Die Sharing Economy Neue Chancen, neue Fragen - Credit Suisse
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Global Investor 2.15, November 2015 Expertenwissen für Anlagekunden der Credit Suisse INVESTMENT STRATEGY & RESEARCH Credit Suisse Die Sharing Economy Neue Chancen, neue Fragen Die Sharing Economy Chiara Farronato und Jonathan Levin Der spektakuläre Vormarsch der Sharing-Plattformen. Nicolas Brusson Wie Mitfahrgelegenheiten den globalen Transportmarkt auf den Kopf stellen. Marco Abele Global Investor 2.15 und Salvatore Iacangelo Teilen anstatt besitzen, eine regulatorische Herausforderung. Christine Schmid Peer-to-Peer-Modelle verändern den Bankensektor grundlegend. GI_01_d_Umschlag_01 [PDE]{CHDE}.indd 5 16.10.15 14:29
GI_01_d_Umschlag_01 [PDE]{CHDE}.indd 6 mit und h K e r te o n l ch e nd e m n Si e E r fa ilen S ie s Ums legen, F , der e d p i e re e die lbs t , A sen u s G wie l inte o Ve r s l a g k l a p u n d e n o r b d e e se Sha s n rin S i g e f u r Po ve s t jema den S ie ) oder le r Ihrer F am i nk t io l i a l I n s e i n kö it auch gab e p e s ie gem e n . nier t, eins or m nte. s i e r t s t (s i e h e a m Bitte beachten Sie die wichtigen Angaben und Informationen im Anhang im Dokument «Disclosures» CS steht im geschäftlichen Kontakt mit Unternehmen, die in diesen Research-Berichten behandelt werden, oder strebt geschäftliche Beziehungen mit diesen an. Anleger sollten sich daher bewusst sein, dass CS möglicherweise in einem Interessenkonflikt steht, der sich auf die Objektivität dieses Berichts auswirken könnte. Anleger sollten bei ihrer Investmententscheidung diesen Bericht daher nur als einen von mehreren Faktoren berücksichtigen. Informationen zu den mit Anlagen in die hierin behandelten Wertschriften verbundenen Risiken finden Sie unter folgender Adresse: https://research.credit-suisse.com/riskdisclosure 16.10.15 14:29
GLOBAL INVESTOR 2.15 —03 Verantwortlich für die Koordination der Schwerpunktthemen dieser Ausgabe JONATHAN HORLACHER ist Financial Analyst im Private Banking & Wealth Management der Credit Suisse. Er ist auf gesamtwirtschaftliche Themen, Mega trends und nachhaltige Investitionen spezialisiert und hat zahlreiche Publikati onen zu diesen Bereichen verfasst. Er hat einen Master of Science der Barcelo na Graduate School of Economics und stiess von der Schweizerischen National bank zur Credit Suisse. PATRICIA FEUBLI stiess 2013 zur redit Suisse. Sie ist Senior E conomist C Giles Keating im Private Banking & Wealth Management Vice Chairman of Investment Strategy & Research für Schweizer Branchenanalysen. and Deputy Global CIO Davor war sie Research Associate an der U niversität Zürich und Research Fellow an der S tanford University. Sie hat einen Doktortitel in Wirtschaftswissen schaften der Universität Zürich. Die Sharing Economy weckt Emotionen. Taxidienste wie Uber, Unter- UWE NEUMANN ist Senior Research künfte via Airbnb und Peer-to-Peer-Kredite über Lending Club haben Analyst im Global Equity and Credit Research von Private Banking & Wealth Millionen Nutzer, aber auch mächtige Kritiker. Der Global Investor Management der C redit S uisse und dort erörtert die Perspektiven beider Seiten und fragt, ob die Wertschöp- für Telekommunik ation und Technologie fung der Sharing Economy diesen Emotionen entspricht. zuständig. Er stiess 2000 zum Private B anking der Credit Suisse und verfügt Befürworter führen extrem reduzierte Vermittlungskosten, bei über 28 Jahre E rfahrung im Wertschriften- spiellose Flexibilität für Nutzer und Anbieter sowie ein neues Netzwerk und Bankgeschäft, darunter 20 Jahre im Research. Er hat einen Master in des Vertrauens als Vorteile ins Feld, die neue Transaktionen ermög- W irtschaftswissenschaften der Universität lichen. Die Ferienhausvermietung reicht Jahrzehnte zurück und ist Konstanz, Deutschland, und ist Certified European Financial Analyst (CEFA ). dank den tieferen Kosten im Internet weiter gewachsen, sie bezog sich aber hauptsächlich auf dafür geschaffene Immobilien. Airbnb hat dieses Geschäft nun zu einem Massenmarkt anschwellen lassen, in dem Menschen ihre eigene Wohnung oder ihr Haus an Wildfremde vermieten – in der Annahme, dass die Mieter via soziale Netzwerke und das Internet überprüft wurden. Vertrauen ist ein Kernstück der Sharing Economy. Bisweilen ist das aber deplatziert, zumal die Sharing Economy auf eine kostengünstige Überprüfung angewiesen ist. So übersah etwa Uber den Strafregistereintrag eines Fahrers in Neu-Delhi, der einen Passagier tätlich angegriffen hatte. Kritiker argumentieren zudem, dass die Sharing Economy regulatorische und steuerliche Vorschriften miss achte und sich einen unlauteren Wettbewerbsvorteil verschaffe. B emängelt wird auch die im Vergleich zu früher tiefe Entlöhnung der Serviceanbieter. Dieser Punkt greift jedoch nicht, wenn neue Massen- märkte geschaffen werden, wie bei der Vermietung des eigenen Heims, oder wenn Anbieter und Nutzer von reduzierten Vermittlungskosten profitieren, wie bei Peer-to-Peer-Krediten. Abgesehen von dieser intensiven Debatte dürfte die Sharing Economy nur wenig zum Bruttoinlandprodukt beitragen – vielleicht, weil Sharing oft nur mit bescheidenen Zahlungen einhergeht. Wer einem Studenten eine Übernachtung und eine Mitfahrgelegenheit bietet, tut etwas Gutes und reduziert die Emissionen, aber er mindert damit möglicherweise direkt das BIP, weil der Student sonst ein Hotelzimmer und eine Zugfahrt benötigt hätte. Der indirekte BIP-Effekt mag jedoch positiv sein, wenn die Sharing Economy zu mehr Reisen anregt und Einkommen für andere Zwecke freisetzt. Illustration: Martin Mörck Der Vormarsch der Sharing Economy ist ein Paradebeispiel für die Schumpetersche «kreative Zerstörung», die durch das Internet und seine Nutzer weltweit ermöglicht wird. Die von Adam Smith geprägte «unsichtbare Hand» wirkt nun auch online. Viel Vergnügen! GI_1a_d_Editorial [PDE]{CHDE}.indd 3 27.10.15 15:13
GLOBAL INVESTOR 2.15 —04 PEER-NETZWERKE VERBINDEN DIE PUNKTE MOBILITÄT Es gibt verschiedene Möglichkeiten, von Das Internet war ursprünglich ein Werkzeug zum Teilen von Informationen und A nach B zu kommen. diente am Anfang nur ausgewählten wissenschaftlichen und militärischen Kreisen. Sie können sich fahren Nach und nach entwickelte es sich zum World Wide Web, einschliesslich der lassen oder sich selber Möglichkeiten des Peer-to-Peer Networking. Heute wird nicht nur Information, ans Steuer setzen. Sogar den idealen sondern schlichtweg alles geteilt – über Städte und selbst über Kontinente Parkplatz können Sie hinweg. Reisende teilen ihre Wohnungen, Anleger teilen ihre sich anzeigen lassen. Ideen und jeder, der über wertvolle Güter oder Fähigkeiten verfügt, kann diese zu einem bestimmten Preis an einem globalen Marktplatz verfügbar machen – als Teil der Sharing Economy. Seite 27 LEBENSMITTEL Von der Haute Cuisine bis hin zum Müesli teilen Feinschmecker Rezepte, Restaurantempfehlungen und sogar die Reste. BILDUNG Millionen nehmen Onlineunterricht zu den verschiedensten Themen in Anspruch. Es sind Bestrebungen im Gange, die fl üchtigen Inhalte besser zu archivieren. HEIM UND BÜRO Gewerbe- und Einzel- handelsfl ächen sind on demand überall verfügbar. Und brauchen Sie jeman- den, der sich darum kümmert, rufen Sie einfach den Reinigungsdienst. Seite 28 Der klare Trend GUTE IDEEN zum Teilen hat auch seine Grenzen. Es mangelt nicht an Lebensmittel, Werkzeuge brillanten Ideen. Wie wäre und Fähigkeiten teilen wir gerne. es mit einem Holz- Zahnbürsten? Eher nicht. Recycling- Programm? FREIZEIT/REISEN Suchen Sie einen perfekten Oder mit einem kosten- Aufenthalt, einen individuel- losen mobilen Chat- len Tagesausfl ug, regionale Service? Oder brauchen Tipps zu Fahrgelegenheiten Sie für irgendetwas oder vielleicht nur ein eine Bauanleitung? spontanes Fussballspiel? Sie werden es fi nden! GI_1b_d_Contents_01 [PDE]{CHDE}.indd 4 27.10.15 15:17
GLOBAL INVESTOR 2.15 —05 Inhalt Global Investor 2.15 06 46 Ein Geben und Nehmen Schöne neue Welt Sharing-Plattformen wie Uber und Airbnb Marco Abele und Salvatore Iacangelo verzeichnen ein starkes Wachstum. stellen fest, dass die rechtlichen Chiara Farronato und Jonathan Levin loten Rahmenbedingungen nicht mit den die neuen Grenzen aus und erläutern Veränderungen in der Sharing die wesentlichen Elemente. Economy Schritt halten und dass Seite 33 Dank Etsy erlebt es Qualitätsstandards bedarf. das Kunstgewerbe wieder eine 14 Art Renaissance. Etsy-Verkäufer arbeiten gewöhnlich von zu Die Wertschöpfung 48 Hause aus und übernehmen alles der Sharing Economy Teilen oder automatisieren? von der Fertigung über die Rechnungsstellung bis hin zum Wie viel trägt die Sharing Economy Christine Schmid zufolge befindet sich Versand. zum BIP bei? Patricia Feubli und Jonathan das Bankwesen an einem Scheideweg. Horlacher packen die sehr schwierige Die Entscheidungen von heute Aufgabe an und geben eine Schätzung ab. be einflussen das Banking von morgen. 18 50 Die umwälzende Kraft ist real Geld auf Knopfdruck Die historischen Konsummodelle haben Die neuen Sharing-Plattformen, sich verändert. Julie Saussier blickt so Uwe Neumann, könnten einen auf eine Welt, in der Zugang wichtiger verwässernden, aber auch einen geworden ist als Eigentum. stimulierenden Effekt auf bestehende Internetriesen haben. 22 Ein Duo auf dem Weg zum Erfolg 52 Nicolas Brusson von Blablacar und Was mein ist, ist auch dein Hans-Jörg Dohrmann von der Migros Wird die Sharing Economy von Dauer sprechen über Geschäftsmodelle sein? Carl Benedikt Frey meint, und berichten von ihrem erfolgreichen dass es ein Umdenken sowie politische Einstieg in die Sharing Economy. Anpassungen braucht. 43 Disclaimer Seite 56 Die Perspektive der Arbeitnehmer Die Sharing Economy verspricht grössere Flexibilität und neue Chancen für die Arbeitnehmenden. Aber nicht jeder profi tiert davon. Robert Kuttner erklärt, warum. Illustration: Creative-idea / GettyImages; Foto: Judith Just GI_1b_d_Contents_01 [PDE]{CHDE}.indd 5 27.10.15 15:17
GLOBAL INVESTOR 2.15 —06 Ein Geben und Nehmen TEXT CHIARA FARRONATO UND JONATHAN LEVIN nternehmen, die via Internet und mobile Technologien Kinder oder Senioren, für Tiere sowie Haus und Garten ihre Dienste Marktplätze aufbauen oder zwischen Käufern und Verkäu- anbieten. In diesen Märkten sind die Rollen der Teilnehmenden klarer fern vermitteln, stehen weltweit vermehrt im Rampenlicht. definiert, neue Waren, Geld oder Zeit werden weniger als ungenutz- Firmen wie Uber und Airbnb verzeichnen spektakuläre te Güter betrachtet, die getauscht werden. Diese Unternehmen be- Wachstumsraten. Die Regulierung dieser Akteure gibt derzeit Anlass zeichnen sich deshalb auch gerne als Peer-to-Peer (P2P), ein Begriff, zu hitzigen Diskussionen. Anbieter finden sich aber nicht nur in den der die Idee vermittelt, dass sowohl Käufer wie Verkäufer Privatper- Bereichen Transport (Uber, Lyft, Blablacar, Didi Kuaidi) und Beherber- sonen oder Kleinunternehmen sind, wenngleich mit klareren Rollen. gung (Airbnb, Kozaza, Couchsurfing). Auch Branchen wie Haushalts- Neue Marktplätze für vereinfachte Geschäftsabschlüsse dienstleistungen (Taskrabbit, Care.com), Lieferungen (Postmates, Instacart), Einzelhandel (Ebay, Etsy, Taobao), Konsumkredite (Lending Wir verwenden Peer-to-Peer im Folgenden als Dachbegriff, obwohl Club, Prosper), Währungswechsel (Transferwise, Currency Fair), Pro- es sich in den obigen Beispielen bei den Käufern oder Verkäufern jektfinanzierung (Kickstarter) oder Computerprogrammierung (Odesk, bisweilen um professionelle Anbieter oder grössere Firmen handelt, Freelancer) mischen mit. Einige dieser Unternehmen versuchen, effi- also weniger um Peers, und obwohl sie unterschiedlich organisiert zientere oder kostengünstigere Versionen von bereits verfügbaren sind. Firmen wie Airbnb, Care.com und Etsy etwa sind als dezentra- Konsumprodukten oder Dienstleistungen wie Taxidienste oder Klein- lisierte Marktplätze konzipiert. Sie ermöglichen es Verkäufern – oft kredite anzubieten, während andere neue Dienstleistungen konzipie- Privatpersonen oder Kleinfirmen –, ihre Produkte oder Dienstleistun- ren, etwa Zustelldienste nach Bedarf oder Finanzierungen von Startups. gen einer breiten Palette von Käufern zugänglich zu machen. Firmen Die Medien haben sich schwer getan, einen treffenden Überbegriff wie Uber, Lyft, Instacart oder Postmates führen zwar ebenfalls Käu- für die Aktivitäten dieser Neueinsteiger zu finden. Die Bezeichnung fer mit individuellen Verkäufern (Arbeitern) zusammen, unterscheiden Sharing Economy beispielsweise betont, dass Leute Dinge besitzen, sich aber aus Konsumentensicht, weil sie diesen Vermittlungsprozess die sie nicht immer nutzen und deshalb jemand anderem zur Verfügung internalisieren. Wenn ein Kunde einen Einkaufsauftrag auf Instacart stellen können, sei dies ein Kinderautositz, ein Zimmer in ihrem Haus platziert, gibt er die gewünschten Lebensmittel und die gewünschte oder ein Rasenmäher. Der Begriff ist durchaus treffend für Unterneh- Lieferzeit an; Instacart findet sodann einen verfügbaren Arbeiter – men wie Blablacar, Couchsurfing und Peerby, die Community-Markt- manchmal einen Angestellten, aber meistens einen Auftragnehmer, plätze generieren, auf denen Mitfahrgelegenheiten, Übernachtungs- der für einmalige Markttransaktionen auf Abruf bereitsteht. Trotz möglichkeiten oder Haushaltsgeräte ausgetauscht werden. Weniger dieser Unterschiede geht es unseres Erachtens bei den Anbietern von passend ist die Bezeichnung Sharing Economy für Marktplätze wie Internetmarktplätzen und den P2P -Dienstleistern grundsätzlich um Etsy, wo Kleinhersteller Kunsthandwerk verkaufen, Prosper, wo die Lösung derselben Probleme, um einfacher ein Geschäft abzu- P rivate Konsumkredite aufnehmen, oder Care.com, wo Betreuer für schliessen. Der diesjährige Wirtschaftsnobelpreisträger Jean Tirole GI_2a_d_History [PDE]{CHDE}.indd 6 27.10.15 15:27
GLOBAL INVESTOR 2.15 —07 bezeichnet Märkte, in denen Käufer und Verkäufer vom Geschäfts- abschluss profitieren, als «beidseitig vorteilhafte» Märkte. Dazu müs- sen drei Hauptprobleme gelöst werden, und zwar unabhängig davon, ob die Beteiligten als Käufer oder als Verkäufer oder als beides auf- treten und ob die Plattform als dezentralisierter Markt oder zentrali- sierter Vermittlungsmechanismus organisiert ist. Es handelt sich da- bei lediglich um verschiedene Ansätze zur Lösung desselben grundsätzlichen Problems, nämlich Geschäfte effizient zu koordinieren. Ein erfolgreicher Marktplatz oder Vermittlungsmechanismus bedingt erstens ein effizientes, kostengünstiges System, das K äufer und Ver- käufer zusammenbringt und ihnen erlaubt, beidseitig akzeptable Be- dingungen zu vereinbaren. Zweitens müssen die Transaktionen sicher und vertrauenswürdig erfolgen. Und drittens braucht es eine Wert- schöpfung, die sowohl für Käufer als auch für Verkäufer attraktiv ist. «Bei den Anbietern von Internetmarkt plätzen und den Peer-to- Peer-Dienstleistern geht es grundsätzlich um die Lösung derselben Probleme.» Chiara Farronato Foto: Edward Caldwell Bevor wir uns diesen drei Aspekten zuwenden, stellen wir fest, dass das Problem, vermittelnde Plattformen für Käufer und Verkäufer zu schaffen, keineswegs neu ist. Man könnte sogar sagen, dass sich eine Plattform wie Ebay in gewisser Weise nicht stark von einem mittelalterlichen Markt unterscheidet oder dass es sich bei Airbnb Chiara Farronato einfach um eine moderne Form der Rubrik «Zu vermieten» in Klein Die Assistenzprofessorin für Betriebs- anzeigen von Zeitungen handelt. Den Unterschied macht die Techno- wirtschaft in der Technology and Opera- logie, die viel bessere Lösungen für die angesprochenen Probleme tions Management Unit an der Harvard ermöglicht. Im Mittelalter mussten sich die Menschen zu einer Business School hat vor Kurzem einen b estimmten Zeit an einem bestimmten Marktort einfinden, was mit Doktortitel an der Stanford University abgeschlossen. Chiara Farronato hohen Transportkosten und wenig Flexibilität einherging. Kleinanzei- studiert die Wirtschafts- und Innovations- gen erfordern zwar keine gleichzeitige physische Präsenz der Teilneh- aspekte des Internets, mit besonderem menden, stellen aber lediglich den Beginn eines Entdeckungsprozes- Fokus auf der Marktkonzeption von ses dar, der teuer und zeitaufwendig sein kann. In einem modernen, Peer-to-Peer-Plattformen. gut funktionierenden Internetmarktplatz kann ein Käufer viel schnel- ler und effizienter ein breites Spektrum von Käufern prüfen (oder umgekehrt). Oft spielt der Standort dabei keine Rolle und die Teilneh- menden sind relativ zuversichtlich, gut bedient zu werden. Was braucht es nun, um einen effizienten, kostengünstigen Ver- mittlungsmechanismus zwischen Käufern und Verkäufern einzurichten? Ein guter Ausgangspunkt ist die Abwägung der Kosten relativ zum Wert der Transaktion. Die Anstellung einer Tagesmutter etwa ist für die meis- ten Eltern eine langfristige Entscheidung mit weitreichenden Konse- quenzen. Kostengünstig kann in diesem Fall Fortsetzung auf Seite 12 > GI_2a_d_History [PDE]{CHDE}.indd 7 27.10.15 15:27
GLOBAL INVESTOR 2.15 —08 KOOPERATION Teilen in Zeiten der Knappheit Kriege, Naturkatastrophen und soziale Unruhen bringen harte Zeiten, in denen viele Güter knapp werden. Im Verlauf der Geschichte haben Menschen unter derart schwierigen Umständen oft ihre Ressourcen gemeinsam genutzt, um die Überlebenschancen aller zu erhöhen. Manchmal geschieht dieses Teilen nur vorübergehend; bisweilen stösst es aber auch bleibende gesellschaftliche Veränderungen an. Gemeinschafts gärten 1864 DEUTSCHLAND Die Verbreitung von G emeinschaftsgärten in den 1800er-Jahren in Deutschland fiel mit der Massenzuwanderung von Menschen aus länd- lichen Regionen in die Industriestädte Europas zusammen, wo diese Familien Arbeit und ein besseres Leben suchten. Weil sie oft Not litten, stellten ihnen die Städte Flächen zur Verfügung, auf denen sie ihre eigenen Lebensmittel Rochdale Equitable anbauen konnten. Diese Pioneers Society Flächen entwickelten sich mit der Zeit zu den heutigen Schrebergär- 1844 ten, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz weit verbreitet sind. ENGLAND Im Jahr 1844 eröffne- der Basis von Selbsthil- mal wöchentlich Butter, ten 28 Handwerker fe, Demokratie, Gleich- Z ucker, Mehl, Hafer (mehrheitlich Weber) in heit, Solidarität und der flocken und Kerzen zu Rochdale, England, Bezahlung mit Bargeld verkaufen. Sie expan- einen Laden, um für sie (um Schulden vorzubeu- dierten schon bald und sonst unerschwingliche gen). Jeder und jede bauten sich mit ihren Nahrungsmittel zu konnte für ein britisches qualitativ hochstehen- verkaufen und damit ihr Pfund Mitglied der Ko- den Lebensmitteln L eben zu verbessern. operative werden, und zu fairen Preisen einen Die Rochdale Pioneers die Gewinne wurden g uten Ruf auf. Ab 1860 waren sich des Schei- zwischen den Mitglie- galt die Rochdale Equi terns früherer Genossen- dern geteilt. Die Pionie- table Pioneers Society schaftsbestrebungen re begannen in einem als Modellkooperative, bewusst und formulierten gemieteten Laden an die Besucher aus aller deshalb Prinzipien auf der Toad Lane 31 zwei- Welt anzog. GI_2a_d_History [PDE]{CHDE}.indd 8 27.10.15 15:27
GLOBAL INVESTOR 2.15 —09 Kibbuze 1909 ISRAEL Die ersten Kibbuze und für den Aufbau des wurden Anfang des israelischen Staats. 20. Jahrhunderts von Mit der Zeit gerieten die Emigranten in Palästina Kibbuze infolge der gegründet. Es handelte Gründung Israels, der sich um utopische, Flut von Flüchtlingen aus kollektive Siedlungen, Osteuropa und den die das Überleben a rabischen Ländern, des in e inem rauen Umfeld Kalten Krieges und e rleichtern sollten. der Verbreitung kapita- Zu den Grundprinzipien listischer Praktiken unter g ehörten die Gemein- Druck. Die Kibbuz- schaftsarbeit und das bevölkerung erreichte Teilen von Ressourcen. 1989 bei 129 000 ihren Die ersten Kibbuze Zenit. 2014 gab es in waren landwirtschaft I srael noch 267 Kibbuze. licher Natur, später Davon folgen aber engagierten sie sich nur noch wenige dem aber auch militärisch traditionellen Modell. Ländliche Elektrizitäts genossen schaften 1930 USA Um 1935 waren die meisten Häuser im länd- lichen Nordamerika noch ohne Strom. 1933 bewilligte die Bundes- regierung mit dem Ten- nessee Valley Authority Act den Bau von Über- tragungsleitungen zu unterversorgten Farmen und kleinen D örfern. Die Elektrifizierung länd- licher Gebiete erhielt zusätzlichen Auftrieb, als Präsident Roosevelt 1935 die Rural Electrifi- cation Administration (REA) einrichtete. Die REA gewährte ländlichen Stromgenossenschaften Kredite, um Übertra- gungsleitungen zu bauen und auf gemeinnütziger Basis Strom zu vertrei- ben. Nach dem Zweiten Weltkrieg schnellte die Zahl der ländlichen Stromversorgungssyste- me und der angeschlos- senen Konsumenten steil nach oben. Bereits 1953 waren praktisch alle US-Farmen an ein Stromnetz angebunden. GI_2a_d_History [PDE]{CHDE}.indd 9 27.10.15 15:27
GLOBAL INVESTOR 2.15 —10 Genossen schafts bewegung in Italien 1854 ITALIEN Die Gründer der ersten italienischen Genossen- schaften liessen sich von ähnlichen Initiativen in anderen Ländern E uropas inspirieren, etwa von den Rochdale Pioneers oder deutschen Versuchen mit Finanz- dienstleistungen. Die erste Kooperative Italiens wurde 1854 in Turin von einer Selbsthilfe 1 organisation der Arbei- terschaft lanciert, um die hohen Lebenskosten aufzufangen. Bis Ende der 1880er-Jahre ent- standen in Italien Genos- senschaften in den Bereichen Banking und Landwirtschaft (zum Beispiel Milchprodukte, Wein) sowie kooperative Arbeitervereinigungen. 1 Die SECAB Società Cooperativa wurde 1911 für die genossenschaft liche Erzeugung und 2 Verteilung von Strom aus Wasserkraft gegründet. 1913 weihte sie ihr ers- tes Kraftwerk am Fluss Werk wieder aufleben zu 3 Fontanone ein; nachts lassen. 1945 wurde es wurden die ansässigen neu eröffnet. Gleichzeitig Arbeiter, tagsüber die lancierten die Stahl aufstrebenden lokalen arbeiter die Konsumge- Industriebetriebe mit nossenschaft «La Prole- Strom versorgt. Bis 1925 taria», um Arbeiter und wuchs die Genossen- ihre Familien einfacher schaft auf 260 Mitglieder mit Gütern des Grund aus sechs Ortschaften bedarfs zu versorgen. an. Weitere Kraftwerke 3 Der erste «La Prole- wurden 1926 (Cima taria»-Laden hatte nur Moscardo) und 1932 Kastanien und Kasta (Enfretors) gebaut. Ne- nienmehl im Sortiment – ben der Stromerzeugung ein Beleg dafür, wie hart bildete die Genossen- die Zeiten waren. Doch schaft kostenlos junge die Genossenschaft Elektriker aus und erweiterte ihr Ladennetz war auch eine Art gesell- mit grosser Entschlos- schaftlicher Kitt. senheit und begann mit 2 Im Zweiten Welt- anderen Kooperativen krieg wurden die Küsten- in der Region zusam- stadt Piombino und menzuarbeiten. Mithilfe ihr Ilva-Stahlwerk dem des Stahlwerks, das E rdboden gleichge- Lastwagen für den macht. Angesichts der Transport bereitstellte, grassierenden Armut konnte das Angebot und Arbeitslosigkeit um Backwaren, Land- spannten die Stahlarbei- wirtschaftsprodukte, ter und das Management Fisch und Textilien er- zusammen, um das weitert werden. GI_2a_d_History [PDE]{CHDE}.indd 10 27.10.15 15:27
GLOBAL INVESTOR 2.15 —11 Amul- Genossenschaft 1946 INDIEN Als Indien 1945 unab- hängig wurde, waren Kleinlandwirte für die Vermarktung ihrer Milch von Mittelsmännern abhängig. Sie wurden oft sowohl von den Zwischenhändlern als auch von den grossen Milchverarbeitungs betrieben, welche die Preise willkürlich festlegten, ausgebeutet. 1946 fragten Bauern in der Kleinstadt Anand im Bundesstaat Gujarat den Unabhängigkeits- führer Sardar Patel um Fotos: Seite 8/9: bpk / Otto Haeckel, Thomas Wakeman / The People’s History Museum, Manchester / Bridgeman Images, Yaacov Ben Dov, The Israel Museum, Jerusalem, Israel / Bridgeman Images, INTERFOTO / Granger, NYC Rat. Er empfahl, die Mit- telsmänner zu umgehen und eine Genossen- schaft zu gründen, um ihre Milch direkt an das staatliche Milchpro- gramm Bombays zu liefern. Nach einem Streik, mit dem sie ihre Entschlossenheit aus- drückten, gründeten die Bauern die Kaira District Ridesharing Co-operative Milk Pro- ducers Union Ltd., die zu Beginn zwei Genossen- Seite 10/11: Archivio SECAB Società Cooperativa, Fondazione Memorie Cooperative, Keith Lewis Archive / Alamy Stock Photo, David Falconer / National Archives schaften umfasste, die pro Tag insgesamt 1946 USA 247 Liter Milch produ- zierten. Bald schossen überall Genossenschaf- ten aus dem Boden Im Zweiten Weltkrieg und es entstand eine förderte die US-Regie- dreistufige Struktur: ge- rung die Nutzung nossenschaftliche von Mitfahrgelegenhei- Milchbetriebe auf Dorf ten (Ridesharing), um ebene, ein Milchverband Ressourcen für den auf Distriktebene und Krieg zu sparen. Im Juli eine Vereinigung der Mit- 1941 lancierte das von gliedsverbände auf Präsident Roosevelt bundesstaatlicher Ebe- geschaffene Office of the ne. Im Jahr 1957 lancierte Petroleum Coordinator der gesellschaftlich eine Kampagne, die Auto- engagierte und marken- fahrer zu einer 30-pro- bewusste Unternehmer zentigen Redukt ion Verghese Kurien die des Benzinverbrauchs A nand Milk Union Ltd. anhielt. Dazu sollten sie (Amul), um die Idee langsamer fahren – und genossenschaftlich or- damit den Reifenabrieb ganisierter Milchbetriebe reduzieren – sowie in andere indische Ridesharing b etreiben. Bundesstaaten zu expor- Die Initiative zeigte tieren. Die indische jedoch kaum W irkung. Regierung schuf 1965 Die Ölindustrie richtete schliesslich das National daher einen Benzinspar- Dairy Development ausschuss ein, der die Board, das auf dem Ridesharing-Initiative Amul-Modell aufbaute. mit griffigen Slogans, Heute ist die Amul- Postern und Zeitungs Genossenschaft mit inseraten neu lancierte. einem Jahresumsatz von Ihr Erfolg liess sich nur über drei Milliarden schwer messen, die US-Dollar der grösste Poster waren aber weit- Milchproduzent der Welt. herum bekannt. GI_2a_d_History [PDE]{CHDE}.indd 11 27.10.15 15:28
GLOBAL INVESTOR 2.15 —12 ein Marktplatz sein, in dem sich geeignete Kandidatinnen finden und interviewen lassen. Wenn es hingegen darum geht, am Samstagabend Eiscreme zu bestellen, steht klar weniger auf dem Spiel. Kostengünstig bedeutet nun, das Gewünschte auf Tastaturdruck zu erhalten und zu wissen, dass die Lieferung weniger kostet als eine Tüte Paprikachips. In einer Studie, die wir jüngst mit Liran Einav von der Stanford Univer- sity verfasst haben, erläutern wir, dass Plattformen (wie die meisten anderen Märkte auch) oft einen Kompromiss zwischen der effizienten Erfragung und Nutzung von Informationen finden und gleichzeitig die Transaktionskosten minimieren müssen. Eine Familie auf der Suche nach einer geeigneten Tagesmutter hat vielleicht ziemlich spezifische Bedürfnisse und Präferenzen, weshalb die Plattform diverse Optionen zur Auswahl bieten sollte. Aus dieser Perspektive dürfte es wohl sinn- voll sein, dass Care.com oder Airbnb als dezentralisierte Marktplätze organisiert sind. Wer nur Eiscreme bestellt oder nach einem Barbesuch eine Mitfahrgelegenheit sucht, will dagegen lediglich eine verlässliche, schnelle Bedarfserfüllung. Es ist daher sinnvoll, dass Instacart oder Uber den Vermittlungsprozess internalisieren und einer schnellen Zu- weisung mehr Gewicht beimessen als etwa der Wahl des Fahrers. Die Schlüsselfaktoren: Effizienz, Vertrauen, Nutzenversprechen Die Preissetzung erfordert ähnliche Kompromisse. Auf Ebay wurden in den Anfangsjahren sämtliche Verkäufe als Auktionen abgewickelt. Ökonomen lieben Auktionen, weil sich damit der allseits akzeptable Marktpreis ermitteln lässt. Bei einer konventionellen Auktion beispiels- weise treiben die Teilnehmenden den Preis nach oben, bis nur noch ein williger Käufer übrig ist, der den Zuschlag erhält. Aber Auktionen können für die Käufer auch zeitaufwendig und mühsam sein, deshalb sind die meisten Verkäufer auf Ebay im letzten Jahrzehnt von diesen abgerückt. Heute ist die Mehrheit der Angebote mit einem Preis versehen. Auch Internetmarktplätze wie Prosper (Konsumkredite) und Taskrabbit (Haushaltsarbeiten) legten ihre Preise zu Beginn im Auktionsverfahren fest, sind aber inzwischen der Einfachheit halber zu Festpreisen übergegangen. Foto: Edward Caldwell Vertrauen ist für erfolgreiche Marktplätze ebenfalls unerlässlich. Der Vertrauensaufbau kann vor allem problematisch sein, wenn sich Käufer und Verkäufer nicht kennen und nur eine einmalige Transak- tion abschliessen. P2P -Marktplätze setzen zur Vertrauensbildung auf einen Mix aus Vorabklärungen, laufendem Feedback und externer Durchsetzung der Qualitätsanforderungen. Uber überprüft beispiels- weise Strafregister- und Busseneinträge, bevor Fahrer akzeptiert werden. In einem anonymen Feedbacksystem können sich Fahrer und Jonathan Levin Passagier nach jeder Fahrt gegenseitig beurteilen. Riskante Fahrer Der Professor für Volkswirtschaft an der Stanford University arbeitet an oder Mitfahrer können aufgrund dieses Feedbacks gesperrt werden. einem breiten Spektrum von Themen. Zudem schliesst Uber für jede Fahrt eine Versicherung ab. Im Vergleich Dazu gehören ökonomische Aspekte zu traditionellen Märkten geht der Trend hier vermehrt zu einer laufen- der T echnologie und die Konzeption von den Überwachung und weniger Vorabklärungen. Offizielle Taxifahrer Auktionen und Marktplätzen. in London werden während mehrerer Jahre geschult, damit sie die Stadt in- und auswendig kennen. Uber-Fahrer wird man dagegen in nur wenigen Tagen. Dafür wird die Qualität der erbrachten Leistung stän- dig überwacht. Diese konstante Kontrolle beruht unter anderem dar- auf, dass die Technologie prompte und häufige Rückmeldungen erlaubt und die Kunden – vielleicht etwas überraschend – tatsächlich Feed- back abgeben, wenn dies auf einfache Art möglich ist. Trotz potenziell unausgewogener oder gefälschter Rückmeldungen haben die Markt- plätze ihre Mechanismen der Vertrauensbildung allgemein verbessert. Viele dieser Systeme scheinen heute so gut zu funktionieren, dass sich die wirklich schlechten A kteure identifizieren lassen. GI_2a_d_History [PDE]{CHDE}.indd 12 27.10.15 15:28
GLOBAL INVESTOR 2.15 —13 Als dritte erfolgsentscheidende Bedingung müssen Marktplätze oder an diese Regeln. In letzter Zeit haben Lokalbehörden mit Vorschriften P2P -Modelle genügend Käufer und Verkäufer anziehen, um einen für P2P -Anbieter reagiert – etwa in New York und San Francisco mit relativ «dichten» Markt zu schaffen. Im Idealfall beginnt sich eine solchen für P2P -Wohnungsvermietungen – oder mit einem gänzlichen S pirale zu drehen, bei der Verkäufer von einem Markt mit vielen Käu- Verbot derselben, wie dem Verbot von nicht lizenzierten Carsharing- fern angezogen werden, während ein Markt mit zahlreichen Verkäufern Diensten in Italien. neue Käufer generiert. Viele erfolgreiche Plattformen konzentrieren sich deshalb darauf, die verkäuferseitigen Kosten für die Einrichtung und die Bewerbung der angebotenen Leistungen zu senken. Dies «Werden Peer-to- erlaubt es Einzelpersonen und flexiblen Anbietern, am Markt teilzu- nehmen und ihre Produkt- und Dienstleistungspalette auszubauen. Peer-Anbieter derart erfolgreich sein, Uber beschäftigt zurzeit rund eine Million Teilzeitfahrer und setzt auf flexible Preismodelle, um in den lokalen Spitzenbedarfszeiten mehr dass ihre zurzeit hohen Fahrer zu gewinnen. Bei Airbnb wird man einfach und schnell zum Teilzeithotelier. Damit bietet sich den Käufern ein breites Spektrum Bewertungen zu teils ungewöhnlicher Unterkünfte, und das Angebot lässt sich bei besonders hoher Nachfrage über Preisanreize erweitern. Die folgende wirtschaftlich interessante Frage stellt sich zu den neuen Anbietern von On-Demand-Dienstleistungen: Ist das gängige Modell, das auf der Anstellung flexibler Teilzeitarbeitender aufbaut, rechtfertigen sind?» von Dauer oder lediglich ein zweckmässiger Ansatz in der Anfangs- Jonathan Levin phase des Unternehmens? Flexible Arbeitskräfte bieten den Vorteil, dass sie eine stark schwankende oder sehr heterogene Nachfrage möglicherweise besser befriedigen. Vielleicht sind aber Qualität und Bei der aktuellen Diskussion geht es auch darum, welchem Zweck die Verlässlichkeit besser, wenn vorgängig in die Schulung, Ausrüstung lokale Regulierung grundsätzlich dient. Einerseits zielen viele Vorschrif- und die praktische Erfahrung der Arbeitskräfte investiert wird. Auf- ten darauf ab, die Konsumenten zu schützen, etwa vor gefährlichen schlussreich könnten hier die Erfahrungen im E-Commerce-B ereich Fahrern oder unsicheren Hotelzimmern. Es ist fraglich, ob die Feed- sein. Auf Ebay traten zu Beginn vor allem Privatpersonen als Verkäu- backmechanismen, wie sie beispielsweise Uber oder Airbnb einge- fer auf, doch heute stehen hinter den meisten Angeboten auf Ebay richtet haben, die Konsumenten gleich gut schützen wie die Bewilli- oder Amazon spezialisierte Profis oder Unternehmen. gungsanforderungen, die Städte an Taxi- oder Hotelbetreiber stellen. Die Regulatoren sind gefordert Andererseits können lokale Regulierungen den Interessen etablierter Firmen entgegenkommen, indem sie den Wettbewerb beschränken. Regulatorische und rechtliche Entscheide könnten sich ebenfalls auf Folglich dürfte der Markteintritt von P2P -Firmen die Konkurrenz ver- diese Geschäftsmodelle auswirken. Plattformen, die unabhängige stärken und den Konsumenten zugutekommen, weil Abwärtsdruck auf Auftragnehmende für die Erbringung von Dienstleistungen einsetzen, die Preise und Aufwärtsdruck auf die Qualität entsteht. müssen weder Zusatzleistungen wie Gesundheits- oder Invaliden Unsere letzte Frage ist, ob die P2P -Anbieter derart erfolgreich versicherung bezahlen noch Ausrüstung kaufen und unterhalten – sein werden, dass sich ihre zurzeit hohen Bewertungen rechtfertigen obschon dies dort, wo tiefere Stückkosten über Skaleneffekte erreicht lassen. Die spezifische Konzeption der Such-, Vermittlungs- und werden, möglicherweise die effizientere Lösung wäre. Das Modell P reismechanismen sowie potenzielle regulatorische Probleme dürften schützt sie potenziell vor Haftungsansprüchen, wenn Transaktionen hierbei eine Rolle spielen. Allgemeiner stehen jedoch zwei Aspekte fehlschlagen. Aus der Perspektive der Arbeitnehmenden wiegen fle- im Vordergrund: Wird sich das P2P -Vermittlungsmodell auf längere xible Arbeitszeiten und eine möglicherweise bessere Entlöhnung unter Sicht gegen traditionellere, integrierte Geschäftsmodelle durchsetzen? Umständen ein weniger stabiles und sicheres Einkommen auf. Indes Und werden sich individuelle Plattformen so dominierend in Stellung haben jüngste Gerichtsurteile gewisse Fahrer von Uber als Anges tellte bringen können, dass sie in der Lage sind, substanzielle Gewinne zu eingestuft, und eine laufende Sammelklage in Kalifornien könnte erzielen? Die Beantwortung der letzten Frage wird davon abhängen, A nbieter von Mitfahrgelegenheiten letztlich zu einem traditionelleren ob grössere Marktplätze starke Netzwerkeffekte und Effizienzgewinne Anstellungsmodell verpflichten. generieren können. Es gibt gewisse Gründe für die Annahme, dass Der Eintritt von P2P -Anbietern in Märkte wie Beherbergung und Marktplätze von mehr Grösse profitieren, weil sich ihnen dadurch Personentransport hat zudem eine hitzige Debatte über die lokale mehr Möglichkeiten zur Zusammenführung von Käufern und Ver Regulierung entfacht. Die Plattformen werden unter anderem dafür käufern und zum Sammeln von Daten bieten. Einige Internetfirmen kritisiert, dass sie sich Wettbewerbsvorteile verschaffen würden, indem wie Google und Facebook haben ihre Grösse und Reichweite genutzt, sie lokale Eintritts- oder Bewilligungsanforderungen umgehen. Viele um ihre P rodukte und Dienstleistungen rasant zu verbessern. Ob die Städte beschränken beispielsweise die Zahl der Hotelzimmer, die neuen P2P -Akteure diesem Beispiel folgen können, wird sich erst Nutzung von Wohneigentum für die kurzfristige Vermietung, die Zahl noch weisen müssen. der Taxis sowie die Art und Weise, wie Hotel- oder Taxianbieter ihre Preise festlegen können. Zudem sind traditionelle Anbieter Bewil ligungsverfahren, Steuern und Gebühren sowie Gesundheits- und Sicherheitsüberprüfungen unterworfen, um Qualität und Vertrauen zu gewährleisten. P2P-Plattformen hielten sich zumindest am Anfang nicht GI_2a_d_History [PDE]{CHDE}.indd 13 27.10.15 15:28
GLOBAL INVESTOR 2.15 —14 Quantitative Analyse Die Wertschöpfung der Sharing Economy Wie viel trägt die Sharing Economy zum BIP bei? Lässt sich das überhaupt messen? Zur Grösse der Sharing Economy gibt es keine harten Zahlen und nicht alle Leistungen fliessen ins BIP ein. Wir schlüsseln die BIP-Beiträge der Sharing Economy und der traditionellen Wirtschaft auf. Aktivitäten, die sich aus traditionellen in Sharing-Bereiche verlagern, sind schwerer messbar und verbergen die wahre Wirtschaftsleistung eines Landes. Wir schätzen den quantitativen Umfang der Sharing Economy ab. Produzierte Güter und Dienstleistungen Öffentliche Verwaltung Im heutigen BIP erfasst Unbezahlte Haushaltsarbeiten Dazugehörig Schattenwirtschaft Im heutigen BIP nicht BIP Die Sharing erfasst Economy Freizeitaktivitäten zu Hause Nicht Konsumentenrente dazugehörig Im Ausland von lokalen Unternehmen produzierte Güter und Dienstleistungen BIP-Komponenten Die heutige BIP -Erhebung berücksichtigt die Wertschöpfung der im Inland produzierten Güter und Dienstleistungen, der öffentlichen Verwaltung, der unbezahlten Haushaltsarbeit und von Teilen der Schattenwirtschaft. Sharing-Aktivitäten, die vermehrt bestehende wirtschaftliche Leistungen verdrängen oder ergänzen, sollten ebenfalls Eingang finden. Quelle: Credit Suisse GI_2b_d_Value-add [PDE]{CHDE}.indd 14 27.10.15 15:39
GLOBAL INVESTOR 2.15 —15 N eben anderen Indikatoren lässt sich die wirtschaftliche Leistung 01_Bereitschaft, Güter gemeinsam zu nutzen eines Unternehmens anhand sei- Die Sharing Economy expandiert rasant. Es gibt aber Unterschiede hinsichtlich der Bereitschaft, ner Wertschöpfung messen, also g ewisse Güter oder Dienstleistungen gemeinsam zu nutzen. Quelle: Nielsen Global Survey of Share Communities am Wert seiner Produktion abzüglich der Vorleistungen. Konkreter umfasst die Wert- schöpfung Löhne für die Angestellten, ent- 15 Wohnung/Haus 23 Elektrowerkzeuge % % richtete Steuern, Zinszahlungen, Mieten sowie die Gewinne der Besitzer (das heisst Nationaleinkommen). Sie misst ausschliess- 17 Möbel 26 Unterricht/Dienstleistungen % % lich den Output und klammert etwa die Zu- friedenheit der Kunden mit einem Produkt aus. Zur Messung der Wirtschaftsleistung 21 Auto 28 Elektronik eines Landes wird die Wertschöpfung aller % % inländischen Unternehmen aufaddiert. Die Berechnung des Bruttoinlandprodukts ( BIP) eines Landes berücksichtigt nur im Inland produzierte Güter und Dienstleistungen, ab- züglich Subventionen und zuzüglich Steuern. 02_Sektoren mit relevantem Prozentanteil Das European System of Accounts 2010 von Sharing-Aktivitäten am BIP erfasst bei der BIP -Messung nicht nur kom- Rund die Hälfte des gesamten BIP wird von Sektoren generiert, die von der Sharing merzielle Firmen: Weitere produktive Sekto- Economy s ubstanziell betroffen sind, insbesondere Einzel- und Grosshandel sowie Transport und D ienstleistungen. Quelle: Credit Suisse, Eurostat ren wie die öffentliche Verwaltung, unbezahl- te Haushaltsarbeiten, Kinderbetreuung sowie 2% Beherbergung Teile der Schattenwirtschaft finden ebenfalls und Gastgewerbe Eingang. Die Wertschöpfung dieser Sektoren muss normalerweise geschätzt werden, weil 7% Transport sie nicht direkt erfasst werden kann oder aber und Lagerung keinen eigentlichen Produktionswert hat. Es ist durchaus sinnvoll, diese nicht kom- 15% Handel merziellen Sektoren und die Schattenwirt- schaft im BIP zu berücksichtigen. Schwarz- märkte werden zum Beispiel meist nicht erfasst, sind aber umsatzstark und beschäf- tigen einen nicht vernachlässigbaren Anteil an Arbeitskräften respektive absorbieren Ressourcen. Werden diese Graubereiche und nicht kommerziellen Sektoren berücksichtigt, reflektiert die BIP -Erhebung die tatsächliche 56% Wirtschaftsleistung besser. Übrige Sharing Economy schwieriger zu messen Rein sozial motivierte Sharing-Aktivitäten zur Steigerung der Lebensqualität, wie zum Bei- spiel Zeit mit Freunden verbringen (etwa via rentafriend.com), werden notwendigerweise aus dem BIP ausgeklammert. Sharing-Aktivi- täten, die bezahlt werden oder Transaktionen zwischen Firmen und Konsumenten ähneln, sind demgegenüber für die Wirtschaftsleis- tung relevant, werden aber heute nur teilwei- 10% se im BIP erfasst. Internetplattformen wie Immobilien, wissenschaftliche freelancer.com führen etwa Arbeitskräfte und und technische Unternehmen für eine projektbasierte Koope- Aktivitäten ration zusammen. In diesem Fall findet die 4% Wertschöpfung des Projekts Eingang ins Versicherungen BIP. Die Buchungsgebühr, die Blablacar für 6% Carsharing-Dienste belastet, ist Teil der > Finanzdienstleistungen GI_2b_d_Value-add [PDE]{CHDE}.indd 15 27.10.15 15:39
GLOBAL INVESTOR 2.15 —16 Zwei Ansätze für die Schätzung der Wertschöpfung von Sharing-Aktivitäten Bisher gibt es keine Methode, welche die Wertschöpfung von BIP -relevanten Sharing-Aktivitäten erfasst. Doch lässt sich ihr Umfang annähernd abschätzen. Unsere Top-down-Methode schätzt den Effekt der Sharing Economy für jede Branche. Unsere Bottom-up-Methode schätzt den Effekt der Sharing Economy als prozentualen Anteil an den Haushaltsausgaben. In beiden Fällen nimmt das Basisszenario an, dass die Ausgaben für Sharing-Aktivitäten etwa jenen für Online-Einkäufe entsprechen. Das Maximalszenario geht davon aus, dass 80 Prozent der Ausgaben in die Sharing Economy fliessen. Quelle: Credit Suisse Top-down- Wertschöpfung BIP -relevanter Ansatz Sharing-Aktivitäten Wertschöpfung als Prozentanteil des Produktionswerts von Gütern und Dienstleis- tungen, die sich gemeinsam nutzen liessen Anteil Schweizer Sharing-Haushalte szenario Maximal szenario Basis Ausgabenanteil Ausgabenanteil Interneteinkäufe 80% Anteil der Branche am Gesamt- BIP Jährliche Haushaltsausgaben für Güter und Dienstleistungen, die sich gemeinsam nutzen liessen Anteil der Bevölkerung, die an Sharing-Aktivitäten partizipiert Maximal szenario szenario Basis Ausgabenanteil Ausgabenanteil Interneteinkäufe 80% Wertschöpfung BIP -relevanter Sharing-Aktivitäten Bottom-up- Ansatz Entlöhnung der Angestellten und des Ge- zen. Wir tun dies mit einer Bottom-up- und nlinekurse im Vergleich zu öffentlichen und O winns der Anteilsinhaber. Diese Komponenten einer Top-down-Methode. privaten Schulen sowie Universitäten nach wie des Carsharing fliessen ebenfalls ins BIP ein. vor ein Schattendasein fristen. Sektoransatz Die Entschädigung, die ein nicht professio- Von der Sharing Economy am stärksten neller Airbnb-Gastgeber für die Vermietung Schlüsselt man das BIP nach einzelnen Bran- betroffen sind die Sektoren Einzel- und Gross- seiner Wohnung erhält, kann dagegen im BIP chen auf, können die Sharing-Aktivitäten in handel, Transport sowie Beherbergung und oft nicht berücksichtigt werden. Wer jeman- der Gesamtwirtschaft annähernd berechnet Gastgewerbe. Schon bald könnte es dem Fi- dem unentgeltlich sein Sofa für eine Nacht werden. Für rohstoffnahe Sektoren wie Land- nanzwesen und diversen wissenschaftlichen zur Verfügung stellt, schafft keinen monetär wirtschaft oder Energie ist Sharing aus Kon- und technischen Aktivitäten ähnlich ergehen. messbaren Wert, weshalb diese Aktivität heu- sumentenperspektive eher vernachlässigbar. Diese Branchen steuern in Industrieländern te definitiv nicht BIP -relevant ist. Die Produzenten mögen zwar gewisse Input- rund die Hälfte zum BIP bei – zum Beispiel 45 Je mehr Sharing-Aktivitäten bestehende faktoren gemeinsam nutzen – etwa Agrar Prozent in der Schweiz, 50 Prozent in den USA . wirtschaftliche Leistungen verdrängen oder maschinen – und erhöhen damit ihre Produk- Im Folgenden stützen wir uns für unsere ergänzen, desto dringender wird es, die ak- tivität, ihr Output lässt sich aber nicht teilen: Schätzungen auf die Schweizer Branchenge- tuelle BIP -Messung anzupassen. Bisher wird Brot kann man nicht zweimal essen. Dasselbe wichtungen. Unter den am stärksten exponier- die Wertschöpfung von BIP -relevanten Sha- gilt für öffentliche Dienstleistungen wie die ten Sektoren gehören der Handel (15% des ring-Aktivitäten nicht systematisch erfasst. Landesverteidigung. Bildung ist hier eine Aus- BIP) sowie Transport und Lagerung ( 7.5%) zu Allerdings lassen sie sich annähernd schät- nahme, obwohl gemeinsam genutzte den Schwergewichten, während Beherber- GI_2b_d_Value-add [PDE]{CHDE}.indd 16 27.10.15 15:39
GLOBAL INVESTOR 2.15 —17 gung und Gastgewerbe mit grossem Abstand nächsten Schritt werden die Ausgaben für nario – zumindest heute noch – einen be- auf Rang 3 liegen (1.6%). Die weniger betrof- Vorleistungen – wir gehen hier vom selben scheidenen Anteil am BIP der Schweiz. Die fenen Sektoren sind ähnlich gross: Wissen- Umfang aus wie bei Unternehmen – von den Ergebnisse verändern sich mit Blick auf an- schaftliche und technische Aktivitäten sowie Ausgaben für Sharing-Angebote abgezogen. dere Länder wie die USA oder europäische die Immobilienbranche haben einen BIP-Anteil Die Summe über alle Haushalte und Sektoren Staaten ein wenig, weil sich die jeweiligen von 9.7 Prozent, gefolgt vom Finanzwesen hinweg entspricht der Wertschöpfung der Sektorgewichtungen etwas unterscheiden. (6.3%) und von Versicherungen (4.5%). Peer-to-Peer-Aktivitäten. Im Maximalszenario Globale Mentalitätsunterschiede Der BIP -Beitrag des Sharing in den Bran- erreicht der Peer-to-Peer-Handel einen Anteil chen beruht auf zwei Faktoren: dem prozen- von rund 80 Prozent der Ausgaben von Haus- Weltweit wird die Sharing Economy unter- tualen Anteil der Menschen, die Sha- halten, die Sharing-Angebote nutzen. Mit schiedlich akzeptiert. Laut einer globalen ring-Dienste nutzen, und dem Anteil ihrer dieser Annahme generiert der Peer-to-Peer- Umfrage von Nielsen variiert die Bereitschaft, Gesamtausgaben, der in Sharing-Angebote Bereich in der Schweiz eine Wertschöpfung an Sharing-Marktplätzen zu partizipieren, zwi- fliesst. Der Anteil der Schweizer Bevölke- von rund sechs Milliarden Franken jährlich, schen 54 und 52 Prozent in Europa und Nord- rung, der an der Sharing Economy partizi- 0.95 Prozent des BIP. Das konservativere amerika und 80 Prozent im asiatisch-pazifi- piert, schwankt sektorabhängig zwischen 0 Szenario geht davon aus, dass die Sharing- schen Raum. Der weltweite Durchschnitt und 30 Prozent, wobei die Branchen Trans- Haushalte etwa gleich viel für Peer-to-Peer- beträgt 68 Prozent. Die höhere Nutzungsbe- port und Beherbergung obenaus schwingen. Angebote ausgeben wie für den Online- reitschaft in Schwellenländern wird durch den Der Anteil der Ausgaben, der in die Sharing Einkauf. In diesem Fall resultiert für den Umstand aufgewogen, dass die Partizipation Economy fliesst, lässt sich am Anteil der Peer-to-Peer-Bereich in der Schweiz eine am Internet dort viel tiefer ist. Der BIP -Effekt Haushaltsausgaben via Internet schätzen, der Wertschöpfung von rund 0.5 Milliarden in den Schwellenländern könnte jedoch künf- von weniger als 1 Prozent bei den Finanzdienst- Franken jährlich (0.1% des BIP). tig steigen, wenn immer mehr Menschen leistungen bis 14 Prozent für Unterkünfte reicht. Offensichtlich führen unsere beiden An- Zugang zum Internet erhalten. Eine Multiplikation dieser Faktoren sätze zu ähnlichen Resultaten. Zudem leistet Noch ist der Gesamteffekt gering (BIP-Anteil einer Branche; Anteil der Kun- die Shar ing Economy selbst im Maximalsze- den, die Sharing-Angebote innerhalb einer Der BIP -Effekt der Sharing Economy gleicht Branche nutzen; Anteil der Sharing-Ausga- in seinem Ausmass jenem anderer Aktivitäten, ben dieser Kunden) ergibt den Sharing- die sich nicht genau messen lassen, wie etwa Gesamteffekt der jeweiligen Branche auf das anderer Teile der Schattenwirtschaft. Der BIP. Der Gesamteffekt des Sharing auf das Gesamteffekt ist gering, aber das rasante BIP ist mit 0.25 Prozent des BIP noch relativ Wachstum der Sharing-Aktivitäten impliziert, gering, weil die Branchen, in denen Sharing dass die Berechnungen des BIP-Wachstums bereits stark verbreitet ist, eher klein sind (Beherbergung), oder die Branchen zwar Begriffe und das reale Wachstum in diesem Bereich un- terschätzen, zumal sich immer mehr Aktivitä- gross sind, aber einen noch eher niedrigen Definitionen ten aus traditionellen Sektoren in die Sharing Sharing-A nteil aufweisen (Finanz- und Ver- Economy verlagern. Diese Verlagerung könn- sicherungswesen). Wenn wir davon ausge- Bruttoinlandprodukt (BIP) = te somit weitreichender sein, ihr Nettoeffekt hen, dass Sharing-Kunden 80 Prozent ihrer Wertschöpfung aller im Inland bleibt aber klein. Darüber hinaus erfassen Ausgaben in diesem Bereich tätigen (Maxi- produzierten Güter und Dienst BIP -Berechnungen nicht alle vorteilhaften malszenario), steigt der Gesamteffekt auf leistungen, abzüglich Subventionen Aspekte der Sharing Economy. Allerdings ist rund 1 Prozent des BIP. und zuzüglich Steuern das BIP als Masszahl weit verbreitet und be- einflusst viele wichtige wirtschaftliche Indika- Haushaltsansatz Bruttonationaleinkommen (BNE) = toren wie das Bonitätsrating und die Steuer- Wertschöpfung aller von Inländern Die Bottom-up-Methode konzentriert sich basis eines L andes. Falls die Sharing eines Landes produzierten Güter auf die am stärksten betroffenen Sektoren: Economy künftig weiter expandiert und damit und Dienstleistungen, abzüglich Finanzwesen, Dienstleistungen, Güter, Beher- eine fortgesetzte Verlagerung zu schwerer Subventionen und zuzüglich Steuern bergung und Transport sowie Streaming von messbaren Aktivitäten stattfindet, werden Musik und Videos. Sie berücksichtigt nur die Wertschöpfung = Wert der wir um neue Ansätze der BIP -Messung nicht kommerziellen Sharing-Aktivitäten, also Peer- Produktion abzüglich Wert der herumkommen. to-Peer-Transaktionen zwischen Haushalten. Vorleistungen Der Ansatz schätzt für jeden Sektor den A nteil Konsumentenrente = Mass der der Haushaltsausgaben, die in Sharing-Akti Kundenzufriedenheit, positive vi t äten fliessen. Die Bottom- u p-Methode Differenz zwischen dem Preis, den Jonathan Horlacher berücksichtigt nur die Ausgaben für poten- Konsumenten für ein Produkt Research Analyst zielle Peer-to-Peer-Aktivitäten. Ein Grossteil +41 44 332 80 17 zu bezahlen bereit sind, und dem jonathan.horlacher@credit-suisse.com der Haushaltsausgaben im Finanzsektor be- Marktpreis dieses Produkts trifft beispielsweise Zahlungen für Miete/ Patricia Feubli Research Analyst Hypothek, Wasser und Strom. Diese Ausga- +41 44 333 68 71 ben werden nicht berücksichtigt. In einem patricia.feubli@credit-suisse.com GI_2b_d_Value-add [PDE]{CHDE}.indd 17 27.10.15 15:39
GLOBAL INVESTOR 2.15 —18 Anlagethema Die umwälzende Kraft ist real Foto: Jan Philip Welchering GI_5a_d_Retail Auto_01 [PDE]{CHDE}.indd 18 27.10.15 15:42
GLOBAL INVESTOR 2.15 —19 Das rasante Wachstum der Sharing Economy Umsätzen von 1.2 Billionen US -Dollar impliziert dies enorme Wachs- kündigt massive Änderungen des bisherigen tumschancen im Carsharing-Geschäft. Laut einer Umfrage der Uni- versity of Berkeley dürfte ein gemeinsam genutzter PKW zwischen Konsummodells an. Der Trend zum Teilen und 9 und 13 Autos ersetzen, zumal Carsharing-Nutzer ihr Auto wahr- zur gemeinsamen Nutzung begann vor über scheinlich verkaufen oder zumindest den Kauf eines neuen hinaus- 15 Jahren mit immateriellen digitalen Medien, zögern. Wir schätzen, dass sich dadurch das Wachstum der Neuwa- hat sich aber mittlerweile auf hochwertige genverkäufe bis 2020 um 70 Basispunkte reduzieren könnte. In materielle Güter wie Automobile und Immobilien diesem investierbaren Zeithorizont scheint das minimal. Aufgrund des ausgebreitet. Welche Chancen eröffnen sich steigenden Automatisierungsgrads und des Grösseneffekts dürften die Auswirkungen langfristig einschneidend sein. den Anlegern in einer Welt, in der der Nichtbesitz 2011 konnten sich die Anleger am Börsengang (IPO) des Neu- von Gütern schnell zur neuen Norm wird? einsteigers Zipcar beteiligen. Kurz nach dem IPO war Zipcar schät- zungsweise 1.2 Milliarden US-Dollar wert – Avis Budget übernahm Zipcar 2013. Uber dürfte der nächste Kandidat sein. Laut «Wall Street Journal» vom 1. Juli 2015 wurde Uber in der letzten Finanzierungs- runde mit 50 Milliarden US-Dollar bewertet. Das Unternehmen rech- net im laufenden Jahr mit einem Umsatz von 2 Milliarden US-Dollar und ist damit unter den Internetfirmen sehr hoch bewertet. Beherbergungsbranche Bereits Fuss gefasst hat die Sharing Economy auch im Geschäft mit Ferienunterkünften, das 2014 einen Anteil von neun Prozent am tra- ditionellen Hotelmarkt hatte. Dieser Markt ist zunehmend organisiert und das steigende Vertrauen sorgt für eine breitere Nutzung derarti- ger Dienstleistungen. Plattformen wie Homeaway und Airbnb haben schon einen Marktanteil von 50 Prozent. Airbnb ist mit 1.5 Millionen Angeboten und 10 Millionen Buchungen bereits in 200 Ländern ver- treten und nimmt nun China ins Visier. Die Buchungen über Airbnb A utos, Unterkünfte, Musik und Videos waren die ersten Sek- dürften bis 2020 auf nahezu 60 Millionen steigen. Laut Schätzungen toren, in denen sich Peer-to-Peer-Netzwerke bildeten. Hier der Credit Suisse bietet Airbnb heute rund ein Prozent aller weltweit etablierten sich Vermittler, die das Vertrauen in Online verfügbaren Hotelzimmer an. Dieser Anteil könnte gemäss unseren transaktionen förderten und zu bekannten Marken wurden. Wachstumserwartungen auf rund fünf Prozent steigen. Der Wert dieser Marken ist verknüpft mit den sozialen Kontakten, die Bisher hat die traditionelle Hotel- und Ferienunterkunftsbranche sie ermöglichen, und dem Erlebnis, das sie generieren. Seit Langem trotz aufstrebender Akteure wie Homeaway und Airbnb weiter expan- etablierte Akteure geraten zunehmend unter Konkurrenzdruck und diert, wobei sie von einem Angebots-Nachfrage-Ungleichgewicht müssen folglich selbst Community-Plattformen aufbauen, Startups profitierte. Sharing-Plattformen ziehen vielmals Reisende an, die län- übernehmen oder sich mit solchen zusammenschliessen. Wir werfen ger an einem Ort verbleiben und sonst nicht reisen würden. Börsen- einen Blick auf jene Bereiche des Sektors der Nicht-Basiskonsum- kotierte Hotelketten bedienen tendenziell Kurzaufenthalter, wie zum güter, in denen die Sharing Economy bereits Fuss gefasst hat. Beispiel Geschäftsreisende, die derartige Plattformen eher weniger nutzen. Weil das Angebot auf den Plattformen kontinuierlich steigt Automobilbranche und Airbnb zunehmend auch die Geschäftsreisenden anvisiert, k önnte Die Sharing Economy scheint sich besonders stark auf Erstausrüster sich die Angebots-Nachfrage-Lücke jedoch praktisch schliessen, (OEM) in der globalen Autoindustrie auszuwirken, weil Autos teuer sodass Hotels langfristig einen Teil ihrer Preismacht einbüssen und schlecht ausgelastet sind sowie an Wert verlieren. Die rasante dürften. Die «Financial Times» hat am 29. Juni 2015 berichtet, dass Urbanisierung, sich ändernde Mobilitätsvorlieben der Konsumenten zahlreiche Hotelkonzerne damit begonnen haben, in Homesharing- und ein regulatorischer Rahmen, der die gemeinsame Nutzung von Konkurrenten zu investieren, um damit einer künftigen Bedrohung Autos fördert, um die Umweltverschmutzung und Staus zu minimieren, zuvorzukommen. dürften dem Carsharing ein fulminantes Wachstum bescheren. Peer- Langfristige Trends lassen sich im Beherbergungsmarkt schwer to-Peer-Carsharing (Zipcar, car 2go, park 24), Mitfahrgelegenheiten prognostizieren, wir sehen aber definitiv grosses Potenzial für (ein ergänzendes, anderes Geschäftsmodell wie etwa Blablacar) und a lternative Unterkunftsnetzwerke als Teil der neuen Sharing Economy. privater Autoverleih (Uber, Lyft) sind neue Geschäftsmodelle, die den Für Anleger ist die Bewertung ein entscheidender Faktor. Beim bör- Übergang von der traditionellen Vermietung hin zu bedarfsbezogenen, senkotierten Anbieter Homeaway sollte unseres Erachtens die Be- technologiebasierten Schnittstellen erleichtern. wertung nicht mit jener konventioneller Hotels verglichen werden, Carsharing weist zurzeit eine Durchdringung von unter einem Pro- sondern mit jener anderer vergleichbarer Internetdienstleister mit zent des globalen Automarkts auf. Avis Budget schätzt den Wert des geringer Kapitalintensität (Asset light) wie etwa Netflix oder Alibaba. globalen Carsharing-Markts auf rund 10 Milliarden US -Dollar. Ange- Solche E-C ommerce-Plattformen sind mit einem Kurs-Gewinn- sichts der Märkte für Taxidienstleistungen (40 Milliarden US -Dollar) Verhältnis (KGV auf 12 M-forward-Basis) von fast 30 gehandelt bei und Autovermietungen (50 Milliarden US -Dollar) sowie von OEM - einem erwarteten jährlichen Umsatzwachstum von durchschnittlich > GI_5a_d_Retail Auto_01 [PDE]{CHDE}.indd 19 27.10.15 15:42
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