Vom Essen in der Schule - Peter Schneider Der Psychoanalytiker über seine Schulzeit Lehrplan 21 Wer kann wann und wie mitreden? Raumstrategie ...

 
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Vom Essen in der Schule - Peter Schneider Der Psychoanalytiker über seine Schulzeit Lehrplan 21 Wer kann wann und wie mitreden? Raumstrategie ...
Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013

Vom Essen in der Schule
Peter Schneider Der Psychoanalytiker über seine Schulzeit
Lehrplan 21 Wer kann wann und wie mitreden?
Raumstrategie Mittel- und Berufsfachschulen brauchen Platz
Vom Essen in der Schule - Peter Schneider Der Psychoanalytiker über seine Schulzeit Lehrplan 21 Wer kann wann und wie mitreden? Raumstrategie ...
Vom Essen in der Schule - Peter Schneider Der Psychoanalytiker über seine Schulzeit Lehrplan 21 Wer kann wann und wie mitreden? Raumstrategie ...
Inhalt

18        Parat: Sie machen mit beim Versuch
          Fokus Starke Lernbeziehungen.        32       Lebensnah: Lehre als Zeichnerin
                                                        EFZ Fachrichtung Architektur.         36      Passioniert: Der KV-Absolvent,
                                                                                                      der als Rock ’n’ Roller auftritt.

                                                                               Editorial von Katrin Hafner
Kommentar von Bildungsdirektorin Regine Aeppli                   5             Auf die Frage «Was hast du heute im Hort zum
Magazin                                                                        Zmittag gegessen?», antwortet unser Sohn
Im Lehrerzimmer: Schule Zentral in Dietikon                      6             meist: «Etwas Feines.» Mir reicht das. Die Er­
Psychoanalytiker Peter Schneider unter der Lupe                  7             nährung unserer Kinder ist mir selbstverständ­
Fokus: Vom Essen in der Schule                                   8
                                                                               lich wichtig, aber grundsätzlich bin ich der
                                                                               Meinung, dass es beim Essen nicht zuletzt um
Volksschule                                                                    das Soziale geht (beisammensitzen) und um
Wie der Versuch Starke Lernbeziehungen anläuft                  18
                                                                               Genuss.
Martin Wendelspiess über den Lehrplan 21                        20
                                                                                    Die Schule kann sich dem Thema «Essen»
Stafette: Gemischte A-B-Klassen in der Sek Albisriederplatz     22
                                                                               nicht entziehen. Einerseits weil sie in Betreu­
Kurzmeldungen                                                   25
                                                                               ungsstätten oder Kantinen Mahlzeiten und
Mittelschule                                                                   Zwischenverpflegungen für Kinder und Jugend­
Marc Kummer über die neue Raumstrategie                         26
                                                                               liche anbietet. Andererseits, weil die Themen
Kurzmeldungen                                                   29
                                                                               gesunde Ernährung, Übergewicht und Nach­
Berufsbildung                                                                  haltigkeit in aller Munde sind. Wir gingen der
Wenn die Lehrstellenkonferenz wie die «Arena» abläuft           30             Frage nach, wie sich die Schule dieser Heraus­
Berufslehre heute: Zeichnerin Fachrichtung Architektur EFZ      32             forderung stellt, befragten Schülerinnen und
Kurzmeldungen                                                   35
                                                                               Schüler, was sie am liebsten zum Znüni essen
Porträt                                                                        würden, und liessen einen Mensabetreiber
Der rock ’n’ rollende KV-Absolvent                              36             ­erzählen, wie sich die Essgewohnheiten seiner
Service                                                                         Gymnasiasten in den letzten 20 Jahren ver­
Schule und Kultur                                               38              ändert haben. Buch-, Film- und Website-Tipps
Hinweise auf Veranstaltungen                                    40              sollen Appetit machen auf eine vertieftere
Weiterbildung                                                   43              Auseinandersetzung mit der Thematik.
                                                                                    Der Stab geht weiter: Bereits zum zweiten
Amtliches                                                       51
                                                                                Mal porträtieren wir in der Serie «Stafette»
Impressum und wichtige Adressen                                 67              eine Volksschule, die von einer ande­ren für das
                                                                                «Schulblatt» vorgeschlagen worden ist und in­
                                                                                teressante Wege entwickelt. Diesmal geht es
                                                                                um den niveaudurchmischten Unterricht in der
Titelbild: Sabina Bobst
                                                                                Sekundar­schule Albisriederplatz in Zürich. !

                                                                                                        Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013  3
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4  Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013
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Kommentar

                         Für mehr Purzelbäume im Alltag Die Schule hat
                         die Chance, im Alltag das Thema Ernährung nie-
                         derschwellig anzugehen – ohne moralische A
                                                                  ­ ppelle
                         und erst noch mit Vergnügen.
                         Von Regine Aeppli, Bildungsdirektorin

                                                                                        der leben in Familien, in denen die Zeit oder das Wissen
Foto: Béatrice Devènes

                                                                                        fehlt, wie man sich gesund ernährt. Zahlreiche Kinder und
                                                                                        Jugendliche kämpfen deshalb mit zu vielen Kilos. Das ist
                                                                                        eine Hypothek für ihre Gesundheit und manchmal auch für
                                                                                        ihr Selbstwertgefühl. Auf der anderen Seite haben wir auf
                                                                                        der Oberstufe junge Frauen und auch Männer, die am liebs­
                                                                                        ten gar nichts essen würden und süchtig darauf sind, mager
                                                                                        zu sein.
                                                                                              Kürzlich hat der Regierungsrat beschlossen, dass das
                                                                                        kantonale Aktionsprogramm «Leichter Leben – Gesundes
                                                                                        Körpergewicht im Kanton Zürich» weitergeführt wird. Da­
                                                                                        für hat die Regierung rund 800 000 Franken bewilligt. Die
                                                                                         Gesundheitsförderung Schweiz steuert ihrerseits über eine
                                                                                         Million Franken daran bei. Damit werden in den kommen­
                                                                                         den vier Jahren 20 Projekte aus dem Bildungs-, Sport- und
                                                                                         Gesundheitsbereich finanziert. Besonders Projekte, die sich
                                                                                         an Jugendliche und an Kinder richten, sollen unterstützt
                                                                                         werden.
                                                                                              Sie sollen auf allen Schulstufen realisiert werden, wie
                                                                                        zum Beispiel das Projekt «open:Sunday». Hier werden die
                                                                                        Turnhallen am Sonntag geöffnet, damit die Kinder den
                                                                                        ­freien Tag nicht vor dem Computer verbringen, sondern mit
                                                                                         Kolleginnen und Kollegen spielen und sich austoben kön­
                                                                                         nen. Oder das Projekt «Purzelbaum», das sich an die Klei­
                                                                                         neren richtet. Dieses Projekt bietet den Kindern im Kin­
                         Als Mutter habe ich auch den Fehler gemacht, meine Kin­         dergarten oder in den Krippen mehr Möglichkeiten, sich
                         der am Familientisch mit der Bemerkung «Das isch aber           untertags zu bewegen.
                         gsund» zum Salat- oder Gemüseessen zu ermuntern. Das                 Da immer mehr Kinder unter der Woche im schulischen
                         Resultat meiner moralischen Aufrufe war jeweils beschei­        Umfeld betreut werden, stellt sich die Frage, ob und wie die
                         den: «Salat isch gruusig», hiess es und: «Gmües han ich         Schule sich des Themas Ernährung annehmen soll. An vie­
                         nöd gern.» Erfolg hatte ich hingegen, wenn ich Rüebli,          len Schulen wird diesbezüglich schon sehr viel geleistet.
                         ­Stangensellerie und Gurken in Stängeli schnitt und dazu        Kinder, die sich genügend bewegen und sich gesund ernäh­
                          eine Quarksauce zum «Tunken» servierte. Im Nu war alles        ren, sind in der Schule konzentrierter und ausgeglichener.
                          weg und am nächsten Tag wurde erneut danach gefragt.           Die Schule hat die Chance, im Alltag das Thema nieder­
                               Die Reichweite und Nachhaltigkeit von moralischen Ap­     schwellig anzugehen: Wer einmal im Tag zusammen mit sei­
                          pellen ist nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwach­     nen Freundinnen und Freunden im Hort gesund isst, wer in
                          senen beschränkt. Aber gesundes Essen und Spass daran          der Pause einen Apfel beim Pausenkiosk holen kann oder
                          schliessen sich zum Glück nicht aus. Und wer einmal auf        wer nach einer Turnstunde verschwitzt am Brunnen Wasser
                          den Geschmack gekommen ist, wird ausserdem noch fest­          trinken darf, erlebt ganz selbstverständlich und ohne mora­
                          stellen, dass gesundes Essen weniger schlapp macht als fet­    lische Appelle, was gute Ernährung und genügend Bewe­
                          tiges Fleisch in Weissbrotverpackung, dass man sich mit        gung heisst und wie viel Spass man dabei hat.            !
                          gesunder Ernährung also auch besser fühlt.
                               Die meisten Kinder haben ein natürliches Bedürfnis,
                          sich zu bewegen. Doch viele von ihnen haben heute zu we­
                          nig Gelegenheit, sich im Freien auszutoben. Oder die Kin­

                                                                                                                      Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013  5
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Magazin

Im Lehrerzimmer der Primar- und Sekundarschule Zentral
in Dietikon geht auch ein Hund ein und aus.

Fotos: Marion Nitsch

Besonderheit: hoher Sozialindex. 1364 Beine: gehen ein         Kopf: Wenige Meter hinter dem Sitzplatz befindet sich die
und aus: 600 Kindergärtler, Primar- und Sekundarschüler        ehemalige Befestigungsmauer, die im Zweiten Weltkrieg ge­
sowie 80 Lehrpersonen und ein Vierbeiner. Yuma: heisst         baut wurde. Ko-Schulleiter Thomas Bopp wünscht sich: dass
der Terrier und arbeitet im Förderzentrum der Schule mit       die Lounge und der angrenzende Kaffeeraum als Wohlfühl-
Kindern als Therapiehund. Lounge: nennt man den Auf­           und Auftankstation für sein Team funktionieren. Bewusst:
enthaltsraum der Lehrerinnen und Lehrer. Nicht wegzu-          zelebriere man im Team das Gemeinsame, sagt Ko-Schul­
denken: die dunkelgrauen Sofas und auber­    ginefarbenen      leiterin Sandra Faisst, so seien die Sitzungen zum Beispiel
Sitzhocker, die sich auch mal zwei Personen teilen. Riviera-   meist stufenübergreifend. Gelacht wird über: die farbigen
Stimmung: Kam dieses Jahr wegen des Wetters lange nicht        Seile, die eine Lehrerin über der Schulter trägt – sie sei eben
auf, trotz Gartensitzplatz mit Sonnensegel. Mauer vor dem      jederzeit bereit, sich abzuseilen, witzelt ein Kollege. [kat]

6  Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013
Vom Essen in der Schule - Peter Schneider Der Psychoanalytiker über seine Schulzeit Lehrplan 21 Wer kann wann und wie mitreden? Raumstrategie ...
Magazin

Unter der Lupe Fünf Fragen an                                                       Das Zitat «Doch es
Psychoanalytiker Peter Schneider                                                        sind erwiesener­
                                                                                 massen nicht Frustra-
Wenn Sie an Ihre Schulzeit denken, was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn?        tionen, die für Kinder
Der Schulfunk. Den habe ich allerdings nicht in der Schule zu hören be­
kommen, sondern zu Hause. Bereits mit zwei Jahren konnte mich meine                      ungesund sind,
Mutter am besten ruhigstellen, wenn sie mich vors Radio setzte und ich
Schulfunk hören konnte. Da gab es Hörspiele über Kolumbus, Edison und
                                                                                      ­sondern es ist die
Robert Koch. Die richtige Schule war demgegenüber zunächst eine Ent­                 ­Unfähigkeit, diese
täuschung: alles sehr langsam und betulich, keine Kolumbus-Action wie
im Schulfunk. Welcher Lehrperson geben Sie rückblickend die Note 6 und
                                                                                        zu überwinden.»
warum? Meinem Deutschlehrer im Gymnasium. Der hat sich, weil ich – im                  Susy Signer-Fischer, Kinder- und Jugend­
                                                                                                  psychologin, im «Beobachter»
Schulfunk, versteht sich – etwas über Tucholsky gehört hatte, dazu bewegen
lassen, die Literatur der Weimarer Republik zu behandeln. Überhaupt war
das ein Lehrer, der den Duft der grossen weiten Welt ins Schulzimmer ge­
bracht und Lust auf das spätere Studium gemacht hat. Inwiefern hat Ihnen
die Schule geholfen, ein landesweit bekannter Kolumnist und gefragter Psy-
choanalytiker zu werden? Indem ich in der Schule Schreiben, Lesen, Ar­
gumentieren und Interpretieren gelernt habe. Das sind tatsächlich Dinge,
für die es jahrelange Übung braucht – die Auseinandersetzung mit ver­
schiedenen Formen von Texten, mit Stilen und den Traditionen, in denen
sie stehen. Und die Erfahrung, dass Texte ihren Gehalt nicht einfach so
hergeben. Was ist das Wichtigste, was Kinder heute in der Schule lernen
sollen, und warum? Ich glaube nicht, dass es «das Wichtigste» gibt. Es
braucht vielfältiges Wissen. Und dieses wird erst lebendig, wenn man
Kenntnisse aus ganz unterschiedlichen Bereichen aufeinander beziehen
kann. Ich selber finde Mathematik höchst faszinierend. Vielleicht weil ich
in dem Fach immer ein Berg-und-Talbahn-Schüler war – mit einem ab­
schliessenden grässlichen Abschiffer an der Matur. Warum wären Sie eine
gute Lehrperson – oder eben nicht? Ich bin ja Lehrer, auch wenn ich nicht
Schüler, sondern an der Universität Studenten und angehende Psycho­
therapeuten unterrichte. Was ich bei Studenten nicht ausstehen kann, ist
die Haltung «Na, dann versuchen Sie mir mal zu erklä­
ren, warum mich das interessieren sollte» oder
«Kommt das in der Prüfung?». Solche Kunden                                         Die Zahl
des Bildungsangebots können auch mit mir                                              Für 13 800 Mädchen und Buben
nicht viel anfangen. Aber das sind seltene                                               im Kanton Zürich begann vor
Exemplare. In der Schule, mit den Kin­                                                    rund einem Jahr der Kinder­
dern, ist es natürlich anders – da kommt                                                   garten. 13 200 starteten in
man als Lehrer oder Lehrerin gar nicht                                                      ­einem öffentlichen Kinder­
umhin, Interessen zu wecken. Denn                                                            garten, 600 in einem pri­
diese sind ja nicht alle angeboren.                                                          vaten. Wie viele Kinder
Und die Vermittlung der Inhalte                                                              wurden früher oder später
braucht die Vermittlung durch einen                                                         in den Kindergarten auf­
Erwachsenen.                                                                               genommen als vorgesehen?
[Aufgezeichnet von Katrin Hafner]                                                         Während nur etwa 3 Prozent
                                                                                        der in einen öffentlichen Kin­
                                                                                     dergarten aufgenommenen Kin­
                                                                                   der früher als vorgesehen eintraten,
                                                                                 lag der entsprechende Anteil bei
                                                                                 den privaten Kindergärten bei rund
                                                                                 20 Prozent. Was die späteren «Ein­
Zur Person Peter Schneider (56) studierte Philosophie, Germanistik und Psy-
                                                                                 schulungen» in den Kindergarten
chologie. Promotion und Habilitation in Psychologie. PD an der Uni Bremen.
                                                                                 ­anbelangt, sind die Zahlen zwischen
Psychoanalytiker in privater Praxis, Satiriker und Kolumnist. Zahlreiche Buch-
publikationen wissenschaftlicher und anderer Art. Mit Bruno Deckert Verleger      den öffentlichen und den privaten
der Sphèressays. Er ist verheiratet, Vater eines erwachsenen Sohnes und           Einrichtungen vergleichbar und lie­
lebt in Zürich.                                                                   gen bei etwa 2 Prozent. [ana]

                                                                                          Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013  7
Vom Essen in der Schule - Peter Schneider Der Psychoanalytiker über seine Schulzeit Lehrplan 21 Wer kann wann und wie mitreden? Raumstrategie ...
Fokus

                                                        Sebastian Nussbaumer, 14,
                                                     Langzeitgymi der Kantonsschule
                                                                Zürich Nord
                                              «Heute esse ich einen ‹Farmer›-Riegel mit
                                                Apfelgeschmack. Früher kaufte ich mir
                                             Schoggigipfel und ein Schorle oder eine Cola
                                                in der Mensa. Aber das ist mir zu teuer.
                                               ­Darum bringe ich jetzt einen Riegel von
                                                  ­zuhause mit. Meinen Znüni esse ich
                                                    ­meistens im Schul­zimmer oder auf
                                                        dem Weg von einem Schul­
                                                           trakt zum nächsten.»

  Lucija Zekic, 6,
  Kindergarten der Schule
  Leutschenbach
  «Ich esse gerade Birnen, Apfelschnitze,
  Bananen und Brot. Also wenn heute
  mein Geburtstag wäre, hätte ich Smarties
  und Schoggikuchen mitgebracht – das
  ist nämlich mein Lieblingsessen. Meinen
  Znüni esse ich am liebsten im Kreis
  neben Jovan.»

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Vom Essen in der Schule - Peter Schneider Der Psychoanalytiker über seine Schulzeit Lehrplan 21 Wer kann wann und wie mitreden? Raumstrategie ...
Fokus

Vom Essen in der Schule
Nicht nur am Mittagstisch,
sondern auch im Unterricht
ist die Ernährung heute
ein Thema. Wann und wie
kommt das Essen in der
Schule k­ onkret aufs Tablett?
Fotos: Sabina Bobst

Wie die Schule mit dem Thema Ernährung umgeht                             10
Der Mensabetreiber und sein täglicher Kampf                               14
Websites, kulturelle Angebote und Buchtipps                               16
                                          Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013  9
Vom Essen in der Schule - Peter Schneider Der Psychoanalytiker über seine Schulzeit Lehrplan 21 Wer kann wann und wie mitreden? Raumstrategie ...
Fokus

Was geht die Schule das Essen an? Zu fettig, zu
salzig, zu süss oder schlicht zu viel: Falsche Er­
nährung führt zu Übergewicht und Krankheit. Muss
die Schule dieses Problem lösen? Nein, aber sie
kann und soll Aufklärungsarbeit betreiben, lautet
der allgemeine Tenor.
Text: Jacqueline Olivier

Wir alle tun es – in der Regel dreimal täglich, oft und        28,6 Prozent der Frauen zu viele Kilos auf die Waage, je­
gerne auch zwischendurch: essen. Ganz selbstverständlich.      weils rund 8 Prozent davon in krankhaftem Masse. Bei den
Zu selbstverständlich? Zumindest vielfach zu unüberlegt,       Kindern schwanken die Zahlen je nach Alter und Studie
so scheint es. In den vergangenen 30 Jahren ist die Zahl der   stark: Zwischen 5 und 20 Prozent beim Übergewicht, zwi­
übergewichtigen und adipösen (fettleibigen) Erwachsenen        schen 0,4 und 6 Prozent bei Adipositas.
in der Schweiz laufend gestiegen, stellt das Bundesamt              Angesichts dieser Zahlen erübrigt sich die Frage fast,
für Gesundheit (BAG) in seinem Ernährungsbericht 2012          ob Ernährung in der Schule ein Thema sein soll. Und sie er­
fest. Demnach bringen aktuell 46,3 Prozent der Männer und      übrigt sich vollends, weil das Thema – nolens volens – längst
                                                               in den Schulen angekommen ist: als gesellschaftlicher und
                                                               politischer Auftrag im Rahmen von Gesundheitsförderung
                                                               und Nachhaltigkeit und weil im Zeitalter von Blockzeiten
Vorgaben und Angebote des Kantons                              und Tagesstrukturen immer mehr Kinder ihre Mittagsmahl­
Das Thema Ernährung ist in den kantonalen Lehrplänen           zeit in der Schule respektive im Hort einnehmen.
verankert. Und auch im Lehrplan 21 werden konkrete                  Das hat auch Jörg Stühlinger, Leiter der Primarschule
Kompetenzen zum Thema Ernährung definiert. In den              Rietli, die zur Schule Wehntal im Zürcher Unterland gehört,
stufengerechten Planungshilfen des Volksschulamts              erfahren: Spätestens als man im Jahr 2009 den Mittags­
sind zahlreiche Hinweise auf geeignete Programme und           tisch, der zunächst von einem Elternverein betrieben wor­
Materialien aufgeführt.                                        den war, übernommen habe, sei man nicht mehr umhinge­
∑  www.vsa.zh.ch > Schule & Umfeld > Gesundheit & Präven-      kommen, sich mit Ernährungsfragen auseinanderzusetzen.
tion > Gesundheit und Unterricht                               Schnell sei man zum Schluss gekommen, dass den Kindern
                                                               hochwertiges Essen aufgetischt werden sollte. «Kein Sirup
Das Mittelschul- und Berufsbildungsamt unterstützt             und keine gesüssten Getränke mehr und Desserts nur noch
­verschiedene Projekte und führt auf seiner Homepage           aus besonderem Anlass.»
 zahlreiche weiterführende Links auf.
∑ www.mba.zh.ch > Dienstleistungen & Kommunikation >           Die Gemeinschaft wirkt manchmal Wunder
Prävention                                                     Das Menü für den Mittagstisch kommt aus der Küche des
                                                               nahen Alterszentrums. Das passe recht gut zusammen,
«Leichter leben», das Aktionsprogramm der Zürcher              sagt Jörg Stühlinger. Die gesund zubereitete, traditionelle
­Regierung, unterstützt Kinder und Jugendliche dabei,          Kost schmecke den Kindern. Und wenn nicht, versuche das
 ein gesundes Körpergewicht zu erlangen. Die Ver­              Team vom Mittagstisch die Schülerinnen und Schüler zu
 längerung für die Jahre 2013–2016 wurde vor Kurzem            ermuntern, etwas zu probieren, worüber sie zunächst
                                                               ­
 beschlossen.                                                  ­vielleicht die Nase rümpften. Die Gemeinschaft wirke da
∑   www.leichter-leben.zh.ch                                    manchmal Wunder. «Wenn ein Kind seine 20 Gspänli die
                                                                Rüebli, die es zuhause immer verschmäht, essen sieht, isst
Die Kantonalen Netzwerke Gesundheitsfördernder                  es sie plötzlich auch.» So habe die Schule Möglichkeiten,
­Schulen für Volksschulen und für Mittel- und Berufs-           Kinder an eine gesunde und ausgewogene Ernährung
 fachschulen bieten Austauschplattformen, Informations-         heranzu­führen, die die Eltern nicht hätten.
 veranstaltungen, Literatur, Leitfäden, Lehrmittel, Links            Gegessen wird in der Schule auch zwischen den Lek­
 und Weiterbildungen an.                                       tionen. Dem Znüni, den die Kinder von zuhause mitbringen,
∑   www.gesunde-schulen-zuerich.ch                             wird heute in den meisten Volksschulen grosse Aufmerk­

10  Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013
Fokus

                                                                                                               Anouk Thomé, 14,
                                                                                                   Katholische Sekundarschule
                                                                                                                       Kreuzbühl
                                                                                               «Ich trinke nur ein Mineralwasser
                                                                                        zum Znüni. Am liebsten würde ich aber
                                                                                          ein Salami-Sandwich essen. Die Aula
                                                                                           ist der Ort, wo ich meinen Znüni am
                                                                                             liebsten esse. Ich finde es wichtig,
                                                                                                 dass in der Schule übers Essen
                                                                                            gesprochen wird, denn viele Kinder
                                                                                                  wissen nicht, was gesund ist.»

samkeit gewidmet. Vorbei die Zeiten, als das Weggli mit         «O ja», meint Marianne Honegger: «Es gibt genug Eltern, die
Schoggi­  stängeli oder die Chipstüte unbeachtet durchgin­      sich nicht bewusst sind, dass Milchschnitten und Müesli­
gen. Vielerorts geben die Schulen den Eltern Informations­      riegel überhaupt nicht so gesund sind, wie die Werbung
blätter ab, auf denen «gute» und «schlechte» Znünis aufge­      glauben macht.» Dass die Schule diesbezüglich ein Stück
listet sind.                                                    weit Aufklärungsarbeit übernimmt, erachtet sie als Teil des
     Die Stadt Zürich hat 2009 verbindliche Ernährungsricht­    Bildungsauftrags. Auch wenn die Schule das Problem Über­
linien für sämtliche Schulen der Stadt herausgegeben. Sie       gewicht nicht allein lösen könne. «Die Schule kann aber
betreffen ebenso das Angebot in den Horten wie die von der      ­einen gesunden Lebensstil vorleben und Inputs geben.»
Schule angebotene Pausenverpflegung. Eine grüne, eine
gelbe und eine rote Liste zeigen an, welche Znünis empfeh­      Schüler und Eltern einbeziehen
lenswert, welche ab und zu okay und welche gar nicht ge­        Aktiv werden Volksschulen oft über einen Pausenkiosk, wie
eignet sind. Marianne Honegger, Ernährungsberaterin beim        ein Blick in die Projektliste des Kantonalen Netzwerks Ge­
schulärztlichen Dienst der Stadt, betont: «Die Umsetzung        sundheitsfördernder Schulen zeigt. Weil sich dabei Kin­
liegt in der Verantwortung der Schulleitungen, wir kontrol­     der und Eltern einbeziehen lassen. So auch in der Schule
lieren die Schulen nicht.» Vielmehr gehe es darum, dass alle    Grünau im Schulkreis Letzi in der Stadt Zürich. Hier stam­
Schulen und Horte über die gleichen Grundlagen verfügten,       men viele Kinder aus fremden Kulturen mit ganz anderen
auf die sie sich bei ihren Verpflegungsangeboten beziehen       Essgewohnheiten, der Ernährung wird daher grosse Auf­
könnten. Den Eltern hingegen könne und wolle man nicht          merksamkeit gewidmet. Das fängt im Kindergarten an, wo
vorschreiben, was sie den Kindern mitgäben, sondern sie         die Lehrpersonen rigoros darauf achten, was die Kinder als
nur in Form von Empfehlungen und sachlichen Informatio­         Znüni mitbringen. Vor gut einem Jahr, erzählt Schulleiter
nen für die Thematik sensibilisieren.                           Bernhard von Arx, habe das Team sogar darüber diskutiert,
     Ist das heute angesichts der Flut von Informationen        ob gewisse Produkte offiziell verboten werden sollten. Das
über r­ ichtige und falsche Ernährung tatsächlich noch nötig?   komme für ihn aber nicht infrage. Stattdessen lernen die 3

                                                                                            Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013  11
Fokus

                                                                                    Leonard Clamor, 13,
                                                                                    Primarschule Eidberg
                                                                                         Winterthur
                                                                          «Ich esse gerade ein Vollkornbrötli ohne
                                                                         ­Inhalt zum Znüni. Am liebsten würde ich
                                                                          ­immer ein Zopfbrot mit Leberwurst mit­
                                                                    nehmen – so, wie es mein Papa macht. Ich bin
                                                                    in der Pause i­mmer mit den Jungs zusammen
                                                                      und esse auch meinen Znüni mit ihnen, am
                                                                       ­liebsten auf der Wiese beim Fussballfeld.
                                                                                ­Danach spiele ich auch mit.»

Schüler die Vielfalt gesunder Znünis kennen, wenn sie ein­    satzstoffe oder künstlichen Käse bringen, was bei vielen
mal pro Woche klassenweise den Pausenkiosk vorbereiten        Staunen und Ablehnung auslöst.» Auch Kuchen und Weih­
und durchführen. Mehrmals jährlich werden die leckeren        nachtsgebäck werden gebacken – mit weissem Zucker. «Vor
Früchte- und Gemüsespiesse, Birchermüesli oder Ruch­          einigen Jahren erhielten wir zwar die Weisung, im Koch­
brot-Sandwiches auch von Elterngruppen zubereitet. «Der       unterricht keinen weissen Zucker mehr zu verwenden, aber
Pausenkiosk ist heute eine feste Institution in unserer       das ist unrealistisch. Vielmehr mache ich die Schüler bei
Schule und die Kinder haben Spass am Herrichten der           dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, dass es noch ­andere
Snacks», sagt Bernhard von Arx. Darüber hinaus brauche es     natürliche Süssstoffe gibt wie Birnel oder Stevia und wel­
jedoch weitere Anstrengungen, um das Thema Ernährung          cher sich wofür eignet.»
immer wieder ins Bewusstsein von Kindern und Eltern zu
bringen, sei es an den Elternabenden oder im Unterricht.      Unrealistische Schönheitsideale hinterfragen
     Gut verbinden lassen sich Theorie und Praxis im Haus­    Übergewicht und Adipositas begünstigen laut dem Bundes­
wirtschaftsunterricht in der Oberstufe. Valeska Meyer vom     amt für Gesundheit insbesondere Herz-Kreislauf-Krank­
Sekundarschulhaus Schmittenwis der Schule Wehntal             heiten und gewisse Krebsarten. Auf der anderen Seite der
macht dies seit über 30 Jahren. Sie setzt bei ihren Schüle­   Skala stehen Krankheiten, denen die Verweigerung von Es­
rinnen und Schülern auf die Freude am Ausprobieren, und       sen zugrunde liegt: Bulimie (Ess-Brech-Sucht), Anorexie
das Resultat soll ihnen schmecken. Aus ihrer eigenen Schul­   (Magersucht) oder Orthorexie (zwanghaft gesundes Essen).
zeit erinnert sie sich an Menüs, die niemand essen wollte     Betroffen davon sind vor allem junge Mädchen und Frauen.
und von den Schülerinnen «irgendwo entsorgt» wurden.          Auf der Sekundarstufe II wird der Fokus der Präventions­
Das soll in ihrem Unterricht nicht passieren. Darum berei­    arbeit deshalb in erster Linie auf solche Essstörungen ge­
tet sie mit den Jugendlichen auch mal eine Pizza zu – und     richtet, wie Vigeli Venzin, Leiter Prävention und Sicher­
lässt sie dann die Zutaten mit jenen einer Fertigpizza ver­   heit im Mittelschul- und Berufsbildungsamt, erklärt. Oft
gleichen. «So kann man die Rede fast nebenbei auf Zu­         gehe es dabei um die Vermittlung eines positiven Selbst­

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Fokus

  Senthuree Thilaganathan, 19,
  KV Zürich Business School
  «Ich esse gerade ein Schoggigipfeli
  und habe noch ein Red Bull dabei.
  Am liebsten würde ich ein Pepito
  ­mit­nehmen: ein türkisches Sandwich
   mit Poulet, Salat und Cocktail-Sauce.
   Aber das wäre wohl ein bisschen
   über­trieben. Ich esse meinen Znüni
   immer mit der­selben K­ ollegin auf
   der Dach­terrasse des KV.»

bilds. Sibylle Jüttner, Geschichtslehrerin an der Kantons­    chend seien sie empfänglicher für das Thema gesunde Er­
schule Zürcher Unterland (KZU), und eine Kollegin haben       nährung als die jungen Männer. Das hat die heutige Bil­
im letzten Jahr mit ihren beiden Klassen einen Bodytalk-      dungsrätin 2006 anlässlich einer Gesundheitswoche des
Workshop der Fachstelle Prävention Essstörungen Praxis­       KV und der Gewerblich-industriellen Berufsschule ­Uster
nah (PEP) durchgeführt. In der Doppelstunde diskutierten      zum Thema «Gesund essen – gesund leben, auch in der
die Schülerinnen und Schüler über unrealistische Schön­       Schule» erfahren. Im Rahmen dieser Woche bereitete jeden
heitsideale, ihre Zufriedenheit mit dem eigenen Körper        Tag eine andere Gruppe von Schülern mit Hilfe einer Kö­
oder die Bedeutung von inneren statt äusseren Werten. Die     chin und Ernährungsberaterin in der Mensa ein gesundes
offene, direkte Art dieser Gesprächsrunden sei bei den Ju­    Mittagessen zu. Den Mädchen und den Lehrpersonen habe
gendlichen gut angekommen, sagt Sibylle Jüttner, die an der   das gepasst, den Jungs weniger. «Die haben nun mal lieber
KZU Mitglied der Gesundheitskommission ist. Im Übrigen        Schnipo oder Burger.»
werde die Ernährung an ihrer Schule in erster Linie im             Mit anderen Worten: Was wir essen, ist weitgehend eine
­Biologieunterricht thematisiert. Auf Stufe Gymnasium sieht   Frage des persönlichen Geschmacks, familiärer und kultu­
 sie aber die Aufgabe der Schulen vor allem dort, wo Essen    reller Prägung und Gewohnheiten. Diesen den Garaus ma­
 ausgegeben wird: in der Mensa und bei Snack-Automaten.       chen will in den Schulen niemand. Vielmehr geht es darum,
 Da müsse man dranbleiben und das Bewusstsein für eine        Kindern und Jugendlichen Alternativen aufzuzeigen und
 ausgewogene Ernährung langsam, aber stetig fördern.          ihnen dort, wo es im Schulalltag möglich ist, ein gesundes
                                                              Angebot zu machen. Damit eine ausgewogene Ernährung
Das Ziel: Alternativen aufzeigen                              für sie mit der Zeit ganz selbstverständlich wird.      !
Dass junge Frauen der eigenen Figur viel, manchmal zu viel
Bedeutung beimessen, weiss auch Regula Trüeb, Deutsch­
lehrerin an der Wirtschaftsschule KV Uster und 15 Jahre
lang Kontaktlehrperson für Suchtprävention. Dementspre­

                                                                                          Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013  13
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                                                                                           Peter Morf, 48,
                                                                                Mensa-Pächter der Kantonsschule
                                                                                           Wetzikon KZO
                                                                            «Ich esse gerade Reis mit Tomatensauce,
                                                                            Erbsli und Rübeli und dazu Erdbeerensalat
                                                                             zum Zmittag in meiner Mensa. Am liebs-
                                                                               ten ­würde ich jeden Tag angebrate-
                                                                                   ne ­Kartoffelwürfeli mit Spinat
                                                                                       und ­Spiegelei essen.»

Nicht nur Pommes frites Peter Morf betreibt seit
20 Jahren die Mensa der Kantonsschule Wetzikon
und kämpft für gesündere Essgewohnheiten.
Text: Katrin Hafner

Dass er seinen Job liebt, muss Peter Morf nicht sagen. Das     ders, sie ent­sorgen den Abfall «von auswärts» nicht: Pizza-
spürt man. Wenn er etwa eines der Schnitzel-Sandwichs          Schachteln, Döner-Alufolien, PET-Flaschen und Plastik­
aus dem Kühlregal seiner Mensa in der Kantonsschule            schalen von umlie­   gen­den Take-aways, Fastfood-Ständen,
­Wetzikon (KZO) nimmt und auf seine grosse Hand legt, als      Pizzerien und Läden. 13 solche direkte Konkurrenten gibts
 wäre es ein rohes Ei, um zu sagen: «Das ist hochwertige       in einem Umkreis von 200 Metern. Die Schülerinnen und
 Ware, ­Topqualität.» Oder wenn er beim Vorbeigehen den        Schüler dürfen ihre dort eingekaufte Verpflegung in der
 Berliner-Puderzucker von der Chromstahlfläche wischt.         Kantine e ­ ssen – bloss sollten sie den Abfall in die Eimer
 Und vom neuen Soja-Aufstrich schwärmt.                        werfen. ­Täglich fallen alleine im grossen, lichtdurchfluteten
      Zwei Köche und sechs Angestellte verköstigen hier täg­   Mensa-Essraum vier 110-Liter-Säcke an. «Das ist verrückt»,
 lich bis zu 400 Personen. 1300 Schülerinnen und Schüler,      findet Peter Morf und kann nicht glauben, wie gleichgültig
 240 Lehrpersonen und Mitarbeiter sind die potenzielle         die Jugendlichen gegenüber der Abfallproblematik sind.
 Kundschaft. Was hält Peter Morf von ihnen? «Zu 98 Prozent
 super Leute!», sagt er. Aber eben, da sind auch noch diese    Zwischen Anpassung und Widerstand
 anderen zwei Prozent. Die lassen zum Beispiel ungerührt       Doch der eidgenössisch diplomierte Hotelier und Restaura­
 ihr Esstablar auf dem Tisch liegen, obwohl es selbst abge­    teur ist nicht der Typ, der sich frustrieren lässt. Er wehrt sich
 räumt werden sollte. Oder, und das ärgert Peter Morf beson­   lieber und eckt damit auch mal an. Wenn jemand Plastik­

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geschirr wählt, fragt er, ob das nötig sei. Vor Kurzem erst       haben kaum mehr Zeit, sich hinzusetzen und in Ruhe zu
führte er «widerwillig», wie er sagt, solches ein, um den         essen – schon schwirren sie ab.» Schockiert ist er, wie wenig
Schülerinnen und Schülern, die draussen im Garten oder            Gemüsesorten seine junge Kundschaft kennt. «Schwarz­
etwas abseits der Schule essen wollen, etwas bieten zu kön­       wurzeln oder Fenchel sind für viele unbekannt – sie kennen
nen. Peter Morf ist nämlich selbstständiger Mensabetreiber;       nicht mal die Namen.» Erst recht versucht er seine Gäste
seine Mensa muss rentieren, er wirtschaftet auf eigenes           hie und da «umzupolen», wie er es ausdrückt, sie auf den
­Risiko. Die meisten anderen Mensen der Mittel- und Be­           Geschmack zu bringen. Um sie nicht vollends an die um­
 rufsfachschulen im Kanton arbeiten mit Caterfirmen; die          liegende Konkurrenz zu verlieren, hat Peter Morf jüngst
 lokalen Restaurantmanager bestellen die Zutaten oder Me­         eine Treuekarte eingeführt: Jedes 13. Menü ist gratis. Im
 nüs, die dann an die Kantinen – oft auch an Horte – geliefert    Essraum stehen zudem fünf Mikrowellengeräte – schliess­
 werden. Vor Ort wird gekocht oder bloss sogenannt regene­        lich weiss er aus eigener Erfahrung, wie teuer es kommt,
 riert (vgl. Kasten).                                             Kindern jedes Mittagessen zu berappen.
                                                                        Ewig wird er seinen Job nicht mehr machen. Schon
Lebensmittelherkunft interessiert «keinen Deut»                   ­immer habe er sich gesagt, er werde mit 55 aufhören und
An der KZO kreiert der Koch Woche für Woche den ­eigenen           «etwas Soziales» tun. Und zwar nicht in seiner Heimat, Zü­
Menüplan und Peter Morf und sein Team kochen täglich               rich, sondern in Südamerika. Seine Frau ist Mexikanerin,
selbst. Das Fleisch- und das Vegimenü kosten neun, der             seine Gedanken gehen in Richtung Mexiko oder Peru. Dort
­Tages-Hit kostet acht und das Eco-Menü sieben Franken.            hat sein ehemaliger Religionslehrer vor 25 Jahren ein Ent­
 Zudem gibts acht Sorten frische Salate, täglich über 100          wicklungsprojekt (Paz Peru) lanciert, das Peter Morf schon
 e­igenhändig zubereitete Sandwichs, Hotdogs, Bircher­             diverse Male besucht hat. Ob er kochen, sich medizinisch –
 müesli und diverse Bei­lagen, die einzeln ausgewählt oder         er war Sanitäter im Militär – oder sonst wie engagieren wird,
 kombiniert werden können. Fleisch und Getränke haben              lässt er offen. Einfach «etwas Sinnvolles machen», das will er.
 Schweizer Herkunft.                                               So wie er in all den Jahren und bis auf Weiteres mit viel Lust
       Das tönt wunderbar, ist aber oft teurer, als wenn man       und Energie für eine sinnvolle Balance zwischen gesund,
 Ware aus dem Ausland kauft. Und: Die meisten Schülerin­           beliebt, nachhaltig und fein kämpft in seiner Mensa.       !
 nen und Schüler interessiert die Herkunft «keinen Deut»,
 glaubt Peter Morf. Die Lehrerinnen und Lehrer hingegen
 schätzten seine bewusste Haltung. Kaffee gibts nur aus
 Max-Havelaar-Bohnen; Süsswaren und Brötli stammen aus                  So kommt das Essen in die Schule
  regionalen ­Bäckereien oder werden hausgemacht – so etwa              Der Schulverpflegungsmarkt wächst. Die meisten Mittel-
  die «Schoggiwürfel» für einen Franken pro Stück.                      und Berufsfachschulen im Kanton Zürich arbeiten mit
       Über der Menütheke prangt ein Schild: «Die Entschei­             Caterern zusammen, viele ländliche Schulen mit der
  dung, wie gesund Sie essen wollen, liegt bei Ihnen, denn              SV Group, die meisten städtischen mit den ZFV-Unter-
  unser Angebot ist so gesund, wie Sie es wünschen.» Was                nehmungen. Die einen lassen sich fertige Menüs oder
 will Peter Morf damit bezwecken? «Am liebsten würde ich                zubereitete Zutaten liefern, die sie vor Ort regenerieren
 den Jugendlichen die Wichtigkeit gesunder Ernährung nahe­              (aufbereiten, wärmen), andere kochen frisch vor Ort.
 bringen. Bloss: Ich kann sie ja nicht zu G  ­ emüse zwingen.           Es gibt auch Ausnahmen, etwa die privat geführten
 Also appelliere ich an ihre Eigenverantwortung – und                   Mensen der Berufsschule Rüti, der Gewerblichen
 manchmal funktionierts.» Will heissen: Da probiert auch                Berufs­schule sowie der Kantonsschule Wetzikon (siehe
 mal einer einen Menüteller statt einer Portion Pasta. Seine            Text) oder die kleine Kantonsschule Küsnacht, die über
 Töchter, 19 und 16 Jahre alt, ernährten sich ü ­ brigens «sehr         keine Mensa verfügt, aber im Winterhalbjahr drei Mal
 gesund», sagt Peter Morf. Und auch er ver­         suche dies.         wöchentlich ­einen Mittagstisch anbietet, der von
 ­Obwohl, er gibt unumwunden zu: «Bis vor vier Jahren war               einem Verein ­getragen wird und auf freiwilliger Basis
  ich ein Fleischtiger.» Aus gesundheitlichen Gründen darf              von Eltern funktioniert.
  er aber nicht mehr so viel Fleisch essen. Von 115 Kilo hat er         In den Volksschulen gibts nur wenige Mensen, ­dafür
  schon 15 verloren – sein Ziel: 90. Das ist hart, wenn man             zahlreiche Betreuungsstätten, die Mittagessen ­anbieten.
  täglich von 6 bis 17 Uhr mit Nahrungsmitteln zu tun hat.              Die städtischen Horte und einige weitere im Kanton
                                                                        ­Zürich – insgesamt 323 Einrichtungen – arbeiten mit
Jugendliche kennen Gemüsenamen nicht                                     der auf Kinderverpflegung ausgerichteten Anbieterin
Auf 20 Jahre Erfahrung kann Peter Morf zurückblicken –                   Menu and More AG zusammen, die gemäss den Er­
und ist sozusagen ein Profi geworden, was das Essverhalten               nährungsrichtlinien für die Schulen der Stadt Zürich
von Gymnasiasten und Gymnasiastinnen anbelangt. «Fotzel­                 ­sowie den ernährungsphysiologischen Empfehlungen
schnitten und Hotdogs kommen total gut an. Aber auch Bir­                 der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung täglich
chermüesli, Pizza und Pommes.» Letztere bietet er bewusst                 verschiedene Menüs, Pasta und Einzelkomponenten
nur alle zwei Wochen an, da können noch so viele Mails bei                ­anbietet. Es gibt aber eine ­Vielzahl lokaler Lösungen:
ihm landen, er solle doch jeden Tag davon verkaufen.                       Die Sekundarschule Albis­riederplatz etwa verfügt über
    Die Nachfrage habe sich in den letzten Jahren eindeutig                eine Produktionsküche und einzelne Gemeinden ar­
hin zum Fastfood verschoben, stellt Peter Morf fest. Und                   beiten beispielsweise mit dem Wirt des Dorfrestaurants
zwar auch unter den jüngeren Lehrpersonen. «Die Leute                      zusammen. [red]

                                                                                                Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013  15
Fokus

Tipps und Anregendes Einige herausgegriffene
Bücher, Websites und kulturelle Angebote aus dem
Informations­dschungel rund ums Thema Essen.

Bücher                                                                  Ausstellungen
Peperoni. Lebensmittel- und Ernährungskunde (Lehrmittel­                «Wir essen die Welt» (bis Februar 2014 im Aargauer Natur­
verlag des Kantons Zürich). Übersichtliches Nachschlagewerk             museum Naturama). Die Wanderausstellung (Führungen für Schul­
und gute Ergänzung zu Kochbüchern für Schülerinnen und                  klassen) ist ein Projekt der Schweizer Entwicklungs­organisation
Schüler wie z. B. «1001 Rezept», «Einfach Probieren», «Tiptopf»,        ­Helvetas und thematisiert Fragen um die Herkunft unserer täglichen
«Globi kocht vegi» etc.                                                  Nahrung. Es geht um Genuss, Geschäft und Globalisierung, um
                                                                         ­Urban Farming, Fair Trade, Slowfood etc.
Paul Imhof: Das kulinarische Erbe der Schweiz. Band 1: Aar-
                                                                          www.wir-essen-die-welt.ch
gau – Luzern – Obwalden – Nidwalden – Schwyz – Zug – Zürich
(Echtzeit Verlag). Die fünfbändige Reihe ist ein Inventar des kulina­   «Die Wurst. Eine Geschichte mit zwei Enden» (bis März 2014
rischen Erbes der Schweiz und umfasst 400 Produkte. Man lernt           im Mühlerama Zürich). U. a. Workshops für Schul­klassen: Warum
die Herkunft e
             ­ inheimischer Produkte und die p­ assenden Rezepte        Wurst nicht Wurst ist. www.muehlerama.ch
kennen.
Stefan Kreutzberger / Valentin Thurn: Die Essensvernichter. Wa­         Theater / Tanz
rum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür
                                                                        «voll fett» (Forumtheater Zürich, für Sekundarstufe I und II).
verantwortlich ist (Kiepenheuer & Witsch). Mit viele Anregungen,
                                                                        Das Stück ermöglicht es Schulklassen, sich mit Ernährungsgewohn­
was man als Einzelperson ändern kann.
                                                                        heiten, Körperbildern und dem Diatwähn auseinanderzu­setzen.
Katharina Weiss: Schön!? Jugendliche erzählen von Körpern,              www.forumtheater.ch
Idealen und Problemzonen (Schwarzkopf & Schwarzkopf).
                                                                        «Friss oder stirb» (Theater Stückwerk, ab 7. Schuljahr). Das
Die 16-jährige «Spiegel»-Bestseller-Autorin hat mit Altersgenossen
                                                                        ­Doku-Drama beleuchtet das Thema «Hunger» in allen Facetten:
darüber diskutiert, was attraktiv ist.
                                                                         Welthunger, Lebensmittelproduktion und -verteilung, Essstörungen,
                                                                         Überfluss und Mangel. Es ist Roadmovie, Liebesgeschichte und
Websites / Apps                                                          Dokumentation in einem. www.schuleundkultur.zh.ch
www.feel-ok.ch: Für 12- bis 17-Jährige und für Lehrpersonen, mit        «Härdöpfelsuppe» (Theaterküche für kleine Bühnen und Klassen­
didaktischen Materialien zu den Themen E
                                       ­ rnährung sowie Gewicht         zimmer, 1.–3. Klasse). Der Schauspieler und Koch Manuel Löwens­
und Essstörungen – zusammengestellt von Fachorganisationen.             berg erarbeitet mit den Kindern ein Stück über gesundes ­Essen und
                                                                        über den Hunger in schlechten Zeiten. www.schuleundkultur.zh.ch
www.foodle.ch: Schweizer Plattform zum Thema Lebensmittel,
von Partnern aus den Bereichen Bildung und Forschung weiter­            Tanzküche Bollywood (4.–10. Schuljahr, Berufs- und Mittel­
entwickelt – u. a. Informationen über Schweizer Lebensmittel, Her­      schulen). Die Schulklassen tauchen tanzend ein in die zauberhafte
kunftsbezeichnung, Slowfood, Schweizer Küche und Rezepte,               Filmwelt Indiens – bis der Magen knurrt. Und dann geht es mit
nachhaltige Ernährung etc.                                              Schwung ans Kochen. www.schuleundkukltur.zh.ch
www.sge-ssn.ch: Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung
will die Bevölkerung über Fragen der gesunden Ernährung infor­          Filme
mieren, speziell, was die Schule anbelangt. U. a. Test über Essge­
                                                                        Food Inc. – Was wir wirklich essen (Robert Kenner). Über
wohnheiten, Buch-Tipps, Merkblätter, Broschüren etc.
                                                                        Hormone, Antibiotika, Pflanzengiftrückstände und Zusatzstoffe
www.gorilla.ch: Ernährungsworkshops inklusive Zubereitung               in Nahrungsmitteln.
­eines gesunden Birchermüesli sowie von Sandwichs, ausserdem
                                                                        Ware Tier (Reginald Puhl). Über den Umgang mit Tieren in
 Kochvideos und Rezeptbüchlein für Kinder und Jugendliche.
                                                                        Massen­tierhaltung und das Ausfischen der Meere.
www.prospecierara.ch: Übersicht von Pro Specie Rara, e     ­ iner
                                                                        Taste the Waste (Valentin Thurn). Suche nach Antworten auf die
schweizerischen Non-Profit-Stiftung, über traditio­nelle Gemüse- und
                                                                        Frage, warum so viele Nahrungsmittel vernichtet w
                                                                                                                        ­ erden und im
Obstsorten, Nutztierrassen, ausserdem Bauernhöfe, Obst- und
                                                                        Müll landen. Befragt werden Bauern, Supermarkt-Direktoren, Müll­
­andere Gärten, die man besuchen kann, Unterrichtsmaterialien etc.
                                                                        arbeiter und Köche in verschiedenen Ländern.
www.wwf.ch > essen: Infos über umweltgerechtes Essen,
                                                                        Unser täglich Brot (Nikolas Geyrhalter). Unkommentierter Blick
­Saisontabelle über aktuelle frische Gemüse und Früchte – auch als
                                                                        auf die Massenproduktion von Lebensmitteln, die Z­ üchtung und
 App herunterladbar.
                                                                        Schlachtung von Tieren sowie die industrielle Anpflanzung und
www.bodytalk.ch: Workshops für Jugendliche und Lehrpersonen             ­Ernte von Obst und Gemüse.
sowie Arbeitsunterlagen, Buchtipps etc. von der Fachstelle Prä­
vention Essstörungen Praxisnah (PEP). Themen: Selbstbild, Körper­
                                                                        Zusammengestellt von: Katrin Hafner
zufriedenheit etc.
www.suissebalance.ch: Tipps und Infos zur ausgewogenen Er­
nährung für Kinder und Jugendliche (bis 20 Jahre) von der nationa­
len Projektförderstelle Ernährung und Bewegung des Bundesamts
für Gesundheit und von Gesundheitsförderung Schweiz.

16  Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013
Fokus

Kai Wettstein, 9,
Primarschule Küsnacht
«Ich esse gerade Maiswaffeln
und Aprikosen zum Znüni. Wenn ich
frei wählen könnte, würde ich das
Gleiche mitnehmen. Am liebsten esse
ich auf dem Fussballplatz. Manchmal
teile ich meinen Znüni mit meinen
zwei Kollegen.»

                                                        Naomi Biaduo, 16,
                                                Kurzzeitgymi der Kantonsschule
                                                         Hottingen Zürich
                                             «Heute besteht mein Znüni aus einem
                                            Wild Vanilla Sorbetto Glacé. Am liebsten
                                         ­würde ich immer im Garten der Schule essen
                                          und zusammen mit meinen Jungs. Denn die
                                      ­nehmen auch mal einen Döner mit mir und achten
                                           nicht immer auf die F­ igur. Ich finde es gut,
                                          wenn man in der Schule übers Essen redet –
                                          aber so ab 14 kann mans nicht mehr hören.»

                                                           Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013  17
Volksschule

Heilpädagogin Eva Durisch-Simioni, Schulleiterin Verena Kocher und die zwei Lehrerinnen Ruzica Grgic und Nadine Behrend sind parat für den Schulversuch.

«Man kann nur gewinnen» Schulleiterin Verena
Kocher und ihr Team machen mit beim Schulver­
such Fokus Starke Lernbeziehungen. Trotz Aufwand
und einigen Fragezeichen freuen sie sich darauf.
Text: Katrin Hafner Foto: Dieter Seeger

Die Sommerferien stehen vor der Tü­                 Zeit für die Teilnahme am Versuch ent­              zu zweit für die Lehrpersonen.» Den
re – und danach beginnt in fünf Schu­               scheiden konnte, was sie bereits hinter             Schulleitungsposten übernahm Vere­
len des Kantons ein neuer Abschnitt:                sich hat und was sie nun erwartet.                  na Kocher im Sommer 2012 – nach­
Sie starten mit dem Schulversuch Fo­                                                                    dem innerhalb weniger Jah­re mehrere
kus Starke Lernbeziehungen (FSL).                    Das «Aha-Erlebnis»                                 Wechsel auf Leitungsebene stattge­
Grundsätzlich werden nur noch zwei                   Ve­rena Kocher, die Schulleiterin des              funden hatten. Sie habe ein initiatives,
Lehrpersonen pro Klasse möglichst                   «Hofi», wie sie selbst die Schule Hof­              motiviertes Team angetroffen. «Es fiel
alle Fächer unterrichten und auch bis­              acker in Schlieren nennt, lacht. «Dieser            mir aber auch auf, dass die 50 Lehre­
her von Spezialisten ausgeführte Auf­               Versuch ist etwas vom Besten, was mir               rinnen und Lehrer, Heilpädagoginnen,
gaben übernehmen wie die Integrative                passieren konnte.» Als sie den Kom­                 Logopäden und DaZ-Lehrpersonen
Förderung, Deutsch als Zweitsprache                 mentar von Bildungsdirektorin Regine                nicht gewohnt waren, als Schuleinheit
oder Begabtenförderung; der Unter­                  Aeppli in der Schulblatt-Ausgabe vom                zu denken, und dass keine Kapazität
richt wird grösstenteils im Team­                   September 2012 gelesen habe mit dem                 vorhanden war, um über den Schulall­
teaching oder in Halbklassen erteilt.               ­Titel «Zu viele Köche erschweren die               tag hinauszudenken.» Ve­  rena Kocher
     Seit der Ankündigung des Schul­                 Arbeit», sei das ein «Aha-Erlebnis» ge­            wollte eine Organisationsentwicklung
versuchs sind nur wenige Monate ver­                 wesen. «Ich wusste: Genau das möchte               in ihrer Schule einleiten und begann
gangen – und man fragt sich, warum                   ich. Weniger Ansprechpersonen für die              mit dem Team über ihre Ideen zu re­
und wie sich eine Schule in so kurzer                Kinder nämlich und starke Teamarbeit               den. «Ziel war es, die Zusammenarbeit

18  Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013
Volksschule

zu stärken und weniger Ansprechper­            Die Heilpädagogin blickt dem Start          scheiden nicht zwischen Lehrperson,
sonen pro Klasse zu haben – lang be­       des Versuchs nach den Sommerferien              Heilpädagogin oder DaZ-Lehrer –
vor die Bildungsdirektion den Schul­       erwartungsvoll und leicht kritisch ent­         Hauptsache, jemand unterstützt sie.
versuch öffentlich verkündete.»            gegen. Künftig wird sie während                      Sprechen Verena Kocher, die zwei
                                           16 Lektionen zwei in die Regelklasse            Leh­ rerinnen und die Heilpädagogin
Team von Anfang an involviert              integrierte Sonderschulkinder (ISR)             über den Versuch, fallen Begriffe wie
Als dies dann so weit war, meldete sie     begleiten, daneben die Lehrerinnen              «Vertrauen», «Schulkultur», «Kommu­
sofort ihr Interesse an und diskutierte    und Lehrer während sechs Lektionen              nikation». Alle betonen, der offene
ihr Vorhaben im Team. Alles musste         pro Woche in heilpädagogischen und              Umgang, die Möglichkeit, Fragen zu
schnell gehen und zu ihrer grossen         integrativen Fragen beraten und un­             stellen, und die Bereitschaft, sich über
Freude kam eine breite Zustimmung          terstützen. «Für die betroffenen Kin­           die Schulter gucken zu lassen, seien
zustande: Vier von 50 Personen hatten      der erhoffe ich mir mehr Konstanz und           zentrale Vo­  raussetzungen, um einen
Bedenken, drei waren unentschieden –       Ruhe, weil sie in der Regelklasse blei­         solchen Versuch zu wagen.
die grosse, klare Mehrheit aber sprach     ben können und nicht aus ihrem Um­                   Gibt es auch Fragen? Kritik?
sich für den Versuch aus. Um Ängste        feld herausgerissen werden. Womög­              «Doch, klar», erwidert die Schulleiterin
abzubauen und Lösun­      gen zu finden,   lich fehlt künftig aber ab und zu das           und nennt den «grossen Mehrauf­
führte Verena Kocher persönliche Ge­       sonderpädagogische Fachwissen von               wand», den sie in den letzten Monaten
spräche mit den Lehrpersonen, die          uns Heilpädagogen und DaZ-Lehrper­              zu bewäl­  tigen hatte. Die schriftliche
grosse Zweifel bekundeten, und konn­       sonen im Schulzimmer.» Das sieht die            Eingabe zuhanden des Volksschulamts,
te sie schliesslich auch vom Versuch       Schulleiterin anders. Sie glaubt, dass          die Absprachen mit der Schulpflege
überzeugen.                                durch die Anwesenheit von zwei Lehr­            und dem Team, die Sit­      zungen, die
      Ein glücklicher Zufall? «Unser       personen im Schulzimmer «die Res­               Überzeugungsarbeit, das Planen und
Team hat sich schon lange nach echter      sourcen gebündelter werden. Das gibt            Strukturieren – und natürlich das
Kooperation gesehnt und danach, en­        dem Kind Stabilität und Kontinuität.»           Jonglieren, bis die Stunden­   pläne mit
ger miteinander zu arbeiten», erklärt                                                      den neuen Besetzungen und Teams
die Klassenlehrerin Ruzica Grgic. Und      Aufwand unterschätzt                            funktionieren. Doch die Schulleiterin
ihre Kollegin, die Lehrerin Nadine         Auch die Lehrerin Ruzica Grgic ist              findet: «Wir können nichts verlieren,
Behrend: «Wir waren wirklich von           überzeugt, dass die Förderung von               man kann nur gewinnen.» Derzeit be­
­Anfang an involviert in die Idee, und     lernschwachen Kindern einfacher wird.           schäftigt sie die Frage, wie sich die en­
 das war wohl ein Schlüssel für die        «Ich hatte die IF-Lektion zum Beispiel          gere Zusammenarbeit in den Zweier­
 breite Zustimmung.» Konkret musste        während der Zeichnungsstunde; das               teams auf das Gesamtteam auswirken
 das Team rasch Zweierteams gründen,       brauchte eine gute Koordination und             und was geschehen wird, wenn es in
 die künftig gemeinsam unterrichten.       Absprache, damit die betroffenen Kin­           einem Team nicht klappt. Doch noch
 Gemäss Verena Kocher war dies aus         der auch Unterstützung in der Mathe­            ist es zu früh, sich konkret mit solchen
 zwei Gründen möglich: «Erstens gab es     matik bekamen. Sind wir zu zweit in             potenziellen Problemen zu beschäfti­
 einige Kün­  digungen, die uns erlaub­    der Klasse, kann meine Kollegin oder            gen – vorerst freut sich Verena Kocher
 ten, die Stunden rumzuschieben und        ich vor Ort helfen.» In einem Punkt             mit ihrem Team einfach auf den tat­
 genau auf ­  unsere Bedürfnisse ange­     sind sich alle einig: Die Kinder unter­         sächlichen Start des Experiments. !
 passte Neuanstellungen zu machen,
 und zweitens funktionierte es, weil die
 Lehrpersonen selbstständig Teams bil­           Der Versuch
 deten.» Bewusst habe sie als Schul­             Der Schulversuch Fokus Starke Lernbeziehungen (FSL) startet wie geplant
 leiterin die Verantwortung den Lehr­            nach den Sommerferien in fünf Schulgemeinden: Marthalen (Kindergarten),
 personen übergeben und ihnen gesagt,            ­Rifferswil, Schule Hofacker in Schlieren, Schule Guldisloo in Wetzikon sowie
 sie sollten selbst entscheiden, mit wem          Schule Letten in Zürich-Waidberg je mit dem Kindergarten und der Primar­
 sie gut zusammenarbeiten könnten,                stufe. Die Hauptmotivation der beteiligten Schulen sei, gemäss Barbara Hart-
 sich gegenseitig im Unterricht besu­             mann Grass, Projektleiterin im Volksschulamt, die Teamarbeit und die Be­
 chen und sich austauschen.                       ziehung zwischen den Lernenden und Lehrenden zu stärken, den integrativen
                                                  Unterricht weiterzuentwickeln und sich von Koordinationsaufgaben und Ab-
Neue Rolle für die Heilpädagogin                  sprachen zu entlasten. Eine besondere Herausforderung für die Schulen der
«Wir sprachen alle oft miteinander –              ersten Staffel bestand in der kurzen Vorbereitungszeit.
die Teambildung war Thema im Leh­                 Schulgemeinden, die sich für den Versuch interessieren, können sich auf der
rerzimmer, auf dem Pausenplatz und                Website informieren und am 30. September an einer Informationsveranstaltung
ausserhalb der Schule», erzählt die               teilnehmen, um sich anschliessend für die zweite Staffel zu bewerben, die im
Heilpädagogin Eva Durisch-Simioni.                Sommer 2014 beginnt. Bereits haben Gemeinden und Schulen ihr Interesse
Doch sei erstaunlich schnell entschie­            angemeldet – mitmachen können in allen drei Staffeln maximal 350 Klassen.
den worden, wer mit wem zusammen
eine Klasse übernehmen könne und                 ∑   www.vsa.zh.ch > Schulbetrieb&Unterricht > Projekte
wolle und wer eher nicht.                        ∑   Vgl. Bildungsratsbeschluss Seite 57

                                                                                                   Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013  19
Volksschule

«Hilfreich sind auch kritische Anmerkungen»
Bis Mitte Oktober läuft eine Konsultation zur Vorlage
des Lehrplans 21. Wer angesprochen wird und
was das bringt, erklärt der Chef des Volksschul­
amts, Martin Wendelspiess.
Interview: Katrin Hafner Foto: Martina Meier

Herr Wendelspiess, vom Lehrplan 21                                                             Welche Rückmeldungen erwarten Sie?

                                                                                   Foto: zvg
wird schon lange geredet, immer                                                                Ich glaube, der Lehrplan wird in sei­
­wieder wird allerdings kritisiert, die                                                        nen Grundzügen mehrheitlich Anklang
 ­Informationen seien vage.                                                                    finden. Er ist in einer verständlichen
  Martin Wendelspiess: Die Erarbeitung                                                         Sprache geschrieben und schliesst an
  eines neuen Lehrplans braucht Zeit. Es                                                       die heute in den Kantonen gültigen
  ist ja nichts weniger als der Auftrag der                                                    Lehrpläne und den aktuellen Stand
  Gesellschaft an die öffentliche Volks­                                                       der fachdidaktischen Entwicklungen
  schule. Die Deutschschweizer Erzie­                                                          an. Hilfreich sind aber auch kritische
  hungsdirektoren-Konferenz (D-EDK)                                                            Anmerkungen. Sie können in die wei­
  hat zwar immer wieder über den Stand                                                         tere Erarbeitung des Lehrplans ein­
  der Arbeiten informiert. Doch konkre­                                                        fliessen, ihn also noch besser und pra­
  ter kann man erst jetzt werden, da ein         Amtschef Martin Wendelspiess.                 xistauglicher machen.
  ausgearbeiteter Lehrplanentwurf zur                                                          Was kann jetzt noch verändert werden?
  Verfügung steht. Nun ist der richtige                                                        Wie stark der Lehrplan überarbeitet
  Zeitpunkt da, die Diskussion breiter zu      die Konsultationsantwort des Kantons            wird, hängt natürlich von den Ergeb­
  führen. Es hätte keinen Sinn gehabt,         Zürich zuhanden der D-EDK.                      nissen der Konsultation ab. Der Träger
  Zwischenprodukte zu diskutieren.             Und wenn jemand seine persönliche               des Projekts, die D-EDK, will an der
  Eben hat das Volksschulamt eine              Meinung abgeben möchte?                         Grundstruktur des Lehrplans festhal­
  ­Konsultation zur Lehrplanvorlage der        Dafür haben wir auf der Homepage des            ten, denn diese wurde bereits verab­
   D-EDK gestartet, die bis Mitte Oktober      Volksschulamtes eine Art Briefkasten            schiedet. Zur Diskussion steht jedoch
   läuft. Wer kann mitreden?                   eingerichtet. Ich bin gespannt auf das          der gesamte Inhalt, das heisst insbe­
                                                                                               sondere die Auswahl und der Aufbau
                                                                                               der Kompetenzen, die von den Schüle­
                                                                                               rinnen und Schülern in den verschie­
                                                                                               denen Fachbereichen erreicht werden
«Ich bin überzeugt, dass die Kompetenz­                                                        sollen.
                                                                                               Wie erfahren die Lehrpersonen und
orientierung die Lehrerinnen und                                                               die Öffentlichkeit von den allenfalls
Lehrer beim Unterrichten unterstützt.»                                                         ­anstehenden Änderungen des Lehr-
                                                                                                plans 21?
                                                                                                Nach der Auswertung der Konsultation
                                                                                                wird die D-EDK informieren, inwie­
                                                                                                weit der Lehrplan nochmals überar­
Neben allen direkt an der Volksschule          direkte Feedback, gerade auch von                beitet wird.
beteiligten Verbänden und Institutio­          Praktikerinnen und Praktikern aus                Und wie geht es dann weiter?
nen haben wir auch politische Parteien,        dem Schulfeld. Interessierte Lehr­               Ende 2014 gibt die D-EDK den Lehr­
Elternorganisationen, die Wirtschaft,          personen und Schulleitungen haben                plan zuhanden der Kantone frei. Es
Gymnasien und die Berufsfachschulen            ausserdem die Gelegenheit, an einer              handelt sich um eine «Lehrplanvorla­
zu einer Stellungnahme eingeladen.             unserer regionalen Informationsver­              ge», da sie anschliessend von den Kan­
Nach der Auswertung der Stellung­              anstaltungen zum Lehrplan 21 teilzu­             tonen in eigener Kompetenz für die
nahmen verabschiedet der Bildungsrat           nehmen.                                          Einführung aufbereitet werden muss.

20  Schulblatt des Kantons Zürich 4/2013
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