Disruptive Mobilitätstrends - Einsteigen oder auf der Strecke bleiben - bakertilly.de - Baker Tilly
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AUDIT & ADVISORY • TAX • LEGAL • CONSULTING Disruptive Mobilitätstrends Einsteigen oder auf der Strecke bleiben bakertilly.de
Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, in den letzten Monaten sind die Debatten darüber, wie die Pariser Klimaziele noch eingehalten werden können, zu zentralen Themen in der öffentlichen Diskussion geworden. Aus den Metropolen sind die „Fridays for Future“-Demonstrationen kaum noch wegzudenken, die Bundesregierung hat mit der Institutionalisierung des Klima-Kabinetts und der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes den Punkt inhaltlich aufgegriffen, und auch in der Berichterstattung der Presse sowie in öffentlich-rechtlichen Talkrunden ist der Klimawandel ein Dauerthema. Die Auseinandersetzung mit dem menschengemachten Klimawandel hinterfragt den Umgang unserer Gesellschaft mit dem Thema Mobilität insgesamt. Mit dem Abgasskandal wurde das Vertrauen einer zunehmend umweltbewusst denkenden Gesellschaft in die deutschen Automobilhersteller erschüttert – was sich bis heute in stagnierenden Absatzzahlen und reduzierten Quartals- und Jahresergebnissen bemerkbar macht. Neben der Notwendigkeit, verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen zu müssen, sieht sich die deutsche Automobilindustrie außerdem auch mit zahlreichen weiteren Herausforderungen konfron- tiert. Beispielsweise wird zusätzlicher Anpassungsdruck durch gesetzliche Bestimmungen wie innerstädtische Fahrverbote und über politische Forderungen wie eine finale Abkehr vom Verbren- nungsmotor hin zur E-Mobilität erzeugt. Zudem erschweren internationale Handelskriege den Export und hemmen das Wachstum vieler Pro- duzenten. Davon betroffen sind aber nicht nur die Automobilhersteller selbst, sondern auch der als Wirtschaftsmotor geltende Mittelstand rund um die Zulieferindustrie, welcher dies mit gravierenden Auswirkungen bereits jetzt schon spürt, da nicht wenige Automobilhersteller den eigenen Druck an die Zulieferer weiterreichen. Im Rahmen unserer Studie haben wir die Risikofaktoren und Trends in der Automobilindustrie untersucht und zeigen insbesondere für Zulieferunternehmen kritische Erfolgsfaktoren auf, deren Umsetzung für eine nachhaltige Marktpositionierung unumgänglich ist. Denn wer als Zulieferer die aktuellen Trends versäumt, wird auf der Strecke bleiben. Heiner Stemmer Februar 2020
Inhalt Management Summary 6 1. Der Automotive-Sektor 8 2. Herausforderungen für die Vorzeigeindustrie Deutschlands 10 3. Die Zulieferbranche 18 4. Modulgruppen entscheiden über Risikopotenzial 22 5. Phasenspezifische Analyse sichert Wettbewerbsfähigkeit 24 6. Strategische Megatrends der Zulieferbranche 28 7. Disruptive Herausforderungen benötigen umfassende Beratung 29 Literaturverzeichnis 32 Autor und Haftungsausschluss 35
Management Summary Die seit Anfang 2019 veröffentlichten Statisti- Mit der Ausweitung und Erhöhung der Produk- ken des Kraftfahrt-Bundesamt offenbaren einen tionskapazität im Rahmen der E-Mobilitätsum- großen Trend in den Zulassungszahlen: Die stellung steht der Großteil der Zulieferer vor Anzahl der Neuzulassungen bei Diesel- und Ver- einer bedrohlichen Zukunftsherausforderung. brennungsmotoren ist rückläufig, die Anmelde- Denn abhängig vom Produktangebot und den zahlen von Personenkraftwagen (Pkw) mit alter- dazugehörigen Modulgruppen indiziert die zu- nativen Antrieben legen deutlich zu, allen voran künftige Ausrichtung ein unterschiedliches Sub- die Anzahl von batteriebetriebenen Elektroau- stitutionsrisiko: Zulieferer, die sich auf die Her- tos. Die Zulassungszahlen für Elektroautos sind stellung von Powertrain-Komponenten (Motor, seit einigen Jahren streng monoton steigend. Getriebe und Antriebsstrang) spezialisiert ha- Nicht zuletzt deutet dieser massive Anstieg ben, stehen vor einer besonders herausfordern- darauf hin, dass die Mobilitätswende zügig den Zukunftsperspektive, da die Verschiebung voranschreitet. zur E-Mobilität die Komplexität der Antriebs- technik drastisch reduziert. Für den Bau des Europa und insbesondere Deutschland sind be- Antriebs eines Elektroautos werden dann schät- deutende Standorte der Automobilproduktion. zungsweise nur noch ca. 100 bis 250 statt der Die deutschen Autobauer fertigen in lokalen bisher üblichen 1.400 bis 2.500 Teile benötigt. Produktionsstätten etwa 6 % aller Autos welt- Aber auch andere Modulgruppen, wie das Inte- weit; dieser Industriezweig ist daher ein wichti- rieur, werden durch den Mobilitätswandel neu ges Standbein der deutschen Wirtschaft. Insge- geformt. Die durch die großen Autobauer ver- samt sind etwa 820.000 Mitarbeiter in der Bran- kündeten Strategie- und Effizienzmaßnahmen che beschäftigt, von denen laut Verband der Au- lassen nur erahnen, in welchem Maße die tomobilindustrie (VDA) fast jeder dritte Arbeits- E-Mobilität künftig an Bedeutung gewinnen platz auf die Zulieferindustrie entfällt. Die vor- wird. Die Herausforderungen des Prozesses nehmlich mittelständischen Zulieferer beliefern sind die besondere Stellung der Zulieferer in mit ihren Einzelprodukten, Komponenten und der gesamten Wertschöpfungskette und die Modulen die großen Automobilhersteller, wel- Neuartigkeit der strukturellen, produktbezo- che hauptsächlich die Endmontage der Autos genen Krise. verantworten.
Zum einen bewirkt die dominante Position der hin zur E-Mobilität schon durch die Unterneh- Autobauer in den Fertigungsabläufen, dass men antizipiert werden konnte, fühlt sich eine strategische Langfristentscheidungen zu kurz- hohe Anzahl der Zulieferer nicht für diesen fristigen Handlungszwängen bei den Zulieferern Wandel und die Zukunft gerüstet. führen. Insbesondere die enge Zeitspanne und Gelingen kann die dafür notwendige strate- die fehlende Flexibilität der Umstellung auf die gische Neuausrichtung und langfristige Positio- Elektromobilität können bei einigen mittelstän- nierung im Wettbewerb nur auf Basis einer um- dischen Zulieferern Existenzschwierigkeiten fassenden und flexiblen Unternehmensanalyse. auslösen. Zum anderen sind die kommenden Die Zugehörigkeit der einzelnen Zulieferer zu Herausforderungen der Branche konträr zur letz- einer Risikogruppe und die Wettbewerbspositio- ten Krise in 2008/2009. Die künftige Mobilitäts- nierung führen zu unterschiedlichen Lösungs- wende zeichnet sich als einer der stärksten Ein- ansätzen. Mit dem Ziel einer langfristigen Stra- griffe in die bestehenden Marktstrukturen ab, tegiekonzeption im Rahmen der Mobilitätswen- welchem nicht durch einfache Kapazitätsanpas- de können die Herausforderungen der E-Mobili- sung begegnet werden kann. Vielmehr zeigt der tät erfolgreich gemeistert werden. Die mittel- disruptive Trend, dass aufgrund der produkt- ständisch geprägte Automobilzulieferindustrie bezogenen Probleme die mengenbezogenen bringt gute Voraussetzungen mit, um sich trotz Lösungskonzepte von damals nicht anwendbar einer disruptiven Krise langfristig im Markt zu sind. halten sowie Herausforderungen der E-Mobilität Der gesamte Automotive-Sektor steht vor einer zu meistern und diese in Produktchancen umzu- tiefgreifenden, strukturellen Neuausrichtung, wandeln. durch die vor allem die Zulieferindustrie ins Straucheln gerät. Durch die Einführung des elek- trischen Antriebs befinden sich viele Geschäfts- modelle von mittelständischen Zulieferern auf dem Prüfstand und stehen vor der Bedrohung, obsolet zu werden. Obgleich die Entwicklung 7
1. Der Automotive-Sektor 1.1 Verhaltener Ausblick für die gesamte lieferer als auch Autobauer im Rahmen der zag- Branche haften Prognose für 2019 vorzufinden. Die gesamte deutsche Automobilindustrie hat Neben der herrschenden Marktunsicherheit im Jahr 2018 einen erheblichen Wachstums- sind die Statements der Unternehmen von einer dämpfer erlitten. Nach einem wachstumsstar- allgemeinen Umbruchstimmung gekennzeich- ken Jahresauftakt kam es im weiteren Jahres- net. Nicht nur die Aufholjagd der deutschen verlauf zu unerwarteten Korrekturen am Markt. Autobauer in Bezug auf die Elektromobilität und Wegen schwächerer Verkaufszahlen in China, das autonome Fahren setzt die Unternehmen den neuen Regeln für Emissionstests bei Fahr- unter Handlungszwang. Die im Herbst 2018 zeugen in Europa sowie gestiegenen Handels- verschärften Vorschriften der EU-Kommission konflikten und geringerem Umsatzwachstum bezüglich der maximalen CO2-Emission ab 2020 passte eine Reihe von großen Playern der Bran- sowie die Beschlüsse der Bundesregierung zur che ihre wichtigsten Kennzahlen an. Bei ver- Einführung einer CO2-Bepreisung über ein natio- schiedenen Automobilherstellern hat die Bilanz- nales Emissionshandelssystem setzen die Bran- saison gezeigt, dass die Ergebnisse im Ge- che zusätzlich unter Transformationszwang. schäftsjahr 2018 zum Teil nicht mehr das Ni- veau des Vorjahres erreicht haben. 1.2 Die Zuliefererbranche in Zahlen und Daten Es überrascht daher nicht, dass Ausblick und Er- wartung für das laufende Geschäftsjahr 2019 Die Zulieferer haben eine historisch gewachse- 1 von allgemeiner Unsicherheit geprägt sind. So ne und außergewöhnliche Stellung in der Wert- entschied sich der Zulieferer Continental, die Er- schöpfungskette der Automobilindustrie, wel- wartungen an die Geschäftsentwicklung für das che sich durch die zunehmende Orientierung Geschäftsjahr 2019 nicht wie sonst üblich als auf elektrisch angetriebene Mobilität drastisch konkrete Zahl auszugeben, sondern eine Band- ändern wird. Insgesamt entspricht der Anteil, breite der wesentlichen Ergebniskennziffern zu mit denen Zulieferprodukte an der Wertschöp- 2 prognostizieren. Auch korrigierte der Automo- fung in einem Auto beteiligt sind, je nach Fahr- bilzulieferer Leoni bereits im März seine erst im zeugmodell mindestens 70 % oder mehr. Im Februar publizierte Guidance für 2019 aufgrund Laufe der letzten Jahre hat dieser Anteil „des zunehmend herausfordernden Marktumfel- immer mehr zugenommen. Während im Jahr 3 des“ nach unten. Eine identische Begründung 2002 die durchschnittliche Original-Equipment- liefert Schaeffler für die endgültige Aufgabe der Manufacturer(OEM)-Eigenleistung noch bei 4 Mittelfristziele für 2020. Ähnliche Formulierun- etwa 35 % lag, nahm dieser Wert bis 2015 auf 5 gen sind sowohl bei einer Vielzahl anderer Zu- 22,5 % ab. Künftig könnte der Produktionsanteil 1) Vgl. VETTER (2019). 5) Vgl. REILING (2012). 8 2) Vgl. TYBORSKI (2019). 3) Vgl. LEONI (2019). 4) Vgl. WIWO (2019).
der OEM noch weiter fallen. Vorentwicklung, Mo- zeichnet werden. Weiterhin werden die Zuliefe- dulfertigung und Vormontage zeigen die größte rer danach klassifiziert, welche Produkte an den Verschiebung in der Wertschöpfungskette hin OEM geliefert werden. Gewöhnlich werden auf zu den Zulieferern. Durch den Bezug einzelner Tier3-Ebene Teile und Komponenten bereitge- Komponenten oder Module konzentrieren sich stellt, die von einem Tier2-Zulieferer zu einem die Autobauer lediglich auf ihre Kernkompeten- System zusammengesetzt werden. Auf höch- zen, wie Entwicklung, Endmontage und Vertrieb ster Stufe unterhalb des OEM steht der Tier1- eines Autos. Zulieferer, welcher den OEM direkt als Modullie- ferant beliefert. In Ausnahmefällen ist es auch Der Umsatz der Zulieferindustrie lag hierzulan- möglich, dass ein Tier2- oder Tier3-Zulieferer de im Jahr 2017 bei rund 79,6 Milliarden Euro. sein Produkt direkt dem OEM bereitstellt. Bei einem Gesamtumsatz der Automobilindu- strie von 423 Milliarden Euro in 2017 entspricht Durch die besondere Positionierung in der Wert- das einem Umsatzanteil von weniger als 20 %. schöpfungskette sind die Zulieferer einer Viel- Von den insgesamt etwa 820.000 Mitarbeitern zahl von Marktkräften ausgesetzt. Diese „Sand- der gesamten Automobilindustrie entfällt fast je- wichposition“ erfordert ein hohes Maß an Flexi- der dritte Arbeitsplatz auf die Zulieferer, welche bilität und eine schnelle Umsetzung von Hand- zu 85 % als industrieller Mittelstand klassifiziert lungsvorgaben der OEM. Weiterhin ist die Bezie- 6 werden können. Die deutsche Automobilzulie- hung zu den Autobauern von hohem Preis- und ferindustrie besteht aus ca. 1.000 Unternehmen Innovationsdruck gekennzeichnet, welcher gera- unterschiedlicher Größenordnung, von denen et- de in der aktuellen Umbruchphase weiter ver- wa 18 Unternehmen weltweit führend sind. So stärkt wird. verteidigen die Tier1-Zulieferer Continental, Bosch, ZF Friedrichshafen, Mahle und Schaeff- Original ler seit Jahren eine vordere Position im Ranking Equipment der Top 100 Zulieferer weltweit. 7 OEM Manufacturer Die außergewöhnliche Marktstruktur der Zulie- Modul- ferer kann anhand einer Pyramide dargestellt lieferanten Tier1 werden, welche die Beziehungen der Lieferan- ten bis hin zum Produzenten des Endprodukts Systemspezialisten offenlegt. Der OEM steht an der Spitze der Pyra- Tier2 mide. Darunter finden sich die einzelnen Abstufungen Teile- und Komponentenlieferanten der Lieferanten, die abhängig von der Nähe zum Tier3 OEM als Tier1-, Tier2- oder Tier3-Lieferant be- Quelle: Statistisches Bundesamt (2017), VDA 6) Vgl. VDA (2018). 7) Vgl. DANNENBERG/KEIL (2019), S. 12. 9
2. Herausforderungen für die weltweite Vorzeigeindustrie Deutsch- Produktions- lands zahlen PKW Die gesellschaftlich und politisch forcierte Mobi- Fahrzeugvolumen wurden entsprechend der litätswende stellt einen bedeutsamen Eingriff in rückläufigen Nachfrage angepasst. Auch wenn die bestehenden Marktstrukturen dar. Entgegen der Markt in der Krise 2008/2009 deutlich kon- den bisherigen wirtschaftlichen Herausforde- solidierte und eine Reihe von Unternehmen auf- rungen der Branche sind die derzeitigen Ent- grund fehlender Wettbewerbsfähigkeit aus dem wicklungen nicht mit historisch bekannten Kri- Markt ausschieden, blieben der Nutzen und die sen vergleichbar, unter anderem da sich die Aus- Produktionsweise der Autos in ursprünglicher löser dieses Umbruchprozesses von den Auslö- Weise erhalten. Eben deshalb ist eine Kapazi- sern bisheriger Wirtschaftskrisen fundamental tätsanpassung aufgrund des disruptiven Cha- unterscheiden: Wesentliche treibende Faktoren rakters der aktuellen Marktentwicklung keine für die Trendwende in der Mobilität sind die Ver- Lösungsstrategie. Vielmehr liegen die Heraus- schärfungen politischer Vorgaben bezüglich forderungen für die gesamte Branche in einem des CO2-Ausstoßes, der Abgaswerte und der Die- Produktwandel, also der Produkttransformation selfahrverbote in Innenstädten. Zudem treiben weg vom Verbrennungsmotor hin zum Elektro- der allgemeine Wandel im Konsumentenverhal- antrieb. Anstatt eines reinen Mengenproblems ten, das zunehmende Verbraucherbewusstsein kommt es derzeit zu einer Transformation der und die Bereitschaft für den Kauf eines E-Autos wesentlichen Bestandteile eines Pkw. Außer- die Produktionszahlen von Autos mit alternati- dem führen die steigende Akzeptanz von alter- ven Antrieben nach oben. Damit sind auch die nativen Antrieben und die gesellschaftlich unternehmerischen Lösungsstrategien, die geforderte Weiterentwicklung der Fabrikation beispielsweise aus den Erfahrungen der welt- schadstoffarmer Antriebe zu einer Nachfrage- weiten Finanzkrise 2008/2009 oder der euro- verschiebung. Diese Transformation sowie die päischen Krisen 2013 gewonnen wurden, nicht Verbreitung der E-Mobilität in verschiedenen mehr auf die aktuellen Marktentwicklungen an- gesellschaftlichen Schichten führen zwangs- wendbar. weise zu einer Änderung des Produktportfolios der Automobilhersteller und zu einer Neustruk- So zeigt sich, dass ein signifikanter Rückgang turierung der gesamten Wertschöpfungskette. der Fahrzeugnachfrage, ein intensiver Preis- Wichtige Komponenten der konventionellen An- wettbewerb, eine restriktive Kreditvergabe der triebstechnik werden bei alternativen Antrieben Banken sowie Überkapazitäten in der Produk- restlos entfallen. tion nur einige der Gründe waren, welche den ge- samten Automobil-Sektor im Nachgang der welt- weiten Finanzkrise ebenfalls in eine Rezession 8 2.1 Rückläufige Produktionszahlen und stürzten. Diesem in der Krise 2008/2009 domi- Verschiebung zu alternativen Antrieben nierenden Mengenproblem konnte mit Hilfe von Kapazitätsanpassungen begegnet werden, d. h. Nach der Bewältigung des krisenbedingten die Maschinenauslastung und das produzierte Markteinbruchs in 2008 stiegen die Produk- 8) Vgl. PAVLINEK (2015). 10
72,11 72,66 in Mio. Stück 68,60 70,47 67,53 65,44 63,07 3,76 % 5,12 % 3,19 % 1,58 % 0,76 % -3,01 % 5,39 5,44 5,60 5,71 5,75 5,64 5,12 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Deutschland Europa weltweit YoY Quelle: Baker Tilly, ACEA, IHS, VDA (2019) tionszahlen der Automobilhersteller in den letz- bestimmen die mittelfristige Ausrichtung der ten Jahren stetig an. Bis in das Jahr 2015 OEM. wuchs die jährliche Produktion mit einer durch- Insgesamt waren nach dem hinter den Erwar- schnittlichen Rate von 18,2 %. Dennoch halbier- tungen zurückgebliebenen Geschäftsjahr 2018 te sich die Wachstumsgeschwindigkeit seitdem auch die Erwartungen für das Geschäftsjahr deutlich (CAGR 2015-2017: 5,9 %, CAGR = Com- 2019 nicht von Euphorie gekennzeichnet. Viel- pound Annual Growth Rate). Der mit Abstand mehr erwarteten Experten des VDA (Verband stärkste Produktionsrückgang seit der Krise in der Automobilindustrie) eine Stagnation oder 2008/2009 wurde in der zweiten Jahreshälfte 9 einen leichten Rückgang der Automobilproduk- des Jahres 2018 verzeichnet. 11 tion. Diese deutlich geminderten Produktions- Zurückzuführen ist der Einbruch der Produk- zahlen und die Produktionsumstellungen auf tionsleistung in der zweiten Jahreshälfte 2018 alternative Antriebslösungen haben aber starke insbesondere auf die Einführung des neuen Auswirkungen auf die Kooperationen im Wert- WLTP-Verfahrens (Worldwide Harmonized schöpfungsnetz der Zulieferer. Die reduzierte Light-Duty Vehicles Test Procedure) für alle Produktnachfrage nach Komponenten oder Ein- Fahrzeugmodelle mit Verbrennungsmotor. Zu zelteilen durch die OEM wird unmittelbar in der Quartalsbeginn sahen sich viele Automobilher- Pyramide nach unten durchgereicht. In der Fol- steller aufgrund von fehlenden WLTP-Zulassun- ge kann es bei Zulieferern zu einer Überproduk- gen gezwungen, die Neuproduktion zu stoppen tion, einem Lagerbestandsaufbau und einer und sich auf die Nachrüstung und Zertifizierung Unterauslastung der Kapazitäten kommen. der bereits produzierten Modelle zu konzentrier- 10 ten. Neben den Herausforderungen im Rah- men der WLTP-Zulassung drückt auch die allge- 2.2 Stagnation des Absatzes in bisher florie- meine Umstellung auf die E-Mobilität die Pro- renden Märkten duktionszahlen. Bereits seit 2015 wächst hier- Kraftfahrzeuge und -teile stellen den größten zulande die Produktion der alternativen Antrie- Einzelposten an allen von Deutschland expor- be mit einer jährlichen Wachstumsrate von tierten Gütern dar. Neben den USA sind vor 53,72 %. Dabei bestimmen Investitionen auf allem die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, operativer Ebene in die Forschung und Entwick- Indien, China) die wichtigsten Absatzländer, wel- lung neuer Modelle und in den Aus- und Aufbau che über ein Jahrzehnt lang konstante Wachs- von neuen Produktionsstätten sowie neue Ma- tumswerte verzeichneten. Doch bereits seit Sep- schinen die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit tember 2018 unterschreiten die kumulierten der Branche im internationalen Wettbewerb um Pkw-Verkäufe in China, den USA, im Euroland so- E-Mobilität. Produktionstechnische Effizienz- wie in Großbritannien auf Monatsebene den je- maßnahmen, technologische Investitionen und 12 weiligen Vorjahreswert. Neben den europaweit betriebswirtschaftliche Kosteneinsparungen rückläufigen Absatzzahlen bescherte das Jahr 9) Vgl. VDA (2018). 10) Vgl. HEYMANN (2019). 11 11) Vgl. VDA (2018). 12) Vgl. BMWI (2019), S. 1–3.
2018 auch für die bisher treibenden BRIC- bisher dominierenden Verbrennungsmotor wird Staaten einen drastischen Absatzeinbruch. die Komplexität des Antriebsstrangs beim Elek- Besonders China verzeichnete einen starken troauto signifikant reduziert. Allein die Anzahl Absatzrückgang und zeigt seitdem keine Erho- der Bauteile ist bei Elektromotoren mit ca. 100 lung an. Nach Angaben des Branchenverbandes bis 250 Bauteilen wesentlich geringer als bei CAAM (China Association of Automobile Manu- Verbrennungsmotoren mit ca. 1.400 bis 2.500 facturers) fiel der Absatz auf dem weltgrößten Bauteilen. Automarkt in den ersten sieben Monaten des Neben der drastischen Reduktion der Anzahl Jahres 2019 um 12,3 % unter den Vorjahres- der Bauteile kommt es zusätzlich zu einer Ver- wert. Im August ging der Absatz erneut um 13 änderung der eingesetzten Anteile. Während die 7,7 % gegenüber dem Vorjahr zurück. Insge- mechanische Komplexität und Komponenten- samt ist der Markt im vergangenen Jahr somit anzahl eines Pkw mit Elektroantrieb abnimmt, erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten ge- wird zukünftig die Bedeutung von Softwarean- schrumpft. Auch die Wachstumsprognosen des wendungen weiter steigen. So geht der Zuliefe- CAR-Instituts (Center Automotive Research) ge- rer Bosch beispielsweise davon aus, dass sich hen für die kurze Sicht bis 2021 nicht von einer der Elektrik- bzw. Elektronikanteil an der Wert- weiteren Erholung aus. Vielmehr prognostizie- schöpfung von 40 % beim Fahrzeug mit Ver- ren die Experten einen stagnierenden, eventuell brennungsmotor auf 75 % beim Elektroauto sogar rückläufigen Absatz auf dem chinesi- 14 erhöhen wird. schen Markt. Vor allem die große Umweltbela- stung und der Smog in den chinesischen Me- Neben dem Mengenrückgang traditioneller Pro- gastädten sind nach Aussage des CAR-Instituts dukte erhöht der Einbau neuer Soft- und Hard- die wesentlichen Treiber für die rückläufigen ware den Preis- und Innovationsdruck auf die Pkw-Absatzzahlen in dem Land. Dabei wird ver- Zulieferer und lässt neue Nischen sowie Ge- sucht, vor allem durch emissionsfreie Lösungen schäftsmodelle entstehen. Gleichzeitig birgt die lokale Luftverschmutzung zu reduzieren. die Ausweitung von Softwarelösungen die Gefahr des Eintritts neuer Wettbewerber in den Der rückgängige Absatz ist analog zu den rück- bestehenden Markt, wodurch sich das ohnehin läufigen Produktionszahlen auf die gesamte schon kompetitive Geschäftsumfeld noch wei- Transformation der Branche zurückzuführen. So ter verschärfen wird. wuchs im Jahr 2018 beispielsweise die Nach- frage in China nach Elektroautos und Fahrzeu- gen mit alternativen Antrieben um fast 54 %. Zu- 2.4 Preis- und Innovationsdruck der OEM dem sind auf anderen Absatzmärkten ebenfalls Der Verband der Automobilindustrie (VDA) gibt deutliche Trends in Richtung Mobilitätswandel an, dass durch die wesentlichen Arbeitsschritte zu erkennen. Die unmittelbaren Folgen für die der Modulherstellung mindestens 70 % der auto- Zulieferer schlagen sich vor allem in der Reduk- mobilen Gesamtleistung in der Zulieferindustrie tion der Abnahmemenge, dem Wandel des Pro- 15 entstehen. Vor allem kleine und mittlere Unter- duktmixes und sogar dem Auflösen bisher be- nehmen entwickeln auf den unteren Stufen der stehender Geschäftsbeziehungen nieder. Wertschöpfungskette spezialisierte Produkte und innovative Lösungen. Heute stehen in 2.3 Mengenrückgang der produzierten Deutschland wenige große Autobauer einem Einheiten Angebotspolypol von Zulieferbetrieben gegen- über, welches den OEM eine große Marktmacht Der Wandel zur E-Mobilität führt zu einer deutli- verleiht. Der Nachteil der Pyramidenstruktur: chen Reduzierung der Anzahl der verarbeiteten Den Marktdruck durch neue Trends geben die Bauteile in einem Auto sowie einer Verschie- OEM in der Lieferkette über Preise und Innova- bung der Produktanteile. Vor allem Zulieferer tionen weiter. Dieser Preisdruck wird durch die von Powertrain-Komponenten werden durch die gesamte Wertschöpfungskette durchgereicht Umstellung auf einen reinen Elektroantrieb mas- und trifft daher insbesondere den deutschen siv unter Druck geraten, denn im Vergleich zum Zulieferer. 13) Vgl. CAAM (2019). 12 14) Vgl. DISPAN (2013), S.11-12. 15) Vgl. VDA (2019).
Bisher werden etwa 65 % der Innovationen be- Zur Erfüllung der Effizienzmaßnahmen und Um- reits bei Fahrzeugmodulen und auf Initiative stellung auf die Elektromobilität forderten im der Zulieferer durchgeführt, da durch eine hohe März 2019 die deutschen OEM die Zulieferindu- Innovationsfähigkeit die eigene Position im strie ausdrücklich zu einer Preisreduktion auf. Wertschöpfungsnetz gesichert und das Risiko, Operative Engpässe, gestiegene Rohstoffkosten substituiert zu werden, reduziert wird. Nicht zu- und nicht zuletzt Automatisierungsvorgänge letzt deshalb haben die Zulieferunternehmen in und eigene Investitionen in die vernetzte Pro- den letzten Jahren mit der durchschnittlichen duktion sind bei den Automobilzulieferern die Investition von 5,7 % ihres Umsatzes in For- maßgeblichen Rahmenbedingungen zur Siche- schung und Entwicklung einen wichtigen Bei- rung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Die Preisset- 16 trag zur Mobilitätswende geleistet. Die relativ zungsmacht der OEM auf die Zulieferer wird große Übertragung des Innovationsprozesses trotz sich abzeichnender Gegenbewegungen an die Zulieferer ist darin begründet, dass eine weiterhin bestehen bleiben. eigene Entwicklung für die OEM zu kostspielig und zeitintensiv wäre. Die Auslagerung der Inno- vationskraft zeigt jedoch, dass das Herz der 2.5 EU-Richtlinie fordert kurzfristige Branche zunehmend auf den unteren Ebenen Umsetzung der Wertschöpfung schlägt. Dennoch verstärkt Seit dem Jahr 2009 sind Pkw und leichte Nutz- der Einstieg neuer Wettbewerber, die vorher fahrzeuge in der EU einer einheitlichen CO2- nicht in dem Wertschöpfungsnetz inbegriffen Regulierung unterworfen. Der durchschnittliche waren (vor allem Softwareanbieter und IT- Ausstoß aller neu zugelassenen Fahrzeuge ei- Unternehmen), den Substitutionszwang der nes Herstellers darf einen gesetzlich fixierten Zulieferer in Richtung neuer Märkte. 16) Vgl. VDA (2019). 13
19 Grenzwert in Gramm CO2 pro Kilometer nicht Ausland exportiert. Dies ist die weltweit höch- überschreiten. Für Pkw innerhalb der EU galt zu- ste Pkw-Exportquote. nächst ein Zielwert von 130 g/km für das Jahr Und auch die wichtigsten Exportländer der deut- 2015. Dieser Wert wurde bis 2020 auf 95 g/km schen Automobilindustrie stehen vor der He- abgesenkt und muss nunmehr von 95 % und ab rausforderung, die politisch vorgegebenen 2021 von der gesamten Neuwagenflotte eines Grenzwerte in naher Zukunft einzuhalten. Die OEM eingehalten werden. Zusätzlich wurde ver- USA wollen bis zum Jahr 2025 den Ausstoß bis einbart, dass die OEM bis zum Jahr 2030 min- zu einem Maximalwert von 99 g/km und China destens 35 % emissionsarme Fahrzeuge wie E- 17 bis 2020 von 117 g/km reduziert haben. Durch Autos und Plug-in-Hybride verkaufen müssen. die starke Luftverschmutzung und Umweltbela- Der VDA-Präsident Bernhard Mattes sieht die stung plant die chinesische Regierung sogar, ab EU-Richtlinie als große Herausforderung für die 2030 keine Neufahrzeuge mit Verbrennungsmo- Automobilindustrie, denn schon der für 2020 tor mehr zuzulassen. Bereits 2017 beschloss festgelegte Grenzwert ist nach Aussage des Ex- die chinesische Regierung in Peking die Einfüh- perten selbst mit sauberen Verbrennern nicht rung einer Quote für E-Autos. Ab 2019 gilt für je- 18 zu erreichen. Um die Maximalwerte der EU zu den Hersteller eine Quote für Elektroautos von erfüllen, müssten jährlich etwa 7,7 Mio. Elektro- 10 %, ab 2020 sollen es schon 12 % sein. Wei- autos verkauft und die Verbrennungsmotoren terhin subventioniert China Pkw mit Elektroan- zusätzlich deutlich optimierter sowie effizienter trieb sehr stark und weist zum heutigen Zeit- gestaltet werden. Trotz der Richtlinie wiesen punkt bereits einen Marktanteil bei Neuzulas- dennoch die Anfang 2019 in Deutschland neu sungen von 77 % auf. Kurzfristig wird der Anteil zugelassenen Pkw immer noch einen zu hohen noch weiter steigen, da weiterhin eine Vielzahl durchschnittlichen CO2-Ausstoß auf. von Anreizen gesetzt werden. Beispielsweise darf mit einem E-Auto die ganze Woche gefah- Doch nicht nur die europäischen Vorschriften ren werden, für Autos mit Verbrennungsmotor sind maßgeblich für die künftige Ausrichtung besteht dagegen an einem Tag pro Woche Fahr- der Branche, da Deutschland als einer der größ- verbot. ten Kraftfahrzeugproduzenten der Welt auch die großen Märkte in China und in den USA bedient. Zulassungsrestriktionen von Autos mit Verbren- Denn im Gegensatz zu den USA oder China ist nungsmotoren in ähnlicher Weise zum chinesi- für die deutschen Automobilhersteller eine star- schen Markt werden auch in Teilen von Europa ke Exportorientierung charakteristisch. Nach angedacht. So empfiehlt der offizielle Trans- Angaben des Verbands der Automobilindustrie portplan der norwegischen Regierung, bis 2025 wurden beispielsweise im Jahr 2018 rund 78 % keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zuzu- 20 der gesamten deutschen Pkw-Produktion ins lassen. Steuerbegünstigung, Subventionen 17) Vgl. SPAHL (2018). 14 18) Vgl. VDA (2019). 19) Vgl. VDA (2018). 20) Vgl. ARETZ (2019).
und kostenloser Strom zum Tanken sind einige 2.6 Einstellung der Verbraucher zunehmend monetäre Anreize, die den Norwegern eine Um- umweltbewusster stellung zu einem alternativen Antrieb erleich- Während im Jahr 2016 die Kaufbereitschaft für tern sollen. Ähnliche Schritte geht auch die nie- ein Elektroauto bei weniger als 30 % lag, stieg derländische Regierung, die mit Steuerzuschüs- die Präferenz nur zwei Jahre später auf knapp sen und Anfangssubventionen die Kaufbereit- 50 %. Zwar liegt der Marktanteil von reinen Elek- schaft der Konsumenten hin zu Elektroautos 21 troautos in Deutschland aktuell bei etwas über fördern will. 2 %, dennoch ist eine steigende Tendenz in den 25 Doch nicht nur die weltweiten Emissionsvorga- Neuzulassungsstatistiken erkennbar. Während ben verstärken bereits aktuell die Nachfrage 2016 im ganzen Jahr 11.410 reine Elektroautos nach E-Mobilität. Auch die immer stärker stei- neu zugelassen worden sind, lag die Anzahl gende Anzahl an Zufahrtsbeschränkungen für zwei Jahre später bereits bei 36.062 reinen Elek- 26 europäische Innenstädte, vor allem für Diesel- troautos. Die zunehmende Akzeptanz und Fahrzeuge, signalisiert die Notwendigkeit alter- Kaufbereitschaft ist dabei nicht nur auf das ge- nativer Antriebslösungen. Beispielsweise wurde stiegene Umweltbewusstsein der Verbraucher die Umweltzone im Großraum Paris ausgewei- zurückzuführen. Auch die Abgaswertemanipu- tet und Diesel-Fahrzeuge mit Euro-Norm 0 bis 3 lation im Rahmen der Dieselgate-Affäre haben sowie Benziner mit Euro-Norm 0 und 1 dürfen einen Beitrag zu einem Wertewandel der Ver- 22 ab Juli nicht mehr in das Zentrum einfahren. braucher geleistet. Zudem treiben der demogra- Analog gilt seit dem 12. Februar 2019 im ge- fische Wandel und die Urbanisierung die Nach- samten Stadtgebiet in Mailand ein ganzjähriges frage nach alternativen und nachhaltigen Mobi- 23 Dieselverbot. Zudem wird speziell in Deutsch- litätslösungen. land eine Vielzahl von Fahrverboten in Innen- Wie schnell ein Wechsel zur E-Mobilität in städten zur Einhaltung von Luftreinhalteplänen Deutschland verlaufen wird, hängt neben der ge- geprüft. Dieselfahrzeuge mit Euro-Norm 1 bis 4 sellschaftlichen Akzeptanz von einer Vielzahl und ältere Benzin-Fahrzeuge mit Euro-Norm 1 komplementärer Faktoren wie dem Ausbau der und 2 werden seit April 2019 von der Straßen- Ladeinfrastruktur und der Höhe des Anschaf- benutzung der Bonner Innenstadt ausgeschlos- fungs- sowie Betriebspreises ab. Die lückenhaf- sen. Für die Stadt Essen hat das Verwaltungs- te Ladeinfrastruktur wurde bereits im Rahmen gericht Gelsenkirchen sogar ein Fahrverbot für eines Förderprogramms des Bundesministeri- die Autobahn A40 angeordnet. Die Einführung ums für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie von Fahrverboten in den Städten Aachen, Berlin, einer Kooperation der Autobauer in Angriff Frankfurt, Hamburg, Hannover, Köln, Mainz, 24 genommen. Durch das Errichten des Joint Ven- München und Stuttgart ist bereits geplant. tures „Ionity“ von BMW, VW, Daimler und Ford 21) Vgl. FISCHER (2017). 25) Vgl. ENBW (2019). 22) Vgl. ATOUT FRANCE (2017). 26) Vgl. KRAFTFAHRT-BUNDESAMT (2018). 15 23) Vgl. KOELLER (2018). 24) Vgl. ADAC (2019).
2.7 Finanzierungsstruktur der Zulieferer langfristig orientiert Hauptprobleme Die aktuelle Niedrigzinsphase an insbesondere hohe Anschafffungskosten den europäischen Finanzmärkten ist für boni- geringe Reichweite tätsstarke Unternehmen erleichternd. Vor allem die Finanzierung langlebiger Vermögensgegen- nicht vorhandene Infrastruktur stände wie Maschinen oder Produktionsmittel beschränktes Angebot werden in der aktuellen Marktlage durch das Komforteinschränkungen niedrige Zinsniveau begünstigt. Durch die Restwert der Fahrzeuge erleichterte Kreditaufnahme zu vorteilhaften Konditionen hat sich in den letzten Jahren die Finanzierungsstruktur der meisten Unterneh- men verschoben: Viele Mittelständler weisen daher eine höhere Fremdfinanzierungsquote als noch vor 20 Jahren auf. Der durchschnittliche soll eine bedarfsgerechte Ladeinfrastruktur auf mittelständische Zulieferer weist eine Fremdka- den wichtigsten Verkehrsstrecken in Deutsch- pitalquote von fast 70 % auf. Als Finanzierungs- 27 land bereits im Jahr 2020 umgesetzt werden. quelle ist der Bankkredit zwar weiterhin das zen- Auch wenn anhand der Zulassungszahlen klar trale Fremdfinanzierungsinstrument im Mittel- ist, dass auf absehbare Zeit nur eine Minderheit stand, jedoch gewinnen andere Finanzierungs- der im Verkehr anzutreffenden Fahrzeuge rein quellen wie z. B. Lieferantenkredite oder Facto- elektrisch betrieben werden wird, ist mit einem ring als Finanzierungsoptionen an Bedeutung. kontinuierlichen Anstieg des Elektromobilitäts- Doch der nach wie vor dominierende Fokus auf anteils innerhalb des Verkehrsmixes zu kalkulie- Bankenfinanzierung kann im Rahmen des Mobi- ren. Für die wesentlichen Hauptprobleme in der litätswandels zu einem Problem werden. Erhöhung des Elektromobilitätsanteils existiert Die Investitionsentscheidungen der meisten bereits eine Vielzahl von Lösungen, die durch Zulieferer sind von einer langjährigen Nutzungs- brancheninterne Akteure kurz- und mittelfristig dauer geprägt. Viele Maschinen sind speziell für erfolgreich umgesetzt werden müssen. die Produktion eines bestimmten Teiles oder Abseits dessen bleibt jedoch auch festzuhalten, Vorganges oder bestimmte Vorgänge beschafft dass sich nicht nur die Antriebspräferenz der worden. Weiterhin wurde bei den Investitions- Konsumenten verändert, sondern die Struktur entscheidungen oft von einer hohen Kapazitäts- von Mobilität und Transport insgesamt. Bei- auslastung ausgegangen. Sofern aber diese Pro- spielsweise haben Untersuchungen der forsa duktionsplanung nicht eingehalten werden Gesellschaft für Sozialforschung und statisti- kann, kommt die optimale Maschinenbelegung sche Analysen gezeigt, dass vor allem in den ins Schwanken. Fehlende Stückzahlen führen Großstädten das Bedürfnis nach Individualver- zu fehlenden Erträgen, welche dann für die Ein- kehr in den letzten Jahren deutlich abgenom- haltung der vereinbarten Zins- und Tilgungszah- 28 men hat. Die fortschreitende Urbanisierung, lungen fehlen können, auch wenn diese von überfüllte Straßen und das steigende Angebot vornherein nur niedrig angesetzt waren. Zukünf- an Car-Sharing-Diensten sind nur einige der tige Zinsniveausteigerungen können mögliche Gründe gegen den Individualbesitz über einen Probleme der Unternehmen dann noch weiter Pkw – unabhängig von der Antriebsart. verstärken. 27) Vgl. IONITY (2019). 16 28) Vgl. DAIMLER (2018).
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3. Die Zulieferbranche 3.1 Marktstruktur und künftige Entwicklung Anpassungsmaßnahmen bei den Zulieferern innerhalb der Zulieferbranche auslösen. Der Zeithorizont der Zulieferer für die Umsetzung von strategischen Vorgaben Laut Branchenverband besteht die Zulieferin- der OEM verkürzt sich innerhalb der Wertschöp- dustrie aus ca. 1.000 Unternehmen, von denen fungskette von Stufe zu Stufe nach unten im- über 85 % dem industriellen Mittelstand an- mer mehr. Somit kann eine heute optimale gehören. Bis auf einige wenige große Tier1- Strategie eines Zulieferers morgen bereits nicht Zulieferer wie Bosch, Continental oder ZF Fried- mehr zielführend sein. richshafen ist die Branche daher maßgeblich 29 vom Mittelstand dominiert. Vor allem die Unternehmen auf der untersten Stufe der Pyramide sind besonders bedroht. Im Rahmen der Wertschöpfung beziehen die OEM in der Regel Module, Komponenten und Teile von verschiedenen Zulieferern. Während im Jahr 2002 die durchschnittliche OEM- Eigenleistung bei etwa 35 % lag, nahm dieser Wert bis zum Jahr 2015 auf 22,5 % ab und wird Der Wertschöpfungsant sich mit der Umstellung auf die E-Mobilität noch weiter in Richtung der Zulieferer verschieben. 30 an der Gesamtproduktio Die Vorentwicklung, Modulfertigung und Fahr- 2015 zeugmontage zeigen nach Ansicht des Fraun- hofer-Instituts die größte Verschiebung hin zu Fahrwerk 24 % den Zulieferern. Außerdem wird der Beitrag im Rahmen der elektrischen Antriebsmodule und der Elektrik/Elektronik sowie des Softwareein- Antriebsstrang 32 % 31 satzes besonders schnell wachsen. Die Autobauer haben traditionell eine starke Verbrenner Marktmacht. Nicht nur der Preis- und Innova- und Aggregate 35 % tionsdruck wird direkt an alle Hierarchiestufen weitergegeben, vielmehr verkleinert sich mit der Elektrische Antriebe 24 % jeweilig vorgelagerten Pyramidenstufe auch der Zeithorizont für strategische Entscheidungen. Aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses zwi- Karosserie 85 % schen den Akteuren besteht ein umgekehrter Strategiezusammenhang: Die Markt- und Preis- setzungsmacht der Autobauer bewirkt, dass Exterieur 35 % Langfristentscheidungen der OEM kurzfristige Interieur 15 % 29) Vgl. VDA (2018). 18 30) Vgl. REILING (2012). Elektrik/ 31 Vgl. IHK STUTTGART (2018), S. 6–8. Elektronik 6%
Position Supply Chain mit OEM 10–15 Jahre entsprechendem Zeithorizont Tier1 4–10 Jahre Tier2 2–4 Jahre Fokus 1 Jahr Baker Tilly Tier3 Auf der zweiten und dritten Vorleistungsstufe übergeordneten Verarbeitungsstufen die Pro- sind die Unternehmen einerseits oftmals wenig gnosegenauigkeit und verhindert oftmals die ausdifferenziert und die Abhängigkeit von den Verfolgung einer eigenständigen, langfristigen lukrativen Aufträgen der Tier1-Unternehmen ist Strategie. Im besonderen Fall der Umstellung andererseits groß. Dadurch kann unerwartet auf die E-Mobilität wäre ein längerer Zeithori- schnell ein Dominoeffekt auftreten, da eine Exis- zont für die kleineren Zulieferer allerdings tenzgefährdung der großen Hersteller eine Ket- wünschenswert, denn die Produktpalette his- tenreaktion bei einer Vielzahl der kleinen und torisch gewachsener Zulieferunternehmen mittelständischen Betriebe auslösen kann. Zu- ist vom Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor dem erschwert das Abhängigkeitsverhältnis zu geprägt und existenziell abhängig von der Be- lieferung an die OEM. Um den Strukturwandel der E-Mobilität mitzumachen, bedarf es vor allem einer ausreichenden Transformationszeit. eil der Zulieferer 3.2 Anhaltende Konsolidierung der Branche n steigt kontinuierlich Die Automobilbranche gilt als eine der wenigen Branchen, die durch stetige Konsolidierungs- 2025 wellen gekennzeichnet ist. Infolge der ersten OEM großen Konsolidierungswelle nach dem zweiten Veränderung 24 % Weltkrieg wurden zahlreiche Zulieferer ver- Zulieferer drängt und die Anzahl der im Markt tätigen Anbieter verringerte sich von 1950 bis 1998 26 % um fast 80 %. 32 Die zweite große Konsolidierungswelle erfolgte im Rahmen der letzten globalen Krise. Nach 32 % Marktrecherchen des Beratungsunternehmens Perspektiv GmbH mussten in der Zeitspanne 9% von 2007 bis 2013 weltweit über 400 Automo- bilzulieferer Insolvenz anmelden. Allein in Deutschland waren mehr als 80 Unternehmen 79 % nicht mehr zahlungsfähig. Davon wurden 64 dieser Zulieferer-Insolvenzen in Deutschland in den Bereichen „Gussteile“, „Kunststoffteile“ und 24 % „Metallteile“ verzeichnet, da diese prozessorien- tierten Segmente von einem niedrigen Rendite- 12 % 32) Vgl. BLATZ et al. (2006), S. 11–12. 19 6% Quelle: FAST 2025
niveau, einem intensiven Preiswettbewerb und nachgefragtes Produkt in entsprechender Men- 33 Überkapazitäten gekennzeichnet waren. Zu- ge liefern konnte und trotz des zunehmenden dem gelten als weitere Ursachen für die Zuliefe- Preisdrucks noch wettbewerbsfähig war. Bis- rer-Insolvenzwelle ein starker Absatzeinbruch herige Krisen resultierten deswegen zumeist der gesamten Automobilindustrie, der nicht von in einer reinen Mengenanpassung. staatlichen Programmen (Abwrackprämie) auf- Allerdings sind die derzeitigen Herausforderun- gefangen werden konnte, die starke Abhängig- gen für die OEM und Zulieferer nicht mit einer keit der deutschen Automobilzulieferer von erneuten Mengen- und Kapazitätsanpassung zu OEM sowie hoher Kostendruck seitens der Auto- meistern, sondern nur mittels zukunftsfähiger mobilhersteller bei gleichzeitigen Rohstoffpreis- und konsequenter Neustrukturierung zu bewäl- steigerungen. Vor allem die zuletzt genannten tigen. Eine Bedrohungssituation existiert vor- Faktoren sind auf die Pyramidenstruktur der Zu- nehmlich für solche Unternehmen, die sich der lieferbranche zurückzuführen und auch derzeit strukturellen Krise nicht stellen (wollen) und am Markt zu beobachten. Sinkende Wachs- versuchen, wie in der Vergangenheit, nur mit tumsraten, der Einbruch der Fahrzeugnachfrage einer Mengenanpassung zu reagieren. Dieses in wesentlichen Absatzgebieten, ein intensiver Vorgehen kann allerdings wie bereits beschrie- Preiswettbewerb innerhalb der Branche sowie ben nicht zielführend sein. Der strukturelle Um- die Gefahr einer fehlenden Wettbewerbsfähig- bruch wird neue Produkte sowie Wettbewerber keit bei der Umstellung auf die E-Mobilität füh- entstehen und traditionelle Komponenten aus ren künftig weiterhin zu einer anhaltenden Kon- der Lieferkette verschwinden lassen. Für einige solidierung der Branche. Die Zahl der mittel- Zulieferer werden der (Absatz-)Markt und die ständischen Zulieferer wird aufgrund des aktu- Wettbewerbsposition nach dem Wandel zur ellen wettbewerbsintensiven Marktumfeldes E-Mobilität nicht mehr so existieren wie bisher. mittelfristig deutlich sinken. Jedes Unternehmen steht daher vor der ele- Eine Vielzahl der Zulieferer ist vom Wandel der mentaren Frage, wie der Wandel die mittelfristi- E-Mobilität direkt oder indirekt betroffen und ge Ausrichtung und Existenz beeinflussen wird, kann künftig die Entwicklung des Marktes mit- denn unterschiedliche Zulieferer weisen unter- bestimmen. Der strukturelle Wandel hat aller- schiedliche Geschäftsmodelle mit den dazuge- dings auf jeden Marktteilnehmer des Wert- hörigen spezifischen Problemen auf und erfor- schöpfungsnetzes einen anderen Einfluss. Die dern individuelle Lösungsansätze. individuelle Finanzierungssituation, die histo- risch gewachsenen Infrastrukturen und Koope- ration sowie das spezifische Produktportfolio eines jeden einzelnen Zulieferers sind die Deter- minanten für die Herausforderung, den Struktur- wandel der E-Mobilität aktiv mitzugestalten und in einem neuen Marktumfeld künftig wettbe- werbsfähig zu bleiben. Zudem ist wie bereits dargestellt erkennbar, dass die aktuellen He- rausforderungen für die Zulieferer nicht mit denen anderer Krisen vergleichbar sind. Die Konsolidierungswellen fanden vornehmlich auf- grund schwächelnder Marktdynamiken sowie ei- nem Überangebot an Anbietern statt und resul- tierten darin, dass viele mittelständischen Zulie- ferbetriebe ihr Geschäft aufgaben. Die histori- schen Krisen überstand derjenige Marktteilneh- mer, der sich bereits eine starke Positionierung in der Wertschöpfungskette erarbeitet hatte, ein 33) Vgl. PERSPEKTIV (2010), S. 5–7. 20
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4. Modulgruppen entscheiden Power-Train über Risikopotenzial Fahrwerk Ein Pkw lässt sich in sechs verschiedene Mo- schätzung der Produkte der jeweiligen Unter- dulgruppen einteilen, die im Rahmen des Mobili- nehmung durchgeführt werden. Auf dieser tätswandels unterschiedliche Risiken hinsicht- Basis lässt sich erkennen, wie hoch die Gefahr lich ihrer Substitution aufweisen. Die Gefahr ist einer Substitution und Bedrohung von Unterneh- von der jeweiligen Modulzugehörigkeit abhän- men insbesondere der Bereiche von Powertrain gig, so dass alle Zulieferer vom Wandel der und Fahrwerk sind. E-Mobilität betroffen sein können. Ein hohes Risiko besteht beispielsweise bei Bauteilen aus Powertrain und Fahrwerk wie z. B. Verbren- 4.1 Fahrwerk nungsmotoren, Getriebe, Dichtungen oder Ab- Das Fahrwerk definiert sich als Gesamtheit aller gasanlagen. Das geringste Substitutionsrisiko Teile, die der Verbindung von Karosserie über liegt dagegen bei Fahrassistent- oder Infotain- die Räder zur Fahrbahn dienen. Neben Antrieb ment-Lieferanten vor. und Fahrzeugaufbau ist das Fahrwerk ein Mithilfe einer umfassenden Produkt- und Sensi- Hauptbestandteil des Automobils, welches so- tivitätsanalyse kann eine individuelle Risikoein- wohl für Komfort der Insassen als auch für die Fahrdynamik wesentlich ist. Wesentliche Pro- duktbestandteile sind die Räder, die Radaufhän- gungen, die Lenkung, die Bremsen und Federn sowie Dämpfer. Disruptionspotenzial auf bestehende Geschäftsmodelle Substitutionsrisiko: Reduktion der Komplexität sowie der Vernetzung des Fahrwerks gering hoch Die Trends im Fahrwerk werden vor allem von Batteriesysteme dem Ziel einer höheren Effizienz bei gleichzei- Power- Alternative tiger Ressourcenschonung getrieben, ohne train Antriebslösungen Abstriche bei Fahrdynamik, Sicherheit und Alternative Komfort machen zu müssen. Erreicht werden Fahrwerk Antriebssysteme können diese Ziele beispielsweise durch die Reduktion Komplexität Komplexitätsreduktion des Fahrwerkes und den Ersatz notwendiger Bauteile. Der Zulieferer ZF Karosserie Evolvierendes Design Friedrichshafen entwickelte dafür ein innovati- ves Achsenkonzept. Zur Antriebssteuerung wird Integration lediglich ein einzelnes Bauteil benutzt: eine Interieur Querblattfeder aus glasfaserverstärktem Kunst- E/E-Komponenten stoff. Dieses Modulteil übernimmt über die Fahr- Software Federungs- und Stabilisierungsfunktionen hin- assistent Vernetzte Umwelt aus auch die Radführung und damit essenzielle Info- Digitalisierung tainment Höherer Displayeinsatz
Infotainment und Elektronik Karosserie Innenraum Fahrassistenz und Sicherheit Aufgaben für die Spurstabilität und Fahrsicher- nehmen, die sich auf die Herstellung von heit eines Fahrzeugs. Durch den Einsatz dieses Powertrain-Segmenten fokussiert haben, zentralen Bauteils fallen bislang notwendige stehen bei der Veränderung zum Elektromotor Stabilisatoren mit Lagerung sowie Pendelstüt- besonders unter Druck, da ein Elektroauto zen, Querlenker und konventionelle Schrauben- substanziell weniger Getriebekomponenten federn weg. Zusätzlich erreichte ZF Friedrichs- benötigt als konventionelle Schaltgetriebe. hafen durch diese Entwicklung auch eine Re- Substitutionsrisiko: Aufstieg Batteriesystem duktion des Gewichts, was für die Reichweite und alternative Antriebslösungen von Elektrofahrzeugen ebenfalls einen wichti- gen Faktor darstellt. 34 Kolben, Kurbelwellen und all jene Bauteile, die dazu dienen, den während der Verbrennung ent- Ein weiterer Innovationstrend ist die zunehmen- stehenden Druck in eine Drehbewegung umzu- de Vernetzung des Fahrwerks insgesamt. Durch wandeln, benötigt der Elektroantrieb nicht mehr. Kameras, Sensoren und Software-Algorithmen Ein Zitat des BMW-Gesamtbetriebsratsvor- können beispielsweise Schlaglöcher auf der sitzenden Manfred Schoch verdeutlicht die dras- Straße erkannt und durch das responsive Fahr- tische Veränderung im Rahmen der Umstellung werksystem oder die adaptive Dämpferregelung auf den Elektromotor: Ein Achtzylindermotor in ihrer Bedrohlichkeit reduziert werden. Im Ge- hat 1.200 Teile, die montiert werden müssen, gensatz zum herkömmlichen Fahrwerkregelsys- 35 ein Elektromotor nur 17 Teile. Zudem benötigt tem ermöglicht die Vernetzung einen massiven die Wertschöpfung eines Elektromotors weni- Komfort- und Sicherheitsgewinn. Funktionen ger als 50 % des Montage- und Beschaffungs- wie Drehmomentverteilung (Torque Vectoring) aufwands im Vergleich zu einem Verbrenner. oder die aktive Wankstabilisierung ERC (Electro- mechanical Roll Control) sind dabei nur zwei Wesentliche Innovationsträger sind deshalb Beispiele für künftige fahrdynamische Entwick- neue und alternative Antriebsstränge, aber auch lungen des Fahrwerks. die Optimierung von bisherigen Motorapplika- tionen im Zuge der Abgasnachbehandlung oder der Reduzierung von Emissionen. Kunststoff- 4.2 Powertrain Leichtbauteile und -module hingegen werden für beide Antriebsstränge be- Erst im Zusammenspiel aller Antriebsstrang- nötigt. Bei konventionell angetriebe- komponenten wird die vom Motor generierte nen Fahrzeugen tragen sie durch ihr Leistung auf die Straße übertragen. Daher geringeres Gewicht dazu bei, dass spielen die Komponenten des Powertrains die Emissionen und Kraftstoffverbrauch zurückge- elementare Rolle, da diese die Leistung für den hen. Bei Elektrofahrzeugen verlängert sich da- Antrieb generieren. Motor, Kupplung, Getriebe, durch beispielsweise die für die individuelle Antriebswelle und Achsdifferenziale sind Kaufentscheidung wichtige Reichweite. Teilkomponenten für den Powertrain. Unter- 34) Vgl. EUROTRANSPORT (2019). 35) Vgl. KARG (2017). 23
5. Phasenspezifische Analyse sichert Wettbewerbsfähigkeit Die Grundüberlegung, der sich jeder Zulieferer des Produkt eindeutig einer Risikoklasse zuge- derzeit gegenübersieht, ist die Frage, inwiefern ordnet. Weiterhin wird anhand von Risikopara- das eigene Geschäftsmodell den strukturellen metern beurteilt, wie stark ein Produkt durch Wandel in Richtung E-Mobilität abbildet. Wäh- den Umbruch der Automobilbranche von einer rend einige Unternehmen nicht von der Markt- Disruption bedroht ist. Basierend auf dieser Zu- transformation berührt werden, ist deren Ein- ordnung können weitere Maßnahmen identifi- fluss auf eine Vielzahl von Zulieferern unver- ziert werden. Ein entsprechender Handlungsbe- meidbar. Je nach entsprechender Modulzuge- darf ergibt sich somit schon aus einer reinen hörigkeit wirken sich die künftigen Trends Produktklassifizierung und der Ausarbeitung, schwächer oder stärker auf die operative Ge- wie hoch das Substitutionsrisiko ist. Allerdings schäftstätigkeit aus. Bevor der strukturelle Wan- kann die produktspezifische Analyse auch erge- del das betroffene Unternehmen zu stark beein- ben, dass keine potenzielle Bedrohung durch flusst und das Unternehmen in eine weitrei- den Wandel besteht. In diesem Falle können chende Krise drängt, ist eine grundlegende Be- unternehmens- und marktspezifische Produkt- wertung des Status quo sowie eine zukunfts- chancen, auch abseits der ursprünglichen Ab- gerichtete Potenzialanalyse sinnvoll. nehmer, herausgearbeitet werden. Eine idealtypische Bedrohungssituation kann in Phase 2: Situationsanalyse zur eindeutigen Kri- drei Phasen gegliedert werden. Je später eine senzuordnung Krisenbewältigungsstrategie umgesetzt wird, Oftmals wird eine Bedrohung den Unterneh- desto höher ist der Handlungsdruck und desto mern erst bewusst, wenn Liquiditätsengpässe niedriger ist die potenzielle Anzahl umsetzbarer einsetzen. Doch dann ist es meistens schon zu Lösungsansätze. Daher sollten eine Engpass- spät. Denn die Liquiditätskrise ist nur die End- situation oder anderweitige Bedrohung frühzei- phase eines schleichenden Prozesses. Die früh- tig und zielgerichtet identifiziert werden. Eine zeitige Erkennung und eigene Verortung in eine rechtzeitige, unternehmensspezifische Krisen- idealtypische Krisenphase sind große Heraus- analyse und die damit verbundene, eindeutige forderungen im Umgang mit einer turbulenten Phasenzuordnung ermöglichen die Ausarbei- Situation aus der Innenansicht eines Unterneh- tung von spezifischen Handlungsempfehlungen mens. Eine Verschleppung der Krise führt zu ei- und Maßnahmen nach individueller Betroffen- nem erhöhten Handlungsdruck, einem kurzen heit des Zulieferers. Umsetzungshorizont und einer niedrigeren Aus- Phase 1: Produktspezifische Analyse zur ange- wahl an Bewältigungsstrategien. messenen Risikoidentifikation Daher ist eine rechtzeitige Prüfung und Konzep- Im Rahmen einer umfassenden Produkt- und tion einer stabilen, zukunftsfähigen Geschäfts- Sensitivitätsanalyse wird eine Risikoeinschät- struktur ein Vorteil gegenüber dem Wettbewerb. zung der Unternehmung vorgenommen und je- Mit der antizipierten Veränderung des Marktes 24
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