Die Westschweiz - Credit Suisse
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Investment Solutions & Sustainability Swiss Economics Die Westschweiz Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume | Mai 2022 Arbeitsmarkt Finanzielle Wohnattraktivität Bevölkerung und Migration Fachkräftemangel: Westschweiz weniger stark Vorteile für Familien Dynamische Bevölkerungsentwicklung betroffen Seite 17 Seite 28 Seite 33
Impressum Herausgeber: Credit Suisse AG, Investment Solutions & Sustainability Dr. Nannette Hechler-Fayd’herbe Head of Global Economics & Research +41 44 333 17 06 nannette.hechler-fayd’herbe@credit-suisse.com Dr. Sara Carnazzi Weber Head of Policy & Thematic Economics +41 44 333 58 82 sara.carnazzi@credit-suisse.com Redaktionsschluss 29. April 2022 Bestellungen Elektronische Exemplare über credit-suisse.com/regionalstudien Copyright Die Publikation darf mit Quellenangabe zitiert werden. Copyright © 2022 Credit Suisse Group AG und/oder mit ihr verbundene Unternehmen. Alle Rechte vorbehalten. Quellenangaben Credit Suisse, ansonsten spezifiziert Autoren Dr. Sara Carnazzi Weber, +41 44 333 58 82, sara.carnazzi@credit-suisse.com Emilie Gachet, +41 44 332 09 74, emilie.gachet@credit-suisse.com Dr. Kerstin Hansen, +41 44 334 16 55, kerstin.hansen@credit-suisse.com Thomas Rieder, +41 44 332 09 72, thomas.rieder@credit-suisse.com Dr. Fabian Waltert, +41 44 333 25 57, fabian.waltert@credit-suisse.com Pascal Zumbühl, +41 44 334 90 48, pascal.zumbuehl@credit-suisse.com Mitwirkung Dr. Jan Schüpbach Adriana Lapuszynska Christine Mumenthaler Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 2
Editorial Sehr geehrte Leserinnen und Leser Von den Seeufern über das Flachland und den Jurabogen bis hin zu den Alpengipfeln, von den Dörfern bis zu den Städten – die Westschweiz macht ein Viertel des Schweizer Gebiets aus. Die Westschweizer Kantone haben alle ihre eigenen Merkmale – eine Vielfalt, die sich in den geografischen und topografischen Rahmenbedingungen, aber auch in den Wirtschaftsstrukturen und dem Know-how ihrer Schlüsselbranchen zeigt. Obwohl sich diese grosse Heterogenität in teilweise grossen Unterschieden in der wirt- schaftlichen Entwicklung niederschlägt, gilt die Westschweiz insgesamt als dynamische Region. Sowohl das Wachstum des Bruttoinlandprodukts als auch das Beschäftigungs- wachstum lagen im Jahrzehnt vor der COVID-19-Krise über dem Schweizer Durch- schnitt. Auch die Produktivität stieg in den meisten Westschweizer Kantonen an, was die Innovationsfähigkeit der Region und die zahlreichen Instrumente und Programme zur Förderung des Wissens- und Technologietransfers zwischen Hochschulen, For- schungsinstituten und der Wirtschaft widerspiegelt. Aktuelle Indikatoren wie Daten zu Konkursen und Unternehmensgründungen scheinen darauf hinzudeuten, dass die Westschweizer Wirtschaft die turbulenten letzten zwei Jahre gut überstanden hat. Viele Regionen der Westschweiz sind als Wohnort sehr attraktiv, insbesondere für Fa- milien. Dank tieferen Kinderbetreuungskosten als im Schweizer Durchschnitt sowie grosszügigen Steuerabzügen und Kinderzulagen finden Familien hier erschwingliche Lebensbedingungen, vor allem ausserhalb der grossen Zentren. In Kombination mit einer starken Zuwanderung führt dies zu einer im Schweizer Vergleich überdurch- schnittlichen Bevölkerungsdynamik, was die Überalterung bremst. Eine gute Nachricht für den Arbeitsmarkt: Während auf Schweizer Ebene bald mehr Personen aus der Ba- byboomer-Generation in Rente gehen werden als junge Menschen ins Erwerbsleben eintreten, ist dieses Phänomen in der Westschweiz nicht zu beobachten, auch wenn der Saldo zwischen Zugängen im und Austritten aus dem Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren deutlich geringer ausfallen wird. Bereits heute scheint die Westschweiz weniger stark vom Fachkräftemangel betroffen zu sein als andere Landesteile. Als Bank mit starker Präsenz in der Schweiz ist es uns ein Anliegen, die verschiedenen Regionen unseres Landes mit ihren Stärken und Schwächen sowie ihrem Chancen- und Wachstumspotenzial gut zu kennen und zu verstehen. Aus diesem Grund haben wir unsere Ökonomen beauftragt, die Wirtschaft der sechs Westschweizer Kantone im De- tail zu analysieren. Mit dieser Regionalstudie möchten wir einen aktiven Beitrag zur De- batte über die Zukunft der Westschweiz leisten und so zu ihrem Erfolg beitragen. Un- sere regionale Verankerung und unser vielfältiges Engagement in den Bereichen Kultur, Sport und Gesellschaft sind uns sehr wichtig. Wir sind stolz darauf, viele Privatpersonen und Unternehmen aus der Westschweiz zu unserer geschätzten Kundschaft zählen zu dürfen. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre. Christian Steinmann Martial Décoppet Leiter Region Suisse romande Leiter KMU Region Suisse romande Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 3
Inhalt REGIONALER KONTEXT ............................................................................................................ 7 Eine Region voller Kontraste .....................................................................................................................................7 BRANCHENSTRUKTUR UND UNTERNEHMEN ......................................................................... 9 Stellenaufbau und Innovation....................................................................................................................................9 STAATLICHE UNTERSTÜTZUNGSMASSNAHMEN IN DER COVID-19-PANDEMIE .............. 15 Wallis greift tief in die Tasche ....................................................................................................................................15 ARBEITSMARKT ....................................................................................................................... 17 Fachkräftemangel: Westschweiz weniger stark betroffen.........................................................................................17 Westschweizer Merkmale...........................................................................................................................................19 Flexible Arbeit: Westschweiz leicht im Hintertreffen .................................................................................................20 Mit Weiterbildung gegen Mangel ................................................................................................................................22 TOURISMUS ............................................................................................................................. 24 Schweizer Touristen als Stütze ..................................................................................................................................24 FINANZIELLE WOHNATTRAKTIVITÄT ..................................................................................... 28 Vorteile für Familien .................................................................................................................................................28 Optimierung des Wohnorts ........................................................................................................................................31 BEVÖLKERUNG UND MIGRATION .......................................................................................... 33 Dynamische Bevölkerungsentwicklung..................................................................................................................33 Das Profil der Zuwanderer .......................................................................................................................................36 IMMOBILIEN ............................................................................................................................. 39 Eigenheim wird zum Luxusgut ...................................................................................................................................39 Trendwende auf dem Mietwohnungsmarkt ...............................................................................................................41 Büroflächen Lausanne und Genf................................................................................................................................43 KANTONSPROFILE .................................................................................................................. 45 Kanton Freiburg ..........................................................................................................................................................45 Kanton Genf ................................................................................................................................................................46 Kanton Jura .................................................................................................................................................................47 Kanton Neuenburg .....................................................................................................................................................48 Kanton Wallis ..............................................................................................................................................................49 Kanton Waadt .............................................................................................................................................................50 Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 5
Wirtschaftsregionen Kanton Freiburg Kanton Genf Kanton Jura Kanton Neuenburg Kanton Wallis Basel-Stadt Basel Kanton Waadt Unteres Liestal Fricktal Baden Baselbiet Verkehrsachsen Oberes Baselbiet Brugg/Zurzach Mutschellen Laufental Aarau Freiamt Jura Delémont Olten/Gösgen/Gäu Thal Aarau Jura bernois Solothurn Solothurn Sursee/Seetal Grenchen Oberaargau Biel/Seeland Willisau La Chaux-de-Fonds Burgdorf Neuchâtel Erlach/Seeland Luzern Neuchâtel Bern Nidwalden/Engelberg Val-de-Travers Murten Bern Oberes Emmental Entlebuch Sarnen Aaretal Yverdon Sense Sarneraatal Fribourg La Broye Schwarzwasser La Sarine Thun Berner Gros-de-Vaud Oberland-Ost Glâne/ La Vallée Veveyse La Gruyère Lausanne Morges/Rolle Lausanne Kandertal Vevey/Lavaux Goms Pays d'Enhaut Nyon Saanen/Obersimmental Aigle Leuk Brig Genève Monthey/ Sion Sierre Genève St-Maurice Sion Visp Martigny Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 6
Regionaler Kontext Eine Region voller Kontraste Zwischen Seen und Die Westschweiz ist geprägt durch eine grosse Vielfalt: Vom Ufer des Genfersees bis zum Neuen- Bergen, Stadt und burgersee, von den Bergen des Jura bis zu den Alpengipfeln des Wallis, über die Ebenen des Land Waadtländer Plateaus und die Freiburger Voralpen erstreckt sich ihr Gebiet über sämtliche geo- grafischen Zonen der Schweiz. Mit Genf und Lausanne liegen zwei der grössten Städte der Schweiz und ihre Agglomerationen in dieser Region. Doch abseits der urbanen Zentren besteht die Region auch aus ländlicheren Gebieten und Bergdörfern. Entwicklung in den Gemessen am Bruttoinlandprodukt oder an den Beschäftigtenzahlen (vgl. Abb. 1), aber auch an letzten zehn Jahren der Bevölkerung, machen die Kantone der Westschweiz ungefähr ein Viertel der Schweizer Wirt- insgesamt schaft aus – allein die beiden Schwergewichte Waadt und Genf haben daran einen Anteil von über dynamischer als im 15%. Wie Abbildung 2 zeigt, lag das Wachstum des Westschweizer Bruttoinlandprodukts in den Schweizer letzten zehn Jahren vor der COVID-19-Krise über dem Schweizer Durchschnitt. Das gleiche gilt Durchschnitt für die Beschäftigung (vgl. nächstes Kapitel). Laut den Schätzungen des CREA-Instituts der Uni- versität Lausanne büsste die Westschweiz durch die Pandemie im Jahr 2020 ähnlich viel (oder sogar etwas weniger) an Wirtschaftskraft ein wie die gesamte Schweiz, bevor sie sich 2021 deut- lich erholte. Grosse Unter anderem aufgrund der weiter oben erwähnten grossen Heterogenität der geografischen und wirtschaftliche topografischen Rahmenbedingungen bestehen jedoch erhebliche wirtschaftliche Unterschiede zwi- Heterogenität schen den verschiedenen Regionen der Westschweiz. Jeder Kanton hat seine Stärken und zwischen den Schwächen. In den folgenden Kapiteln beschäftigen wir uns eingehender mit verschiedenen As- Westschweizer pekten der Westschweizer Wirtschaft, wie zum Beispiel der Branchenstruktur und der Entwicklung Regionen der Unternehmen, dem Arbeitsmarkt, dem Tourismus, der demografischen Entwicklung und der finanziellen Wohnattraktivität sowie der aktuellen Situation am Immobilienmarkt. Überblick über die Wenn wir in dieser Studie den Begriff Westschweiz verwenden, beziehen wir uns meistens auf die wichtigsten Kantone Freiburg (mit dem deutschsprachigen Teil), Genf, Jura, Neuenburg, Wallis (mit dem Kennzahlen der deutschsprachigen Teil) und Waadt. Den französischsprachigen Teil des Kantons Bern zählen wir Kantone und nicht dazu. Neben der Kantonsebene werden bestimmte Analysen auf Ebene der Wirtschaftsregi- Wirtschaftsregionen onen durchgeführt. Letztere werden unabhängig von politischen Kantonsgrenzen als aus wirt- schaftlicher Sicht mehr oder weniger homogene Einheiten definiert. Die Wirtschaftsregion La Broye umfasst zum Beispiel Waadtländer und Freiburger Gemeinden. Am Ende der Studie (ab Seite 45) finden Sie sechs Kantonsprofile mit einem kurzen Überblick über die wichtigsten Wirt- schaftsdaten für die betrachteten Kantone und ihre Wirtschaftsregionen. Abb. 1: Die Westschweiz macht ungefähr ein Viertel der Abb. 2: In den letzten zehn Jahren lag das Wachstum Schweizer Wirtschaft aus über dem Schweizer Durchschnitt Bruttoinlandprodukt (BIP) zu aktuellen Preisen (links) und vollzeitäquivalente Beschäf- Bruttoinlandprodukt (BIP) zu aktuellen Preisen: Index, 2008 = 100; jährliches Wachs- tigte (rechts), Anteil am Gesamtwert für die Schweiz, 2019 tum in % 125 8% Wachstum Westschweiz (rechte Achse) 4% 5% 9% 10% Wachstum Schweiz (rechte Achse) 24% 26% 120 Westschweiz 6% Schweiz 12% 115 4% 13% BIP Beschäftigung 110 2% 14% 22% 14% 20% 105 0% 14% 13% 100 -2% Westschweiz Zürich Nordwestschweiz Bern / Solothurn 95 -4% Ostschweiz Zentralschweiz Tessin 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse; letzter Datenpunkt: 2019 Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 7
Branchenstruktur und Unternehmen Stellenaufbau und Innovation In den Jahren vor der COVID-19-Krise verzeichnete die Westschweiz ein überdurch- schnittliches Beschäftigungswachstum sowie einen Anstieg der Produktivität. Die Pandemie hat die Westschweizer Wirtschaft schwer getroffen, unter anderem bei den Exporten, die Unternehmen erwiesen sich aber als widerstandsfähig. Die Anzahl der Konkurse hielt sich bisher in Grenzen. Die Region verfügt über eine hohe Innovationskraft. 7.4% Die Westschweizer Wirtschaft zeigte sich in den 2010er-Jahren sehr dynamisch. Sowohl das Beschäftigungs- Bruttoinlandprodukt (vgl. Seite 7) als auch die Beschäftigung verzeichneten in den Jahren vor der wachstum zwischen COVID-19-Krise ein Wachstum über dem Schweizer Mittel. Insgesamt stieg die Beschäftigung in 2014 und 2019 der Westschweiz zwischen 2014 und 2019 um 7.4% (Schweizer Mittel: 5.3%). Besonders stark war die Zunahme in den Kantonen Genf (+8.7%), Waadt (+8.6%) und Wallis (+6.8%), sehr mo- derat dagegen in Neuenburg (+1.6%). Ähnlich wie andere Hochburgen der Uhrenindustrie (La Vallée, Berner Jura) – die in dieser Zeit mit verschiedenen Herausforderungen zu kämpfen hatte (politische Situation in Hongkong, Korruptionsbekämpfung in China, Folgen der Attentate auf den Tourismus in Europa, Aufkommen der Smartwatches) – verzeichneten die Regionen La Chaux-de- Fonds und Val-de-Travers zwischen 2014 und 2019 einen Beschäftigungsrückgang (vgl. Abb. 1). Gleichzeitig gibt es mehrere Regionen, in denen die Beschäftigung in dieser Zeit um mehr als 10% stieg, wie La Gruyère, Nyon, Morges/Rolle, Yverdon, Gros-de-Vaud und Visp. Haupttreiber des Nach Branchen betrachtet leisteten administrative und soziale Dienste – und dabei vor allem das Beschäftigungs- Gesundheits- und Sozialwesen sowie das Bildungswesen – zwischen 2014 und 2019 den gröss- wachstums sind ten Beitrag zur Zunahme der Beschäftigung in der Westschweiz (vgl. Abb. 2). Viele neue Arbeits- Gesundheits- und plätze wurden zudem bei verschiedenen Unternehmensdienstleistern wie Personalvermittlern, im Sozialwesen sowie Facility Management und bei Architekten- und Ingenieurbüros geschaffen, ebenso im Bau-, Unternehmens- Transport- und Logistikwesen, in der Gastronomie und in der IT. Den grössten Arbeitsplatzabbau dienstleistungen (in absoluten Zahlen) verzeichneten der Finanzsektor (Banken und Versicherungen), der Detail- handel, Industriebetriebe wie Druckereien, die Uhren-/Elektronikindustrie (hier bildet der Kanton Jura eine bemerkenswerte Ausnahme), die Metallindustrie und Raffinerien sowie Post- und Ku- rierdienste, die Hotellerie und Verlage. Dank der in anderen Industriebranchen geschaffenen Stel- len, vor allem in der chemisch-pharmazeutischen Industrie, der Reparatur und Installation von An- lagen und Maschinen, der Lebensmittelbranche und dem Maschinen- und Fahrzeugbau, blieben die Beschäftigtenzahlen in der Industrie der Westschweiz zwischen 2014 und 2019 mehr oder weniger stabil, während sie in der gesamten Schweiz um zirka 2% sanken. Weitere Details zur Branchenstruktur und zum Beitrag der einzelnen Branchen zum Beschäftigungswachstum in den sechs Westschweizer Kantonen finden Sie in den Kantonsprofilen ab Seite 45. Abb. 1: Beschäftigungswachstum vor COVID-19-Pande- Abb. 2: Starker Wachstumsbeitrag der administrativen und mie am Genfersee und im Wallis besonders dynamisch sozialen Dienste und der Unternehmensdienstleistungen Beschäftigungswachstum (in Vollzeitäquivalenten) zwischen 2014 und 2019, in %, Beschäftigte (in Vollzeitäquivalenten) nach Branchen, Westschweiz: Anteil an der Ge- nach Wirtschaftsregion samtbeschäftigung 2019 (Kreisgrösse); Differenz zum Anteil an der Gesamtbeschäfti- gung in der Schweiz 2019 in Prozentpunkten; Wachstum zwischen 2014 und 2019* 8% – 15% 20% 6% – 8% Unternehmensdienstleistungen Schaffhausen Beschäftigungswachstum 2014–2019 4% – 6% 2% – 4% Basel Frauenfeld 15% Information, Kommunikation, IT 0% – 2% Liestal St.Gallen -2% – 0% Aarau Zürich Herisau Delémont Appenzell -5% – -2% Solothurn 10% Zug Administrative und Luzern Glarus Verkehr, Transport, Logistik soziale Dienste Schwyz Neuchâtel Bern Stans 5% Unterhaltung und Sarnen Altdorf Chur Industrie/Energie Baugewerbe Gastgewerbe Fribourg Landwirtschaft, andere 0% Lausanne Handel und Verkauf Finanzdienstleistungen -5% Genève Sion Bellinzona -10% -3% -2% -1% 0% 1% 2% 3% Anteil an der Beschäftigung: Abweichung vom Landesdurchschnitt Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse, Geostat Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse; türkis = positiv, magenta = negativ Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 9
Wirtschaftsstruktur in Abbildung 3 zeigt einen Überblick über den Grad der Diversifizierung der Wirtschaft in den sechs der Westschweiz Westschweizer Kantonen im Vergleich zu den Kantonen der Deutschschweiz und zum Tessin. Je stärker konzentriert höher die Indizes, desto stärker sind die Arbeitsplätze der lokalen Wirtschaft von bestimmten Bran- als in anderen chen oder Unternehmen abhängig. Insgesamt sind die Westschweizer Kantone ähnlich stark Kantonen diversifiziert. Eine Ausnahme bilden die Kantone Jura und Neuenburg, die durch die starke Prä- senz der Uhrenindustrie die höchste branchenspezifische Konzentration aller Schweizer Kantone aufweisen. Je grösser ein Kanton, desto höher ist das Diversifizierungspotenzial. Dass ein Kanton wie Zürich bessere Diversifizierungskennzahlen aufweist als die Westschweizer Kantone, ist daher wenig überraschend. Dennoch stellen wir fest, dass die Schwergewichte unter den Westschweizer Kantonen wie Waadt oder Genf gegenüber ähnlich grossen Kantonen mit ähnlichen Bevölke- rungs- und Beschäftigungszahlen, wie zum Beispiel Aargau oder St. Gallen, eine stärker kon- zentrierte Wirtschaftsstruktur aufweisen. Eine stärkere Diversifizierung verringert die Abhängigkeit der lokalen Wirtschaft von Krisen in bestimmten Branchen oder von Standortentscheiden einzelner grosser Unternehmen. Andererseits können regionale Branchen-Cluster den Austausch und Sy- nergien fördern, ebenso den Wettbewerb zwischen den Unternehmen und dadurch Innovationen. Grosse regionale Mit einer durchschnittlichen Bruttowertschöpfung von rund CHF 162’300 pro Vollzeitäquivalent im Unterschiede bei der Jahr 2019 bewegt sich die Westschweiz leicht unter dem Schweizer Mittel von CHF 170’800 Produktivität (vgl. Abb. 4). Zwischen den Kantonen bestehen jedoch aufgrund der verschiedenen Branchen- strukturen deutliche Unterschiede. In den Kantonen Neuenburg (CHF 188’600) und Genf (CHF 175’500) liegt die Wertschöpfung über dem Durchschnitt. Die Neuenburger Wirtschaft ist stark von der Industrie geprägt, vor allem von Branchen mit hoher Wertschöpfung wie der Uhren- und Elektronikindustrie. Auch die Pharmaindustrie und die Medizintechnik sowie die Forschung und Entwicklung (vgl. Box «Schlüsselfaktor Innovation» auf Seite 11) sind in Neuenburg stärker vertreten als in anderen Kantonen. Die hohe Produktivität der Genfer Wirtschaft geht vor allem auf das Konto der Finanzdienstleistungen und des Grosshandels (Rohstoffhandel). Am anderen Ende der Skala wies das Wallis im Jahr 2019 nur eine Bruttowertschöpfung von CHF 137’800 pro Be- schäftigen auf. Die geringere Produktivität im Wallis ist unter anderem auf das Gewicht des Gast- gewerbes in diesem Kanton zurückzuführen. Auch innerhalb eines Kantons können grosse Diffe- renzen bestehen: Nach unseren Schätzungen liegt die Produktivität in den Regionen Nyon, Mor- ges/Rolle und La Vallée über oder gleichauf mit dem Schweizer Mittel, aber der Kanton Waadt liegt insgesamt darunter (CHF 156’400). Auch die Region La Sarine liegt über dem Durchschnitt. Grosse Produktivitätsunterschiede innerhalb derselben Branche sind möglich, wie das Beispiel Jura zeigt: Trotz der starken Uhrenindustrie liegt der Kanton mit CHF 142’700 bei der Produktivi- tät deutlich unter dem Schweizer Mittel. Im Jura finden sich eher Uhrenzulieferer als Hersteller hochwertiger Uhren – ein Umstand, der den Unterschied in der Wertschöpfung zu Neuenburg teil- weise erklärt. Zudem bleibt die Landwirtschaft dort ein gewichtiger Wirtschaftszweig. Steigerung der Trotz eines Rückgangs in Genf, der vor allem auf die schrumpfende Finanzbranche und die Volati- Produktivität in den lität der Wertschöpfung im Rohstoffhandel (aufgrund der starken Preisschwankungen am Welt- 2010er-Jahren markt) zurückzuführen war, konnte die Westschweiz zwischen 2011 und 2019 insgesamt einen Anstieg der Produktivität verzeichnen (vgl. Abb. 5). Das Wachstum lag in den Kantonen Wallis Abb. 3: Kantone Neuenburg und Jura stark von der Abb. 4: Grosse regionale Unterschiede bei der Uhrenindustrie abhängig Produktivität Konzentration der Beschäftigung (in Vollzeitäquivalenten) auf Branchen (NOGA 2; Bruttowertschöpfung in CHF pro Beschäftige (in Vollzeitäquivalenten), 2019 horizontale Achse) und Unternehmen (vertikale Achse), Herfindahl-Indizes, 2019 hoch 1.8 250’000 NW Schweiz 1.6 Westschweiz 200’000 Unternehmenskonzentration 1.4 BS 1.2 1.0 150’000 UR OW 0.8 FR AI SH GL NE JU AR 100’000 0.6 BE GE SO LU BL VS 0.4 AG TI VD GR TG ZG 50’000 0.2 SG SZ ZH tief 0.0 3.0 3.5 4.0 4.5 5.0 5.5 6.0 6.5 0 ZG SH ZH SO SG AG VD AI JU BS NE GE FR NW AR OW LU UR VS BL BE GL SZ GR TG TI tief Branchenkonzentration hoch Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 10
(+4.9%), Jura (+5.2%), Freiburg (+5.4%) und Neuenburg (+10.9%) über dem Schweizer Mittel (+4.7%). Neuenburg ist nach Basel-Stadt der Schweizer Kanton mit der grössten Produktions- steigerung im Beobachtungszeitraum. Schlüsselfaktor Innovation Innovation ist ein Schlüsselfaktor für die nachhaltige Stärkung der Wertschöpfung und der Wett- bewerbsfähigkeit. Es gibt zahlreiche Instrumente und Programme zur Förderung der Innovations- fähigkeit von Unternehmen und zur Unterstützung des Wissens- und Technologietransfers zwi- schen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft in der Westschweiz. Die Region profitiert nicht zuletzt von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL), die wegen der Qualität ihrer Forschung regelmässig zu den besten Hochschulen der Welt gezählt wird. Die EPFL ist nicht nur am Genfersee präsent (Haupt-Campus in Lausanne und Biotech- Campus in Genf), sondern auch in periphereren Regionen mit Standorten in Freiburg (Smart Living Lab), Sion (auf dem Campus Energypolis) und Neuenburg (Microcity). Die Innovationskraft einer Region lässt sich nicht an einem einzigen Parameter festmachen. Gewisse Innovationsindikatoren liefern jedoch insgesamt ein recht positives Bild für die West- schweiz: Forschung und Entwicklung (F&E): Privatunternehmen der Genferseeregion (GE, VD, VS) gaben 2019 CHF 2.16 Mrd. für interne F&E aus, also 29% mehr als 2012 (Schweiz: +21%). Der Anteil der F&E-Branche an den Beschäftigten in der Westschweiz (ohne F&E- Beschäftigte in Unternehmen anderer Branchen) lag im Jahr 2019 mit 0.7% über dem Schweizer Mittel (0.6%). Besonders hoch ist der Anteil in der Region Gros-de-Vaud (2.5%), der Region Neuenburg (1.6%) und in den Regionen Lausanne und Nyon (beide 1.4%). Start-ups: Der Grossraum Zürich und die Westschweiz sind die beiden Start-up-Hotspots der Schweiz. Gemessen an der absoluten Zahl der ansässigen Start-ups rangiert der Kanton Waadt an zweiter Stelle hinter Zürich, gefolgt von Genf auf dem dritten Rang (vgl. Abb. 6). Auch bei der Start-up-Dichte (im Verhältnis zur Gesamtzahl an Unternehmen) liegt der Kan- ton Waadt, diesmal hinter Zug, an zweiter Stelle. Genf, Neuenburg, Freiburg und das Wallis rangieren hinsichtlich der Start-up-Dichte ebenfalls in den Top Ten der Kantone. Patente: Gemessen an den jährlich beim Europäischen Patentamt (EPA) eingereichten Pa- tentanmeldungen ist die Schweiz das Land mit den meisten Patenten pro Einwohner. Insge- samt wurden 2020/2021 beim EPA 16’567 Schweizer Patente angemeldet. 14% dieser Patente entfallen auf Unternehmen im Kanton Waadt, 9% auf Unternehmen im Kanton Genf und 8% auf Unternehmen im Kanton Neuenburg. 3% der Patente wurden von Unternehmen aus den anderen drei Westschweizer Kantonen angemeldet. Somit beträgt der Anteil der Westschweiz an den Patentanmeldungen 35% und damit zehn Prozentpunkte mehr als ihr Beschäftigungsanteil (vgl. Seite 7). Im Verhältnis zu den Beschäftigten ist die Patentdichte im Kanton Neuenburg besonders hoch und liegt auch in den Kantonen Waadt und Genf über dem Schweizer Mittel. Abb. 5: Steigende Produktivität in den meisten West- Abb. 6: Die Westschweiz, Land der Start-ups, angeführt schweizer Kantonen im letzten Jahrzehnt vom Kanton Waadt Bruttowertschöpfung in CHF pro Beschäftigten (in Vollzeitäquivalenten), Index 2011 = Auf der Plattform startup.ch eingetragene Start-ups (Stand 29.03.2022), in absoluten 100 Zahlen und im Verhältnis zur Anzahl Unternehmen (Arbeitsstätten, 2019), pro Kanton 112 Anzahl Startups pro 1000 Unternehmen FR GE JU >7 3–7 110 NE VD VS 2–3 Westschweiz Schweiz 1–2 0.5 – 1 108 < 0.5 106 104 102 100 Anzahl Startups 98 1 10 50 96 100 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 1’000 Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse; letzter Datenpunkt: 2019 Quelle: startup.ch, Bundesamt für Statistik, Credit Suisse, Geostat Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 11
Wie hat sich die Bei Redaktionsschluss dieser Studie waren die offiziellen Zahlen zur Entwicklung des Bruttoinland- Westschweizer produkts und der Unternehmens- und Beschäftigungsstruktur in den Westschweizer Kantonen für Wirtschaft während die Jahre nach 2019 noch nicht verfügbar. Aber die Auswirkungen der COVID-19-Krise und der der COVID-19-Krise darauffolgenden Erholung auf die Westschweizer Wirtschaft sind in anderen, aktuelleren Indikato- geschlagen? ren sichtbar – zum Beispiel in den Arbeitslosenzahlen (vgl. Kapitel «Arbeitsmarkt» auf Seite 17), den Exportzahlen oder den Eintragungen ins Handelsregister. Deutlicher Rückgang Die Folgen der Pandemie waren im Aussenhandel besonders deutlich spürbar: Die Exporte aus der Exporte aus der der Westschweiz gingen 2020 stark zurück, während sie in den meisten Westschweizer Kantonen Westschweiz 2020 in den Jahren vor der Krise stärker zugenommen hatten als im Schweizer Mittel (vgl. Abb. 7). Der (ausser im Wallis) Rückgang betrug im Kanton Neuenburg 12%, im Kanton Genf fast 20%, in den Kantonen Jura, Waadt und Freiburg 14 – 15% und in der Schweiz insgesamt durchschnittlich 4%. Das Wallis bil- det eine bemerkenswerte Ausnahme und gehört zu den wenigen Schweizer Kantonen, deren Ex- porte 2020 stiegen – um fast 5 %. Dieses Ergebnis unterstreicht die Rolle der Walliser chemisch- pharmazeutischen Industrie und ihrem Schwergewicht Lonza, das mit der US-amerikanischen Firma Moderna an der Produktion von Impfstoffen gegen COVID-19 und damit an der weltweiten Bekämpfung der Pandemie beteiligt ist. Weniger Konkurse Der Bund und die Kantone haben in den vergangenen zwei Jahren erhebliche Finanzmittel zur Un- 2020 und 2021, vor terstützung der von den Schutzmassnahmen gegen das Coronavirus besonders betroffenen Bran- allem dank chen und Unternehmen eingesetzt, unter anderem durch Kurzarbeitsentschädigungen und Härte- staatlichen fallmassnahmen. Letztere sind finanzielle Zuschüsse an Unternehmen, die durch die Pandemie Unterstützungs- hohe Umsatzeinbussen erlitten haben (vgl. Seite 15). Vor allem dank diesen massiven Hilfsmass- massnahmen nahmen waren die Auswirkungen von COVID-19 auf die Unternehmenslandschaft weniger nega- tiv, als zu Beginn der Krise im Frühling 2020 befürchtet wurde. Im Gegensatz zu früheren Krisen war 2020 und 2021 in der Schweiz und der Westschweiz kein deutlicher Anstieg der abgeschlos- senen Konkursverfahren zu beobachten – ganz im Gegenteil. Die Konkursquoten der letzten bei- den Jahre lagen in allen Westschweizer Kantonen (deutlich) unter denjenigen der Jahre 2018 – 2019 (vgl. Abb. 8). Allerdings lagen die Zahlen, wie generell vor der COVID-19-Krise, in allen Westschweizer Kantonen mit Ausnahme der Kantone Neuenburg und Wallis über dem Schweizer Mittel. Während die Konkurse in der gesamten Schweiz nach einem Rückgang 2020 im Jahr 2021 wieder leicht zunahmen, war eine derartige Trendumkehr in der Westschweiz – mit Aus- nahme der Kantone Waadt und Jura – (noch) nicht zu beobachten. Die neuesten Daten für das erste Quartal 2022 (in der Abbildung nicht enthalten) zeigen momentan auch keine Trendumkehr für die Westschweiz, während sich die leichte Zunahme der Konkurse auf gesamtschweizerischer Ebene bestätigt. Es bleibt abzuwarten, wie sich die vollständige Aufhebung der während der CO- VID-19-Krise ergriffenen Unterstützungsmassnahmen, aber auch der Krieg in der Ukraine in den kommenden Monaten auf die Unternehmensdemografie in der Westschweiz auswirken wird. Bei den Konkursen könnte sich ein gewisser Aufholeffekt ergeben. Kein Gründungsboom Unternehmensgründungen, gemessen an der Anzahl der Neueintragungen im Handelsregister, in der Westschweiz sind die andere Seite der Medaille. In der Westschweiz werden traditionell mehr Firmen gegründet als im Schweizer Mittel, vor allem in Genf und im Kanton Waadt, während der Kanton Jura hier Abb. 7: Das Wallis hat sich 2020 dank der Exporte Abb. 8: Bisher konnten sich die Westschweizer Unter- chemisch-pharmazeutischer Produkte gut gehalten nehmen in der COVID-19-Krise gut behaupten Warenexporte, durchschnittlicher jährlicher Anstieg 2016 – 2019 und 2020, in %, und Abgeschlossene Konkursverfahren (Summe über 12 Monate), in % des Unterneh- Wachstumsbeitrag nach Produktkategorien mensbestands zum Ende des Vorjahres 15% 1.6% 10% 2017 2018 2019 2020 2021 5% 1.4% 0% 1.2% -5% -10% 1.0% -15% -20% 0.8% FR VS Schweiz VS Schweiz FR JU VD JU VD GE NE NE GE 0.6% 2016-2019 2020 0.4% Westschweiz FR VS VD JU GE NE Schweiz Rest Maschinen Elektronik und Uhren Metalle und metallische Produkte Chemisch-pharmazeutische Produkte Lebensmittel Total Quelle: Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit, Credit Suisse Quelle: CRIF AG, Credit Suisse Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 12
eine Ausnahme bildet (vgl. Abb. 9). Nach einem starken Rückgang im zweiten Quartal 2020 wäh- rend des ersten Lockdowns stieg die Zahl der Unternehmensgründungen auf Schweizer Ebene ab dem Sommer 2020 deutlich und erreichte im Sommer 2021 einen im Vergleich zu den Jahren vor der Krise beispiellosen Spitzenwert. Die Zahlen sind seither wieder zurückgegangen, lagen aber im März 2022 noch immer über dem langfristigen Mittel. Die Entwicklung der Unternehmensgrün- dungen verlief in der Westschweiz jedoch etwas anders. Hier kann man nicht wirklich von einem Boom aufgrund von COVID-19 sprechen: Der Rückgang im Frühling 2020 fiel deutlicher aus als im Schweizer Mittel, vor allem in den Kantonen Waadt und Genf, und trotz der Erholung bleibt die Zahl in der gesamten Westschweiz derzeit unter den Werten vor der Krise. Nur im Wallis wurden 2021 gegenüber 2019 deutlich mehr Unternehmen ins Handelsregister eingetragen. Die Unternehmensbesteuerung als Faktor der Standortqualität Zu den vielen Faktoren, welche die Entscheidung eines Unternehmens beeinflussen, sich in ei- ner Region niederzulassen oder dort zu bleiben, gehört auch die Höhe der Steuerbelastung für juristische Personen. Diese hängt nicht nur von der individuellen Gewinn- und Kapitalsituation des jeweiligen Unternehmens ab,1 sondern auch von ihrem Standort, da die Steuersätze und Steuerfüsse von Kanton zu Kanton und in den meisten Kantonen auch von Gemeinde zu Ge- meinde variieren. Wir berechnen jährlich Steuerindizes für juristische Personen, welche die Ge- winn- und Kapitalsteuern auf Ebene Bund, Kanton, Gemeinde und Kirche in allen Gemeinden berücksichtigen und die Ergebnisse in aggregierter Form für eine Reihe von Beispielunterneh- men mit unterschiedlichem Reingewinn und steuerpflichtigem Kapital darstellen – die Indizes weisen im Schweizer Durchschnitt einen Wert von 100 auf (vgl. Abb. 10). Die neuen, im Zuge der Umsetzung des Projekts «Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF)» eingeführten Steu- erinstrumente, wie die Patentbox oder der zusätzliche Abzug für Forschung und Entwicklung, werden dabei nicht berücksichtigt, da die Anwendungsmöglichkeiten unternehmensspezifisch sind und somit unklar ist, wie viele Unternehmen überhaupt davon profitieren können. Gemäss den Ergebnissen für 2021 liegen die Steuerindizes für juristische Personen in der Mehrheit der Westschweizer Kantone unter dem Schweizer Durchschnitt, was eine im nationa- len Vergleich attraktive Unternehmensbesteuerung signalisiert. Im Fall des Wallis gilt dies vor allem für kleinere Unternehmen (gemessen an Kapital und Gewinnen). Es ist zu beachten, dass im Jahr 2022 in verschiedenen Kantonen, darunter den Westschweizer Kantonen Wallis und Jura, weitere Steuersenkungen infolge der Umsetzung der STAF stattfinden, was sich positiv auf ihre Position auswirken dürfte. Abb. 9: Nicht mehr Unternehmensgründungen als vor der Abb. 10: Unternehmensbesteuerung insgesamt attraktiv COVID-19-Krise in der Westschweiz Neueintragungen ins Handelsregister (Summe über 12 Monate), in % des Unterneh- Steuerbelastung für juristische Personen (Einkommens- und Kapitalsteuer), syntheti- mensbestands zum Ende des Vorjahres scher Index, 2021*, Schweiz = 100 10% 140 2017 2018 2019 2020 2021 Reingewinn zwischen CHF 80'000 und 1'040'000, Kapital CHF 2 Mio. 130 Reingewinn zwischen CHF 80'000 und 480'000, Kapital CHF 200'000 9% Schweizer Mittel 120 8% 110 7% 100 90 6% 80 5% 70 Westschweiz VS FR VD JU GE NE Schweiz 60 ZG AI TG SH SO AG TI ZH NW OW LU VD SG JU AR BS SZ UR GL NE FR GE GR VS BL BE Quelle: CRIF AG, Credit Suisse Quelle: TaxWare, Credit Suisse; * Stand: 29. Juli 2021 1 Die steuerliche Behandlung hängt von den individuellen Umständen des einzelnen Kunden ab und kann sich im Laufe der Zeit ändern. Dieses Dokument beinhaltet keine steuerliche Beratung jeglicher Art. Steuerbezogene allgemeine Infor- mationen, die in diesen Unterlagen enthalten sind, sind kein Ersatz für eine umfassende persönliche Steuerberatung. Ziehen Sie einen professionellen Steuerberater zu Rate, wenn Sie dies als notwendig erachten. Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 13
In den nächsten Jahren stehen mit der Umsetzung der von der OECD geplanten Reform der globalen Unternehmensbesteuerung in der Schweiz neue Bewegungen an. Ein Teil dieser Re- form sieht einen Mindeststeuersatz von 15% (auf Basis einer einheitlichen Steuerbemessungs- grundlage) für international tätige Unternehmen mit einem Jahresumsatz ab 750 Mio. EUR vor. Der Bundesrat plant eine Umsetzung in der Schweiz ab dem 1. Januar 2024. Unternehmen, die nur in der Schweiz tätig sind, und KMU, d.h. die Mehrheit der Unternehmen, sind von der Reform nicht betroffen. Der Steuerwettbewerb zwischen Ländern und Kantonen wird sich je- doch für die von den neuen Regeln betroffenen Unternehmen abschwächen. Ein weiterer Teil der Reform betrifft multinationale Unternehmen mit einem Umsatz über 20 Mrd. EUR und einer Gewinnmarge von mehr als 10%. Es ist vorgesehen, dass ein Teil der Gewinne dieser Unter- nehmen künftig in den Ländern besteuert wird, in denen sie erwirtschaftet werden (Marktlän- der), unabhängig von einer physischen Präsenz des Unternehmens in diesen Ländern. Die Ein- zelheiten der Umsetzung dieses Teils der Reform sind noch nicht festgelegt. Der Bundesrat schätzt, dass weniger als fünf Schweizer Unternehmen davon betroffen wären. Der Nestlé- Konzern mit Sitz in Vevey im Kanton Waadt gehört wahrscheinlich dazu. Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 14
Staatliche Unterstützungsmassnahmen in der COVID-19-Pandemie Wallis greift tief in die Tasche Kurzarbeitsentschädigungen Abb. 1: Kurzarbeit im Frühjahr 2020 rege genutzt Anzahl Arbeitnehmende in Kurzarbeit im Verhältnis zur Anzahl der Beschäftigten 2019, nach Kanton; KOF Stringency Index (rechte Achse) für die Schweiz (monatliche Durchschnitte), von 0 (= keine Massnahmen) bis 100 (= vollständiger Lockdown) Stringency Index FR VD VS NE GE JU Westschweiz Schweiz Zur Krisenbewältigung hat der Bund den Zugang zur Kurzar- 50% 100 beit für betroffene Unternehmen ausgeweitet und verein- 45% 90 facht. Im März 2020 explodierte die Zahl der Arbeitnehmen- 40% 80 den in Kurzarbeit regelrecht und erreichte im folgenden 35% 70 Monat in allen Westschweizer Kantonen ihren Höhepunkt. In 30% 60 25% 50 beschäftigungsreichen Kantonen wie Waadt und Genf 20% 40 erhielten im April 2020 rund 133’000 bzw. 102’000 Arbeit- 15% 30 nehmende Kurzarbeitsentschädigungen. Im Verhältnis zur 10% 20 Gesamtbeschäftigung war schweizweit rund jeder vierte 5% 10 Arbeitnehmende in Kurzarbeit. In der Westschweiz lag der 0% 0 Anteil bei 30%, im Kanton Neuenburg gar bei 42%. Trotz 01.2019 03.2019 05.2019 07.2019 09.2019 11.2019 01.2020 03.2020 05.2020 07.2020 09.2020 11.2020 01.2021 03.2021 05.2021 07.2021 09.2021 11.2021 01.2022 erneuten Eindämmungsmassnahmen ab dem Herbst 2020 ist dieses Niveau seither nicht mehr erreicht worden. Quelle: Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bundesamt für Statistik, Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF), Credit Suisse; letzter Datenpunkt: Januar 2022 A-fonds-perdu-Beiträge und rückzahlbare Direktzahlungen Abb. 2: Regionale Unterschiede bei Härtefallgeldern Verhältnis der A-fonds-perdu-Beiträge sowie Darlehen, Bürgschaften und Garantien (Volumen)* zum Bruttoinlandprodukt (BIP) 2019, in % Im Vergleich zur Kurzarbeitsentschädigung, wo die Zugangs- A-fonds-perdu-Beiträge Darlehen, Bürgschaften, Garantien 1.4% kriterien schweizweit einheitlich sind, haben die Kantone bei der Vergabe der ordentlichen Härtefallgelder gewissen Er- 1.2% messensspielraum. Die finanzielle Beteiligung des Bundes 1.0% ist zwar an gewisse Kriterien gebunden, die Umsetzung ob- 0.8% liegt allerdings den Kantonen. Die Gelder können die Kan- 0.6% tone entweder als nicht rückzahlbare A-fonds-perdu-Bei- 0.4% träge (Afp-Beiträge) oder als rückzahlbare Darlehen, Bürg- 0.2% schaften und Garantien vergeben, wobei Letztere eher sel- 0.0% ten zur Anwendung kamen. Setzt man das Volumen der GR SZ LU GL UR BE TG FR BL BS JU AR Westschweiz Schweiz NW OW TI AI VS ZH GE VD ZG AG NE SO SG SH Härtefallgelder ins Verhältnis zum BIP, dann hatten die Westschweizer Kantone bei der Vergabe von Härtefallhilfen leicht überdurchschnittliche Ausgaben. Dabei griffen beson- ders das Wallis und Genf tief in die Tasche. * Härtefallgelder zwischen März 2020 und März 2022. Im Februar 2022 wurde das Härtefallpro- gramm nochmals bis Mitte 2022 verlängert. Quelle: Staatssekretariat für Wirtschaft SECO (EasyGov), Credit Suisse Branchenschwerpunkte Abb. 3: 70% der Afp-Beiträge im Wallis für Gastgewerbe Verteilung der A-fonds-perdu-Beiträge (Volumen)* nach Kanton und Branche, in % Die regionalen Unterschiede bei der Vergabe von Härtefall- Gastronomie Beherbergung Detailhandel Übrige Branchen 100% geldern dürften mitunter auch mit verschiedenen Branchen- 90% schwerpunkten erklärbar sein. Das durch die Schutzmass- 80% nahmen stark eingeschränkte Gastgewerbe ist z.B. im Wallis 70% 12% 14% übervertreten (vgl. S. 49). Deshalb überrascht es kaum, 60% 28% 25% 24% 16% 25% 13% 12% 29% 50% 23% 20% dass rund 70% der Afp-Beiträge im Wallis an Unternehmen 22% 13% 33% 38% 19% 12% 30% 21% 27% 40% 26% 17% des Gastgewerbes ausbezahlt wurden. Aber auch innerhalb NW 15% 29% 57% 30% 13% 52% 43% 43% 43% 43% einer Branche kann es zu regionalen Unterschieden kom- 42% 42% 42% 39% 38% 37% 37% 37% 37% 36% 20% 35% 34% 34% 34% 30% 29% 26% 26% 26% 21% men: Obwohl die Tourismusbranche in Bergkantonen wie 10% 0% dem Wallis stark unter den angeordneten Einschränkungen VS FR BL BS LU SO VD AI ZH ZG SG AR BE SZ TI SH JU TG AG Westschweiz Schweiz OW GR GE NE GL UR litt, war der Rückgang bei den Logiernächten im Vergleich zu städtischen Kantonen wie Genf weniger ausgeprägt (vgl. Kapitel «Tourismus»). * Härtefallgelder zwischen März 2020 und März 2022 Quelle: Staatssekretariat für Wirtschaft SECO (EasyGov), Credit Suisse Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 15
Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 16
Arbeitsmarkt Fachkräftemangel: Westschweiz weniger stark betroffen Die Arbeitslosigkeit liegt wieder auf Vorkrisenniveau, und noch nie gab es so viele offene Stellen wie zu Beginn des Jahres 2022. Wie überall in der Schweiz haben auch die Westschweizer Unternehmen Rekrutierungsschwierigkeiten. Allerdings scheinen diese weniger ausgeprägt als in anderen Schweizer Regionen. Dies lässt sich mit (demografischen) Besonderheiten des Westschweizer Arbeitsmarkts erklären. Rückläufige Vor allem dank massivem Einsatz der Kurzarbeit (vgl. Seite 15) hat der Westschweizer Arbeits- Arbeitslosigkeit markt die COVID-19-Krise gut überstanden. Die Arbeitslosigkeit war zwar 2020 infolge der Mass- einerseits … nahmen zur Eindämmung des Virus stark gestiegen, ging aber 2021 schnell zurück. Anfang 2022 lag die Anzahl der bei einem regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) gemeldeten Arbeitslo- sen in den Westschweizer Kantonen (mit Ausnahme vom Jura und, in geringerem Ausmass, Genf) unter dem Vorkrisenniveau (vgl. Abb. 1). Im ersten Quartal wurden in Westschweiz durchschnitt- lich 40’300 Arbeitslose gezählt, 2019 waren es im gleichen Zeitraum noch 41’800 gewesen. ... und mehr offene Die Erholung zeigt sich auch in der Entwicklung der offenen Stellen (vgl. Abb. 2). Nach einem Stellen andererseits Rückgang um knapp 20% im zweiten Quartal 2020 und einer zunächst sehr allmählichen Erho- lung stieg die Anzahl der bei Westschweizer Unternehmen zu besetzenden Stellen zwischen Feb- ruar 2021 und Februar 2022 um knapp 50%. Sie lag damit im Februar 2022 so hoch wie noch nie. Laut Jobradar der Firma x28, das auf den Webseiten von Firmen und Personalvermittlern ver- öffentlichte Stellenanzeigen zählt, gab es im Februar 2022 in der Westschweiz fast 30’000 offene Stellen, gegenüber rund 21’800 unmittelbar vor der Pandemie im Februar 2020 (+38%). Den stärksten Anstieg gegenüber dem Vorkrisenniveau verzeichnete das Wallis (+54%). Zu den Bran- chen und Unternehmen mit den meisten offenen Stellen Anfang 2022 zählen das im Kanton stark vertretene Gastgewerbe sowie die Chemie- und Pharmabranche, vor allem die Lonza AG in Visp. Die Folge: grössere Das Verhältnis von offenen Stellen zu Arbeitslosen (die Arbeitsmarktanspannung) liefert Hinweise Probleme der auf die Rekrutierungsschwierigkeiten der Arbeitgebenden und auf den Fachkräftemangel in einer Unternehmen bei der Region. Mit der explosionsartigen Zunahme der offenen Stellen und der deutlich gesunkenen Ar- Personalrekrutierung beitslosigkeit hat diese Kennzahl Anfang 2022 in der Westschweiz ein nie da gewesenes Niveau erreicht und lag sogar über dem bisherigen Spitzenwert von 2019. Allerdings bestehen zwischen den Kantonen erhebliche Unterschiede sowohl bei der Entwicklung als auch beim Ausmass der Arbeitsmarktanspannung. Im Vergleich zu 2019 hat sie zwar in allen sechs Kantonen zugenom- men, die Steigerung fiel jedoch im Jura eher moderat und im Wallis deutlicher aus. Das Wallis ist Abb. 1: Arbeitslosigkeit fast überall wieder auf Abb. 2: Offene Stellen Anfang 2022 auf Rekordniveau dem Niveau vor der COVID-19-Krise Registrierte Arbeitslose, Quartalsdurchschnitt, Index 1. Quartal 2019 = 100 Offene Stellen laut Jobradar der Firma x28 180 35’000 FR GE JU NE VD VS Westschweiz Schweiz VD GE VS FR NE JU Westschweiz 160 30’000 25’000 140 20’000 120 15’000 100 10’000 80 5’000 60 0 1Q.2019 2Q.2019 3Q.2019 4Q.2019 1Q.2020 2Q.2020 3Q.2020 4Q.2020 1Q.2021 2Q.2021 3Q.2021 4Q.2021 1Q.2022 08.2019 11.2019 02.2020 05.2020 08.2020 11.2020 02.2021 05.2021 08.2021 11.2021 02.2022 Quelle: Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Credit Suisse; letzter Datenpunkt: März 2022 Quelle: x28 AG, Credit Suisse; letzter Datenpunkt: Februar 2022 Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 17
auch der Westschweizer Kanton, in dem das Verhältnis von offenen Stellen zu Arbeitslosen im Februar 2022 am höchsten war, gefolgt von Neuenburg. In Genf ist es am geringsten. Eine Um- frage des Bundesamts für Statistik (BFS) widerspiegelt auch die zunehmenden Rekrutierungs- schwierigkeiten in der Westschweiz: Im vierten Quartal 2021 erklärten 31% der Unternehmen in der Genferseeregion (GE, VD, VS) und 35% in der Region Mittelland (FR, NE, JU, BE, SO), sie hätten Probleme gehabt, qualifizierte Mitarbeitende zu finden (oder hätten keine gefunden). 2019 lagen diese Werte bei durchschnittlich 28% bzw. 32% und 2020 bei 24% bzw. 28%. Anteil der betroffenen Trotz des jüngst beobachteten Anstiegs scheinen die Rekrutierungsschwierigkeiten in der West- Unternehmen in der schweiz weniger ausgeprägt als in anderen Landesteilen. Der Anteil der Unternehmen, die Mühe Westschweiz bei der Gewinnung von qualifiziertem Personal haben, betrug Ende 2021 schweizweit durch- niedriger als in der schnittlich 36%, mit Spitzenwerten von 43% in der Zentral- und der Nordwestschweiz und über Deutschschweiz 39% in der Ostschweiz. Diese Werte liegen über denen der Westschweiz. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Arbeitsmarktanspannung, wo im Februar 2022 die Ost- und die Zentralschweiz die höchsten Werte erreichten. Die Ergebnisse unserer jüngsten KMU-Umfrage zum Thema Perso- nalentwicklung2 deuten auch darauf hin, dass die Westschweiz vom Fachkräftemangel weniger stark betroffen ist (vgl. Abb. 3): Über 62% der Westschweizer KMU, die in den letzten drei Jahren Personal rekrutiert oder dies versucht haben, geben an, die Suche nach Kandidaten für die freien Stellen sei eher (38%) oder gar sehr schwierig (25%) gewesen. Für die ganze Schweiz liegt die- ser Anteil bei 66%, in der Ost- und Nordwestschweiz sogar bei über 75%. In der Westschweiz sticht allerdings das Wallis mit einem Anteil von 78% heraus. Rund 36% der Westschweizer KMU sind der Meinung, dass die Personalgewinnung in den kommenden drei Jahren noch komplizierter werden wird. In der gesamten Schweiz liegt dieser Anteil bei über 50%. Demografie wirkt sich Zahlreiche Faktoren, darunter die Branchenstruktur, liefern eine Erklärung für die regionalen Un- in den Westschweizer terschiede beim Fachkräftemangel (z.B. viel Gastgewerbe im Wallis, in dem der Personalmangel Kantonen weniger sich infolge von COVID-19 verschärft hat). Auch die Lage spielt eine Rolle (z.B. Stadt-Land- negativ auf den Kluft). Durch ihre Lage an der Grenze können die meisten Westschweizer Kantone leichter auf ein Arbeitsmarkt aus Reservoir an Beschäftigten aus dem grenznahen Ausland zurückgreifen. Die Region rund um den Genfersee zeichnet sich zudem durch ein relativ hohes Ausbildungsniveau der Arbeitskräfte aus, was die Personalsuche für hoch qualifizierte Stellen potenziell vereinfacht (vgl. Seite 19). Auch die Bevölkerungsstruktur mit der eher jüngeren Bevölkerung bietet eine weitere Erklärung für den in der Westschweiz weniger stark ausgeprägten Fachkräftemangel (vgl. Kapitel «Bevölkerung und Migration» auf Seite 33). Insgesamt wird die Anzahl der Personen, die in Rente gehen und des- halb aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, in der Schweiz bald die Anzahl junger Menschen über- steigen, die neu ins Berufsleben eintreten. In der Westschweiz dürfte dieses Phänomen ausblei- ben, auch wenn der Saldo aus Ein- und Austritten in den kommenden Jahren deutlich sinken dürfte (vgl. Abb. 4). Laut unserer Umfrage sind rund ein Drittel der Westschweizer KMU (eher) der Meinung, dass der Renteneintritt der Babyboomer zu mehr offenen Stellen führen wird, die schwer zu besetzen sein werden. In der Region Zürich sind 45% der KMU dieser Ansicht. Abb. 3: Rekrutierungsschwierigkeiten in der Westschweiz Abb. 4: Pensionierungswelle wirkt sich in der West- weniger ausgeprägt als in anderen Landesteilen schweiz weniger stark aus Anteil Antworten auf die Frage, inwiefern es in den letzten drei Jahren schwierig war, Anzahl Erwerbspersonen (Schätzungen Credit Suisse); Pensionierung = Erreichen des offene Stellen mit geeigneten Kandidaten zu besetzen (nur Unternehmen, die Mitarbei- ordentlichen AHV-Rentenalters (64 Jahre für Frauen, 65 Jahre für Männer) tende rekrutierten bzw. zu rekrutieren versucht haben), nach Region, in % Sehr einfach Eher einfach Keine Antwort / Weiss nicht Eher schwierig Sehr schwierig Saldo Westschweiz Saldo Schweiz (rechte Achse) 100% 90% 21% 21% Austritte aus dem Arbeitsmarkt wegen Pensionierung (Westschweiz) 28% 24% 25% 26% 25% 27% 80% Eintritte 20-25-Jährige in den Arbeitsmarkt (Westschweiz) 70% 19% 25’000 100’000 60% 38% 29% 53% 41% 39% 50% 49% 51% 20’000 80’000 40% 30% 32% 58% 20% 27% 30% 15’000 60’000 24% 20% 28% 10% 14% 0% 10’000 40’000 Bern und Solothurn Zürich Tessin Ostschweiz Zentralschweiz Nordwestschweiz Schweiz Westschweiz 5’000 20’000 0 0 -5’000 -20’000 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 Quelle: KMU-Umfrage 2021/2022 der Credit Suisse Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse 2 Vgl. Credit Suisse (2022), Schweizer KMU-Wirtschaft 2022 – Personalentwicklung in Zeiten des Fachkräftemangels Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 18
Arbeitsmarkt Westschweizer Merkmale Arbeitsplatzdichte Abb. 1: Rund 71 Arbeitsplätze pro 100 Einwohner Anzahl Arbeitsplätze (Vollzeitäquivalente) pro 100 Einwohner im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre), Kantone und ausgewählte Wirtschaftsregionen, 2019 Die Arbeitsplatzdichte, d.h. die Anzahl Arbeitsplätze pro 140 Durchschnitt Schweiz 100 Einwohner im erwerbsfähigen Alter, betrug in der 120 Durchschnitt Westschweiz Westschweiz 2019 rund 71. Damit entsprach sie fast dem 100 Schweizer Durchschnitt (73). Diese Kennzahl schwankt je- 80 doch von Kanton zu Kanton stark, manchmal selbst inner- 60 halb eines Kantons wie zum Beispiel im Kanton Freiburg. Die Regionen Glâne/Veveyse oder Sense zählen zwar zu 40 den Schweizer Regionen mit der geringsten Arbeitsplatz- 20 dichte, aber die Region La Sarine liegt praktisch im 0 Schweizer Durchschnitt. In urbanen Zentren wie Genf und ZG SG VD AG La Vallée La Broye Visp JU LU AI Sense Glâne/Veveyse BS GE Lausanne GR VS UR AR FR ZH NE BE OW SH NW GL BL SO SZ TG TI Lausanne, aber auch in Industrieregionen wie La Vallée oder Visp, ist die Arbeitsplatzdichte am höchsten. Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse Verfügbarkeit hoch qualifizierter Fachkräfte Abb. 2: Hohes Bildungsniveau in der Genferseeregion Anteil Personen (Einwohner, Zupendler sowie Grenzgänger) zwischen 25 und 64 Jahren mit einem Bildungsabschluss auf Tertiärstufe, 2015 – 2019, in % Das Bildungsniveau der Fachkräfte ist in den letzten 48% – 58% 44% – 48% 20 Jahren stark gestiegen. Im Durchschnitt über die ge- Schaffhausen 40% – 44% 36% – 40% Basel Frauenfeld samte Westschweiz liegt der Anteil der Personen (inkl. Zu- 32% – 36% 28% – 32% Delémont Liestal Aarau Zürich Herisau St.Gallen Appenzell pendler und Grenzgänger) mit höherer Berufsausbildung 24% – 28% 22% – 24% Solothurn Zug oder einem Abschluss einer Hochschule mit 40% im Lan- Neuchâtel Luzern Schwyz Glarus desmittel. Die Westschweiz profitiert von zahlreichen Bil- Bern Stans Sarnen Altdorf Chur Fribourg dungseinrichtungen der Tertiärstufe, davon einige mit in- ternationalem Renommee, vor allem die EPFL, die Univer- Lausanne sitäten oder die Fachhochschule Westschweiz. Zwischen Genève Sion den Regionen bestehen allerdings grosse Unterschiede. In Bellinzona der Genferseeregion stehen besonders viele hoch qualifi- zierte Fachkräfte zur Verfügung. Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse, Geostat Grenzgänger Abb. 3: Ein Personalreservoir jenseits der Grenzen Grenzgänger pro Kanton, in % der Gesamtbeschäftigten 2019; Zunahme zwischen Ende 2019 und Ende 2021, in Anzahl Personen (Balken) Ende 2019 waren 12% der Arbeitsplätze in der West- Anteil Grenzgänger > 20% schweiz durch Grenzgänger besetzt (Schweiz: 6%). Der 12% – 20% 5.4% – 12% Schaffhausen Frauenfeld Anteil schwankte zwischen knapp 1% in Freiburg und fast 1.8% – 5.4% 1.1% – 1.8% Basel Liestal Aarau Zürich Herisau St.Gallen 25% in Genf, dazwischen liegen das Wallis (2%), die 0.6% – 1.1% Delémont Appenzell 0% – 0.6% Solothurn Waadt (7%), Neuenburg (12%) und der Jura (fast 20%). Zug Luzern Glarus Schwyz Einzig im Tessin liegt er mit 30% noch höher als in Genf. Neuchâtel Bern Stans Sarnen Altdorf Chur Absolut gesehen sind allerdings in Genf die meisten Grenz- Fribourg gänger beschäftigt: Im vierten Quartal 2021 waren es rund Lausanne 96’500 – fast 6000 mehr als Ende 2019 (+6.6%). Die Pandemie hat die Zunahme der Anzahl Grenzgänger Genève Sion Bellinzona (+6.4% zwischen Ende 2019 und Ende 2021) also nicht Wachstum 2019-2021 3’000 gebremst – vor allem in der Westschweiz (+8.6%). Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse, Geostat Credit Suisse | Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume Westschweiz 2022 19
Sie können auch lesen