Warum gründen Deutschlands Forscher:innen nicht? - Zur Psychologie des Gründens "Im Detail ist mir noch ein Fehler aufgefallen "
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Warum gründen Deutschlands Forscher:innen nicht? Zur Psychologie des Gründens „Im Detail ist mir noch ein Fehler aufgefallen… “ Wissenschaftler:in „Wir machen das jetzt!“ Gründer:in Forschungsergebnisse Handlungsempfehlungen Best Practices
Warum gründen Deutschlands Forscher:innen nicht? Zur Psychologie des Gründens Über die Joachim Herz Stiftung Forschungsergebnisse Die gemeinnützige Joachim Herz Stiftung arbeitet überwiegend operativ und ist vorrangig in den Themenfeldern Naturwissenschaf- Handlungsempfehlungen ten, Wirtschaft sowie Persönlichkeitsbildung tätig. In diesen drei Bereichen werden auch kleine, innovative Projekte Dritter geför- Best Practices dert. Seit 2017 unterstützt die Stiftung zudem Forschungsprojekte in den Themenfeldern Medizin, Recht und Ingenieurwissenschaf- ten. Die Joachim Herz Stiftung wurde 2008 errichtet und gehört zu den großen deutschen Stiftungen.
Inhalt 4 Editorial 6 Innovationsweltmeister Deutschland? 02 Praxis Über die Relevanz von mehr Entrepreneurship aus der Wissenschaft Gründungsförderung – Erfahrungen und Vorbilder 12 Gründungen aus der Wissenschaft: Katalysatoren des Forschungstransfers Gastbeitrag von Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas, Staatssekretär, Bundesministerium für Bildung und Forschung 15 Deutschlands Universitäten und Forschungseinrichtungen haben nach wie vor viel ungenutztes Potenzial Gastbeitrag Dr. Ulrich Nussbaum, Staatssekretär, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 01 Forschung Wissenschaftlich analysiert: die Psychologie des Gründens 36 Wir tragen kein Wasser in den Fluss. Teams müssen sich selbstständig formen. Im Gespräch mit Florian Abendschein, Gründungsberater an der Technischen Universität München 38 Strategie und Zufall Internationale Best Practices – Erfolgsfaktoren für Gründungen aus der Wissenschaft 42 Es braucht den Biss, etwas schaffen zu wollen Interview mit Dr. Jan Blochwitz-Nimoth, Mitgründer der Tech-Unternehmen Novaled und Arioso Systems aus Dresden 44 Manchmal muss es ein Alleingang sein Unternehmensporträt Vincent Systems 18 Ein neuer Ansatz in der Gründungsforschung 46 Wir hatten ursprünglich nicht vor zu gründen Unternehmensporträt Celonis 20 Das Forschungsteam 48 Macht euch nicht klein! 22 Methodisches Vorgehen Interview mit Dr. Miriam Haerst, Gründerin von Kumovis Vier verschiedene Studienansätze 50 Die Technologie muss nicht vom Gründer kommen 24 Die unterschätzte Psychologie in Gründungsteams Unternehmensporträt bentekk Neue Studienerkenntnisse: Wie man Scheitern verhindern kann 29 Teamprozesse sind für den Erfolg entscheidend Interview mit Prof. Dr. Breugst und Prof. Dr. Dr. Patzelt 52 Publikationsverzeichnis zum Forschungsprojekt 53 Impressum 54 Auf einen Blick Empfehlungen für Hochschulen und Politik zur Gründungsförderung 2 3
Editorial Hier gilt es nicht nur, ein leistungsfähiges Team zusammenzuhalten, sondern auch Investoren, den Markt und eine anspruchsvolle Bürokratie in Form der medizinischen Zulassungsbehörden zu überzeugen. Dafür braucht man Durchsetzungskraft, Ausdauer und starke Nerven. Die persönliche mentale Konstitution – also die Psyche – spielt somit eine wesentliche Rolle in einem solchen Prozess. Als eine der großen deutschen Stiftungen, die Wissenschaft und Forschung fördert, ist für uns die Gründungsforschung gerade mit dem Fokus Ausgrün- dung aus der Wissenschaft ein wichtiges Anliegen. Sie passt zu unserem unternehmerischen Selbstverständnis, denn wir wollen mit unserer Förderung talentierte, leistungsbereite Menschen dabei unterstützen, ein selbstbe stimmtes Leben zu führen und gesellschaftliche Prozesse verantwortungs bewusst mitzugestalten. Visionäre Gründerinnen und Gründer bringen nicht nur eine Geschäftsidee voran, sondern sie sind auch lebendiger und gestal tender Teil einer freien Gesellschaft. Dr. Nina Lemmens und Dr. Henneke Lütgerath Die vorliegende Studie des Entrepreneurship Research Institute der Techni Wir haben in Deutschland ein erfolgreiches Bildungssystem sowie schen Universität München haben wir gern unterstützt. Denn wir möchten die etablierte Wissenschaftsstandorte und Fördermöglichkeiten für Gründer bestehenden psychischen Hürden besser verstehen, die sich bei Gründungen und Gründerinnen. Dennoch gründen viel zu wenige unserer hervor aus der Wissenschaft immer wieder zeigen. Die Studie liefert dazu wichtige ragenden Forscherinnen und Forscher – oder sie geben zu früh auf. Erkenntnisse und Vorschläge für Lösungen. Woran liegt das? Am Mindset? An mangelnder Risikobereitschaft? Wie können wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Mut Wir sind daher voller Neugier und Erwartung auf die praktischen Konsequen- machen, mehr zu wagen? zen der Studie für die Arbeit der Gründungsberatungen und Inkubatoren an den Hochschulen in Deutschland. Es wäre ein großer Erfolg, wenn wir später Gerade Ausgründungen aus der Wissenschaft haben das Potenzial, entschei- zurückblicken und sagen könnten: Dieses Forschungsprojekt hat einen Grund- dende Innovationen in Produkte zu transformieren, die Fortschritt bringen stein dafür gelegt, dass mehr erstklassige Wissenschaftlerinnen und Wissen- und Lebensqualität verbessern, die sogar Leben retten können. Im Zusam- schaftler das Gründen für sich entdeckt haben. menhang mit der Covid-Pandemie erleben wir das aktuell bei der Impfstoff- entwicklung. In vorbildlicher Weise hat etwa die Firma BioNTech aus Mainz einen Impfstoff gegen COVID-19 sehr schnell und gleichwohl qualitätsgeprüft auf den Markt gebracht. An diesem Beispiel werden aber auch die Risiken, Dr. Henneke Lütgerath Dr. Nina Lemmens der hohe Kapitalbedarf, Zeit- und Erfolgsdruck sowie die persönlichen Kraft- Vorstandsvorsitzender Vorstand anstrengungen, die mit einer solchen Gründung verbunden sind, deutlich. der Joachim Herz Stiftung der Joachim Herz Stiftung 4 5
Ausgangslage Innovationsweltmeister Deutschland? Innovationsweltmeister Tabelle 1: Innovationsfähigkeit im Wettbewerbsbericht des Weltwirtschaftsforums Deutschland? Ranking 1. Land Deutschland Score 86,8 Über die Relevanz von mehr Entrepreneurship aus der Wissenschaft 2. USA 84,1 3. Schweiz 81,2 Innovative Gründer:innen schaffen In der Wahrnehmung unserer Nachbarländer sind wir Deutschen eher risikoscheu, das entspricht auch unserem 4. Taiwan 80,2 nicht nur Wohlstand und Arbeits Selbstbild: Wir sichern uns gern ab und rechnen eher mit 5. Schweden 79,1 plätze, sie lösen auch gesellschaftliche dem Schlimmsten. Tüftler sind wir, Forscher, akkurate Inge- nieure, Denker, aber eben nicht die Schnellsten bei der Über- 6. Südkorea 79,1 Herausforderungen. Doch Deutsch- führung neuer Gründungsideen in Produkte und Dienstleis- tungen. 7. Japan 78,3 land ist wenig gründungsfreudig – 8. Großbritannien 78,2 was muss passieren, damit mehr Wis- Wer ein Unternehmen gründet, gerade als junger Mensch und auf Basis einer neuen, kaum erprobten Technologie, 9. Frankreich 77,2 senschaftlerinnen und Wissenschaftler braucht jede Menge Mut. Gründer:innen aus der Wissen- schaft müssen sich zutrauen, schnelles Wachstum zu organi- 10. Niederlande 76,3 erfolgreich Unternehmen aufbauen sieren und viel Geld in die Hand zu nehmen, um die eigene … können? Idee marktfähig zu machen, bevor ein Wettbewerber ihnen zuvorkommt. Keine Angst vor dem Scheitern gehört auch 24. China 64,8 dazu. Wie schaffen wir es also, mutiger und ein Land der Gründer zu werden? Quelle: WEF (2019) Ein Blick auf die Zahlen wirkt zunächst beruhigend: Deutsch- land ist weltweit einer der Topstandorte für Spitzenforschung. Im globalen Wettbewerbsbericht 2019 des Weltwirtschafts forums (WEF 2019), der 144 Volkswirtschaften vergleicht, Tabelle 2: liegt Deutschland bei der Innovationsfähigkeit nach wie vor Kennzahlen für Innovationsfähigkeit auf dem ersten Platz (vgl. Tabelle 1). Ranking F&E-Investitionen Patentanmeldungen Fachpublikationen Die Bewertung der Innovationsfähigkeit eines Landes ergibt anteilig am BIP pro 1 Million Einwohner nach h-Index* sich aus der Summe der Rankings in zehn verschiedenen Ka- 1. Israel 4,95 % Südkorea 3148 USA 2386 tegorien. Ausschlaggebend für die Bewertung Deutschlands sind die hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung 2. Südkorea 4,81 % Japan 2005 Großbritannien 1487 (F&E), die Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen und die hohe Zahl der angemeldeten Patente (vgl. Tabelle 2). 3. Schweiz 3,37 % Schweiz 1081 Deutschland 1298 4. Schweden 3,34 % China 1001 Kanada 1193 Interessant ist, dass die zweitplatzierten USA bei F&E-Inves- titionen anteilig am BIP und Patentanmeldungen pro eine 5. Japan 3,26 % Deutschland 884 Frankreich 1180 Million Einwohner hinter Deutschland zurückbleiben. China belegt überraschend im Innovationsindex nur Platz 24. Das 6. Österreich 3,17 % USA 871 Japan 1036 liegt nach diesem Index an niedrigeren F&E-Investitionen an- teilig am BIP und einer niedrigeren Bewertung der Fachpub- 7. Deutschland 3,09 % Dänemark 629 Niederlande 1032 likationen. Obwohl Deutschland nicht bei allen Kennzahlen 8. Dänemark 3,06 % Schweden 578 Italien 1030 den ersten Platz belegt, erreicht es in der Summe der hohen Platzierungen die beste Gesamtbewertung. 9. USA 2,84 % Finnland 564 Australien 1001 Die hohe Bewertung der deutschen Innovationsfähigkeit 10. Belgien 2,82 % Niederlande 537 Schweiz 993 sagt jedoch nichts über Qualität und Aktivität des Grün- dungsgeschehens aus – und das ist vergleichsweise gering. * Der h-Index zeigt an, wie viele wissenschaftliche Arbeiten im Zeitraum von 1996 bis 2018 in einem Land mindestens h-mal zitiert wurden. Laut Global Entrepreneurship Monitor (GERA 2020) waren Es fließen sowohl die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen als auch die Anzahl der Zitate pro Publikation ein. nur 7,6 % aller erwerbsfähigen Personen in Deutschland zwi- schen 2016 und 2019 an einer Gründung beteiligt. uelle: UNESCO Institute of Statistics (2019), SCImago (n.d.), WIPO (2019) Q 6 7
Ausgangslage Innovationsweltmeister Deutschland? Im Vergleich zu Nordamerika, aber auch zu anderen euro- Auch die Hochschulen haben das Thema längst institutio Grafik 1: päischen Ländern ist das wenig (vgl. Grafik 1). Gerade Aus- nalisiert und tragen teils maßgeblich zum Gründungsge Gründungsrate (TEA-Quote) 2019 in Prozent gründungen aus der Wissenschaft, die neue Technologien schehen in Deutschland bei. 2017 zählte der Gründungsradar und Forschungsergebnisse in ein marktfähiges Produkt um- des Deutschen Stifterverbandes 1.776 Ausgründungen und 18,2 17,4 15,4 14,9 12,7 10,4 9,8 9,3 8,3 7,6 5,4 25 setzen, sind selten. 3.580 Veranstaltungen, die Studierende und Forschende für Gründungen sensibilisieren. Zudem ist die Entrepreneurship- 20 Für den Standort Deutschland könnte das zum Risiko wer- Förderung an gut 80 % der Hochschulen „Chef:innensache“ 15 den: für künftigen Wohlstand und speziell für die Leistungs- und direkt bei der Hochschulleitung verankert. Die Hilfe- 10 fähigkeit unserer Volkswirtschaft. Deutschland investiert – stellung der Hochschulen reicht von Büros über technische 5 zwar im weltweiten Vergleich – viel in F&E und schafft damit Infrastruktur – beispielsweise in Maker Spaces – bis hin zu 0 gute Bedingungen für eine breite Wissensbasis sowie zahl- finanzieller Unterstützung oder sogar Beteiligung. reiche Innovationen. So geht fast ein Fünftel der deutschen F&E-Aufwendungen an Hochschulen – das ist weit mehr als Weit verbreitet ist inzwischen die Gründungsberatung an den in China oder den USA (vgl. Grafik 2). Der Knackpunkt aber ist Hochschulen. Sie hilft beim Entwickeln des Geschäftsmodells der fehlende Transfer in die Wirtschaft. Hochschulen setzen und begleitet in allen Phasen des Unternehmensaufbaus. in erster Linie auf Kooperationen mit Industrieunternehmen Gründungsberater:innen vermitteln Kontakte zu anderen T otal Early-Stage Entrepreneurial Activity (TEA): Prozentanteil derjenigen 18- bis 64-Jährigen, die während der letzten und betreiben Transferprojekte oder Forschungspartner- Gründer:innen, Mentor:innen aus der Industrie und potenzi- 3,5 Jahre ein Unternehmen gegründet haben und/oder gerade dabei sind, ein Unternehmen zu gründen. schaften, teils mit staatlicher Förderung. Den etablierten ellen Kund:innen. Rund 560 vollzeitbeschäftigte Gründungs- Quelle: GERA (2020) Industrieunternehmen in Deutschland fällt es allerdings oft berater:innen in Deutschland führen im Schnitt sieben Bera- schwer, Aufbruchsgeist in ihren Reihen zuzulassen, Innova- tungsgespräche pro Start-up (Stifterverband für die Deutsche tionen gut zu managen und schnell zu skalieren. Neuen, von Wissenschaft e.V. 2018). den Forscher:innen selbst gegründeten Unternehmen ge- Grafik 2: lingt dies besser. Das zeigt auch eine Studie des Leibniz- Die Maßnahmen scheinen zu wirken, zumindest auf wahrge- Anteil der F&E-Investitionen an Hochschulen im Ländervergleich 2018 in Milliarden Euro Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in nommene Gründungschancen, wie Grafik 3 zeigt. Schätzten Mannheim. Sie kam zu dem Ergebnis: Gründungen aus der 2001 gerade 23,65 % der Deutschen zwischen 18 und 64 die 4% 7% Wissenschaft bringen mehr Innovationen auf den Markt als Rahmenbedingungen für eine Gründung als gut ein, sind es andere Gründungen, eben weil sie zuvor gründlich erforschte 2019 über 50 %. Die tatsächliche Gründungsrate bleibt den- und meist neue Technologien entwickeln (ZEW 2019). Zudem noch konstant niedrig. schaffen sie mehr Arbeitsplätze – das belegt der KfW-Grün- dungsmonitor von 2016 (Metzger 2016). Damit werden sie Am guten Willen fehlt es also nicht. Warum ist das Grün- zum zentralen Treiber der Innovations- und Wettbewerbs dungsinteresse der Deutschen und speziell der Gründungs- fähigkeit der deutschen Wirtschaft. erfolg an den Hochschulen dennoch unterentwickelt? Viel- 498,7 252,5 leicht weil die Wirtschaft in den vergangenen Jahren boomte Die aktuelle COVID-19-Pandemie hat überdies gezeigt, wie und Forschende attraktive Arbeitsplätze in der Industrie wichtig solche Gründungen sind, gerade wenn unvorher- fanden? Dagegen spricht eine Studie aus den USA (Guzman gesehene Ereignisse über die Gesellschaft hereinbrechen. und Stern 2017), die zeigt, dass innovative Gründungen wie Schnell und effektiv sind Start-ups dabei, Gegenmaßnahmen die aus der Forschung relativ unabhängig von der wirtschaft- zu entwickeln – Schnelltests, Impfstoffe, Medikamente – lichen Lage entstehen. USA China und sorgen so mit dafür, die technologische Souveränität Deutschlands zu bewahren. Um diese Souveränität geht es Ein Gutachten der Expertenkommission Forschung und Inno- beispielsweise auf der europäischen Ebene beim Thema vation (EFI 2019) benennt dagegen als Hemmnis den hohen 19 % 18 % Digitalisierung: Nur wer mit eigenen Angeboten im Kampf Druck, wissenschaftliche Erkenntnisse in Form von Publikati- um Daten und Algorithmen auf dem Markt dagegenhalten onen zu verbreiten – deswegen fehle in der Praxis oft die Zeit, kann, schafft für die Politik ein Fundament, um das Recht auf eine kommerzielle Verwertung verfolgen zu können. Eine Selbstbestimmung einer Gesellschaft zu schützen. Studie des Fraunhofer Instituts stellt als weiteren möglichen Grund fest: Gründer:innen aus den Natur- oder Ingenieurwis- Gründungen aus der Forschung zu stärken, ist in Deutsch- senschaften bringen selten kaufmännisches Know-how mit 160,2 104,8 land deshalb schon lange Programm. Es gibt staatliche Unter- und entwickeln oft unrealistische Unternehmens- und Markt- stützung für Gründer:innen mit Know-how, Geld oder Infra- strategien (Hemer et al. 2006). struktur. Es gibt mehr als 70 Förderprogramme des Bundes, der Länder und der Europäischen Union. Als besonders er- Eindeutige Ursachen können neben diesen Indizien bisher folgreich gilt das Programm EXIST des Bundesministeriums in der Forschung nicht benannt werden. Wenn es also trotz F&E-Investitionen für Wirtschaft und Energie. Laut Global Entrepreneurship der umfangreichen Unterstützungs- und Förderprogramme Japan Deutschland F&E-Investitionen Hochschulen Monitor 2019/20 sind zwei Drittel der befragten Gründungs- sowie der Maßnahmen an den Hochschulen kein aktiveres expert:innen davon überzeugt, dass es angemessene För- Gründungsgeschehen gibt, stellt sich eine neue spannende derprogramme in Deutschland gibt, um Ausgründungen zu Frage: Welche Rolle spielt die Psychologie eines Menschen? ie Investitionen der Länder mit den weltweit höchsten absoluten F&E-Investitionen. D unterstützen (GERA 2020). Genauer: Worin unterscheiden sich die Gründer:innen und Quelle: CRS (2020), NBS of China (2019), Statistics Bureau of Japan (2019), BMBF (2020) 8 9
Ausgangslage Innovationsweltmeister Deutschland? Grafik 3: Wissenschaftler:innen in ihrer Denkweise? Welchen Einfluss Literaturverzeichnis Die Einschätzung der Gründungschancen und die Entwicklung der Gründungsrate (TEA-Quote) haben diese Unterschiede auf den Umgang zum Beispiel Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 2020. in Deutschland 2001 – 2019 in Prozent mit Entscheidungen, Stress, Risiko, Motivation, eigenem An- Daten und Fakten zum deutschen Forschungs- und Innova- spruch, Zielorientierung? Sprich: Welche Bedeutung haben tionssystem, Bundesbericht Forschung und Innovation 2020, das Mindset und die Psychologie? Berlin. 55 * Congressional Research Service (CRS), 2020. U.S. Research and 50 Für neue Impulse im Gründungsgeschehen sollten die Hoch- Development Funding and Performance: Fact Sheet, 45 schulen den Menschen stärker in den Mittelpunkt stellen. Washington. 40 Dazu gehört sowohl der Blick auf die jeweilige Persönlich- Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e. V., 2018. 35 keit – das Individuum – als auch auf die Gruppe – das Grün- Gründungsradar 2018 – Wie Hochschulen Unternehmens- der:innenteam – und die Umgebung – die Bedingungen an gründungen fördern, Essen. 30 der Hochschule. Die vorliegende empirische Studie hat sich Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), 2019. 25 diese Fragen gestellt, gibt erste Antworten und leitet daraus Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer 20 konkrete Handlungsempfehlungen ab. Leistungsfähigkeit Deutschlands 2019, Berlin. 15 Global Entrepreneurship Research Association (GERA), 2020. 10 Global Entrepreneurship Monitor 2019/20, London. 5 Abgerufen am 26.11.2020: https://www.gemconsortium.org/ file/open?fileId=50443 0 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Guzman, J., Stern, S., 2020. The State of American Entrepreneur- ship: New Estimates of the Quantity and Quality of Entrepre- neurship for 32 US States, 1988 – 2014, American Economic Einschätzung der Gründungschancen Total Early-Stage Entrepreneurial Activity (TEA) Journal: Economic Policy, 12 (4), pp. 212–43. Hemer, J., Berteit, H., Walter, G., Göther, M., 2006. Erfolgsfaktoren * 2019 neue Messmethode der Gründungschancen, Zahl nicht vergleichbar für Unternehmensausgründungen aus der Wissenschaft, Frauenhofer IRB Verlag, Karlsruhe. T otal Early-Stage Entrepreneurial Activity (TEA): Prozentanteil derjenigen 18- bis 64-Jährigen, die während der letzten 3,5 Jahre Abgerufen am 26.11.2020: http://publica.fraunhofer.de/eprints/ ein Unternehmen gegründet haben und/oder gerade dabei sind, ein Unternehmen zu gründen. urn_nbn_de_0011-n-361536.pdf Die Gründungschancen: Anteil der 18- bis 64-Jährigen, die der Aussage „In den nächsten sechs Monaten ergeben sich in der Region, in der Sie leben, gute Möglichkeiten für eine Unternehmensgründung“ zustimmen. Metzger, G., 2016. KfW-Gründungsmonitor 2016, Frankfurt am Datenquelle für beides ist die Bevölkerungsbefragung des Global Entrepreneurship Monitors 2001 – 2006 und 2008 – 2019. Main: KfW Bankengruppe. Im Jahr 2007 hat keine Befragung stattgefunden. National Bureau of Statistics of China (NBS of China), 2019. Quelle: Sternberg et al. (2002 – 2020) Communiqué on National Expenditures on Science and Tech- nology in 2018, Peking. Sternberg, R. et al. 2002 – 2020. Global Entrepreneurship Monitor 2001 – 2019/20 – Unternehmensgründungen im weltweiten Vergleich: Länderbericht Deutschland 2001 – 2019/20, RKW Kompetenzzentrum, Eschborn, u. a. Abgerufen am 26.11.2020: https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/gruendung/studie/ global-entrepreneurship-monitor-20192020/ SCImago, (n. d.). SJR – SCImago Journal & Country Rank. Abgerufen am 30.10.2020: https://www.scimagojr.com/ countryrank.php Statistics Bureau of Japan, 2019. Survey of Research and Develop- ment 2019, Tokio. UNESCO Institute of Statistics, 2019. Research and development survey 2019, Montréal. World Economic Forum (WEF), 2019. The Global Competitiveness Report 2019, Genf. World Intellectual Property Organization (WIPO), 2019. World Intellectual Property Indicators 2019, Genf. Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), 2019. Innovative Unternehmensgründungen in Deutschland, Auswer- tungen aus dem IAB/ZEW Gründungspanel, Mannheim. 10 11
Gastbeitrag Gründungen aus der Wissenschaft: Katalysatoren des Forschungstransfers vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) übernommene mehrfachbeweglichen Handprothesen. Die Förderung des und noch heute fortbestehende „EXIST“-Programm. Erfolg- BMBF im Bereich der organischen Elektronik hat die Grund- reiche und mittlerweile börsennotierte Unternehmen wie lage für Ausgründungen, wie die Novaled GmbH und die Aixtron oder Qiagen (früher Diagen) sind hieraus entstanden. Heliatek GmbH gelegt, die im Jahr 2011 gemeinsam mit der TU Dresden den Deutschen Zukunftspreis für ihre Arbeiten „Start-ups entstehen häufig dort, wo neues zur organischen Elektronik erhielten. Wissen auf technologie- und anwendungs- Mit dem Konzept „Mehr Chancen für Gründungen – Fünf spezifische Expertise trifft und sich Punkte für eine neue Gründerzeit“ wurde die technolo- Gastbeitrag von Innovationsökosysteme etabliert haben.“ giespezifische Förderung von Unternehmensgründungen unter dem Dach der Hightechstrategie seit dem Jahr 2017 Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas, deutlich gestärkt. Ein Schwerpunkt des Konzepts ist die Er- Staatssekretär, Bundesministerium weiterung von existierenden und im Rahmen der BMBF- Verschiedene Faktoren begünstigen das Gründungsgesche- Förderung entstandenen Innovationsökosystemen um grün- für Bildung und Forschung hen. Start-ups entstehen häufig dort, wo neues Wissen auf dungsfördernde Strukturen. technologie- und anwendungsspezifische Expertise trifft und sich Innovationsökosysteme etabliert haben (vgl. z. B. Au- „Ein Schwerpunkt des Konzepts ist die Gründungen aus der Wissenschaft: dretsch, 2018). Ausgründungen aus der Wissenschaft sind daher eine wichtige Quelle für technologie- und wissensba- Erweiterung von existierenden und Katalysatoren des Forschungstransfers sierte Start-ups. Dabei sind die Bedarfe der einzelnen Tech- nologiefelder sehr unterschiedlich. Ausgründungen aus den Bio-, Chemie- und Ingenieurswissenschaften sind in der Regel im Rahmen der BMBF-Förderung entstandenen Innovationsökosystemen kapitalintensiv und benötigen eine langfristige Perspektive um gründungsfördernde Strukturen.“ Technologischer Fortschritt und Innovationen sind die eigene Geschäftsmodell kannibalisieren (vgl. z. B. Igami, 2017). bis zum Markterfolg. Schon die Entwicklung eines Prototyps wesentlichen Treiber für den Erhalt und Ausbau unseres Start-ups tragen in erheblichem Maße zur Erneuerung der kann mit hohen Kosten verbunden sein. Im Pharmabereich Wohlstands und unserer Wettbewerbsfähigkeit und für Wirtschaft im Sinne der „kreativen Zerstörung“ Schumpeters kommen dazu aufwendige klinische Studien. Der IT-Bereich eine kontinuierliche Verbesserung der Lebensumstände bei (Schumpeter, 1942) und befördern somit den Struktur- hingegen ist meist durch kurze Entwicklungszyklen gekenn- Mit der Maßnahme „Young Entrepreneurs in Science“ wird der Bürgerinnen und Bürger. Wissenschaft und Forschung wandel. Start-ups von heute sind die Platzhirsche von mor- zeichnet. Neue Software wird teilweise von Einzelpersonen zusammen mit Akteuren aus der Wirtschaft sowie in Koope- bilden dafür die Grundlage. Deutschlands Wissenschaft gen. Beispiele von Daimler und Siemens bis hin zu Apple und oder kleinen Teams am heimischen Computer entwickelt. ration mit Hochschulleitungen die Gründungsperspektive für zählt in vielen Forschungsfeldern zur Weltspitze – von Google zeugen davon. Andererseits können Start-ups auch Promovierende gestärkt. Im Rahmen der Initiative „Start- der künstlichen Intelligenz bis zu den Quantentechno etablierte Unternehmen zu eigenen Innovationen motivie- UpSecure“ wurden Gründungsinkubatoren an den Kompe- logien. Diese Stärke trägt wesentlich zu unserer Spitzen ren oder ihnen ermöglichen, auf den an den Markt gebrach- „Maßgeschneiderten Gründungs- tenzzentren für die IT-Sicherheitsforschung in Saarbrücken, position bei der Innovationsfähigkeit bei (WEF, 2019). ten Innovationen aufzubauen. Nicht ohne Grund suchen förderprogrammen kommt daher eine Darmstadt und Karlsruhe sowie an der Ruhr-Universität etablierte Unternehmen heute zunehmend die Nähe von hohe Bedeutung zu.“ Bochum eingerichtet. Bis heute wurden dort über 20 Grün- Doch Innovationen entstehen erst durch die Umsetzung Start-ups und richten hierfür Inkubatoren oder ähnliche dungsprojekte gefördert. Gründungsfördernde Initiativen, wissenschaftlicher Erkenntnisse in neue Produkte, Dienste, Strukturen ein. die den besonderen Anforderungen der jeweiligen Technolo- Prozesse oder Geschäftsmodelle und deren Etablierung am giefelder Rechnung tragen, wurden auch in der Photonik und Markt oder in der Anwendung. Der Wissens- und Technolo- „Start-ups von heute sind die Maßgeschneiderten Gründungsförderprogrammen kommt den Quantentechnologien, in der Materialforschung und im gietransfer ist deshalb eine zentrale Aufgabe für eine Gesell- daher eine hohe Bedeutung zu. Bereits seit vielen Jah- Bereich der interaktiven Technologien aufgesetzt. Mit dem schaft, die wesentlich von ihrer Wissensbasis und darauf ba- Platzhirsche von morgen.“ ren fördert das BMBF mit spezifischen Angeboten wie Aufbau der SprinD GmbH wird ein neuer Ansatz zur Förde- sierenden Innovationen und Exporten abhängt. Auch für die dem BioRegio-Wettbewerb oder dem Programm „GO-Bio“ rung radikaler Innovationen und hierauf basierender Unter- aktuell breit diskutierte Stärkung der technologischen Sou- Gründungen aus den Lebenswissenschaften. Im Ergebnis nehmensgründungen umgesetzt. Auch mit dem Aufbau von veränität Deutschlands und Europas spielt der Transfer eine Denn potenzielle Gründerinnen und Gründer sind mit spezi- dieser Förderung ist u. a. das börsennotierte Unternehmen Clustern und Netzwerken schafft das BMBF Rahmenbedin- wichtige Rolle. Unser Anspruch ist dabei, Technologien im fischen Hürden konfrontiert. Zum Fehlen einer Kapitalbasis BioNTech entstanden, das heute bei der Impfstoffentwick- gungen, um Gründungen aus der Wissenschaft zu ermög- Sinne unserer Werte mitzugestalten, etwa sicher, vertrauens- kommen eine hohe Unsicherheit über den Innovationser- lung gegen den Coronavirus mit in der vordersten Reihe lichen. So waren und sind beispielsweise die Spitzencluster würdig, ressourcen- und energieeffizient. Dies wird nur ge- folg sowie Informationsasymmetrien hinzu, die das Ein- steht. Auch die weiteren Technologieprogramme des BMBF mit ihrer offenen Innovationskultur ein Nährboden für erfolg- lingen, wenn wir Lösungen aus der Forschung auch am Markt werben externer Finanzierung häufig erschweren (vgl. z. B. haben über die Jahre zur erfolgreichen Gründung verschie- reiche Gründungen. Mit der Validierungsförderung VIP+ er- etablieren und in Standards überführen. Audretsch, 2018). Die Schaffung passender, auch finanziel- dener Unternehmen beigetragen. So basieren die Cobots halten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler frühzeitig ler und steuerrechtlicher Rahmenbedingungen für die Ent- der Franka Emika GmbH auf den vielfach ausgezeichneten die Möglichkeit, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Für den Wissens- und Technologietransfer sind Unterneh- stehung von Start-ups ist daher eine zentrale aktuelle Auf- Forschungsarbeiten ihres Gründers, Prof. Sami Haddadin, die Verwertungspotenziale ihrer Forschung zu untersuchen. Eine mensgründungen essentiell. Studien zeigen, dass insbeson- gabe der Innovationspolitik (EFI, 2019). Bereits in den 1980er unter anderem im Rahmen zahlreicher BMBF-Projekte am Umfrage fünf Jahre nach Projektabschluss hat ergeben, dass dere Start-ups zur Umsetzung von neuem Wissen in Innova- und 1990er Jahren wurden erste Maßnahmen zur Förderung DLR sowie an der Leibniz Universität Hannover entstanden. 30 % der Vorhaben zu einer Gründung geführt haben. tionen und damit zur Entstehung von Wertschöpfung und technologie- und wissensbasierter Unternehmensgründun- Auch die Vincent Systems GmbH, eine erfolgreiche Ausgrün- Arbeitsplätzen beitragen (vgl. z. B. Schneider & Veugelers, gen im Bundesforschungsministerium (BMBF) entwickelt und dung des Karlsruher Instituts für Technologie, hat die zugrun- Trotz der erweiterten Fördermöglichkeiten existieren nach 2010; Acs et al., 2013; Haltiwanger et al., 2013; EFI, 2019). erprobt, etwa die Forschungsprogramme „Technologieorien- de liegende Technologie u. a. im Rahmen der BMBF-Projekte wie vor spezifische Hürden für Ausgründungen. Hierzu zäh- Dies gilt umso mehr für radikale Innovationen, die von etab- tierte Unternehmensgründungen“ und „Beteiligungskapital „BionikHand“ und „GripAssist“ entwickelt und ist mittler- len Zielkonflikte zwischen akademischer und kommerzieller lierten Unternehmen oftmals gescheut werden, weil sie das für junge Technologieunternehmen“ oder auch das später weile einer der führenden Anbieter auf dem Gebiet der Verwertung von Forschungsergebnissen, teilweise langwie- 12 13
Gastbeitrag Deutschlands Universitäten und Forschungseinrichtungen haben nach wie vor viel ungenutztes Potenzial rige Lizenzverhandlungen zwischen Gründenden und den Literaturverzeichnis Transferstellen von Universitäten und Forschungseinrich- Acs, Z. J., Audretsch, D. B., Lehmann, E. E., 2013. The knowledge tungen sowie eine nach wie vor zu geringe Wagniskapital- spillover theory of entrepreneurship, Small Business Economics, verfügbarkeit (EFI, 2019). Um diese Hürden zu verkleinern, Volume 41, 757–774. sind neue Ansätze in der Förderung notwendig. Das BMBF Audretsch, D. B., 2018. Entrepreneurship, economic growth, and hat hierfür bereits neue Fördermöglichkeiten erprobt, etwa geography, Oxford Review of Economic Policy, 34 (4), 637–651. die Einrichtung von Nachwuchsgruppen in der Material- Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), 2019. forschung, in denen sowohl eine akademische Karriere als Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer auch eine erfolgreiche Unternehmensgründung angestrebt Leistungsfähigkeit Deutschlands 2019, Berlin. werden kann. Weitere Ideen betreffen u. a. die Etablierung Haltiwanger, J., Jarmin, R. S. & Miranda, J., 2013. Who creates jobs? Gastbeitrag von von gründungsfreundlichen und standardisierten Lizenzver- Small versus large versus young, Review of Economics and trägen, die Ermöglichung von Beteiligungen einzelner Hoch- Statistics, 95 (2), 347–361. Dr. Ulrich Nussbaum, schulen an Start-ups oder die weitere Stärkung der Grün- Igami, M., 2017. Estimating the Innovator's Dilemma: Structural Staatssekretär, Bundesministerium dungskultur in der Wissenschaft. Der Bund setzt hier auf Analysis of Creative Destruction in the Hard Disk Drive Industry, die konstruktive Zusammenarbeit mit den Ländern, der EU 1981 – 1998, Journal of Political Economy, 125 (3), 798–847. für Wirtschaft und Energie sowie den Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Eine Schneider, C. & Veugelers, R., 2010. On young highly innovative aktuell durchgeführte Querschnittsevaluation der deutschen companies: Why they matter and how (not) to policy support Gründungsförderlandschaft mit Schwerpunkt auf den Ange- boten des BMBF und des BMWi untersucht die Wirkungen, them, Industrial and Corporate Change, 19 (4), 969–1007. Schumpeter, J. A., 1942. Capitalism, Socialism and Democracy, Deutschlands Universitäten und Synergien und Komplementaritäten des Gesamtangebots zur Vorbereitung und Unterstützung von innovations- und forschungsbasierten Gründungen. Auf Basis der Ergebnisse Harper, New York. World Economic Forum (WEF), 2019. The Global Competitiveness Report 2019, Genf. Forschungseinrichtungen haben nach sollen die Fördermöglichkeiten bedarfsgerecht weiterentwi- ckelt werden. Aussagekräftige Zwischenergebnisse werden wie vor viel ungenutztes Potenzial im Frühjahr 2021 erwartet. Noch vor gut 20 Jahren waren Deutschlands Universitäten Entwicklung einhergehen, haben wir in der Vergangenheit und Hochschulen eine Entrepreneurship-Wüste. Als im Jahr womöglich unterschätzt. Dies wäre auch eine Erklärung da- 1998 das Gründungsprogramm EXIST gestartet wurde, gab für, dass Deutschlands Universitäten und Forschungseinrich- es in Deutschland nur einen einzigen Lehrstuhl für Entre tungen nach wie vor viel ungenutztes Potenzial haben, was preneurship und die akademische Gründungskultur konnte die Anzahl und Qualität von Ausgründungen angeht. man mit der Lupe suchen. Heute ist die Situation eine völ- lig andere. Inzwischen gibt es 147 Professuren, die sich mit Die erhebliche Diskrepanz zwischen dem Input in exzellente Gründungen und Entrepreneurship befassen. Gerade das Forschung und dem Output in Form innovativer und damit EXIST-Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft global wettbewerbsfähiger Unternehmen können und sollten und Energie hat mit seinen drei Förderlinien die Hochschu- wir uns als wissensbasierte Volkswirtschaft nicht auf Dauer len in Deutschland nachhaltig verändert. Mit der Förderlinie leisten. Jedes Jahr weist die Expertenkommission Forschung EXIST-Potenziale werden seit diesem Jahr 142 Hochschulen und Innovation (EFI) der Bundesregierung darauf hin, dass dabei unterstützt, über vier Jahre hinweg ihre Strukturen und Innovationen für die Wirtschaft zu einem erheblichen Teil Angebote für Gründerteams auszubauen und weiter zu ver- durch Wissens- und Technologietransfer über Ausgründun- bessern. gen generiert werden. Eine aktuelle Herausforderung ist hier insbesondere die Zukunftstechnologie künstliche Intel- Neben den Beratungs- und Unterstützungsangeboten der ligenz (KI). Der Bund wird in den kommenden Jahren erheb- Universitäten und Hochschulen ist die direkte Förderung von liche Mittel in die Forschung investieren und auch für die Gründerteams seit Jahren zentrales Anliegen des Bundes. Das Förderung von Start-ups über das EXIST-Programm und das EXIST-Gründerstipendium und der EXIST-Forschungstransfer Programm „German Accelerator“, mit dem wir Start-ups bei sind attraktive und erprobte Fördermöglichkeiten für jährlich ihrer Internationalisierung unterstützen, zusätzliche Mittel rund 250 innovative Ideen und Geschäftskonzepte aus der bereitstellen. Alles Wissen, was wir über den Ausgründungs- Wissenschaft. Dabei bieten die Programme nicht nur Geld prozess und den weiten Weg von der Wissenschaft zur Grün- für Sachmittel und den Lebensunterhalt der Gründerteams, dung gewinnen können, ist daher hochwillkommen, um den sondern auch Möglichkeiten für Weiterbildung und Erfah- Aufbau innovativer Unternehmen zu unterstützen und zu rungsaustausch durch Seminare, Veranstaltungen und die beschleunigen. Ich hoffe daher, dass diese Publikation eine Verpflichtung von Coaches. Dieser Aspekt der Gründungsför- hohe Aufmerksamkeit und eine breite Rezeption erhält. derung sollte gerade in der Zukunft noch stärker reflektiert Auch wenn bereits viel erreicht wurde in Sachen Gründungs- und ausgebaut werden. Ich unterstütze daher ausdrücklich kultur, so bleibt doch noch viel zu tun, bis Ausgründungen die Bemühungen diese Forschungsprojekts, der Frage auf aus der Wissenschaft zu dem alltäglichen Normalfall wer- den Grund zu gehen, was Wissenschaftler eigentlich zu Un- den, den wir uns wünschen und den die deutsche Wirtschaft ternehmern macht. Die Herausforderungen, die mit dieser braucht. 14 15
Wissenschaftlich analysiert: die Psychologie des Gründens Ein neuer Ansatz in der Gründungsforschung Ein neuer Ansatz in der Gründungsforschung 01. 02. 03. Grundannahmen auf der Ebene Grundannahme auf der Ebene Grundannahme auf der Ebene „Individuum“ „Team“ „Organisation“ Die Einflüsse auf Gründungsaktivitäten in einer Volks Wissenschaftler:innen und Unternehmer:innen haben un- Der Aufbau wissenschafts- und technologiebasierter Un Ausgründungen aus der Wissenschaft haben ihren Ur- wirtschaft sind breit erforscht. Die Psychologie der terschiedliche Mindsets: Wissenschaftler:innen arbeiten er- ternehmen ist komplex und wird daher selten in Einzelgrün- sprung oft an Hochschulen. Ein Ziel der Forschung ist daher, Gründer:innen und ihr Zusammenspiel im Team wurden kenntnisorientiert und erweitern den bisherigen Forschungs- dungen durchgeführt. Für eine erfolgreiche Gründung aus zu verstehen, wie diese organisationale Umgebung der Uni- dabei vergessen. stand. Sie beschäftigen sich detailliert und systematisch mit der Wissenschaft ist die Zusammenarbeit im Team oft ein versität die unternehmerische Entscheidungsfindung, Moti- ungelösten Forschungsfragen. Ihre Arbeit ist geprägt von Ak- entscheidender Faktor. Sie bietet mehrere Vorteile wie Ar- vation sowie das Verhalten von Wissenschaftler:innen im Bislang ging es in der Entrepreneurship-Forschung vor allem ribie, wobei das Verhältnis von Genauigkeit und Zeitaufwand beitsteilung, Expertise aus verschiedenen Fachbereichen und Gründungsgeschehen beeinflusst. um die erforderlichen Rahmenbedingungen für gelingendes als perfektionistisch bezeichnet werden kann. gegenseitige psychische Unterstützung. Manchmal werden Gründen: von Infrastruktur über Netzwerk bis Risikokapital. Teamprozesse problematisch, wenn sich im Team Konflikte Auch die richtige Befähigung und Ermutigung von Grün- Unternehmerisches Handeln steht dazu im Kontrast: Für Un- entwickeln und die Kommunikation sowie der Zusammenhalt der:innen im Hochschulkontext wurde betrachtet. Verglei- ternehmer:innen ist die Kommerzialisierung ihrer Idee zen leiden. Deshalb ist die Frage zentral, wie erfolgreiche Teams chende Studien untersuchten, warum sich das Niveau der tral. Sie orientieren sich an den Bedürfnissen von Kund:innen funktionieren und woran andere scheitern. Gründungsaktivitäten in verschiedenen Ländern oder Regio- und der Nachfrage auf dem Markt. Forschung und Techno- nen unterscheidet. logieentwicklung sind diesen Faktoren untergeordnet. Zeit und Geschwindigkeit sind wichtig, da sie in Konkurrenz zu Wie das Umfeld und psychologische Faktoren die Gründungs- anderen Unternehmer:innen stehen. Genauigkeit ist nur so persönlichkeit oder den Gründungsprozess beeinflussen, ist weit relevant, wie das Produkt oder die Dienstleistung davon bisher hingegen wenig erforscht. Das ist überraschend, da profitiert. Dieser Arbeitsstil kann als pragmatisch bezeichnet eine Gründung in der Regel zwar als Idee bei einzelnen Per werden. sonen beginnt, die Idee und später das Produkt jedoch erst durch kontinuierliches Feedback von Teammitgliedern, Grün Entscheiden sich Wissenschaftler:innen für eine Gründung, dungsexpert:innen und Kund:innen weiterentwickelt wer- müssen sie diesen Widerspruch überwinden und brauchen den. Die Interaktion zwischen Menschen spielt also eine die Bereitschaft, pragmatischer zu handeln und Teile ihrer entscheidende Rolle. Ohne Feedback kein Erfolg am Markt. Identität als Wissenschaftler:innen aufzugeben. Im Laufe Deshalb sehen Entrepreneurship-Wissenschaftler:innen hier des Gründungsprozesses entwickeln viele erfolgreiche Grün- Forschungsbedarf: etwa wie Gründende und Teams unter der:innen eine Denkweise, bei der beide, akademische und Druck Entscheidungen treffen, welchen Einfluss Emotionen unternehmerische Orientierung, vorhanden sind. Wie die- auf die Gründung haben und wie diese innerhalb eines spe se Umorientierung abläuft, ist für den erfolgreichen Grün- ziellen Kontextes, wie dem Hochschul- und Forschungsum- dungsprozess entscheidend, aber bisher nicht ausreichend feld, beeinflusst werden können. erforscht. Der Ansatz der Studie Ziel der Studie ist es, grundlegende relevante psychologische Forschungsfrage: Forschungsfrage: Forschungsfrage: Prozesse in akademischen Ausgründungen zu verstehen. Die- Welche Faktoren unterstützen oder hemmen die Welche Faktoren beeinflussen die erfolgreiche Welche organisationalen Charakteristika beeinflussen sem Forschungsgegenstand nähert sich das Forschungsteam Transformation von wissenschaftlichen zu unterneh Entwicklung akademischer Gründungsteams? die Entwicklung unternehmerischer Persönlichkeiten auf drei Ebenen – Individuum, Team und Organisation – und merischen Denkweisen? in Universitäten und Forschungseinrichtungen? untersucht wie diese isoliert und im gegenseitigen Wechsel- spiel gründungsfördernd oder -hindernd wirken können. 18 19
Wissenschaftlich analysiert: die Psychologie des Gründens Ein neuer Ansatz in der Gründungsforschung – das Forschungsteam Das Forschungsteam Die Projektleitung hat bewusst ein interdisziplinäres Team mit Expertinnen aus den Wirtschaftswissenschaften, der Psychologie und der Anthropologie aufgebaut. Die verschiedenen Perspektiven, Methoden und Herangehens weisen helfen, die Forschungsfragen bestmöglich zu beantworten. Prof. Dr. Nicola Breugst Carolin Feldmeier, M.Sc. ist Leiterin der Studie und Professorin of Entrepreneurial Behavior am Entrepreneurship ist Psychologin und erforscht wie Gründende mit Rückschlägen und Stress umgehen. Research Institute der TU München. Prof. Breugst forscht über die menschliche Seite Sie bringt Erfahrung aus der Wirtschaft und der psychologischen Forschung an ver- des Unternehmertums und befasst sich mit Emotionen und Motivation von Wissenschaft- schiedenen Universitäten mit. ler:innen und Unternehmer:innen sowie der Zusammenarbeit von verschiedenen Personen in Start-up-Teams. Die Psychologin und promovierte Entrepreneurship-Wissenschaftlerin veröffentlicht in führenden Fachzeitschriften für Unternehmertum und ist Mitheraus geberin der Wissenschaftszeitschrift Journal of Business Venturing. Aishwarya Kakatkar, M.A. Prof. Dr. Dr. Holger Patzelt ist Wirtschaftswissenschaftlerin. Ihr Forschungsfokus liegt darauf, wie sich Vertrauen ist Leiter der Studie und Professor für Entrepreneurship am Entrepreneurship Research in unternehmerischen Teams als Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit entwickelt. Institute der TU München. Der promovierte Molekularbiologe und Wirtschaftswissenschaft- Sie verfügt über praktische Erfahrungen mit Start-ups als Inkubator-Mitarbeiterin und ler forscht über unternehmerische Kognition und die wirtschaftlichen, emotionalen und über internationale Forschungsexpertise. psychologischen Folgen des Scheiterns. Dafür erhielt er mehrere nationale und interna- tionale Auszeichnungen wie den Wesley J. Howe Award for Excellence in Research on the Topic of Corporate Entrepreneurship. Er veröffentlicht Artikel in führenden internationalen Fachzeitschriften der Entrepreneurship- und Managementforschung und ist Mitherausge- ber der Wissenschaftszeitschrift Entrepreneurship Theory and Practice. Lora Koycheva, Ph.D. ist Anthropologin und erforscht, wie sich Wissenschaftler:innen zu Unternehmer:innen entwickeln und ob spielerische Gründungsformate wie Makeathons diese Entwicklung unterstützen. Sie hat Erfahrungen mit anthropologischen und ethnografischen Methoden und bringt so neue Ansätze in die Entrepreneurship-Forschung ein. TUM Entrepreneurship Research Institute Dr. Rose Sattari Das 2012 gegründete Entrepreneurship Research Institute der TU München ist eines der führenden Institute für unter- ist Entrepreneurship-Wissenschaftlerin. Sie erforscht, wie Gründende im Team zusammen nehmerische Forschung in Europa. Am Institut erforschen sechs Professor:innen und mehr als 20 Doktorand:innen arbeiten, um ein Produkt zu entwickeln, und welche Faktoren ihre Entscheidungen in und Post-Doktorand:innen Unternehmertum in einem interdisziplinären Ansatz, der alle Aspekte des unternehme diesem Prozess beeinflussen. Sie hat Forschungserfahrung mit Start-up-Teams und berufs- rischen Prozesses berücksichtigt. Die Ergebnisse fließen unmittelbar ein in die Gründungsförderung und Gründungs- praktische Erfahrungen aus verschiedenen Tech-Unternehmen. beratung der TU München sowie von UnternehmerTUM, dem Zentrum für Gründung und Innovation an der TU München. 20 21
Wissenschaftlich analysiert: die Psychologie des Gründens Methodisches Vorgehen Methodisches Vorgehen Vier verschiedene Studienansätze Über drei Jahre beobachteten und befragten die For Forschenden hat den Vorteil, Vorgründungsprozesse und die scher:innen akademische Gründungsinteressierte, Grün Bildung von Start-up-Teams real mitzuerleben und zu lernen, der:innen und Teams, die sich im Gründungsprozess be wie ein solches Programm zu unternehmerischem Denken fanden. Ihr Ziel: herauszufinden, was den Wandel von und Handeln begeistert und befähigt. Über einen Zeitraum Wissenschaftler:innen zu Unternehmer:innen positiv be- von zwei Jahren hinweg begleiteten die Forschenden vier einflusst. Wie lernen Individuen pragmatisch unterneh Makeathons der TU München als Coaches und untersuchten, merisch zu handeln, welchen Einfluss hat das Team und welche Prozesse unternehmerische Identitätsbildung ermög- beantwortete Fragebögen wie kann eine Organisation diese Transformation beein lichen und antreiben. Sie beobachteten 209 Teilnehmende aus den gründungsstarken Städten München, flussen? während des Programms und befragten sie in Interviews un- Berlin, Hamburg und der Region Köln/Bonn mittelbar nach ihren Erfahrungen. 01. Psychologische Einflussfaktoren in Teams 03. Wie treffen Teams Entscheidungen? Die Längsschnittstudie Die experimentelle Videostudie In einer groß angelegten, deutschlandweit durchgeführten Mit Videoanalysen untersuchte das Forschungsteam 52 inter- Umfrage begleitete das Forschungsteam ein Jahr lang Grün- disziplinäre Teams in einem experimentellen Setting. Dabei dende aus 128 Teams. Im Fokus der Befragung stand der Ein- beobachten die Forschenden wie Teams für den Gründungs- fluss von psychologischen Faktoren wie Motivation, Stress fortschritt relevante Informationen austauschten und Ent- und Frustration, Persönlichkeitseigenschaften und Vertrauen scheidungen trafen. Die Mitglieder aller erforschten Teams auf den Erfolg des Gründungsprozesses. Ziel ist es, diese Fak- brachten unterschiedliche Sichtweisen und Expertisen aus toren in ihrer Bedeutung für die persönliche Entwicklung der mindestens drei verschiedenen Fachrichtungen ein. In der Gründenden und eine positive Teamdynamik besser zu ver- Studie konfrontierten die Forschenden jedes Teammitglied stehen. Die Faktoren wurden in wöchentlichen Tagebuchein- zunächst einzeln mit einer vorbereiteten, für eine unterneh- trägen und mithilfe von Fragebögen fortlaufend online abge- merische Entscheidungssituation relevanten Information. interdisziplinäre Teams fragt und durch persönliche Interviews ergänzt. Der Großteil Anschließend nahm jedes Mitglied an einer Teamdiskussion während ihrer der Teilnehmenden stammte aus den vier gründungsstärks- mit dieser, den anderen Mitgliedern unbekannten Informa- Entscheidungsfindungen ten Regionen in Deutschland: 36,2 % München und Umge- tion teil. Die Forschenden beobachteten das Team bei der bung, 22,8 % Berlin, 9,4 % Hamburg, 4,7 % Region Köln/Bonn. Zusammenarbeit, Diskussion und Entscheidungsfindung und per Video beobachtet Über 287 Stunden Interviewmaterial und 2.748 beantwortete nahmen die Situation auf. Durch dieses Vorgehen ermöglicht Fragebögen sind so entstanden und bilden die Grundlage für die Studie es, den Zusammenhang zwischen Information, In- Jahre die qualitative und quantitative Auswertung. formationsaustausch und Entscheidungsqualität besser zu teilnehmende Beobachtung verstehen. mitten im Feld 02. Teilnehmende Beobachtung Die Immersionsstudie 04. Produktentwicklung Die Interviewstudie Immersionsstudien gehen über Befragungen hinaus und zeichnen sich dadurch aus, dass Forschende als teilnehmen- Das Forschungsteam begleitete ein Dreivierteljahr lang zwölf de Beobachter:innen in ihr Forschungsumfeld hineingehen. Gründungsteams, die am Inkubatorprogramm der Institute Diese aus der Anthropologie bekannte Methode wird in der der Technischen Universität München teilnahmen. Sie beob- Entrepreneurship-Forschung bisher selten angewendet, eig- achteten wie die Teams in diesem Zeitraum Anwendungen net sich jedoch sehr gut für die Beobachtung von sich schnell für ihre Technologie fanden und ein marktfähiges Produkt verändernden, chaotischen Versuchsanordnungen und Situ- mit entsprechendem Geschäftsmodell erarbeiteten. Quar- ationen. Das Forschungsteam entschied sich daher für diese talsweise führten die Forschenden Interviews mit den Grün- Methode zur Erforschung des Ablaufs von Makeathons. Wäh- dungsteams und den Gründungsberater:innen der Teams. Sie rend eines Makeathons entwickeln interdisziplinäre Teams dokumentierten Informations- und Entscheidungsprozesse über einen Zeitraum von drei Tagen bis zwei Wochen eine und Fortschritte der Teams. Dieses Studiendesign erlaubt unternehmerische Idee und ein Produkt. Sie werden von Coa- eine detaillierte Analyse der Zusammenarbeit akademischer Gründungsteams ches mit innovativen und agilen Methoden durchgeführt und Teams im Gründungsprozess. Sie ermöglicht es besser zu ver- zu Entscheidungen über begleitet. Aus Makeathons sind in den letzten Jahren zahl- stehen, welchen Fokus die Teams auf Technologie und Markt Technologieentwicklung und reiche Gründungen hervorgegangen – ihre Wirkungsweise legen und wie sie Entscheidungen treffen. Markteintritt interviewt ist bisher aber noch wenig untersucht. Die Einbindung der 22 23
Wissenschaftlich analysiert: die Psychologie des Gründens Die unterschätzte Psychologie in Gründungsteams Die unterschätzte Psychologie in Gründungsteams Neue Studienerkenntnisse: Wie man Scheitern verhindern kann 01. Das Individuum im akademischen Gründungsprozess Der Ansatz war ungewöhnlich. Die Autor:innen der vor Wissenschaftler:innen können Gründen ist eine Achterbahnfahrt Motivation ist volatil liegenden Studie „Unternehmensgründungen aus Wis senschaft und Forschung“ haben nicht Geschäftsideen nicht aus ihrer Haut abgeklopft, Businesspläne geprüft oder Investor:innen- Urteile eingeholt. Sie sind in die Teams gegangen, haben Entscheiden sich Wissenschaftler:innen für eine Grün- Der Gründungsprozess verlangt von Wissenschaftler:in- Gründende zeichnen sich durch den Antrieb aus, gegen intensiv mit den Gründenden gesprochen, sie über einen dung, müssen sie den Widerspruch zwischen den Mindsets nen, mit Rückschlägen umzugehen, die bisweilen existenz- viele Widrigkeiten ihre unternehmerische Idee zu verwirk langen Zeitraum hinweg beobachtet und befragt. Dabei als akribische Wissenschaftler:innen und pragmatische Un- bedrohende Ausmaße annehmen können. Wie Gründende lichen. Diese intrinsische Motivation ermöglicht es ihnen, sind sie – wenig überraschend – auf Menschen mit ganz ternehmer:innen überwinden. Sie müssen lernen, pragmati- diesen unternehmerischen Stress bewältigen, kann entschei- dem immensen Stress- und Unsicherheitspegel während des unterschiedlichen persönlichen und akademischen Vor scher und früher zu handeln, mit halben Gewissheiten und dend für den Erfolg sein. Nur wenn es gelingt, die Rückschlä- Gründungsprozesses standzuhalten. Motivation hängt von geschichten, Talenten, Ängsten, Zweifeln und Emotionen unfertigen Produkten voranzugehen. Vielen fällt es jedoch ge konstruktiv zu nutzen, geht es weiter im Gründungspro- der Zuversicht ab, mit eigenen Handlungen ein positives Er- getroffen, die im Spannungsverhältnis von Harmonie schwer, ihre Identitäten als Wissenschaftler:innen aufzuge- zess. Resilienz und Durchhaltevermögen sind bei Menschen gebnis im unternehmerischen Prozess erzielen zu können. Es bedürfnis, hohen Erwartungen und Unsicherheiten einen ben, die alles bis ins Letzte durchdenken wollen. aber unterschiedlich verteilt. geht also um das Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit. gemeinsamen Weg finden mussten. Die Studie zeigt, dass sich akademische Gründende oft auf Führt der unternehmerische Stress zu einem ständigen Ge- Dabei spielen frühere Gründungserfahrungen eine große Welch große Rolle die psychologischen Aspekte im Grün- die Verfeinerung ihrer Technologie und deren Potenzial fo- fühl der Ermüdung, ist nicht nur die Gründung, sondern auch Rolle. Die Effektivität der eigenen Handlungen und Selbst dungsgeschehen spielen, war für die Forscher:innen des kussieren. Das Ausschöpfen technologischer Möglichkeiten die Gesundheit der Gründenden gefährdet. Frustriert über wirksamkeit lässt sich besser einschätzen, daraus wiederum Entrepreneurship Research Institute (ERI) dann aber doch ist für sie wichtiger als die Bedürfnisse von Kund:innen und den Fortschritt der Gründung, zweifelnd an der Qualität der entsteht eine Selbstmotivation, für die der Glaube an die eine Überraschung. Mit ihren Ergebnissen liefern sie den die Nachfrage auf dem Markt. Sie erwarten, dass die verbes- Geschäftsidee oder der Kompetenz der Mitgründenden erle Geschäftsidee ausschlaggebend ist. Gründende ohne diese Anstoß zu weiteren Studien auf diesem Gebiet und geben serte Technologie sowohl ihre Wettbewerbsfähigkeit als auch ben sie starke negative Gefühle. Erfahrung ziehen ihre Motivation stärker aus dem Ver gleichzeitig Handlungsempfehlungen für die Neuausrichtung ihre Profitabilität gewährleistet. Diese Einstellung verstärkt trauen in die Fähigkeiten ihrer Mitgründenden. Der Einsatz der Gründungsförderung. sich durch den Austausch allein mit Technikexpert:innen – Gründende, die sich im Team eng über diese Frustration aus- und die Motivation von Teammitgliedern wirkt gerade dann bei gleichzeitigem Fehlen eines Feedbacks durch potenzielle tauschen und Rückhalt erfahren oder positives Feedback von ansteckend, wenn der Druck wegen nicht ausreichender Per- Vor allem geht es darum, die Menschen hinter den Gründen- Kund:innen. externen Stakeholdern wie Kund:innen oder Investor:innen formance der Firma oder einem herausfordernden Wettbe- den in ihrer Persönlichkeit zu sehen, zu verstehen und besser erhalten, überwinden diese Ermüdung und schöpfen neue werbsumfeld steigt. zu unterstützen. Das Zusammenspiel im Team, eine gelunge- Die stete Suche nach dem Optimum erhöht die Zahl alterna- Energie. Gründende, denen es gelingt, sich mental von Rück- ne Kommunikation, konstruktive Konfliktlösung und die Dar- tiver Lösungswege, anstatt sie zu reduzieren. Das Denken in schlägen zu distanzieren und innerlich abzuschalten, erhö- stellung nach außen – all das verlangt nach Methoden aus konkreten Szenarien fehlt. Angesichts der Vielfalt von tech- hen so in akuten Situationen ihr Wohlbefinden. Besonders persönlichen und psychologischen Trainings und Coachings, nischen und betriebswirtschaftlichen Alternativen verzetteln schwierig zu verarbeiten sind diese Rückschläge für Grün- wie sie im akademischen Gründungsumfeld bisher so kaum sich viele Gründende. Erst spät, manchmal erst, wenn finanzi- dende, wenn sie dabei hart und lange für ihre Firma gearbei- angeboten werden. Das wiederum erfordert eine Gründungs- elle Förderungen auslaufen, erkennen sie ihren mangelnden tet haben. beratung, die sich selbst weiterbildet und neue Wege geht. Pragmatismus. Die Studie präsentiert anhand der Dimensionen Individuum, Team und Organisation die größten Herausforderungen so- Empfehlung: Den Rollenkonflikt Wissenschaftler:in Empfehlung: Wissenschaftler:innen eine realistische Empfehlung: Methoden für eine gute Beziehungs- wie konkrete Handlungsempfehlungen für die Gründungs- versus Unternehmer:in anerkennen, eine bessere Erwartungshaltung an das Unternehmertum vermit- arbeit im Team vermitteln. beratung an Universitäten, Hochschulen und Forschungs Vernetzung mit der Industrie und regelmäßiges Markt- teln, Bewältigungsstrategien wie z. B. Mentoring, Yoga institutionen. Feedback ermöglichen, Vorbilder aus bereits etablier- und Meditation anbieten. ten Unternehmen als Sparringspartner einladen. 24 25
Sie können auch lesen