zwischen den gut und den      fenheit kennzeichnen lässt, verstärkt in      ben eines jungen Menschen auf Bildung,
schlecht abschneidenden Jugendlichen        die Prozesse der Ganztagsbildung einzu-       auf Zukunft, auf Verwertbarkeit, auf das
so groß wie in Deutschland. Und hierauf     bringen.                                      Erwachsenendasein ausgerichtet wäre.
muss Bildungspolitik mit Strategien rea-       Insgesamt zeigt sich, dass nicht nur       So wird zwar inzwischen innerhalb der
gieren, die gezielt zu einem Abbau die-     hoffnungsvolle Konzepte von Bildung           Bildungsdebatte richtigerweise die
ser Kluft führen. Dies kann man nur er-     entwickelt werden dürfen, sondern dass        schul- und berufsqualifizierende Eng-
reichen – will man die Leistungsstarken     auch an der Beseitigung von kontrapro-        führung eines Bildungskonzeptes zu-
nicht künstlich an ihrer Entwicklung hin-   duktiven Nebenwirkungen einer weitaus         gunsten eines erweiterten Bildungsver-
dern –, indem man zusätzlich gezielt die    zwiespältigeren Bildungswirklichkeit          ständnisses im Horizont einer »Ganz-
Leistungsschwächeren fördert.               gearbeitet werden muss.                       tagsbildung« (Coelen/Otto 2008) aufge-
   Allerdings: Mit einer Verdichtung von                                                  brochen, die konsequenterweise die ge-
Schule durch G8-Gymnasien, mit einer          Das Unbehagen in der Kinder- und            samte Lebensperspektive ins Blickfeld
stärkeren Vereinheitlichung und Standar-      Jugendhilfe mit der Bildung                 rückt. Aber reicht das? Lässt sich Kind-
disierung zwischen den Ländern und          Zweifelsohne ist das Thema Bildung in         heit und Aufwachsen wirklich auf Bil-
Zentralabitur oder mit einer Stärkung       den letzten Jahren auch in der Kinder-        dung reduzieren? Entsteht dadurch nicht
der Hauptfächer mag man vielleicht Ver-     und Jugendhilfe angekommen; proto-            eine schwierige Gleichsetzung des Auf-
besserungen an der Leistungsspitze er-      typisch steht hierfür der Zwölfte Kinder-     wachsens mit einer allumfassenden
zielen, aber ganz sicher nicht mit Blick    und Jugendbericht (BMFSFJ 2006). Eine         entgrenzten Dauerqualifizierung, eine
auf die Schwächen und Unzulänglich-         Vielzahl an Veröffentlichungen, Stel-         Hegemonie sowie eine Instrumentali-
keiten der so genannten »PISA-Risiko-       lungnahmen und Tagungen sind Indiz            sierung durch Bildung, die das Anrecht
gruppen«. Hierzu bedarf es anderer Stra-    für diese neue Selbstvergewisserung.          der Heranwachsenden auch auf zweck-
tegien, die z. B. gezielt auch auf die      Dass der 13. Deutsche Kinder- und             freie Zeiten und Räume, auf Verwirk-
unterrichtsabgewandten Facetten von         Jugendhilfetag sich auch diesem Thema         lichung statt Verwertbarkeit zu kurz kom-
Bildung zielen.                             zuwendet, ist nur folgerichtig und konse-     men lässt? Nicht umsonst insistiert die
   Das bundesweite Programm zur Ein-        quent. Intensiv und kontrovers wird al-       Kinder- und Jugendhilfe auf Freiräume
führung und zum Ausbau von Ganztags-        lerdings diskutiert, welche Rolle zum         der Selbstgestaltung, auf eine nicht-
schulen könnte in diesem Zusammen-          einen die Bildung innerhalb der Kinder-       instrumentalisierbare Seite des Alltags
hang ein Schritt in die richtige Richtung   und Jugendhilfe und welche Rolle zum          von Kindern und Jugendlichen, auf eine
sein, da das Projekt Ganztagsbildung nur    anderen die Kinder- und Jugendhilfe in-       alters- und kindgerechte Kindheit
gelingen kann, wenn auch die »andere        nerhalb der Bildungsdebatte augenblick-       (Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und
Seite der Bildung« gezielt mit einbezo-     lich spielt bzw. im günstigsten Fall spie-    Jugendhilfe 2006).

                                                        DJI Bulletin 81   1/2008     5
Gerechtes Aufwachsen ermöglichen Bildung - Integration - Teilhabe
Berichte zur Bildung

2) Jugendhilfe als »fünftes Rad« am           gegenüber kategoriale Dimensionen wie          bot für die unter Dreijährigen ausgebaut
Wagen der Bildung                             Hilfe, Sorge oder Unterstützung, wie           werden soll. Ungeklärt ist unterdessen
Die Aufforderung an die Kinder- und           Beratung, sozialer Bedarfsausgleich oder       unter anderem, wie der Aspekt der Bil-
Jugendhilfe, sich verstärkt am Projekt        die Gestaltung einer gemeinsamen All-          dung neben der Betreuung und der Er-
Bildung zu beteiligen, wurde von An-          täglichkeit an Bedeutung? Wird Partei-         ziehung nachhaltig verstärkt werden
fang an auf Seiten der Kinder- und            lichkeit und Solidarität, wird eine advo-      kann, wie und auf welchem Niveau das
Jugendhilfe mit einer gehörigen Portion       katorische Ethik gegenüber Benachteilig-       künftige Personal ausgebildet werden
institutioneller Skepsis begleitet. »Ko-      ten damit zu einer Petitesse der eigenen       soll, wie nahe und mit welchem Grad der
operation auf Augenhöhe« wurde infol-         Handlungsmaximen?                              Eigenständigkeit die Kindertageseinrich-
gedessen auch zu der vielleicht am meis-         Und nicht zuletzt besteht innerhalb         tungen an die Schule und an das Bil-
ten gebrauchten Redensart in den Debat-       der Kinder- und Jugendhilfe auch die           dungswesen herangerückt werden, wie
ten um den richtigen Weg und das richti-      Befürchtung, dass mit dem Projekt Bil-         mit dem massiv bedrängenden Thema
ge Ausmaß der Beteiligung an diesem           dung – mal wieder – eine flächendecken-        der Kinder mit Migrationshintergrund
politischen Großprojekt. Zu stark waren       de Umdeutung sozialer und politischer          umzugehen ist und in welchem Umfang
und sind offenbar die Befürchtungen,          Herausforderungen in pädagogische Fra-         weitere Mittel für eine Qualitätsoffen-
dass der Juniorpartner Kinder- und            gen einhergeht, also, wenn man so will,        sive bereitgestellt werden müssen. Das
Jugendhilfe bei diesem Jointventure-          eine Entpolitisierung der dahinter lie-        Themenfeld der Kindertageseinrichtun-
Projekt mit dem etablierten Bildungs-         genden Themen von Ungleichheit und             gen wird jedenfalls in absehbarer Zeit
system, d. h. mit der Schule seine Eigen-     Ungerechtigkeit. Verteilungsfragen sowie       eine Großbaustelle in Sachen Bildung
ständigkeit und Identität verliert, in sei-   Armutsfragen, so eine weit verbreitete         bleiben. Entscheidend wird es sein, ob
nem Eigensinn gewissermaßen margi-            Meinung in der Kinder- und Jugendhilfe,        es gelingt, ein Mehr an Bildung und
nalisiert wird. Dieses nicht ganz unbe-       dürfen nicht zu Teilhabefragen und ge-         Qualität in die bundesdeutsche Kinder-
rechtigte Unbehagen, zum fünften Rad,         sellschaftliche Strukturprobleme nicht in      tagesbetreuung zu bringen, ohne dass
also zum Ersatzrad am Wagen der Bil-          individuelle Handlungsprobleme umge-           ihre Identität und ihre Besonderheit ge-
dung zu werden, durchzieht nach wie vor       deutet werden, so sehr auch Teilhabe           genüber der Schule verloren geht.
viele Auseinandersetzungen an den             und individuelle Entfaltung als eigen-
Schnittstellen zum Bildungssystem, an         ständige Dimensionen beachtet werden           2) Die uneingelösten Potenziale der
denen die Kinder- und Jugendhilfe be-         müssen.                                        Ganztagsschule
teiligt ist.                                     Dieses Unbehagen an einer ganzen            Ganztagsschulen sind ein Schlüssel-
   Hinzu kommt, dass es offenkundig           Reihe von ungeklärten Fragen erklärt die       thema der künftigen Gestaltung der
auch innerhalb der Kinder- und Jugend-        zuweilen für Außenstehende fast aufrei-        Schule in Deutschland. Dabei ist der
hilfe Profiteure und Verlierer im Zuge        zend wirkende Zurückhaltung in Sachen          Prozess des Auf- und Umbaus der Schul-
der Kooperation gibt. So verläuft die In-     Bildung auf Seiten der Kinder- und             landschaft in Ganztagsschulen nicht
tegration der verschiedenen Bereiche der      Jugendhilfe, die von dritter Seite immer       mehr ernsthaft aufzuhalten. Ungeklärt
Kinder- und Jugendhilfe in die jeweili-       wieder verblüfft wahrgenommen wird.            ist dabei aber weiterhin die Rolle der
gen Bildungssettings ausgesprochen un-                                                       Kinder- und Jugendhilfe. Empirisch
terschiedlich. Die Jugendarbeit im Sport          Offene Baustellen des Zukunfts-            zeigt sich, dass sie mengenmäßig weit-
lässt sich beispielsweise ganz selbstver-         projektes Bildung                          aus weniger beteiligt ist, als sich dies
ständlich auf das »Projekt Ganztagsschu-      Mit einem Blick auf die empirischen            vermutlich viele Strategen wünschen
le« ein, während die weltanschaulichen        Entwicklungen zeigen sich schließlich          (Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und
Gruppierungen Sorge haben, durch diese        weitere ungeklärte Sachverhalte, gewis-        Jugendhilfe 2008), sprich: dass sie weit-
Zusammenarbeit noch weiter an den             sermaßen offene Baustellen, die es zu          aus stärker die nicht-unterrichtliche Seite
Rand gedrängt, noch unsichtbarer in ih-       bearbeiten gilt. Auch hier soll stellvertre-   der ganztägigen Angebote gestalten so-
rer Andersartigkeit zu werden. So wird        tend auf folgende Punkte hingewiesen           wie andere Formen und Themen der
die Ganztagsschule eher zu einem Feind-       werden.                                        Ganztagsbildung einspeisen müsste.
bild, zu einem Aggressor, der den Jugend-                                                    Vor allem die kommunalen Jugendämter
lichen die Zeit und die Möglichkeiten         1) Die Großbaustelle Kindertages-              sind dabei als lokale Schlüsselakteure
nimmt, sich an den Aktivitäten der Kin-       einrichtung                                    auf breiter Ebene vorerst wenig, auf
der- und Jugendarbeit zu beteiligen.          Noch befinden sich die Kindertagesein-         jeden Fall zu wenig erkennbar.
                                              richtungen in einem zukunftsoffenen                Die Kooperationen zwischen Schule
3) Grenzen der Allmacht von Bildung           Umgestaltungsprozess. Geklärt zu sein          und Jugendhilfe begrenzen sich eher auf
für die Kinder- und Jugendhilfe               scheint, dass sie, ganz generell, an Be-       bilaterale Kontakte mit einzelnen Ak-
Schließlich stehen auch ungeklärte Fra-       deutung gewinnen, dass dabei dem The-          teuren und Einrichtungen, weniger auf
gen nach der konzeptionellen Gesamt-          ma Sprache besondere Beachtung ge-             eine flächendeckende, konzeptionell
ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe       schenkt werden muss, dass allerorten           ausgerichtete Gesamtstrategie einer
im Raum. Ist Bildung der einzige, der         erstellte Bildungspläne zu einer geziel-       Zusammenarbeit von Jugendhilfe und
künftig allumfassende Referenzpunkt,          ten Stärkung der Bildungs- und Erzie-          Schule aus dem Blickwinkel der Kinder
das ultimative Koordinatensystem der          hungsarbeit in Kindertageseinrichtungen        und Jugendlichen. Lokale Bildungsland-
Kinder- und Jugendhilfe? Verlieren dem-       beitragen und dass vor allem das Ange-         schaften könnten diesbezüglich eine

                                              6      DJI Bulletin 81   1/2008
Gerechtes Aufwachsen ermöglichen Bildung - Integration - Teilhabe
strategische Variante der verbesserten      arbeit zu sein: Je diffuser ihre Stellung in   Literatur
Organisation einer ganztägigen Bildung      den durchschnittlichen Lebensentwürfen
sein, einer Bildung, die bewusst auch auf   junger Menschen wird, umso wichtiger           Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und
                                                                                              Jugendhilfe – AGJ (Hrsg.) (2006):
die »andere Seite der Bildung« setzt        scheint gleichzeitig ihr ergänzender Er-          Zukunftsprojekt: Gemeinsame Gestaltung
(Otto/Rauschenbach 2008).                   möglichungs- und Erfahrungsraum für               von Lern- und Lebenswelten. Zusammen-
                                            die Kinder und Jugendlichen neben Fa-             spiel von Kinder- und Jugendhilfe & Schule
3) Kinder- und Jugendarbeit auf der         milie und Schule zu werden.                       im Sozialraum. Berlin
Suche nach Zukunft                             Zudem hat die Kinder- und Jugend-           Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und
                                                                                              Jugendhilfe – AGJ (Hrsg.) (2008): Koope-
Die Kinder- und Jugendarbeit tut sich       arbeit aber auch mit der ungelösten so-           ration von Jugendhilfe und Ganztagsschule
innerhalb der Jugendhilfe immer noch        zialen Herausforderung zu kämpfen,                – eine empirische Bestandsaufnahme im
besonders schwer im Umgang mit dem          dass sie – unter dem Strich – ebenfalls,          Prozess des Ausbaus der Ganztagschulen in
Thema Bildung. Diesseits und jenseits       wie die Schule, jene stärkt, die ohnehin          Deutschland. Expertise im Auftrag der Ar-
der Ganztagsschule ringt sie um die         schon oft zur Gruppe der Stärkeren und            beitsgemeinschaft für Kinder- und Jugend-
                                                                                              hilfe. Berlin
richtige Haltung zu diesem Thema –          Erfolgreichen gehören. Oder anders for-        Baumert, Jürgen u. a. (Hrsg.) (2001): PISA
und dies in Anbetracht ihrer eigenen,       muliert: Auch der Kinder- und Jugendar-           2000: Basiskompetenzen von Schülerinnen
dezidiert anti-schulischen Tradition, im    beit gelingt es bislang offenkundig nicht,        und Schülern im internationalen Vergleich.
Horizont ihres konsequent partizipativ      vor allem jene zu erreichen und zu för-           Opladen
ausgerichteten Selbstverständnisses im      dern, die besonders davon profitieren          Bundesjugendkuratorium / Sachverstän-
                                                                                              digenkommission des 11. Kinder- und
Umgang mit den Kindern und Jugend-          könnten: die benachteiligten Kinder und           Jugendberichts/Arbeitsgemeinschaft für
lichen, den Schule bislang nun gerade       Jugendlichen mit erhöhtem Förderungs-             Jugendhilfe (2002): Bildung ist mehr als
nicht zu ihrem Credo gemacht hat, so-       bedarf (BMFSFJ 2006). Diesem Punkt                Schule. Leipziger Thesen zur aktuellen bil-
wie im Lichte einer drohenden Margina-      muss in Zukunft ebenfalls erhöhte Auf-            dungspolitischen Debatte. Aus: http://
lisierung aufgrund ihrer schlechten Aus-    merksamkeit zuteil werden.                        www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/
                                                                                              RedaktionBMFSFJ/Abteilung5/Pdf-Anlagen/
stattung und ihrer rechtlich schwachen                                                        leipziger-thesen,property=pdf,bereich=
Absicherung als Infrastrukturaufgabe           Quo vadis Bildung?                             ,sprache=de,rwb=true.pdf; Download am
einerseits sowie einer fast erdrückenden    Das Thema Bildung und Gerechtigkeit               30.11.2007
Konkurrenz kommerzieller Freizeitange-      konturiert sich nicht so einfach und so        Bundesministerium für Familie, Senioren,
bote andererseits.                          eindeutig, wie es auf den ersten Blick            Frauen und Jugend (BMFSFJ; Hrsg.)
                                                                                              (2006): Zwölfter Kinder und Jugendbericht.
    Geradezu paradox scheint die gesell-    scheint. Die Schulstrukturdebatte greift          Bericht über die Lebenssituation junger
schaftliche Lage der Kinder- und Jugend-    dabei zu kurz, weil sie nur schulimma-            Menschen und die Leistungen der Kinder-
                                            nente Lösungen im Blick hat. Bildung              und Jugendhilfe in Deutschland. Berlin
                                            kann die erhofften Erfolge bestenfalls         Coelen, Thomas / Otto, Hans-Uwe (Hrsg.)
                                            dann verbuchen, wenn sie dazu beiträgt,           (2008): Grundbegriffe Ganztagsbildung. Ein
                                                                                              Handbuch. Wiesbaden
                                            vorhandene, herkunftsbedingte Nachtei-         Holtappels, Heinz-Günter u. a. (Hrsg.) (2007):
                                            le auszugleichen, wenn sie also auch für          Ganztagsschule in Deutschland. Ergebnisse
                                            jene Kinder eine zweite Chance eröffnet,          der Ausgangserhebung der »Studie zur
                                            die von zu Hause aus nicht mit einem              Entwicklung von Ganztagschulen« (StEG).
                                            üppigen sozialen und kulturellen Erbe             Weinheim, München
                                                                                           Otto, Hans-Uwe / Rauschenbach, Thomas
                                            ausgestattet werden, sprich: wenn Kinder          (Hrsg.) (2008): Die andere Seite der Bildung.
                                            im Laufe des Aufwachsens ihre individu-           Zum Verhältnis von formellen und informel-
                                            ellen Fähigkeiten unabhängig von ihrer            len Bildungsprozessen. Wiesbaden
                                            sozialen Herkunft entwickeln können.           Rauschenbach, Thomas (2007): Im Schatten
                                            Dazu bedarf es neben der Schule auch              der formalen Bildung – Alltagsbildung als
                                                                                              Schlüsselfrage der Zukunft. In: Diskurs
                                            anderer Akteure des Aufwachsens von               Kindheits- und Jugendforschung, H. 4,
                                            Kindern sowie eine gute Mischung aus              S. 439–453
                                            Bildung, Betreuung und Erziehung ei-
                                            nerseits sowie Teilhabe, Freiräumen und
                                            Potenzialen zur Ermöglichung anderer-
                                            seits.
                                               Empirisch scheint das Projekt Bildung
                                            diese Aufgabe allerdings noch nicht
                                            wirklich erfüllt zu haben. So lange aber
                                            müssen Nachfragen, Nachdenklichkeiten
                                            und Vorbehalte erlaubt sein. Sie dienen
                                            letztlich der Schärfung des Konzeptes –
                                            und damit der Sache selbst.

                                            Thomas Rauschenbach                            Kontakt: Prof. Dr. Thomas Rauschenbach,
                                                                                           rauschenbach@dji.de

                                                        DJI Bulletin 81   1/2008      7
Gerechtes Aufwachsen ermöglichen Bildung - Integration - Teilhabe
Berichte zur Bildung

Den Kindern eine Stimme geben

Neue Ansätze der Kindheitsforschung

Die neue Kinder- und Kindheitsforschung erwuchs aus einer grundsätzlichen Kri-          die sich ununterbrochen in der Familie
tik an der erwachsenenzentrierten Sichtweise auf Kindheit. Die Annahme, dass            abspielen. Dabei wird ein starker Zu-
das Kind »unfertig« sei und daher von den Erwachsenen unterwiesen werden                sammenhang zwischen Klassenzugehö-
müsse, damit es den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht wird, ging explizit        rigkeit sowie Bildungs- und Erziehungs-
von einer gesellschaftlich gesetzten und von den Erziehungspersonen durchzu-            praktiken sichtbar.
setzenden Norm für das korrekte Aufwachsen von Kindern aus. Diese Vorstel-                  Diese Studie kann den größeren schu-
lung wurde in den letzten Jahren ersetzt durch die These, dass der Alltag des           lischen Erfolg der Mittelschichtskinder
Aufwachsens gemeinsam durch das Zusammenwirken von Eltern und Kindern                   durch frühe und exzessive Förderung
hergestellt werden muss. Dabei erkannte man den Eigenwert von Kindern an –              vonseiten der Eltern aufzeigen.
jenseits der damit verbundenen Funktionalität für die Gesellschaft. Daraus ergab            Die Kinder erwerben
sich ein Forschungsinteresse, welches das Kind im »Hier und Jetzt« mit seinen           – konkrete benennbare Fähigkeiten
Lebensäußerungen, seinen Handlungsregeln und Bedeutungszuschreibungen zu                    (beispielsweise für Sport, Musik,
verstehen versuchte (Breidenstein/Kelle 1998). Vor diesem Hintergrund will die              Fremdsprachen),
moderne Soziologie der Kindheit den Kindern eine Stimme geben. Sie sollen               – abstrakte Kompetenzen sowie spezifi-
nicht mehr vorwiegend gemessen, klassifiziert, naturwissenschaftlich objektiv               sche Persönlichkeitsmerkmale (bei-
beobachtet werden – vielmehr will man ihnen dazu verhelfen, ihre Sicht auf die              spielsweise ein stärker ausgeprägtes
Welt zu artikulieren. Mit dem veränderten Blickwinkel auf Kinder treten deren               Selbstwertgefühl, das Gefühl des
schon vorhandene Kompetenzen und Handlungsfähigkeit (agency) in den Vorder-                 »Empowerment«),
grund wissenschaftlicher Fragestellungen – insbesondere in solchen Feldern, die         – soziale und kommunikative Fähigkei-
einem rasanten sozialen Wandel unterworfen sind.                                            ten im Umgang mit Autoritäten und
                                                                                            Institutionen.
  Forschung aus der Perspektive der        nachteiligungen im Alltag sowie im           Lareau warnt jedoch davor, diese Erzie-
  Kinder                                   Lebensverlauf von Kindern, die durch         hungspraxis automatisch als die »besse-
Methodologisch und methodisch steht        ihre Zugehörigkeit zu einem Sozial-          re« zu verstehen und arbeitet bei beiden
die neue Kindheitsforschung vor der        milieu entstehen, erweisen sich immer        Varianten Vorteile sowie Nachteile
Herausforderung, dass sie nicht als For-   noch als ein wesentlicher Türöffner für      heraus. Den größeren »Erfolg« der Strate-
schung über Kinder, sondern als eine       persönlichen Erfolg sowie für eine Viel-     gie der Kultivierung erklärt sie nicht mit
Forschung »aus der Perspektive« von        zahl von positiven Begleiteffekten wie       der »besseren« Erziehung, sondern mit
Kindern zu verstehen ist (Honig/Lange/     Gesundheit und politische Partizipation      dem Passungsverhältnis zwischen Fami-
Leu 1999). Dementsprechend ist mittler-    (Fend 2007). Insbesondere die Frage          lie und Umwelt (z. B. Schule).
weile eine Vielzahl von methodischen       nach Ungleichheiten in der Bildungs-
Verfahren der allgemeinen empirischen      karriere von Kindern ist ein praxis- sowie     Bildungsbenachteiligung: Anhäufen-
Sozial- und Kulturforschung auf die        politikrelevantes Kernstück der sozial-        de Verkettung von Bedingungen
Population der Kinder übertragen wor-      wissenschaftlichen Kindheitsforschung.       Hintergrund der größeren Resonanz-
den. So hat man wichtige Einblicke in                                                   fähigkeit der im Mittelschichtskontext
das alltägliche Handeln, sowie Einsich-        Die Bedeutung des Erwerbs von            gewonnenen Fertigkeiten, Kompetenzen
ten über die Wünsche und Perspektiven          Bildung in der Familie                   und Kapitalien ist, dass dieses Wissen
von Kindern gewonnen. Man fand bei-        In einer aufschlussreichen Feldstudie hat    höchst anschlussfähig ist für die schuli-
spielsweise heraus, wie Kinder und ihre    das Forscherteam um Annette Lareau           sche Leistungskultur. Ausgegrenzt und
Bezugspersonen definieren, was für sie     von 1990 bis 1995 Erziehungs- und            abgewehrt werden hingegen Fertigkeiten
jeweils eine gute Kindheit bedeutet.       Bildungsprozesse von amerikanischen          und Kapitalien, die aus anderen Milieus
Kombiniert mit Interviewmethoden zei-      Familien untersucht (Lareau 2003). In        stammen, ferner popularkulturelle Fä-
gen diese Informationen weiter auf, wie    diesem Zusammenhang wird der Bil-            higkeiten sowie ein anderer Bildungs-
Kinder sich selbst unter Rückgriff auf     dungserwerb von Kindern in der Familie       kanon, wie er beispielsweise in Migran-
solche Diskurse in der Generations-        als ein nicht-separierbares, permanent       tenfamilien zu finden ist.
ordnung positionieren (Hagen 2007).        sich vollziehendes Geschehen verstan-           Bachmair (2007) zeigt am Beispiel
                                           den, das nicht auf einzelne Aspekte wie      der von Lehrerinnen und Lehrern oft-
  Kindheit = »ungleiche Kindheiten«        etwa Hausaufgabenbetreuung oder Vor-         mals ignorierten vielfältigen Spielarten
Einen weiteren Schwerpunkt bildet die      lesen reduziert werden kann. Es handelt      von Literalität, dass diese keine Akzep-
Auseinandersetzung mit »ungleichen         sich vielmehr um einen komplexen Zu-         tanz für solche Formen aufbringen kön-
Kindheiten« (Betz 2006). Soziale Be-       sammenhang von Alltagshandlungen,            nen. Daraus resultiert eine kumulative

                                           8      DJI Bulletin 81   1/2008
Gerechtes Aufwachsen ermöglichen Bildung - Integration - Teilhabe
Verkettung von Bildungsbenachteili-         lichen Lebensbedingungen und deren            – Welche Persönlichkeitsressourcen ver-
gungen für Kinder aus den nicht-bürger-     Rahmenbedingungen im Kontext von                 helfen Kindern zu einer produktiven
lichen Milieus: weder finden sie genü-      Schule, Kindertageseinrichtungen, Hort,          Nutzung der für sie relevanten Um-
gend Anschluss an die formal hoch be-       Familie oder Gleichaltrigen-Gruppen              welt? (Neyer/Lenhart 2008)
wertete Schulkultur, noch finden sie Ak-    differenziert beschreiben zu können           – Welche Konstellationen bergen die
zeptanz und Resonanz für ihre milieu-       (Joos 2001; Leu 2002). Diese Lebensla-           Gefahr, dass die Kinder in ihrer per-
spezifischen Handlungsbefähigungen.         gen schließen auch größere Gebietsein-           sönlichen und sozialen Entwicklung
   Ergänzt und vervollständigt wird das     heiten wie die Differenzierung in Ost-           (z. B. im Schulerfolg, in ihrer persön-
Bild der Bildungsbenachteiligung im         und Westdeutschland, Unterschiede auf            lichen Interessenentfaltung) einge-
Kindesalter durch Studien, die vor der      Bundesländerebene, Stadt-Land-Unter-             schränkt werden oder aber Problem-
Schulphase bei der Erforschung der kind-    schiede oder auch Differenzierungen in-          verhalten entwickeln (z. B. Aggressivi-
lichen Bildungskarriere ansetzen. So ha-    nerhalb von Städten und Gemeinden                tät, Krankheiten, abweichendes Ver-
ben Vincent und Ball (2007) nachgewie-      (z. B. nach Vierteln) ein, so dass sich auf      halten)?
sen, mit welchen umfassenden Strategi-      dieser Ebene sozialstrukturell-geogra-        – Lassen sich spezifische Resilienzfak-
en und Aktivitäten englische Mittel-        fisch unterschiedliche Bedingungen des           toren für bestimmte Kinder(gruppen)
schichtseltern ihre Vorschulkinder mit      Kindseins herausarbeiten lassen (Alt             feststellen? (Wustmann 2005)
Blick auf die Schul- und Berufskarriere     2001).                                        Wie oben schon angedeutet, geht es ver-
fördern. Zwar nennen die Eltern eine            Daneben – und dies ist ein Novum –        stärkt um die soziale Verortung von Kindern
Vielfalt von Motiven; deutlich wird aber,   richtet sich der Blick auch auf die Persön-   (soziologisch-(sozial)pädagogische Per-
dass eine zentrale Antriebsquelle die       lichkeitsentwicklung der Kinder. Leitfra-     spektive). Die Leitfragen dieser Analyse-
Versorgung der Kinder mit zusätzlichen      gen dieser vorwiegend (entwicklungs-)         richtung lesen sich exemplarisch wie
kulturellen Kapitalien sowie der Aufbau     psychologischen, aber auch sozialisa-         folgt:
von bestimmten Persönlichkeitshaltun-       tionstheoretischen Perspektive (Born-         – Gibt es herkunftstypische Verschrän-
gen sind, um ihnen den angemessenen         stein/Bradley 2003) sind:                        kungen formaler und informeller
Platz und genügend Abstand zu den           – Unter welchen Rahmenbedingungen                Bildungsprozesse?
nachrückenden Sozialschichten sichern           entwickeln Kinder Fähigkeiten, um         – Sind herkunftsspezifische Differenzen
zu können.                                      soziale Beziehungen aufbauen und             im Schulerfolg, im Übertrittsverhal-
                                                aufrecht erhalten zu können, sich in         ten der Kinder auszumachen?
  Sozialberichterstattung heißt:                Gruppen zu positionieren, gemein-         – Gibt es Hinweise darauf, dass unglei-
  Lebenslagen und Persönlichkeit der            sam mit anderen Probleme zu lösen            che Sozialisationsbedingungen, aktu-
  Kinder erforschen                             und Konflikte zu bewältigen, soziale         elle wie zukünftige, Erfahrungen der
Moderne Sozialberichterstattung über            Unterstützung zu geben oder zu               Inklusion oder Exklusion (in den
Kinder richtet den Fokus auf die Lebens-        nutzen?                                      Gleichaltrigen-Gruppen, im Bil-
lagen von Kindern, um die unterschied-

                                                        DJI Bulletin 81   1/2008     9
Gerechtes Aufwachsen ermöglichen Bildung - Integration - Teilhabe
Berichte zur Bildung

   dungssystem etc.) wahrscheinlicher
   machen? (Helsper/Hummrich 2005)
Weitere Analysen beziehen sich auf die
ungleichen Machtstrukturen zwischen
Erwachsenen und Kindern, beispielswei-
se die »generationale Ungleichheit« (En-
gelbert/Herlth 2002), die in verschiede-
nen Lesarten des Agency-Konzeptes der
neueren Kindheitsforschung Eingang
gefunden hat.

  Kinder sind auch Akteure
Übergreifend bearbeitet eine so verstan-
dene Sozialberichterstattung im weite-
ren Sinne die Frage, »wie die Lebensla-
gen die Persönlichkeitsentwicklung be-
einflussen« (Alt 2004–2008). Dies ist
keinesfalls gleichbedeutend damit, dass
die beschriebenen »Einflüsse« nur in
eine Richtung wirksam wären. Das Bild
vom Kind, das der Sozialberichterstat-
tung zugrunde liegt, geht vielmehr von      Literatur
komplexen wechselseitigen Verschrän-
kungen zwischen Individuum und Um-          Alt, Christian (2001): Kindheit in Ost und         Helsper, Werner / Hummrich, Merle (Hrsg.)
welt aus. Individuen sind nicht nur pas-       West. Wiesbaden                                    (2005): Erfolg und Scheitern in der Schul-
                                            Alt, Christian (2004–2008): Kinderleben.              karriere: Ausmaß, Erklärungen, biografische
sive Opfer der Verhältnisse, sondern im-                                                          Auswirkungen und Reformvorschläge. In:
                                               Bände 1–6. Wiesbaden
mer auch Akteure dieser Umwelten            Bachmair, Ben (2007): Migrantenkinder, ihr            Sachverständigenkommission Zwölfter Kin-
(Lerner 2005). Es gilt, an unterschied-        Leserisiko und ihre Medienumgebung. In:            der- und Jugendbericht (Hrsg.): Kompetenz-
lichen Stellen aufzuzeigen, inwiefern die      Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur        erwerb von Kindern und Jugendlichen im
Kinder und ihre Umwelt aufeinander             Wochenzeitung Das Parlament, H. 28,                Schulalter. München, S. 97–173
                                               S. 32–38                                        Joos, Magdalena (2001): Die soziale Lage der
relational bezogen sind und wie die                                                               Kinder. Sozialberichterstattung über die
                                            Betz, Tanja (2006): Ungleiche Kindheit. Ein
Kinder selbst ihre »Umwelt« mit hervor-        (erziehungswissenschaftlicher) Blick auf die       Lebensverhältnisse von Kindern in Deutsch-
bringen.                                       Verschränkung von Herkunft und Bildung.            land. Weinheim
                                               In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung    Lareau, Annette (2003): Unequal childhoods.
Christian Alt, Andreas Lange                   und Sozialisation. 26. Jg., H. 1, S. 52–68         Class, race, and family life. University of
                                            Breidenstein, Georg / Kelle, Helga (1998):            California Press: Berkeley, Los Angeles,
                                               Geschlechteralltag in der Schulklasse.             London
                                               Ethnographische Studien zur Gleichaltrigen-     Lerner, R. M. (2005). Promoting positive youth
                                               kultur. Weinheim                                   development: Theoretical and empirical
                                            Bornstein, M. H. / Bradley, R. H. / Von Eye, A.       bases. White paper: Workshop on the
                                               (eds.) (2003): Socioeconomic status,               Science of Adolescent Health & Develop-
                                               parenting, and child development.                  ment, NRC/Institute of Medicine. Washing-
                                               Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum,                      ton, DC: National Academies of Science
                                               Associates                                      Leu, Hans Rudolf (2002): Sozialberichterstat-
                                            Engelbert, Angelika / Herlth, Alois (2002):           tung über die Lage von Kindern – ein wei-
                                               Sozialökologische Ansätze. In: Krüger,             tes Feld. In: Leu, Hans Rudolf (Hrsg.): Sozial-
                                               Heinz-Herrmann / Grunert, Cathleen (Hrsg.):        berichterstattung zu Lebenslagen von Kin-
                                               Handbuch Kindheits- und Jugendforschung.           dern. Opladen, S. 9–33
                                               Opladen, S. 99–116                              Neyer, Franz J. / Lehnhart, Judith (2008): Per-
                                            Fend, Helmut (2007): Bildung als Ressource            sönlichkeit und Sozialisation. In: Hurrelmann,
                                               der Lebensbewältigung. In: Lemmermöhle,            Klaus / Grundmann, Matthias / Walper,
                                               Doris / Hasselhorn, Marcus (Hrsg.): Bildung –      Sabine (Hrsg.): Handbuch Sozialisations-
                                               Lernen. Humanistische Ideale, gesellschaft-        forschung. Weinheim, S. 82–91
                                               liche Notwendigkeiten, wissenschaftliche        Vincent, Carol / Stephen J. Ball (2007):
                                               Erkenntnisse. Göttingen, S. 183–212                »Making up« the middle-class child:
                                            Hagen, Ingunn (2007): »We can’t just sit the          Families, activities and class dispositions. In:
                                               whole day watching TV«. Negotiations               Sociology, 41, 4, pp. 1061–1077
                                               concerning media use among youngsters           Wustmann, Corina (2005): Die Blickrichtung
                                               and their parents. In: Young 15, 4, pp.            der neuen Resilienzforschung. In: Zeitschrift
                                               369–393                                            für Pädagogik, 51. Jg., H. 2, S. 192–206

                                                                                               Kontakt: Dr. Christian Alt, alt@dji.de;
                                                                                               (apl) Prof. Dr. Andreas Lange, lange@dji.de

                                            10     DJI Bulletin 81   1/2008
Bildungs- und Integrationserwartungen an Kindertageseinrichtungen

Frühe Kindheit im Fokus der Politik

Schulischer Erfolg gilt zunehmend als relevante Größe in der Verteilung gesell-             Wenngleich diese Unterschiede bei
schaftlicher Chancen und Risiken. Fragen der Bildung und Integration haben vor           Kindern im Kindergartenalter weniger
allem durch die internationalen Schulleistungsstudien eine öffentliche Resonanz          deutlich ausfallen, gibt es doch eindeuti-
erfahren. Der Blick von Öffentlichkeit und Forschung richtet sich verstärkt auf          ge soziale Unterschiede hinsichtlich des
immer frühere Altersgruppen – und mittlerweile werden auch der Elementar-                Besuchs oder Nichtbesuchs von Einrich-
bereich des Bildungswesens und damit die Kinder im Vorschulalter ins Visier ge-          tungen der öffentlichen Kindertages-
nommen. In der Lebensphase der (frühen) Kindheit, so der Tenor, werden die               betreuung.
Weichen für zukünftige gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit gestellt.
Die frühe Kindheit steht auf der kinderpolitischen Agenda: Der Nationale Akti-              Wie lange sind Kinder pro Tag in den
onsplan für ein kindergerechtes Deutschland 2005–2010 (NAP), der Kinder- und                Einrichtungen?
Jugendreport zum NAP sowie der Nationale Integrationsplan (NIP) haben sich die           Was die täglichen Zeiten in den Einrich-
Bildung und Integration in früher Kindheit zum Anliegen und Ziel gemacht.                tungen betrifft, wird ein Drittel (33 %)
In den politischen Debatten werden dementsprechend Erwartungen an Bildung                der Kinder unter drei Jahren in den west-
und Integration gegenüber der Frühpädagogik formuliert: Der Besuch von Ein-              lichen Bundesländern lediglich bis zu 5
richtungen soll zu mehr Gerechtigkeit zwischen den Kindern beitragen, und                Stunden wochentags außerhalb der Fami-
durch frühe Förderung sollen sich die Zukunftschancen für alle Kinder erhöhen.           lie betreut – in den östlichen Bundeslän-
                                                                                         dern sind dies weniger als die Hälfte
  Zunahme des Besuchs von                     tenjahren besuchen bundesweit rund 7 %     (16 %). Hier werden dagegen 63 % der
  Einrichtungen                               keine Kindertageseinrichtung (ebd.).       Kinder ganztags (mehr als 7 Stunden)
Die Besuchsquoten von Kindertagesein-                                                    betreut (Statistisches Bundesamt 2008).
richtungen haben in den vergangenen             Kinder mit Migrationshintergrund         Bei den Drei- bis Sechsjährigen nutzen
Jahrzehnten beständig zugenommen                gehen seltener in eine Kindertages-      in Westdeutschland nur 20 % der Kinder
und der (vor allem in westlichen Bun-           einrichtung                              das Angebot einer ganztägigen Bildung,
desländern) geringe Besuch öffentlicher       Im Alter zwischen drei und sechs Jahren    Erziehung und Betreuung; in Ost-
Einrichtungen der unter Dreijährigen ist      sind 88 % der Kinder ohne Migrations-      deutschland sind es 63 %.
angestiegen:                                  hintergrund in einer Kindertageseinrich-       Von großem Interesse wäre es, die
   Die Versorgungsquote der Kinder un-        tung, bei den Kindern mit Migrations-      Betreuungszeiten nach Migrationshin-
ter drei Jahren lag in den westlichen         hintergrund hingegen sind es nur 77 %      tergrund und sozialer Zugehörigkeit der
Flächenländern 2002 bei nur 2 %, in den       (Rauschenbach/Züchner 2008).               Kinder aufzuschlüsseln. Hierfür liegen
östlichen Flächenländern bei 37 % und            Kinder mit Migrationshintergrund        bislang kaum Veröffentlichungen vor.
in den Stadtstaaten bei 26 % (Konsorti-       besuchen zudem erst später eine Kinder-    Die Daten der DJI-Kinderbetreuungs-
um Bildungsberichterstattung 2006).           tageseinrichtung, d. h. seltener vor dem   studie weisen aus, dass es für Kinder im
   Die aktuellen Besuchsquoten (15.03.        dritten Lebensjahr.                        Kindergartenalter soziale und ethnische
2007) der unter Dreijährigen in Kinder-                                                  Unterschiede gibt:
tageseinrichtungen weisen für die östli-        Das schulische Bildungsniveau der            Die Wahrscheinlichkeit, einen Ganz-
chen Flächenländer 37 % aus und in den          Mutter spielt eine Rolle                 tagsplatz in Anspruch zu nehmen, steigt
westlichen Flächenländern ist der Pro-        Bei keinem bzw. niedrigem schulischen      bei vier- bis sechsjährigen Kindern, wenn
zentsatz zwar immer noch vergleichswei-       Abschluss liegt die Quote der Inan-        die Familie einen Migrationshinter-
se niedrig, aber bereits auf 8 % gestiegen.   spruchnahme bei den unter Dreijährigen     grund hat; sie steigt auch, wenn die Mut-
In den Stadtstaaten ist die Besuchsquote      bei 10 % und steigt bei einem Fachhoch-    ter über einen Fachhochschul- bzw. Uni-
mit 27 % nahezu konstant geblieben            schul- bzw. Hochschulabschluss der         versitätsabschluss verfügt und wenn bei-
(Statistisches Bundesamt 2008). Durch         Mutter auf 33 % an (Fuchs-Rechlin          de Elternteile erwerbstätig sind (Fend-
den Ausbau der Betreuungsplätze und           2008).                                     rich/Pothmann 2006). Zugleich gibt es
den geplanten Rechtsanspruch für unter           Auch Kinder unter drei Jahren aus Fa-   auf der Basis des DJI-Kinderpanels Bele-
Dreijährige wird der Besuch zunehmen.         milien mit Sozialhilfebezug nutzen die     ge dafür, dass sich die für Westdeutsch-
Die Zahlen belegen aber auch, dass nicht      Angebote der institutionalisierten Bil-    land traditionelle Vormittagsbetreuung
alle Familien und damit nicht alle Kin-       dung, Erziehung und Betreuung seltener     vermehrt in privilegierten Regionen fin-
der das freiwillige Angebot früher Bil-       als Kinder, deren Eltern nicht von Sozi-   det, d. h. bei besserer wirtschaftlicher Si-
dung, Erziehung und Betreuung anneh-          alhilfe abhängig sind (Jurczyk/Lange       tuation und höherer schulischer Bildung
men. In den letzten beiden Kindergar-         2006).                                     bzw. Beschäftigung in einer Region (Alt
                                                                                         u. a. 2005). Die Vormittagsbetreuung

                                                         DJI Bulletin 81   1/2008   11
Berichte zur Bildung

ohne Mittagessen wird verstärkt nach-
gefragt, wenn nur ein Elternteil einer Er-
werbstätigkeit nachgeht und stellt damit
ein klassisches Mittelschichtsphänomen
dar.

  Politischer Wunsch und Wirklichkeit                                                     Literatur
Das politisch hochgesteckte Ziel »Chan-
cengerechtigkeit für benachteiligte Kin-                                                  Alt, Christian / Blanke, Karen / Joos, Magda-
                                                                                             lena (2005): Wege aus der Betreuungs-
der« erscheint vor den oben genannten                                                        krise? Institutionelle und familiale Betreu-
Zahlen nun in einem anderen Licht.           – Eltern ausländischer Herkunft möch-           ungsarrangements von 5- bis 6-jährigen
    Bildungsgerechtigkeit im Sinne einer        ten, häufiger als die deutschen Eltern,      Kindern. In: Christian Alt (Hrsg.): Kinder-
frühen Wahrnehmung der Angebote an              bereits im Kindergarten eine gezielte        leben: Aufwachsen zwischen Familie, Freun-
Bildung, Betreuung und Erziehung so-            Schulvorbereitung (Neumann 2005).            den und Institutionen (Bd. 2) Wiesbaden,
                                                                                             S.123–155
wie die gleichberechtigte Teilhabe an        Die Erzieher/innen betrachten – wie          Fendrich, Sandra / Pothmann, Jens (2006):
diesen vorschulischen Angeboten ist mit      dies auch politisch gefordert wird – die        Zu wenig und zu unflexibel. Zum Stand
Blick auf Nachfrage und Bedarf unter-        Förderung der deutschen Sprache als wich-       öffentlicher Kinderbetreuung bei In-Kraft-
schiedlich ausgeprägt:                       tigstes Element interkultureller Erzie-         Treten des TAG. In: Bien, Walter / Rauschen-
    Kinder mit Migrationshintergrund –       hung. Dies wird jedoch überwiegend in           bach, Thomas / Riedel, Birgit: Wer betreut
                                                                                             Deutschlands Kinder? DJI-Kinderbetreu-
und diese Großgruppe müsste zukünftig        Einrichtungen realisiert, die von eth-          ungsstudie. Weinheim, S. 25–42
viel differenzierter betrachtet werden –     nisch gemischten Kindergruppen be-           Fuchs-Rechlin, Kirsten (2008): Kindertages-
besuchen frühkindliche Bildungs- und         sucht werden. Die Erzieher/innen wei-           betreuung im Spiegel des Sozioökonomi-
Betreuungseinrichtungen seltener und zeit-   sen darauf hin, dass in diesen Gruppen          schen Panels. In: Deutsches Jugendinstitut
lich später.                                 weniger die Schulvorbereitung der Kin-          und Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und
                                                                                             Jugendhilfestatistik (2008): Zahlenspiegel
    »Krippe oder Kinderzimmer« (SPIE-        der eingelöst wird als in ethnisch homo-        2007. Kindertagesbetreuung im Spiegel der
GEL), »Krippe oder Mama« (FOCUS),            genen Kindergartengruppen (Joos/Betz            Statistik. München, S. 203–217
das ist nicht die Frage – denn die Daten     2004) – doch genau diese Elterngruppen       Honig, Michael-Sebastian / Joos, Magdale-
verdeutlichen, dass beides gilt und die      wünschen sich diese Art von Bildung in          na / Schreiber, Norbert (Hrsg.) (2004): Was
Betreuungszeiten sich nicht nur nach Ost     den Einrichtungen.                              ist ein guter Kindergarten? Theoretische
                                                                                             und empirische Analysen zum Qualitätsbe-
und West, sondern vermutlich auch nach                                                       griff in der Pädagogik. Weinheim
sozialen und ethnischen Gesichtspunk-             Bildungsgerechtigkeit? – Es besteht     Joos, Magdalena / Betz, Tanja (2004): Gleiche
ten unterscheiden.                                Forschungsbedarf zur Frühen Kindheit       Qualität für alle? Ethnische Diversität als
                                             Die Chancen, bildungs- und integra-             Determinante der Perspektivität von
  Eltern und Erzieher/innen als              tionspolitische Vorhaben umzusetzen,            Qualitätsurteilen und -praktiken. In: Honig
                                                                                             u. a. S. 69–99
  entscheidende Akteure                      hängen auch davon ab, inwieweit die          Jurczyk, Karin / Lange, Andreas (2006):
Nimmt man nicht nur die politischen          Vorstellungen und Erwartungen der El-           »Mother’s little helper«. Betriebe als Akteu-
Akteure, sondern auch weitere relevante      tern sowie die Vorstellungen und Mög-           re der Kinderbetreuung. In: Bien, Walter /
Gruppen im frühpädagogischen Feld,           lichkeiten der Erzieher/innen (bei politi-      Rauschenbach, Thomas / Riedel, Birgit: Wer
wie die Eltern und die Erzieher/innen,       scher Planung und Gestaltung) berück-           betreut Deutschlands Kinder? DJI-Kinder-
                                                                                             betreuungsstudie. Weinheim, S. 202–213
in den Blick, dann ist zu fragen, welche     sichtigt werden. Dabei gilt es, genauer      Konsortium Bildungsberichterstattung
Wünsche und Ziele die Eltern an den          danach zu fragen,                               (2006): Bildung in Deutschland. Ein indika-
Besuch von Einrichtungen zur Betreuung       – wie Eltern und Erzieher/innen den             torengestützter Bericht mit einer Analyse zu
ihrer Kinder stellen. Haben sich Eltern         Bildungsauftrag der Kindertagesein-          Bildung und Migration. Bielefeld
entschieden, dass ihr Kind früher oder          richtungen verstanden wissen wollen,      Neumann, Ursula (2005): Kindertagesan-
                                                                                             gebote für unter sechsjährige Kinder mit
später, länger oder kürzer in eine Kinder-   – wie ihre eigenen Vorstellungen und            Migrationshintergrund. In: Sachverständi-
tageseinrichtung gehen soll, unterschei-        zugleich die politischen Erwartungen         genkommission Zwölfter Kinder- und
den sie sich in ihren Vorstellungen, was        in der täglichen Arbeit umgesetzt            Jugendbericht (Hrsg.): Band 1: Bildung, Be-
dort konkret umgesetzt und gefördert            werden.                                      treuung und Erziehung von Kindern unter
werden soll (Honig u. a. 2004):              Ferner ist bislang noch nicht ausreichend       sechs Jahren. München, S. 175–226
                                                                                          Rauschenbach, Thomas / Züchner, Ivo
– Eltern, die eine Schulvorbereitung für     geklärt, welche Erwartungen die Erzie-          (2008): Ungleichheit in der frühen Kindheit.
   ihre Kinder wünschen und in diesem        her/innen und die Eltern an die Bildung,        In: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.):
   Sinne auch den Bildungsauftrag des        Betreuung und Erziehung für die Kinder          Soziale Arbeit in Gesellschaft. Wiesbaden,
   Kindergartens verstanden wissen wol-      unter drei Jahren haben und inwiefern           S. 328–338
   len, besitzen in der Regel selbst einen   hierbei regionale, soziale und ethnische     Statistisches Bundesamt (2008): Statistiken
                                                                                             der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder und
   geringeren schulischen Abschluss.         Differenzen eine entscheidende Rolle            tätige Personen in Tageseinrichtungen am
– Eltern aus Akademiker/innen-Haus-          spielen.                                        15.03.2007. Wiesbaden
   halten gewichten diese Aspekte weni-
   ger stark.                                Tanja Betz, Pia Rother                       Kontakt: Dr. Tanja Betz, betz@dji.de;
                                             Arbeitsstelle Kinder- und Jugendpolitik      Pia Rother, rother@dji.de

                                             12      DJI Bulletin 81   1/2008
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