Gefährliches Spiel mit dem Euro-Ausstieg - WIRTSCHAFTS- UND SOZIALGEOGRAPHIE WIRTSCHAFTSINFORMATIONEN - EduGroup.at
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WIRTSCHAFTS- UND SOZIALGEOGRAPHIE WIRTSCHAFTSINFORMATIONEN Dr. Christian Sitte und Mag. Alfons Koller Gefährliches Spiel mit dem Euro-Ausstieg Ein Bankrott Griechenlands außerhalb der Eurozone wäre das ungünstigste Szenario Sebastian Dullien/Daniela Schwarzer* Erstmals wurde auf höchster politischer Ebene der Aus griechischer Sicht könnte es die „billigere“ Lö- Hinauswurf eines Mitgliedstaats aus der Eurozone er- sung sein, Pleite und Ausstieg parallel anzugehen. Für wogen. Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs die anderen Mitglieder der Eurozone dagegen wäre es Staatspräsident Nicolas Sarkozy haben die griechische vorteilhafter, wenn Griechenland trotzeines Bankrotts Regierung vor die Wahl gestellt: Entweder Griechen- in der Eurozone bliebe. land erfüllt alle Auflagen von EU und Internationalem Währungsfonds oder es muss die Eurozone verlassen. Zwei Forderungsverzichte, keine Lösung Auf den ersten Blick ist diese harte Strategie aufgegan- gen, denn der griechische Premier hat das angekün- Auf den ersten Blick scheint es, als stünde ein griechi- digte Referendum zurückgezogen. In Athen hat eine scher Staatsbankrott gar nicht mehr zur Debatte. Schon Übergangsregierung unter dem früheren stellvertreten- beim EU-Gipfel am 21. Juli 2011 war unter der Bezeich- den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Lou- nung Private Sector Involvement (PSI) mit den privaten kas Papadimos, die Umsetzung der Reformen über- Gläubigern ein Forderungsverzicht von rund 20 Pro- nommen. Gleichzeitig hat sich das Spektrum scheinba- zent vereinbart worden. Auf dem Eurozonen-Gipfel am rer politischer Lösungsmöglichkeiten für die Verschul- 26. Oktober 2011 wurde er gar auf 50 Prozent erhöht. So dungskrise erweitert. Der Austritt oder das Hinaus- entstand der trügerischere Eindruck, ein Zahlungsaus- drängen eines Landes aus der Eurozone sind kein fall sei abgewendet worden. Tabu mehr, auch wenn dafür die Rechtsgrundlage in Die Gefahr ist aber nicht gebannt. Erstens betrifft der der EU fehlt. „Saubere“ oder „einfache“ Lösungen, als Schuldenschnitt nur einen kleinen Teil der griechischen die sie mitunter gehandelt werden, sind sie jedoch Staatsschulden, nämlich diejenigen, die noch von Ban- nicht. Ein griechischer Staatsbankrott mit gleichzeiti- ken, Versicherungen und anderen privaten Anlegern gem Euro-Austritt wäre verheerend für die EU. gehalten werden. Große Forderungen gegenüber Grie- Griechenlands Reformanstrengungen werden weit- chenland aber liegen inzwischen bei der Europäischen hin als unzureichend wahrgenommen. Damit nicht ge- Zentralbank (EZB), dem Internationalen Währungs- nug: Innenpolitischer Widerstand veranlasste im Okto- fonds (IWF) und den europäischen Partnern. Dieser ber 2011 den damaligen Premierminister Georgios Pa- Anteil wird auf gut ein Drittel der rund 350 Milliarden pandreou, ein Referendum über die Reformpolitik an- Euro ausstehender Staatsschulden geschätzt und ist von zukündigen. Aus diesen Gründen brachten vor allem der Schuldenrestrukturierung zunächst nicht betroffen. die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Zweitens ist unklar, ob überhaupt genug private Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die Herauslö- Gläubiger dem schmerzhaften Forderungsverzicht in sung Griechenlands aus der Eurozone ins Gespräch. Höhe von 50 Prozent zustimmen werden. Wenn nicht, ist der Plan Makulatur, die Schuldenquote bis 2020 auf Unterschiedliche Szenarien werden seither disku- 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu senken. tiert, zum Beispiel eine Art Hinauswurf Griechenlands, Drittens dürfte sich selbst mit dem Schuldenschnitt sollte es die Auflagen von EU und IWF nicht erfüllen der griechische Schuldenstand nur langsam wieder in und darum seine nächsten Kredittranchen nicht erhal- Richtung Tragfähigkeit bewegen. Die Planungen zur ten. Auch ein freiwilliger Austritt des Landes wird erwo- Entwicklung der Staatsfinanzen beruhen auf der An- gen, sofern dessen Regierung zu der Auffassung ge- nahme anhaltender Austerität und einer Rückkehr des langt, dass sich die Probleme Verschuldung und man- Wirtschaftswachstums ab 2013. Hier gibt es gleich eine gelnde Wettbewerbsfähigkeit besser außerhalb des ge- ganze Reihe von Unsicherheiten. So ist ungewiss, ob meinsamen Währungsraums lösen lassen. Ein Ausstieg aus der Währungsunion hieße, dass * Prof. Dr. Sebastian Dullien lehrt Allgemeine Volkswirtschaftslehre Griechenland wieder eine nationale Währung einführt, an der HTW Berlin und ist Senior Policy Fellow am European Coun- cil on Foreign Relations. etwa eine neue Drachme. Dies dürfte mit einem Staats- Dr. Daniela Schwarzer leitet bei der SWP die Forschungsgruppe Eu- bankrott einhergehen, denn das Land würde seine ropäische Integration. Schulden nicht mehr bedienen. Wir danke der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ www.swp-ber- lin.org für die Nachdruckerlaubnis dieses Beitrags aus swp-aktuell Ein Staatsbankrott wäre indes nicht zwingend mit ei- 54, Nov. 2011. Hinweisen möchten wir in diesem Zusammenhang nem Eurozonenaustritt verknüpft. Es wäre denkbar, auch auf andere interessante Bereiche auf dieser Homepage, wie zB. weitere Themendossiers neben dem zur EU, solche zu Afghanis- dass Griechenland zwar die Schulden nicht mehr zu- tan, den Aufbruch in der Arabischen Welt, Klimapolitik u. a. SWP- rückzahlt, aber in der Währungsunion bleibt. Studien und laufend aktueller Meldungen. Wissenschaftliche Nachrichten Nr. 141 · November/Dezember 2011 43
die Wirtschaft wie erhofft wachsen wird. Seit den Ver- den zu begleichen. Zunächst würde sie alle Zins- und handlungen über das erste Hilfspaket haben IWF und Tilgungszahlungen auf die Schuldverbindlichkeiten Europäische Kommission regelmäßig die wachstums- des griechischen Staates stoppen. Über die kommen- hemmenden Folgen der Sparpakete unterschätzt. Zu- den Jahre würde sie sich mit den Gläubigern über die dem ist fraglich, ob ein Jahrzehnt harter Sparpolitik po- Auszahlung eines kleinen Anteils der Schulden verstän- litisch durchzuhalten ist, selbst wenn die neue Regie- digen. rung Papadimos das Reformprogramm weiter umsetzt. Bis 2020 finden mindestens zwei Mal nationale Parla- Folgen für Griechenland mentswahlen in Griechenland statt, die von innenpoliti- Bei einem Bankrott innerhalb des Euro-Raums wäre schen Auseinandersetzungen um Sparpolitik und Griechenland praktisch sofort vom Kapitalmarkt abge- Strukturreformen begleitet werden dürften. Nicht aus- schnitten. Die Regierung könnte ihre Ausgaben nur aus zuschließen ist, dass die Stimmung in der Bevölkerung laufenden Einnahmen decken. Wie stark dies die tat- sich noch stärker gegen den Reformkurs wendet und sächlichen Ausgaben des griechischen Staates beein- eine Mehrheit am Ende einen Staatsbankrott dem stän- trächtigen würde, hängt davon ab, wie groß der Finan- digen strikten Sparen vorzieht. zierungsbedarf nach Einstellung des Schuldendienstes Es hängt viertens auch von der Situation im griechi- noch ist. Dies lässt sich am sogenannten Primärdefizit schen Bankensektor ab, ob der beim EU-Gipfel am des öffentlichen Sektors ablesen, das den Finanzie- 23. Oktober 2011 verkündete zweite freiwillige Forde- rungsbedarf vor Zinszahlungen darstellt. rungsverzicht es erlauben wird, den griechischen Für das Jahr 2011 sieht der Bericht der Troika von Schuldenstand tatsächlich auf 120 Prozent des BIP zu Ende Oktober 2011 noch ein Finanzierungsdefizit von reduzieren. Abschreibungen auf die griechischen 1,8 bis 2,3 Prozent des BIP vor. Für 2012 geht die Pro- Staatsanleihen in Höhe von geschätzt rund 50 Milliar- gnose von einem ausgeglichenen Etat vor Zinszahlung den Euro in den Portfolios griechischer Banken machen aus. Die Zahlen für 2011 würden deshalb bei einer Rekapitalisierungen nötig. Diese wiederum treiben den Staatspleite einen weiteren sofortigen Einschnitt aller griechischen Schuldenstand in die Höhe. Staatsausgaben um 5 Prozent implizieren, jene für das Jahr 2012 würden bedeuten, dass Griechenland nach Staatsbankrott in zwei Szenarien: einem Bankrott und dem Ende der Hilfszahlungen sein mit und ohne Euroaustritt bisheriges Ausgabenniveau sogar aufrechterhalten könnte. Trotz des zweiten Restrukturierungspakets ist es also weiterhin möglich, dass Griechenland seine Schulden Allerdings dürften sich diese Schätzungen aufgrund nicht zurückzahlt. Rechtlich wäre dies handhabbar: Der geänderter Rahmenbedingungen als zu optimistisch Großteil der griechischen Anleihen ist nach griechi- erweisen, wenn Griechenland tatsächlich zahlungsun- schem Recht begeben. Die Zahlungen könnten nach fähig würde. Schwere wirtschaftliche Verwerfungen nationaler Gesetzgebung eingestellt werden. Schwieri- wären die Folge, weil etwa die Eigentümer von Staats- ger wird es bei den Krediten des IWF und der EU-Part- anleihen ihrerseits ihre Verbindlichkeiten nicht mehr ner. Die IWF-Kredite haben Vorrang vor anderen. Erst bedienen könnten. Zudem würden die Banken in eine danach sind die EU-Partner an der Reihe, die sich Krise geraten (siehe unten). Die Steuereinnahmen brä- am Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus chen weiter ein. Die Vorhersage der Troika für das Pri- (EFSM) und an der Europäischen Finanzstabilisierungs- märdefizit wäre damit obsolet. Stattdessen wären neue fazilität (EFSF) beteiligt haben. Einschnitte bei den Staatsausgaben oder Steuererhö- Ein Zahlungsausfall gegenüber den EU-Partnern hungen notwendig, was wiederum die Rezession ver- wäre eine enorme politische Belastungsprobe für die schlimmern würde. Eurozone. Die Geberstaaten, deren Staatsfinanzen in Ein solcher Staatsbankrott riefe zweifellos eine tiefe einigen Fällen selbst unter starkem Druck stehen, müss- Krise im griechischen Bankensektor hervor, weil alle ten mit den finanziellen Bürden durch den Kreditausfall griechischen Staatsanleihen noch einmal weit unter ih- umgehen. Selbst in den Ländern, die dies verkraften rem bisherigen Marktwert abgeschrieben werden könnten, wüchse die Ablehnung gegenüber den Hilfs- müssten. Die griechischen Banken wären damit weitge- mechanismen und den Empfängerländern. Dies würde hend pleite. das weiterhin unerlässliche Krisenmanagement und die Die Partner in der Eurozone könnten der Regierung politische Durchsetzbarkeit notwendiger Governance- einen EFSF-Kredit zur Rekapitalisierung der Banken ge- Reformen in der Eurozone beträchtlich erschweren. währen. Rechtlich dürfte dies bei einem unilateral er- Auch in Politikfeldern, die nicht direkt mit der Wirt- klärten Zahlungsausfall möglich sein, solange die grie- schafts- und Währungsunion zusammenhängen, wäre chischen Kredite noch aus dem ersten Hilfspaket von mit politischen Blockaden zu rechnen. den EU-Partnern kommen und nicht über die EFSF. Grundsätzlich kann sich der Staatsbankrott auf zwei Politisch wäre es jedoch sehr schwierig, im Falle ei- Arten vollziehen: Im ersten Szenario stellt Griechenland nes Staatsbankrotts einen solchen EFSF-Kredit gegen- die Zahlung auf die Staatsschulden ein, versucht aber, über der Öffentlichkeit in den anderen EU-Ländern zu im Euro-Raum zu bleiben. Im zweiten Szenario bedient rechtfertigen. Ohne frisches Kapital aber bräche das das Land ebenfalls keine Staatsschulden mehr, führt griechische Bankensystem komplett zusammen. Dies aber zusätzlich eine neue eigene Währung ein. würde die ohnehin tiefe Rezession der griechischen Wirtschaft verschärfen. Eine Rekapitalisierung mit Szenario 1: Staatsbankrott im Euro-Raum EFSF-Geldern hätte zudem den Vorteil, dass die griechi- In diesem Szenario ist die griechische Regierung schen Banken wieder ausreichend Sicherheiten hätten, nicht mehr willens oder in der Lage, ausstehende Schul- um sich bei der EZB mit Liquidität zu versorgen. 44 Wissenschaftliche Nachrichten Nr. 141 · November/Dezember 2011
Geht Griechenland pleite, dürfte es griechischen Un- seit die deutsche Bundeskanzlerin und der französische ternehmen immer schwerer fallen, Importe zu finanzie- Staatspräsident aus den genannten Gründen einen Aus- ren, denn auch ihre Zahlungsfähigkeit dürfte zuneh- tritt Griechenlands ins Spiel brachten. Aus heutiger mend in Frage gestellt werden. In Einzelfällen könnten Sicht ist es jedoch kaum vorstellbar, dass die EU-Partner darum sogar Produktionsprozesse unterbrochen wer- Griechenland gerichtlich zwingen würden, die Verträge den. einzuhalten und damit den Euro als einziges gesetzli- Auch mit einem solchen Staatsbankrott würde die ches Zahlungsmittel im Inland durchzusetzen, wenn griechische Wirtschaft auf absehbare Zeit schrumpfen. das Land darauf bestünde, die Eurozone zu verlassen. Die zusätzlich erzwungenen Kürzungen im Staatshaus- Ein solches Vorgehen träfe auf großes Unverständnis, halt und die wirtschaftlichen Verwerfungen würden das insbesondere in Staaten wie Deutschland, den Nieder- Wachstum kurzfristig sogar noch stärker dämpfen, als landen oder Finnland, in denen viele den Rettungspa- es die Sparpakete tun. Mittelfristig bliebe die griechi- keten für Griechenland skeptisch gegenüberstehen sche Wirtschaft so wenig wettbewerbsfähig wie bisher, und die Auffassung vertreten, dass Griechenland nie so dass auch von der Exportseite zunächst kein starker Mitglied der Eurozone hätte werden dürfen. Deshalb Impuls zu erwarten wäre. dürften die Regierungen sich hüten, so zu verfahren. Allerdings ist ihnen auch die Handhabe verwehrt, ei- Folgen für die Eurozone nen Mitgliedstaat aus der Eurozone auszuschließen. In der Eurozone dürfte ein Zahlungsausfall Grie- Wenn also Regierungschefs ihren Partnern genau damit chenlands nicht nur die Risikoprämien auf die Staatsan- drohen, heißt dies allenfalls, die Bedingungen für einen leihen der Krisenländer Portugal, Spanien, Irland und Verbleib in der Eurozone derart zu verschlechtern, dass Italien steigen lassen, sondern auch von Ländern wie das Land sich entschließt, aus ihr auszuscheiden. Frankreich, Belgien oder gar Österreich. Inwieweit die- Käme es so weit, würde Griechenland versuchen, die ser Anstieg begrenzt werden kann, hängt davon ab, wie Schäden für die eigene Wirtschaft zu minimieren. Dabei stark die Europäische Zentralbank in den Bondmärkten könnte es vom argentinischen Staatsbankrott des Jahres intervenieren wird und wie gut die Hebellösungen des 2001 lernen. In dessen Verlauf wurde nämlich unter EFSF funktionieren werden. dem sogenannten Currency Board die feste Kursanbin- Darüber hinaus würde der oben skizzierte Kreditaus- dung des Peso an den Dollar aufgelöst. Das folgende fall neuen Abschreibebedarf bei den Banken des Euro- Szenario bezieht daher diese Erfahrungen mit ein. Systems erzeugen. Dies dürfte in einigen Fällen die Griechenland könnte parallel zwei Schritte vollzie- Nachfrage nach staatlicher Rekapitalisierung erhöhen, hen: die Zahlungen auf alle Schulden einstellen und insbesondere wenn auch griechische Unternehmen eine nationale Währung einführen. Die Umstellung auf und Banken ihre Verbindlichkeiten zurückzahlen. eine neue griechische Währung würde vermutlich be- Möglicherweise müssten neue EFSF-Programme für deuten, dass die Banken auf Geheiß der Regierung bislang nicht betroffene Staaten aufgelegt werden, da- mehrere Tage lang geschlossen blieben. Während die- mit diese ihre Banken mit frischem Geld ausstatten kön- ser Zeit wären Überweisungen oder Auszahlungen aus nen. Doch dürfte sich der direkte Kapitalbedarf in dem griechischen Bankensystem nicht möglich. Die Grenzen halten, weil die Märkte einen Zahlungsausfall Zeit würde genutzt, um die notwendigen Gesetze zum Griechenlands zum Teil schon in die Preise eingerech- Euro-Ausstieg zu verabschieden und Vorbereitungen net und viele Banken sich zudem von Griechenland- zu treffen. Anleihen getrennt haben. Gesetzlich geregelt würde, dass alle Verträge unter Gefahr droht indes durch indirekte Ansteckungsef- griechischem Recht zum Kurs eins zu eins von Euro auf fekte. Der Kreditausfall Griechenlands erhöht das Risi- die neue Währung umgestellt werden. Dies gälte ver- ko, dass sich die Staatsschuldenkrise für andere Länder mutlich auch für sämtliche Bankeinlagen und Bankver- zuspitzt, und dürfte die schlechten Konjunkturaussich- bindlichkeiten. Des Weiteren dürfte die griechische Re- ten in der Eurozone weiter verdüstern. Trotz aller Risi- gierung per Gesetz Kapitalverkehrskontrollen einfüh- ken besteht aber eine gute Chance, die Schäden mit Hil- ren. fe der existierenden Instrumente zu begrenzen, sofern Denkbar wäre, dass Griechenland auch die ausste- schnell gehandelt wird. henden Staatsanleihen auf die neue Währung umstellt. Plausibler wäre aber, zunächst die alten Anleihen ein- Szenario 2: Bankrott und Austritt fach nicht mehr zu bedienen, da eine Umstellung der aus dem Euro-Raum Altschulden nicht die Schuldenlast selbst verringert. Das zweite Szenario für Griechenland wäre ein Bankrott mit Ausstieg aus der Währungsunion. Letzte- Folgen für Griechenland res ist im EU-Vertrag aber nicht vorgesehen. Gegen die- Auf den Bankrott würde auch in diesem Szenario di- sen verstieße auch die Einführung einer neuen nationa- rekt eine Bankenkrise folgen. Bei vielen griechischen len Währung, denn Artikel 128 EUV schreibt den Euro Banken dürfte das Eigenkapital aufgezehrt sein, wenn als einziges gesetzliches Zahlungsmittel in den Mit- die Bestände griechischer Anleihen abgeschrieben gliedstaaten der Europäischen Währungsunion fest. werden. Anders als im Verbleib-Szenario, in dem EFSF- Nach Artikel 50 ist wohl ein Austritt aus der Europäi- Kredite zur Verfügung stehen könnten, müsste Grie- schen Union als Ganzes möglich, der das Verlassen der chenland die Banken mit neu emittierten Anleihen re- Europäischen Währungsunion einschlösse. kapitalisieren, die im Gegensatz zu den Altanleihen Umstritten ist, ob ein Staat nur aus der Eurozone aus- auch bedient würden. scheiden kann, vorausgesetzt, die Partner stimmen zu. Zudem dürfte der unmittelbare Bedarf für die Anpas- Die politischen Hürden dafür sind jedenfalls niedriger, sungen der Staatsausgaben geringer ausfallen als im Wissenschaftliche Nachrichten Nr. 141 · November/Dezember 2011 45
ersten Szenario, in dem Griechenland den Euro behiel- stellt wird) sogar den krisenbedingten Einbruch der te. Da das Land wieder eine eigene Zentralbank besäße, Wirtschaftsleistung aufholen (siehe Grafik). könnte die Regierung das verbleibende Primärdefizit Argentiniens rasches Wachstum nach dem Crash (sowie die Zinszahlungen auf die neu an die Banken Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, inflationsbereinigt emittierten Anleihen) mit der Notenpresse auszuglei- (2000 = 100) chen suchen. Zweifellos würde die neue griechische Währung ge- genüber dem Euro sofort deutlich an Wert verlieren. Nimmt man Argentinien als Beispiel, scheint eine Ab- wertung um 75 Prozent durchaus realistisch. Das hieße, dass auch Geldersparnisse entwertet würden, was be- sonders die griechische Mittelschicht träfe. Unklar ist, ob eine Hyperinflation Griechenland heimsuchen würde. Gewiss würden zunächst die Im- portpreise kräftig anziehen, insbesondere für Güter ohne inländische Substitute und für Rohstoffe. Der Fall Argentinien zeigt jedoch, dass sich eine anhaltende In- flation gerade in Zeiten tiefer Rezession mit Hilfe von Quelle: Internationaler Währungsfonds 2011, eigene Berechnungen Preiskontrollen vermeiden lässt, selbst wenn die Infla- tionsrate zeitweise zweistellig werden kann. Auch Grie- Folgen für die Eurozone chenlands relativ geringe Importabhängigkeit spräche Für die Eurozone hätte ein griechischer Staatsbank- dafür. Griechische Importe haben zwar einen viel grö- rott mit gleichzeitigem Austritt aus ihr deutlich schwer- ßeren Anteil am BIP als Exporte. Die Importquote liegt wiegendere Folgen als eine Pleite mit Verbleib im ge- aber weit unter der anderer europäischer Staaten. meinsamen Währungsraum. Wie im ersten Szenario Oft heißt es, ein Staatsbankrott mit gleichzeitigem dürfte neuer Abschreibungs- und Kapitalbedarf im Ban- Euro-Ausstieg werde in Griechenland rasch Versor- kensektor entstehen. Auch wüchse das Risiko, dass die gungsengpässe verursachen, weil das Land neben den Märkte für Staatsanleihen der anderen Euro-Länder an- Fehlbeträgen im öffentlichen Haushalt auch ein Defizit gesteckt werden. in der Leistungsbilanz aufweise. Übersehen wird dabei, Der Eurozone würde zudem eine völlig neue Art der dass sich Griechenlands Leistungsbilanz in diesem Fall Ansteckung drohen. Nach der forcierten Währungsum- spürbar verbessern dürfte. Erstens ist das Leistungsbi- stellung hätten die Spareinlagen im griechischen Ban- lanzdefizit in hohem Maße auf Zinszahlungen an das kensystem nur noch einen Bruchteil ihres ursprüngli- Ausland zurückzuführen, die bei einem Staatsbankrott chen Wertes. In Italien, Portugal, Spanien und Irland weitgehend wegfielen. Zweitens würde eine Abwer- würde sich schnell die Befürchtung verbreiten, dass in tung in der oben skizzierten Größenordnung die Tou- diesen Ländern Ähnliches passieren kann. Da es im rismusindustrie gegenüber Ländern wie der Türkei Binnenmarkt ein Leichtes ist, ein Bankkonto in einem oder Tunesien schlagartig wettbewerbsfähiger machen. anderen Mitgliedstaat zu eröffnen, dürften Spareinla- Zu guter Letzt darf nicht vergessen werden, dass die gen aus den Banken jener Länder rasch und in großem Griechen heute noch eine beträchtliche Menge an Stil nach Deutschland abfließen. Euro-Bargeld und Euro-Anlagen im Ausland halten, mit Aufgrund dieser Kapitalflucht würden die Banken denen sie Importe bezahlen und damit zumindest für enorme Liquiditätsprobleme bekommen, denn in der eine Übergangszeit das Leistungsbilanzdefizit finanzie- Regel haben Geldinstitute hoch liquide Verbindlichkei- ren könnten. ten (etwa Sichteinlagen), aber illiquide Forderungen Kurzfristig wäre ein solches Szenario mit großen Risi- (etwa Hypotheken oder Unternehmenskredite). Im ken für die griechische Volkswirtschaft verbunden. Vor schlimmsten Fall mündet der Abzug von Depositen in allem dürfte die rechtliche Unsicherheit über Jahre die Insolvenz des Bankensektors. Dann hätte auch die hoch bleiben, bis alle Gerichtsverfahren im Zusammen- EZB nur begrenzte Möglichkeiten, mit ihren üblichen hang mit dem Bankrott und der erzwungenen Wäh- Instrumenten zu Hilfe zu kommen. Gemeinhin verleiht rungsumstellung abgearbeitet sind. Mittelfristig böte die EZB nämlich Geld an die Banken gegen Anleihen dieses Szenario allerdings die Chance für eine schnelle- mit guter Bonität. Es werden aber nur wenige Aktiva re Rückkehr zum Wirtschaftswachstum: Durch die mas- der Banken überhaupt in solchen Anleihen gehalten. sive Abwertung der neuen Währung wären die Proble- Allenfalls könnten Not-Liquiditätshilfen aus dem soge- me mangelnder preislicher Wettbewerbsfähigkeit über nannten Emergency-Liquidity-Assistance-Programm Nacht beseitigt. Die griechische Regierung würde zu- der nationalen Zentralbanken hier greifen. nächst keine weiteren Sparpakete benötigen. Bliebe die Alternative, die Banken mit mehr Eigenka- Diese optimistische Sicht mag zunächst verwundern, pital, möglicherweise aus EFSF-Mitteln, auszustatten, doch untermauert wird sie von Argentiniens Erfahrun- um den Abzug von Spareinlagen auszugleichen. Aller- gen im Zusammenhang mit der Krise 2001: Nach dem dings muss man sich klarmachen, dass dann das Eigen- Staatsbankrott und der Abwertung begann die argenti- kapital massiv aufgestockt werden müsste. Dafür wären nische Wirtschaft binnen Jahresfrist wieder deutlich zu wesentlich mehr Mittel erforderlich als für bislang dis- wachsen. Misst man das Pro-Kopf-BIP inflationsberei- kutierte Rekapitalisierungen. Der EFSF wäre auch dann nigt, konnte Argentinien innerhalb weniger Jahre im unterkapitalisiert, wenn die schon beschlossenen He- Vergleich mit dem Nachbarland Brasilien (das derzeit beloptionen umgesetzt wären. Allein das italienische gerne als südamerikanisches Wachstumsvorbild hinge- Bankensystem hat derzeit rund 800 Milliarden Euro an 46 Wissenschaftliche Nachrichten Nr. 141 · November/Dezember 2011
Einlagen auf Girokonten sowie mehr als 1000 Milliar- Diese Gefahren und Kosten sollten mitgedacht wer- den Euro als Einlagen beim Postbanksystem, deren Ab- den, bevor Griechenland politische Ultimaten gestellt fluss kompensiert werden müsste. werden. Es mag der griechischen Regierung helfen, die Beginnt ein unkontrollierter Run auf die Banken der vorgeschriebenen Reformen und die Austeritätspolitik Staaten an der Euro-Peripherie, könnten sich diese Län- fortzuführen, wenn sie zwischen Anpassungspro- der gezwungen sehen, entweder einen Totalzusam- gramm und Eurozonenaustritt wählen muss. Dies sowie menbruch ihres Bankensystems mit dramatischen real- die Absage des angekündigten Referendums mögen wirtschaftlichen Verwerfungen hinzunehmen oder aus Sicht der Geberländer wünschenswert sein. dem Beispiel Griechenlands zu folgen und wieder eine Doch gleichzeitig spielt die EU mit dem Feuer: Je stär- eigene Währung einzuführen. ker der Druck auf Griechenland mit der Drohung eines Als letztes Mittel könnten die Regierungen im Bin- erzwungenen Ausstiegs, desto größer die Wahrschein- nenmarkt Kapitalverkehrskontrollen einrichten. Damit lichkeit, dass sich in der griechischen Diskussion genau könnten etwa Überweisungen in andere Euro-Länder die Kräfte durchsetzen, die diese Lösung anstreben. Die nur noch dann erlaubt werden, wenn Importverträge hier beschriebenen Szenarien zeigen dagegen, dass es oder Rechnungen vorgelegt werden. Solche Maßnah- sogar im Interesse der Währungsunion liegen könnte, men müssten prinzipiell in einer vertragskonformen die politische Stimmung in Griechenland für einen Ver- Weise möglich sein. Die Kehrseite wäre, dass neue Bar- bleib im Währungsraum zu unterstützen und den not- rieren im eigentlich integrierten Finanzmarkt entstün- wendigen Anpassungsprozess noch energischer zu den, die unter anderem die Funktionsweise des Bin- flankieren. nenmarkts stören würden. Soll der Kapitalverkehr Neben den bestehenden Maßnahmen und einem überwacht werden, müssen überdies Personenkontrol- weiter reichenden Schuldenschnitt spricht daher sehr len an den Grenzen erfolgen. Das wäre ein weiterer viel für ein von der EU oder den Euro-Partnern unter- Rückschlag für den freien Personenverkehr und den stütztes Wachstumsprogramm, nach dessen Maßgabe Abbau von Grenzkontrollen im Schengen-Raum. in Infrastruktur, Bildung und Forschung sowie den Auf- bau wettbewerbsfähiger Industrien investiert wird. Gleichzeitig sollte der griechischen Regierung bei den Schlussfolgerungen nötigen Reformen zur Schaffung investitionsfreundli- Ein herbeigeführter Staatsbankrott Griechenlands, cher Rahmenbedingungen entschlossen unter die Arme ob innerhalb oder außerhalb der Eurozone, birgt erheb- gegriffen werden. liche Gefahren. Was die Aufteilung von Risiken und Ein solches Programm könnte die negativen Folgen Kosten zwischen Griechenland und den Euro-Partnern der griechischen Austeritätsprogramme dämpfen, dem betrifft, gibt es aber einen erheblichen, wiewohl bislang Land mittelfristig Wachstumschancen eröffnen und so in der Diskussion vernachlässigten Unterschied: Der den Anstieg der Arbeitslosigkeit und den Rückgang des Staatsbankrott innerhalb der Eurozone erscheint für Bruttoinlandsprodukts begrenzen. Da das Land im Ver- Griechenland selbst möglicherweise schmerzhafter als gleich zum Rest des Euro-Raums recht klein ist, könnte die Pleite mitsamt Austritt aus dem Währungsraum, ein Wachstumspaket im Volumen von 5 Prozent des denn im zweiten Fall besteht zumindest die Chance auf griechischen BIP für wenig mehr als 10 Milliarden Euro eine rasche Rückkehr zu Wirtschaftswachstum. Für den umgesetzt werden. Dies entspräche nur gut 0,1 Prozent Rest der Eurozone hingegen ist eine griechische Staats- des BIP der Eurozone und dürfte einen maßgeblichen pleite mit dem Verbleib des Landes in der Eurozone die Impuls setzen. Ein solch umfassender Ansatz dürfte we- klar bessere Option, weil ein Run auf die Banken in sentlich billiger sein als die Kollateralschäden, die an- Spanien, Portugal, Italien und Irland weniger wahr- fielen, wenn Griechenland die Währungsunion verlie- scheinlich wäre und die Ansteckungseffekte über die ße. Anleihenmärkte nicht so gravierend ausfielen. Vermögenssteuern als Rettungsgasse in der Schuldenkrise* Der Finanzmathematiker Walter Schachermayer Die Summe der Schulden ist stets ident mit der Summe (2011 – s. u.) hat kürzlich argumentiert, wer die Staats- der Guthaben. Darauf weisen Ökonomen zwar immer schulden verringern wolle, der komme aus saldenme- wieder hin, doch wird ihnen offenbar wenig Gehör ge- chanischen Gründen letztlich nicht umhin, auch die schenkt. Dabei muss man über keine ausgeprägten ma- den Schulden gegenüberstehenden Guthaben zu ver- thematischen Fähigkeiten verfügen, um zu sehen, dass ringern. Die Zinszahlungen führten langfristig zu einer jedem Euro Schulden irgendwo ein Euro Guthaben ge- immer stärkeren Belastung der breiten Masse der Steu- genüberstehen muss. erzahler zugunsten der Inhaber von Staatspapieren, Der Mathematiker Erhard Glötzl (2011 – s. u.) wird also tendenziell zu einer Umverteilung von unten nach * Univ. Prof. Dr. Heinz D. Kurz, in: Der Standard, Kommentar der An- oben. So weit, so bekannt. Es ist aber wichtig, diesem deren 30. 12. 2011 – Anm.: Weitere Aufsätze auf Befund das folgende logische Faktum hinzuzufügen: www.uni-graz.at/heinz.kurz/papers.html + vgl anderer Lit.-LINK auch in WN 136. Wissenschaftliche Nachrichten Nr. 141 · November/Dezember 2011 47
nicht müde, diesen tautologischen Zusammenhang zu daraufhin den erforderlichen Abgabesatz auf das Kapi- betonen. Er schließt mit dem Satz: „Es wäre jedenfalls tal. Seinen Überlegungen zufolge würde mit einem Satz fatal, eine stärkere Besteuerung von Vermögen zu ta- von 25 Prozent auf das nationale Kapital die Staats- buisieren.“ Tatsächlich haben bedeutende Ökonomen schuld getilgt werden können. Die Vorteile einer Ver- Kapital- und Vermögenssteuern als wirksame Mittel zur mögensabgabe lagen auf der Hand. Sie war in ihrem Bekämpfung von aus dem Ruder laufenden Staats- Gesamtumfang begrenzt und gleich der zu tilgenden schulden insbesondere nach Kriegen und nationalen Schuld. Sie betraf sowohl die Eigner von Real- als auch Katastrophen vorgeschlagen. Geldvermögen. Sie betraf nur existierendes Vermögen Der wohl bedeutendste Vertreter einer einmaligen und belastete damit nicht oder nur geringfügig zukünf- Vermögensabgabe zur Tilgung einer gewaltigen Staats- tige Generationen. Freibeträge könnten verhindern, schuld war David Ricardo (1772–1823). Die Staats- dass kleine Vermögen besteuert und somit auch die we- schuld Englands war infolge der Napoleonischen Krie- niger Begüterten betroffen würden. ge und angesichts unzureichender Steuereinnahmen Auch ein anderer berühmter liberaler und in Öster- auf bisher unbekannte Höhen angeschwollen und hatte reich bestens bekannter Ökonom trat für eine Kapitalab- in der Nachkriegszeit dazu geführt, dass etwa die Hälfte gabe zur Schuldentilgung ein: Als Joseph Alois Schum- der laufenden Steuereinnahmen für den Schulden- peter im Jahr 1919 für einige Monate das Amt des Staats- dienst verwendet werden musste. sekretärs der Finanzen (Finanzminister) bekleidete, Ricardo war als „stock jobber“ am London Exchange setzte er sich für eine Kapitalsteuer zur Tilgung der ös- tätig und nach der Niederlage Napoleons in der terreichischen Schulden nach dem Ersten Weltkrieg ein. Schlacht von Waterloo im Jahr 1815 und den infolge- Es ist erstaunlich, wie sehr Vermögenssteuern heut- dessen in die Höhe schnellenden Kursen englischer zutage in Österreich und anderswo verteufelt werden, Staatsobligationen, die er in größerer Menge erworben obgleich die aktuelle Lage an Dramatik durchaus mit hatte, zu gewaltigem Reichtum gelangt – er war gewis- den beiden genannten Fällen vergleichbar ist. Überdies sermaßen ein Kriegsgewinnler. Die öffentliche Schuld, ist darauf aufmerksam zu machen, dass es innerhalb der so sein uneigennütziger Vorschlag, sollte durch eine vergangenen Jahre und zum Teil als Folge der Liberali- einmalige Vermögenssteuer innerhalb weniger Jahre sierung der Finanzmärkte zu einer starken Umvertei- getilgt werden. Als Mitglied des House of Commons lung von Einkommen und Vermögen gekommen ist, hielt er am 24. 12. 1819 eine Rede, deren Mitschrift unter von der insbesondere der Finanzsektor profitiert hat. anderem besagt: „Um sich gegen dieses Übel zu schüt- Die dort erzielten zum Teil unfassbaren Einkommen zen, das unmittelbar verantwortlich ist für individuelle und Vermögen stellen alles in den Schatten, was in den Ungerechtigkeit und nationalen Schaden, solle das ge- Märchen der Gebrüder Grimm an Reichtümern be- samte Kapital eines Landes für den Abbau der öffentli- schrieben wird. chen Schuld ermittelt werden, sodass kein Kapital mehr Eine Gesellschaft – ließ uns der liberale Altmeister das Land verlassen dürfe, ohne vorher einen fairen An- Adam Smith wissen – die nicht auf Gerechtigkeit in der teil dieser Schuld zu begleichen. Die Durchführung die- Verteilungsfrage achtet, kann keine gute Gesellschaft ses Plans könne zwar auf gewisse Schwierigkeiten sto- sein. Und Nobelpreisträger James Tobin beklagte, „dass ßen, aber die Bedeutung des angestrebten Zieles sei wir einen immer größeren Teil unserer Ressourcen, ein- das Experiment wert, jede sich ergebende Schwierig- schließlich der Crème unserer Jugend, in finanzielle Ak- keit zu überwinden. Der gesamte Plan, mittels dessen tivitäten schicken, die weit entfernt sind von der Pro- die Begleichung der öffentlichen Schuld verwirklicht duktion von Gütern und Dienstleistungen – Aktivitäten, werden könne, sei seiner Ansicht nach innerhalb von die zwar hohe private Vergütungen mit sich bringen, vier bis fünf Jahren umsetzbar.“ Eine derartige Steuer, die aber in keinerlei Verhältnis zu ihrem sozialen Nut- so Ricardo, würde das Gesamtvermögen Englands nicht zen stehen“. verringern und würde auch die besitzenden Klassen Nicht nur aus saldenmechanischen Gründen, son- nicht ungebührlich belasten, denn der Kapitalwert der dern auch aus Gründen ökonomischer Gerechtigkeit laufenden Steuern auf Vermögen zur Begleichung der und der Beseitigung falscher Anreize ist eine Vermö- Zins- und Amortisationszahlungen würde sich nicht gensbesteuerung unabdingbar. Nebenbei gesagt: Sie sehr von der vorgeschlagenen Abgabe unterscheiden. kommt in jedem Fall, sei es mit Getöse beim Zusam- Ricardo diskutierte die Vor- und Nachteile der vorge- menbruch von Staaten oder Wirtschaftsgebilden, sei es schlagenen Kapitalabgabe mit Freunden, führte Schät- in fernerer Zukunft schleichend über eine Inflation. zungen des Marktwertes der öffentlichen Schuld sowie Aber weder die erste noch die zweite dieser beiden Va- des gesamten nationalen Kapitals (unter Einschluss des rianten ist unter Gerechtigkeits- und Anreizgesichts- Boden- und Geldvermögens) durch und berechnete punkten besonders attraktiv. Ergänzende Literatur online (von Ch. S.): Götzl E., http://derstandard.at/1323222967145/Staatsschulden-Schuldenbremse-fuehrt-ins-Desaster (13. 12. 2011) Schachermayer W., http://derstandard.at/1323916683867/Staatsschulden-Der-Rechenfehler-der-Schuldenbremser (17. 12. 2011) Streissler E. W., http://derstandard.at/1323222577751/Schuldenbremse-Das-Staatsdefizit-rasch-senken-sonst- (9. 12. 2011) http://derstandard.at/1323222888062/Marktwirtschaft-und-Moral-Vom-gar-nicht-so-boesen-Kapitalismus http://derstandard.at/1324501663890/Kommentar-von-Alexandra-Foederl-Schmid-Vom-Pumpen-zum-Sparen http://diepresse.com/home/wirtschaft/eurokrise/714936/Politiker-haben-nicht-die-volle-Wahrheit-gesagt? http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/717434/Wie-Staaten-diskret-ihre-Schulden-loswerden? (16. 12. 2011) http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/719168/Die-unsichtbare-Zerstoerungskraftder-Inflation? (22. 12. 2011) Sandgruber R., Inflation (24. 12. 2011) www.nachrichten.at/nachrichten/wirtschaft/art15,786190 Breuss F., EURO-Rettung … Kerneuropa (4. 1. 2012) http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/721843/index.do Dossiers (laufend): www.wienerzeitung.at/dossiers/euro_krise/ www.nzz.ch/nachrichten/hintergrund/dossiers Daten/Diagramme/Tabellen zur Vermögensverteilung OE aus dem Sozialbericht: www.bmask.gv.at/cms/site/attachments/3/2/3/CH0107/CMS1289832560842/sozialbericht_2010_web.pdf Tipp Ch. S.: darin sehr ertragreiches Material für Maturafragen! 48 Wissenschaftliche Nachrichten Nr. 141 · November/Dezember 2011
Kompetenzorientiertes Arbeiten mit einem Sachtext Methodische Anregungen und Varianten zum „Griechenland-EURO-Ausstiegs-Fachartikel“ In der Oberstufe stellt sich immer wieder das metho- … (etwa zu „positiven“ bzw. „negativen“ Aspekten – dische Problem, Schüler mit direkten Fachtexten zu vgl. s. o. S. 17f.; konfrontieren. Das erscheint einerseits nötig, da große • Ampelmethode zur Urteilsbildung (vgl. bei Böing Teile unserer Schulbücher noch immer nur aus zusam- in PG 9/2011 S. 17 und 21f.); menfassenden fertigen Schulbuchautorentexten be- • zu einem (vorher ausformulierten) Thesenpapier steht - großteils auch ohne Möglichkeiten (zumindest nach dem Lesen (begründet) Stellung beziehen – vgl. über die mitunter eingestreuten Quellentexte) kontro- eine solche Anwendung bei Béneker u. a. in PG 7–8/ verse Standpunkte herausarbeiten zu können (eine 2011, S. 25f.; Voraussetzung etwa Kompetenzniveau III unterricht- • Variante: Stundeneinstieg: „Ein Politiknachrichten- lich zu erreichen). Auch der korrekte und selbstver- magazin will verdeutlichen, dass … Wie kann das den ständliche Umgang mit Literaturzitaten (ein weiterer Zuschauern übersichtlich und kompakt vermittelt wer- Schwachpunkt unserer derzeitigen Schulbücher übri- den?“ – verschiedene Lösungsmöglichkeiten sind denk- gens) kann derart langsam Schülern als die Regel nahe- bar (Schaubild, MMap, Vortrag …) – vgl solches an ei- gebracht werden (eine Voraussetzung für die schriftli- nem anderen Beispiel methodisch bei Krause u. a. in che VWA – zu beidem vgl. in WN 140/2011). Zwar PG 9/2011, S. 11ff.; schult der Deutschunterricht (wie ein Blick in die gängi- • Szenarios beschreiben (nach folgenden Kriterien gen Oberstufenschulbücher dazu uns GW-Lehrern … xy … bewerten) … – vgl. die Methode beschrieben auch einiges vermitteln kann!) solche Fertigkeiten in „Durchblick 8Kl“, S. 49 (& 190), oder im empfehlens- auch. Nachhaltige Erfolge wird man jedoch bei Matu- werten Heft gh 295–296/2011, S. 47f. (+CD-ROM!) – ranten nur erzielen können, wenn derartiges in den mehr zu „Aufgabenkultur“ in gh 291–292/2011; dazu die jeweilige inhaltliche Fachkompetenz mitein- • in einem Wahlpflichtfach mit mehr Zeitspielraum, bindenden Realiengegenständen auch bzw. flankie- ließe sich auf Basis dieses Einstiegstextes + aktueller rend/vertiefend passiert. Schulinterne Methodencurri- weiterer Recherchen im WWW/Zeitungsarchive (Ein- cula mit semesteraufsteigend formulierten Standards stieg Linkliste zis.at ) auch ein Planspiel unterschiedli- dazu (ev. wie in brit. Lehrplänen in zwei bis drei über- cher Interessensgruppen/-personen (Beginn Brainstor- lappenden Niveauausprägungen – unterstes Niveau der ming: welche Rollen gäbe es?) erarbeiten; 6. Kl. entspricht obersten Niveau des 2. Sem der 5. Kl. • Mystery erstellen, wo man nach Formulierung ei- …), wären eine wichtige Errungenschaft möglicher ner – u. U. auch in mehreren Subfragen aufgegliederten SCHILF-Veranstaltungen für die neue Oberstufe. – Leitfrage, etwa „Soll GR aus dem Euro ausscheiden/ In diesen hier zur Verfügung stehenden wenigen Wie kann – sollte vorgegangen werden/Welche Fol- Zeilen nun, sollen einige kurze Ideenanregungen gen-Effekte hat das für die anderen Euroländer wenn … gegeben werden, wie man METHODISCH etwa mit etc.“ – dann eine Anzahl von Kärtchen beigibt, die dann dem vorhergehenden Sachtext/Artikel in einer 6. Kl. als Infokärtchen nach dem Lesen in sinnvolle Bezie- (II. Jg.) aufwärts verfahren könnte: hungen (bzw. zu einem Wirkungsgefüge/Ordnungs- Die auch schon in einem der wenigen einschlägigen diagramm) gesetzt werden sollen. Vgl. dazu Schuler in österr. GW-Didaktik-Artikel (in dem von G. WEHLEND PG 4/2005, S. 23, bzw. Fusser etwas variiert in PG in GW-U 88/2002 siehe diesen u. a. m. verlinkt auf URL: 11/2010, S. 11ff., ferner Schön/Pabst in PG 5/2011, http://homepage.univie.ac.at/Christian.Sitte/FD/PSsozialformen&medien03/03.htm) S. 31ff. – alle einsehbar über www.westermann-fin.de; angeführten Formen der einfachen Textbearbeitung wie • Gruppenpuzzle mit einzelnen Teilen des Artikels • „3- bzw. 5-Schritte-Methode“, Leittext- oder Struk- (für die Expertengruppen) – vorgelagert für Erstellung turdiagrammethode anwenden – sollen hier noch wei- eines Strukturdiagramms als Endprodukt der danach tere kurz angesprochenwerden; zusammentreffenden Stammgruppen (vgl. dazu Ch. S. • die Argumente in 2 Spalten oder in einer MindMap in GW-U 107/2007, S. 25f., oder Serwene in PG 11/2010, bzw. einem Strukturdiagramm aus dem Text zusam- S. 15ff.; bzw. mehr und ausführlicher noch als bei menzustellen (letzteres methodisch vergleichbar etwa REICH K., konstruktivistische Didaktik (Beltz.de), in PG 9/2011, S. 51, vorgeführt – siehe Onlineeinblick http://methodenpool.uni-koeln.de; bei www.westermann-fin.de); • Debatingmethode: 4 Teams à 2 Leute. Auf der • Pro-/Contra-Argumente aus dem Text (schriftlich) gleichen Seite stehen (= Regierung) die T1 & T3, T2 & gegenüberstellen bzw. (verbal) formulieren; T4 sind die „Opposition“. Prozedere: T1 macht einen • Variante davon: Schülergruppen bereiten nach (Gesetzes)Vorschlag/T2 geht in Opposition zu diesem dem Lesen des Textes Argumente vor, für unterschiedli- Thema/T3 verteidigt das selbe Thema wie T1, betrach- che Interessensgruppen/Personen … – vgl. methodisch tet dieses allerdings aus einem neuen Blickwinkel/T4 Ähnliches bei Schmitz in PG 9/2011, S. 31ff., – bzw. sol- schließt für die Opposition ab und zieht Resümee. Da- ches unter dem bekannten Aspekt „Perspektivenwech- bei handeln die einzelnen Personen wie folgt: T1a („Pri- sel“ (Sicht der Griechen … Sicht der Hartwährungslän- meminister“) eröffnet, definiert das Thema (und kann dersteuerzahler …) vorstellen; auch schon erste Argumente dafür bringen)/Sprecher • Erstellen eines Argumentationsbriefings-Papers für T2a („Leader of the Opposition“) setzt dem ersten Spre- Wissenschaftliche Nachrichten Nr. 141 · November/Dezember 2011 49
cher seine Argumente entgegen/T1b (Member of …) Handy, mp3-files) für die Redner zu ihrer späteren bringt weitere konstruktive Argumente für … auf die Selbstreflexion od. als mögliche CD-Beilage in ein Leis- T2b antworten kann. T3a und T4 a müssen „Extension“ tungsportfolio (vgl. dazu Ch. S. in GW-UNTERR. 91/2003 = neuen Blickwinkel bringen. Die „Whipspeaker“ T3b bzw. PPT und T4b schließen resümierend den Fall und conclu- http://homepage.univie.ac.at/Christian.Sitte/portfolio/0x.htm) dieren für ihre Seite (eigentlich ohne neue Argumente. … etc. Jeder Sprecher hat (bis zu) 5 (ev –7) Min., davon sind Auch im Heft Kompetenzorientierte Politische Bil- die 1. & letzte Min. „geschützt“, d. h. dass in der Zeit von dung (inf. z. PB 29/2008) online auf der Opposition keine Fragen gestellt werden dürfen. In www.politischebildung.com findet man etwa S. 38ff., der restlichen Zeit muss der Sprecher auf mindestens 2 60ff. Dazupassendes an Methoden. Fragen eingehen – er darf aber nicht aus dem Auge las- TIPP: Das erste GW-Oberstufenschulbuch, das sen, dass er in der vorgegebenen Zeit auch seine Argu- heuer schon die Kompetenzorientierung für Lehrer- mente durchbringen muss – also bei Beantwortungen Schüler-Eltern gleichermaßen in einer Übersicht und kurz und prägnant bleiben. Ziel: etwas strukturiert für vielfältigen Fragestellungen mit den AFB I, II, III ver- kritische Debatte vortragen können. Dazu ist es wichtig deutlicht, ist übrigens die Auflage 2011 von „RGW 7 Kl. zu entkoppeln, was Thema ist und was man selber neu“ des Verlags Ed. Hölzel. (Eine Onlinevariante ei- meint (vgl. mehr auf „world Debate website“ nes solchen Überblicks für den ebenfalls 2011 neu auf- http://flynn.debating.net/colmmain.htm). Aus (zeit-) gelegten RGW 8. Kl.-Band ist in Vorbereitung.) pragmatischen Gründen kann es ev. sinnvoll sein, Ideal wäre eine Einbindung solcher größerer The- Team 3 und 4 wegzulassen bzw. die Redezeit zu be- men etwa auch in ein „Basiskonzept“, wie es L. Taylor schneiden (insbes. bei nicht trainierten Personen sind 5, in PG 7–8/2011, S. 8, 9 (mit dem Herausarbeiten von oder 7 Min. sehr lang). Die Vorbereitung kann auch vor- Komponenten: Diversität, Veränderung, Wechselbezie- her schon ausgelagert werden – etwa den Artikel in ei- hungen, Wahrnehmung u. Darstellung – vgl. mehr auch ner der oben erwähnten Formen zu Hause durcharbei- bei ten. Eine Jury, Lehrer oder Abstimmung in der Klasse www.geography.org.uk/projects/gtip/thinkpieces/concepts), bewerten danach die Teams. Jeder wird gegen sein di- vorführt. Solches oder Vergleichbares hätten die neuen rektes Gegenüber bewertet – wie beim Boxen ergibt je- BHS-GW-Lehrpläne 2011 leisten können – taten es leider des treffendes Argument einen Punkt. nicht, im Gegenteil. Hiermit (und einigen jüngst darge- Ausweitungsmöglichkeiten im Sinne der Fish- stellten anderen Ansätzen in Geographie& Schule bowldiskussion: Zeitungsartikel darüber (Presse/Stan- 191/2011 bzw. 193/2011 bzw. insbes. dem Kompetenz- dard oder für „Mangelhaftleser“ aus Krone/Oe24 – aus orientierungsheft 195/2012 – alle via: aulis.de) könnte solchen kann man auch eine „populistisch/verkürzte man einige wertvolle Inspirationen zur schulinternen Leserbriefdokumentation zusammenstellen lassen) … fachdidaktischen Verbesserung herauslesen! Schaubild der Argumentepaare danach auf Flipchart … Christian Sitte (univie.ac.at & PH-noe.ac.at) graphisch darstellen, ev. dieses + Audioaufnahmen (via Buchbesprechungen BUTSCHEK Felix (2011): Österreichische Wirt- in einzelnen Kapiteln paradigmatische Konzeptvorstellun- schaftsgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart. gen, Wirklichkeiten der Wirtschaft und des Lebens, Bewälti- Böhlau, Wien–Köln. 616 S. Euro 49. gung von Lebenssituationen, Sozialwissenschaftliche Bil- Der Doyen der österreichischen Wirtschaftsgeschichte dung. und Ex-WIFO-Leiter hat uns mit diesem Werk eine aktuelle Darstellung der Wirtschaftsentwicklung auf dem Gebiet der ZOHLHÖFER Reimut/Kathrin DÜMIG (2011): Poli- heutigen Republik Österreich geliefert, die wir in vielfältiger tik und Wirtschaft. Lehrbuch kompakt. Oldenbourg, Weise nutzen sollten. Sehr schön demonstriert er dabei die München. 162 S., Euro 24,90. Verquickung von Wirtschaft und Politik bzw. von Politik Dieses leicht verständliche Einstiegswerk zeigt dem Leser und Wirtschaft. Mehr als die Hälfte des Buches behandelt die enge Vernetzung von Politik und Wirtschaft. Der erste die Zeit nach 1945 bis heute (= Finanzkrise). Wertvoll sind Abschnitt behandelt die wirtschaftswissenschaftlichen auch die vielen lange Zeitreihen umfassenden Graphiken Grundlagen, die wir auch in den 5. Klassen der Oberstufen und Tabellen. beginnend behandeln sollen (Wirtschaftskeislauf, wirt- schaftspolitische Instrumente, ökonomische Theorieschu- HEDTKE R. (2011): Konzepte ökonomischer Bil- len). Der zweite Großabschnitt handelt dann von Problem- dung. Politische Bildung kleine Reihe. feldern und wie Politik das wirtschaftliche Leistungsprofil www.wochenschau-verlag.de. 95 S., Euro 12,80. beeinflussen kann – etwa bei den drei wirtschaftlichen In diesem Verlag, der eine ganze Reihe lesenswerter Bü- Hauptparametern, Wirtschaftswachstum – Arbeitslosigkeit cher zur Wirtschafts- und Politikdidaktik herausbringt, er- und Beschäftigung – Inflation. Im dritten Hauptabschnitt schien jüngst dieses Praxisbändchen, das kritisch unter- werden dann konkrete Politikfelder beleuchtet – Finanzpo- schiedliche Konzepte ökonomischer Bildung dem Leser litik, Steuern und Verschuldung, Globalisierung und Steuer- vergleichend anbietet. Es bietet somit, wie der Autor politik, Erklärungsansätze der Unterschiede in der Beschäf- schreibt, einen „Kompass“, um zu bestimmen, welche tigungspolitik, staatliche Interventionen in die Wirtschaft. Marschroute man einschlagen möchte. Dazu beleuchtet er Wertvolle Ergänzungen zu den in unseren Schulbüchern vor- 50 Wissenschaftliche Nachrichten Nr. 141 · November/Dezember 2011
handenen Materialien bieten darüber hinaus besonders die MEDIEN+BILDUNG.com (hg.): Fundus Medienpäd- längere Zeitabschnitte zeigenden Graphiken und Tabellen! agogik. 50 Methoden und Konzepte für die Schule. Beltz.de 2010. 192 Seiten, Euro 25.70. STEINGART G. (2011): Das Ende der Normalität. FRIEDRICH K., B. BACHMAIR u. a. (hg.): Mobiles Nachruf auf unser Leben, wie es bisher war. Pie- Lernen mit dem Handy. Herausforderungen und per.de, München. 182 Seiten, Euro 16,95. Chancen für den Unterricht. Beltz.de 2011. 240 Sei- VOGL J. (2010): Das Gespenst des Kapitals. Diapha- ten, Euro 25,70. nes.net, Zürich. 223 Seiten. Euro 14,90. Wir haben in den WN schon öfter auf Methodenbüchern STROBL Th. (2010): Ohne Schulden läuft nichts. zum IKT-Einsatz hingewiesen (in Nr. 140, 139, 133, 132, Warum Sparsamkeit nicht reicher, sondern ärmer 131). Die Autoren des erstgenannten Buches streichen macht. Dtv.de, München. 272 Seiten, EUR 15.40. gleich anfangs heraus, dass wir in einer für unsere Schüler Drei Bücher die einen Bogen über das aktuelle Gesche- in verschiedenster Weise medienbestimmten Freizeitwelt hen spannen: STEINGART geht in seinem essayistisch ge- leben, doch nicht allen Lehrern über die „Werkzeuge“ me- schriebenen Buch der Frage nach: „Was bleibt? Was dienpädagogische Inhalte in der Praxis umzusetzen ver- kommt? Was verschwindet für immer?“ Er beginnt – das fügten. Diese beiden Bücher bieten Anregungen für die zeigt damit auch schon seine Ausrichtung mit einem Kapi- ganze Schule, für alle Fächer – direkt dafür formuliert oder tel „Das Weltfinanzbeben, die Kernschmelze in Japan und für jedes – oft auch für GW – irgendwie adaptierbar. In das Ende der Normalität“. Er zeigt das in einer Reihe von „Fundus …“ sollen LehrerInnen mit vielen konkreten Bei- aktuellen Problemfeldern auf, stellt in Frage, verunsichert, spielen ermuntert werden, mehr als Prozessbegleiter und gibt uns neue Aspekte zum Überdenken. In seinen Kapi- Unterstützer zu agieren. Die Beispiele sind jeweils klar teln findet man drüber hinaus eine Fülle interessanter De- nach „Thema – Zielgruppe – Mediale Lernziele – Material – tails, die manche überkommene Meinung ergänzen und Beschreibung der Durchführung – Erfahrungen – Varian- relativieren lassen – wenn er etwa meint, dass das Restrisi- ten“ gegliedert. Der Bogen der Vorschläge reicht von Ein- ko heute Realität geworden sei – wirtschaftlich als auch stiegen, der Ausdruckskraft vor Kamera und Mikrofon, physikalisch. Ein Buch das zum Nachdenken in vielen uns Ideenfindung zu Medienarten. In diesem Kapitel geht es als gewohnt empfundenen Bereichen anregt! zunächst um Videoeinsatz (Tipp u. a. zu Windows-Movie- VOGL möchte dem Leser nahebringen, dass obwohl Maker), Audio, Foto, PC, Print und ein wenig zum Handy. man Finanzmärkte als Veranstaltungen begreifen kann, in Nach diesen vielfältigen Methodenzugängen stellt das denen sich ein Gutteil menschlicher Wohlfahrt entschei- Buch drei Konzepte zur Ausbildung von Medienpädago- det, bleibe oft uneinsichtig, was dabei genau in ihnen pas- gik vor (Schulradio, Weblog, Kinder und Kamera). Tipps siere. Sein Buch bezieht sich auf einige Konstellationen zu Interviews und Reflexion runden das einen großen ökonomischen Wissens vom 18. Jh. bis zur Gegenwart und Überblick ausbreitende Buch ab. kreist dabei um jene Begebenheiten wie Finanzkrisen und Handyverbot in der Schule? Warum nicht dieses für un- crashs, die den Ablauf finanzökonomischer Prozesse so sere Schüler alltägliche Instrument unterrichtlich nutzen? undurchschaubar machen. Er macht den Versuch zu zei- Eindrucksvoll verdeutlichen die Autoren mit einem Foto gen, wie die moderne Finanzökonomie eine Welt zu ver- eines Koffers, in dem aus anno 1995 all die Gerätschaften stehen versucht, die durch sie selbst hervorgebracht wor- enthalten waren, die die Mediennutzung ermöglichten, die den ist. Hier setzen seine Fragen an: sind die irrationalen 2011 EIN Handy „als Schnittstelle der Medienkonvergenz“ Ausbrüche wirklich Ausnahmefälle oder nicht eher regulä- übernehmen kann! In den konkreten Anwendungen be- re Prozesse in diesem System. Reicht die Unterscheidung ziehen sie sich zum überwiegenden Teil auf kostenfreie von rational und irrational überhaupt? Begegnet ökonomi- pädagogische Einsatzmöglichkeiten, wie die Funktionen sche Rationalität auf diesem Feld nicht ihrer eigenen Un- Foto-, Video-, Audionutzung & Kommunikation (über vernunft? Insgesamt ein interessantes Buch, das man eben- Memo – bluetooth & WLAN ), aber auch via „Neue Impulse so wie die beiden anderen gut für ein Maturaspezialgebie- durch 160 Zeichen“ (SMS) bis hin zum GPS; ferner die te in GW nutzen sollte ! Schnittstellen zu Whitboards entdecken. Viele der darin STROBL geht noch einen Schritt weiter: Im ersten Kapi- angeführten Anregungen wie Spurensuche, Foto-Safari, tel skizziert er an einer Reihe von gut gewählten Personen Bildgeschichten, Erd-, Schräg-, Senkrechtbild, Agenten- und Beispielen die Entstehung des Kapitalismus. Im zwei- jagd im Planquadrat (GPS), Field-Recording, Google-Earth ten Kapitel geht er der Frage nach, was die Ökonomie – als & Handy den Kugelkoordinaten auf der Spur, Video-Tuto- die Wissenschaft von der Wirtschaft – zu leisten imstande rials, GPS-Foto-Exkursion, ein EU Projekt mit Recherche, ist, und warum sie sich offenbar außerstande sieht, Krisen Schaubilder-sharing per bluetooth und facebook, fotogra- wie die jüngste vorherzusagen. Im dritten Kapitel wird „Ein phisch dem Klimawandel auf der Spur, unterwegs als Ra- Blick unter die Motorhaube der Marktwirtschaft“, insbe- dioreporter-Meinungsumfragen, Textzusammenfassung, sondere Banken geworfen, werden sowohl Karl Marx als Internetrecherche mit dem Handy – Warenzeichen einfach auch Joseph Schumpeter für Erklärungen herangezogen. erklärt, Lernstationen, Weblog via Handy füllen … sind nur Im vierten Teil geht er dann der Frage nach, dass – wenn einige besonders gw-affine der 50 Handyanwendungen. unsere Wirtschaft tatsächlich so ungerecht und instabil ist Diese erweitern 5 gelungene Unterrichtsanregungen von und uns viel mehr von Banken und Finanzmärkten abhän- der VS bis zum Gymnasium (für GW besonders interes- gig macht, als uns lieb sein kann – man dann nicht etwas sant: mit dem H. im Wohnumfeld … oder: mit dem H. besseres versuchen könne? durch Europa). Abgerundet wird die wirklich tolle Ideen- Auch in diesem Buch findet man wieder unzählige Fak- sammlung mit einem Abschnitt „6 Eckpunkte für die Pla- ten und Denkansätze, die Wirtschaft(sunterricht) in der nung und Analyse des Unterrichts mit dem Handy“ und ei- Schule spannend machen, zum Denken und Infragestellen nem Glossar. Ein Buch das jede Schule anschaffen sollte! gewohnter und in unseren Schulbüchern oft verkürzt und Ch. S. apodiktisch hineingeschriebener „Tatsachen“ anregen - ähnlich wie es auch R. HEDTKEs „Ökonomische Denkwei- sen“ (vgl. Rezension in WN 133) – Tb. hg. beim wochen- schau-verlag.de – multiperspektivisch für Lehrer aufzeig- ten! Wissenschaftliche Nachrichten Nr. 141 · November/Dezember 2011 51
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