DIAGONAL Mit Schaufel, WSL
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DIAGONAL W S L- M A G A Z I N SCHWERPUNKT Mit Schaufel, Chip und Laborkittel: Detektivbüro WSL N r. 1 22 Erneuerbare Energi- Künstliche Intelli- Jahrringe: Bäume en: Wohin Anlagen am genz: Der Computer geben Auskunft über besten passen, S. 24 als Botaniker, S. 27 Hangrutschungen, S. 28 Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser Forschende und Detektive haben viel gemeinsam: Sie beobachten, stellen Fragen und sammeln beharrlich und oft über längere Zeiträume hinweg Belege, um Verborgenes aufzudecken. Doch statt Kriminelle zu überführen, bringen WSL-Forschende komplexe Zusammenhänge in der Natur ans Licht. Dafür nutzen sie durchaus kri- minalistische Methoden – etwa, wenn sie anhand winziger DNA-Spu- ren nachweisen, welche Lebewesen an einem «Tatort» waren (mehr dazu ab Seite 14). Wer allerdings von Umweltdetek- tivinnen und -detektiven erwartet, dass sie immer gleich die grossen Rätsel knacken, missversteht das We- sen von Forschung. Denn diese braucht Zeit und viele kleine Schrit- te, die zum Ziel führen. Beharrlich- keit und Kontinuität sind wichtig, wenn wir wissen wollen, wie Klima- wandel, Schadstoffe und Eingriffe in Lebensräume unsere Umwelt verän- dern. Es reicht nicht, nur einmal hin- zuschauen, sondern immer wieder. So observiert die WSL zum Beispiel mit ihrer langfristigen Waldökosystem- forschung bereits seit über 25 Jahren den Zustand des Waldes – und wird diese und andere «Detektivarbeiten» auch in Zukunft weiterführen. Beate Jessel Direktorin WSL
SCHWERPUNKT Umweltdetektive VERSTECKTES EIS Wo ist der Boden im Hochgebirge gefroren – und wo nicht? Mit neusten Methoden spüren SLF- Forschende verstecktes Eis auf. 8 Bilder: Umschlag: Livia Lehmann; Inhaltsverzeichnis: Isotope: Markus Bolliger; Verstecktes Eis: Marcia Phillips, SLF; Schadstoffe: Michèle Kaennel Dobbertin, WSL; Computer als Assistent: Michael Bründl, SLF SCHADSTOFFEN AUF DER SPUR Um Mensch und Umwelt zu schützen, betätigen WSL-Forschende sich als Schadstoffdetektive. 10 W O F O R S C H E N D E AT O M E S O R T I E R E N Im Isotopenlabor der WSL leisten Forschende Detektivarbeit: DER COMPUTER ALS Sie analysieren kleinste Teilchen und erkunden so etwa den ASSISTENT Weg des Wassers in einen Baum. Bei der Vorhersage von trocke- 2 nen Lawinen könnten schon bald Computer Zweitmeinungen liefern. 18 KERNTHEMEN P O R T R ÄT S 20 WA L D 19 Chasper Buchli, Elektroingenieur 22 LANDSCHAFT 33 Jacqueline Annen, Layouterin 26 B I O D I V E R S I TÄT 34 Janine Schweier, Forstwissenschafterin 28 N AT U R G E FA H R E N 35 IMPRESSUM, AUSBLICK 30 SCHNEE UND EIS 36 D A S D I N G : Dendrometer WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 1 2022
Im Isotopenlabor der WSL werden KLEINSTE TEILCHEN Forschende zu Detektiven: Sie können unsichtbare Nahrungsnetze nachvollziehen oder den Weg des Wassers in einen Baum rekonstruieren. Wo Forschende Atome sortieren Ein Massenspektrometer zur Analyse verschiedener Atomsorten – sogenannter Isotope – besteht aus drei Hauptkomponenten. In der ersten, der Ionenquelle, werden die Teilchen elektrisch aufgeladen, beschleunigt und zu einem Ionenstrahl konzentriert.
Ein kleiner Wald auf dem Gelände der WSL in Birmensdorf: Hier steht eine zwanzig Meter hohe Buche. Ihr glatter grauer Stamm lässt sich kaum mehr mit den Armen umfassen. Mit starken Wurzeln hält sie sich im Bo- den fest. Man kann sich plastisch vor- stellen, wie diese den Baum mit Was- ser tief aus der Erde versorgen. Doch diese Vorstellung liegt weit neben der Realität: Mehr als die Hälfte ihres Wassers bezieht die Bu- Im Detektor befinden sich an den Stellen, an denen die geladenen Teilchen voraussichtlich che nämlich aus den obersten fünf landen, «Auffangbecher». In diesen werden Bodenzentimetern. Bei starker Tro- sie gezählt. Dieses Signal wird an einen Computer weitergeleitet, der daraus die ckenheit, wenn diese dünne oberste Isotopenverhältnisse der Probe berechnet. Schicht austrocknet, schafft es der Baum nicht, den Verlust zu kompen- sieren, indem er mehr Wasser aus tie- fer gelegenen Schichten aufnimmt. Das fand der WSL-Waldökologe Arthur Gessler durch die Analyse so- genannter stabiler Isotope heraus – verschiedener Atomsorten eines Ele- ments, die sich in ihrer Masse unterscheiden. Mit ihnen lässt sich der Wassertransport in den Baum un- tersuchen. Das geht, weil Isotope wie eine Art «Marker» verwendet wer- den können. Leichtes verdunstet leichter In der Natur kommen sie nämlich je- weils in einem bestimmten Verhältnis zueinander vor. Im Bodenwasser bei- spielsweise gibt es einen Gradienten: Im Innern des Analysators fliegt der Ionenstrahl Wassermoleküle, die das gewöhnli- durch das Magnetfeld eines hufeisenförmigen che Sauerstoff-Isotop 16O enthalten, Magneten. Dieses lenkt die geladenen Teilchen aus ihrer Flugbahn ab, und zwar leichtere sind leichter als jene mit dem sehr viel stärker als schwerere. Die Isotope fliegen nach selteneren Isotop 18O. Deshalb ver- «Gewichtsklassen» getrennt weiter. dunsten sie auch schneller. Wasser in den oberen Bodenschichten (aus de- nen mehr Feuchtigkeit verdunstet) enthält daher weniger leichte und da- für mehr schwere Sauerstoffisotope Bild: Stephanie Kusma, WSL als Wasser aus tiefen Schichten. Diese «Markierung» des Was- sers nützte Gessler aus: Er verglich das Verhältnis der Sauerstoffisotope Isotopenlabor in Birmensdof (ZH). NR. 1 2022
in verschiedenen Bodentiefen mit jenem im Stamm der Buche. Dadurch konn- te er nachvollziehen, dass das Wasser im Baum vor allem aus der obersten Bo- denschicht stammen musste. «Unsere Studie erklärt, wieso Buchen so empfindlich auf Trockenheit re- agieren», erläutert der Forscher, «aber auch, warum sie sich so schnell erholen können». Denn die Isotopenanalysen verrieten, dass die Wurzeln trotz wochen- langer Trockenheit keinen nachhaltigen Schaden genommen hatten, sondern bereits wenige Stunden nach einem starken Regen wieder imstande waren, Was- ser aus der obersten Bodenschicht zu saugen. Gessler bestimmte die Isotopenverhältnisse im Wasser mit einer neuen On- line-Methode direkt im Wald. Gewöhnlich geschieht das im Isotopenlabor der Jahrringforschung WSL. Dort stehen mehrere sogenannte Massenspektrometer. Sie trennen die an der WSL: www.wsl.ch/ verschiedenen Isotope in einer Probe ihrer Masse nach auf. Ein Vergleich der jahrringforschung Messungen mit normierten Proben erlaubt den Forschenden, das Isotopenver- hältnis in ihrem Untersuchungsmaterial zu bestimmen. Das «Detektivbüro Isotopenlabor» der WSL wurde 2017 vom Paul Scher- rer Institut an die WSL gezügelt und ab dann gemeinsam betrieben. Seit 2019 betreibt die WSL es alleine. Es steht aber nicht nur WSL-Forschenden offen. «Wir unterstützen auch sehr gern Projekte anderer Institutionen», sagt Mat- thias Saurer, der Leiter des Labors. Im Labor werden neben Sauerstoff auch Isotope von Wasserstoff, Kohlen- stoff und Stickstoff analysiert. Da diese Elemente in allen Organismen vorkom- men, setzen Forschende verschiedenster Fachrichtungen die Isotopenanalyse ein. Der WSL-Waldentomologe Martin Gossner beispielsweise arbeitet haupt- sächlich mit Stickstoff. Er erforscht das Nahrungsnetz im Totholz, also die Fra- ge, wer in einem abgestorbenen Baum wen (oder was) frisst. Diese Nahrungsnetze sind eine wichtige, aber versteckte Grundlage des Waldökosystems und am Abbau des Totholzes beteiligt. «Um zu verstehen, ob und wie sie sich mit der Bewirtschaftung eines Waldes ändern, ob eine Art viel- Bild: Stephanie Kusma, WSL Laborleiter Matthias Saurer am Laserablationsgerät der WSL: Die Holzprobe befindet sich in der blauen Kammer, über die dünnen Schläuche wird Gas zu- und abgeführt. S C H W E R P U N K T U M W E LT D E T E K T I V E 4/5
Holz eines Jatobá-Baums aus Costa Rica: Gut sichtbar sind helle Linien und Poren sowie die in einer Linie aufgereihten Brennlöcher des Laserablationsgeräts, deren Durchmesser je 0,1 Millimeter beträgt. leicht seltener oder eine andere plötzlich häufiger wird, muss man die Bezie- hungen der Tiere untereinander verstehen», sagt Gossner. Mit der Analyse von Isotopen lassen sie sich rekonstruieren. Dutzende Messungen in einem einzigen Jahrring Isotopenanalysen erlauben es auch, Klimainformationen aus altem Holz her- auszulesen. Denn jeder Jahrring korrespondiert mit genau einem Kalenderjahr. Indem sie also die Isotopenverhältnisse in einem Jahrring untersuchen, erhal- ten die Forschenden Informationen über genau dieses Jahr. Die Verhältnisse zweier Kohlenstoff- und zweier Sauerstoffisotope beispielsweise geben mitein- ander kombiniert Hinweise das Mass an auf Trockenheit: Ist der Anteil der je- weils «schwereren» Isotope erhöht, deutet das auf hohe Temperaturen und we- nig Niederschlag hin. Es geht aber auch noch genauer: Das Isotopenlabor besitzt nämlich noch ein ganz besonderes Gerät, ein sogenanntes Laserablationsgerät: «Es ist welt- Mehr zum Isotopen labor: www.wsl.ch/ weit eines der ersten im Forschungseinsatz», sagt Saurer. Es brennt hoch prä- isotopenlabor zise winzige Löcher ins Holz. Der entstehende «Rauch» und die darin enthal- tenen Isotope werden dann im Massenspektrometer untersucht. «Mit dem Laserablationsgerät lassen sich innerhalb eines Jahrrings Dut- zende Analysen durchführen», erklärt Saurer weiter. «Dadurch kann man bei Klimarekonstruktionen nicht mehr nur sagen ‘Dieses Jahr war trocken’, son- dern stattdessen ‘In diesem Jahr waren Mai und Juni trocken’.» So differen- zierte Aussagen sind mit den bisherigen Methoden nicht möglich. Die neuen, feiner aufgelösten Daten helfen beispielsweise dabei, Klimamodelle exakter zu machen. Im Labor werden zurzeit Tropenhölzer mit dieser Methode untersucht. Solche Hölzer zeigen keine Jahrringe, weswegen etwa ihre Altersbestimmung schwierig ist. «Aber das Holz hat andere Strukturen, beispielsweise helle Bän- der», sagt Saurer. Mit den hoch aufgelösten Messungen wollen die Forschen- den herausfinden, ob die sichtbaren Strukturen beispielsweise Trocken- oder Bild: Loïc Schneider, WSL; Illustration S. 6/7: Yves Bühler, SLF Regenzeiten abbilden. Das würde den Zugang zu einer Fülle an Klima- und Wetterdaten ermög- lichen. «Die Tropen sind relativ schlecht untersucht, was solche Informationen angeht», sagt Saurer. «Dabei wäre es schon aufgrund ihrer riesigen Fläche wich- tig zu wissen, wie sich der Klimawandel dort auswirkt.» Die Isotopenanalyse könnte dazu beitragen, diese Wissenslücke zu füllen. (kus) WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 1 2022
Forschende des SLF setzen kamerabestückte Droh- nen ein, um ein flächendeckendes und genaues Bild der Schneehöhen zu erhalten. Aus Fotos, die sich stark überlappen, berechnet ein Computerprogramm ein Oberflächenmodell des Geländes. Vergleicht man dieses mit einer Aufnahme bei schneefreien Bedin- gungen, ergibt sich aus der Differenz die Schneehöhe. Durch Wind oder Lawinenablagerun- gen sammelt sich insbesondere in Geländerinnen und Mulden Schnee an. Zu wissen, wo wie viel Schnee liegt, hilft etwa beim Lawinenschutz oder der Hochwasservorhersage.
Die Schneehöhe – hier durch Farbunterschiede dargestellt – variiert im Gebirge oft stark und auf kleinstem Raum (s. Legende). Hier hat zum Beispiel eine Lawine die Schneedecke weggeris- sen. Messungen mit automatischen Wetterstatio- nen liefern kein vollständiges Bild der Schneehö- henverteilung, denn sie messen nur punktuell und an weit auseinanderliegenden Standorten. Schneehöhe 24. Februar 2021 >3m 1,5 m 0m Chüpfenflue (2658 m) bei Davos (GR).
PERMAFROST Verstecktes Eis aufspüren. Seit knapp 25 Jahren untersuchen Forschende des SLF Böden im Hochgebirge. Ihr Ziel: ständig gefrorenen Boden ausfindig zu machen und allfällige Veränderungen zu bestimmen. Wer bauen will, muss wissen, wie der Untergrund beschaffen ist. Das ist nicht immer einfach zu erkennen, insbesondere im Gebirge. Hier gibt es Permafrost, also Böden, deren Temperatur ganzjährig unter dem Gefrierpunkt liegt. Im Sommer erwärmt sich allerdings die oberste Schicht dieser Böden auf über null Grad Celsius, das Eis schmilzt und Wasser fliesst durch den Boden. Diese Pro- zesse verändern die Bodenstruktur und damit die Tragfähigkeit des Untergrunds. Bergbahnstationen, Restaurants oder Lawinenverbauungen im Gebirge kön- nen dadurch instabil werden. Der Klimawandel verschärft diese Probleme und führt dazu, dass die Auftauschicht mächtiger wird. Permafrostböden ausfindig zu machen, ist jedoch schwierig, denn Perma frost ist ein unsichtbares, thermisches Phänomen. Forschende des SLF haben Permafrost- und darum 1996 begonnen, in den Schweizer Alpen Bohrlöcher in den Permafrost Bodeneiskarte des SLF: www.slf.ch/ zu bohren und diese in 20 bis 50 Metern Tiefe mit Temperatursensoren auszu- pgim rüsten. Über dreissig Bohrlöcher sind es mittlerweile, die alle mit einem gedeck- ten Schacht vor Witterungseinflüssen geschützt sind. Neun dieser Bohrlöcher sind Teil des Schweizer Permafrost-Messnetzes PERMOS, das für das schweizwei- te Monitoring des Permafrosts zuständig ist. Die meisten Messinstrumente schi- cken ihre Daten automatisch ans SLF, einige Bohrlöcher müssen die Forschen- den aber im Sommer im Hochgebirge aufsuchen, um die Daten sicherzustellen. Für Marcia Phillips, Leiterin der Gruppe Permafrost am SLF, ist das je- weils wie ein Krimi: «Wir wissen nie, in welchem Zustand die Bohrlöcher und die Messinstrumente sind, wenn wir ankommen. Einmal war ein riesiger Fels- brocken herabgestürzt und blockierte einen Schachtdeckel. Den Felsen muss- ten wir sprengen lassen.» Wenn die aufgezeichneten Daten gesichert sind, fängt die Detektivarbeit erst an. «Wir versuchen zu verstehen, wie zum Beispiel die Schneedecke oder die Lufttemperaturen die Temperaturschwankungen im Bo- den beeinflusst haben.» Erschwerend hinzu kommt, dass sich Permafrostböden zeitversetzt zur Aussentemperatur erwärmen und abkühlen: Warme Sommer machen sich erst Monate später in den Daten bemerkbar. Auch den Einfluss des Klimawandels sehen die Forschenden in ihren Daten zeitlich verschoben. Klar ist jedoch, dass bisher dauerhaft gefrorener Boden nun auch in tieferen Schichten vermehrt auftaut. Boden unter Strom Eine wichtige Information lässt sich aus diesen Messungen allerdings nicht ab- leiten: Liegt die Temperatur im Boden bei null Grad Celsius, kann es hier so- wohl Eis als auch Wasser geben. Da Eis ein sehr plastisches Material ist, das sich verformen und kriechen kann, verändert sich die Stabilität eines Bodens, S C H W E R P U N K T U M W E LT D E T E K T I V E 8/9
In über dreissig Bohrlöchern in den Schweizer Alpen messen die Forschenden die Temperaturen im Gebirgsboden. wenn er Eis enthält. Deshalb setzen die Forschenden des SLF auf weitere Mess- methoden, um Eis im Boden aufzuspüren. In Zusammenarbeit mit Jacopo Boa- ga, Geophysiker an der Universität Padua, testeten sie 2019 am Schafberg ober- halb von Pontresina (GR) unter anderem die sogenannte Elektrische Widerstandstomographie. Sie liefert Informationen über den Untergrund von der Oberfläche aus. Dazu werden Edelstahl-Elektroden in den Boden geschlagen, jeweils einen halben Meter tief und in regelmässigen Abständen. Durch diese Elektroden las- sen die Forschenden Strom fliessen. Aufgrund der unterschiedlichen Leitfähig- Feldarbeit im Gebirge: www.slf.ch/ keit von Eis, Wasser, Luft und Gestein lässt sich so bestimmen, aus was der Bo- blockgletscher den besteht. Indirekt lässt sich Permafrost auch über Geländeformen erkennen. In Hangfusslagen finden sich oft Blockgletscher, eine typische Landform des Ge- birgspermafrosts. Diese sind ein Gemisch aus Schutt und Eis, das langsam tal- wärts kriecht. Robert Kenner, Vermessungsingenieur am SLF, misst darum mit- hilfe von terrestrischen Laserscannern, Luftbildern und weiteren Methoden, wie sich die Geländeoberfläche in den Bergen verändert. Die Daten aller Messungen kombinierte Kenner, um die SLF-Permafrost- und Bodeneiskarte zu erstellen. Sie unterscheidet zwischen eisreichem und eis armem Permafrost und ist sehr gefragt: «Den Ingenieurbüros und Baufirmen liefert sie Hinweise, wo es im Boden Permafrost haben könnte. An diesen Stel- len sind weitere Abklärungen nötig, bevor der erste Spatenstich erfolgen kann», sagt Phillips. (lbo) Bild: Anouk Widmer WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 1 2022
Schadstoffen und Umweltgiften auf U M W E LT V E R S C H M U T Z U N G der Spur. Um Mensch und Umwelt zu schützen, überwa- chen WSL-Forschende, welche Schadstoffe sie in welchen Mengen im Wald und anderen Ökosystemen nachweisen können. Das Zentrallabor unterstützt sie dabei. Sie sind unsichtbar und doch überall: Schadstoffe wie Stickstoffoxide, Chlor, Schwermetalle, Ammoniak oder Nitrat. Sie gelangen durch die Verbrennung von Öl und Benzin, aus der Industrie und der Landwirtschaft in die Luft, der Regen spült sie in die Böden, wo Lebewesen sie aufnehmen. Manche Gifte greifen Pflanzenzellen an, andere bringen Stoffflüsse in der Natur durcheinan- der. An Schadstoffanalysen führt deshalb in der ökologischen Forschung kein Weg vorbei. Die Fäden dafür laufen im Zentrallabor der WSL zusammen. Hier gehen die Proben aus Feld und Wald durch einen Parcours von Analysen. Summend saugt ein automatischer Probenehmer eine kleine Menge einer Lösung an und sprüht sie in ein graues Gerät. Sein Innerstes ist der heisseste Ort der WSL: Mit 10 000 Grad lodert dort eine kleine grüne Flamme aus Argon-Plasma. Mit dem Gerät, einem Atomemissionsspektrometer, lassen sich positiv geladene Teilchen nachweisen, darunter Schwermetalle wie Blei, Cadmium, Kupfer und Zink. Je nach Konzentration sind sie hochgiftig. Die getesteten Flüssigkeiten stammen aus einem Waldboden irgendwo in der Schweiz. Der WSL-Bodenforscher Stephan Zimmermann sammelt derzeit auf über zweihundert Testflächen Erde aus verschiedenen Tiefen. Er wiederholt die systematische schweizweite Bodeninventur im Rahmen der Waldzustands inventur von 1993. «Dank unserer Daten können wir den Bodenzustand an Bild: Cédric Bührer, WSL Die schweizweite Bodenbeprobung wird wiederholt. Dies erlaubt es zum Beispiel, mit Stickstoff belastete Standorte zu identifizieren. S C H W E R P U N K T U M W E LT D E T E K T I V E 10/11
Das aggressive Gas Ozon schädigt Zellen in den Blättern. Die Schadbilder dienen als Bioindikatoren für hohe Ozonwerte. den meisten Waldstandorten in der Schweiz abschätzen», sagt er. Diese Infor- mationen seien die Grundlagen für politische Massnahmen, zum Beispiel stren- gere Grenzwerte. «Die Wiederholung der Inventur wird es erlauben, Verände- rungen zu erkennen.» Die Folgen der industriellen Produktion Chemikalien, Abgase und Überdüngung sind Folgen von zweihundert Jahren Industrialisierung, markant verstärkt durch die wachsende Bevölkerung und den blühenden Wohlstand im 20. Jahrhundert. Ab den 1970er-Jahren wurden Mehr zur Langfristi- gen Waldökosystem- der breiten Öffentlichkeit nach und nach die Nebenwirkungen bewusst. Unter forschung LWF: den ersten Schadstoffdetektiven der WSL waren damals Theo Keller und Ma- wsl.ch/lwf deleine Günthardt-Goerg. Sie führten unter anderem ein ab 1971 laufendes Umweltmonitoring durch, das anhand von Schäden am Buchenlaub die Aus- wirkungen von Chlor und Schwermetallen aus einer Kehrichtverbrennungsan- lage im Kanton Glarus überwachte. Als 1986 der Tschernobyl-Kernreaktor explodierte, zeigte sich, wie wich- tig die regelmässige Schadstoffüberwachung ist. Eine Wolke von radioaktivem Cäsium-137 breitete sich über Nord- und Osteuropa aus, in der Schweiz fiel radioaktiver Niederschlag über dem Tessin, dem Jura und der Nordostschweiz. Nun erwies es sich als Glücksfall, dass beim ersten Schweizer Landesforstin- ventar von 1983 bis 1985 auf sämtlichen 12 000 Testflächen Bodenproben ge- sammelt worden waren. Nach der bereits erwähnten Bodeninventur 1993 konn- ten die Cäsium-Werte mit jenen vor dem Unfall verglichen werden. Sie bestätigten laut Zimmermann, dass das Cäsium sich noch immer im Oberbo- den an jenen Orten befand, wo es damals geregnet hatte. Das bekräftigte Vor- sichtsmassnahmen, etwa keine dort gesammelten Pilze zu verzehren. Bilder: Pierre Vollenweider, WSL Schadstoffe im Wald Ebenfalls in den 1980er-Jahren tauchte das Schreckensgespenst des Waldster- bens auf: Machten Luftschadstoffe die Bäume krank? Europaweit startete eine intensive Überwachung der Schadstoffeinträge und des Gesundheitszustands der Wälder, die bis heute andauert. Die Schweiz steuert unter anderem die Da- WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 1 2022
ten aus den neunzehn Testflächen des Programms Langfristige Waldökosystem- forschung (LWF) bei. Dieses erfasst seit 1994 akribisch die Konzentrationen von Schadstoffen in der Luft, im Wasser, im Boden und in den Pflanzen, um die Stoffflüsse zu ermitteln. Die Analysen der Proben aus den LWF-Flächen sind seither quasi ein Dau- erauftrag des Zentrallabors. In Extrakten aus Boden, Pflanzen- und Nadelpro- ben sowie in Regen- und Bodenwasser weist die sogenannte Ionen-Chromato- graphie negativ geladene Teilchen nach. Chlorid, Nitrat, Phosphat und Sulfat können – je nach Menge – als Dünger oder Schadstoffe wirken. Das LWF-Programm bestätigte die Erfolge der Luftreinhaltemassahmen der 1990er-Jahre. Per Gesetz wurden damals Autokatalysatoren, entschwefel- tes Heizöl und Rauchgasfilter in der Industrie obligatorisch. In der Folge nah- men Sulfate – eine der Quellen des «sauren Regens» – und Aluminium im Bodenwasser deutlich ab. Dies zeigen die europaweiten Waldmonitoringdaten, in die auch die LWF-Ergebnisse einfliessen. Auch die Stickstoffeinträge in die Wälder gingen zurück, sie sind allerdings immer noch zu hoch. Die Hauptquellen dieser Luftschadstoffe sind Verkehr und Landwirtschaft. Obwohl Stickstoff eigentlich ein Nährstoff sei, könne er LWF-Film: das Baumwachstum bei sehr hohen Einträgen hemmen, erklärt Sophia Etzold, wsl.ch/lwf-video Mitarbeiterin beim LWF. «Ein Ungleichgewicht von Nährstoffen kann ein Waldökosystem aus der Balance bringen.» Laut dem Schweizer Waldbericht 2015 werden die Belastungsgrenzen für Stickstoff – trotz Verbesserungen – nach wie vor auf etwa neunzig Prozent der Waldfläche überschritten. Hier gibt Stephan Zimmermanns Bodeninventur nützliche Hinweise: «Wenn wir wissen, wo die Einträge am grössten sind, kann man dort Massnahmen ergreifen», sagt er. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) führt Pilotversuche durch, besonders stark versauerte Waldböden mit Kalk zu behandeln. «Emissionen an der Quelle zu reduzieren muss jedoch die Haupt- strategie sein», sagt Zimmermann. Das hat bei Schwermetallen funktioniert: Dank strengerer Umweltaufla- gen ist der Schwermetall-Ausstoss gesunken; diese Stoffe stehen nicht mehr im Vordergrund der Überwachung. Entsprechend hat das Zentrallabor die Ana- lysekapazitäten für sie heruntergefahren. «Wir sind Dienstleister», sagt Dani- ele Pezzotta, Leiter des Zentrallabors. «Wir untersuchen das, was die Forschen- den wünschen.» Allerdings sind Schwermetalle extrem langlebig, aus der Welt ist das Pro- blem also nicht. Der WSL-Mikrobiologe Beat Frey untersucht in einer laufen- den Studie im Wallis, wie sich Quecksilber auf die Vielfalt der Bodenmikroor- ganismen auswirkt. Dieses Schwermetall gelangte zwischen 1930 und 1990 aus der Lonza-Fabrik in Visp in die Umwelt. Die ersten Ergebnisse überrasch- ten Frey: «Die Bodenmikroflora kann sich langfristig an die hohen Quecksil- berwerte im Boden anpassen.» Die Mikroorganismen wandeln das giftige lös- liche Quecksilber in den Zellen in eine gasförmige Form um und stossen es aus. Gifte am Schadensbild erkennen Ein nach wie vor ungelöstes Schadstoffproblem ist Ozon. Das aggressive Gas entsteht in Bodennähe unter Sonneneinstrahlung aus Stickstoffoxiden in Verkehrsabgasen. Durch Ozon geschädigte Blätter und Nadeln weisen typische S C H W E R P U N K T U M W E LT D E T E K T I V E 12/13
Eine Baumkletterin erklimmt eine Fichte auf der LWF-Fläche Seehornwald bei Davos, um Nadeln für die Laboranalyse zu sammeln. gelbliche bis rotbraune Pünktchen und Entfärbungen auf. «Schon früh erkann- te man das Diagnosepotenzial der Ozonschäden», sagt der WSL-Pflanzenphy- siologe Pierre Vollenweider. «Heute werden sie in sämtlichen Waldmonitoring- programmen in der Schweiz und in Europa systematisch zur Bioindikation der Ozonbelastung verwendet.» Die Arbeit der Schadstoffdetektive der WSL endet aber nicht damit, Schä- den und Schadstoffkonzentrationen zu dokumentieren: Zur Detektivarbeit in der Wissenschaft gehört auch, die verschiedenen Messungen und Ergebnisse zusammenzuführen und zu interpretieren. Das kommt manchmal einem Puzz- le gleich und ist eine komplexe Aufgabe, die dann aber der Politik die Grund- lage dafür liefert, die richtigen Massnahmen zu ergreifen. (bki) Bild: Käthi Liechti, WSL WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 1 2022
INFOGRAFIKWer war hier? Jedes Lebewesen hinterlässt in der Umwelt verräterische Spuren seines Erbguts. Diese Umwelt-DNA analysieren WSL-Forschende, um Tiere, Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen nachzuweisen. Proben sammeln DNA findet sich überall: Tiere verlieren sie z.B. mit Hauptschüppchen, Haaren oder Speichel, Pilze setzen Sporen frei, Pflanzen verbreiten Pollen. Luft Wasser Boden Ablagerungen in Baumhöhlen Pollen Von der DNA zum Organismus Infografik: Michael Stünzi und Daniel Röttele, infografik.ch; Daten und Text: Markus Schlegel, Claudia Hoffmann Im Feld Im Labor Am Computer In der Probe – z.B. Das Zellmaterial und andere Die DNA wird mit Hilfe Die DNA-Stücke werden Die Sequenzen werden Wasser aus einem Teich Verunreinigungen werden der sogenannten sequenziert, das heisst, mit einer Datenbank oder eine Bodenprobe entfernt. Übrig bleiben PCR-Methode millionen- ihr genetischer Code abgeglichen, um – befindet sich DNA, die DNA-Fragmente von unter fach vervielfältigt, um wird entziffert. Dieser ist die zugehörigen Arten zum Teil noch in Zellen schiedlichen Spezies – genug Material für die charakteristisch für jede oder Artengruppen eingeschlossen ist. oft kleinste Mengen. Analyse zu erhalten. Spezies. zu ermitteln. Wozu die Methode eingesetzt wird Verbreitung von Pilzarten Invasive Arten wie den Artgemeinschaften in zwei Netzwerke von Nachweisen, für die «Rote Liste» Eschenprachtkäfer verschiedenen Lebens Bestäubern und Blüten welche Amphibien in erfassen frühzeitig aufspüren räumen vergleichen identifizieren Gewässern leben S C H W E R P U N K T U M W E LT D E T E K T I V E 14/15
«Das Potenzial von Umwelt-DNA ist riesig». D O P PEL PA S S Dutzende Pilze auf einmal bestimmen oder versteckte Arten finden: Das geht mit Umwelt-DNA. Pilzforscher Andrin Gross und Amphibienexperte Benedikt Schmidt diskutieren, wann sich deren Einsatz lohnt – und wann nicht. Was ist Umwelt-DNA? Arten wo vorkommen. Solche Da- BS: Das kann man mit einem ten braucht man etwa für die Roten Beispiel erklären: Wenn man ins Listen, für die man den Gefähr Schwimmbad geht, ist man froh, dungsstatus von Arten anhand von dass das Wasser gereinigt wird. Aber Beobachtungsdaten einschätzt. all das Zeugs, das sonst darin schwimmen würde, wie Hautzellen, Kann man dafür nicht einfach ins Schleim oder Kot, kann man als Feld gehen und die Arten suchen? Biologe brauchen. Denn in diesen AG: Grundsätzlich schon. Das Spuren ist DNA enthalten, also Erb- macht man zurzeit auch so. Aber gut. Das kann man aus dem Wasser mein Arbeitsgebiet, das Pilzreich, ist rausholen und bestimmen, von wel- extrem artenreich. Allein in der cher Art es stammt (s. Infografik S. Schweiz wurden bisher knapp 14). Im Schwimmbad wären das 10 000 Arten nachgewiesen. Die tat- hauptsächlich Menschen, aber in ei- sächliche Anzahl dürfte noch viel nem Weiher alle Spezies, die in ihm höher liegen. Da hat eDNA ein rie- leben oder ihn besuchen. siges Potenzial. Wenn man fürs Mo- AG: Und das geht nicht nur mit nitoring ins Feld geht, sieht man vie- Wasser. Die DNA kann aus irgend- le Pilzarten gar nicht, weil sie zu einer Umweltprobe stammen: Was- klein sind. Und für die restlichen ser, Boden, Flusssediment oder ei- braucht man fünf Spezialisten zur nem Gletscherbohrkern. In all Bestimmung. Das ist ein Riesenauf- Benedikt Schmidt ist Amphibienexperte der diesen Proben steckt Erbgut. Daher wand. Anders mit eDNA: Da kann Koordinationsstelle auch der Name Umwelt-DNA, oder man aus einer Umweltprobe mit für Amphibien- und Reptilienschutz in der eDNA vom englischen «environ- recht geringem Aufwand hunderte Schweiz (info fauna karch) und Forschungs mental DNA». von Arten gleichzeitig nachweisen. gruppenleiter an der BS: Auch beim Amphibienmo- Universität Zürich. Welche Forschungsfragen kann man nitoring kann eDNA Zeit und Geld so klären? sparen. Wir sammeln etwa Verbrei- BS: Die Frage ist immer: Kom- tungsdaten, um zu dokumentieren, men bestimmte Organismen in ei- wie es den Amphibien in der nem Lebensraum vor, ja oder nein? Schweiz geht. Wenn man in einen Das können ganze Gruppen sein Weiher schlecht hineinsehen kann, Bilder: Petra Ramseier; zvg oder einzelne Arten. weil er einen breiten Schilfgürtel Andrin Gross arbeitet als Pilzforscher an AG: Ein mögliches Einsatzgebiet und viele Wasserpflanzen hat, ist es der WSL und ist für von eDNA ist daher das Artenmoni- mühsam, ihn abzusuchen. Benutzt das nationale Daten- zentrum «SwissFungi» toring. Dabei erhebt man, welche man stattdessen eDNA, nimmt man verantwortlich. WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 1 2022
eine Wasserprobe und sucht darin erlauben, als das im Feld mit her- nach Amphibien-Erbgut. Das ist viel kömmlichen Methoden möglich einfacher. wäre. Gibt es noch weitere Vorteile? Wenn eDNA so viele Stärken hat, BS: Ja, zum Beispiel tierschütze- braucht es dann das klassische rische. Wenn wir wissen wollen, ob Monitoring überhaupt noch? ein für Amphibien gefährlicher BS: Bei uns schon. Für uns ist Hautpilz in einem Teich ist, können eDNA einfach ein weiteres Werk- wir mit eDNA eine Wasserprobe zeug, das in bestimmten Situationen analysieren, statt die Amphibien zu sinnvoll ist, wie bei den Wasserfrö- fangen und Hautabstriche zu ma- schen oder einem zugewachsenen chen. Man kann auch potenziell auf Teich. Sieht man gut in einen Weiher einen Schlag sehr viele Informatio- hinein, ist nach wie vor das klassi- nen bekommen: Bei einem klassi- sche Monitoring besser. Denn es schen Monitoring sammeln wir Da- bringt wertvolle Zusatzinformatio- ten nur zu Amphibien. Aus nen, zum Beispiel ob Jungtiere da eDNA-Wasserproben dagegen sind oder wie gross der Bestand ist. Nationales Daten- könnte man zum Beispiel zusätzlich AG: Diese Einschränkung ist für und Informations zentrum SwissFungi: auch noch die an den jeweiligen Or- uns weniger relevant. Denn mit swissfungi.wsl.ch ten lebenden Libellen bestimmen. klassischen Methoden sind Indivi- Das würde ich gerne machen. duenzahlen bei Pilzen nur schwer zu AG: Ausserdem findet man erheben. manchmal mehr Arten, als in einer bestimmten Pilzgruppe überhaupt Kann man mit eDNA auch sehr bekannt sind. Bei unseren eDNA- kleine Populationen entdecken, die Studien haben wir zum Beispiel viel man sonst übersehen hätte? mehr genetisch unterschiedliche BS: Nein. Seltene Arten und Wiesenkorallen – das sind Pilze mit kleine Bestände findet man mit korallenartigen Fruchtkörpern – ge- eDNA manchmal sogar schlechter funden, als Arten von Wiesenkoral- als mit klassischen Methoden. Wenn len beschrieben sind. Offenbar gibt man mit Mühe einen einzigen es mehr Spezies, als man kennt. Das Molch in einem Teich gefangen hat, müsste man genauer anschauen. kann es sein, dass dessen Erbgut gar BS: Bei den Amphibien ist der nicht nachweisbar ist. Ein Grund Wasserfrosch so ein Fall. Es gibt vier ist, dass die DNA sich nicht gleich- oder fünf invasive Wasserfroschar- mässig im Wasser verteilt und es ten und zwei heimische. Eine davon darum in der genommenen Probe ist aus der Kreuzung zweier anderer keine DNA hatte. Froscharten entstanden. Und alle AG: Das Problem kennen wir können sich miteinander mischen. auch. Wenn wir Pilzsporen aus der Da kommt man mit äusserlichen Luft in einer Sporenfalle fangen, fin- Merkmalen nicht weiter. Hier sind den wir die seltenen Arten oft auch eDNA-Methoden sehr wertvoll, nicht. Denn die überwiegende weil sie viel klarere Zuordnungen Mehrheit der Sporen fällt im «Umwelt-DNA kann Zeit und Geld sparen.» S C H W E R P U N K T U M W E LT D E T E K T I V E 16/17
Mit Sporenfallen (im Bild links eine passive, rechts eine aktive) «fangen» die Forschenden Pilzsporen aus der Luft ein. Im Labor untersuchen sie dann das darin enthaltene Erbgut. Umkreis von wenigen Metern neben Denn wir können Arten nur dann den Fruchtkörpern der Pilze zu mit Hilfe von eDNA identifizieren, Boden. Man muss darum genau wenn ihr genetischer Fingerabdruck überlegen, wo man die Sporenfallen in einer Datenbank hinterlegt ist. aufstellt. Bisher kennt man diesen aber längst nicht von allen Pilzarten. Wir sind Gibt es bei der eDNA-Detektivar- in einem WSL-Projekt daran, gene- beit manchmal Überraschungen? tische Fingerabdrücke von allen Koordinationsstelle für Amphibien- und BS: Ja, wir hatten das schon: Pilzen der Roten Liste der Schweiz Reptilienschutz in Man bekommt die Artenliste aus zu erarbeiten, das sind über neun- der Schweiz (karch): www.karch.ch dem Labor, und darauf steht eine hundert Spezies. Haben wir sie, Molchart, die man noch nie an die- können wir in früheren eDNA-Da- sem Ort gesehen hat. Da ist die Fra- tensätzen nachschauen, ob eine Art ge dann aber eher: Stimmt der Be- damals schon vorhanden war. Man fund? Ab wie vielen vermeintlichen kann quasi in der Zeit zurückgehen. DNA-Sequenzen dieser Molchart Das ist ein riesiger Vorteil der bin ich sicher, dass der Nachweis eDNA: Die Datensätze gewinnen richtig ist? Wir arbeiten daran, sol- an Wert. (kus) che Schwellenwerte zu definieren. Wenn ich einen Molch in der Hand hatte, stellen sich solche Fragen nicht, auch wenn es Fehlbestim- mungen geben kann. AG: Überraschungen kann es auch geben, wenn man die Bild: Markus Schlegel eDNA-Daten zu einem späteren Zeitpunkt nochmals auswertet, mit besseren Referenzdatenbanken. WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 1 2022
Wenn die Maschine lernt, die KÜNSTLICHE INTELLIGENZ Lawinengefahr vorherzusagen. Der Computer kann neuerdings in vielen Situationen die regionale Lawinen- gefahr praktisch gleich gut einschätzen wie Fach personen. Eine SLF-Forscherin hat es ihm beigebracht. Tausende Daten über das Wetter und den Winterverlauf studieren die Lawi- nenprognostikerinnen und -prognostiker des SLF tagtäglich, um dann mithilfe ihrer grossen Erfahrung die Lawinengefahr einzuschätzen. Schon in den 1990er-Jahren hatte es Versuche gegeben, sie mit automatisierten Datenanaly- sen zu unterstützen. Wirklich funktioniert hat das nicht – es mangelte an Da- ten und Rechenpower. Die Datenforscherin Cristina Pérez Guillén erzielte nun in Zusammenar- beit mit dem Lawinenwarndienst und dem Swiss Data Science Center einen Durchbruch. «Unsere automatische Vorhersage der regionalen Lawinen-Ge- fahrenstufe ist etwa gleich gut wie die des Menschen», sagt die Spanierin. Sie probierte verschiedene Arten des maschinellen Lernens aus, um den Computer Zusammenhänge zwischen Wetterdaten und den dazugehörigen, von Menschen prognostizierten Warnstufen erkennen zu lassen. So lernte er aufgrund von In- formationen aus zwanzig vergangenen Wintern, selber aus Daten Prognosen zu erstellen. Ein «Random Forest» genannter Ansatz funktionierte am besten. Das zeigte sich, als die Forscherin dem Computer Messdaten aus zwei weite- ren Wintern vorlegte, die sie für den Lernprozess nicht verwendet hatte, und ihn daraus Lawinenprognosen erstellen liess. Nur für trockene Lawinen Bei maschinellem Lernen ist nicht nachvollziehbar, wie und was der Computer lernt. Pérez Guillén kann aber immerhin eruieren, welche Parameter die Ma- schine für besonders wichtig erachtet. Und siehe da: Es sind im Wesentlichen die gleichen Faktoren, die auch für die menschlichen Prognostikerinnen und Prognostiker aufgrund ihres Prozessverständnisses und ihrer Erfahrung zent- ral sind: zum Beispiel Neuschneemenge und Schneeverfrachtung. Schwächen zeigen die automatischen Vorhersagen noch beim sogenann- ten Altschneeproblem, das insbesondere inneralpin auftritt. Das Modell eignet sich auch nur für trockene Lawinen. Bereits im Winter 2020/21 und im ver- gangenen Winter evaluierte der Lawinenwarndienst die neue Methode für den operativen Einsatz . Thomas Stucki, der Leiter des Lawinenwarndienstes, meint: «Der Computer hilft, die Konsistenz der Prognosen zu verbessern, und sollte uns in Zukunft eine valable Zweitmeinung liefern. Wir Menschen können uns dann umso intensiver um die Umsetzung der Resultate in eine verständliche Warnung kümmern.» Arbeitslos werden die Prognostikerinnen und Prognos- tiker also nicht. (bio) S C H W E R P U N K T U M W E LT D E T E K T I V E 18/19
Chasper Buchli, Davos «Der Flüelapass ist für mich besonders, weil er meinen Wohn- und Arbeitsort Davos mit dem Engadin verbindet. Ich bin dort in Sent aufge- wachsen und stark verwur- zelt mit der Region. Sobald ich im Engadin bin, spreche ich meine Muttersprache Romanisch.» Bild: Bruno Augsburger, Zürich F A S Z I N I E R T V O N N AT U R G E F A H R E N Der Elektroingenieur Chasper Buchli ist für den die Forschung, aber auch eine unverzichtbare Unterhalt und die Weiterentwicklung von Mess- Grundlage für das Lawinenbulletin. Buchli findet stationen in den Schweizer Alpen verantwortlich, es spannend, im Umfeld von Naturgefahren zu ar- die etwa Schneehöhe, Temperatur und Windge- beiten. «Zudem bin ich gerne draussen und schät- schwindigkeit messen. Die Daten sind wichtig für ze den Wechsel von Büro- und Feldarbeit.» (sni) WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 1 2022
WALD Erholung und Freizeit in Wäldern: Wie kommt der Mensch ins Landesforstinventar? Zwei Forschende befragen einen Passanten, wie ihm der Wald gefällt. Der Wald muss viele Ansprüche er- lung kaum, obwohl sie eine gleich füllen: Er soll zum Beispiel Holz berechtigte Waldfunktion ist», sagt liefern, vor Naturgefahren schützen, Tessa Hegetschweiler von der WSL- die Artenvielfalt fördern und als Gruppe Sozialwissenschaftliche Erholungsort dienen. Zwei grosse Landschaftsforschung. Die Brücke Beobachtungsprogramme der WSL schlägt nun das Projekt «WaMos verfolgen die Entwicklung dieser meets LFI». Dessen Forschungsteam Waldfunktionen seit vielen Jahren: hat rund tausend Passantinnen und Einerseits überwacht das Landes- Passanten im Winter und im Sommer forstinventar (LFI) den physischen an fünfzig stark besuchten LFI-Stand- Zustand und die Veränderungen des orten gefragt, was ihnen dort gefällt. Schweizer Waldes. Andererseits er- In einem weiteren Teil der Studie be- fasst das Waldmonitoring soziokul- urteilten tausend Personen in einer turell (WaMos) das Verhältnis der Be- Onlineumfrage Fotos der Umgebung völkerung zu ihm. von LFI-Flächen. Dank WaMos und früheren Stu- Die Resultate decken sich mit je- dien ist bekannt, dass physische Ei- nen anderer Studien: Strukturell viel- Bild: Simon Speich, WSL genschaften des Waldes zu seiner vi- fältige Wälder sind beliebt, und auch suellen Attraktivität und seinem solche mit einer nicht allzu dichten Erholungswert beitragen. «Aber das Strauchschicht. Brombeeren, Efeu LFI berücksichtigt bisher die Erho- und Sturmschäden schneiden schlecht KERNTHEMEN 20/21
ab, liegende Bäume scheinen mittler- seien sehr interessiert an dieser Arbeit, weile einigermassen akzeptabel zu sagt Christoph Fischer, Leiter des sein. Erstmals ist das Waldgefallen Wissenschaftlichen Dienstes LFI. nun mit konkreten LFI-Daten und «Die Erholungsfunktion wird für sie -standorten verknüpft. immer wichtiger.» (bki) Die Schweiz ist damit eines der ersten Länder, das eine soziale Dimen- www.wsl.ch/de/wamos-meets-lfi sion in die ursprünglich auf Holzpro- duktion ausgerichteten Forstinventa- re integriert hat. Forstverantwortliche WALD Energieholz-Boom: Wie beeinflusst er die Nährstoffe im Waldboden? Erneuerbare Rohstoffe wie Holz sol- «Ziel ist es, den Forstbetrieben ein len zunehmend fossile Energieträger Hilfsmittel für die Ernteplanung an ersetzen. Deshalb ernten Forstbetrie- die Hand zu geben, so dass diese ak- be inzwischen nicht bloss Stämme, sondern zur Energiegewinnung auch Teile der Krone oder ganze Bäume. Das Problem: An manchen Standor- ten werden dem Wald so zu viele Nährstoffe entnommen. Das gefähr- det die Bodenfruchtbarkeit. Darum lancierten WSL-For- schende im Juni 2020 ein Projekt, in dem sie die Nährstoffhaushalte in zwei Zürcher Buchenbeständen un- tersuchen. Sie wollen besser beurtei- len können, wo man wie viel Holz ernten darf. Dafür messen sie unter anderem die Nährstoffgehalte diver- ser Baumelemente wie Zweige oder Äste und deren Anteil an der gesam- Stephan Zimmermann sammelt Äste verschiedener Grössen, ten Nährstoffbilanz des Waldes. Die um ihren Nährstoffgehalt zu bestimmen. Analyse berücksichtigt auch weitere Prozesse des Nährstoffein- und -aus- tiv zu einer nachhaltigen und effizi- trags, die die Bilanz beeinflussen, enten Energieholzproduktion bei etwa den Eintrag von Stickstoff durch tragen können», sagt Stephan Luftverschmutzung. Mit den Daten Zimmermann, Leiter des Projekts. entwickeln die Forschenden ein soge- Das Modell wird Böden mit positi- nanntes Bilanzierungsmodell. Es ven Nährstoffbilanzen identifizieren, Bild: Marco Walser, WSL schätzt ab, wie sich unterschiedliche wo die Holzernte die Bodenfrucht- Bewirtschaftungsformen auf das barkeit nicht gefährdet. Es soll ab Nährstoffverhältnis im Boden und Herbst 2023 verfügbar sein. (fga) die Bodenfruchtbarkeit auswirken. WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 1 2022
Eine produktive Landwirtschaft, die gut ist L ANDSCHAF T für Umwelt, Mensch und Landschaft: Geht das? europaweiten Projekt SIPATH. Die Frage sei: «Wie kann man mehr Ka- lorien mit weniger negativen Auswir- kungen erzeugen?», sagt der Ko-Pro- jektleiter Matthias Bürgi von der Forschungseinheit Landschaftsdyna- mik der WSL. Eine solche nachhaltige Intensi- vierung erkundet das Forschungs- team unter anderem anhand von sechzehn Fallstudienregionen in ganz Europa. «Wir schauen uns an, wie sich die Bewirtschaftung in den letz- ten Jahrzehnten verändert hat und was die treibenden Faktoren waren», erklärt Franziska Mohr von der WSL-Gruppe Landnutzungssysteme. Sind diese identifiziert, so die Hoff- nung, lassen sich zum Beispiel Geset- ze oder Fördermittel so anpassen, dass sie eine ökologischere und den- noch wirtschaftliche Lebensmitteler- zeugung begünstigen. Wo sind all die Obstbäume hin? Eine der untersuchten Regionen ist das Reusstal – ein typisches Schwei- Reussebene, 1933 (oben) und 2020 (unten): Auffallend ist die starke zer Landwirtschaftsgebiet. Mohr und Abnahme der Bäume. Gründe sind einerseits die Obstbaumfällaktion des Bundes in den 1950er-Jahren, andererseits wurde die Landwirtschaft Livia Lehmann, eine Masterstuden- auf die maschinelle Bearbeitung ausgerichtet. Das belegen auch die deutlich grösseren Feldparzellen. tin der Universität Bern, interviewten dort zehn Landwirte und Landwir- Die Landwirtschaft in Europa hat tinnen im Alter von 57 bis 82 Jahren. sich seit den 1950er-Jahren drastisch Ihnen zufolge gab es mehrere histo- gewandelt. Dank grösseren, maschi- rische Meilensteine der Intensi nell kultivierbaren Äckern, Dünger- vierung: Zum einen die Reusstalsa- Bilder: Bundesamt für Landestopografie swisstopo und Pestizideinsatz produziert sie nierung mit Massnahmen zum heute deutlich mehr Nahrungsmittel Hochwasserschutz und zur Entwäs- pro Fläche. Diese Intensivierung ging serung in den 1970er-Jahren. Sie jedoch auf Kosten der Natur und schuf neues Land für die Landwirt- Landschaft. Wie sich dies ändern schaft, aber auch Naturschutzgebie- lässt, untersuchen Forschende der te. Zum anderen ermöglichte zeit- WSL, der Agroscope und der Vrije gleich eine Güterumverteilung den Universiteit (VU) Amsterdam nun im Bauern, zusammenhängende Flächen KERNTHEMEN 22/23
zu bewirtschaften. Auch in den fol- Europa politische und wirtschaftliche genden Jahrzehnten wurden Äcker Umstände die Entscheidungen indi- und Maschinen immer grösser, Obst- vidueller Bäuerinnen und Bauern be- bäume und Hecken mussten weichen. einflussen. Entsprechend wichtig ist Einschneidend auf politischer es, dass die Regelwerke die lokalen Ebene war die Umstellung von der und regionalen Besonderheiten be- Produktionsförderung auf Direkt- rücksichtigen. «Die Gesellschaft muss zahlungen im Jahr 1993. Neu waren sich für eine gewünschte Zukunftsvi- Subventionen an ökologische Bedin- sion entscheiden», sagt Mohr. Effizi- gungen geknüpft, um zum Beispiel ente Produktion dank Robotern, da- die Mengen an Stickstoffdünger zu für grössere und weniger Betriebe? begrenzen. «Als der Milchpreis so Mehr ökologisch wertvolle Flächen, runtergegangen ist, waren natürlich aber auch mehr importierte Lebens- die Direktzahlungen eine ganz wich- mittel? «Uns ist es wichtig, diese Gü- tige Einnahmequelle», sagte ein terabwägungen offenzulegen, als Landwirt. Grundlage für die Debatte darüber», Weitere Veränderungen waren sagt Mohr. technischer Art, wie effizientere Melk- Dafür will das Projektteam mög- stände, und soziale Umwälzungen. In liche Szenarien für eine nachhaltige den Bauerndörfern liessen sich Städ- Intensivierung der gesamten europä- terinnen und Städter nieder und be- ischen Landwirtschaft erarbeiten. schwerten sich über Mistgeruch. Ein Diese berücksichtigen auch Me- Landwirt verkaufte deshalb sein Vieh ga-Trends wie Klimawandel, Bevöl- und baute Christbäume an. «Wenn kerungsentwicklung, strengere Um- allerdings keine Nahrung für den weltauflagen und die Entwicklung der Menschen mehr erzeugt wird, ist das Weltmarktpreise. «In den nächsten im Sinne der nachhaltigen Intensivie- Jahrzehnten werden tiefschürfende rung nicht zielführend», sagt Bürgi. Änderungen in der Nahrungsmittel- In den vergangenen Jahren ging produktion und bei der Agrarland- die Entwicklung weiter in Richtung nutzung generell stattfinden müssen», Marktliberalisierung. Die einen Be- betonen die Forschenden. (bki) triebe wurden grösser, um konkur- renzfähig zu bleiben, andere mussten www.wsl.ch/sipath aufgeben. Biodiversitäts-Förderpro- gramme ermöglichen es, auf Teilflä- chen Artenvielfalt statt Lebensmittel zu produzieren und trotzdem Geld zu verdienen. Viele Landwirte verfolgen diesen Mittelweg: «Wir sind ange- wiesen auf gute Erträge und eine in- tensive Bewirtschaftung, aber die Na- tur muss auch Platz haben», sagte einer. Welche Zukunft wollen wir? Das vorläufige Fazit der noch bis 2023 laufenden Studie ist, dass in al- len untersuchten Studiengebieten in WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 1 2022
Wilde Alpen oder besiedeltes Flachland? L ANDSCHAF T Wohin Energieanlagen am besten passen Erneuerbare Energieanlagen leisten einen Beitrag zur nachhaltigen Energiegewinnung. Aber Landschaft und Energieanlage(n) müssen nach Sicht der Bevölkerung zusammenpassen, um Unterstützung zu finden. (Im Bild Wind- und PV-Park in Lachtal, AT.) Etwa 750 neue Windräder und auf schützen», resümiert WSL-Forscher jedem dritten Dach Solarpanels: Das Boris Salak. Doch gibt es dort bereits bräuchte es, um die für Wind und Infrastruktur wie etwa Seilbahnen, Sonne gesetzten Ziele der Schweizer stören auch Energieanlagen weniger. Energiestrategie 2050 zu erreichen. Als potenziell geeignete «Ener- Ein solcher Ausbau der erneuerbaren gielandschaften» sieht die Schweizer Energien wird sich zwangsläufig im Bevölkerung aber vor allem städti- Landschaftsbild niederschlagen. sche Räume und Agglomerationen im Doch wohin passen Energieanlagen, Flachland. und wohin nicht? Forschende der WSL haben dies mit der landesweit Individuelle Erfahrungen repräsentativen Onlinebefragung wichtig «Energieinfrastrukturen in typischen Ob eine Kombination aus Landschaft Schweizer Landschaften» untersucht. und Energieanlagen als passend oder Eines ihrer Resultate: In der Bevöl- unpassend erachtet wird (landsca- kerung herrscht ein Konsens, wo pe-technology fit), spielt dabei eine Energieanlagen stehen sollen – und wesentliche Rolle. So akzeptierten wo nicht. etwa Personen, die Natur als etwas Bild: Boris Salak, WSL «Man will unberührte Land- vom Menschen Nutzbares betrach- schaften der Alpen, Voralpen und des ten oder die Energieanlagen aus ih- Juras eher vor diesen Entwicklungen rem Wohnumfeld gewohnt waren, KERNTHEMEN 24/25
diese eher. Wesentlich ist auch, wie Aspekten muss auch die Landschaft die Menschen über Landschaften und selbst und ihre Bedeutung für die Energieanlagen denken – ob sie die Menschen berücksichtigt werden», Anlagen etwa als Mechanisierung der betont der Forscher. Das habe auch Landschaft empfinden oder als Sym- eine andere WSL-Studie zum Thema bol für Nachhaltigkeit. mit regionalem Fokus ergeben. Auch die Art der Anlage zählt: «Auch hier wird empfohlen, die Be- Energielandschaften mit – wenigen – völkerung möglichst früh in Entschei- Solarpanels waren beliebter als sol- dungsprozesse einzubeziehen.» Denn che ohne. Dass das in Bezug auf die Menschen wollten gehört werden, Windräder und Hochspannungslei- konstatiert Salak: Es gab in der Be- tungen anders war, könnte am «Bran- fragung nämlich auch die Option, ding» der Anlagen liegen, sagt Salak: sich nicht für ein bestimmtes Szena- «Bei Windrädern liest man immer rium entscheiden zu müssen und da- wieder von Problemen. Die Solar mit der Meinung zu enthalten. Sie energie hat bislang kaum negative wurde kaum genutzt. (kus) Presse.» www.wsl.ch/energyscape Über all diese Prozesse müsse man sich bei der Planung von Anla- gen im Klaren sein, sagt Salak. «Ne- ben praktischen und ökologischen L ANDSCHAF T Spazieren für die Forschung Zürich, Feierabendverkehr. Ein Auto Projektleiterin Silvia Tobias, «und nach dem anderen rauscht vorbei. In welche akustischen und landschaftli- den Vorgärten blüht es. Wir gehen chen Qualitäten die Erholung im spazieren. Wie erholsam ist das? Ju- Freien fördern». lia Schaupp will es herausfinden: Die Diese Fragen werden mit Labor- WSL-Doktorandin untersucht, wie versuchen zur Stressreaktion bis hin stark das Grün der Umgebung und zu einer schweizweiten Umfrage zur Verkehrslärm die Erholsamkeit von Erholsamkeit der Landschaft von Spaziergängen im Wald oder in der allen Seiten beleuchtet. Schaupps Stadt beeinflussen. Feldstudie ist eine Art «Vermittlerin» Dafür lässt sie Testpersonen spa- zwischen Labor und Realität. zierengehen. Deren Stressniveau wird Zu wissen, wie Lärm die Erhol- vor, während und nach dem Spazier- samkeit von Grünräumen beeinflusst, gang über körperliche Stressanzeiger wird mit zunehmender Urbanisie- wie den Kortisolwert sowie durch Be- rung immer wichtiger. Die Resultate fragungen ermittelt. des Projekts, erwartet bis 2024, wer- Schaupps Studie ist Teil eines den beispielsweise bei der Frage hel- Projekts zu Lärm in Grünräumen, das fen können, wie sich Ruheinseln die WSL gemeinsam mit der Eidge- in Städten und um sie herum erhal- nössischen Materialprüfungs- und ten oder aufwerten lassen. (kus) Forschungsanstalt Empa durchführt. «Wir wollen herausfinden, wie Lärm www.wsl.ch/restore die Erholung beeinträchtigt», erklärt WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 1 2022
Klein, aber fein: Lebensräume auf Bäumen B I O D I V E R S I TÄT erhöhen die Biodiversität im Wald Grosse tote Äste, Höhlen oder Pilze 450 pro Hektare, im östlichen Jura auf der Rinde: Solche Strukturen an nur 230. «Hier und auch im Mittel- einem lebenden Baum sind wichtige land gibt es noch Luft nach oben für Kleinstlebensräume für Käfer, Spin- mehr Vielfalt», sagt Meinrad Abegg, nen oder Vögel. Je mehr Bäume mit Mitarbeiter im wissenschaftlichen solchen Mikrohabitaten in einem Dienst LFI. Denn lässt man im be- Wald stehen, desto wertvoller ist die- wirtschafteten Wald Bäume mit Mi- ser ökologisch gesehen. Kommt noch krohabitaten gezielt stehen, fördert Totholz hinzu, ist die Grundlage man auch die Biodiversität. Am häu- für eine hohe Biodiversität ge- figsten kommen derzeit Flechten- und legt. Moosbewuchs, Höhlen am Fuss des Das Landesforstinven- Stammes und tote Äste in der Baum- tar LFI erfasst in der fünften krone vor, am seltensten Spechthöh- Erhebung als erste natio- len und Pilzfruchtkörper. nale Waldinventur Die standardisierte Aufnahme diese Mikrohabitate der Baummikrohabitate hat auch in- systematisch. Da- ternationale Vergleiche möglich ge- für wird die neu macht, etwa zwischen bewirtschafte- eingeführte eu- ten Schweizer Buchenwäldern und ropäische Typo- dem weltweit grössten zusammen- logie der Baum- hängenden Buchenurwald im Reser- mikrohabitate vat Uholka-Schyrokyj Luh im Süd- verwendet, die westen der Ukraine. Eines der im Rahmen des Resultate erstaunt: Die Dichte an internationalen Baummikrohabitaten pro Hektare ist Forschungsprojekts in beiden Wäldern gleich hoch. Un- «Integrate+» entstan- terschiede gibt es jedoch in der Art den ist. der Habitate. So sind etwa tiefe, mit Die Auswertun- organischem Material gefüllte Baum- gen nach drei Erhe- höhlen im Buchenurwald häufiger. bungsjahren zeigen un- «Diese sind sehr wichtig für seltene ter anderem, dass in Arten wie den Eremiten, eine holzzer- Schweizer Wäldern je setzende Käferart», sagt Abegg. Zu- nach Region unter- dem gibt es im Buchenurwald mehr schiedlich viele Baummi- als dreimal so viel Totholz als in den krohabitate vorkommen: Schweizer Buchenwäldern. Es kommt Auf der Alpensüdseite also nicht nur auf die Zahl der Mik- sind es im Schnitt etwa rohabitate an, sondern auch auf ihre Qualität. (lbo) Zeichnung: Yvonne Rogenmoser www.wsl.ch/tf-baummikrohabitate Je unperfekter, desto besser: Bäume mit vielen Mikrohabitaten wie Höhlen oder Baumpilzen bieten diversen Tieren Unter- schlupf. KERNTHEMEN 26/27
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