Die Sharing Economy Neue Chancen, neue Fragen - Credit Suisse

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Die Sharing Economy Neue Chancen, neue Fragen - Credit Suisse
Global Investor 2.15, November 2015
                                                                                                   Expertenwissen für Anlagekunden der Credit Suisse
                                                                                                           INVESTMENT STRATEGY & RESEARCH
Credit Suisse

                                                           Die Sharing Economy
                                                           Neue Chancen, neue Fragen
Die Sharing Economy

                                                           Chiara Farronato und Jonathan Levin Der spektakuläre Vormarsch
                                                           der Sharing-Plattformen. Nicolas Brusson Wie Mitfahrgelegenheiten
                                                           den globalen Transportmarkt auf den Kopf stellen. Marco Abele
Global Investor 2.15

                                                           und Salvatore Iacangelo Teilen anstatt besitzen, eine regulatorische
                                                           Herausforderung. Christine Schmid Peer-to-Peer-Modelle
                                                           verändern den Bankensektor grundlegend.

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Die Sharing Economy Neue Chancen, neue Fragen - Credit Suisse
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                                         Ve r s l a g k l a p u n d e n o
                                                                                r
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                                                                              Sha

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                                                                                           ve s t

                                         jema den S ie ) oder le r Ihrer F
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                                                                                                           it

                                                                 auch gab e p e s ie gem
                                                                                                               e
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                                                                                                                   t,

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                                                                                                                        Bitte beachten Sie die wichtigen Angaben und Informationen im Anhang im Dokument «Disclosures»
                                                                                                                           CS steht im geschäftlichen Kontakt mit Unternehmen, die in diesen Research-Berichten behandelt werden,
                                                                                                                                   oder strebt geschäftliche Beziehungen mit diesen an. Anleger sollten sich daher bewusst sein, dass
                                                                                                                          CS möglicherweise in einem Interessenkonflikt steht, der sich auf die Objektivität dieses Berichts auswirken
                                                                                                                             könnte. Anleger sollten bei ihrer Investmententscheidung diesen Bericht daher nur als einen von mehreren
                                                                                                                                   Faktoren berücksichtigen. Informationen zu den mit Anlagen in die hierin behandelten Wertschriften
                                                                                                                            verbundenen Risiken finden Sie unter folgender Adresse: https://research.credit-suisse.com/riskdisclosure

16.10.15 14:29
Die Sharing Economy Neue Chancen, neue Fragen - Credit Suisse
GLOBAL INVESTOR 2.15   —03

                                 Verantwortlich für die Koordination
                                 der Schwerpunktthemen dieser Ausgabe

                                     JONATHAN HORLACHER ist Financial
                                 Analyst im Private Banking & Wealth
                                 Management der Credit Suisse. Er ist auf
                                 gesamtwirtschaftliche Themen, Mega­
                                 trends und nachhaltige Investitionen
                                 spezialisiert und hat zahlreiche Publikati­
                                 onen zu diesen Bereichen verfasst. Er
                                 hat einen Master of Science der Barcelo­
                                 na Graduate School of Economics und
                                 stiess von der Schweizerischen National­
                                 bank zur Credit Suisse.

                                      PATRICIA FEUBLI stiess 2013 zur
                                 ­ redit Suisse. Sie ist Senior ­E conomist
                                 C                                              Giles Keating
                                  im Private Banking & Wealth Management        Vice Chairman of Investment Strategy & Research
                                  für Schweizer Branchenana­lysen.              and Deputy Global CIO
                                  Davor war sie Research Associate an der
                                 ­U niversität Zürich und Research Fellow
                                 an der S­ tanford University. Sie hat
                                 einen Doktortitel in Wirtschaftswissen­
                                  schaften der Universität Zürich.
                                                                                Die Sharing Economy weckt Emotionen. Taxidienste wie Uber, Unter-
                                       UWE NEUMANN ist Senior Research            künfte via Airbnb und Peer-to-Peer-Kredite über Lending Club haben
                                 Analyst im Global Equity and Credit
                                  Research von Private Banking & Wealth
                                                                                Millionen Nutzer, aber auch mächtige Kritiker. Der Global Investor
                                  Management der C  ­ redit ­S uisse und dort     erörtert die Perspektiven beider Seiten und fragt, ob die Wertschöp-
                                   für Telekommuni­k ation und Technologie
                                                                                fung der Sharing Economy diesen Emotionen entspricht.
                                 zuständig. Er stiess 2000 zum Private
                                  ­B anking der Credit Suisse und verfügt             Befürworter führen extrem reduzierte Vermittlungskosten, bei­
                                 über 28 Jahre ­E rfahrung im Wertschriften-    spiellose Flexibilität für Nutzer und Anbieter sowie ein neues Netzwerk
                                 und Bankgeschäft, darunter 20 Jahre
                                   im Research. Er hat einen Master in            des Vertrauens als Vorteile ins Feld, die neue Transaktionen ermög-
                                 ­W irtschaftswissenschaften der Universität      lichen. Die Ferienhausvermietung reicht Jahrzehnte zurück und ist
                                  Konstanz, Deutschland, und ist Certified
                                  European Financial Analyst (CEFA ).             dank den tieferen Kosten im Internet weiter gewachsen, sie bezog
                                                                                sich aber hauptsächlich auf dafür geschaffene Immobilien. Airbnb hat
                                                                                  dieses Geschäft nun zu einem Massenmarkt anschwellen lassen, in
                                                                                  dem Menschen ihre eigene Wohnung oder ihr Haus an Wildfremde
                                                                                vermieten – in der Annahme, dass die Mieter via soziale Netzwerke
                                                                                und das Internet überprüft wurden. Vertrauen ist ein Kernstück der
                                                                                Sharing Economy.
                                                                                      Bisweilen ist das aber deplatziert, zumal die Sharing Economy auf
                                                                                  eine kostengünstige Überprüfung angewiesen ist. So übersah etwa
                                                                                Uber den Strafregistereintrag eines Fahrers in Neu-Delhi, der einen
                                                                                Passagier tätlich angegriffen hatte. Kritiker argumentieren zudem, dass
                                                                                  die Sharing Economy regulatorische und steuerliche Vorschriften miss­
                                                                                  achte und sich einen unlauteren Wettbewerbsvorteil verschaffe.
                                                                                ­B emängelt wird auch die im Vergleich zu früher tiefe Entlöhnung der
                                                                                Serviceanbieter. Dieser Punkt greift jedoch nicht, wenn neue Massen-
                                                                                märkte geschaffen werden, wie bei der Vermietung des eigenen Heims,
                                                                                  oder wenn Anbieter und Nutzer von reduzierten Vermittlungs­kosten
                                                                                  profitieren, wie bei Peer-to-Peer-Krediten.
                                                                                      Abgesehen von dieser intensiven Debatte dürfte die Sharing
                                                                                 ­Economy nur wenig zum Bruttoinlandprodukt beitragen – vielleicht, weil
                                                                                Sharing oft nur mit bescheidenen Zahlungen einhergeht. Wer einem
                                                                                Studenten eine Übernachtung und eine Mitfahrgelegenheit bietet, tut
                                                                                  etwas Gutes und reduziert die Emissionen, aber er mindert damit
                                                                                möglicherweise direkt das BIP, weil der Student sonst ein Hotelzimmer
                                                                                und eine Zugfahrt benötigt hätte. Der indirekte BIP-Effekt mag jedoch
                                                                                  positiv sein, wenn die Sharing Economy zu mehr Reisen anregt und
                                                                                  Einkommen für andere Zwecke freisetzt.
    Illustration: Martin Mörck

                                                                                      Der Vormarsch der Sharing Economy ist ein Paradebeispiel für
                                                                                  die Schumpetersche «kreative Zerstörung», die durch das Internet und
                                                                                seine Nutzer weltweit ermöglicht wird. Die von Adam Smith geprägte
                                                                                «unsichtbare Hand» wirkt nun auch online. Viel Vergnügen!

GI_1a_d_Editorial [PDE]{CHDE}.indd 3                                                                                                                     27.10.15 15:13
Die Sharing Economy Neue Chancen, neue Fragen - Credit Suisse
GLOBAL INVESTOR 2.15   —04

                         PEER-NETZWERKE
                         VERBINDEN DIE PUNKTE                                                                   MOBILITÄT
                                                                                                              Es gibt verschiedene
                                                                                                               Möglichkeiten, von
                         Das Internet war ursprünglich ein Werkzeug zum Teilen von Informationen und          A nach B zu kommen.
                         diente am Anfang nur ausgewählten wissenschaftlichen und militärischen Kreisen.     Sie können sich fahren
                         Nach und nach entwickelte es sich zum World Wide Web, einschliesslich der           lassen oder sich selber
                         Möglichkeiten des Peer-to-Peer Networking. Heute wird nicht nur Information,          ans Steuer setzen.
                                                                                                                Sogar den idealen
                         sondern schlichtweg alles geteilt – über Städte und selbst über Kontinente           Parkplatz können Sie
                         hinweg. Reisende teilen ihre Wohnungen, Anleger teilen ihre                          sich anzeigen lassen.
                         Ideen und jeder, der über wertvolle Güter oder Fähigkeiten verfügt,
                         kann diese zu einem bestimmten Preis an einem globalen
                         Marktplatz verfügbar machen – als Teil
                         der Sharing Economy.      Seite 27

                                         LEBENSMITTEL
                                     Von der Haute Cuisine bis
                                       hin zum Müesli teilen
                                      Feinschmecker Rezepte,
                                     Restaurantempfehlungen
                                       und sogar die Reste.

              BILDUNG
             Millionen nehmen
          Onlineunterricht zu den
         verschiedensten Themen
           in Anspruch. Es sind
         Bestrebungen im Gange,
           die fl üchtigen Inhalte
           besser zu archivieren.

                               HEIM UND BÜRO
                                 Gewerbe- und Einzel-
                                 handelsfl ächen sind on
                               demand überall verfügbar.
                                Und brauchen Sie jeman-
                                  den, der sich darum
                               kümmert, rufen Sie einfach
                                 den Reinigungsdienst.

            Seite 28 Der klare Trend                             GUTE IDEEN
        zum Teilen hat auch seine Grenzen.                      Es mangelt nicht an
        Lebensmittel, Werkzeuge                             brillanten Ideen. Wie wäre
        und Fähigkeiten teilen wir gerne.                        es mit einem Holz-
        Zahnbürsten? Eher nicht.                              Recycling- Programm?
                                                                                                           FREIZEIT/REISEN
                                                                                                           Suchen Sie einen perfekten
                                                             Oder mit einem kosten-                        Aufenthalt, einen individuel-
                                                                losen mobilen Chat-                        len Tagesausfl ug, regionale
                                                             Service? Oder brauchen                        Tipps zu Fahrgelegenheiten
                                                                 Sie für irgendetwas                           oder vielleicht nur ein
                                                                 eine Bauanleitung?                          spontanes Fussballspiel?
                                                                                                              Sie werden es fi nden!

GI_1b_d_Contents_01 [PDE]{CHDE}.indd 4                                                                                             27.10.15 15:17
Die Sharing Economy Neue Chancen, neue Fragen - Credit Suisse
GLOBAL INVESTOR 2.15   —05

                                                                                                      Inhalt
                                                                                                      Global Investor 2.15

                                                                                                      06                                          46
                                                                                                      Ein Geben und Nehmen                        Schöne neue Welt
                                                                                                      Sharing-Plattformen wie Uber und Airbnb     Marco Abele und Salvatore Iacangelo
                                                                                                      verzeichnen ein starkes Wachstum.           stellen fest, dass die rechtlichen
                                                                                                      Chiara Farronato und Jonathan Levin loten   Rahmenbedingungen nicht mit den
                                                                                                      die neuen Grenzen aus und erläutern         Veränderungen in der Sharing
                                                                                                      die wesentlichen Elemente.                  Economy Schritt halten und dass
                                                                        Seite 33 Dank Etsy erlebt                                                 es Qualitätsstandards bedarf.
                                                                    das Kunstgewerbe wieder eine
                                                                                                      14
                                                                    Art Renaissance. Etsy-Verkäufer
                                                                    arbeiten gewöhnlich von zu        Die Wertschöpfung                           48
                                                                    Hause aus und übernehmen alles    der Sharing Economy                         Teilen oder automatisieren?
                                                                    von der Fertigung über die
                                                                    Rechnungsstellung bis hin zum
                                                                                                      Wie viel trägt die Sharing Economy          Christine Schmid zufolge befindet sich
                                                                    Versand.                          zum BIP bei? Patricia Feubli und Jonathan   das Bankwesen an einem Scheideweg.
                                                                                                      Horlacher packen die sehr schwierige        Die Entscheidungen von heute
                                                                                                      Aufgabe an und geben eine Schätzung ab.     be einflussen das Banking von morgen.

                                                                                                      18                                          50
                                                                                                      Die umwälzende Kraft ist real               Geld auf Knopfdruck
                                                                                                      Die historischen Konsummodelle haben        Die neuen Sharing-Plattformen,
                                                                                                      sich verändert. Julie Saussier blickt       so Uwe Neumann, könnten einen
                                                                                                      auf eine Welt, in der Zugang wichtiger      verwässernden, aber auch einen
                                                                                                      geworden ist als Eigentum.                  stimulierenden Effekt auf bestehende
                                                                                                                                                  Internetriesen haben.
                                                                                                      22
                                                                                                      Ein Duo auf dem Weg zum Erfolg              52
                                                                                                      Nicolas Brusson von Blablacar und           Was mein ist, ist auch dein
                                                                                                      Hans-Jörg Dohrmann von der Migros           Wird die Sharing Economy von Dauer
                                                                                                      sprechen über Geschäftsmodelle              sein? Carl Benedikt Frey meint,
                                                                                                      und berichten von ihrem erfolgreichen       dass es ein Umdenken sowie politische
                                                                                                      Einstieg in die Sharing Economy.            Anpassungen braucht.

                                                                                                      43                                          Disclaimer     Seite 56
                                                                                                      Die Perspektive der Arbeitnehmer
                                                                                                      Die Sharing Economy verspricht
                                                                                                      grössere Flexibilität und neue
                                                                                                      Chancen für die Arbeitnehmenden.
                                                                                                      Aber nicht jeder profi tiert davon.
                                                                                                      Robert Kuttner erklärt, warum.
     Illustration: Creative-idea / GettyImages; Foto: Judith Just

GI_1b_d_Contents_01 [PDE]{CHDE}.indd 5                                                                                                                                                        27.10.15 15:17
Die Sharing Economy Neue Chancen, neue Fragen - Credit Suisse
GLOBAL INVESTOR 2.15    —06

       Ein Geben
       und Nehmen
        TEXT CHIARA FARRONATO UND JONATHAN LEVIN

                       nternehmen, die via Internet und mobile Technologien        Kinder oder Senioren, für Tiere sowie Haus und Garten ihre Dienste
                       Marktplätze aufbauen oder zwischen Käufern und Verkäu-      anbieten. In diesen Märkten sind die Rollen der Teilnehmenden klarer
                       fern vermitteln, stehen weltweit vermehrt im Rampenlicht.   definiert, neue Waren, Geld oder Zeit werden weniger als ungenutz-
                       Firmen wie Uber und Airbnb verzeichnen spektakuläre         te Güter betrachtet, die getauscht werden. Diese Unternehmen be-
        Wachstumsraten. Die Regulierung dieser Akteure gibt derzeit Anlass         zeichnen sich deshalb auch gerne als Peer-to-Peer (P2P), ein Begriff,
        zu hitzigen Diskussionen. Anbieter finden sich aber nicht nur in den       der die Idee vermittelt, dass sowohl Käufer wie Verkäufer Privatper-
        Bereichen Transport (Uber, Lyft, Blablacar, Didi Kuaidi) und Beherber-     sonen oder Kleinunternehmen sind, wenngleich mit klareren Rollen.
        gung (Airbnb, Kozaza, Couchsurfing). Auch Branchen wie Haushalts-
                                                                                   Neue Marktplätze für vereinfachte Geschäftsabschlüsse
        dienstleistungen (Taskrabbit, Care.com), Lieferungen (Postmates,
        Instacart), Einzelhandel (Ebay, Etsy, Taobao), Konsumkredite (Lending      Wir verwenden Peer-to-Peer im Folgenden als Dachbegriff, obwohl
        Club, Prosper), Währungswechsel (Transferwise, Currency Fair), Pro-        es sich in den obigen Beispielen bei den Käufern oder Verkäufern
        jektfinanzierung (Kickstarter) oder Computerprogrammierung (Odesk,         bisweilen um professionelle Anbieter oder grössere Firmen handelt,
        Freelancer) mischen mit. Einige dieser Unternehmen versuchen, effi-        also weniger um Peers, und obwohl sie unterschiedlich organisiert
        zientere oder kostengünstigere Versionen von bereits verfügbaren           sind. Firmen wie Airbnb, Care.com und Etsy etwa sind als dezentra-
        Konsumprodukten oder Dienstleistungen wie Taxidienste oder Klein-          lisierte Marktplätze konzipiert. Sie ermöglichen es Verkäufern – oft
        kredite anzubieten, während andere neue Dienstleistungen konzipie-         Privatpersonen oder Kleinfirmen –, ihre Produkte oder Dienstleistun-
        ren, etwa Zustelldienste nach Bedarf oder Finanzierungen von Startups.     gen einer breiten Palette von Käufern zugänglich zu machen. Firmen
              Die Medien haben sich schwer getan, einen treffenden Überbegriff     wie Uber, Lyft, Instacart oder Postmates führen zwar ebenfalls Käu-
        für die Aktivitäten dieser Neueinsteiger zu finden. Die Bezeichnung        fer mit individuellen Verkäufern (Arbeitern) zusammen, unterscheiden
        Sharing Economy beispielsweise betont, dass Leute Dinge besitzen,          sich aber aus Konsumentensicht, weil sie diesen Vermittlungsprozess
        die sie nicht immer nutzen und deshalb jemand anderem zur Verfügung        internalisieren. Wenn ein Kunde einen Einkaufsauftrag auf Instacart
        stellen können, sei dies ein Kinderautositz, ein Zimmer in ihrem Haus      platziert, gibt er die gewünschten Lebensmittel und die gewünschte
        oder ein Rasenmäher. Der Begriff ist durchaus treffend für Unterneh-       Lieferzeit an; Instacart findet sodann einen verfügbaren Arbeiter –
        men wie Blablacar, Couchsurfing und Peerby, die Community-Markt-           manchmal einen Angestellten, aber meistens einen Auftragnehmer,
        plätze generieren, auf denen Mitfahrgelegenheiten, Übernachtungs-          der für einmalige Markttransaktionen auf Abruf bereitsteht. Trotz
        möglichkeiten oder Haushaltsgeräte ausgetauscht werden. Weniger            ­dieser Unterschiede geht es unseres Erachtens bei den Anbietern von
        passend ist die Bezeichnung Sharing Economy für Marktplätze wie             Internetmarktplätzen und den P2P -Dienstleistern grundsätzlich um
        Etsy, wo Kleinhersteller Kunsthandwerk verkaufen, Prosper, wo               die Lösung derselben Probleme, um einfacher ein Geschäft abzu-
        ­P rivate Konsumkredite aufnehmen, oder Care.com, wo Betreuer für           schliessen. Der diesjährige Wirtschaftsnobelpreisträger Jean Tirole

GI_2a_d_History [PDE]{CHDE}.indd 6                                                                                                                  27.10.15 15:27
Die Sharing Economy Neue Chancen, neue Fragen - Credit Suisse
GLOBAL INVESTOR 2.15   —07

                                                                                   bezeichnet Märkte, in denen Käufer und Verkäufer vom Geschäfts-
                                                                                   abschluss profitieren, als «beidseitig vorteilhafte» Märkte. Dazu müs-
                                                                                   sen drei Hauptprobleme gelöst werden, und zwar unabhängig davon,
                                                                                   ob die Beteiligten als Käufer oder als Verkäufer oder als beides auf-
                                                                                   treten und ob die Plattform als dezentralisierter Markt oder zentrali-
                                                                                   sierter Vermittlungsmechanismus organisiert ist. Es handelt sich da-
                                                                                   bei lediglich um verschiedene Ansätze zur Lösung desselben
                                                                                   grundsätzlichen Problems, nämlich Geschäfte effizient zu koordinieren.
                                                                                   Ein erfolgreicher Marktplatz oder Vermittlungsmechanismus bedingt
                                                                                   erstens ein effizientes, kostengünstiges System, das ­K äufer und Ver-
                                                                                   käufer zusammenbringt und ihnen erlaubt, beidseitig akzeptable Be-
                                                                                   dingungen zu vereinbaren. Zweitens müssen die Transaktionen sicher
                                                                                   und vertrauenswürdig erfolgen. Und drittens braucht es eine Wert-
                                                                                   schöpfung, die sowohl für Käufer als auch für Verkäufer attraktiv ist.

                                                                                   «Bei den Anbietern
                                                                                   von Internetmarkt­
                                                                                   plätzen und den Peer-to-
                                                                                   Peer-Dienstleistern
                                                                                   geht es grundsätzlich
                                                                                   um die Lösung ­
                                                                                   derselben Probleme.»
                                                                                   Chiara Farronato
     Foto: Edward Caldwell

                                                                                   Bevor wir uns diesen drei Aspekten zuwenden, stellen wir fest, dass
                                                                                   das Problem, vermittelnde Plattformen für Käufer und Verkäufer zu
                                                                                   schaffen, keineswegs neu ist. Man könnte sogar sagen, dass sich
                                                                                   eine Plattform wie Ebay in gewisser Weise nicht stark von einem
                                                                                   mittelalterlichen Markt unterscheidet oder dass es sich bei Airbnb
                                     Chiara Farronato                              einfach um eine moderne Form der Rubrik «Zu vermieten» in Klein­
                                     Die Assistenzprofessorin für Betriebs-        anzeigen von Zeitungen handelt. Den Unterschied macht die Techno-
                                     wirtschaft in der Technology and Opera-       logie, die viel bessere Lösungen für die angesprochenen Probleme
                                     tions Management Unit an der Harvard          ermöglicht. Im Mittelalter mussten sich die Menschen zu einer
                                     Business School hat vor Kurzem einen
                                                                                   ­b estimmten Zeit an einem bestimmten Marktort einfinden, was mit
                                     Doktortitel an der Stanford University
                                     abgeschlossen. Chiara Farronato
                                                                                    hohen Transportkosten und wenig Flexibilität einherging. Kleinanzei-
                                     studiert die Wirtschafts- und Innovations­-    gen erfordern zwar keine gleichzeitige physische Präsenz der Teilneh-
                                     aspekte des Internets, mit besonderem          menden, stellen aber lediglich den Beginn eines Entdeckungsprozes-
                                     Fokus auf der Marktkonzeption von              ses dar, der teuer und zeitaufwendig sein kann. In einem modernen,
                                     Peer-to-Peer-Plattformen.                      gut funktionierenden Internetmarktplatz kann ein Käufer viel schnel-
                                                                                    ler und effizienter ein breites Spektrum von Käufern prüfen (oder
                                                                                    umgekehrt). Oft spielt der Standort dabei keine Rolle und die Teilneh-
                                                                                    menden sind relativ zuversichtlich, gut bedient zu werden.
                                                                                        Was braucht es nun, um einen effizienten, kostengünstigen Ver-
                                                                                    mittlungsmechanismus zwischen Käufern und Verkäufern einzurichten?
                                                                                    Ein guter Ausgangspunkt ist die Abwägung der Kosten relativ zum Wert
                                                                                    der Transaktion. Die Anstellung einer Tagesmutter etwa ist für die meis-
                                                                                    ten Eltern eine langfristige Entscheidung mit weitreichenden Konse-
                                                                                    quenzen. Kostengünstig kann in diesem Fall      Fortsetzung auf Seite 12 >

GI_2a_d_History [PDE]{CHDE}.indd 7                                                                                                                          27.10.15 15:27
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        KOOPERATION
        Teilen in Zeiten
        der Knappheit
        Kriege, Naturkatastrophen und soziale Unruhen bringen harte Zeiten, in denen viele Güter knapp werden.
        Im Verlauf der Geschichte haben Menschen unter derart schwierigen Umständen oft ihre Ressourcen
        gemeinsam genutzt, um die Überlebenschancen aller zu erhöhen. Manchmal geschieht dieses Teilen nur
        vorübergehend; bisweilen stösst es aber auch bleibende gesellschaftliche Veränderungen an.

        Gemeinschafts­
        gärten

       1864
       DEUTSCHLAND
         Die Verbreitung von
        ­G emeinschaftsgärten
         in den 1800er-Jahren
         in Deutschland fiel mit
         der Massenzuwanderung
         von Menschen aus länd-
         lichen Regionen in die
         Industriestädte Europas
         zusammen, wo diese
         Familien Arbeit und ein
         besseres Leben suchten.
         Weil sie oft Not litten,
         stellten ­ihnen die Städte
         Flächen zur Verfügung,
         auf ­denen sie ihre
         eigenen Lebensmittel
                                                            Rochdale Equitable
         anbauen konnten. Diese                             Pioneers Society
         Flächen entwickelten
         sich mit der Zeit zu den
         heutigen Schrebergär-

                                                           1844
         ten, die in Deutschland,
         Österreich und der
         Schweiz weit verbreitet
         sind.                                             ENGLAND
                                                             Im Jahr 1844 eröffne­­-      der Basis von Selbsthil-    mal wöchentlich Butter,
                                                             ten 28 Handwerker            fe, Demokratie, Gleich-     ­Z ucker, Mehl, Hafer­
                                                             (mehrheitlich Weber) in      heit, Solidarität und der    flocken und Kerzen zu
                                                            ­Rochdale, England,           Bezahlung mit Bargeld       verkaufen. Sie expan-
                                                             ­einen Laden, um für sie     (um Schulden vorzubeu-      dierten schon bald und
                                                              sonst unerschwingliche      gen). Jeder und jede        bauten sich mit ihren
                                                              Nahrungsmittel zu           konnte für ein britisches   qualitativ hochstehen-
                                                              verkaufen und damit ihr     Pfund Mitglied der Ko-      den Lebensmitteln
                                                              ­L eben zu verbessern.      operative werden, und       zu fairen Preisen einen
                                                               Die Rochdale Pioneers      die Gewinne wurden           ­g uten Ruf auf. Ab 1860
                                                               waren sich des Schei-      zwischen den Mitglie-       galt die Rochdale Equi­
                                                               terns früherer Genossen-   dern geteilt. Die Pionie-     table Pioneers Society
                                                               schaftsbestrebungen        re begannen in einem        als Modellkooperative,
                                                               bewusst und formulierten   gemieteten Laden an         die Besucher aus aller
                                                               deshalb Prinzipien auf     der Toad Lane 31 zwei-      Welt anzog.

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                                     Kibbuze

                                     1909
                                     ISRAEL
                                      Die ersten Kibbuze          und für den Aufbau des
                                      wurden Anfang des           israelischen Staats.
                                      20. Jahrhunderts von        Mit der Zeit gerieten die
                                      Emigranten in Palästina     Kibbuze infolge der
                                      ge­gründet. Es handelte     Gründung Israels, der
                                      sich um utopische,          Flut von Flüchtlingen aus
                                     ­kollektive Siedlungen,      Osteuropa und den
                                      die das Überleben           ­a rabischen Ländern, des
                                      in e­ inem rauen Umfeld      Kalten Krieges und
                                     ­e rleichtern sollten.        der Verbreitung kapita-
                                      Zu den Grundprinzipien       listischer Praktiken unter
                                      ­g ehörten die Gemein-       Druck. Die Kibbuz­­-
                                       schaftsarbeit und das       be­völkerung erreichte
                                       Teilen von Ressourcen.      1989 bei 129 000 ihren
                                       Die ersten Kibbuze          Zenit. 2014 gab es in
                                     ­waren landwirtschaft­        ­I srael noch 267 Kibbuze.
                                       licher Natur, später         Davon folgen aber
                                       engagierten sie sich         nur noch wenige dem
                                       aber auch militärisch        traditionellen Modell.

       Ländliche
       Elektrizitäts­
       genossen­
       schaften

       1930
       USA
       Um 1935 waren die
       meisten Häuser im länd-
       lichen Nordamerika
       noch ­ohne Strom. 1933
       bewilligte die Bundes-
       regierung mit dem Ten-
       nessee Valley Authority
       Act den Bau von Über-
       tragungs­leitungen zu
       unterversorgten Farmen
       und kleinen D­ örfern.
       Die Elektrifizierung länd-
       licher Gebiete erhielt
       zusätzlichen ­Auftrieb,
       als Präsident Roosevelt
       1935 die Rural Electrifi-
       cation ­Administration
       (REA) einrichtete. Die
       REA ­gewährte ländlichen
       Stromgenossenschaften
       Kredite, um Übertra-
       gungsleitungen zu bauen
       und auf gemeinnütziger
       Basis Strom zu vertrei-
       ben. Nach dem Zweiten
       Weltkrieg schnellte
       die Zahl der ländlichen
       Stromversorgungssyste-
       me und der angeschlos-
       senen Konsumenten
       steil nach oben. Bereits
       1953 waren praktisch
       ­alle US-Farmen an ein
        Stromnetz angebunden.

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        Genossen­
        schafts­
        bewegung
        in Italien

       1854
       ITALIEN
         Die Gründer der ersten
         italienischen Genossen-
         schaften liessen sich
         von ähnlichen Initiativen
         in anderen Ländern
        ­E uropas inspirieren,
         ­etwa von den Rochdale
           Pioneers oder deutschen
           Versuchen mit Finanz-
           dienstleistungen. Die
           erste Kooperative Italiens
           wurde 1854 in Turin
           von einer Selbsthilfe­                                               1
          organisation der Arbei-
         terschaft lanciert, um
         die hohen Lebenskosten
         aufzufangen. Bis Ende
         der 1880er-Jahre ent-
         standen in Italien Genos-
         senschaften in den
         Bereichen Banking und
         Landwirtschaft (zum
         Beispiel Milchprodukte,
         Wein) sowie kooperative
         Arbeitervereinigungen.
              1 Die SECAB Società
           Cooperativa wurde 1911
           für die genossenschaft­
          liche Erzeugung und                                            2
           Verteilung von Strom aus
           Wasserkraft gegründet.
           1913 weihte sie ihr ers-
           tes Kraftwerk am Fluss       Werk wieder aufleben zu      3
           Fontanone ein; nachts        lassen. 1945 wurde es
           wurden die ansässigen        neu eröffnet. Gleichzeitig
           Arbeiter, tagsüber die       lancierten die Stahl­
           aufstrebenden lokalen        arbeiter die Konsumge-
           Industriebetriebe mit         nossenschaft «La Prole-
           Strom versorgt. Bis 1925      taria», um Arbeiter und
           wuchs die Genossen-           ihre Familien einfacher
           schaft auf 260 Mitglieder     mit Gütern des Grund­
           aus sechs Ortschaften        bedarfs zu versorgen.
           an. Weitere Kraftwerke           3 Der erste «La Prole-
           wurden 1926 (Cima            taria»-Laden hatte nur
           Moscardo) und 1932           Kastanien und Kasta­
          ­(Enfretors) gebaut. Ne-      nienmehl im Sortiment –
           ben der Stromerzeugung       ein Beleg dafür, wie hart
           bildete die Genossen-        die Zeiten waren. Doch
           schaft kostenlos junge       die Genossenschaft
           Elektriker aus und           ­erweiterte ihr Ladennetz
           war auch eine Art gesell-     mit grosser Entschlos-
           schaftlicher Kitt.            senheit und begann mit
              2 Im Zweiten Welt-         anderen Kooperativen
           krieg wurden die Küsten-      in der Region zusam-
           stadt Piombino und            menzuarbeiten. Mithilfe
           ihr Ilva-Stahlwerk dem        des Stahlwerks, das
        ­E rdboden gleichge-             Last­wagen für den
           macht. Angesichts der         Transport bereitstellte,
           grassierenden Armut           konnte das Angebot
           und Arbeitslosigkeit          um Backwaren, Land-
           spannten die Stahlarbei-      wirtschaftsprodukte,
           ter und das Management        Fisch und Textilien er-
           zusammen, um das              weitert werden.

GI_2a_d_History [PDE]{CHDE}.indd 10                                          27.10.15 15:27
GLOBAL INVESTOR 2.15   —11

                                                                                                                                                                                                                                                          Amul-­
                                                                                                                                                                                                                                                          Genossenschaft

                                                                                                                                                                                                                                                          1946
                                                                                                                                                                                                                                                          INDIEN
                                                                                                                                                                                                                                                          Als Indien 1945 unab-
                                                                                                                                                                                                                                                          hängig wurde, waren
                                                                                                                                                                                                                                                          Kleinlandwirte für die
                                                                                                                                                                                                                                                          Vermarktung ihrer Milch
                                                                                                                                                                                                                                                          von Mittelsmännern
                                                                                                                                                                                                                                                          ­abhängig. Sie wurden
                                                                                                                                                                                                                                                           oft sowohl von den
                                                                                                                                                                                                                                                           Zwischenhändlern als
                                                                                                                                                                                                                                                           auch von den grossen
                                                                                                                                                                                                                                                           Milchverarbeitungs­
                                                                                                                                                                                                                                                           betrieben, welche
                                                                                                                                                                                                                                                           die Preise willkürlich
                                                                                                                                                                                                                                                           festlegten, ausgebeutet.
                                                                                                                                                                                                                                                           1946 fragten Bauern
                                                                                                                                                                                                                                                           in der Kleinstadt Anand
                                                                                                                                                                                                                                                           im Bundesstaat Gujarat
                                                                                                                                                                                                                                                           den Unabhängigkeits-
                                                                                                                                                                                                                                                           führer Sardar Patel um
   Fotos: Seite 8/9: bpk / Otto Haeckel, Thomas Wakeman / The People’s History Museum, Manchester / Bridgeman Images, Yaacov Ben Dov​, The Israel Museum, Jerusalem, Israel / Bridgeman Images, INTERFOTO / Granger, NYC

                                                                                                                                                                                                                                                           Rat. Er empfahl, die Mit-
                                                                                                                                                                                                                                                           telsmänner zu umgehen
                                                                                                                                                                                                                                                           und eine Genossen-
                                                                                                                                                                                                                                                           schaft zu gründen, um
                                                                                                                                                                                                                                                           ihre Milch direkt an
                                                                                                                                                                                                                                                           das staatliche Milchpro-
                                                                                                                                                                                                                                                           gramm Bombays zu
                                                                                                                                                                                                                                                           liefern. Nach einem
                                                                                                                                                                                                                                                           Streik, mit dem sie ihre
                                                                                                                                                                                                                                                           Entschlossenheit aus-
                                                                                                                                                                                                                                                           drückten, gründeten die
                                                                                                                                                                                                                                                           Bauern die Kaira District
                                                                                                                                                                                                                           Ridesharing                     Co-operative Milk Pro-
                                                                                                                                                                                                                                                           ducers Union Ltd., die zu
                                                                                                                                                                                                                                                           Beginn zwei Genossen-
   Seite 10/11: Archivio SECAB Società Cooperativa, Fondazione Memorie Cooperative, Keith Lewis Archive / Alamy Stock Photo, David Falconer / National Archives

                                                                                                                                                                                                                                                           schaften umfasste,
                                                                                                                                                                                                                                                           die pro Tag insgesamt

                                                                                                                                                                                                                           1946
                                                                                                                                                                                                                           USA
                                                                                                                                                                                                                                                           247 Liter Milch produ-
                                                                                                                                                                                                                                                           zierten. Bald schossen
                                                                                                                                                                                                                                                           überall Genossenschaf-
                                                                                                                                                                                                                                                           ten aus dem Boden
                                                                                                                                                                                                                             Im Zweiten Weltkrieg          und es entstand eine
                                                                                                                                                                                                                             förderte die US-Regie-        dreistufige Struktur: ge-
                                                                                                                                                                                                                             rung die Nutzung              nossenschaftliche
                                                                                                                                                                                                                             von Mitfahrgelegenhei-        Milchbetriebe auf Dorf­
                                                                                                                                                                                                                             ten (Ridesharing), um         ebene, ein Milchverband
                                                                                                                                                                                                                             Ressourcen für den            auf Distriktebene und
                                                                                                                                                                                                                             Krieg zu sparen. Im Juli      eine Vereinigung der Mit-
                                                                                                                                                                                                                             1941 lancierte das von        gliedsverbände auf
                                                                                                                                                                                                                             Präsident Roosevelt           bundesstaatlicher Ebe-
                                                                                                                                                                                                                             geschaffene Office of the     ne. Im Jahr 1957 lancierte
                                                                                                                                                                                                                             Petroleum Coordinator         der gesellschaftlich
                                                                                                                                                                                                                             eine Kampagne, die Auto-      engagierte und marken-
                                                                                                                                                                                                                             fahrer zu einer 30-pro-       bewusste Unternehmer
                                                                                                                                                                                                                             zentigen Reduk­t ion          Verghese Kurien die
                                                                                                                                                                                                                             des Benzinverbrauchs          ­A nand Milk Union Ltd.
                                                                                                                                                                                                                             anhielt. Dazu sollten sie      (Amul), um die Idee
                                                                                                                                                                                                                             langsamer fahren – und         genossenschaftlich or-
                                                                                                                                                                                                                             damit den Reifenabrieb         ganisierter Milchbetriebe
                                                                                                                                                                                                                             reduzieren – sowie             in andere indische
                                                                                                                                                                                                                             Ride­sharing ­b etreiben.      Bundesstaaten zu expor-
                                                                                                                                                                                                                            Die ­Initiative zeigte          tieren. Die ­indische
                                                                                                                                                                                                                           ­jedoch kaum ­W irkung.          Regierung schuf 1965
                                                                                                                                                                                                                            Die Öl­industrie richtete       schliesslich das National
                                                                                                                                                                                                                            daher einen Benzinspar-         Dairy Development
                                                                                                                                                                                                                            ausschuss ein, der die          Board, das auf dem
                                                                                                                                                                                                                            Ride­sharing-Initiative         Amul-Modell aufbaute.
                                                                                                                                                                                                                            mit griffigen Slogans,          Heute ist die Amul-
                                                                                                                                                                                                                            Postern und Zeitungs­           Genossenschaft mit
                                                                                                                                                                                                                            inseraten neu lancierte.        einem Jahresumsatz von
                                                                                                                                                                                                                            Ihr Erfolg liess sich nur       über drei Milliarden
                                                                                                                                                                                                                            schwer messen, die              US-Dollar der grösste
                                                                                                                                                                                                                            ­Poster waren aber weit-        Milchproduzent der Welt.
                                                                                                                                                                                                                             herum bekannt.

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GLOBAL INVESTOR 2.15    —12

        ein Marktplatz sein, in dem sich geeignete Kandidatinnen finden und
        interviewen lassen. Wenn es hingegen darum geht, am Samstagabend
        Eiscreme zu bestellen, steht klar weniger auf dem Spiel. Kostengünstig
        bedeutet nun, das Gewünschte auf Tastaturdruck zu erhalten und zu
        wissen, dass die Lieferung weniger kostet als eine Tüte Paprikachips.
        In einer Studie, die wir jüngst mit Liran Einav von der Stanford Univer-
        sity verfasst haben, erläutern wir, dass Plattformen (wie die meisten
        anderen Märkte auch) oft einen Kompromiss zwischen der effizienten
        Erfragung und Nutzung von Informationen finden und gleichzeitig die
        Transaktionskosten minimieren müssen. Eine Familie auf der Suche
        nach einer geeigneten Tagesmutter hat vielleicht ziemlich spezifische
        Bedürfnisse und Präferenzen, weshalb die Plattform diverse Optionen
        zur Auswahl bieten sollte. Aus dieser Perspektive dürfte es wohl sinn-
        voll sein, dass Care.com oder Airbnb als dezentralisierte Marktplätze
        organisiert sind. Wer nur Eiscreme bestellt oder nach einem Barbesuch
        eine Mitfahrgelegenheit sucht, will dagegen lediglich eine verlässliche,
        schnelle Bedarfserfüllung. Es ist daher sinnvoll, dass ­Instacart oder
        Uber den Vermittlungsprozess internalisieren und einer schnellen Zu-
        weisung mehr Gewicht beimessen als etwa der Wahl des Fahrers.

        Die Schlüsselfaktoren: Effizienz, Vertrauen, Nutzenversprechen

        Die Preissetzung erfordert ähnliche Kompromisse. Auf Ebay wurden
        in den Anfangsjahren sämtliche Verkäufe als Auktionen abgewickelt.
        Ökonomen lieben Auktionen, weil sich damit der allseits akzeptable
        Marktpreis ermitteln lässt. Bei einer konventionellen Auktion beispiels-
        weise treiben die Teilnehmenden den Preis nach oben, bis nur noch
        ein williger Käufer übrig ist, der den Zuschlag erhält. Aber Auktionen
        können für die Käufer auch zeitaufwendig und mühsam sein, deshalb
        sind die meisten Verkäufer auf Ebay im letzten Jahrzehnt von diesen
        abgerückt. Heute ist die Mehrheit der Angebote mit einem Preis
        ­versehen. Auch Internetmarktplätze wie Prosper (Konsumkredite)
         und Taskrabbit (Haushaltsarbeiten) legten ihre Preise zu Beginn im
         ­Auktionsverfahren fest, sind aber inzwischen der Einfachheit halber
          zu Festpreisen übergegangen.

                                                                                                                                   Foto: Edward Caldwell
              Vertrauen ist für erfolgreiche Marktplätze ebenfalls unerlässlich.
          Der Vertrauensaufbau kann vor allem problematisch sein, wenn sich
          Käufer und Verkäufer nicht kennen und nur eine einmalige Transak-
          tion abschliessen. P2P -Marktplätze setzen zur Vertrauensbildung auf
          einen Mix aus Vorabklärungen, laufendem Feedback und externer
          Durchsetzung der Qualitätsanforderungen. Uber überprüft beispiels-
          weise Strafregister- und Busseneinträge, bevor Fahrer akzeptiert
          werden. In einem anonymen Feedbacksystem können sich Fahrer und           Jonathan Levin
          Passagier nach jeder Fahrt gegenseitig beurteilen. Riskante Fahrer        Der Professor für Volkswirtschaft an
                                                                                    der Stanford University ­arbeitet an
          oder Mitfahrer können aufgrund dieses Feedbacks gesperrt werden.
                                                                                    einem breiten Spektrum von Themen.
          Zudem schliesst Uber für jede Fahrt eine Versicherung ab. Im Vergleich
                                                                                    Dazu ­gehören ökonomische Aspekte
          zu traditionellen Märkten geht der Trend hier vermehrt zu einer laufen-   der T
                                                                                        ­ echnologie und die Konzeption von
          den Überwachung und weniger Vorabklärungen. Offizielle Taxifahrer         Auktionen und Marktplätzen.
          in London werden während mehrerer Jahre geschult, damit sie die
          Stadt in- und auswendig kennen. Uber-Fahrer wird man dagegen in nur
          wenigen Tagen. Dafür wird die Qualität der erbrachten Leistung stän-
          dig überwacht. Diese konstante Kontrolle beruht unter anderem dar-
          auf, dass die Technologie prompte und häufige Rückmeldungen erlaubt
          und die Kunden – vielleicht etwas überraschend – tatsächlich Feed-
          back abgeben, wenn dies auf einfache Art möglich ist. Trotz potenziell
          unausgewogener oder gefälschter Rückmeldungen haben die Markt-
          plätze ihre Mechanismen der Vertrauensbildung allgemein verbessert.
          Viele dieser Systeme scheinen heute so gut zu funktionieren, dass
          sich die wirklich schlechten ­A kteure identifizieren lassen.

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GLOBAL INVESTOR 2.15   —13

       Als dritte erfolgsentscheidende Bedingung müssen Marktplätze oder          an diese Regeln. In letzter Zeit haben Lokalbehörden mit Vorschriften
       P2P -Modelle genügend Käufer und Verkäufer anziehen, um einen              für P2P -Anbieter reagiert – etwa in New York und San Francisco mit
       relativ «dichten» Markt zu schaffen. Im Idealfall beginnt sich eine        solchen für P2P -Wohnungsvermietungen – oder mit einem gänzlichen
       ­S pirale zu drehen, bei der Verkäufer von einem Markt mit vielen Käu-     Verbot derselben, wie dem Verbot von nicht lizenzierten Carsharing-­
        fern angezogen werden, während ein Markt mit zahlreichen Verkäufern       Diensten in Italien.
        neue Käufer generiert. Viele erfolgreiche Plattformen konzentrieren
        sich deshalb darauf, die verkäuferseitigen Kosten für die Einrichtung
        und die Bewerbung der angebotenen Leistungen zu senken. Dies              «Werden Peer-to-
        erlaubt es Einzelpersonen und flexiblen Anbietern, am Markt teilzu-
        nehmen und ihre Produkt- und Dienstleistungspalette auszubauen.           Peer-Anbieter derart
                                                                                  erfolgreich sein,
        Uber beschäftigt zurzeit rund eine Million Teilzeitfahrer und setzt auf
        flexible Preismodelle, um in den lokalen Spitzenbedarfszeiten mehr

                                                                                  dass ihre zurzeit hohen
        Fahrer zu gewinnen. Bei Airbnb wird man einfach und schnell zum
        Teilzeithotelier. Damit bietet sich den Käufern ein breites Spektrum

                                                                                  Bewertungen zu
        teils ungewöhnlicher Unterkünfte, und das Angebot lässt sich bei
        besonders hoher Nachfrage über Preisanreize erweitern.
            Die folgende wirtschaftlich interessante Frage stellt sich zu den
        neuen Anbietern von On-Demand-Dienstleistungen: Ist das gängige
        Modell, das auf der Anstellung flexibler Teilzeitarbeitender aufbaut,
                                                                                  rechtfertigen sind?»
        von Dauer oder lediglich ein zweckmässiger Ansatz in der Anfangs-         Jonathan Levin
        phase des Unternehmens? Flexible Arbeitskräfte bieten den Vorteil,
        dass sie eine stark schwankende oder sehr heterogene Nachfrage
        möglicherweise besser befriedigen. Vielleicht sind aber Qualität und
                                                                                  Bei der aktuellen Diskussion geht es auch darum, welchem Zweck die
        Verlässlichkeit besser, wenn vorgängig in die Schulung, Ausrüstung
                                                                                  lokale Regulierung grundsätzlich dient. Einerseits zielen viele Vorschrif-
        und die praktische Erfahrung der Arbeitskräfte investiert wird. Auf-
                                                                                  ten darauf ab, die Konsumenten zu schützen, etwa vor gefährlichen
        schlussreich könnten hier die Erfahrungen im E-Commerce-­B ereich
                                                                                  Fahrern oder unsicheren Hotelzimmern. Es ist fraglich, ob die Feed-
        sein. Auf Ebay traten zu Beginn vor allem Privatpersonen als Verkäu-
                                                                                  backmechanismen, wie sie beispielsweise Uber oder Airbnb einge-
        fer auf, doch heute stehen hinter den meisten Angeboten auf Ebay
                                                                                  richtet haben, die Konsumenten gleich gut schützen wie die Bewilli-
        oder Amazon spezialisierte Profis oder Unternehmen.
                                                                                  gungsanforderungen, die Städte an Taxi- oder Hotelbetreiber stellen.
       Die Regulatoren sind gefordert                                             Andererseits können lokale Regulierungen den Interessen etablierter
                                                                                  Firmen entgegenkommen, indem sie den Wettbewerb beschränken.
        Regulatorische und rechtliche Entscheide könnten sich ebenfalls auf
                                                                                  Folglich dürfte der Markteintritt von P2P -Firmen die Konkurrenz ver-
        diese Geschäftsmodelle auswirken. Plattformen, die unabhängige
                                                                                  stärken und den Konsumenten zugutekommen, weil Abwärtsdruck auf
        Auftragnehmende für die Erbringung von Dienstleistungen einsetzen,
                                                                                  die Preise und Aufwärtsdruck auf die Qualität entsteht.
        müssen weder Zusatzleistungen wie Gesundheits- oder Invaliden­
                                                                                        Unsere letzte Frage ist, ob die P2P -Anbieter derart erfolgreich
        versicherung bezahlen noch Ausrüstung kaufen und unterhalten –
                                                                                  sein werden, dass sich ihre zurzeit hohen Bewertungen rechtfertigen
        obschon dies dort, wo tiefere Stückkosten über Skaleneffekte erreicht
                                                                                  lassen. Die spezifische Konzeption der Such-, Vermittlungs- und
        werden, möglicherweise die effizientere Lösung wäre. Das Modell
                                                                                  ­P reismechanismen sowie potenzielle regulatorische Probleme dürften
        schützt sie potenziell vor Haftungsansprüchen, wenn Transaktionen
                                                                                   hierbei eine Rolle spielen. Allgemeiner stehen jedoch zwei Aspekte
        fehlschlagen. Aus der Perspektive der Arbeitnehmenden wiegen fle-
                                                                                   im Vordergrund: Wird sich das P2P -Vermittlungsmodell auf längere
        xible Arbeitszeiten und eine möglicherweise bessere Entlöhnung ­unter
                                                                                   Sicht gegen traditionellere, integrierte Geschäftsmodelle durchsetzen?
        Umständen ein weniger stabiles und sicheres Einkommen auf. Indes
                                                                                   Und werden sich individuelle Plattformen so dominierend in Stellung
        haben jüngste Gerichtsurteile gewisse Fahrer von Uber als Ange­s tellte
                                                                                   ­bringen können, dass sie in der Lage sind, substanzielle Gewinne zu
        eingestuft, und eine laufende Sammelklage in Kalifornien könnte
                                                                                    erzielen? Die Beantwortung der letzten Frage wird davon abhängen,
        ­A nbieter von Mitfahrgelegenheiten letztlich zu einem traditionelleren
                                                                                    ob grössere Marktplätze starke Netzwerkeffekte und Effizienz­gewinne
         Anstellungsmodell verpflichten.
                                                                                    generieren können. Es gibt gewisse Gründe für die Annahme, dass
             Der Eintritt von P2P -Anbietern in Märkte wie Beherbergung und
                                                                                    Marktplätze von mehr Grösse profitieren, weil sich ihnen dadurch
       Personentransport hat zudem eine hitzige Debatte über die lokale
                                                                                    mehr Möglichkeiten zur Zusammenführung von Käufern und Ver­
       Regulierung entfacht. Die Plattformen werden unter anderem dafür
                                                                                    käufern und zum Sammeln von Daten bieten. Einige Internetfirmen
       kritisiert, dass sie sich ­Wettbewerbsvorteile verschaffen würden, indem
                                                                                    wie Google und Facebook haben ihre Grösse und Reichweite genutzt,
       sie lokale Eintritts- oder Bewilligungsanforderungen umgehen. Viele
                                                                                    um ihre P
                                                                                            ­ rodukte und Dienstleistungen rasant zu verbessern. Ob die
       Städte beschränken beispielsweise die Zahl der Hotelzimmer, die
                                                                                    neuen P2P -Akteure diesem Beispiel folgen können, wird sich erst
       ­Nutzung von Wohn­eigentum für die kurzfristige Vermietung, die Zahl
                                                                                    noch ­weisen müssen.
        der Taxis sowie die Art und Weise, wie Hotel- oder Taxianbieter ihre
        Preise festlegen können. Zudem sind traditionelle Anbieter Bewil­
        ligungsverfahren, Steuern und Gebühren sowie Gesundheits- und
        Sicherheitsüberprüfungen unterworfen, um Qualität und Vertrauen zu
        gewährleisten. P2P-Plattformen hielten sich zumindest am Anfang nicht

GI_2a_d_History [PDE]{CHDE}.indd 13                                                                                                                       27.10.15 15:28
GLOBAL INVESTOR 2.15   —14

       Quantitative Analyse

       Die Wertschöpfung
       der Sharing Economy
        Wie viel trägt die Sharing Economy zum BIP bei? Lässt sich das überhaupt messen? Zur Grösse der
        Sharing Economy gibt es keine harten Zahlen und nicht alle Leistungen fliessen ins BIP ein. Wir
        schlüsseln die BIP-Beiträge der Sharing Economy und der traditionellen Wirtschaft auf. Aktivitäten, die
        sich aus traditionellen in Sharing-Bereiche verlagern, sind schwerer messbar und verbergen die wahre
        Wirtschaftsleistung eines Landes. Wir schätzen den quantitativen Umfang der Sharing Economy ab.

                                                                                                           Produzierte Güter
                                                                                                           und Dienstleistungen

                                                                                                           Öffentliche Verwaltung
                                                                           Im heutigen
                                                                            BIP erfasst
                                                                                                           Unbezahlte
                                                                                                           Haushaltsarbeiten

                                                Dazugehörig
                                                                                                           Schattenwirtschaft

                                                                          Im heutigen
                                                                           BIP nicht
                      BIP                                                                                                                Die Sharing
                                                                            erfasst                                                      Economy

                                                                                 Freizeitaktivitäten
                                                                                 zu Hause

                                                   Nicht
                                                                                 Konsumentenrente
                                                dazugehörig

                                                                                 Im Ausland von lokalen
                                                                                 Unternehmen produzierte
                                                                                 Güter und Dienstleistungen

        BIP-Komponenten
        Die heutige BIP -Erhebung berücksichtigt die Wertschöpfung der im Inland produzierten Güter und Dienstleistungen, der öffentlichen Verwaltung,
        der unbezahlten Haushaltsarbeit und von Teilen der Schattenwirtschaft. Sharing-Aktivitäten, die vermehrt bestehende wirtschaftliche Leistungen verdrängen
        oder ergänzen, sollten ebenfalls Eingang finden. Quelle: Credit Suisse

GI_2b_d_Value-add [PDE]{CHDE}.indd 14                                                                                                                        27.10.15 15:39
GLOBAL INVESTOR 2.15    —15

      N
                    eben anderen Indikatoren lässt
                    sich die wirtschaftliche Leistung    01_Bereitschaft, Güter gemeinsam zu nutzen
                    eines Unternehmens anhand sei-       Die Sharing Economy expandiert rasant. Es gibt aber Unterschiede hinsichtlich der Bereitschaft,
                    ner Wertschöpfung messen, also       ­g ewisse Güter oder Dienstleistungen gemeinsam zu nutzen. Quelle: Nielsen Global Survey of Share Communities

       am Wert seiner Produktion abzüglich der
       ­Vorleistungen. Konkreter umfasst die Wert-
        schöpfung Löhne für die Angestellten, ent-         15        Wohnung/Haus                           23        Elektrowerkzeuge
                                                            %                                                %
        richtete Steuern, Zinszahlungen, Mieten
        sowie die Gewinne der Besitzer (das heisst
        Nationaleinkommen). Sie misst ausschliess-         17        Möbel                                  26        Unterricht/Dienstleistungen
                                                            %                                                %
        lich den Output und klammert etwa die Zu-
        friedenheit der Kunden mit einem Produkt
        aus. Zur Messung der Wirtschaftsleistung           21        Auto                                   28        Elektronik
        eines Landes wird die Wertschöpfung aller           %                                                %
        inländischen Unternehmen aufaddiert. Die
        Berechnung des Bruttoinlandprodukts ( BIP)
       eines Landes berücksichtigt nur im Inland
       produzierte Güter und Dienstleistungen, ab-
       züglich Subventionen und zuzüglich Steuern.       02_Sektoren mit relevantem Prozentanteil
            Das European System of Accounts 2010         von Sharing-Aktivitäten am BIP
       erfasst bei der BIP -Messung nicht nur kom-       Rund die Hälfte des gesamten BIP wird von Sektoren generiert, die von der Sharing
       merzielle Firmen: Weitere produktive Sekto-       Economy ­s ubstanziell betroffen sind, insbesondere Einzel- und Grosshandel sowie Transport
                                                         und ­D ienstleistungen. Quelle: Credit Suisse, Eurostat
       ren wie die öffentliche Verwaltung, unbezahl-
       te Haushaltsarbeiten, Kinderbetreuung sowie                                                                                                                2%
                                                                                                                                                         Beherbergung
       Teile der Schattenwirtschaft finden ebenfalls
                                                                                                                                                      und Gastgewerbe
       Eingang. Die Wertschöpfung dieser Sektoren
       muss normalerweise geschätzt werden, weil                                                                                                             7%
                                                                                                                                                       Transport
       sie nicht direkt erfasst werden kann oder aber
                                                                                                                                                   und Lagerung
       keinen eigentlichen Produktionswert hat.
            Es ist durchaus sinnvoll, diese nicht kom-                                                                                                 15%
                                                                                                                                                     Handel
       merziellen Sektoren und die Schattenwirt-
       schaft im BIP zu berücksichtigen. Schwarz-
       märkte werden zum Beispiel meist nicht
       erfasst, sind aber umsatzstark und beschäf-
       tigen einen nicht vernachlässigbaren Anteil
       an Arbeitskräften respektive absorbieren
       Ressourcen. Werden diese Graubereiche und
       nicht kommerziellen Sektoren berücksichtigt,
       reflektiert die BIP -Erhebung die tatsächliche    56%
        Wirtschaftsleistung besser.                      Übrige

       Sharing Economy schwieriger zu messen

       Rein sozial motivierte Sharing-Aktivitäten zur
       Steigerung der Lebensqualität, wie zum Bei-
       spiel Zeit mit Freunden verbringen (etwa via
       rentafriend.com), werden notwendigerweise
       aus dem BIP ausgeklammert. Sharing-Aktivi-
       täten, die bezahlt werden oder Transaktionen
       zwischen Firmen und Konsumenten ähneln,
       sind demgegenüber für die Wirtschaftsleis-
       tung relevant, werden aber heute nur teilwei-                                                                                                10%
       se im BIP erfasst. Internetplattformen wie                                                                                           Immobilien,
                                                                                                                                       wissenschaftliche
       freelancer.com führen etwa Arbeitskräfte und                                                                                      und technische
       Unternehmen für eine projektbasierte Koope-                                                                                           Aktivitäten
       ration zusammen. In diesem Fall findet die                                                                                                           4%
       Wertschöpfung des Projekts Eingang ins                                                                                                    Versicherungen
       BIP. Die Buchungsgebühr, die Blablacar für                                                                                                                 6%
       Carsharing-Dienste belastet, ist Teil der >                                                                                             Finanzdienstleistungen

GI_2b_d_Value-add [PDE]{CHDE}.indd 15                                                                                                                                    27.10.15 15:39
GLOBAL INVESTOR 2.15   —16

        Zwei Ansätze für die Schätzung der Wertschöpfung von Sharing-Aktivitäten
        Bisher gibt es keine Methode, welche die Wertschöpfung von BIP -relevanten Sharing-Aktivitäten erfasst. Doch lässt sich ihr Umfang annähernd abschätzen.
        Unsere Top-down-Methode schätzt den Effekt der Sharing Economy für jede Branche. Unsere Bottom-up-Methode schätzt den Effekt der Sharing Economy
        als prozentualen Anteil an den Haushaltsausgaben. In beiden Fällen nimmt das Basisszenario an, dass die Ausgaben für Sharing-Aktivitäten etwa jenen
        für Online-Einkäufe entsprechen. Das Maximalszenario geht davon aus, dass 80 Prozent der Ausgaben in die Sharing Economy fliessen. Quelle: Credit Suisse

                               Top-down-                                                                            Wertschöpfung BIP -relevanter
                                Ansatz                                                                                   Sharing-Aktivitäten

                                                                                                                 Wertschöpfung als Prozentanteil des
                                                                                                             Produktionswerts von Gütern und Dienstleis-
                                                                                                              tungen, die sich gemeinsam nutzen liessen

                                                                                                                          Anteil Schweizer
                                                                                                                         Sharing-Haushalte

                                                                                                  szenario

                                                                                                                                                            Maximal­
                                                                                                                                                            szenario
                                                                                                   Basis­
                                                                                                              Ausgabenanteil             Ausgabenanteil
                                                                                                             Interneteinkäufe                80%

                                 Anteil der Branche
                                  am Gesamt- BIP                                                                  Jährliche Haushaltsausgaben für
                                                                                                                 Güter und Dienstleistungen, die sich
                                                                                                                     gemeinsam nutzen liessen
                          Anteil der Bevölkerung, die an
                          Sharing-Aktivitäten partizipiert
                                                                    Maximal­
         szenario

                                                                    szenario
          Basis­

                     Ausgabenanteil              Ausgabenanteil
                    Interneteinkäufe                 80%

                          Wertschöpfung BIP -relevanter
                               Sharing-Aktivitäten

                                                                                                                      Bottom-up-
                                                                                                                        Ansatz

        Entlöhnung der Angestellten und des Ge-              zen. Wir tun dies mit einer Bottom-up- und             ­ nlinekurse im Vergleich zu öffentlichen und
                                                                                                                    O
        winns der Anteilsinhaber. Diese Komponenten          einer Top-down-Methode.                                privaten Schulen sowie Universitäten nach wie
        des Carsharing fliessen ebenfalls ins BIP ein.                                                              vor ein Schattendasein fristen.
                                                             Sektoransatz
        Die Entschädigung, die ein nicht professio-                                                                     Von der Sharing Economy am stärksten
        neller Airbnb-Gastgeber für die Vermietung           Schlüsselt man das BIP nach einzelnen Bran-            betroffen sind die Sektoren Einzel- und Gross-
        seiner Wohnung erhält, kann dagegen im BIP           chen auf, können die Sharing-Aktivitäten in            handel, Transport sowie Beherbergung und
        oft nicht berücksichtigt werden. Wer jeman-          der Gesamtwirtschaft annähernd berechnet               Gastgewerbe. Schon bald könnte es dem Fi-
        dem unentgeltlich sein Sofa für eine Nacht           werden. Für rohstoffnahe Sektoren wie Land-            nanzwesen und diversen wissenschaftlichen
        zur Verfügung stellt, schafft keinen monetär         wirtschaft oder Energie ist Sharing aus Kon-           und technischen Aktivitäten ähnlich ergehen.
        messbaren Wert, weshalb diese Aktivität heu-         sumentenperspektive eher vernachlässigbar.             Diese Branchen steuern in Indus­trieländern
        te definitiv nicht BIP -relevant ist.                Die Produzenten mögen zwar gewisse Input-              rund die Hälfte zum BIP bei – zum Beispiel 45
            Je mehr Sharing-Aktivitäten bestehende           faktoren gemeinsam nutzen – etwa Agrar­                Prozent in der Schweiz, 50 Prozent in den USA .
        wirtschaftliche Leistungen verdrängen oder           maschinen – und erhöhen damit ihre Produk-             Im Folgenden stützen wir uns für unsere
        ergänzen, desto dringender wird es, die ak-          tivität, ihr Output lässt sich aber nicht teilen:      Schätzungen auf die Schweizer Branchenge-
        tuelle BIP -Messung anzupassen. Bisher wird          Brot kann man nicht zweimal essen. Das­selbe           wichtungen. Unter den am stärksten exponier-
        die Wertschöpfung von BIP -relevanten Sha-           gilt für öffentliche Dienstleistungen wie die          ten Sektoren gehören der Handel (15% des
        ring-Aktivitäten nicht systematisch erfasst.         Landesverteidigung. Bildung ist hier eine Aus-         BIP) sowie Transport und Lagerung ( 7.5%) zu
        Allerdings lassen sie sich annähernd schät-          nahme, obwohl gemeinsam genutzte                       den Schwergewichten, während Beherber-

GI_2b_d_Value-add [PDE]{CHDE}.indd 16                                                                                                                          27.10.15 15:39
GLOBAL INVESTOR 2.15   —17

       gung und Gastgewerbe mit grossem Abstand             nächsten Schritt werden die Ausgaben für        nario – zumindest heute noch – einen be-
       auf Rang 3 liegen (1.6%). Die weniger betrof-        Vorleistungen – wir gehen hier vom selben       scheidenen Anteil am BIP der Schweiz. Die
       fenen Sektoren sind ähnlich gross: Wissen-           Umfang aus wie bei Unternehmen – von den        Ergebnisse verändern sich mit Blick auf an-
       schaftliche und technische Aktivitäten sowie         Ausgaben für Sharing-Angebote abgezogen.        dere Länder wie die USA oder europäische
       die Immobilienbranche haben einen BIP-Anteil         Die Summe über alle Haushalte und Sektoren      Staaten ein wenig, weil sich die jeweiligen
       von 9.7 Prozent, gefolgt vom Finanzwesen             hinweg entspricht der Wertschöpfung der         Sektorgewichtungen etwas unterscheiden.
       (6.3%) und von Versicherungen (4.5%).                Peer-­to-Peer-Aktivitäten. Im Maximalszenario
                                                                                                            Globale Mentalitätsunterschiede
           Der BIP -Beitrag des Sharing in den Bran-        erreicht der Peer-to-Peer-Handel einen Anteil
       chen beruht auf zwei Faktoren: dem prozen-           von rund 80 Prozent der Ausgaben von Haus-      Weltweit wird die Sharing Economy unter-
       tualen Anteil der Menschen, die Sha-                 halten, die Sharing-Angebote nutzen. Mit        schiedlich akzeptiert. Laut einer globalen
       ring-Dienste nutzen, und dem Anteil ihrer            dieser Annahme generiert der Peer-to-Peer-      Umfrage von Nielsen variiert die Bereitschaft,
       Gesamtausgaben, der in Sharing-Angebote              Bereich in der Schweiz eine Wertschöpfung       an Sharing-Marktplätzen zu partizipieren, zwi-
       fliesst. Der Anteil der Schweizer Bevölke-           von rund sechs Milliarden Franken jährlich,     schen 54 und 52 Prozent in Europa und Nord-
       rung, der an der Sharing Economy partizi-            0.95 Prozent des BIP. Das konservativere        amerika und 80 Prozent im asiatisch-pazifi-
       piert, schwankt sektorabhängig zwischen 0            Szenario geht davon aus, dass die Sharing-­     schen Raum. Der weltweite Durchschnitt
       und 30 Prozent, wobei die Branchen Trans-            Haushalte etwa gleich viel für Peer-to-Peer-­   beträgt 68 Prozent. Die höhere Nutzungsbe-
       port und Beherbergung obenaus schwingen.             Angebote ausgeben wie für den Online-­          reitschaft in Schwellenländern wird durch den
       Der Anteil der Ausgaben, der in die Sharing          Einkauf. In diesem Fall resultiert für den      Umstand aufgewogen, dass die Partizipation
       Economy fliesst, lässt sich am Anteil der             Peer-to-Peer-Bereich in der Schweiz eine       am Internet dort viel tiefer ist. Der BIP -Effekt
       Haushaltsausgaben via Internet schätzen, der          Wertschöpfung von rund 0.5 Milliarden          in den Schwellenländern könnte jedoch künf-
       von weniger als 1 Prozent bei den Finanzdienst-      ­Franken jährlich (0.1% des BIP).               tig steigen, wenn immer mehr Menschen
       leistungen bis 14 Prozent für Unter­künfte reicht.       Offensichtlich führen unsere beiden An-     Zugang zum Internet erhalten.
           Eine Multiplikation dieser Faktoren              sätze zu ähnlichen Resultaten. Zudem leistet
                                                                                                            Noch ist der Gesamteffekt gering
       (BIP-Anteil einer Branche; Anteil der Kun-           die Sha­r ing Economy selbst im Maximalsze-
       den, die Sharing-Angebote innerhalb einer                                                            Der BIP -Effekt der Sharing Economy gleicht
       Branche nutzen; Anteil der Sharing-Ausga-                                                            in seinem Ausmass jenem anderer Aktivitäten,
       ben dieser Kunden) ergibt den Sharing-                                                               die sich nicht genau messen lassen, wie etwa
       Gesamt­effekt der jeweiligen Branche auf das                                                         anderer Teile der Schattenwirtschaft. Der
       BIP. Der Gesamteffekt des Sharing auf das                                                            Gesamteffekt ist gering, aber das rasante
       BIP ist mit 0.25 Prozent des BIP noch relativ                                                        Wachstum der Sharing-Aktivitäten impliziert,
       gering, weil die Branchen, in denen Sharing                                                          dass die Berechnungen des BIP-Wachstums
       bereits stark verbreitet ist, eher klein sind
       (Beherbergung), oder die Branchen zwar
                                                              Begriffe und                                  das reale Wachstum in diesem Bereich un-
                                                                                                            terschätzen, zumal sich immer mehr Aktivitä-
       gross sind, aber einen noch eher niedrigen            ­Definitionen                                  ten aus traditionellen Sektoren in die Sharing
       Sharing-­A nteil aufweisen (Finanz- und Ver-                                                         Economy verlagern. Diese Verlagerung könn-
       sicherungswesen). Wenn wir davon ausge-               Bruttoinlandprodukt (BIP) =                    te somit weitreichender sein, ihr Nettoeffekt
       hen, dass Sharing-Kunden 80 Prozent ihrer             Wertschöpfung aller im Inland                  bleibt aber klein. Darüber hinaus erfassen
       Ausgaben in diesem Bereich tätigen (Maxi-             produzierten Güter und Dienst­                 BIP -Berechnungen nicht alle vorteilhaften
       malszenario), steigt der Gesamt­effekt auf            leistungen, abzüglich Subventionen             Aspekte der Sharing Economy. Allerdings ist
       rund 1 Prozent des BIP.                               und zuzüglich Steuern                          das BIP als Masszahl weit verbreitet und be-
                                                                                                            einflusst viele wichtige wirtschaftliche Indika-
       Haushaltsansatz                                       Bruttonationaleinkommen (BNE) =
                                                                                                            toren wie das Bonitätsrating und die Steuer-
                                                             Wertschöpfung aller von Inländern
       Die Bottom-up-Methode konzentriert sich                                                              basis eines L   ­andes. Falls die Sharing
                                                             eines Landes produzierten Güter
       auf die am stärksten betroffenen Sektoren:                                                           Economy künftig weiter expandiert und damit
                                                             und Dienstleistungen, abzüglich
       Finanzwesen, Dienstleistungen, Güter, Beher-                                                         eine fortgesetzte Verlagerung zu schwerer
                                                             Subventionen und zuzüglich Steuern
       bergung und Transport sowie Streaming von                                                            messbaren Aktivitäten stattfindet, werden
       Musik und Videos. Sie berücksichtigt nur die          Wertschöpfung = Wert der                       wir um neue Ansätze der BIP -Messung nicht
       kommerziellen Sharing-Aktivitäten, also Peer-­        Produktion abzüglich Wert der                  herumkommen.
       to-Peer-Transaktionen zwischen Haushalten.            Vorleistungen
       Der Ansatz schätzt für jeden Sektor den A
                                               ­ nteil
                                                             Konsumentenrente = Mass der
       der Haushaltsausgaben, die in Sharing-Akti­
                                                             Kundenzufriedenheit, positive
       vi­
         t äten fliessen. Die Bottom-­  u p-Methode
                                                             Differenz zwischen dem Preis, den              Jonathan Horlacher
       berücksichtigt nur die Ausgaben für poten-
                                                             Konsumenten für ein Produkt                    Research Analyst
       zielle Peer-to-Peer-Aktivitäten. Ein Grossteil                                                       +41 44 332 80 17
                                                             zu bezahlen bereit sind, und dem               jonathan.horlacher@credit-suisse.com
       der Haushaltsausgaben im Finanzsektor be-
                                                             Marktpreis dieses Produkts
       trifft beispielsweise Zahlungen für Miete/                                                           Patricia Feubli
                                                                                                            Research Analyst
       Hypothek, Wasser und Strom. Diese Ausga-                                                             +41 44 333 68 71
       ben werden nicht berücksichtigt. In einem                                                            patricia.feubli@credit-suisse.com

GI_2b_d_Value-add [PDE]{CHDE}.indd 17                                                                                                                          27.10.15 15:39
GLOBAL INVESTOR 2.15    —18

               Anlagethema

              Die umwälzende
              Kraft ist real

                                                  Foto: Jan Philip Welchering

GI_5a_d_Retail Auto_01 [PDE]{CHDE}.indd 18   27.10.15 15:42
GLOBAL INVESTOR 2.15   —19

       Das rasante Wachstum der Sharing Economy                                Umsätzen von 1.2 Billionen US -Dollar impliziert dies enorme Wachs-
       kündigt massive Änderungen des bisherigen                               tumschancen im Carsharing-Geschäft. Laut einer Umfrage der Uni-
                                                                               versity of Berkeley dürfte ein gemeinsam genutzter PKW zwischen
       Konsummodells an. Der Trend zum Teilen und
                                                                               9 und 13 Autos ersetzen, zumal Carsharing-Nutzer ihr Auto wahr-
       zur gemeinsamen Nutzung begann vor über                                 scheinlich verkaufen oder zumindest den Kauf eines neuen hinaus-
       15 Jahren mit immateriellen digitalen Medien,                           zögern. Wir schätzen, dass sich dadurch das Wachstum der Neuwa-
       hat sich aber mittlerweile auf hochwertige                              genverkäufe bis 2020 um 70 Basispunkte reduzieren könnte. In
       ­materielle Güter wie Automobile und Immobilien                         diesem investierbaren Zeithorizont scheint das minimal. Aufgrund des
        ausgebreitet. Welche Chancen eröffnen sich                             steigenden Automatisierungsgrads und des Grösseneffekts dürften
                                                                               die Auswirkungen langfristig einschneidend sein.
        den Anlegern in einer Welt, in der der Nichtbesitz
                                                                                   2011 konnten sich die Anleger am Börsengang (IPO) des Neu-
        von Gütern schnell zur neuen Norm wird?                                einsteigers Zipcar beteiligen. Kurz nach dem IPO war Zipcar schät-
                                                                               zungsweise 1.2 Milliarden US-Dollar wert – Avis Budget übernahm
                                                                               Zipcar 2013. Uber dürfte der nächste Kandidat sein. Laut «Wall Street
                                                                               Journal» vom 1. Juli 2015 wurde Uber in der letzten Finanzierungs-
                                                                               runde mit 50 Milliarden US-Dollar bewertet. Das Unternehmen rech-
                                                                               net im laufenden Jahr mit einem Umsatz von 2 Milliarden US-Dollar
                                                                               und ist damit unter den Internetfirmen sehr hoch bewertet.

                                                                               Beherbergungsbranche

                                                                               Bereits Fuss gefasst hat die Sharing Economy auch im Geschäft mit
                                                                               Ferienunterkünften, das 2014 einen Anteil von neun Prozent am tra-
                                                                                 ditionellen Hotelmarkt hatte. Dieser Markt ist zunehmend organisiert
                                                                                 und das steigende Vertrauen sorgt für eine breitere Nutzung derarti-
                                                                                 ger Dienstleistungen. Plattformen wie Homeaway und Airbnb haben
                                                                                 schon einen Marktanteil von 50 Prozent. Airbnb ist mit 1.5 Millionen
                                                                                 Angeboten und 10 Millionen Buchungen bereits in 200 Ländern ver-
                                                                               treten und nimmt nun China ins Visier. Die Buchungen über Airbnb

       A
                  utos, Unterkünfte, Musik und Videos waren die ersten Sek-    dürften bis 2020 auf nahezu 60 Millionen steigen. Laut Schätzungen
                  toren, in denen sich Peer-to-Peer-Netzwerke bildeten. Hier     der Credit Suisse bietet Airbnb heute rund ein Prozent aller weltweit
                  etablierten sich Vermittler, die das Vertrauen in Online­      verfügbaren Hotelzimmer an. Dieser Anteil könnte gemäss unseren
                  transaktionen förderten und zu bekannten Marken wurden.        Wachstumserwartungen auf rund fünf Prozent steigen.
       Der Wert dieser Marken ist verknüpft mit den sozialen Kontakten, die           Bisher hat die traditionelle Hotel- und Ferienunterkunftsbranche
       sie ermöglichen, und dem Erlebnis, das sie generieren. Seit Langem        trotz aufstrebender Akteure wie Homeaway und Airbnb weiter expan-
       etablierte Akteure geraten zunehmend unter Konkurrenzdruck und          diert, wobei sie von einem Angebots-Nachfrage-Ungleichgewicht
       müssen folglich selbst Community-Plattformen aufbauen, Start­ups        profitierte. Sharing-Plattformen ziehen vielmals Reisende an, die län-
       übernehmen oder sich mit solchen zusammenschliessen. Wir werfen         ger an einem Ort verbleiben und sonst nicht reisen würden. Börsen-
       einen Blick auf jene Bereiche des Sektors der Nicht-Basiskonsum-        kotierte Hotelketten bedienen tendenziell Kurzaufenthalter, wie zum
       güter, in denen die Sharing Economy bereits Fuss gefasst hat.           Beispiel Geschäftsreisende, die derartige Plattformen eher weniger
                                                                               nutzen. Weil das Angebot auf den Plattformen kontinuierlich steigt
       Automobilbranche
                                                                               und Airbnb zunehmend auch die Geschäftsreisenden anvisiert, k­ önnte
       Die Sharing Economy scheint sich besonders stark auf Erstausrüster      sich die Angebots-Nachfrage-Lücke jedoch praktisch schliessen,
       (OEM) in der globalen Autoindustrie auszuwirken, weil Autos teuer       sodass Hotels langfristig einen Teil ihrer Preismacht einbüssen
       und schlecht ausgelastet sind sowie an Wert verlieren. Die rasante      ­dürften. Die «Financial Times» hat am 29. Juni 2015 berichtet, dass
       Urbanisierung, sich ändernde Mobilitätsvorlieben der Konsumenten        zahlreiche Hotelkonzerne damit begonnen haben, in Homesharing-­
       und ein regulatorischer Rahmen, der die gemeinsame Nutzung von           Konkurrenten zu investieren, um damit einer künftigen Bedrohung
       Autos fördert, um die Umweltverschmutzung und Staus zu minimieren,       zuvorzukommen.
       dürften dem Carsharing ein fulminantes Wachstum bescheren. Peer-               Langfristige Trends lassen sich im Beherbergungsmarkt schwer
       to-Peer-Carsharing (Zipcar, car 2go, park 24), Mitfahrgelegenheiten      prognostizieren, wir sehen aber definitiv grosses Potenzial für
       (ein ergänzendes, anderes Geschäftsmodell wie etwa Blablacar) und        ­a lternative Unterkunftsnetzwerke als Teil der neuen Sharing Economy.
       privater Autoverleih (Uber, Lyft) sind neue Geschäftsmodelle, die den     Für Anleger ist die Bewertung ein entscheidender Faktor. Beim bör-
       Übergang von der traditionellen Vermietung hin zu bedarfsbezogenen,       senkotierten Anbieter Homeaway sollte unseres Erachtens die Be-
       technologiebasierten Schnittstellen erleichtern.                          wertung nicht mit jener konventioneller Hotels verglichen werden,
           Carsharing weist zurzeit eine Durchdringung von unter einem Pro-      sondern mit jener anderer vergleichbarer Internetdienstleister mit
       zent des globalen Automarkts auf. Avis Budget schätzt den Wert des        geringer Kapitalintensität (Asset light) wie etwa Netflix oder Alibaba.
       globalen Carsharing-Markts auf rund 10 Milliarden US -Dollar. Ange-       Solche E-­C ommerce-Plattformen sind mit einem Kurs-Gewinn-­
       sichts der Märkte für Taxidienstleistungen (40 Milliarden US -Dollar)     Verhältnis (KGV auf 12 M-forward-Basis) von fast 30 gehandelt bei
       und Autovermietungen (50 Milliarden US -Dollar) sowie von OEM -­          einem erwarteten jährlichen Umsatzwachstum von durchschnittlich >

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